Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kennt Ihr das schöne Lied nicht? erwiderte Frau Catharina. Es ist ja von unserm vielbekannten Labitte, dem beliebten Dichter.

Ist dieser jetzt hier? fragte der alte Ritter.

Schon seit geraumer Zeit, erwiderte Friedrich; vor Jahren war er auch in unserm Hause.

Ich kenne wohl, sagte der Ritter, manche seiner älteren Gedichte; auch weiß ich, daß er ein guter Maler ist.

Er ist eine Zier, fuhr Catharina fort, unserer Dichtergesellschaft; und eine unbegreifliche Munterkeit und Kraft hält ihn aufrecht, so alt er nun auch ist. Wer ihn nicht kennt und ihn zum erstenmale erblickt, hält ihn für einen einfältigen, fast blödsinnigen Menschen; auch hat er Stunden, in welchen er nur wenig Verstand verrät. Doch plötzlich erfaßt ihn die Laune, oder eine Stimmung zur Poesie, und er spricht und singt die wunderbarsten Sachen und Gedichte. Er ist es manchmal allein, der lange Zeit hindurch unsre Gesellschaft belustigt.

Ganz recht, fügte der Dechant hinzu, es ist derselbe alte Tor, den sie oft den einfältigen, den blödsinnigen oder dummen Abt nennen, weil man nicht weiß, ob er sich albern stellt, oder es wirklich ist. Ich habe nie begriffen, wie Menschen noch als Greise den Lustigmacher spielen mögen.

Ihr seid viel zu hart, ehrwürdiger Herr, sagte Catharina sehr freundlich; soll alles auf eine und dieselbe Art sein? Ich versichere Euch, der gute Alte macht sich niemals verächtlich, so seltsam auch manchmal seine Reden ausfallen mögen. Sein Sinn ist ernst, ich habe ihn selbst schwermütig gesehen, und wenn ein solcher, der ohne Weib und Kind, ohne Bruder und Schwester, nicht im Überfluß lebend, sich über die dunkle Bestimmung des Daseins durch Scherz und Laune, Spaß und Witz, die manchmal an die Tollheit grenzen, zu trösten sucht, und andere erheitert und ergötzt, indem er seine Lebensgeister in der Gesellschaft erhöht, so darf man solchen nicht mit jenen gemeinen Narren vergleichen, die das Edle verschmähen und in den Staub treten. Er ist ein guter, lieber alter Mann, einfältig wie ein Kind, leichtgläubig und harmlos. Deshalb wird sein besserer Sinn auch oft von Listigen gemißbraucht, die ihn lächerlich machen. Wenn es geschieht, und er einsieht, wie boshaft man mit ihm umgegangen ist, so ist er der erste, welcher alles vergibt. Ist dies nicht eine christliche Tugend?

Ohne Zweifel, antwortete der Dechant, doch wäre es noch christlicher, wenn er zu allen diesen Anstößen keine Gelegenheit gäbe.

Friedrich nahm das Wort und sagte: Nicht so, ehrwürdiger Herr; sollen wir dem Scherz und Gelächter gar keine Stelle einräumen, so dürften wir jungen Gesellen nur lieber Maulkörbe tragen, die die Lippen zu Ernst und Ehrbarkeit fest zusammenschnüren. Man muß die Torheit erleben, um später Unglück ertragen und Weisheit begreifen zu können. Glaubt Ihr nicht, daß in solchen Späßen, die oft zweideutig aussehn und dem Tadel unterliegen dürfen, sich nicht auch Liebe, Gefühl und eine Art Frömmigkeit zu Zeiten erziehn lassen?

Verschont mich mit dergleichen Fragen, sagte der Dechant, in übler Laune, denn da ich sie nicht verstehe, weiß ich keine Antwort darauf zu geben.

Der Vater sah den Sohn mit einem strengen Blick an, worauf Friedrich mit Laune und Freundlichkeit erwiderte: Ich will niemand ärgern, sondern jene Vorrede sollte nur die Einleitung zu einer kleinen unbedeutenden Geschichte abgeben. Unser guter Labitte war schon im vorigen Jahre, als er noch draußen in Douay wohnte, eine Zeitlang hier bei uns. Wir suchten ihn auf, da wir schon längst seine schönen Lieder gesungen hatten, und er gab sich uns so freundlich hin, als wenn er der jüngste und unerfahrendste von uns allen wäre. So verlor sich bald die fromme Scheu vor dem Manne, der auch den Lobgesang auf die Maria gedichtet hat, der bei uns zur Erbauung dient, wenn feierliche Umgänge gehalten werden, oder wenn man das große Erntefest feiert. Er nahm uns in seine Wohnung, und ließ uns zugegen bleiben, wenn er an seinem Bilde malte, das, wenn es auch nicht die vorzüglichsten erreicht, doch anmutig wurde und uns mit seinen klaren Farben ergötzte.

Der Mann hat einen weißen Pudel, den er schon seit manchem Jahre mit der größten Zärtlichkeit liebt. Dieses Tier mit seinen langen Ohren und aufgelocktem Fell ist zu Hause sein beständiger Gesellschafter. Er spielt mit ihm, er spricht zu ihm, erzählt ihm, als wenn der Hund ihn verstehen könnte. Da wir zuweilen den halben Tag bei dem alten Maler zubrachten, so wurde der Hund, der schon gesellig war, auch bald mit uns allen vertraut und zutunlich. Er machte auch uns seine Künste, die der Maler ihn gelehrt hatte, und freute sich in Sprüngen, wenn er einem von der jungen Bande auf der Straße begegnete. Wir wunderten uns oft über die Leichtgläubigkeit unseres Labitte, dem man, weil er sich um weltliche Händel und Staatssachen so gar nicht kümmerte, alles mögliche einbilden konnte, wenn auch jedes Kind die Fabel begriffen hätte.

So geschah es denn, daß wir ihm erzählten, sein Hund sei um vieles klüger, als er es selber wisse. Wir hatten des Pudels Geburtsstunde von unserm Freunde erfahren, und so hatte uns ein leichtfertiger Astrolog das Horoskop des Künstlers gestellt, aus welchem hervorging, daß ein Wesen, in dieser Stunde, unter diesen Aspekten geboren, die auffallendsten Geistesfähigkeiten in sich vereinige. Es schmeichelte dem Alten, daß das Tier, welches er liebte, außer seiner Treue noch so viele Vorzüge besitze. Wir wußten, daß er an einem Morgen schnell zum Statthalter gerufen werden würde, um dessen Bildnis zu malen; er war auf dem Spaziergange, und mußte auf einen Augenblick in sein Haus gehen, um seinen bessern Mantel umzulegen und seine Farben zu holen. Einer der Genossen, der in demselben Hause wohnte, hatte auf unsern Wink den gelehrigen, freundlichen Pudel genommen, ihn aufrecht sitzend in einem Sessel festgebunden, und vor ihm eine Chronik, die auf einem Pulte lehnte, aufgeschlagen. Wir schlichen uns in den Saal, um den Alten, wenn er eintreten würde, zu beobachten. Hinter einem großen Gemälde versteckt, sahen wir vor uns die possierliche Gestalt des Hundes, der aufrecht sitzend, die Pfoten auf den Tisch gestützt, in der kostbaren pergamentnen Handschrift zu lesen schien, indem ihm die lange rote Zunge aus dem Maule hing, und er, von den Bändern gehemmt, keuchend Atem holte, wie einer, der tief von dem, was er lieset, ergriffen ist. Der Maler tritt hastig ein, fährt zerstreut und fahrig, nach seiner Weise, in die Kammer, kommt gleich in seinem neuen Mantel zurück, nimmt vom Tisch die Pinsel, und sieht plötzlich seinen weißen, zottigen Freund im Studium des Froissard begriffen. Die Miene des Erstaunens, der aufgerissene Mund, die großen Augen, seine Stellung, alles dies ist nicht zu beschreiben. Er hört die mahnende Glocke schlagen, und stürzt in größter Eile wieder aus dem Hause. Der Hund wird gleich losgebunden, und wir zerstreuten uns.

Am andern Tage sind wir in der Weinschenke heiter versammelt, und der Alte kommt auch wohlgemut zu uns. Man sah ihm an, daß er ein Geheimnis auf dem Herzen habe, welches ihn drücke, und daß er den Mut und günstigen Augenblick nicht finden könne, es uns mitzuteilen. Als ihn die Weinlaune mehr beherrschte, sagte er endlich: Freunde, junge Menschen, wenn ihr nur ein wenig solider dächtet, so könnte ich euch wohl etwas erzählen, das schon der Beachtung würdig ist. Aber ihr seid zu leichtsinnig und zu ungläubig, ihr werdet mir nicht glauben, und in eurem Spott der Unerfahrenheit das abstreiten wollen, was ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe, und das wird mich dann verdrießen.

Wir ermunterten ihn, sich uns edel und offen mitzuteilen. Die Rede kam auf den Pudel, und dessen Lob wurde von neuem gesungen. So eröffnete er uns denn endlich, wie er gestern unvermutet die Entdeckung gemacht habe, daß das gute verständige Vieh seine besten Eigenschaften verberge und verschweige; er habe diesen Tyras nämlich überrascht, der sich dessen nicht versehen habe, wie er Geschichte hinter seinem Rücken studiere und mit großem Eifer lese, so von dem Gegenstande hingerissen, daß er ihn selbst, seinen Herrn, nicht einmal bemerkt habe. Wie er nach zwei Stunden zurückgekommen, sei das Buch wieder an seinen Platz gestellt gewesen, und der bescheidne Student habe wieder, als sei nichts vorgefallen, und als könne er kein Wasser trüben, auf die gewöhnliche Hundeweise unter dem Bette gelegen. Mit ernster Miene hörten wir zu, und erklärten dann, er erzähle uns in dieser Sache nichts Neues, denn wir hätten dergleichen schon längst gemerkt, wie der Hund seine Abwesenheit benutze, um sich, ohne damit zu prahlen, im stillen mehr auszubilden. Keiner hätte ihm etwas davon sagen wollen, weil er schon so oft klage, daß man ihn necke; man sei aber überzeugt, der Hund werde sich auch nächstens im Schreiben, vielleicht im Malen üben.

Der Alte war entzückt und rief aus: Wenn mein Tyras mich einmal durch ein gelungenes Bild von eigener Erfindung überrascht, oder durch ein gutes Gedicht, so soll er bei mir zeitlebens die besten Tage haben. Welch ein Hund! Man kann ja von ihm noch das Unwahrscheinliche, ja das Unmögliche erwarten, da er es schon so weit gebracht hat. – So sehr sich meine Spielgenossen über diese Albernheit des Alten freuten, so war mir diese seine mehr als kindliche Einfalt eine zu rührende Erscheinung, als um es dulden zu können, daß er noch länger ein Spielball der übermütigen Jugend sein sollte. Ich ging am folgenden Morgen zu ihm, und eröffnete ihm den ganzen Handel. Er war sehr bestürzt und traurig, nicht darüber, daß man ihn so arg geneckt hatte, sondern daß seinem Hunde nun jene Fähigkeit abgehe, über welche er sich schon so sehr gefreut habe. Es ist doch jammerschade, sagte er dann, daß so alles Geschaffene sich in Schranken bewegen muß. Man findet doch auch so gar nichts, bei dem nicht das Hohe und Geistige mit dem Nichtigen, dem ganz Armseligen verbunden ist, ja in diesem Dummen, Nichtsnutzigen nur wurzeln und aus ihm erwachsen kann. Unsre schönsten Gemälde stehn da auf Holz, die Farben sind Saft aus Pflanzen, Pulver aus Erde und Metall. Staub, Nässe, Licht, alles arbeitet daran, den Schimmer wieder zu trüben. Der Dichter singt, und wird heiser, er vertraut dem Pergament und dem Papier seine hellen Gedanken; sie vergehen und verschrumpfen, und haben nur für wenige, in wenigen Augenblicken geleuchtet. Wie man sich begeistert dünken mag, so fällt man doch, wie sich der Zeiger der Uhr nur etwas weiterbewegt, in Müdigkeit, Hunger und Durst zurück, und was eben noch das Feuer ins Auge trieb, ist jetzt ein kalter, oder unverständlicher, oder selbst widerwärtiger Gedanke. Der Hund versteht mich nicht, und ich nicht den Hund. Von dem Geheimnis der Welt und der Schöpfung weiß ich nun gar nichts, und ihr, junges Volk, versteht nicht einmal, wie man die Farben reiben muß. Warum rot rot, und blau blau ist, weiß kein Mensch; noch weniger, was das Rot ist. Wir gehen ebensogut, wie Tyras, auf vier Beinen; er kann dienen und Schildwacht stehen, aber er muß doch wieder in die Quadratur seiner Füße und Bestimmung zurück. Wir richten auch unsern Geist nach oben, und sind beflügelt, schauen und glauben, und müssen platt wieder zur Erde in den Staub niederfallen. – So räsonierte er viel durcheinander, nahm dann mein Taschentuch und hieß mich gehen. Als ich auf der Straße in einem fernen Teil der Stadt war, rannte mir der weiße Pudel nach, sprang an mich hinauf, zerrte mich am Kleide, und belferte und kläffte in seinen hohen Tönen, mit denen er Freundlichkeit ausdrückte. Ich merkte nun wohl, daß er mich zurückhaben wollte, und ging auch mit ihm wieder nach der Wohnung seines Herrn. – Da seid Ihr wieder, rief mir der Maler lachend entgegen. Seht Ihr nun wohl, daß in seinem Fache der Hund mehr ist als wir alle? – Ich wies ihm nach einer halben Stunde nur Euer Tuch und winkte damit hinaus, er beschnupperte es eifrig, sprang Euch nach und hat Euch durch die Witterung bald ausgefunden. Macht das einmal nach, wenn ich Euch auch deutlich sage, holt mir den Ferdinand, Boppo, den Melzer, oder wer es nur sei. Trefft Ihr sie nicht zu Hause, und erfahrt dort nicht, wohin sie gegangen sind, so steht Ihr ganz dumm und völlig hülflos da; ja Euern besten Freund oder Euer Liebchen könnt Ihr nicht aus der dringendsten Lebensgefahr reißen, wenn Ihr es nicht mit dürren Worten erfahrt, wo und wie sie anzutreffen sind.


 << zurück weiter >>