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22.
Niederschrift des Hausverwalters Sebastian Ranft

»Im Hause nennen sie mich alle ›Vadder Ranft‹« – habe ich an dem Abend angefangen und zu den Herren gesprochen. So ein Hausverwalter ist ja sozusagen der Vater vom Haus. Der hat es unter sich, vom Boden bis zum Keller, besonders wenn, wie bei unserem Haus, der Besitzer ein Spanier ist und sitzt in Spanien und kümmert sich um keine Reparaturen und antwortet nicht, wenn er Steuern zahlen soll und will bloß, daß man ihm pünktlich die Miete in sein Pfefferland schickt.

Die Miete ist ja jetzt bei uns glücklich festgefroren und geht nicht mehr an die entfernten Ausländer von außerhalb, sondern bleibt im deutschen Vaterland, wo das Haus steht und wo sie hingehört. Aber ihre Miete zahlen müssen die Herrschaften im Hause doch, und das tun sie ja denn auch, was so die Besseren sind. Besonders die Herrschaften vorn heraus. Mit denen hatte ich am Ersten am allerwenigsten Not. Da sticht ja noch Geld.

Bloß bei dem Doktor im zweiten Stock hat es bisher böse gehapert – nicht wie wenn sonst mal eine von die Herrschaften ein bißchen gestottert hat – das kann ja in den besten Familien vorkommen, sondern egal fort und immer mehr. Und das war verwunderlich. Denn der Doktor war unverheiratet, und jeden Tag hat bei ihm die Sprechstunde voll Leute gesessen, und der Mann muß flott verdient haben.

Im besten Ruf stand der Doktor ja nu nicht – das muß man ungelogen sein lassen –, und es gab böse Zungen wie in jedem Haus, und es hieß: Der Doktor hat nicht nur seine Praxis hier im Hause. Der tut außerdem noch außer Haus für Geld, was man will, und verschreibt Morphiumrezepte, und den Koks hat er in Päckchen und stellt Krankheitsatteste aus, wo die Drückeberger munter sind wie ein Fisch im Wasser. Den Rentenjägern gibt er was fürs Herzklopfen, wenn sie sich untersuchen lassen sollen, und wenn einer minderwertig war, hat er sich bei dem Doktor den Jagdschein geholt, daß ihm das Gericht nischt hat anhaben können – haben die Leute gemunkelt – ich wiederhole das ja nur. Gesehen habe ich es nicht – und da scheffelt der Doktor noch extra ein Sündengeld – hat es geheißen – in Wahrheit zu sprechen, ein Sündengeld.

Aber als Hausverwalter hat mich sein Treiben außer Haus nichts angegangen. Ich habe mich nicht gefragt: Wie verdient der Mann sein Geld? – sondern: Wo bringt er das hin? Denn wenn es auf den Ersten ging und ich kam mit der Mietsquittung, dann hatte der Doktor nichts als das liebe Leben. Und das war ihm auch vergällt. War das nun das schlechte Gewissen oder sonst etwas – manchmal sah er ganz verzweifelt aus und war ganz gelb im Gesicht, daß ich mir gedacht habe: ›Der Doktor sollte lieber sich selber kurieren als seine Patienten. Das gibt den Kranken keine Forsche, wenn sie sehen, daß ihr Arzt selber herumläuft wie das Leiden Christi!‹

Wie ich damals so weit gesprochen habe, hat der Herr Staatsanwalt gesagt: »Lieber Herr Ranft: Die Gewissenhaftigkeit, mit der Sie uns das erzählen, in Ehren! Aber die Zeit brennt uns in dieser Nacht auf den Nägeln! Kommen Sie jetzt zur Sache!« Ich habe bescheiden geantwortet:

»Das kann ich nicht, Herr Staatsanwalt! Denn es ist keine Sache, sondern ein Herr! Dieser Herr ist mir aufgefallen. Denn er ist nicht zur richtigen Zeit zu dem Doktor in die Sprechstunde gekommen oder sonst unter Tags, sondern er hat am späten Abend mitten in der Dunkelheit oder tief in der Nacht an dem Doktor seiner Nachtglocke geläutet, und der Doktor hat dann nicht aus dem Fenster hinaus auf die Straße gerufen, wie er getan hat, wenn er nachts zu einem Patienten geholt wurde, sondern ist hinunter und hat eigenhändig aufgemacht und den Herrn mit hinaufgenommen und nachher wieder hinuntergebracht und hinausgelassen. Und am Morgen nach solch einem Besuch, da war der Doktor dann ganz auseinander. Das habe ich wohl gemerkt. Denn das hat mich interessiert, was der fremde Herr eigentlich nachts im Haus wollte, und ich habe es von meinem kleinen Portierfenster innen im Treppenhaus mehr als einmal beobachtet, wie der fremde Herr mit dem Doktor die Treppe hinaufgestiegen ist. Nicht allemal! Ich weiß nicht, wie oft er im ganzen dagewesen ist. Aber drei-, viermal habe ich ihn gesehen.

Hinterher – das habe ich schon gesagt – war der Doktor immer ganz verzweifelt. Er war nachts allein in seiner Wohnung. Seine Wirtschafterin, die hat in der Nähe bei ihrer verheirateten Schwester gewohnt und ist immer erst um sechs Uhr in der Frühe in das Haus gekommen. Gerade in der einen Nacht war der fremde Herr wieder dagewesen, und ich habe ihn gesehen, wie er um zwei Uhr nachts mit dem Doktor heruntergekommen und ohne ihn weggegangen ist. Gut – die Wirtschafterin kommt am nächsten Morgen und steigt in die Wohnung von dem Doktor hinauf und macht sie mit dem Drücker auf, und ich höre einen Schrei, und sie rennt wie besessen die Treppe hinunter und kann gar nicht sprechen und zerrt mich am Ärmel hinauf in den zweiten Stock und ins Badezimmer. Da baumelt Ihnen doch der Doktor an einem von den Haken und hat sich an der Quastenschnur von seinem Bademantel aufgehängt. Wir haben ihn gleich abgeschnitten. – Aber der war schon seit drei Stunden tot. Das haben sie nachher polizeilich festgestellt!«

Wie ich so weit mit meiner Aussage gekommen war, hat der Herr Staatsanwalt mich unterbrochen und gesagt:

»Nun kommt das Wichtigste – das, worauf alles ankommt! Wie hat der Herr, dieser fremde Herr, ausgesehen, wegen dessen, wie Sie meinen, der Doktor seinem Leben ein Ende gemacht hat? Bleiben Sie um Gottes willen ganz genau bei dem, was Sie mit eigenen Augen gesehen haben. Setzen Sie ja nichts an nachträglichen Ausschmückungen oder Mutmaßungen hinzu, die uns das Bild verwischen könnten! Also, bitte!«

Ich habe höflich und trocken gesagt, denn ich war ein bißchen verletzt, daß man glauben konnte, ich wäre wie so ein Spaßmacher im Verein und redete ins Blaue:

»Den Herrn, den könnte ich malen, wenn ich malen könnte. Der war so an die Fünfzig, mit einem kurzen grauen Vollbart und einem grauen Schnurrbart, und ging bedächtig und etwas gebeugt, und hatte ein blasses Gesicht. So wie ein besserer Kaufmann hat er vielleicht ausgesehen. Er hat einen grauen weichen Hut aufgehabt und einen weiten grauen Mantel getragen! Es war alles grau an dem Mann!«

»Hm ... hm ...« hat nun der Staatsanwalt gesagt, »wann war denn das wohl, Herr Ranft? – Diese Tragödie mit dem Doktor?«

»Das muß in der ersten Oktoberwoche im vorigen Jahr gewesen sein!« habe ich geantwortet. »Denn das erinnere ich mich genau, daß der Doktor wieder einmal im Dalles war und eine böse Grimasse geschnitten und ohne ein Wort die Hosentaschen umgedreht und mir seine Rückseite zugedreht hat, wie ich höflich so vom Wetter auf die Miete zu reden gekommen bin ... Aber ob das am ersten oder zweiten Oktober ...«

»Daran liegt auch nichts!« hat der Herr Staatsanwalt unterbrochen. »Ich wollte nur feststellen, daß dieses Erscheinen des grauen Herrn mehr als ein Vierteljahr vor seinem erneuten Auftauchen in jener Januarnacht vor der Villa Sandner stattgefunden hatte. Soweit wäre ja also die Lebensdauer dieses Phantoms vorläufig auszudehnen. Ziehen Sie sich jetzt zurück, Herr Ranft, aber gehen Sie ja nicht fort! Ich brauche Sie bald nachher dringend!«


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