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»Das ist doch sehr interessant – so eine Kostümprobe – nicht?« sagte ich eifrig zu Dr.. Morell, der bleich wie eine Leiche vor mir stand. »Zu einem Mord gehören nach Adam Riese doch immer zwei – nicht wahr – der Mörder und der Ermordete: Leopold Sandner und, wie Sie es wollen, der graue Herr. Wir sind hier zwei. Wir können gleich einmal hier rekapitulieren. Wir sind ja hier völlig ungestört!«
»Bitte – lassen Sie mich!« sprach Dr.. Morell mühsam. Es waren die ersten Worte, die er hervorbrachte.
»Aber wieso denn?« sprach ich. »Tun Sie mir doch den Gefallen! Wir dienen doch beide, jeder in seiner Art, der Ermittelung der Wahrheit! Na – und die fängt ja jetzt endlich an, sich langsam zu enthüllen! Finden Sie nicht auch?«
»Ich bin noch im Dunkel ... « Die Stimme des Rechtsanwalts Dr.. Morell schwankte.
»So? Ich nicht mehr! Verehrter Herr Doktor – machen Sie doch nicht so ein unglückliches und erschrockenes Gesicht! Ihnen tut doch niemand was – nicht wahr? Na also – warum dieses Zittern, diese Blässe ...? Nun wollen wir mal den Vorgang von damals wiederholen! Einverstanden – nicht?«
Dr.. Paul Morell antwortete nicht. Vielleicht konnte er nicht reden.
»Frisch los!« fuhr ich aufmunternd fort. »Sie sind jetzt Leopold Sandner! Kommen Sie jetzt einmal aus dem Rauchzimmer auf die Diele. Ganz ruhigen Gangs. Der Mann hatte ja offenbar keine Ahnung, daß da hinten der Tod auf ihn lauerte. So – jetzt – zwei Schritte jenseits der Schwelle zum Rauchzimmer bleiben Sie in der Diele stehen – genau an der Stelle, wo Sandner ermordet wurde!«
Paul Morell tat es willenlos. Er hielt sich mühsam auf den Beinen.
»Und ich ziele jetzt scheinbar, als Ihr grauer Herr, aus dem Dunkel des Garderoberaums hinter der Diele«, fuhr ich fort. »Von dort muß, nach dem Kugeleinschlag, der Schuß auf Sie abgefeuert sein! Ja aber, Bester – doch natürlich von hinten! Sie dürfen sich doch nicht nach mir umdrehen! – Sie wissen doch nichts von meiner Anwesenheit!«
»Ich kann nicht so in diesem Haus mit dem Rücken gegen jemand stehen, der mich umbringen will! Das macht mich nervös – da kann Ernst daraus werden!« schrie Paul Morell plötzlich. »Ich lasse nicht so mit mir spielen!«
»Na gut! Wie Sie wollen, Doktor!« sagte ich. »Wechseln wir die Rollen! Seien Sie nicht mehr das Opfer! Spielen Sie einmal so täuschend als möglich den Mörder! Seien Sie der graue Herr!« Ich legte Hut, Mantel und Bart ab. »Und ich komme als Leopold Sandner aus dem Rauchzimmer in die Diele! Na flugs, Verehrtester! In Ihr Mörderversteck da in dem finsteren Raum! Machen Sie es sich dort nur bequem. Das hat der graue Herr auch getan. Sonst hätte er nicht so tadellos gezielt!«
Es schien, als wollte Dr.. Morell meiner Aufforderung Folge leisten. Er stand schlaff da. Dann setzte er zögernd, fast wie ein Nachtwandler, einen Fuß vor den anderen. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter und hielt ihn zurück.
»Nicht so stürmisch! Sie müssen sich doch vorher als grauer Herr ausstaffieren! Da liegen die Sachen! Marsch hinein, Liebster! Ja – Sie dürfen sich da nicht zieren! Wir sind ganz unter uns! Das ist für mich von größter Wichtigkeit, daß ich als Sandner beim Eintritt in die Diele feststellen kann, ob er bei einiger Aufmerksamkeit den grauen Herrn in der Garderobe hätte sehen müssen oder ob er vielleicht ganz gemütlich mit ihm als einem guten Freund zusammen gewesen war und ihm gerade, während jener da drinnen seinen Mantel anzog und seinen Hut aufsetzte, das Haustor aufmachen wollte ... Ja – aber tun Sie mir doch den einzigen Gefallen und steigen Sie endlich in die Sachen da, und verpuppen Sie sich als grauer Herr! ... Was ist denn da Großes dabei? Ja – was haben Sie denn auf einmal?«
Dr.. Paul Morells Gesicht hatte sich verzerrt.
»Ich verbitte mir das!« knirschte er. »Ich lasse nicht so mit mir spielen wie die Katze mit der Maus! Ich habe an der Komödie genug! Gute Nacht!«
Er rannte aus dem Haus. Auf dessen Schwelle stehend, sah ich ihn die Straße hinabstürmen. Ich trat zu meinem Wagen.
»Sie müssen gleich in die Stadt fahren!« sagte ich zu dem Assessor Fabri. Und er, dienstbeflissen:
»Ich kann Herrn Doktor Morell leicht noch einholen und zurückbringen, falls Herr Staatsanwalt ihn noch einmal sprechen wollen!«
»Nein. Lassen Sie ihn nur vorläufig laufen!« versetzte ich. »Fahren Sie zu der befreundeten Familie, bei der Frau Morell augenblicklich ist – Sie wissen ja – gleich beim Ministerium um die Ecke – und setzen Sie sie in den Wagen! Sagen Sie ihr aber nicht, daß es hier hinausgeht – sonst wird die Frau am Ende trotz ihres Phlegmas kopfscheu! Lassen Sie sie in dem Glauben, daß sie noch einmal zur Vernehmung im Ministerium gebraucht wird. Ist sie einmal im Wagen in voller Fahrt, so kann sie nicht mehr aussteigen und landet glücklich hier! Nun beeilen Sie sich!«
Der Wagen sauste davon. Ich stand in dem Haustor und wartete. Mir war jetzt alles klar.