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10.
Niederschrift des Kaufmanns Daniel Nottebohm, Kaffee en gros

Tja – wir hakten ja nu wohl an dem Abend unser lüttes Spielchen gehabt, wie schon seit Jahren. Denn wir waren ja alle drei längst keine Grünhörner mehr, sondern erfahrene Leute, die sich deftig auf der Welt den Wind haben um die Neese wehen lassen, und ich mit meinen Fünfzig der Benjamin in dem Kleeblatt der alten Junggesellen – die beiden anderen – die haben schon fünfzehn, zwanzig Jahre länger Baumwolle und Zigarren importiert, als ich meinen Kaffee, und hatten schon schlohweiße Köpfe. Bei denen war der Fall hoffnungslos, was man so die Liebe nennt, und nun wohl gar die Ehe. Hingegen ich ... Jong – Jong ... ich hatte ja erst graue Haare, wenn von der Ware auch gerade nicht mehr viel auf Lager war – und einen grauen Vollbart ... Ich habe vor mich hingelächelt. Junger Flieder ist dagegen Kaff...

Dann ist mir das Lächeln so sachte wieder vergangen, und ich war in meinen Gedanken versunken und habe gespielt wie ein Swin. Und der Neuwerk, der Baumwollmensch, fragte über seinen Grand mit zweien weg:

»Wann wirste denn begraben?«

»Am zwanzigsten dieses Monats ist mein Geburtstag!« sagte ich. »Da wird es öffentlich verkündet, daß ich demnächst klar vom Junggesellentum abkomme!«

»Na – denn man tau!« Der Zangenmeister, der Zigarrenmann, mischte die Karten. »Aber dat helpt ja nu nicht mehr! Wir haben dich gewarnt!«

»... weil ihr die Luise Heidebluth nicht kennt!« sprach ich und nickte still. »Kinnings – dat's ja was für meine alten Tage. Die ist nicht nur schmuck von Aussehen. Die ist klug. Die hat Energie. Die hat ein helles Köppchen. Die hilft mir in dem Geschäft! Die lebt sich mit dem Kaffee ein wie mit den Hüten. Tja –« Ich legte gerührt die Karten hin. »Wenn so die Liebe über einen kommt ... «

»... Spät kommt sie ... doch sie kommt ... « grollte der dicke Neuwerk. Und ich mit einem tüchtigen Schluck Rotspon:

»Ich wünschte euch, ihr hättet so ein Johannisfeuer wie ich im Leibe! Besser spät als gar nicht!«

Gut. Wir blätterten nu weiter in des Deubels Gebetbuch, und schließlich schmiß der Neuwerk die Karten hin.

»Mit dem alten Esel ist nicht zu spielen!« sagte er. Mit dem alten Esel meinte er ja woll nu mich – nicht? – »Der Mann ist verliebt. Der Mann tritt – in was tritt er? – na ja – in die Ehe tritt er ... «

»... und dabei macht der greise Jüngling ein Gesicht, als hätt' er zu enge Stiebel an!«

»Das gilt nich meiner Lowise!« Nun legte ich auch mein Spiel auf den Tisch. »Lacht nicht! Das sind nicht die Stiebel, was mich drückt. Von dem, was mich immerzu drückt, von dem kann man nur mit ganz bannigem Ernst sprechen ... «

Der Neuwerk hat ohnedies so wässerige Schellfischaugen im Kopf. Nu wurden die ganz feindlich ...

»Fang' bloß nicht wieder mit deinem Fall Sandner an!« hob er seine Handschuhnummer acht. »Dagegen ist für mich die Seekrankheit schon der klare Zucker! Dat's ja ganz schrecklich! Dat's wie die olle Grippe! Dem entgeht man nicht! Wo du heute hinkommst, da läutet's: ›Sandner! ... Sandner! ...‹ Der Mann ist nun mal tot ... «

»Aber er soll nicht andere in den Tod nach sich ziehen, die nichts dafür können!« sprach ich und stemmte den Kopf in die Hände und brütete vor mich hin. »Ich war einer von den zwölf Geschworenen ... «

»Das hast du uns in den letzten Monaten oft genug vertellt! Los, Mann! Snake nicht und schmeiß die swarten Gedanken über Bord und den ältesten Jungen auf den Tisch des Hauses! Den haste doch! Seh ich dir an!«

»Ich kann nicht mehr spielen!« sagte ich. »Und was die Gedanken sind – das möt wohl so sein! Ich war damals von vornherein gegen die elf anderen Schafköpfe!«

»... weil du befangen warst, alter Sohn! Du warst verschnupft, weil ein gewisses Fräulein Heidebluth da hat als Zeugin aufmarschieren müssen!«

Ich schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Ja – das hat mich entrüstet!« sagte ich mit starker Stimme. »Das war ausverschamt. So spielt man nicht mit dem Ruf von einem braven, jungfräulichen Wesen. Zum Glück stand die arme Unschuld gleich gerechtfertigt da! Von der Sorge um Luischen – da war ich als Geschworener bald ab. Aber nun kam das Schreckliche, ihr alten Seeräuber: der Wahrspruch!«

»Ich habe mich einer gegen elfe gestemmt!« Ich fischte mir aus der Zigarrentasche von dem Zangenmeister eine von seinen echten Havannas – die sind ja das Beste an dem Mann – und stach sie mir in die Physiognomie, um meine Unruhe zu meistern. »Von den Elfen waren zehn netto Dösköppe, die überhaupt nicht wußten, was sie wollten, und der letzte – das war ein nervöser Herr – mit einem Händegefuchtel und einem Sprechanismus – an dem ist ein Staatsanwalt verlorengegangen! Der zählte mit seiner Fistelstimme an den Fingern auf: So und so war's! So muß es gewesen sein! Sonnenklar! Und die anderen haben dem Leithammel geglaubt!«

»Na – du doch nicht!«

»Gott sei Dank! Bei mir kann man wohl von einem Prediger in der Wüste sprechen! Ich habe, wie es soweit war, feierlich ›Nein!‹ gesagt: Sie ist nicht schuldig!«

»Mensch! Dann brauchst du dich doch jetzt hinterher nicht immer noch mit Gewissensbissen zu plagen?«

Ich schaute dem Neuwerk kummervoll in seinen roten Vollmond von Gesicht. Der alte Knabe trinkt zuviel Burgunder. Der hat schon so eine ungesunde Röte auf den Backen.

»Doch beißt mich das Gewissen!« sprach ich. »Nicht für mich, sondern für die elf Schächer, die – ja – hier unter uns Pfarrerstöchtern möchte ich das glatt einen Justizmord nennen! Bisher war immer noch Zeit, das Unheil zu stoppen. Aber jetzt handelt es sich nur noch um Stunden, Kinnings – um Stunden – um Stunden ... «

»Nottebohm und Nerven! Man erkennt ihn gar nicht wieder!« Der Neuwerk schüttelte den Kopf. Der Zangenmeister steckte mir die Karten in die Hand und meinte:

»Spiele nur, das wird dich beruhigen!«

Das tat ich ja nu wohl auch. Aber nach dem dritten Stich fing ich wieder an.

»Ich kann es ja nicht beweisen. Aber man hat doch ein Gefühl. Mein kleiner Finger sagt mir, daß die Margot Sandner unschuldig ist!«

»Das hast du ja jedem, der es hören wollte, seit Monaten erzählt!«

»Aber es hat nichts geholfen!«

»Du hast 'ne weiße Weste! Also gut! Nu 'raus mit den wilden Katzen! Pik ist Trumpf!«

Ich war schon drum und dran, mein Solo zu gewinnen. Da flogen meine Karten auf den Tisch. Ich stand auf. Ich holte meinen Paletot vom Nagel und knöpfte ihn zu und setzte den Hut auf.

»Ich halte es nicht mehr aus mit der Unruhe!« sprach ich. »Schließlich habe ich das Recht als Geschworener! Ich gehe jetzt noch aufs Ministerium. Der Staatspräsident ist sicher noch auf den Beinen. Ich lasse mich bei ihm melden und trage ihm meine Warnung vor und bitte ihn, in letzter Stunde, daß er Gnade für Recht – nee, Kinder – für Unrecht ergehen läßt!«


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