Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVII.

Etliche Tage nach dem ersten – geheimgebliebenen – Besuche Leos auf Uhlenfelde hatte Frau von Stolt auf Stoltenhof ihre Getreuen zum Nachmittagskaffee um sich versammelt.

Kletzingks hatten sich ansagen lassen, und da der Zufall es wollte, daß die beiden Kürassiere jetzt nach Beendigung der Herbstmanöver mit achttägigem Urlaub hatten heimkommen dürfen, so waren – und zwar auf Betreiben des Hausherrn – etliche Nachbarfamilien mit erwachsenen Töchtern und Nichten rasch hinzugeladen worden … Der alte Fuchs, der mit Schnüffeln und Blinzeln seit einem Jahre um Felicitas herumstrich, hatte geglaubt, sich so der Nebenbuhlerschaft seiner Söhne am bequemsten entledigen zu können.

In dem kleinen Saale mit der giftgrünen Tapete, an welcher in hellpolierten Palisanderrahmen – wie eine steife, braungeränderte und -gequerte Leiste – eine Kollektion berühmter Rennpferde entlang lief, hatten die Damen Platz genommen, während die große Eingangshalle, der Stolz des Hauses, mit ihren Holzgalerien und dem mächtigen Kronleuchter aus Hirschgeweihen der Herrenwelt vorbehalten blieb. –

Frau Felicitas von Kletzingk, diesmal in einem schlichten, schwarzseidenen Kleide, das ihren sonst etwas degagierten Liebreiz in holde Hausmütterlichkeit verwandelte, saß zur Rechten der würdigen Frau von Sembritzky, tief untergesunken in dem umfangreichen, mit grünem Plüsch bezogenen Ehrensopha, das sie sonst immer geflohen hatte wie eine Fallgrube, und folgte voll ehrbarer Teilnahme den Klagen, mit welchen die Damen, sämtlich Verwalterinnen großer Wirtschaften, einander überschütteten. Ihr blondleuchtender Strudelkopf, den sie sonst zu lockerer Wildnis aufzutoupieren pflegte, war heute glattgestrichen, und um den hohen, keuschen Kragen schlang sich bescheiden ein goldenes Kettchen.

Man sprach, wie die Saison es mit sich brachte, vom Eingemachten.

Frau von Neuhaus aus Lubowen, eine rundliche Sechzigerin mit einem grünlichen Stirnnetz aus grauem Haargekräusel, hatte die neuen Abdampfapparate trotz ihrer scheinbar vorzüglichen Vernickelung durchaus unpraktisch gefunden, die Baronin von Krassow bestritt dies in einem überlegen müden Tone, und die alte Frau von Sembritzky, die seit der Heirat ihres Sohnes mit der kleinen Meta Podewyl das alte Schema der bösen Schwiegermutter nach Kräften auszufüllen bestrebt war, schaute derweilen stier und wütend wie ein durch die Gitterstäbe gekitzelter Geier um sich, als argwöhnte sie, daß sie jemand von ihrem Ehrenplatze vertreiben wollte. Neben ihr saß Meta, das arme, junge Ding, drückte dem alten Quälgeist in ängstlicher Ehrfurcht die Hände und schielte mit einem Lächeln der Sehnsucht, das allgemach in Weinen überzugehen drohte, nach dem Tische der jungen Mädchen hinüber, von dem sie auf ewig verbannt war. – Die Hausfrau selber hatte links neben Felicitas Platz genommen: in ihrer Gardistenhöhe starr aufgerichtet saß sie da, und während sie zärtlich auf sie niederschaute, hielt sie schielend Wache, ob auch niemand von den im Nebenzimmer versammelten Herren mit ihr Blicke wechselte.

Doch selbst Frau von Stolt fand heute an der Vielgeschmähten nicht das mindeste zu tadeln. Wie bezaubert von dem Reiz der Unterhaltung saß sie da, warf als lernbegierige Schülerin in kleinen Pausen liebliche, schüchterne Fragen dazwischen und ließ nur ab und zu einen verlorenen Blick die Kollektion berühmter Rennpferde entlanggleiten. –

Niemand gewahrte die nervöse Beklommenheit, in welcher sie die Arme steifte und die Finger wie im Krampfe auseinanderzog.

Sie hatte viel gewagt – und Großes sollte in den nächsten Minuten sich ereignen.

Die Damen des Hauses Halewitz waren, wie selbstverständlich, nicht geladen.

Seit zwei Jahren wußte eine jede Hausfrau der Gegend, daß ein Zusammentreffen zwischen Felicitas und der Familie Sellenthin vermieden werden mußte … Darum ging es an dem Tische der Jugend, wo sonst Herthas schlagfertiges Mäulchen den Ton angab, stiller zu als gewöhnlich. –

Auch unter der jüngeren Herrenwelt herrschte heute eine ungewisse und fast gedrückte Stimmung … Die Verehrer von Frau Felicitas mochten sich noch so viel an den Thürpfosten zu schaffen machen und an den Falten der Portiere vorüberschielen, sie hatte für keinen von ihnen wie dereinst einen verstohlen innigen Blick, ein leises Lächeln des Verstehens. – Und da keiner von ihnen den Mut besaß, in jenen den Kompotts geweihten Winkel einzudringen, so blieb vieles unausgesprochen, was nach Aufklärung dringend verlangte. Denn seit sechs Wochen war keiner von ihnen für die schöne Herrin von Uhlenfelde mehr auf der Welt gewesen.

Die Köpfe zusammensteckend, tauschten sie ihre Beobachtungen aus mit jenem naiv-unsaubern Lächeln, mit dem halbreife Lebemänner die illegalen Wünsche ihres Herzens zu begleiten pflegen.

Neben den Söhnen des Hauses waren da vor allem die beiden Löwen des Kreises, Hans von Krassow und Frank von Otzen.

Der erste, ein brauner und sehniger Bursch von einundzwanzig Jahren mit langem Jockeyhalse und zurücktretender Stirne, in blauem Cheviotanzuge steckend, war einmal ein halbes Semester lang bei den Bonner Preußen aktiv gewesen, aber schon nach Ankunft des ersten Bündels Rechnungen von seinem Vater schleunigst nach Hause geholt worden. Seitdem hielt er sich für eine Art von entthrontem Fürsten, dem vor Zeiten alle Herrlichkeiten der Welt zu Füßen gelegen haben. Und auch in den Augen der andern strahlte die Bonner Preußenkneipe ein verklärendes Licht über ihn aus. Im übrigen war er ein guter Kumpan, zapplig, voll lustiger Einfälle und launiger Kapricen, die Wonne aller Schenkmamsells sechs Meilen in der Runde.

Der andre, Frank von Otzen, wünschte ernster genommen zu sein … Er hatte im Sturmschritt auf einen Botschafterposten losgehn wollen, war aber vorderhand durchs diplomatische Examen gefallen. Seitdem half er seinem Vater den ländlichen Kohl bauen, behielt aber die bedeutsame Einsilbigkeit der Diplomatie, die französische Seife und den englischen Schneider bei. – Man neckte ihn wegen seiner weiten Hosen, beneidete ihn aber ob des Hauches der großen Welt, den er noch immer mit sich herumtrug.

Da war ferner der junge Herr von Neuhaus, ein hellblonder, behäbiger Jüngling, hinterwäldlerischer Mode gemäß zu eng und zu hell gekleidet, mit einem großen, blauen Augenpaar in dem glatten, hübschen Gesicht. – Er war so dumm, daß man ihn für schwermütig hielt, und darum hatte Felicitas einen Vertrauten elegischer Stimmungen aus ihm gemacht. – Da war ferner Benno von Zeßlingen, der einmal allein ein Achtel ausgetrunken hatte, und Hans von Kleist, von dem nichts zu sagen war.

Diese jungen Herren bildeten den Kern von Felicitas' Verehrerschaft.

»Lizzies wilde, verwegene Jagd,« wie sie sich selbst zu nennen pflegten.

Nachdem sie eine Weile an der Thür herumgelungert hatten, erwartend, daß die Freundin ihrer Sehnsucht zu Hilfe kommen würde, meinte Lothar Stolt entmutigt, es werde heute doch nichts zu machen sein, und die jungen Mädels mit Verachtung strafend, lud er die andern zu einem Matsch mit Papas neuen Randfeuerpistolen in den Garten. –

Auch der alte Stolt, der als Hausherr bisweilen mit einem Scherzwort in die gefährliche Ecke vorzudringen wagte, gab die Belagerung auf und erinnerte sich, daß er Ulrich Kletzingk um seinen freundnachbarlichen Rat gebeten hatte, weil ein kostbares Halbblut, das vor vier Wochen kastriert worden war, Erblindungserscheinungen zu zeigen begann. Er schmeckte noch rasch die Pfirsichbowle, die schon auf Eis stand, und ging dann nach den Ställen, wo Ulrich mit etlichen der alten Herren auf ihn wartete. –

Somit leerte die Halle sich vollends.

In die feierliche Einsilbigkeit, die den Kreis der älteren Damen beherrschte, brach plötzlich ein Blitzstrahl. –

Der aufwartende Diener war in den Saal getreten und meldete laut und umständlich:

»Herr von Sellenthin bittet der gnädigen Frau seine Aufwartung machen zu dürfen.«

Auch das letzte Flüstern verstummte.

Aller Augen wandten sich nach Felicitas, die, wie versteinert vor Schrecken, der Wirtin ins Antlitz starrte.

Diese hatte ihre Fassung gänzlich verloren. Ihn abweisen zu lassen, während die Remise mit fremden Karossen und die Garderobe mit fremden Hüten gefüllt war, ging nicht an – das wäre einer Beschimpfung gleichgekommen.

Sie preßte beruhigend die Hand der bebenden Felicitas – sie wollte hinauseilen – wollte erklären, – doch ehe sie dazu kam, wurde die Thür weit aufgerissen und Leos massige Gestalt schritt sicher und elastisch auf sie zu. –

Wohl hatte sein braunes Gesicht ein wenig an Farbe verloren, wohl spähte sein Auge in rascher, scheuer Suche durch den Saal, doch niemand ahnte, nach welchen Kämpfen er den Weg hierher gefunden hatte, und welch ein Spiel hier gespielt wurde.

»Ich bin und bleibe ein Glückspilz,« rief er, indem er sich anschickte, Frau von Stolt, die ihm – noch immer stumm – drei Schritte weit entgegengegangen war, die große, rote Hand zu küssen. »Schon hatte ich mich darauf präpariert, jede der Damen einzeln um Verzeihung zu bitten, daß ich mit meinen Antrittsvisiten so sträflich lang hab' warten lassen – und jetzt darf ich mich mit einer einzigen feierlichen Handlung aus der Affaire ziehn.« –

Das wickelte sich rasch und geläufig ab wie etwas Auswendiggelerntes.

Frau von Stolt, welche mit ihren breiten Schultern Felicitas ganz verdeckte, murmelte ein gedrücktes »Willkommen« und schüttelte seine Hände, als ob sie sie nicht wieder loslassen wollte. –

Aber es half ihr nichts. Lachend schritt er an ihr vorbei und streckte, ohne erst viel hinzusehn – sie waren ja all' insgesamt gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen – seine Hand der Dame entgegen, welche den nächsten der Sofaplätze innehielt.

Ein langes, banges Schweigen entstand. Seine rechte Hand hing in der Luft.

Dann rang sich stockend ihr Name von seinen Lippen.

Felicitas, die totenblaß geworden war, schlug langsam die großen, blauen Augen auf, sandte einen Blick voll klagenden Vorwurfs zu der unachtsamen Wirtin hinüber – wie um die Verantwortung des Ungeheuren, das nun geschah und geschehn mußte, sollte ein Skandal im Hause vermieden werden, auf sie hinüberzuwälzen – und legte dann zwei bebende Finger in die harrende Hand.

Ein tiefes Ausatmen ging durch den Saal.

Leo hatte sich herabgebeugt, einen leisen, dankbaren Kuß auf die verzeihende Rechte zu drücken, dann wandte er sich eiligst von ihr ab und zu Frau von Sembritzky hinüber, die er mit um so geräuschvollerer Herzlichkeit begrüßte.

So brauchte er nicht zu bemerken, daß Felicitas, die einer Ohnmacht nahe schien, von Frau von Stolt lautlos zum Saale hinausgeführt wurde.

Die Damen, von Herzen froh, daß die peinliche Stimmung sich so befreiend gelöst hatte, thaten auch ihrerseits, als sähen und hörten sie nichts, während Leo sich in Ausrufen des Staunens überstürzte, daß die kleine Meta Podewyl – o, er hatte sie noch Huckepack getragen! – inzwischen eine würdige Ehefrau geworden war.

Das zarte Persönchen, das in seinem fliederfarbenen Seidenkleide so ehrbarlich unter den alten Damen thronte, lächelte schüchtern und geschmeichelt. Zusammen mit den andern dort am Tisch der jungen Mädel hatte sie für den Flüchtling gebangt und geschwärmt, ja, wie man sich erzählte, war sie es gewesen, die den Choralvers gedichtet hatte, welcher während der Konfirmandenzeit allsonntäglich von ihnen untergeschoben worden war und in welchem sich »fremde Lande« und »heilige Bande«, »Heimatstriebe« und »reine Liebe« hold aufeinander reimten. Als dann freilich Hans von Sembritzky Ernst gemacht hatte, war ihr Gebet plötzlich vergessen gewesen.

Frau von Neuhaus, die, wie man sagte, für ihren Sohn Absichten auf Elly hegte und sich deshalb ein wenig zur Familie gehörig fühlte, faßte Leo am Arm und führte ihn zum Tisch der Jugend hinüber, wo die minder Treulosen seiner harrten.

Im Halbkreise standen die jungen Dinger aufgereiht – sechse an der Zahl – alle mit Glut Übergossen, alle den Blick auf die Tischplatte geheftet. In dieser Schar gab es nicht eine, die ihn nicht angeschmachtet hatte vom zwölften Jahre an, der bei der Legende von dem mörderischen Duell und der Vaterlandsflucht des vielbewunderten Mörders nicht ein romantischer Schauder über den Leib gelaufen war. – Da gab es zwei fernere Schwestern Podewyl aus jüngeren Jahrgängen, sodann Trude Krassow, Susi Neuhaus und zwei Bürgerliche, mit denen man eine innige, doch etwas mitleidige Freundschaft unterhielt.

Leos Auge ruhte voll Entzücken auf dem gold- und aschblonden Häuflein, das ihm da mit Herzklopfen entgegenlächelte. Eine spitzbübische Freude über das gelungene Spiel hatte sich seiner bemächtigt. Ein Rausch des Erfolges war über ihn gekommen, beflügelte seinen Humor und gab seinem Gemüte doppelte Genußfähigkeit.

Er drückte jede der zarten, rosigen Hände und schaute mit der Wonne des zünftigen Courmachers tief in jedes leuchtende Augenpaar.

Felicitas hatte er ganz vergessen.

Und dann nahm er Urlaub, um sich den Herren vorzustellen.

Als er an der Seite des führenden Dieners die Kiespfade des Gartens durchschritt und sich der Gruppe der jungen Kavaliere näherte, gewahrte er, daß man unter schallendem Gelächter nach kleinen, gelblichen Wurfscheiben schoß, die vor einem jeden Schusse hoch in die Luft geschleudert wurden und die meistens schon zerschellten, noch ehe die Kugel sie getroffen haben konnte.

Diese Wurfscheiben waren dünne, durch die trockene Luft ein wenig krumm gezogene Schnitte von Schweizerkäse, die zusammen mit andern schönen Sachen den jungen Herren als Sechsuhr-Imbiß dienen sollten, und für die man, da es am nötigsten Hunger gebrach, nach anderweitiger Verwendung gesucht hatte.

Wetten wurden abgeschlossen, Einsätze gemacht, Reugelder gezahlt, falsche Starts annonciert, – es ging zu wie auf der Rennbahn.

Leo trat in den Kreis, der sich respektvoll vor ihm öffnete.

Er gehörte einer älteren Generation an als diese Sausewinde, deren Senior das erste Drittel der Zwanziger nicht überschritten hatte. Deshalb duzte er keinen, war wohl auch noch keinem von ihnen, seit sie der Schulbank entwachse, jemals begegnet.

Nachdem man ihn gebührend begrüßt und angestaunt hatte, erklärte man ihm in lachendem Durcheinander die Regeln des neuerfundenen Sports.

Mit verstohlenem Kopfschütteln musterte Leo bald den einen, bald den andern.

Diese lustigen Käseschützen waren es, in deren Kreis sie ihre Freuden gesucht hatte.

Welche Schmach, und mehr noch – welche Lächerlichkeit!

Lothar Stolt als Haussohn bat ihn, am Spiele teilzunehmen: er selber wolle ihm einen der Favorits abtreten, auf den schon große Wetten geschlossen seien, weil er sicherlich nicht vor dem Schusse auseinandergehen werde. –

Leo dankte. Er sei in diesen Künsten ein Neuling.

»Aber schießen können Sie doch?« fragte der junge Herr von Zeßlingen.

»Ein wenig, lieber Benno!«

Man schalt seine Bescheidenheit. Er sei schon früher der erste Schütze im Lande gewesen, und wer möchte wissen, was er drüben hinzugelernt habe. »Wir wollen ihn überhören,« rief man im Kreise.

Leo fühlte sich in der Stimmung, auf den Scherz einzugehen: zudem gedachte er allen denen, die späterhin wagen könnten, seinem Willen die Spitze zu bieten, von vornherein eine kleine Lektion zu erteilen.

»Unsre Spezialität drüben war eigentlich der Revolver,« sagte er, indem er sich suchend umschaute.

»Haben wir auch! haben wir auch!« hieß es ringsum.

Lothar reichte ihm eine prächtige Magazinpistole mit langem, blauleuchtendem Laufe.

»Aber er muß auch auf den Käse schießen,« rief Herr von Zeßlingen, der, seit er das Achtel ausgetrunken hatte, eine gewisse Autorität in diesem Kreise besaß.

»Ganz zu Ihren Diensten,« erwiderte Leo.

Der Favorit, eine schöne, handtellergroße Schnitte, porös, goldgelb, scharfrandig, wurde ihm feierlich überreicht. Er trug sie zwischen zwei Fingern zu der Scheibe hinüber, die fünfzehn Schritte vom Schützenstande entfernt war, und stellte sie lose auf zwei der Stifte, mit welchen man das kreisrunde Zielblatt an der Scheibentafel befestigt hatte.

»Sobald sie getroffen wird, muß sie hinunterfallen,« sagte er.

Die jungen Herren sahen einander an. Um auf fünfzehn Schritt ein handgroßes Ziel treffen zu lernen, dazu brauchte man nicht erst nach Südamerika zu gehen.

Der erste Schuß fiel. Die Schnitte rührte sich nicht, und die Verwunderung stieg.

In Zwischenräumen von etlichen Sekunden folgten andre zwei Schüsse. – Die Schnitte stand, als habe sie auf der Scheibe Wurzel geschlagen.

»Bitte die Herren sich zu überzeugen, daß das Ziel nicht getroffen ist,« sagte Leo.

»Wir glauben's auch so,« erwiderte Lothar, der sich eine kleine Impertinenz nunmehr gestatten zu können meinte.

»Ich bitte trotzdem um gütige Inspektion.«

Kopfschüttelnd trollte die Schar sich zum Ziele. Es schien fast, als habe er gewagt, sie zum besten zu halten.

Allein selbst auf der weiten Fläche der Scheibentafel war kein neuer Schuß zu entdecken. – Die Kugeln mußten in der Luft hängen geblieben sein.

Erst als Leo mit dem Nagel des kleinen Fingers die Schnitte zur Erde warf, fand sich des Rätsels Lösung.

Die Schnitte hatte drei größere Poren. Durch jede derselben war eine Kugel gedrungen, fast ohne ihren Rand gestreift zu haben.

Ein Ruf beklommenen Staunens wurde laut, denn man fand sich einem Manne gegenüber, der die Fähigkeit besaß, sich die Pore auszusuchen, durch welche er seinem Gegner eine Kugel auf den Pelz zu brennen geneigt war.

Bald darauf kamen die älteren Herren vom Hofe dahergeschritten. – Ulrich unter ihnen … Als er den Freund gewahrte, der lachend mit dem jungen Volke plauderte, fuhr er befremdet, erschrocken fast, zurück.

Noch ehe er den Mund öffnen konnte, war Leo an seiner Seite.

»Schweigen!« raunte er ihm zu.

Dann schüttelte er mit Inbrunst die Hände, die sich begrüßend von allen Seiten nach ihm ausstreckten.

Sobald es anging, führte er Ulrich beiseite.

»Wir müssen die Täuschung aufrecht erhalten,« sagte er ihm, »daß wir uns seit dem einen Mal auf dem Bahnhof nicht mehr gesehen haben.«

»Wozu die Winkelzüge?« fragte Ulrich befremdet.

»Weil Felicitas klüger ist als wir beide zusammen,« erwiderte er mit einem Ansatz zu cynischem Uebermut.

»Hat sie dies Zusammentreffen ausgesonnen?«

»Jawohl!«

»Und dir geschrieben?«

»Jawohl.«

»Und dann?«

Da sah er, daß er der Prüfung des Freundes doch nicht gewachsen war. »Laß sie's dir selbst erzählen,« sagte er rot werdend und wandte sich ab …

*

Bei der Heimfahrt erfuhr Ulrich, was er zu wissen brauchte.

Zwischen Lachen und Weinen schwankend wie ein Kind, das Schelte fürchtet und seiner Fehle gern eine drollige Wendung geben möchte, erzählte ihm Felicitas den gelungenen Geniestreich, dessen Resultat war, daß Frau von Stolt ihr die Versöhnung, die man ihr andernfalls nie verziehen haben würde – als Gunst gegen sich und ihre Gäste abgebettelt hatte … Himmel und Hölle hatte die brave Frau ins Gefecht geführt, um sie, als sie noch widerstrebte, von der Gottgefälligkeit eines solchen Liebeswerkes zu überzeugen.

Mißmutig hörte Ulrich zu.

»Warum hast du mir deine Absicht verschwiegen?« fragte er dann.

»Weil ich meinen lieben, guten, edlen Mann nicht zum Komplizen von so ein paar Spitzbuben habe machen wollen,« entgegnete sie.

Er schüttelte den Kopf. Er verstand noch immer nicht, wie sie beide sich dazu hatten hergeben können.

»Es geschah ja für dich,« flüsterte sie, sich zärtlich an seine Seite schmiegend. –

In dieser Nacht ging Ulrich manche Stunde lang ruhelos in seinem Zimmer auf und nieder.

»Für mich lügen sie … Für mich trügen sie … Für mich stellen sie die Gesetze des Menschenherzens und der ganzen Natur auf den Kopf … Kann so viel Liebe zum Guten führen?«

Und als er das Licht gelöscht hatte und suchenden Auges in die Finsternis starrte, zuckte es plötzlich wie ein Blitzstrahl vor ihm nieder:

Diese Versöhnung durfte nicht sein … Sie ist unsittlich.


 << zurück weiter >>