Anne Louise Germaine von Staël
Deutschland
Anne Louise Germaine von Staël

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Die Frauen

Natur und Geselligkeit sind für die Frauen eine große Schule, wo sie leiden lernen; und es darf, dünkt mich, nicht geleugnet werden, daß sie in unsern Tagen, in der Regel, besser sind, als die Männer. Zu einer Zeit, wo der Egoismus das allgemeine Übel ist, müssen die Männer, im Besitz aller positiven Vorteile, weniger Edelmut, weniger Gefühl besitzen, als die Frauen. Diese hängen nur durch die Bande des Herzens mit dem Leben zusammen; und selbst, wenn sie sich auf Abwege verirren, sind diese Verirrungen eine Folge des Gefühls, das sie hinreißt. Ihre Persönlichkeit zählt immer zwei, während die des Mannes nur ihn zum Ziel hat. Man huldigt ihnen nur durch die Zuneigungen, die sie einflößen; die zuerst in ihnen entstanden, sind meistenteils dargebrachte Opfer. Die schönste aller Tugenden, die Hingebung, ist ihr Genuß und ihre Bestimmung; es kann kein Gefühl für sie geben, das nicht der Widerschein des Ruhms und des Wohls eines andern wäre; mit einem Wort, außer sich leben, sei es durch die Ideen, sei es durch Empfindung, sei es vor allem durch die Moralität, ist, was der Seele ein Gewohnheitsgefühl von Größe und Erhabenheit gibt.

In den Ländern, wo die Männer durch politische Einrichtungen berufen sind, alle kriegerischen und bürgerlichen Tugenden auszuüben, zu denen die Vaterlandsliebe entflammt, nehmen sie die erste Stelle wieder ein, die ihnen gebührt; nur wo sie einigermaßen zur Untätigkeit oder zur Knechtschaft verdammt sind, sinken sie desto tiefer herab, je höher sie sich zu erheben bestimmt waren. Die Bestimmung der Frauen hingegen bleibt immer dieselbe; sie wird ihnen einzig von ihrem Gemüt vorgezeichnet, die politischen Umstände tragen nichts dazu bei.

Die deutschen Frauen besitzen einen eigentümlichen Reiz; sie haben eine rührende Stimme, blondes Haar, eine blendende Haut, sie sind bescheiden; man sieht es ihnen an, daß sie seltener auf Männer gestoßen sind, die ihnen überlegen waren, und daß sie überdies von den strengen Urteilen des Publikums weniger zu befürchten haben. Sie suchen durch die Empfindsamkeit zu gefallen, durch die Phantasie zu interessieren. Die Sprache der Dichtkunst und der schönen Künste ist ihnen geläufig; sie kokettieren mit der Schwärmerei, wie man in Frankreich mit Witz und Scherz Koketterie treibt. Der hohe Grad der Rechtlichkeit, der dem Charakter der Deutschen zugrunde liegt, macht die Liebe für die Frauen und ihre Ruhe weit weniger gefährlich; vielleicht geben sie sich diesem Gefühl um so zutraulicher hin, da die Liebe in Deutschland die Farbe des Romans trägt, und Verachtung und Untreue hier seltener als irgendwo sind.

In Deutschland ist die Liebe eine Religion, aber eine poetische Religion, die zu leicht duldet, was sich durch Empfindsamkeit des Herzens entschuldigen läßt. Man kann es nicht in Abrede stellen; der Leichtigkeit der Ehe geschieht durch die Leichtigkeit, womit sie getrennt werden kann, großer Abbruch. Die Frau nimmt sich einen anderen Gatten, wie der Dichter eine Nebenszene in seinem Drama abändert. Die Gutmütigkeit beider Geschlechter macht, daß die Scheidungen leicht und ohne Bitterkeit vor sich gehen; und da es unter den Deutschen mehr Phantasie als wahre Leidenschaft gibt, so ereignen sich bei ihnen die seltsamsten Begebenheiten mit einer seltenen Kaltblütigkeit. Dadurch aber verlieren Sitten und Charakter ihre Festigkeit; der Geist der Paradoxie erschüttert die heiligsten Institutionen, und zuletzt gibt es über nichts mehr feststehende Regeln.

Man darf mit Recht über die Lächerlichkeit einiger deutscher Frauen spotten, die ihren Geist unaufhörlich bis zur Ziererei hinaufschrauben und durch süßlich gesetzte Worte alles verwischen, was ihren Verstand und ihr Gemüt glänzen lassen könnte; sie sind nicht falsch, aber auch nicht ohne Falsch; sie sehen und beurteilen nichts mit dem Lichte der Wahrheit, und die wirklichen Begebenheiten des Lebens tanzen vor ihren Augen vorüber wie phantasmagorische Bilder. Eine Deutsche sagte mit melancholischem Ernste: »Ich weiß nicht, wie es zugeht; aber die Entfernten schwinden mir gleich aus der Seele.« Eine Französin würde dem Gedanken eine lachendere Endung gegeben haben; aber im Grunde wäre es derselbe gewesen.

Diese kleinen Lächerlichkeiten sind als Ausnahmen anzusehen, und es gibt, von ihnen abgesehen, unter den deutschen Frauen viele, die mit Wahrheit empfinden und ihre Empfindungen mit Einfachheit ausdrücken. Ihre Erziehung und Bildung, ihre natürliche Reinheit der Seele, machen die Herrschaft, die sie ausüben, sanft und gleichförmig. Mit jedem Tage gewinnen sie uns mehr für alles, was groß und edel ist, geben uns mehr Zutrauen in jede Gattung von Hoffnungen und verstehen sich darauf, den dürren ironischen Spott fernzuhalten, der einen Hauch des Todes über alle Genüsse des Herzens verbreitet.

Dennoch trifft man nur selten bei den deutschen Frauen jene Geistesschnelligkeit an, durch die eine Unterhaltung lebhaft und der Ideengang rasch bewegt wird; eine Art von Vergnügen, die sich höchstens noch in den witzigsten und geistvollsten Gesellschaften von Paris findet. Die Unterhaltung, oder vielmehr die Gabe der Unterhaltung, als Talent betrachtet, ist in Frankreich einheimisch; in allen übrigen Ländern unterhält man sich aus Höflichkeit, aus Erörterungsgeist, aus Freundschaft; in Frankreich ist die Konversation eine Kunst, wozu unstreitig Phantasie und Seele erforderlich sind, die aber auch, wenn man will, geheime Mittel besitzt, um den Mangel und das Fehlen dieser beiden Bestandteile zu ersetzen.

Seitdem der Rittergeist in Frankreich ausgelöscht war; seitdem es in Frankreich keinen Gottfried von Bouillon, keinen Ludwig den Heiligen, keinen Bayard mehr gab, die der Schutz des Schwachen waren und sich durch ihr Wort wie durch unauflösliche Ketten gebunden glaubten, darf ich behaupten, daß von allen Ländern der Erde Frankreich vielleicht dasjenige gewesen ist, wo die Frauen, was sie betraf, am wenigsten glücklich waren. Man nannte Frankreich das Paradies der Frauen, weil sie in Frankreich eine große Freiheit genossen; aber eben diese Freiheit war eine Folge der Leichtigkeit, mit der man sich von ihnen löste. »Mein Engel«, läßt La Clos in einem Roman, der durch die ausgesuchteste Immoralität, die er zur Schau trägt, abstoßend wirkt, einen seiner Unschuldwürger sagen, mein Engel, man wird alles auf der Welt müde«. Zu eben der Zeit, als behauptet wurde, die Liebe habe in Frankreich ihren Thron, möchte ich im Gegenteil sagen: die Galanterie habe das schöne Geschlecht in den Bann getan; und sobald die Sanduhr ihrer Herrschaft abgelaufen ist, habe man für die Frauen weder Großmut noch Dankbarkeit noch Mitleid gehabt. Man ahmte die Töne der Liebe nach, um sie in die Falle zu locken, wie das Krokodil die Kinderstimme nachmacht, um die Mütter herbeizurufen.

Zeigte sich Ludwig XIV., dessen Ritterweise und Artigkeit gegen das schöne Geschlecht bis in die Wolken erhoben wird, nicht hart und grausam gegen die, die ihn über alles geliebt hatte, gegen die Herzogin von la Valière? Was man davon in den Memoiren der Madame liest, geht über jeden Begriff. Ludwig brach der Unglücklichen das Herz, das nur für ihn geschlagen hatte. Zwanzig Jahre, in Tränen zugebracht, waren kaum hinreichend, um die Wunden verharschen zu lassen, die das grausame Benehmen Ludwigs der Liebenden, der Verstoßenen geschlagen hatte. Nichts ist so grausam wie die Eitelkeit, und nichts so sehr wie die Gesellschaft, der gute Ton, die Mode und Glück bei Frauen dazu dienen, die Eitelkeit aufzuregen, so gibt es kein Land, wo das Glück der Frauen größere Gefahr läuft, als Frankreich, weil dort alles von dem, was man Meinung heißt, abhängt, weil dort jeder von anderen lernt, was man fühlen muß, um zu den Leuten von gutem Geschmack gerechnet zu werden.

Die Frauen haben endlich (leider muß ich's gestehen) den Entschluß gefaßt, Anteil an der Unmoralität zu nehmen, die ihren Thron umstieß. Seitdem sie an Wert verloren, haben sie weniger gelitten. Gleichwohl hängt, bis auf wenige Ausnahmen, die Tugend der Frauen von dem Benehmen der Männer ab. Der Leichtsinn, den man ihnen vorwirft, entsteht aus ihrer Furcht, verlassen zu werden. Sie stürzen sich in die Schande, um der Beleidigung zu entgehen.

Die Liebe ist eine weit ernstere Leidenschaft in Deutschland als in Frankreich. Die Poesie, die schönen Künste, die Philosophie selbst und die Religion haben aus dieser Empfindung eine Art von irdischem Gottesdienst gemacht, der eine edle Stimmung über das Leben breitet. Es hat in Deutschland nicht, wie in Frankreich, sittenlose Schriften gegeben, die von allen Volksklassen gelesen wurden, und die in der feineren Welt das Gefühl der Liebe, im Volke den Sinn für die Moralität zerstörten. Dennoch besitzen die Deutschen mehr Phantasie als wahre Empfindsamkeit; ihre Rechtlichkeit allein bürgt für ihre Beständigkeit in der Liebe. Die Franzosen haben im allgemeinen Achtung vor positiven Pflichten; die Deutschen halten sich mehr durch ihre Herzensneigungen als durch ihre Pflichten gebunden. Was wir von der Leichtigkeit der Ehetrennungen gesagt haben, dient als Beweis; den Deutschen ist die Liebe heiliger als die Ehe. Ehrenvoll ist unstreitig für sie das Zartgefühl, das ihnen befiehlt, Versprechungen treu zu erfüllen, wozu das Gesetz sie nicht unverbrüchlich verpflichtet; für die bürgerliche Ordnung sind jedoch Gesetze wichtiger, in denen die Unauflöslichkeit der Ehen verbürgt wird.

Noch waltet und herrscht, wenn ich es so nennen darf, der Rittergeist unter den Deutschen. Sie sind unfähig zu betrügen; ihre Biederkeit findet sich in allen engeren Verhältnissen wieder; aber jene Kraft, die von den Männern so große Opfer, von den Frauen so große Tugenden fordert und erhielt und das ganze Leben sozusagen zu einem heiligen Werk bildete, in dem immer nur ein Gedanke vorwaltete, jene Ritterkraft und Energie der alten Zeiten hat in Deutschland nur eine verwischte Spur zurückgelassen.

Alles Große, was in Zukunft in diesem Lande vollbracht wird, kann nur eine Folge des liberalen Antriebs sein, der in Europa auf die Ritterzeiten gefolgt ist.


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