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XI.

Düster und schweigsam war die Heimfahrt. Düster und schweigsam das Mittagsmahl, das darauf folgte. –

Leo rang mit schweren Entschlüssen. Daß zwischen Johanna und der Bußpredigt des alten Pfarrers ein innerer Zusammenhang bestand, ließ sich unschwer erraten. Heute noch mußte er über das Geschehene ins klare kommen, das war er sich und seinem Hause schuldig.

Da die Schwester wie gewöhnlich am Tische nicht erschienen war, schickte er beim Obste Hertha zu ihr hinaus mit der Frage, ob er sie sprechen könnte.

»Was willst du heute von ihr?« fragte leise die Mutter und streichelte unter dem Tischtuch bittend seine Hand.

Hertha brachte den Bescheid, er möchte sich eine Stunde gedulden, Mama fühle sich noch nicht kräftig genug, ihn zu empfangen.

Ohne das »Gesegnete Mahlzeit«-Sagen abzuwarten, erhob er sich und schritt in den Garten hinaus, der in dem grellen Schein des Mittags glutatmend dalag. Die Rosen hingen lechzend an ihren Stämmen … An der warmen Oberfläche des Teiches sonnten sich die trägen, moosbewachsenen Karpfen … Ein heißer Hauch strömte von der verfallenden Pyramide, deren brüchige Goldlettern, glitzernd wie alte Glasscherben, den Ruhm des Sellenthinschen Vorfahren verkündeten.

»Der hat sich aus mancher schwierigeren Situation herausgehauen,« dachte Leo und beschloß, sich durch kein Pfaffengezeter mehr ins Bockshorn jagen zu lassen.

Der dumpfe Druck in seinem Kopfe löste sich: aufs neue erwachte sein derber, trotziger Humor. –

Er sah nach der Uhr. Eine halbe Stunde – noch gerade Zeit, eine Zigarre zu rauchen. Inmitten der sengendsten Glut warf er sich auf eine Bank, ließ gemächlich die blauen Wölkchen über sich zerflattern und freute sich an dem warmen Schauder, der ihm durch den Körper rieselte.

Aber Johannas thränenüberströmtes Bildnis wollte nicht von ihm weichen.

Er hatte sie stets mit einer Art stolzen Respektes betrachtet und es als ein hohes Glück empfunden, wenn sie ihre ruhige, unnahbare Weise zu seinen Gunsten abgethan hatte und er der Vertraute ihrer stillen, grüblerischen Gedanken geworden war. – Und wiewohl er das überschwengliche Gereimsel, mit welchem Ulrich als Gymnasiast die ernste Gespielin anzuschwärmen pflegte, nach Kräften verspottet hatte, so war sie doch auch ihm immer als das hehrste aller weiblichen Wesen erschienen. Und als am Tage nach der Einsegnung im Freundschaftstempel der Bund fürs Leben zwischen ihm und Ulrich geschlossen werden sollte, da hatten sie Johanna geheimnisvoll zur Insel hinübergeführt, damit sie als eine Art von Priesterin weihe, was ihnen beiden das Heiligste auf Erden war.

Zwischen Wachen und Träumen ließ er die Bilder jenes innigen Geschwisterlebens an sich vorüberziehn, bis vom Schloßturme her drei rasselnde Schläge ihn in die Höhe jagten.

Johannas Wohnung lag im ersten Stock neben den öden Gesellschaftssälen…

Auf sein Pochen antwortete niemand. Er trat ein.

Vor ihm lag im Halbdunkel der geschlossenen Läden ein großes, kahles Zimmer, dem Anscheine nach mit winzigen Tischen und Bänken regellos besetzt. An den Wänden hingen – landkartengroß – Bilder aus der biblischen Geschichte und schwarze Buchstabenreihen. Ein Dunst von Armut und Schmutz, jener abscheuliche »Armeleutsgeruch«, gegen den aristokratische Nasen so empfindlich sind, war auch am Sonntag in diesem Raume sitzen geblieben und wehte ihm verflauend entgegen.

Das also war die berühmte »Strickschule«, die Schloß Halewitz Tag für Tag in eine Kleinkinderbewahranstalt verwandelte!

Das Zimmer war leer. – Durch den Spalt der Portiere sah er im anstoßenden Gemach die schwarze Gestalt der Schwester im Lehnstuhle mit geschlossenen Augen halbliegend ausgestreckt.

Bläulich schillernde Lichtbänder zogen sich durch die Dämmerung schräge zum Fußboden hernieder. Einer dieser Streifen glitt über ihr fahles Gesicht und ließ das rötliche Blond ihres Haares, das sie sonst unter schwarzem Schleier zu verstecken pflegte, hell aufglühen.

Er blieb stehn und betrachtete sie – studierte die Schatten auf den hageren Wangen, das Runzelgeflechte rings um die Mundwinkel, die schlaff geworden waren, und jene harte, sehnige Linie, die vom Kinn zum Halse herniederging, die Herbstverkündigerin, die sich durch keine Kunst zum Schweigen bringen läßt.

Er fröstelte.

Was mußte das Leben ihr alles zu schmecken gegeben haben, seit sie als die junge Gattin des glänzenden Kavaliers in die Welt gezogen war, daß sie jetzt, mit kaum dreißig Jahren, zerrüttet und verblüht sich als Betschwester in diesem Grabe lebendig vergrub, ohne sonstige Gemeinschaft als dieses elende Gewürm von skrofulösen Häuslerskindern?

Er trat unter die Portiere. Ein seltsamer Duft, gemischt aus Heliotropen und wohlriechendem Harze, schlug ihm entgegen.

Jetzt erst hatte sie seinen Schritt vernommen und schlug das müde Auge auf, das im Momente des Erkennens jenen starren, hellseherischen Glanz annahm, durch den ihm ihr Blick so fatal geworden war.

Etwas von dem Respekt der Kinderjahre kam aufs neue über ihn. – Seine Energie brauchte erst einen kleinen Ruck, ehe er es über sich gewann, in trotziger Freiheit vor sie hinzutreten.

»Ich habe mit dir zu reden,« sagte er, die Brauen runzelnd, nahm sich einen Stuhl und setzte sich ihr halb gegenüber, so daß die Ecke des Tisches zwischen ihnen blieb.

Sie richtete sich langsam auf und schob das Lederkissen, auf dem ihr Kopf geruht hatte, als Stütze hinter ihren Rücken.

»Ich habe dich seit der Stunde erwartet, lieber Leo,« sagte sie, »in der wir uns wiedergesehn haben. – Denn die ganze Zeit über hast du dir doch sagen müssen, daß es zwischen uns nicht mehr so ist, wie es früher war … Du bist nicht gekommen … Du hast es über dich gebracht, das Bewußtsein mit dir herumzutragen: Meine Schwester hat sich mir entfremdet, – und hast trotzdem mit deinem breiten Lachen drauf los gelebt … Das ist das erste, was ich dir zum Vorwurf mache.«

Er fühlte, wie sich in seinem Herzen etwas verhärtete. Wenn sie etwa glaubte, ihn die Uebermacht ihres Geistes fühlen lassen zu dürfen!

Und zum Zeichen, daß er nicht der Mann war, dem man mit so leichter Mühe imponierte, nahm er seinen Stuhl, drehte ihn dreimal um seine Achse und setzte sich dann rittlings darauf nieder, beide Ellbogen gegen die Lehne stemmend.

»Du erlaubst wohl, daß ich es mir bequem mache,« sagte er. »Deine Suade pflegt ja so bald nicht zu versiegen, wenn du einmal im hohen Ton anfängst.«

Ein hochmütiges Senken ihrer Lider belehrte ihn, daß sie nicht willens war, seine Unarten über sich ergehn zu lassen. »O bitte!« sagte sie, »warum solltest du dir mir gegenüber Zwang anthun? Du hast ja die andern daran gewöhnt, daß auf Halewitz von nun an die Formen der Schenke zu Hause sind.«

»Auf Halewitz werden die Formen, die ich für passend halte, nicht kritisiert werden, liebe Hannah,« erwiderte er, »und wem sie zu derbe scheinen, der darf sich ruhig in unsre hocharistokratische Witwenbude zurückziehn … Dort wird er durch sie nicht im mindesten belästigt werden.«

»Willst du damit sagen, Leo, daß du mich und meine Stieftochter aus dem Hause treibst?«

»Ich will damit sagen, Hannah, daß ich Herr in meinem Hause bin, und daß ich nicht wünsche, mir durch Pfaffen- und Weiberlaunen meinen Humor verderben zu lassen. Denn meinen Humor – den hab' ich nötig … nötiger als dich.«

Sie faltete die Hände. »Was ist aus dir geworden, Leo!« rief sie, ihn anstarrend.

Er lachte ihr ins Gesicht. »Was aus mir geworden ist? Ein grundgesunder, ordentlicher Kerl, der ruhig seine Arbeit schaffen will und der sich von keinem Weibe, ob Schwester oder – sonst wer, ins Schlepptau nehmen läßt.«

»Du bist also zufrieden mit dir,« fragte sie, »so wie du bist?«

»Wenn man mich ungeschoren läßt – vollkommen.«

»Und du fühlst keinen Makel an dir? … Gar nichts, was du am liebsten aus deinen Erinnerungen wegwischen möchtest?«

»Aha!« rief er. »Jetzt weiß ich, wo wir hinaus wollen! Na, ich bin gerad' in der Laune, mich von dir ins Gebet nehmen zu lassen. Also leg los.«

Sie sandte einen verschleierten Blick zum Himmel empor.

»Aber verdreh nicht die Augen über mich,« setzte er hinzu, »der liebe Gott und ich – wir stehn ganz gut miteinander.«

Seine höhnende Art schien sie tief zu verwunden. Sie schlug die Hände vors Gesicht und drückte sich bebend gegen die Lehne des Sessels. –

Die Mahnung der Mutter kam ihm in den Sinn. Er sah ein, daß er ihrem erregten Zustande hätte Rechnung tragen müssen, und ärgerte sich über seine Roheit.

»Hannah,« bat er im Tone voller Herzlichkeit, »nimm doch Vernunft an! Laß uns miteinander reden – treu und frei und frisch von der Leber weg, wie wir's von alters her gewohnt sind … Wenn wir es miteinander ehrlich meinen, werden wir bald im klaren sein. – So ein Groll zwischen uns ist ja der pure Widersinn … Drum sag, Hannah, was hast du gegen mich?«

Da ließ sie die Hände vom Gesichte sinken. Jeder Blutstropfen war ihr aus Stirn und Wangen gewichen. Und beide Arme gegen ihn erhebend, rief sie mit einer Stimme, aus der die Qual von tausend durchwachten Nächten hervorzubrechen schien:

»Leo, sie war deine Geliebte!«

Nun galt es, alle Kraft zusammenzunehmen.

»Ich verstehe dich nicht, liebes Herz,« sagte er, indem er mit Aplomb die Achseln zuckte.

»Willst du leugnen, Leo?« fragte sie.

Er maß sie voll Argwohn. Schließlich – was konnte sie wissen? Ein dumpfer Verdacht, durch das Geträtsch der Kaffeebasen angeregt, war zu ihren Ohren gekommen – der hatte sich in ihrem grüblerischen Kopfe festgesetzt und stand nun als unbezweifelbare Wirklichkeit leibhaftig vor ihr. So war es … Es konnte nicht anders sein … Doch beschloß er, sich für alle Fälle vorsichtig weiterzutasten.

»Sieh mal, liebes Kind,« sagte er, »nichts liegt mir ferner, als vor dir den Heiligen zu spielen. Ich bin ein Stück Vollblut und so hab' ich mein Leben lang gehaust. – Aber – ich versichere dich – ich habe nicht einmal 'ne Ahnung, auf welche von meinen Dummheiten – verjährt sind sie alle – du da anspielst.«

»Es handelt sich nicht um Dummheiten, sondern um Verbrechen,« erwiderte sie.

»Ah – nicht möglich?« fragte er, sich noch immer zum Hohne zwingend. »Das ist ja gerad' so, als hört man die gesegnete Kehle unsres alten Brenckenberg … Du – und da kommt mir langsam die Idee, daß der sein Lamento von heute auch auf mich gemünzt hat.«

»Das erkennst du erst jetzt?« rief sie.

»Du weißt, ich bin ein bißchen schwer von Begriffen,« erwiderte er lachend. Aber der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn.

Sie starrte ihn an: sie suchte sich in seiner Seele zurechtzufinden. »Du willst sie schonen,« sagte sie dann mit einem Lächeln der müden Verachtung. »Aber das ist unnötig geworden. Ich habe mich lange genug von ihr betrügen lassen … Denn Unschuldsaugen machen … die Kunst hat sie fein gelernt, damit hat sie euch alle verdorben, die verlogene Kreatur.«

Sie hatte mit ihren hageren Händen die Lehnenknäufe des Sessels umklammert. Wie zum Sprunge aufgerichtet saß sie da.

Leo hing mit gierigen Augen an ihrem Munde.

»Die versteht zu hassen,« dachte er, und sein Herz klopfte.

Und dann berichtete sie ihm, ohne daß er sie fragte, wie sie das Geheimnis entdeckt hatte.

Im Frühling vor zwei Jahren, zur Zeit, als Felicitas schon Braut war, hatte sie sie eines Tages in seinem Arbeitszimmer vorgefunden, im Begriffe, den Schreibtisch zu durchkramen, zu dem sonst nur Ulrich die Schlüssel bei sich trug. Und als sie sich ertappt gesehn, war sie vor ihr auf die Kniee gesunken und hatte sie angefleht, sie nicht zu verraten, sie könnte die Angst nicht mehr ertragen, ihren Verlobten vor demselben Schreibtische sitzend zu wissen, in dem sich ihre Briefe befänden; … Briefe – an wen? Und dabei war's zu Tage gekommen.

»O, die dumme Person,« brach Leo los, »sie konnte sich doch denken, daß die Briefe längst verbrannt waren.«

Die Schwester schien auf diesen unvorsichtigen Ausruf nur gewartet zu haben. »Also du gestehst,« sagte sie, indem sie sich befriedigt in die Höhe richtete.

Er stutzte.

»Ach so – nichts gesteh' ich … Es ist nichts zu gestehn … ein paar Schreibereien von der alten Jugendeselei her, die sich ja unter deinen sehenden Augen abgespielt hat … sonst ist nie eine Zeile von ihrer Hand in meinem Besitz gewesen.«

Sie maß ihn mit ihrem müden Lächeln.

»Du bist hartnäckig, lieber Freund,« sagte sie, »deine ehemalige Geliebte hielt nicht so hinter dem Berge … Sie hat mir in jener Stunde die zweifelhafte Ehre erwiesen, mich zu eurer Vertrauten zu machen … Aber diese Rolle war nicht nach meinem Geschmack … ich habe sie noch in derselben Minute zur Thür hinausgejagt!«

Leo sah ein, daß sein Geheimnis auf Gnade oder Ungnade der Schwester preisgegeben war. Fernerhin leugnen wäre Wahnsinn gewesen.

»Und anstatt zu helfen oder zu retten,« knirschte er, »mußtest du dich zu Gottes höherem Ruhme unsrem alten Hauspfaffen in die Arme werfen … und ihm schlankweg Ehre und Frieden deines Bruders ausliefern … was?«

Sie zuckte die Achseln. »Der wußte längst alles,« erwiderte sie.

»Von wem?«

»Von Rhaden selbst.«

»Der Hund – der Hund! Zwischen ihm und mir war Schweigen ausgemacht. Im Angesicht des Todes hat er sein Wort gebrochen.«

»Warst du denn Besseres wert?«

Er fuhr empor. »Hannah,« sagte er, mühsam an sich haltend, »ich rate dir, sprich in einem andern Ton: ich könnte sonst vergessen, daß wir ein Fleisch und Blut sind!«

»Gott sei's geklagt,« erwiderte sie und faltete die Hände.

In ihm schrie es: Verspotte sie, überschütte sie mit Hohn – aber der sieghafte Uebermut war von ihm gewichen, nur ein heiseres, mißtöniges Lachen rang sich aus seiner Kehle.

Starr und unbarmherzig ruhte ihr Auge auf ihm – enger und enger zog sie ihren fürchterlichen Kreis und umschnürte sein Herz mit eisernen Klammern.

In seiner Not gedachte er des Freundschaftsbundes, in dem Johanna die Priesterin hatte sein wollen.

»Ist er nicht dein Freund, ebenso wie meiner?« rief er. »Warum hast du ihn nicht gewarnt? In deiner Hand lag es, all das Unheil zu verhüten … warum hast du es nicht gethan?«

Ein Lächeln selbstquälerischer Grausamkeit glitt um ihre Lippen.

»Das geht nur mich an,« erwiderte sie, »darauf antworte ich dir nicht.«

Eine dumpfe Empfindung dämmerte in ihm auf, daß für die Rätsel ihres Wesens hier der Schlüssel zu suchen sei, aber sie erlosch wieder, ehe er sie zum Worte formen konnte.

»Und unser Bund?« stammelte er, »unser alter Bund?«

»Der war längst gebrochen,« erwiderte sie, während die Röte der Erbitterung ihr in die Wangen stieg. »Den bracht ihr schon damals, als ihr mich beiseite schobt, weil jene weiße Katze mit euch spielte … Keiner von euch beiden hat sich da noch um mich gekümmert. Und als ich mich dann verlobte, da hat mich keiner gefragt: Weshalb thust du das? … Selbst Er nicht! … Und was ich gelitten habe als Frau jenes Glücksritters, das hat keinem unruhige Stunden gemacht … Ob er mich vom Rennplatze zum Spielbade schleppte – und wieder zurück vom Spielbade zum Rennplatz … Ach, das war ein Leben! … Aber was red' ich viel von mir! Ich hab' wohl auch nichts Besseres verdient!«

»Was hast du dir denn vorzuwerfen?« fragte er.

Die Lippen auseinander beißend, brütete sie vor sich nieder.

»Jeder von uns hat viel zu bereuen, Leo!« sagte sie dann leise. »Ich mein Teil und du dein Teil … Tags muß ich bereuen und nachts muß ich bereuen, immerzu. – Das ist mein Recht … Das kann mir keiner rauben. Nur so kann ich mich retten vor meinem verpfuschten Leben.« –

»Und du hieltst aus bei jenem Menschen?« fragte er.

»Mußt' ich nicht?« erwiderte sie. »Hätt' ich ihn verlassen, so wären wir alle durch ihn gebrandmarkt worden. Als er starb – im Hospital, da war ich freilich nicht bei ihm … ich mußte gerade herumreisen, um die Wechsel einzulösen, die er gefälscht hatte.«

»Johanna!«

Der Zorn gegen den Schurken, der sich in seine Familie gedrängt hatte, stieg ihm so jäh zu Kopfe, daß ihm für einen Augenblick alles ringsum in gelben Nebeln verschwamm.

Thränenlos, mit ihrem müden Lächeln, sah sie zu ihm auf. »Bis jetzt hat noch keine Menschenseele davon erfahren,« fuhr sie fort. »Du wirst dich also deiner Schwester nie zu schämen brauchen.«

Er streckte beide Hände nach ihr aus.

»Vergib mir, Hannah,« stammelte er, »hätt' ich geahnt –«

»Laß, laß,« erwiderte sie, seine Hände zur Seite schiebend, »von mir ist nicht die Rede … Du sollst nur eben wissen, mit wem du es zu thun hast … Und für den Fall, daß du dich wieder einmal gedrungen fühlst, mich auszulachen – weil ich in Jesus meinen Heiland preise« – ein verzücktes Leuchten ihres Auges flog zum Kruzifix hinüber – »will ich dir auch sagen, wie ich ihn gefunden habe: Damals, als ich beschimpft und besudelt war durch die Berührungen jenes Menschen, als ich vor Ekel nicht denken und nicht essen und nicht schlafen konnte, da suchte ich nach einer Stelle, mich in Ruhe auszuweinen. Ich suchte und suchte – wie eine Aussätzige bin ich herumgeschlichen – und fand keine … da sah ich einmal eine Kirche offen stehn und trat ein … dorthin verfolgte mich niemand, und dort hab' ich Heimat und Gatten gefunden … der Gatte, der schlug mich nicht und schändete mich nicht, der litt selber wie ich … und hat mir vom Kreuze herab zugelächelt, wenn ich kam und seine armen, blutenden Füße umklammerte. Willst du es mir verdenken, wenn ich wieder und wieder zu ihm gegangen bin?«

Er warf ihr einen weichen Blick zu. Er fühlte wohl, daß er ihr Frömmeln nicht mehr würde verspotten können.

»Aber, was du hier vor dir siehst,« fuhr sie fort, »das war ich damals noch nicht. So ganz hoffnungslos und so ganz fremd in dieser Welt bin ich erst geworden seitdem jene Person, die jetzt auf Uhlenfelde thront, mir alles eingestanden hat. Damals hab' ich gerungen mit mir auf den Knieen ganze Nächte lang … Und habe zu meinem Gott gefleht: Herr, nimm mich zum Opfer dar, laß mich die Schande sühnen, die er über sich und alle die gebracht hat, die ihn lieben und zu ihm stehn. Thu mit mir nach deinem Zorn, aber nimm den Schimpf von ihm und laß ihn wieder ehrlich werden. – Aber ich wurde nicht erhört … Seitdem hat mich Gott verlassen, wie er dich verlassen hat.«

Sie ließ die Hände sinken, die sie flehend zum Kruzifix erhoben hatte, und lehnte sich erschöpft in den Sessel zurück.

Kein cynisches Lächeln stahl sich mehr über Leos Angesicht. Sein mächtiger Nacken beugte sich, als böte er sich freiwillig den Geißeln dar, die über ihm geschwungen wurden.

Ein Schweigen entstand.

»Hannah!« sagte er leise.

Sie antwortete nicht.

»Hannah,« sagte er noch einmal und sah sie aus seinen treuherzigen Augen mit einem Blicke an, der verstohlen um Schonung flehte, »du sprichst ja von mir, als ob ich ein Straßenräuber wäre.«

Sie schwieg auch jetzt.

»Hannah!« drang er in sie, »was soll ich nun thun? Ich kann ja die unglückselige Geschichte nicht wieder gut machen.«

In ihren halbgeschlossenen Augen leuchtete es auf. »So thut es dir leid, was geschehen ist?« fragte sie, sich wieder aufrichtend.

»Mein Gott, bin ich denn ein solches Scheusal,« entgegnete er kleinlaut, »daß ich bei dem Gedanken, einen Mann umgebracht zu haben, der weiter nichts that, als die Ehre seines Hauses verteidigen, daß ich bei so einem Gedanken ein besonderes Vergnügen empfinden sollte?«

»Du bist also zur Reue bereit?« fragte sie, indem sie sich in einer Art von angstvoller Gier zu ihm herüberneigte.

Durch seinen Körper ging ein Ruck.

»Nichts bereuen!« schrie es in ihm. – Nun, da er wußte, was man von ihm wollte, hatte er seine Mannheit wiedergefunden.

»Was heißt bereuen?« sagte er und steckte die Hände in die Taschen. »Soll ich winseln und wehklagen und mir die Stirn blutig schlagen? Soll ich auf den Knieen rutschen und einen Lumpenhund aus mir machen? – Nein, liebe Hannah, meinen Trotz und mein lustiges, dickes Fell muß ich behalten, wenn ich die Dinge zum richtigen Ende führen will … Und nun einmal rund heraus … Was hab' ich denn eigentlich zu bereuen? … Was that ich mehr, als was in der Welt da draußen gang und gäbe ist? … Ich bin kein großer Geist. Ich durfte mir schon einmal erlauben, es so zu machen, wie ich's die andern machen sah.«

»An Bequemlichkeit läßt deine Lebensauffassung nichts zu wünschen übrig,« warf Johanna mit einem bittern Lachen ein.

»Warum soll ich mich in Unbequemlichkeiten stürzen?« fragte er zurück – dreister, als ihm zu Mute war. – »Und nun weiter! Die weitläufige Verwandtschaft mit ihr – die wirst du mir doch hoffentlich nicht aufwärmen! … Und was Rhaden betrifft, so hab' ich zu ihm nähere Beziehungen niemals gehabt. Ein Griesgram war er … weiter nichts … Von einem Bruch der Freundschaft ist also nicht die Rede. Auch später, als er von der Affaire Wind bekam und mir im Garten von Fichtkampen eine Falle legte, ging alles mit der äußersten Korrektheit zu … Er selbst hat verlangt, daß die Sekundanten nicht mit ins Geheimnis gezogen werden sollten. Der Ruf seiner Frau mußte geschont werden … Ich hatte also bloß Ja zu sagen … Auf diese Weise ist Ulrich in seine Ehe hineingerannt. Das war meine große Eselei, für die ich jetzt büße … Na – und dann weiter! … Andern Tags wurde der Streit am Spieltisch arrangiert, der den Vorwand abgeben mußte … Ebensowenig wie ich ihm verübeln kann, daß er seine Kugeln nicht in die Luft blasen wollte, ebensowenig soll man mir vorwerfen, daß ich ihn niederschoß … Denn schließlich – salvieren mußt' ich mich doch? … Ich will dir gern zugestehen, daß das alles sehr barbarisch ist, aber mein Beruf ist es nicht, unsre Sitten abzuändern. Das überlasse ich den Demokraten … Meine Strafe hab' ich nach Fug und Recht verbüßt. Damit und mit der Anstandsfrist, die ich in Amerika zugebracht habe, ist die Sache für mich abgethan. Basta!«

Er reckte die Fäuste, von schwerem Drucke erlöst. Mit dieser bündigen Erklärung sollte die Kette ein für allemal zerbrochen sein, mit der die Schwester seinen Willen hatte knebeln wollen. Aber er vermochte den begierig forschenden Blick nicht von ihr loszureißen. Er hatte sie fürchten gelernt und versah sich nichts Gutes von ihr.

»Du selbst willst also dem Bösen verfallen sein,« sagte sie. »Und ich muß dich wohl verloren geben. Aber bist du so verwildert und so roh, daß selbst die Schande, die dein Freund durch dich erlitten hat, dein Gewissen nicht bedrückt?«

»Still davon!« schrie er aufspringend. »Du willst, daß ich dir hierüber keinen Vorwurf mache. Mache du mir auch keinen … Das Unglück ist geschehen … Jeder Schritt, den ich unternähme, würde es noch vergrößern. Ich habe den Verkehr mit ihm aufgegeben, bloß um – ihr nicht zu begegnen … Glaubst du, daß mir das leichtgefallen ist? Glaubst du, daß ich das Bangen nach ihm loswerden kann?«

»Und damit, meinst du, wäre alles abgethan?« fragte sie.

»Muß wohl!«

»Und währenddessen schreien rings um dich die Folgen deiner That zum Himmel, lieber Leo!«

»Wer – was – schreit zum Himmel –?«

»Wenn du es noch nicht weißt, so werd' ich's dir sagen. Deine ehemalige Geliebte häuft schon wieder Skandal auf Skandal … das Haus deines Freundes ist in schlechten Händen … Und wer weiß, ob nicht alle Welt schon über ihn spottet?«

»Johanna!« schrie er. Ihm war als würd' ihm das Herz im Leibe zermalmt. »Johanna – du lügst, Johanna.«

Mit ruhiger Härte fuhr sie fort: »Ich lebe – weiß Gott! – eingezogen genug, aber selbst über meine Schwelle ist der Klatsch gedrungen. Und wenn du mir nicht traust, so halte doch Umfrage in den Rauchzimmern deiner Freunde … Da wird man dir lustige Geschichten erzählen … oder geh nach Münsterberg, und sieh, welche Blicke unsre jungen Herren sich zuwerfen, wenn Ulrich in seinem gelben Korbwagen angefahren kommt. Denn dann ist's Zeit, der schönen Felicitas einen Besuch abzustatten … Und sie empfängt sie alle … Stell dich doch an die Postschalter und sieh zu, mit wem von unsern jungen Herren sie nicht Briefchen wechselt … Sie hat ja ein so weites Herz …«

»Geh – der Haß hat dich wahnsinnig gemacht,« sagte er und that, als schritte er zur Thür.

Sie zuckte die Achseln … »Wenn du wüßtest, wie weit ich über jeden Haß erhaben bin … Auch will ich nicht einmal sagen, daß sie ihn betrügt … Ich kenne sie … Sie ist ja so feige – ach, so feige … Versprechen wird sie jedem was er will, aber es zu halten hat sie nicht den Mut.«

»Und das soll – alles – ohne sein Vorwissen?« stammelte er.

»Wenn es nur so wäre!« entgegnete sie, »dann würde man wenigstens vorsichtig sein, weil man seine Reitpeitsche zu fürchten hätte! … Aber sie weiß, daß sie auf die Vornehmheit seiner Natur vertrauen kann und treibt ihr würdeloses Spiel ganz öffentlich – vor seinen sehenden Augen.«

Mit gebeugtem Nacken und keuchender Brust lehnte er an der Wand, abgerissene Worte vor sich hinlallend. Er faßte es nicht: Zum Gespött er – der höchste, der feinfühligste von allen Menschen. In seinem dicken, ehrlichen Schädel fand das Entsetzliche keinen Platz. Und dann flammte die Wut in ihm auf: »Hier unter meinen Fingern müßt' ich sie haben!« brüllte er. »Kalt machen thät' ich sie – kalt machen thät' ich sie.«

Die Hände in der Luft gekrallt – mit geblähten Nüstern und blutunterlaufenen Augen – raste er durch das Zimmer. Die schöne Felicitas mochte sich Glück wünschen, daß sie in diesem Augenblicke wohl vor ihm geborgen war.

Mit verbissenem Lächeln schaute Johanna hinter ihm her. »Ihr geschähe schon recht!« sagte sie, »aber was willst du? Du bist ja ganz wehrlos vor ihr.«

»Ich? … Hältst du mich für einen … Bin ich ein Lump? Bin ich ein Weiberknecht? Ihr Zauber ist gebrochen – gründlich seit Jahren – – heut würd' ich bloß als Richter vor ihr stehn.«

Sie zuckte mitleidig die Achseln. »Als Richter? du? … Armer Junge! Sie braucht dir ja nur die eine Frage vorzulegen: Was aus mir geworden ist, lieber Leo, wessen Werk mag das wohl sein? … und mit deinem schönen Richteramt wär's aus.«

Da sank er in einem Sessel zusammen … Dicke Thränen rannen ihm über die braunen Wangen, in welche die Erregung tiefe Säcke eingegraben hatte … Regungslos saß er da – gebrochen – vernichtet.

Sie drängte sich an ihn und wischte ihm die Stirn, die von Angstschweiß triefte.

»Armer, armer Junge!« sagte sie, und dann sich dicht zu seinem Ohre niederneigend: »Ich wüßte wohl, wie hier zu helfen wäre.«

Ein langes Schweigen entstand.

Er stierte vor sich nieder. Seine Kinnbacken arbeiteten. Ein verzweifelter Entschluß suchte sich in seiner Seele durchzukämpfen. Endlich murmelte er:

»Ich find' nichts andres, als daß man ihm die Augen öffnet.«

»Um Gottes willen!« rief sie. »Meinst du, er würde dir glauben? Was daran wahr ist, würd' er dir sagen, hat sie mir selber längst erzählt!«

Er erinnerte sich der wohlgefälligen Nachsicht, mit welcher der Freund von den bizarren Launen seiner Frau gesprochen hatte … Es gehörte nicht viel Mühe dazu, um einer so reinen Natur, wie die Ulrichs war, das Schlimmste unter harmlose Beleuchtung zu rücken. Im übrigen, wie sollte er je den Mut finden, dem Freunde den Klatsch der Gegend zu hinterbringen, er, der in vergangenen Zeiten den bösesten Stoff dazu geliefert hatte?

Und seine Hände umklammernd, fuhr die Schwester fort: »Nein, Leo, so geht es nicht. Es gibt nur ein einziges Mittel … Wir beide müssen sie gemeinsam überwachen. Nur so können wir wieder gutmachen – du wie ich –, was wir an ihm verschuldet haben … Du mußt den ersten Schritt thun … Denn du bist jetzt der einzige, den sie scheut … Und der auch Gewalt über sie hat … Und diese Gewalt mußt du ausnutzen, um sie wieder zum Guten zu zwingen. Nicht wahr – du verstehst mich doch?«

Er verstand sie nur zu gut.

Was sie verlangte, war die Vernichtung all seiner wackeren Entschlüsse. Daß er die einstige Geliebte bald würde versöhnt haben, so daß sie in ein Begegnen willigte, daran freilich war kein Zweifel. Aber die Schuld, die jetzt in Nacht und Schweigen begraben war, mußte so aufs neue ans Tageslicht gezerrt werden. Mit ihm zugleich sollte das unreine Geheimnis die heilige Schwelle des Freundes überschreiten … Bedeutsame Blicke sollten über den Tisch gewechselt werden und schuldvolles Geflüster von den lauschenden Wänden widerhallen.

Was hieß das anders, als aufs neue schuldig werden? Wie sollte er es wagen, dem forschenden Blicke des Freundes zu begegnen, wenn zugleich das zärtliche Auge der einst Geliebten auf ihm ruhte? …

Und dann vor allem – das Kind! Wie sollte er je den Mut finden, dessen harmloses Geplauder über sich ergehn zu lassen? Wie sollte er es je ertragen, wenn das zarte Körperchen sich zum Schaukeln auf seine Kniee schwang und die liebe Kinderstimme ihn mit Kosenamen nannte?

Nein – und tausendmal nein!

Er sprang auf.

Sie warf sich ihm in den Weg. »Du willst nicht?« stöhnte sie in aufflackernder Angst …

Er sah ein, daß ferneres Reden unnütz war, und wandte sich zum Gehn.

Sie, sinnlos, wie es schien, vor Schmerz, den wohlgepflegten Plan mitten im besten Gelingen an seinem neuerwachten Trotze scheitern zu sehn, packte ihn am Arme und suchte ihn mit Gewalt zurückzuhalten … Wie ein Rachegeist hing sie an seinem Leibe …

Und als er auf sie niedersah, erschrak er vor dem irren Geflacker ihres Auges. –

»O du Feigling, du Ehrloser!« stöhnte sie. »Ach – wie ich dich verachte! Wie ich dich verachte!«

Er schüttelte sie von sich ab und schritt schweigend hinaus – ein andrer, als er gekommen – das fühlte er wohl … Kaum, daß es ihm gelungen war, den höchsten der Entschlüsse aus dem Schiffbruch seiner Persönlichkeit zu retten.

Hinter sich hörte er die Schwester mit einem Aufschrei zusammensinken.

Er wandte sich nicht um.

*

Am andern Morgen erbat sich die Mutter ein halbes Dutzend Arbeiter, um Johannas Sachen nach dem Witwenhause hinüber zu schaffen. Die Schwester sei entschlossen, nicht eine Nacht länger unter diesem Dache zu verweilen.

Er atmete erleichtert auf … So brauchte er ihr also nicht mehr zu begegnen. –


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