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29.
Niederschrift der Modesalon-Inhaberin Luise Heidebluth

Die Füße haben mich kaum getragen, und der Korridor hat sich um mich gedreht und der Saal, wie ich hineinkam, hat sich um mich gedreht, und die Herren im Saal haben sich um mich gedreht, und der Herr mit den vielen Schmissen, der mich geholt hat, hat mir gleich einen Stuhl hingeschoben und gesagt: »Bitte, nehmen Sie doch Platz!« Er hat mich ganz wie eine Dame behandelt, die man ja auch ist, und das hat mir wohlgetan, und ich habe mich ein bißchen beruhigt und habe die Herren anschauen können, und der eine von ihnen, der breitschulterige mit dem rötlichen Stoppelkopf – der hatte damals in der Prozeßverhandlung den Staatsanwalt gemacht – der war auch sehr höflich zu mir und hat mit einem gewissen Mitgefühl gesprochen:

»Fräulein Heidebluth: Sie haben vorhin zugegeben, daß Sie in jener Nacht außer Haus waren. Vor Gericht haben Sie seinerzeit das Gegenteil beschworen. Es tut mir leid. Aber ich muß da das harte Wort ›Meineid‹ in den Mund nehmen. Die Folgen sind Ihnen ja bekannt ... «

»Ach – wenn Sie wüßten ... « spreche ich verzweifelt und kämpfe wieder mit Tränen. Und er, eifrig:

»Das wollen wir ja gerade wissen, verehrtes Fräulein, was Sie wissen. Wir brennen ja darauf, Näheres von Ihnen zu erfahren. Das liegt in Ihrem eigensten Interesse. Dann und nur dadurch, daß Sie offen und ehrlich die Gründe Ihres ... hm ... ja, nun eben Ihres Meineids eingestehen, können Sie sich vielleicht noch mildernde Umstände sichern!«

»Das will ich!« sprach ich matt. »Es ist ja doch alles verloren. Mein Leben ist von jetzt ab verpfuscht. Der Modesalon ist hin. Da steht der Herr Nottebohm. Er will schon jetzt nichts mehr von mir wissen – das sehe ich ihm an – wenn er hört, wie sich das verhält, wird er noch weniger von mir wissen wollen!«

Nottebohm hat geschwiegen und mich nicht angeschaut, und der Herr hat gesagt:

»Nun fassen Sie also Mut – wollen Sie vielleicht noch vorher ein Glas Wasser? Nein? – und sagen Sie uns, wie Sie eigentlich in den Fall Sandner verwickelt sind?«

Ich schaute auf und sagte:

»Gar nicht!«

Und er, ganz erstaunt:

»Was?«

Und ich:

»Nein. Rein gar nicht! Da bin ich nun unschuldig wie ein neugeborenes Kind!«

Es war eine Bewegung unter den Herren. Und er, der Staatsanwalt, hat gefragt:

»Warum waren Sie dann die Nacht außer Haus?«

Jetzt mußte es heraus. Jetzt stürzte alles zusammen. Von morgen ab. Der Modesalon leer. Die Damen weg. Nottebohm fort. Ich gab meinem Herzen einen Stoß. Ich sagte:

»Ach – wenn Sie ihn nur sehen würden ... Er ist so süß ... «

»Wer? Der Herr Nottebohm?«

»Ach, nein doch ... «

»Also sonst ein Freund von Ihnen?«

»Ach Gott doch nicht ... « Ich wurde ganz rot.

»Ja – man muß doch auf den Gedanken kommen ... Verzeihen Sie ... «

Ich sage:

»Er ist doch erst sechs Jahre alt ... «

Da war es einen Augenblick still, und dann hat einer von den Herren gesagt:

»Ach so!«

Und ich:

»Ja.«

Dann habe ich mich zusammengenommen und gesagt:

»Wenn meine Kundinnen das jetzt erfahren – und Nottebohm erfährt es ... dann ist Schluß ... Ich habe das harte Schicksal nicht verdient. Ich habe mein Leben lang ehrlich gearbeitet und mich vom Laufmädel emporgearbeitet und war immer eine anständige Person. Es war eben nur das einzige Mal, daß ich schwach war. Der Mensch ist doch Mensch. Den Blinddarm kann man sich aus dem Leib schneiden lassen, aber das Herz nicht.«

»Richtig!« hat einer von den Herren gesagt, und ich weiter:

»Aber wenn ich nun vor Gericht muß, dann will ich nicht als Mitglied einer Mörderbande dastehen und schweigen wie die Frau Sandner – die hat es nun davon – die hat es sich selber zuzuschreiben –, sondern ich will alles, wie es ich, erklären, damit man es vielleicht ein bißchen gnädig mit mir macht!«

»Nun – es gibt ja auch bedingten Strafaufschub!« Das hat der Herr vor mir ganz menschenfreundlich gesagt. »Man wird ja sehen!« Dann ist er noch einen Schritt auf mich zugetreten und hat gedämpft und vertraulich gefragt:

»Nun – und der Vater?«

Der helle Zorn ist wieder einmal über mich gekommen. Ich habe ganz laut gesagt: Jetzt ging es schon in Einem:

»Ja – der! Gott – war ich dumm! ... Sonst bin ich nicht so dumm. Aber wenn man verliebt ich ... Er hätte ein schönes Provinzhotel, hat er mir gesagt. Das würde jetzt im Winter neu renoviert, und im Frühjahr wollten wir heiraten! Kein Wort war wahr. Nichts hat er gehabt. Außer Frau und drei Kindern. Die waren da. Das war aber auch alles! Und ich – ach – Sie verstehen ... es war ja nun schon soweit ... Ich habe von dem Menschen nichts mehr wissen wollen. Seit sechseinhalb Jahren habe ich, Gott sei Dank, von ihm nichts mehr gehört und gesehen!«

»Das Kind ich mein Kind!« habe ich zu den Herren an dem Abend dann weiter gesagt und geweint. »Das geht den gar nichts mehr an. Er hat sich auch nie darum gekümmert!«

»Von dem Kind hat niemand wissen dürfen«, fuhr ich fort. »So was – das hätte damals gefehlt, wo ich gerade anfing, mit dem Modesalon gegen die Konkurrenz hochzukommen. Ich habe es zu einem Bauern in die Pflege gegeben, in einem Dorf hier vor der Stadt, gar nicht weit. Das sind ordentliche Leute und verschwiegen. Ich habe auch immer gut bezahlt. So habe ich den Jungen immer besuchen können. Ach – er ist so süß! Und so klug für sein Alter. Aber immer nur nachts habe ich mich hinausgewagt, damit niemand etwas merkt und mich sieht ... «

»Und nun soll ich vor Gericht beschwören, wo ich in der Nacht gewesen war«, fing ich wieder an, »und war doch mit Nottebohm verlobt, und das war doch eine Partie, in eine Großhandelsfirma hinein, an die ich in meinen kühnsten Träumen nicht gedacht hätte – da war ich dann wirklich eine Dame wie die, die ich bisher habe bedienen müssen, und war auf Lebenszeit in Abrahams Schoß. Nottebohm ist nicht mehr der Jüngste. Aber er ist ein guter Mensch. Ich würde es gut bei ihm gehabt haben. Das wußte ich. Und ebenso habe ich gewußt: Wenn er das hört, dann schnappt er natürlich ab, und alles ist vorbei. Das kann man ihm ja nicht zumuten. Das sehe ich ja vollkommen ein. Es war ja auch nicht recht von mir, daß ich es ihm verschwiegen hab'! Ich habe mir oft selber bittere Vorwürfe gemacht. Aber ich habe nicht den Mut gefunden zu reden und mir selber die Zukunft zu ruinieren. Ich habe mir gedacht: ›Wenn wir erst einmal längere Zeit verheiratet sind, und er fühlt sich mit mir wohl und zufrieden, dann gestehe ich es ihm einmal in einer guten Stunde, und Gott wird weiter helfen, und kein anderer Mensch braucht darum zu wissen.‹«

»Nun stand ich aber als Zeugin vor Gericht«, schloß ich. »Allein mitten im Saal und alles war still, und Hunderte von Menschen haben mich angeschaut und gehorcht, was ich sagen würde. Soll ich da in den Saal schreien: ›Ich habe ein uneheliches Kind!‹? Das habe ich nicht gekonnt. Und auf einmal stehen die Richter in ihren schwarzen Talaren auf, und alles steht auf und es heißt: ›Heben Sie zwei Finger der rechten Hand, und sprechen Sie mir nach: Ich schwöre –‹ und ich spreche nach: ›Ich schwöre‹ – und weiß kaum, was ich tue! ... So ist es gekommen und bin ich ins Unglück gekommen. – Sehen Sie: Da geht Nottebohm fort, ganz erschüttert, ohne mich anzusehen – das habe ich voraus gewußt – und das alles, was ich jetzt gesagt habe, kann ich bei unserem Herrgott beschwören. Nein. Ich darf ja nicht mehr schwören. Aber es ist trotzdem wahr.«


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