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Hertha besaß ein seines Näschen.
Und damit hatte sie eine Entdeckung gemacht – eine Entdeckung, die unter günstigeren Verhältnissen nicht viel bedeutet hatte, die aber, so traurig wie die Dinge lagen, von großer Tragweite war.
Als sie sich zum Abendbrottische setzte, der heute durch die Anwesenheit Mamas eine besondere Bedeutung erhielt, fühlte sie sich von einem eigentümlichen Dufte angeweht, demselben, den sie in ihren Sinnen mit der Erinnerung an ein blasses, süßlächelndes Angesicht und zwei große, blaue, bittend emporgeschlagene Augen untrennbar verband.
Dieser Duft war ihr als die Vollendung graziöser Vornehmheit erschienen. Sie hatte schon oft versucht, ihn sich zurückzurufen, und da auch die feinste Seife keine Vorstellung davon gab, beschlossen, ihn sich auf der Stelle zu verschaffen, sobald – nach vier Jahren und vier Monaten – das Schicksal sie in den Besitz ihrer Reichtümer gesetzt haben würde.
Und plötzlich – wie von Uhlenfelde hergezaubert – erschien dieser Duft am Abendbrottische. Prüfend sog sie die Luft ein und maß einen nach dem andern – Mama, Elly, Großmama – mit herausfordernden Blicken, nur an Leo sah sie vorbei.
Johanna, die zum allgemeinen Unbehagen steif wie eine Bildsäule vor ihrem Teller saß, warf ihr einen verwunderten Blick zu.
Hertha rettete sich, indem sie um die Erlaubnis bat, die Schüssel mit Bratkartoffeln, die Christian um der Kotelettes willen im Stich gelassen hatte, an der Tafel herumzureichen. – Und während sie von einem zum andern ging, prüfte sie den Luftkreis, der einen jeden umgab. Da – als sie mit der Schüssel hinter Leos Platze erschien, stieg der herzbeklemmende Duft mit verdreifachter Deutlichkeit zu ihr empor.
Aber Leo liebte die Parfüms nicht. Im Gegenteil. Noch vor kurzem war Christian, welcher geglaubt hatte, zur Feier des Sonntagvormittags seine grauen Strähnen mit Haaröl einsalben zu müssen, von ihm mit einem Donnerwetter zur Pumpe geschickt worden.
Leo nahm die Bratkartoffeln, ohne die Geberin mit einem Blicke zu beschenken. – Er schien zerstreut und mißmutig und spielte, statt zu essen, mit seinem Messerbänkchen.
Wohl mochte Mamas Gegenwart an seiner Verstimmung schuld sein, aber Herthas Ahnung wies auf andre Fährten. –
Das Gespräch schlich einsilbig von Frage zu Antwort.
Großmama wollte wissen, wieviel Gänse man in diesem Herbste auf die Leber und wieviel aufs Fett hin stopfen solle.
»Macht, was ihr wollt,« sagte Leo.
»Warst du heute in Uhlenfelde?« fragte Johanna plötzlich.
Hertha richtete sich spitz empor. – »Aha!«
»Nein,« war seine kurze, scharfe Antwort. – Er liebte es nicht, ausgefragt zu werden, am allerwenigsten von Johanna, welche nicht übel Lust zu haben schien, die Aufpasserin zu spielen.
Und als er, selber noch verwundert über die Unwahrheit, die ihm entschlüpft war, den Blick an der Tafel entlang gleiten ließ, sah er Herthas Auge groß und glänzend in strafendem Entsetzen auf sich gerichtet.
»Warum lügst du?« hieß dieser Blick.
»Die Kleine wird unbequem,« dachte er, und da er mit sich allein zu sein wünschte, sagte er »Gesegnete Mahlzeit« und ging von dannen.
Jedermann schaute ihm nach.
»Was mag ihm fehlen?« fragte Großmama, auf seinen kaum berührten Teller weisend.
»Er hat bei den Fohlen Aerger gehabt,« warf Hertha hin, da sie den dunklen Drang verspürte, ihn vor Nachforschungen zu behüten.
Sie haßte ihn – das war klar –, aber was er that, ging keinen sonst was an.
Nach dem Abendessen stürmte sie in den finstern Garten hinaus. – Sie fühlte, es ereignete sich etwas in ihr und außer ihr, von dessen Existenz sie bisher keine Ahnung gehabt hatte. Was es war, wie es hieß, darüber wußte sie sich keine Rechenschaft zu geben, aber der Zorn, der in ihr tobte, bewies ihr, daß es nichts Gutes sein konnte.
Wenn die »schöne Frau« ihm wirklich ein paar Tropfen von ihrem Parfüm auf den Rock gegossen hatte, was wollte das sagen?
Doch nein, das war es nicht. – Warum ließ er sich herab zu lügen, er, der stolze Leo, der sich so erhaben dünkte, daß ihm selbst ihre demütige Liebe zu schlecht war, um sie zu erwidern? – Warum verheimlichte er seinen Besuch auf Uhlenfelde, er, der sonst tagtäglich von den Freunden Grüße brachte?
Natürlich – die schöne Frau war ja tausendmal schöner – auch viel klüger war sie. – Es gehörte wenig Selbstüberwindung dazu, um ihr den Vorzug zu geben.
Wenn sie nur – und das war das große Rätsel, der innere Widerspruch, der jeden Verdacht zu nichte machen mußte – wenn sie nur als verheiratete Frau überhaupt hätte geliebt werden können!
Frauen werden von ihren Männern geliebt – dazu sind sie eben verheiratet – und sonst von niemandem auf der Welt. – Ebenso konnte man sich ja in Ohm Kutowski verlieben oder in Leo, den Neufundländer, der soeben seine feuchte Schnauze voll trostreicher Zärtlichkeit in ihren Aermel schob.
Fröstelnd in dem kalten Herbstwinde, und dennoch glutübergossen, rannte sie in den mattschimmernden Pfaden auf und nieder, wo raschelnde Blätter vor ihr herstoben gleich aufgescheuchtem Getier.
Aus dem Hofe drang die Stimme Leos, der bei Laternenschein die Pflüge revidierte, mit hellem Schelten an ihr Ohr.
Leo, der Hund, antwortete mit einem freudigen Heulen, machte zwei Sätze nach vorne, kehrte aber wieder zu ihr zurück.
»Ja, du bist besser als dein Herr!« flüsterte sie, das Gesicht in seiner Mähne vergrabend, und beschloß, über die Frage, ob man verheiratete Leute lieben könne, noch heute ins klare zu kommen.
Vor allem befragte sie ihre Bibliothek.
Erstens den »Lampenputzer«, zweitens »Goldelse«, drittens »Barfüßele«. Dieses waren die reifsten ihrer Romane, die »eingesegneten«, wie sie sie zu nennen pflegte. Von dem, was Clara Cron und Ottilie Wildermuth geschrieben hatten, konnte nicht erst die Rede sein. – Aber nirgends war die bewußte Möglichkeit auch nur angedeutet. – Dann ging sie zu den Klassikern über.
Schiller. – Amalie war ein junges Mädchen, Luise erst recht – freilich die Königin von Spanien! – Allein in diesem Falle sah man ja sonnenklar, wie wenig die Dichter Glauben verdienten, denn daß man seine Stiefmutter liebt, kann sich eben nur in der Welt der Phantasien ereignen, in welcher der Genius erdenentrückt, begeisterungstrunken einherschwebt. – Nicht umsonst hatte sie vor anderthalb Jahren einen deutschen Aufsatz geschrieben: »Der Genius und die Wirklichkeit.« Dort war diese ganze Frage erschöpfend behandelt gewesen. – Auch die schönen Worte: »erdenentrückt, begeisterungstrunken« stammten daher.
»Warum kramst du so furchtbar in den Büchern rum?« fragte Elly, welche bereits im Bette lag und sich vor dem Einschlafen daran ergötzte, auf der Bettdecke, die sie mit Zähnen und Füßen straff gezogen hatte, Mandoline zu spielen, indem sie durch Nachlassen oder Anspannen der Leinwand, an welcher sie zupfte, höhere oder tiefere Geräusche hervorbrachte, welche eine entfernte Aehnlichkeit mit den Tönen eines Saiteninstruments besaßen.
Hertha überlegte, ob sie sich so weit herablassen sollte, dieses Kind um Rat zu fragen. – Aber Not bricht Eisen.
»Höre, Maus,« sagte sie, sich zu Kopfenden des Bettes niedersetzend. »Ich will dich mal was fragen … du liebst einen Mann – nicht wahr?«
»Ach ja!« erwiderte Elly, indem sie sich spielend auf den kleinen Finger biß.
»Und du bist sicher, daß dieser Mann dich wiederliebt?«
»Warum sagst du immer Mann'?« fragte Elly, »Kurt ist mein Ideal. – Vorher war es Benno. – Und vorher war es Alfred … und jetzt ist es Kurt. Aber darum ist er noch immer kein Mann.«
»Was ist er denn sonst?«
»Ein junger Mann ist er.«
»Ah – Wenn du's so meinst! – Ein Mann ist er freilich nicht.« – Und ihr Auge leuchtete auf in stiller Begeisterung. Sie wußte, wie man aussehn muß, um »Mann« zu heißen. – »Glaubst du nun, Maus,« fuhr sie fort, »daß ein ›Mann‹ oder ein junger Mann – ganz egal – im stande ist, eine verheiratete Frau zu lieben?«
»Natürlich – gerade,« erwiderte Elly mit ihrer schönen Ruhe.
Hertha lächelte nachsichtig über so viel Unverstand. »Nein, nein, Maus,« sagte sie, »ich meine ja nicht die eigene Frau, sondern die Frau, die eines andern Frau ist.«
»Aber ich auch,« erwiderte die Maus.
»Und das scheint dir so natürlich?«
»Sieh mal – ich hätte dich gar nicht für so unerfahren gehalten,« sagte die Kleine. »So etwas muß man doch wissen … Und früher ging's noch viel toller zu … Wer ein richtiger Ritter war, der liebte immer die Frau eines andern, und seine eigene Frau zu lieben war eine Lächerlichkeit … Das steht ja alles in Königs großer Literaturgeschichte.«
Hertha war sehr nachdenklich geworden. »Ach was damals!« sagte sie mit einem schwachen Lächeln. – »Damals ritt man auch auf Turniere und stach sich zum Spaß mit Lanzen tot.«
»Und heute?« sagte Elly im Flüstertone, indem sie sich mit den Augen eines märchenlesenden Kindes im Bette aufrichtete, »heute schießt man sich zum Spaß mit Pistolen tot.«
Hertha fühlte einen Stich in der Brust, und die kleine, rosige Evastochter fuhr fort: »Ich denke es mir zu süß, sich so in der Ehe unglücklich geliebt zu wissen. Denn das ist sicher, die meisten unglücklichen Lieben entstehen auf diese Art.«
»Wer hat dir das gesagt?«
»Weißt du denn nicht, was Kathi Greiffenstein uns von ihrer Tante erzählt hat?«
»Pfui,« rief Hertha, »wenn es von der kommt, ist es sicher gelogen.«
Damit hatte das Gespräch sein Ende erreicht, denn Hertha wollte, nachdem der gehaßte Name einmal gefallen war, nicht mehr mit sich reden lassen. Aber als das Licht bereits lange gelöscht war, lag sie noch grübelnd wach und suchte in vorwärts schießenden Gedanken den verdächtigen Nebel zu durchdringen, mit welchem das Leben sich ihrem Kinderblick verschleierte.
Am folgenden Vormittag näherte sie sich zagend der guten Großmama, die mit hölzernen Nadeln an einem ihrer beliebten Zephirwollentücher strickte.
»Du hast wohl ein böses Gewissen?« fragte Großmama, welche ihre Kunden zu kennen glaubte.
»Gott bewahre! … Ich meine nur, Großmama – da ich doch – schon erwachsen bin … Das bin ich doch, nicht wahr?«
»Na – halb und halb!« meinte Großmama mit einem Blicke lächelnder Prüfung über die Brillengläser hinweg.
Hertha holte tief Atem. Es war ein Wagestück, was sie unternahm, das wußte sie: aber Gewißheit mußte ihr werden.
»Und ich meine, da ich doch bald ver–ver– heiratet sein werde –«
»Du?« rief Großmama in tödlichem Erschrecken. – Das Unglückskind war sicherlich gekommen, ihr von der Liebe irgend eines nachbarlichen Sausewinds Mitteilung zu machen.
»Aber ja doch,« fuhr Hertha maulend fort, »mit – mit – meinem – vielen Geld werd' ich doch nicht etwa sitzen bleiben.«
Großmama ergriff ihre beiden Hände. »Kind, an wen denkst du?« rief sie, während der kalte Schweiß ihr auf die Stirne trat.
Hertha errötete bis in den Nacken hinein. »Ich? – an gar keinen,« stotterte sie, bemüht, den tändelnden Ton beizubehalten.
»Also – du redst das bloß so hin?«
»Ja natürlich … ich red' das bloß so hin.«
Großmama wagte wieder zu atmen und faßte gleichzeitig den Entschluß, noch selbigen Tages mit Leo ein sehr ernstes Gespräch zu führen. Es fehlte gerade, daß jemand ihm den Goldfisch wegschnappte!
»Und – was willst du wissen?«
»Ich will wissen, wie das eigentlich mit der – weißt du – mit der Liebe ist, wenn man verheiratet ist!«
Großmama, welche derlei Fragen von früher her kannte – in letzter Zeit waren sie seltener geworden – erwiderte leichthin: »Dann liebt man sich eben, wie man sich vorher geliebt hat.«
»Ja, das weiß ich. Aber wenn nun ein andrer, mit dem man nicht verheiratet ist –«
»Wa–as?« Großmama ließ vor Entsetzen die Brille von der Nase fallen. »Welcher andre?«
Hertha fühlte eine plötzliche Herzschwäche. Sie mußte energisch an ihren Mut appellieren, um weiterreden zu können.
»Kann es denn nicht vorkommen, liebe Großmama, daß so einer, mit dem man eben nicht verheiratet ist, sich in den Kopf setzt –«
»Hertha, sieh mich an,« sagte Großmama. »Hast du ein verbotenes Buch gelesen?«
»Wo werd' ich, Großmama!« »Was liest du jetzt?«
»Eine Geschichte, die mir Lene Podewyl gepumpt hat.«
»Man sagt ›geliehen‹ und nicht ›gepumpt‹. – Von wem ist die?«
»Von Felix Dahn.
»Und wovon handelt sie?«
»Was weiß ich! Es wird da immer einer vom andern totgestochen. Manchmal wird man wieder lebendig, und manchmal wird man begraben. – Das ist weiter nicht schlimm.«
»Nein, das ist freilich nicht schlimm,« dachte Großmama; dann sagte sie: »Daß du mir nie wieder mit so dummen Fragen kommst, mein Kind … dergleichen verstehst du noch lange nicht … Und nun gib mir einen Kuß und nimm dein Häkelzeug zur Hand.«
So war auch dieser Plan gescheitert. Doch Hertha sann weiter und weiter, wie die Finsternis zu bannen wäre, in welcher sie mit ihrem eifersüchtigen Herzen ratlos umhertappte.
Am Mittage desselben Tages machte Leo den Mädchen den unerwarteten Vorschlag, sie nach der Freundschaftsinsel hinüberzuführen. – Er kannte Herthas langgehegten Wunsch, die geheimnisvolle Stätte mit eigenen Augen zu sehen, und gedachte durch dessen Erfüllung die Spannung zu lösen, die sich – er wußte nicht, wodurch? – von Tag zu Tag verstärkte.
Allein Hertha schürzte ein wenig die Lippen und meinte: »Danke vielmals. – Wenn ich die Freundschaftsinsel besuchen will, so rudere ich mich selbst hinüber.«
»Sieh mal einer an!« lachte er.
»Jawohl … Es stehn ja nun zwei Boote da. Und mehr als eines brauchst du wohl nicht, wenn du einmal zufällig Uhlenfelde besuchen willst.«
In der Art, wie sie das Wort »zufällig« aussprach, lag etwas, was ihn reizte und ärgerte.
»Trotzdem möcht' ich dich gebeten haben, liebes Kind,« entgegnete er, »dergleichen Extravaganzen freundlichst bleiben zu lassen. – Es ist nicht nötig, daß du von Zeit zu Zeit die Gegend in Aufruhr versetzest.«
Mit zuckenden Lippen erwiderte sie: »Ich verspreche dir, daß du nie wieder nötig haben sollst, dich über mich zu beklagen.«
Er nickte, gleichsam zufriedengestellt, und die alte Mama wandte das Gespräch zur Wirtschaft hinüber.
Als Leo gegen Sonnenuntergang seinen Schimmel bestieg, fühlte Hertha, die ihn vom Garten aus beobachtete, das widrige, ärgerliche Gefühl des gestrigen Abends mit erneuter Kraft in sich erwachen. – Sie hätte sich auf den Rasen werfen und das welkende Gras mit den Fäusten ausreißen mögen.
Zwar ritt er in der Richtung nach Wengern davon, aber Hertha zweifelte nicht, daß er draußen einen Bogen machen würde, um auf kürzestem Wege nach dem Strome zu gelangen.
»Wenn ich nur erst wüßte, ob das eine möglich ist,« dachte sie und knirschte in sich hinein.
Da kam ihr ein glänzender Gedanke.
Meta Podewyl, die sich vor vier Monaten in eine würdige Frau von Sembritzky verwandelt hatte, war vor der Verlobung ihre vertraute Freundin gewesen. – Sie hatten allerhand Versprechungen miteinander ausgetauscht und an Eidesstatt mit einer Unzahl von Küssen besiegelt.
Wer zuerst u, s. w., der sollte u. s. w.
Wie's im Lauf der Dinge lag, war von einer Erfüllung dieser Versprechungen niemals die Rede gewesen, denn die intimen Beziehungen zwischen ihr und Meta hatten, wie die meisten Mädchenfreundschaften, schon mit dem Tage der Verlobung ihr Ende gefunden. – Mochte sie immerhin als Brautjungfer dicht hinter der Glücklichen an den Altar getreten sein, sie erschien ihr längst in ein fernes, fremdes Land entrückt, zu welchem Weg und Steg ihr mangelten.
Aber jetzt galt es ihr Glück und ihre Ruhe. – Und nur Meta konnte ihr dazu verhelfen.
Abends beim Zubettegehn sagte sie zu Elly: »Wenn ich dich morgen bitte, mit mir zusammen zu Meta zu fahren, so mußt du ›Nein‹ sagen. Verstanden?«
Die Maus verstand zwar nichts, aber gehorsam, wie immer, neigte sie den süßen Blondkopf und schlief ein.
Am folgenden Tage regnete es, und da Hertha keinen Verdeckwagen für sich beanspruchen mochte, so blieb sie daheim. Es regnete noch zwei fernere Tage lang, und Hertha verzehrte sich in Sehnsucht nach Gewißheit.
Als auch der vierte Tag in grauer, plätschernder Trostlosigkeit hereinbrach, beschloß sie ihren Stolz so weit zu bändigen, daß sie Leo durch Großmama um Pferd und Wagen angehen ließ.
»Wozu diese Umwege, Hertha?« sagte er, als sie bei Tisch mit ihm zusammentraf. »Ich denke, du solltest wissen, daß das Fuhrwerk dir ebenso zur Verfügung steht, wie jeder der andern Damen.«
Um zwei Uhr nachmittags stand der Wagen vor der Thür.
In strömendem Regen fuhr sie von dannen.
Sie hatte eine gute Stunde gewählt, denn der Gatte war nach Münsterberg gefahren, und die Schwiegermama, welche das junge Paar mit ihrer Aufsicht beglückte, litt an Migräne.
So fand sie Meta allein in ihrem Schlafzimmer, das mit seinen schwerfaltigen Atlasvorhängen und den duftigen Musselinüberzügen, seiner niedrigen, teppichbedeckten Chaiselongue, seiner im Tageslichte smaragden schimmernden Ampel und mit all dem holden, geheimnisvollen Kleinkram einer frisch assortierten Ehewirtschaft zu vertrauensvollem Geplauder einlud.
Allein der Empfang, welcher Hertha von der einstigen Freundin zu teil wurde, war nicht ermutigend zu nennen.
Schwerfällig erhob sich die zarte, gebrechliche Gestalt aus dem Schaukelstuhl, in welchem sie geruht hatte, und streckte ihr mit schwachem Lächeln eine kalte, hagere Hand entgegen, auf welcher der breite Ehering respekteinflößend schimmerte.
Ein Buch mit braunem, goldgepreßtem Einband, in welchem sie gelesen hatte, sank von ihrem Schoße zur Erde nieder.
Hertha gewahrte auf den ersten Blick, wie sehr ihr junges, frischfarbiges Gesichtchen sich in den Monaten der Ehe verändert hatte. – Ihre Nase war spitz geworden, und die blassen Lippen erschienen vorgeschoben. – Die veränderte Haartracht machte sie vollends zur Fremden.
»Du bereitest mir eine große Freude,« sagte sie, ganz wie eine Hausfrau zur andern spricht, wenn diese ihr eine formelle Visite abstattet.
Kurz: Hertha fühlte sich eingeschüchtert.
»Was liest du denn da?« fragte sie, das braune Buch von der Erde aufhebend.
Die kleine Frau errötete tief und nahm ihr eilends den Band aus der Hand, allein Hertha hatte die goldene Aufschrift des Rückens bereits entziffert.
Dieselbe lautete: Ammon, Mutterpflichten.
»O je,« sagte Hertha, »so was darfst du lesen?«
»Ich soll es sogar lesen,« erwiderte die kleine Frau, indem sie das Mündchen ein wenig ironisch zur Seite zog.
Hertha fühlte ein mächtiges Verlangen in sich entbrennen, das merkwürdige Buch auf der Stelle durchzupeitschen. Am liebsten hätte sie es auf den Schoß genommen und die Freundin gebeten, sie für einige Stunden gefälligst in Ruhe zu lassen. Aber in all ihrer Verlegenheit wagte sie nicht, ihre Wünsche auch nur anzudeuten.
»Was wollen wir zum Kaffee essen?« fragte Meta, augenscheinlich bemüht, ihre ganze Machtfülle zu entfalten. – »Schaumwaffeln – oder gefüllte Pfannkuchen – oder Apfelschnitte?«
»Das kannst du alles nur so bestimmen?« fragte Hertha, erfüllt von Neid und Bewunderung. In diesem Augenblicke wäre sie fähig gewesen, statt Leos auch einen andern zu nehmen.
»O ja,« erwiderte die Freundin mit einem melancholischen Kopfnicken. Sie hätte der Wahrheit gemäß hinzufügen müssen: »Wenn Hansens Mama Migräne hat.«
»Na, dann bitt' ich um Apfelschnitte,« rief Hertha und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Jetzt ging es doch wieder menschlich zu.
Während sie Hut und Mantel in eine Ecke warf, gewahrte sie ein ausgestopftes Taubenpaar, welches, gleichsam von der Decke niederflatternd, den Zipfel des Bettbaldachins in den halbgeöffneten Schnäbeln hielt.
»O Gott, wie ist das himmlisch!« rief sie, und dann fing sie zu schwärmen an. »Wenn ich verheiratet wäre und Freiheit hätte zu thun, wie ich wollte, so brächte ich da oben einen goldenen Käfig an mit einer Nachtigall – die müßte mich allabendlich in den Schlaf singen.«
Die Freundin erwiderte nichts, aber – sie lächelte. Und dieses Lächeln, nachsichtig und voller Wehmut, in welchem Welten der Erkenntnis lagen, ließ Hertha ahnen, daß sie soeben eine faustdicke Dummheit gesagt habe.
Sie putzte sich verlegen die Nase und richtete sich dann straff in die Höhe, denn es schien ihr notwendig, »Contenance« zu behalten.
Die Umschau, in der sie fortfuhr, zeigte ihr bei jedem Blick ein neues Wunder.
Auf dem Toilettentische, der ähnlich wie das Bett mit einem seidenen, gazebekleideten Thronhimmel überbaut war, fand sich eine lange Garnitur von Büchsen, Flaschen, runden und viereckigen Kästchen, alles aus demselben lapislazuliartigen Glase gefertigt.
Neugierig lockerte sie die Stöpsel und hob die Deckel ab.
In einer der Büchsen entdeckte sie eine Puderquaste. Es war in ihrem jungen Leben die erste Puderquaste, die sie in Händen hielt.
»Darfst du dich auch pudern?« fragte sie.
Meta schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich dürfte wohl,« sagte sie, »aber ich thu' es nicht.«
Hertha fühlte eine unmäßige Lust in sich erwachen, den weißen, weichen Flaum auf ihrem Gesichte spazieren zu führen, aber sie bezwang sich, denn sie fürchtete, ihre Eitelkeit vor der Freundin bloßzustellen.
»Du bist wohl sehr, sehr glücklich?« fragte sie.
»Gott sei Dank, – ja,« erwiderte die Freundin mit einem feierlichen Ernst, den Hertha nicht begriff, denn sie war des Glaubens, das Glück sei eine lustige Sache und nur das Unglück müsse mit Ernst behandelt werden.
Begierig, alles kennen zu lernen, was das Zimmer an Merkwürdigkeiten bot, ließ sie das Auge weiterwandern, bis es erschrocken vor einer Ecke Halt machte.
Dort standen nebeneinander aufgereiht drei Knopfstiefelpaare von so ungeheuren Dimensionen, daß sie ein Frauenfuß unmöglich ausfüllen konnte.
Aengstlich fragte sie: »Wie kommt das hierher?«
»Das sind Hansens Gamaschen,« erwiderte Meta mit einer Selbstverständlichkeit des Tones, die Hertha von neuem in Schrecken setzte.
Ihr war zu Mute, als ob die Gamaschen noch riesenhafter emporwüchsen. Sie schienen eine Mauer zu bilden, die jedes Wort der Verständigung mit der Freundin unmöglich machte.
Zudem ärgerte sie die Zurückhaltung, mit welcher Meta sie zu behandeln fortfuhr. – Die Zeit, da man in den Winkeln nebeneinander gehockt, gekichert, gezischelt, aus einer quer auf dem Schoße liegenden Tüte Pfefferminzküchelchen genascht und sich von Zeit zu Zeit einen Schmatz hinters Ohr gegeben hatte, schien für immerdar dahin.
»Auch sie will mich verraten,« dachte Hertha, und vom Herzen schwoll es ihr wild empor, wie immer, wenn Kathi Greiffensteins Bild an ihr vorüberzog.
Aber nun half das nichts. Wer mit Männergamaschen auf so vertrautem Fuße stand, der wußte zweifellos auch in jenen Geheimnissen Bescheid, nach deren Enthüllung sie so heiß verlangte.
Aber noch wagte sie sich mit ihrer Wißbegierde nicht ans Tageslicht.
Man sprach über dieses und jenes, und Meta bewahrte ihre mattlächelnd-reservierte Haltung. – Nach einer halben Stunde erhob sie sich und erklärte mit einem Seufzer, sie müsse sich nach Mamas Befinden erkundigen gehen – die Freundin möge sie entschuldigen.
Und Hertha blieb allein.
Was nun? Womit die Zeit ausnützen?
Denn ausgenützt mußte sie werden. Es fragte sich nur, ob den Mutterpflichten oder der Puderquaste der Vorzug gebührte.
Nach kurzem, aber schwerem Kampfe entschied sie sich für – die Puderquaste.
Mit hastigen, zitternden Strichen, den schuldbewußten Blick auf die Thür geheftet, ließ sie das kleine Instrument über Stirn und Wangen gleiten. – Dann wagte sie einen schüchternen Augenaufschlag zum Spiegel hin, um in tiefster Seele zu erschrecken, denn was sie vor sich schaute, war das Antlitz – einer Leiche.
Nun wußte sie's: So wird sie aussehen, wenn sie, den Myrtenkranz im Haar, von Lorbeer und weißen Rosen umgeben, im Sarge liegen wird.
So bleich und so schön.
Sie ließ den Kopf so weit als möglich in den Nacken fallen und senkte die Lider so tief, daß nur ein schmaler Spalt zwischen den Wimpern eine neblige Durchsicht gestattete.
Nacken und Kehlkopf begannen zu schmerzen, aber sie regte sich nicht.
»Wär' ich zu meinen Lebzeiten,« dachte sie, »ein einzig Mal so schön gewesen, wie jetzt im Tode, er hätte meine Liebe sicher nicht verschmäht.« – Ein süßes Verlangen zu weinen kam über sie, aber sie gab ihm nicht nach, denn sie fürchtete, die herabrollenden Thränen würden braune Streifen durch das schneeige Weiß ihrer Wangen ziehen.
»Es ist nicht möglich,« dachte sie weiter, »daß er seine Kälte dann nicht bereuen sollte … Wenn alles schlafen gegangen ist, wird er sich heimlich hierherschleichen, wo ich aufgebahrt liege – wird sich über meinen Sarg hinwerfen und mein starres Antlitz mit glühenden Küssen bedecken.«
Es durchschauerte sie. Das Herdfeuer der Schänke von jenem unvergessenen Sommerabend her flackerte vor ihr auf.
»Und gesetzten Falls, daß ich vielleicht nur scheintot gewesen wäre,« fuhr sie fort, »daß seine neuerwachte Liebe die Kraft besäße, mich ins Leben zurückzurufen! … Wenn ich dann plötzlich die Augen öffnete und die Arme ausstreckte, um ihn vergebend an mich zu ziehen.«
Und indem sie diese vergebungsbereiten Arme weit ausbreitete, gewahrte sie, daß Leben und Bewegung in ihr, daß sie noch nicht gestorben war.
»Wie schade!« dachte sie, »alles Schöne ist eben nur ein Traum.«
Und hierauf machte sie sich eilends ans Werk, den Puder vom Gesichte zu entfernen. Mit einem Handtuch, das sie zum Knoten zusammengeballt hatte, rieb und scheuerte sie Wangen, Stirn und Nase … Und je mehr sie rieb, desto höher stieg die Angst in ihr, daß sie nicht im stande sein würde, die Spuren ihrer Unthat vollends zu verwischen.
Ihr Herz pochte stark. – Sie erschien sich wie eine Verbrecherin, die rettungslos der Entdeckung verfallen ist.
Als sie auf dem Korridor Schritte horte, ließ sie eilends das Handtuch fallen, zog sich in den dunkelsten Winkel hinter die Bettgardine zurück und gab sich den Anschein, als ob sie ein dort hängendes Bild mit Eifer studierte.
»Mama ist eingeschlafen,« sachte Meta eintretend, »und der Kaffee wartet.«
»Jawohl,« entgegnete sie verworren. Sie hätte die ewige Seligkeit darangegeben, um in dem dunklen Winkel bleiben zu dürfen, aber daran war nicht zu denken.
Auf dem Wege zum Eßzimmer wischte sie sich noch rasch ein paarmal über die Wangen, dann trat sie resolut ins Helle.
Als die alte Mamsell, welche den Kaffee servierte, ihr grüßend zulächelte, fühlte sie sich verspottet und verhöhnt, und als gar Meta für eine Sekunde den Blick auf ihrem Antlitz ruhen ließ, da hielt sie sich nicht länger und, den glutüberströmten Kopf an ihrem Halse verbergend, gestand sie den begangenen Fehltritt.
Meta lächelte und küßte sie, indem sie sagte: »Sei ruhig! Das haben wir alle einmal gethan!«
»Du auch?« fragte Hertha, die wieder zu atmen wagte.
Meta nickte, und weil Mamas Einschlafen sie heiter gestimmt hatte, fügte sie ein Geständnis aus ihrem eigenen Leben hinzu, wie sie am zweiten Morgen ihrer Ehe Hansens Entfernung kaum habe abwarten können, um ihr Gesicht nach Kräften zu bemehlen. So mächtig habe der Vollbesitz der neuen Puderbüchse auf sie eingewirkt.
»Das gibt sich aber bald!« fügte sie mit einem nachdenklichen Erstarren des Auges hinzu.
Nun war das Eis gebrochen, und als die Apfelschnitte kamen, die brutzelnd in ihrem Fette brieten, entwickelte sich langsam die Stimmung, die Hertha brauchte, um ihre große Frage zu thun.
Zwiefach eingeschüchtert, kämpfte sie lange mit sich, das richtige Wort und den richtigen Augenblick nicht zu verfehlen. – Sie fühlte wohl: mit dem neuen Lächeln der Freundin war nicht zu scherzen.
»Ja, eins wollt' ich dich fragen,« begann sie so harmlos und beiläufig wie möglich, während die Kehle sich ihr zuschnürte, »Frauen lieben ihre Männer … das versteht sich ja von selbst … aber hältst du es für möglich, daß Frauen – auch – von – von – andern geliebt werden können?«
Die Freundin lächelte nicht, sondern sie lachte: und Hertha fiel ein Stein vom Herzen. »Hier wird man doch nicht gleich en canaille behandelt,« dachte sie.
»Was bist du drollig,« meinte Meta. »Man kann doch niemandem verbieten, zu lieben, wenn's ihm Spaß macht?«
»Das weiß ich wohl … Aber ein Mann, siehst du … der sollte doch –«
»Ja, wenn's danach ginge!«
»Nun – liebt dich denn ein andrer?«
Meta errötete. – Ihr Blick wanderte in die Weite hinaus. Vielleicht gedachte sie des Mannes, dem ihre erste Neigung gegolten hatte. – »Danach frag' ich nicht!« erwiderte sie. »Es ist schon übergenug, daß Hans an mir Gefallen findet. Und ich würd's mir auch höflichst verbitten.«
»Also man verbittet sich das?«
»Wenn's einem gesagt wird – gewiß.«
»Wie? – Das wird einem gesagt?«
»Manchmal. Es kommt vor. Wenn der, welcher einen liebt, sehr frech ist.«
»O Gott!« sagte Hertha erschrocken. »Wenn mir das passierte, dem würd' ich nicht schlecht heimleuchten!«
Dann aber schwieg sie betroffen stille. – Die Frage war in ihr aufgestiegen: »Was mag er ihr gesagt – was mag sie ihm entgegnet haben?«
»Hältst du es für möglich,« fragte sie angstvoll weiter, »daß es Frauen gibt, die – die – anders denken?«
»O ja!« erwiderte Meta.
»Die – am Ende – den frechen Menschen – wieder lieben?«
»Auch das!«
Die Welt schien sich in Herthas Kopfe umzuwälzen, und mit aller Energie ihrer Reinheit rief sie: »Meta, das glaub' ich nicht!»
»Du würdest manches nicht glauben,« entgegnete die Freundin, »was ich in dieser Zeit erfahren habe.«
»Erzähl – bitte – erzähl!«
»Das meiste läßt sich nicht erzählen,« wehrte die Freundin, »dazu müßtest du auch verheiratet sein.«
Hertha gedachte des Schwures, der einst zwischen ihnen gewechselt worden, aber eine unbestimmte Scheu hielt sie ab, die Vergeßliche daran zu mahnen.
»Nur das kann ich dir sagen,« fuhr diese fort, »es geht ein gut Teil anders auf Erden zu, als wir Mädel es uns träumten … Besinnst du dich zum Beispiel, wie wir uns über deinen Onkel die Köpfe zerbrachen?«
»Welchen Onkel?« fragte Hertha.
»Leo Sellenthin,« entgegnete Meta, den Blick zur Seite wendend.
Hertha seufzte. Sie vergaß es nur zu gern, welche verwandtschaftlichen Rechte er besaß. – Und dann plötzlich stand das Herz ihr still, denn sie hatte begriffen, daß der nächste Augenblick ihr Großes, Fürchterliches bringen würde.
»Weißt du, was die Leute sich von jenem Duell erzählt haben, in welchem er den Herrn von Rhoden totschoß?«
»Nein, ich weiß nichts,« stieß sie hervor.
»Er und Felicitas haben sich geliebt, sagten die Leute, und Rhoden ist dahintergekommen – – mein Gott, was hast du?»
Hertha, mit aufgerissenem Munde und stieren Augen, hatte die Hände abwehrend gegen sie erhoben, wie um sich gegen den Schlag zu schützen, der auf sie niedersauste.
»Um Gottes willen, beruhige dich,« rief Meta, ihren Kopf mit beiden Händen streichelnd, »'s ist ja Geklatsche … 's ist ja nicht wahr … und keiner glaubt mehr daran.«
»Warum ist es nicht wahr?«
»Sonst hätte doch Ulrich Kletzingk, der ja sein Busenfreund ist und alles weiß, was ihn angeht, sie nicht geheiratet.«
»Und wenn er's nicht gewußt hat?«
»Dann würde Leo es ihm vor der Hochzeit gestanden haben!«
»Und wenn er es ihm nicht gestanden hat?«
»Das ist unmöglich. Dann hätte Leo schlecht und niedrig an ihm gehandelt.«
Dies verstand Hertha wiederum nicht, aber eines war ihr klar, eines flammte dunkelglühend wie ein Feuerbrand durch die Nacht all dieser Rätsel: »Sie haben sich geliebt, – sie lieben sich noch, – sie werden sich ewig lieben.«
Was nun noch gesprochen wurde, war ihr gleichgültig. Ein gelber Nebel lag vor ihren Augen, und Metas Worte schlugen wie aus weiter Ferne halbverständlich an ihr Ohr.
Sie antwortete auch, aber sie wußte nicht, was sie antwortete.
»Wie komm' ich hier fort?« fragte sie sich unaufhörlich und gedachte mit Entsetzen der Stunden, die sie anstandshalber noch verweilen mußte.
Aber die Erlösung war näher, als sie geahnt hatte, wenn auch die Art, in der sie sich vorbereitete, ihr neuen Schrecken brachte.
Meta war mitten im Plaudern, als sie sich plötzlich verfärbte, zweimal nach Luft schnappte und dann mit einem leichten Seufzer ohnmächtig vom Stuhle sank.
Aufschreiend stürzte sich Hertha über sie, dann griff sie nach der Karaffe und goß ihr einen Wasserstrahl ins Gesicht.
Meta stieß ein leises Quieken aus, zog heftig Luft durch die Nase und kam dann wieder zu sich.
»Um Himmels willen!« rief Hertha, die nasse Stirn der Erwachenden mit Küssen bedeckend, »ich will sofort bestellen, daß man nach dem Arzte schickt.«
Aber die Freundin hielt sie zurück.
»Laß nur,« sagte sie, indem sie sich gleichmütig wieder aufrichtete, »das verstehst du nicht … Das muß so sein.«
»Ganz wie eine andre Welt ist das Verheiratetsein!« dachte Hertha betroffen. »Da soll es sich so gehören, daß man mir nichts dir nichts in Ohnmacht fällt!«
Aber sie fühlte: für ihn wäre sie mit Freuden hundertmal täglich in Ohnmacht gefallen, für ihn, der sie verschmähte und verriet.
»Ich will nach Hause fahren, du brauchst Ruhe!« flüsterte sie, ihre Erregung mühsam beherrschend, und die Freundin hielt sie nur wenig zurück. –
*
Als sie eine Stunde später das Wohnzimmer von Halewitz betrat, rief Großmama erschrocken: »Was ist dir, Kind? Du bist ja totenblaß?«
»O, nichts, Großmama,« erwiderte sie und versuchte zu lächeln. »Ich bin ein dummes Ding … Ich hab' mich gepudert.«