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XXVI.

Die heilsamen Wirkungen dieses Gesprächs hielten etliche Tage an, dann gingen sie wieder verloren.

Das blinde Vertrauen, das der Freund ihm schenkte, peinigte ihn. So sehr er dessen Argwohn auch gefürchtet hatte, jetzt wäre ein Minus an Zuversicht ihm wie ein Labsal erschienen, denn es hätte sein Verbrechen in die Reihe des Menschenmöglichen gerückt. Unter den Fällen, die Ulrich nach seinen eigenen Worten als sinnlos ausgemerzt, hatte wahrscheinlich auch Leos Liebe zu Felicitas einen Platz gehabt. In dem logischen Schema des Freundes wurde so leicht nichts übersehen, aber die ahnungslose Vornehmheit seines Herzens machte wieder zunichte, was sein Geist scharfsinnig aufgebaut hatte.

Es gab Momente, wo er ihn deswegen haßte. – Hätte Ulrich vor seiner Heirat mehr Mißtrauen besessen, das ganze Unglück wäre ungeschehen geblieben.

Auch die Einkehr und Umkehr Lizzies, die beim ersten Blick so glückverheißend schien, beunruhigte ihn, je mehr er darüber nachdachte. – Wenn es die Wahrheit war, daß sie ihn nicht mehr liebte, woher der mächtige Einfluß, den er von neuem auf sie gewonnen hatte?

Er wagte nicht weiter zu folgern, aber seine Gedanken umschlichen das gefährliche Gebiet, wie wilde Tiere um ein nächtliches Feuer schleichen.

In allen diesen Nöten war die Wirtschaft sein einziger Trost. Er fühlte wohl, daß, wenn es eine Heilung für ihn gab, nur die Arbeit – die Arbeit bis zum letzten Erschlaffen aller Muskeln, bis an die Grenze des Tothinsinkens – sie ihm bringen konnte. Und von dieser Arbeit gab es für ihn genug.

Der Oktober ist in allen Gegenden, welche die Zuckerrübe bauen, eine schwere Zeit.

Schon die Ernte an Ort und Stelle erheischt die strengste Bewachung, denn die Arbeiter lieben es, um schneller vorwärts zu kommen, die Wurzeln aus dem Boden herauszureißen und zur Befreiung von der anhängenden Erde kräftig aneinander zu schlagen. Zwei Kapitalverbrechen, weil durch die leiseste Verletzung der Zuckerwert der Rübe beeinträchtigt wird.

Noch schwieriger und arbeitsreicher aber ist der Transport zur nächsten Ablieferungsstation, der so schnell als möglich von statten gehen muß.

Was am Tage vorher aus der Erde gezogen, geputzt und auf Wagen geladen ist, wird in frühester Morgenstunde, lange bevor der erste Zwielichtschimmer über die Ebene schleicht, in langsamem Zuge von dannen gefahren, um in Münsterberg verwogen und auf die Bahn gepackt zu werden. Das war ein weiter und anstrengender Weg. Vor allem aber brachte der Transport über den Strom tausenderlei Mühen und jeden Tag aufs neue beklagten Zeitverlust.

Und Leo zögerte nicht, das beschwerliche Amt, den Transport zu geleiten, welches auch die pflichttreuesten Inspektoren gern von sich abzuwälzen pflegen, auf seine eigenen Schultern zu laden. Darob herrschte Spott und Erstaunen im ganzen Kreise, denn es galt als unerhört, einen hohen Gutsherrn morgens gegen sechse an der Wage erscheinen zu sehen.

Das waren schöne und strenge Tage voll maßlos gesteigerten und dennoch befriedigten Pflichtgefühls.

Morgens – fünf Minuten vor drei – pochte die Stange des Wächters an die Fensterlade … Ein harter Moment – allein was half's? Mit dem Glockenschlage drei mußte die Lade geöffnet sein als Zeichen für den Wächter, der andernfalls die Verpflichtung hatte, seinen Herrn mit einem Sprühregen kalten Wassers auf den Federn zu scheuchen.

Zwanzig Minuten später saß er im Sattel.

Im Schlosse herrschte Nacht und Schweigen, nur Christian, der es sich trotz seiner hohen Jahre nicht nehmen ließ, seinem gnädigen Herrn den erwärmenden Cognac selber einzuschenken, stand mit Lampe und Tablette in der Hausthür und rief ihm einen zittrigen Guten-Morgenwunsch entgegen.

Dann ging's in scharfem Trabe auf die Felder hinaus, wo die Leute mit fertiger Bespannung schon auf ihn warteten. Ihre Laternen, die aus der Finsternis herüberleuchteten, wiesen ihm den Weg. Ein sonorer Morgengruß, vielstimmig erwidert, – ein rascher Blick die Achsen entlang, – ein wenig Donnerwetter als Zugabe, – denn so gehört sich's in deutschen Landen, wo es keinem Arbeitenden wohl in seiner Haut ist, wenn er sich nicht verfluchen hört – alsdann setzte unter ungeheurem Lärmen, schwerfällig und dennoch adrett, der Wagenzug sich in Bewegung.

Eine halbe Stunde später hielt er in Wengern vor der Fähre.

Wie ein gestaltloses Ungetüm, mit unsichtbarem, tückischem Leben begabt, gähnend und gurgelnd, lag der schwarze Strom in der Finsternis da.

Darüber hin sausten und pfiffen die Winde, selbst wenn auf der Ebene kein Zweig sich rührte.

Die Fähre schwankte – die Pferde wieherten angstvoll – Geschrei und Kommando erschollen durcheinander. – Als müßten sie schnurstracks in die Tiefe hinunterrollen, so rasselten unter Krachen und Poltern die schwerbeladenen Wagen den brüchigen Knütteldamm hinab, in das zitternde Fahrzeug hinein, bis der Schlagbaum des Vorderteils den Pferden Halt gebot, die in ihrer Angst zur Seite wichen und sich ineinander verbeißen wollten.

Zehn Achsen faßte die Fähre, die übrigen mußten warten, bis sie wiederkehrte.

Ein eigentümliches Bangen überschlich Leo ein jedes Mal, wenn das Leitseil sich straffte und die Rollen zu kreischen begannen. Am Ufer hin und her reitend sah er dem Fahrzeug nach. Als glitte es ins Leere hinaus, in den Abgrund hinunter, so wurde es von der Nacht verschlungen. Nur die Laternen zogen leuchtende, zitternde Fäden über die schwarzen Wasser.

Jenseits der Fähre trennte sich der Zug, denn es wäre Zeitverschwendung gewesen, hätte die erste Abteilung die zweite erwarten wollen.

War der letzte Wagen übergesetzt, so begann Leos Fest. Er ließ dem Rappen die Zügel schießen, um den Vorausgefahrenen nachzusprengen. Die von Kälte oder Regen erstarrten Glieder lösten sich wieder, ein prickelndes Gefühl auffrischender Wärme durchströmte den Leib und beflügelte die Gedanken.

Solange das Rennen währte, war alle Not vergessen. Die krampfige Frühmorgenangst – auch eine Erscheinung, die sein robuster Körper früher nicht gekannt hatte – wurde schwächer und verschwand … Die erste Lichtahnung, die auf der Erde lag – traumhaft und verheißungsvoll – leuchtete für Momente in seiner Seele wieder.

Mit der Morgenröte fuhr der erste Wagen in Münsterberg ein und nach dem Bahnschuppen zu, in dessen Nähe die große Wage stand. – Eine häßliche Stunde voll Zank und Zahlen verfloß, dann ging's auf den Heimweg. – Und wenn im Schlosse Großmama die Kinder zum Kaffee rief, trat auch Leo – einmal staubig, ein andermal regendurchweicht – unter Sporengeklirr und Hundegebell ins Wohnzimmer und schleuderte mit einem müden »Guten Morgen« die Mütze in den Winkel.

Nun erst begann sein Tagewerk, und wenn er abends in sein Schlafzimmer trat, sank er in seinen Stuhl, wie von einem Streiche gefällt. Oft fand er nicht einmal mehr die Kraft, sich zu entkleiden, und zweimal überraschte ihn die unbarmherzige Stange, wie er bei räuchernder Lampe mit rotgedrücktem Kopf vor seinem Tische saß.

Für die Besuche in Uhlenfelde blieb wenig Zeit, und Leo fühlte sich glücklich, mit einer triftigen Ausrede davonzukommen.

Doch empfand er es als Unrecht, daß er fortfuhr, ein Alleinsein mit Felicitas zu vermeiden. Sie durfte verlangen, daß er seinem gegebenen Worte nicht untreu wurde. Sie hatte Anspruch auf seine Nähe. Auch an ihm selber zehrte jetzt das Verlangen, sie ohne Ulrichs Zeugenschaft zu sehen und zu sprechen. Er hoffte auf einen günstigen Zufall, wie jener erste es gewesen war, aber jetzt verrechnete er sich nicht mehr. Mit Herzklopfen zählte er die Stunden, in welchen er Ulrich abwesend wußte, und – blieb daheim.

Doch eines Abends, als in Münsterberg der Vorstand der landwirtschaftlichen Vereinigung seine monatliche Sitzung hatte, hielt er sich nicht länger und machte sich, erfüllt von einem gewissen trübseligen Trotze, nach Uhlenfelde auf den Weg.

Es war schon dunkel geworden, als er am jenseitigen Ufer landete. Der Wind wehte rauh. Ihn fror.

Im Vestibül trat ihm die alte Minna entgegen, das Faktotum der verflossenen Liebe, an dessen Zwischenträgerdienste er sich mit Grauen erinnerte.

Sie erklärte ihm unter Knicksen und Blinzeln, das gnädige Frauchen sei nicht wohl, das gnädige Frauchen litte an Herzkrämpfen, aber ihn würde das gnädige Frauchen schon empfangen.

Entwürdigend war die Vertraulichkeit, mit welcher der schmatzende, zahnlose Mund zu ihm emporlächelte, entwürdigend noch mehr, daß er dies Lächeln zurückgab.

Aber man mußte sie warm halten. Sie war ja Mitwisserin.

Zusammenschaudernd – er wußte nicht, ob vor Kälte oder vor Erregung – rannte er zwischen den Pfeilern umher. Es dauerte lange, ehe die Alte wiederkam.

Gnädiges Frauchen lägen zwar im Bette, aber ließen bitten, ein wenig Geduld zu haben. Sie wolle rasch Toilette machen – ein bißchen nur – bei einem so guten Freunde wären ja Umstände nicht vonnöten.

Leo biß die Zähne zusammen. Wenn sie beliebt hätte, noch deutlicher zu werden, er hätte sich auch das gefallen lassen müssen.

In Lizzies Allerheiligstem brannten zwei mit roter Seidengaze verschleierte Lampen. Auf der Chaiselongue lagen Kissen und Decken unordentlich aufeinander geworfen, als hätte man sich soeben in Eile auf ihnen herausgewickelt.

Ein herabgeworfenes Buch stand rittlings auf dem Teppich.

Er hob es auf. Der Titel lautete: »Der goldene Weg zum Guten. Erlebnisse einer Sünderin.«

Aufs Geratewohl begann er darin zu lesen. – Ein parfümierter Traktatenstil, in welchem eine Jüngstbekehrte ihre wunderbare Rettung aus sündiger Leidenschaft berichtete, sprang ihm mit koketter Inbrunst entgegen. Ihm war, als sähe er den lächelnden Augenaufschlag, mit welchem die Salonmagdalena den Heiland wie einen neuen Liebhaber ins Netz zu locken suchte, aber ihm, dem Barbaren, der seit der Schulzeit nur Allerschlechtestes gelesen hatte, nötigte auch dies Geschreibsel eine Art widerwilligen Respektes ab.

»So gut sie kann, macht sie Ernst,« dachte er und legte das Buch mit Sorgfalt beiseite.

Ja, sie machte Ernst.

Als sie eintrat, gewahrte er sofort die dunklen Leidensringe unter den Augen und die bläulichweiße Färbung ihrer Lippen.

Und doch war sie ihm so schön noch nie erschienen. Sie trug ein lässig malerisches Deshabillé aus blauem Kaschmir, von cremefarbenen Spitzen umrahmt, die sich über dem Busen zu einer duftigen Wolke bauschten. Das Haar, nur wenig frisiert, ringelte sich in ungezählten Löckchen um Stirn und Wangen und wölbte sich über dem Scheitel zu einem locker gerafften Knoten, den eine goldene Schnur zwiefach umschlang. – Leo erinnerte sich, dergleichen Köpfen in Bildergalerien begegnet zu sein, von goldenen Tönen überhaucht, aus purpurnem Halbdunkel wie aus einem geheimnisvollen Bade emportauchend.

»Du bist leidend?« rief er, ihr die Hände entgegenstreckend.

»Ich? Wer sagt dir das?« erwiderte sie mit einem müden Lächeln, indem sie sich in einen Sessel sinken ließ.

»Minna sagte es mir.«

Statt der Antwort hob sie die Augenbrauen empor: dann langte sie mit schlaffer Hand nach einem der Kissen, um sich den Nacken zu stützen.

Sie mußte sich frisch parfümiert haben, den der penetrante Opopanaxgeruch strömte heute stärker denn je von ihr aus.

Leo spürte sofort das dumpfe Erschlaffen, das ihn jedesmal überfiel, sobald er in diese Atmosphäre geriet. Es begann als ein leiser Druck in den Schläfen, der sich langsam über die Stirn ausbreitete und schließlich den ganzen Kopf wie mit einem eisernen Reifen zu umspannen schien.

Felicitas bettete ihr Gesicht in die Höhlung des aufgestützten Armes und verharrte so regungslos.

»Mein Gott – was fehlt dir?« forschte er.

Sie hob den Kopf ein wenig und lächelte ihn trostlos an.

»Was mir fehlt, Leo? Ich möchte nicht geboren sein – weiter nichts.«

»Wenigstens ein frommer Wunsch!« erwiderte er mit einem verfehlten Anlauf zum Spott.

»Der frömmste, lieber Leo, den eine Verworfene haben kann.«

»Nun sag mal, Lizzie,« mahnte er, »warum tobst du so gegen dich? … Hat ja keinen Sinn … Warum bloß?«

»Weil ich bereuen lerne, Leo.«

Ein mattes Aufzucken ging durch sein Gehirn, als wollte er diesem Worte noch ein letztes Mal Opposition machen, aber er fand nicht mehr die Kraft dazu. – Das Leben, welches er seit zwei Monaten führte, war ja auch nichts weiter als ein vergeblicher Kampf mit Selbstvorwurf und Reue. Die ganze Zerrüttung seines Wesens kam daher.

Er erhob sich schweigend und ging mit unsicheren Schritten in der rötlichen Dämmerung des Kabinetts auf und nieder. Dann trat er neben sie und stützte sich auf den Rand ihres Sessels.

Mit klagendem Augenaufschlag sah sie an ihm empor, dann schmiegte sie aufseufzend das Angesicht gegen seinen Arm.

Er wollte zurückfahren, wagte es aber nicht, denn er mochte ihr nicht zeigen, daß er diese Berührung minder harmlos nahm als sie.

»Leo, ich leide unsäglich!« flüsterte sie.

Sacht zog er den Arm von ihr fort und setzte sich ihr gegenüber.

»Und das ganze Glück, das du Ulrich bereitest,« fragte er, »ist wieder nichts wie Täuschung?«

»Verlangst du etwa von mir, daß es Wahrheit sei?« fragte sie zurück.

»Zu verlangen hab' ich nichts … Ich will bloß … ich …« Er konnte nicht weiter. – Seine Gedanken arbeiteten schwerfällig. – Er wußte nur, daß ihre erstaunte, entrüstete Frage ihn nicht so unzufrieden machte, wie es von Rechts wegen hätte sein müssen.

»Das Versprechen, das ich dir gab,« fuhr sie fort, »hab' ich redlich gehalten … Ich versuche die Hausfrau zu sein, die seiner würdig ist … Und die Gattin, die ihn nichts entbehren läßt … Die Buße, die ich mir auferlege, ist entsetzlich … Ich leide Qualen, wie sie kein Mann zu ermessen vermag.«

»Und glaubst du, daß ich etwa auf Rosen gebettet bin?« entgegnete er.

»O du! Was willst du!«

Da brach er los.

»Ich? … Ach Weib, was weißt du von dem, was ich aushalte. – Ich quäl' mich ab … Ich komm' mir vor wie schmutzig am ganzen Leib … Ich wag' keinem ehrlichen Menschen mehr ins Gesicht zu sehn … Mir ist, als zeigt jeder mit Fingern auf mich … Wenn das so weiter geht, verlier' ich den Verstand … Ist das nicht genug?«

Sie ließ das Auge wißbegierig auf ihm ruhen. – Etwas wie verstohlene Freude flimmerte darin, denn seit jenem fernen, fernen »Damals« hatte er ihr so vertrauensvoll sein Innerstes nicht mehr geöffnet.

»Kann ich dir helfen?« flüsterte sie, die Hände faltend.

Er lachte grell auf.

»O bitte, Leo!«

»Laß das!« entgegnete er. »Jede Hilfe von deiner Seite wär' nichts wie ein neues Verbrechen … Und wie sollst du auch? … Mir kann nur einer helfen, – das ist Ulrich …«

»Um Jesu willen!« schrie sie auf. »Du willst doch nicht …«

»Ruhig, ruhig!« erwiderte er, »ich weiß schon, was ich dir schuldig bin. Wir beide sind zusammengekoppelt … Wir werden schon den Mund halten … Das versteht sich von selbst.«

Eine Pause entstand. Dann fragte Felicitas mit zitternder Stimme: »Kannst du beten, Leo?«

Erschrocken sah er sie an.

»Ja wohl – beten … Wer das kann, der hat's gut … Aber ich schleich' mich an meinem Herrgott vorbei, wie mein Leo sich an nur vorbeischleicht, wenn er ein Huhn zerrissen hat.«

»Du solltest es doch versuchen,« sagte sie mit ihrem frömmsten Gesicht. »Bei mir hat es in letzter Zeit Wunder gethan. Ich vertraue meine Sehnsucht der Barmherzigkeit des Heilands an und –«

»Sehnsucht? … Wonach Sehnsucht?« fragte er.

Sie lächelte verwirrt. »Nein, wirklich,« wiederholte sie dann, »du solltest beten.«

»Hm!«

»Vielleicht führt uns Gott der Herr nur deshalb durch diese Prüfung, um unsre Treue um so herrlicher strahlen zu lassen. Vielleicht gehört es mit zu seiner Heilsordnung –«

Er stutzte. »Sag 'mal,« fuhr er ihr ins Wort, »warst du etwa bei Brenckenberg?«

»Um Gottes willen,« rief sie, »vor dem hab' ich Angst!«

»Oder vielleicht bei Johanna?«

»Nein,« erwiderte sie errötend. »Johanna … weißt du … war bei mir.«

»Aha!«

»O sei nicht hart! Ich segne die Stunde, die mich in ihre Arme führte, denn sie hat mir den Weg zum Kreuze gezeigt.«

»Wie oft war sie hier?«

»Dreimal.«

»Und da hast du dich ihr auf Gnad' und Ungnad' übergeben?«

Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Das thät' ich nur mit einem,« sagte sie. »Es gibt doch wohl noch manches zu verschweigen … Aber sie hat mir unendlich wohlgethan.«

Er starrte nachdenklich vor sich hin.

Sie erhob sich und näherte sich seinem Sitze.

»Weißt du, Leo,« sagte sie mit einem träumerischen Lächeln, »es wäre so schön, wenn wir zusammen beteten.«

»Wie meinst du das?«

Sie wurde verlegen. »Ich meine, wenn wir unsre Not gemeinschaftlich – –«

»Hm! … glaubst du, das wäre wirksamer?«

Sie seufzte. »Es wäre doch so schön,« flüsterte sie.

»Wie denkst du dir so was?« fragte er. »Sollen wir uns wohl nebeneinander auf den Teppich knieen?«

Sie lächelte und wurde noch röter. »Du bist ein Heide,« schmollte sie, sich niedersetzend, »und spottest über das Heiligste.«

»Sei unbesorgt, liebes Kind,« erwiderte er ernst, »mir ist die Lust zum Spotten längst vergangen.«

»So bete wenigstens für mich – wie ich für dich bete.«

»Thust du das?« fragte er, während ein Gefühl von Dankbarkeit sich matt in ihm regte.

Sie nickte verschämt und sah in den Schoß. »Es ist das Beste, was ich habe,« flüsterte sie.

Aufs neue wurde es still.

Ihre Blicke trafen sich und blieben ineinander ruhen.

Ein süßes, verschwiegenes Mitleid wogte wie ein geheimnisvolles Fluidum zwischen ihnen hin und her. – In diesem Augenblicke drückten die Ketten nicht, von denen Leo gesprochen hatte.

Beider Gedanken wanderten in die Vergangenheit zurück.

»Wir sind zu glücklich gewesen,« hauchte Felicitas, »darum müssen wir so viel leiden.«

Er antwortete nicht. Nach Männerart hatte er weniger Dankbarkeit für das genossene Liebesglück bewahrt als sie.

Sie wurde mißtrauisch. »Oder warst du es etwa nicht?« fragte sie.

Er nickte halb widerwillig, alten Erinnerungen anheimgefallen.

Sie sah ihn mit starren Augen an, die gerungenen Hände vor die Stirn gepreßt. »Warum hat es nur so kommen müssen?« flüsterte sie. »Warum konnten wir nicht stark sein und der Versuchung widerstehn?«

»Warum? … Da gibt es kein warum … jung und heiß und dumm waren wir und dachten nicht an das Ende … Ich für mein Teil bin mir wunder wie forsch vorgekommen und hätte aller Welt zurufen mögen: Seht, was ich für ein verfluchter Kerl bin – ich hab' ein Verhältnis mit einer Dame, mit einer verheirateten Frau!«

»Aber anfangs war es doch nicht so?« forschte sie.

»Wie – anfangs?«

»Als du – gerade erst – meine Liebe – kanntest?«

»Als – – – Ah, du meinst nach jener Nacht?«

»Hast du sie noch in Erinnerung behalten?« fragte sie, sich weit zu ihm hinüberlehnend. Auf ihren Wangen brannten die rosigen Flämmchen, ihr Blick verschwamm in Träumerei.

»Wie soll man so was vergessen?« erwiderte er, stirnrunzelnd und lächelnd zugleich. »Man hat ja sein Lebtag dran zu tragen.«

»Und – als – du damals – nach Hause rittest, was dachtest du eigentlich?«

»Du fragst mich immer, was ich dachte,« erwiderte er, während die Bilder jener Stunde ihm den Kopf erhitzten, »Ich ritt und ritt und war wie betrunken … Jeden Moment glaubt' ich, ich würd' aus dem Sattel fallen … Und als ich auf meinen Wiesen war, ließ ich den Braunen halten … Du weißt, es war noch der alte Braune damals mit den weißen Füßen … Ich band ihn an einen Weidenknorren und warf mich ins Gras … Es war wohl so zwei Uhr … und sehr schwül trotz der Nachtzeit … Ein Stück Morgenrot stand schon am Himmel … Da hab' ich denn gelegen und mich immerzu gefragt: Ist das möglich? Kannst du das wirklich erlebt haben? Gibt es solche Stunden auf Erden? … man war ja eben noch verflucht jung damals … Und der Braune hat an den Weiden geknabbert … Und ringsum lag das frischgemähte Heu … Das benahm einem ganz den Kopf … Kurz – es war zum Verrücktwerden!«

Ein matter Aufschrei kam aus ihrem Munde. Sie hatte den Kopf über die Lehne des Sessels zurückgeworfen … die blauen Adern an ihrem Halse quollen hervor … ihr Busen arbeitete schwer … beide Hände auf das Herz gepreßt, lag sie da und rang nach Lust.

»Was hast du?« fragte er besorgt, denn er fürchtete eine Wiederkehr jener Scene.

»Nichts – nichts … das dumme Herz … Weiter nichts!«

»Darf ich dir irgend etwas holen?«

»Ich danke … Es wird … schon wieder … gut.«

Sie richtete sich auf und sah in der Absicht, ihn zu beruhigen, mit einem leeren Lächeln über ihn hinweg.

Dann begann sie wie im Traum vor sich hin zu reden:

»Und ich … ich seh' es auch noch alles vor mir … als du gegangen warst … trat ich ans Fenster … und horchte – wie du im Garten herumtapptest … vom Zaun her hat dein Pferd gewiehert – das sah dich wohl kommen … und dann gab's noch ein paar leise Hufschläge … und dann wurd's still …

»Hattest du da keine Gewissensbisse?« fragte er.

Sie schüttelte mit seligem Lachen den Kopf, so daß die Locken und Löckchen ihr Hals und Wangen peitschten. Dann sich besinnend, wie ernst diese Frage war, zog sie die Brauen herunter und griff mit beiden Händen nach ihren Schläfen.

»Damals,« sagte sie dumpf, »hatt' ich ja keine Ahnung, was Gewissen heißt … damals ließ ich mich jubelnd tragen von dem sündigen Glück, ohne zu bedenken, daß es mich zum Abgrunde hintrug. Damals hab' ich mir in Weh und Wonne das Kleid vom Leibe gerissen –«

Erschrocken hielt sie inne. Ihre Finger, die nach der Kehle tasteten, hatten in die Spitzenwolke hineingegriffen. Mit einem feinen, langgezogenen Ton riß etwas in dem zarten Gewebe.

Verblüfft lächelnd sah sie ihn an. Dann wandte sie die Situation ins Komische hinüber.

»Das kommt davon,« scherzte sie, »es sind echte Brabanter.«

Mit zierlichem Handgriff knotete sie die Enden wieder zusammen.

»Ist es so gut?« fragte sie dann.

Er antwortete nicht.

Ein neues Schweigen senkte sich lähmend auf die beiden hernieder. Ihre Blicke glitten aneinander vorbei, als ob sie sich nicht mehr zu begegnen wagten.

Sie mit glutübergossenen Wangen fixierte die Spitze ihres türkischen Pantoffels, der mit seinen goldenen Arabesken unter dem Saume des blauen Kaschmirkleides hervorleuchtete, er, an seinem Barte nagend, starrte zur Decke empor.

Das Oel in den beiden Lampen surrte und brodelte. An den Fenstern strich der Wind mit mattem Geflüster vorüber. Die Pendüle tickte melodisch. Es war ein Klang, wie wenn in regelmäßigen Intervallen ein Regentropfen auf eine Harfensaite fällt. –

Leo fühlte einen ohnmächtigen Zorn in sich gären. Er wollte sich regen, aber er vermochte es nicht. – Und endlich gab er sich einen Ruck, um seine Mannheit zurückzugewinnen.

»Was wühlen wir in der Vergangenheit herum?« fragte er aufspringend, »zu was Gutem kann das doch nicht führen.«

»Es hilft uns den Jammer der Gegenwart vergessen,« erwiderte sie. »Ist das nicht Gutes genug?«

Er widersprach nicht und wandte sich zum Gehen.

Beim Abschiede erfaßte er sie, von plötzlicher Wut gepackt, schüttelte sie hin und her, und seine Finger in das elastische Fleisch ihrer Oberarme bohrend, murmelte er zu ihr nieder:

»Du hast recht. – Wir wollen beten.« –


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