Karl Spindler
Der Jude
Karl Spindler

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Dreißigstes Capitel.

Der Altbürger Diether Frosch betrat mit zornflammendem Gesichte und heftiger Geberde das Vorzimmer des Schöffensaals im Rathhause und fragte auffahrend und rauh nach dem Schultheiß. Der Rathsknecht wies ihn in das Verhörgemach, in welchem der Ritter finster simulirend auf und nieder ging. Es war noch frühe am Tage, darum war der edle Herr noch völlig allein. Als er den Schöffen hereinkommen sah, blieb er stutzig in der Mitte des Zimmers stehen und nahm eine drohende Haltung an, da er um des ganzen Wesens des Alten willen auf einen stürmischen Angriff rechnen konnte. Diether rechtfertigte diese Vermuthung und fing mit übel verhaltenem Groll an: »Mir ist's lieb, daß ich Euch allein treffe, Schultheiß – oder auch nicht lieb, denn ich hätte Euch gerne vor Zeugen gesagt, was ich nicht auf dem Herzen behalten kann. Ihr seid ein frecher unritterlicher Mann, der viel zu kurz kommen möchte, würde ihm Rechenschaft von seinem Handeln abgefordert.« – »Herr! . . .« entgegnete der Schultheiß empört; der Schöffe ließ ihn jedoch nicht vollenden, sondern fuhr fort: »Es ist ein Unglück, das öffentliche Wohl in den Händen eines Mannes zu wissen, der seinen Leidenschaften jeden Zügel schießen läßt, das Beispiel der Unsittlichkeit gibt und in jedem Dirnengesicht einen Stachel für seine Wollust findet.« – »Seid Ihr toll geworden, Schöff?« fragte der Schultheiß trotzig, »oder plagt Euch der Teufel der Eifersucht abermals?«

»Keine Ausflüchte!« fuhr Diether heftig fort. »Was soll die Geschichte vergangener Nacht bedeuten? Warum habt Ihr mein Eigenthum, den Schellenhof, verletzt durch unziemlichen und verbotenen Angriff? Warum habt Ihr Leute, die ich dorthin gesetzt, gefangen wegführen lassen? Ist ein ehrlicher Mann nicht mehr hinter seiner Grenze und Feldmark sicher? Ich verlange, daß Ihr Abbitte leistet und die unschuldig Gefangenen losgebt.« – »Ihr redet irre, guter Mann,« erwiderte spöttisch und kalt der Ritter, »von dem Auftritte verwichener Nacht weiß ich wohl, doch ging er nicht auf mein Geheiß vor sich. Was hätte ich auch auf Euerm Schellenhof zu suchen? Der Oberstrichter jedoch hatte Fug und Recht, kraft seines Amtes, den Versuch zu machen, ein gefährliches Weib, dem man lange schon auf der Spur gewesen, aus dem Nest zu heben, das ihm sicherlich Euer Sohn aus Euerm Eigenthum bereitet. Man hat statt dieser Dirne, die wohl früher gewarnt, die Flucht nahm, eine Andere ergriffen, die Euch ziemlich nahe angehen mag und die, sammt ihrem Kinde, wenn sie das übliche Verhör ausgehalten, Euch wieder zurück gegeben werden wird. Das ist der Zusammenhang der Sache und ich finde es frech von Euch, Schöff, daß Ihr Euch herausnehmt, mich bei jedem Anlaß zu verunglimpfen. Für meine Würde ziemt sich indessen Vergebung besser denn Rache, und ich behalte mir vor, einmal später mit Euch die ganze Rechnung abzuthun auf einmal.«

»Ihr seid eine glatte Schlange,« entgegnete der gereizte Diether; »der Oberstrichter schiebt die Schuld auf Euch und Ihr wälzt alle Verantwortlichkeit auf den Richter.« – »Hagel, Blitz und Strahl!« fuhr der Schultheiß auf; »wahnwitziger Mann! treibt mich nicht auf's Aeußerste. Eurer großen Tücke bin ich schon längst herzlich müde. Solch' Verfahren steht Euerm Greisenalter wenig an, schier so wenig, als es sich für Euch schickt, eine fahrende Tochter sammt ihrem Bankert auf Euerm Hofe zu halten. Ihr gebt das Beispiel der Unsitte und schlechten Zucht und es ist gar kein Wunder, daß Sohn und Frau nicht aus der Art schlagen. Schreibt es Euch selbst zu, wenn die Gerichte Euch auf dem Halse liegen. Es gehen unerbauliche Dinge in Euerm Hause vor und Ihr selbst habt Rath und Bürgerschaft in Eure mißlichen Händel gezogen. Auf allen Gassen spricht man von der Historie Eurer Ehewirthschaft. Auf allen Straßen laufen Späher umher, nach Eurer Tochter zu forschen, die, wer weiß in welchem Waldneste mit einem Buschklepper Buhlerei treibt, mit dem sie willig entlaufen? Euer Argwohn hat ja nicht geruht, bis ich dem Stadthauptmann erlaubte, gestern einen Troß seiner Gesellen nach dem Sprünglin zu senden. Wie ich vernommen, hat sich die kaiserlich freie und heimliche Acht nicht minder in die Unthaten Eures Sohnes gemischt. Donner und Teufel! Was soll nach solcher Menge von Aergernis, die Euer Haus gegeben, die stolze, verletzende Rede, welche Euer Mund so freigebig führt?« –

Diether stand wortlos da, so gewaltig hatte ihn des Schultheißen Rede zerschmettert, weil sie eine Masse von Unrecht auf ihn warf, die er nicht mit einem heftigen Worte abzuschütteln die Macht besaß. – Der Schultheiß dagegen freute sich, den überaus verhaßten Schöffen so recht in's Leben treffen zu können und sprach mit boshaftem Lächeln weiter: »Wie steht's mit Eurem Weibe, Diether? Ich hörte schon in aller Frühe, Margarethe sei entlaufen. Leugnet nicht, denn ich weiß es von guter Hand, wie es schon die Stadt weiß, und mich wundert nur, daß Ihr mir nicht auf den Kopf zusagt, ich hätte sie Euch gestohlen. Wie es aber auch damit gegangen sein mag . . . ich kann ihr nicht Unrecht geben. Einmal ist es hart für eine Frau von lockern Sitten, bei einem mürrischen Manne auszuhalten, der den strengen, unerträglichen Sittenrichter spielt, ob er gleich unfern der Stadt sein eigen Lieb in stiller Kammer hält; zum andern ist sie wahrscheinlich von ihrem Buhlen Dagobert, der seine Ursachen hat, nicht nach der Stadt zurückzukommen, beschieden worden – und endlich, denke ich, hat sie gerade die rechte Zeit gewählt, zu gehen, um dem weltlichen Gerichtsarm zu entlaufen.« – Diether staunte den Ritter finster an . . . »Ich vergebe Euch die Schmähungen, mit denen Ihr mich überhäuft . . .« sagte er, kaum vernehmbar vor innerer Bewegung . . . »aber . . . habt die Gnade, mir zu erklären, wie meine Hauswirthin Margarethe dem Gerichte verfallen sein kann, da ich noch nicht als Kläger vor die Schranken trat?« – »O, mein lieber Herr,« entgegnete der Schultheiß, »das soll Euch nicht vorenthalten bleiben und gewiß wird's Euch noch diesen Morgen kund.« – Der Rathsknecht meldete: der Stadthauptmann und ein Rottmeister der Stadt fordern Gehör bei dem strengen Herrn, um zu berichten, was beim Sprünglin vorgefallen. – »Recht,« erwiderte der Schultheiß; »Herr Frosch, Ihr seid ja am meisten bei der Sache im Spiele. Verharrt und hört mit an, was uns die Leute sagen werden. Ihr mögt hören, daß Alles Euerm Wunsche gemäß und in strengstem Geheimnis ausgerichtet worden.« – Die Gemeldeten erschienen und der Stadthauptmann fragte den Schultheiß, ob es ihm gefällig wäre, zu vernehmen, was der Rottmeister Sebald erzählen werde. »Ich habe ihn,« sprach er, »als einen geschickten Mann auserwählt, mit zehn laufenden Söldnern den Zug nach dem Bannsteine von Bergen, das Sprünglin genannt, zu verrichten, und er ist gestern um die neunte Stunde der Nacht von dannen gegangen und heute, als die Thore wieder geöffnet wurden, hereingekommen.«

Der Schultheiß gebot dem Rottmeister, kund zu thun, was ihm und seinen Leuten begegnet sei, und getreulich begann dieser Folgendes zu berichten: »Wie der edle Hauptmann Euch eröffnet,« sagte er, »so bin ich mit meinem Häuflein von dannen gezogen, da es gerade neun Uhr Abend sein mochte, und das Wetter drohte nicht das allerbeste zu werden. Wir gelangten auf Feld- und Hohlwegen in die Gemarkung von Bergen und kehrten ein in dem einzelnen Gehöft, das man gewöhnlich im Tannicht nennt. Versteckter hätten wir allerdings in der Martenschänke gelegen, die am Sandhügel steht, und wo man gemeinlich bessern Trunk erhält, obschon nicht immer die besten Kunden sich da zusammen finden. Aber vom Tannicht aus hatten wir den Sprünglinstein, so zu sagen, im Gesichte, wenn man also reden darf in der Nacht um die zehnte Stunde, wo der Mond gerade aufgegangen war und es stockdunkel wurde, daß man die Hand nicht vor den Augen sehen konnte, geschweige das Sprünglin, das vierhundert Gänge weit vom Tannicht liegt. Ein Knecht stand unfern vom Bannsteine auf der Wacht und Lauer. Die elfte Stunde kam heran und wir Alle waren noch recht wohl nüchtern, als der Wächter in das Gehöft sprang und meldete, es sei gerade jetzo von Bergen her ein Mann zu Gaule gezogen, der am Sprünglin abgesessen sei und dabei lustwandle. Wir demnach hinaus und umzingeln fein leise den Platz und schleichen uns näher an den verdächtigen Mann heran und sehen, daß er, den Gaul am Zügel, mit ihm hin und her geht, als ob's im schönsten Sonnenschein wäre, und er hätte einen guten Freund am Arme. Ich ging leise an ihn heran. »Gott verdamme das vertrackte Zögern und den vermaledeiten Regen!« hörte ich ihn fluchen. Er saß just auf dem Bannsteine, den Zügel seines Gauls um den Arm, und in seinem Gesichte konnt' ich nichts erkennen, als eine große Nase und einen Schnauzbart. Er fuhr in die Höhe, da er mich endlich gewahrte und antwortete auf mein barsches »Wer da?« mit einem drohenden: »Der Teufel, Kerl, wenn du dich nicht packst!« – Er machte eine sehr auffallende Bewegung, und ich denke, er hätte nach mir geschlagen, hätte ich nicht die Hellebarde blitzen lassen und gesagt, »er solle ja das Schlagen unterlassen, denn ich sei Rottmeister der edlen Stadt Frankfurt, und ein Rudel meiner Knechte sei nicht fern.« Da besann er sich freilich, setzte sich wieder auf den Bannstein und fragte, was wir von ihm zu begehren hätten. Ich sagte ihm nun für's Erste fein höflich, er möchte mir melden, was er um diese Stunde hier zu schaffen habe. – »Ich treibe Sternguckerei,« antwortete er und sah steif und fest nach dem Himmel, auf welchem, wohl zu merken, Wetterwolken genug zu schauen waren, aber um tausend Goldgulden kein Stern. Da ich ihm dieses nun bemerkte, so lachte er laut auf und sagte: »Wann Ihr blind seid, kümmert's mich nicht. Ich sehe einen Wald von Sternen, und laßt mich jetzo ungeschoren.« Es versteht sich, daß ich ging, denn mir war nicht aufgetragen, einem zu verwehren, sich am Sprünglin nach Sternen umzusehen. Doch schickte ich nach einer Weile einen Knecht an ihn mit derselben Frage, die ich gethan, und demselben erwiderte er, er sei, um frische Luft zu schöpfen, vom Hanauer Schloß herübergeritten und bedrohte den Frager mit einer Tracht Prügel, wenn er noch einmal käme. Dieser kam auch nicht wieder, aber ich schickte einen Zweiten, welchem der Nachtwandler den Bescheid gab: »Er warte hier auf seine Maid, die ihm ein Minnestündlein versprochen habe.« Zugleich aber fing er an, dem Knechte die Tracht Prügel zu geben, die er dem Andern versprochen hatte. Ich traute nicht, mich darein zu mischen, weil mir in den Kopf gekommen war, der Mann möchte wohl einer von den jungen Herren von Hanau sein, die ihrer verliebten Schwänke wegen in der ganzen Wetterau bekannt sind und mit denen einen Span zu haben nicht gut ist. Zudem blitzte und donnerte es redlich um uns her und es war gerathener, im Gesträuch zu liegen und zu passen. Während sich nun die Beiden am Bannsteine prügelten und ich vergebens dem Bastian pfiff und rief, umzukehren, so kommt schnell durch das Gebüsch geraschelt ein Weib im Regenmantel und Regentuch und prallt zurück, da sie beim Blitzschein uns erblickt. Ich, nicht faul, packe sie am Gewand und frage, wer sie ist. Sie hat mir kauderwelsch darauf geantwortet, und da sie in der That ein Weibsbild und mir nicht befohlen war, am Sprünglin eine Frau zu fahen; . . . da mir auch der Zusammenhang der Historie klar wurde, so fragte ich sie schlau und pfiffig, ob sie nicht ein Herrlein am Sprünglin zu besuchen im Begriff stehe, und auf ihre Bejahung ließ ich sie zum Bannsteine führen und sagte zu dem Reiter, der den Knecht noch immer an den Ohren hatte, er möchte doch einmal aufhören, denn hier sei ja das Weib, das er erwarte. Darauf ließ er den Bastian los und besah sich die Frau von oben bis unten und, da mir nicht befohlen war, ein paar Liebesleute am Sprünglin zu stören, so ließ ich meine Leute wieder unter die Bäume kehren, wo mir der scheltende Bastian vertraute, er wolle sich henken lassen, wenn der, mit dem er sich gerauft, nicht der Leuenberger gewesen. Das war dann nun verdächtig; denn der Leuenberger ist im Stadtbann und auf ihn hatte ich absonderliche Weisung. Drum rasch mit gefälltem Spieß gegen das Sprünglin zurück im hellen Haufen, und wir sahen, weil der Himmel von allen Seiten flammte, wie der Mann und das Weib noch auf der Matte standen und die Frau sich geberdete, als wollte sie verzweifeln. Was sie aber sprachen, hörten wir vor Donner und Getöse nicht, sondern schrien wie aus einem Halse: »Gieb dich, Leuenberger! Gieb dich!« – Wie wir jedoch also auf ihn anrückten und er Unrath merkt, so nimmt er das Weib auf den Arm, springt mit ihr und dem Gaule über einen Graben in ein Gerstenfeld und ruft uns zu: »Zurück, ihr Schufte, zurück, denn hier ist des Grafen von Katzenelnbogen Mark und Eigenthum, und er brennte die Stadt nieder, so Ihr sein Gebiet verletzt.« – Da half dann nun freilich nichts: Mit dem Grafen ist nicht zu spaßen, und da wir nur für das Sprünglin Auftrag hatten und es hier offenbar nur einen Liebeshandel galt, so blieben wir zurück, absonderlich, da uns ein wahres Mordgeschrei vom Tannicht her zu Ohren kam. Wie das wüthende Heer, trotz Blitz und Sturm, jagen wir zurück und fallen gerade in ein Gemetzel, das zwei verkappte und bewehrte Buben an einigen Leuten verüben wollen, die mit Leuchte und Haue und einem Pfaffen von Bergen gekommen waren, um bei Tannicht nach Schätzen zu graben. Hier war unsere Hilfe nöthig und wir schlugen auf die Räuber los, wie die Bären, ohne daß sie recht wußten, woher das neue Wetter kam. Der Eine wollte just dem Pfaffen an die Kehle, weil er Geld bei sich trug, der Andere balgte sich mit den beiden anderen Leuten herum. Den Ersten rannte ein Lanzenstoß, wie ich glaube, nieder, und dem Zweiten spaltete der Bastian, den der Leuenberger böse gemacht hatte, mit der Hellebarde den Kopf, daß er niederschlug, als hätte er nie gestanden. Zum Unglück verlöschte plötzlich im gewaltigsten Platzregen die schwache Leuchte und wir sahen, unter einander herumschlagend, beim nächsten Blitze nur, daß wir in Gefahr waren, uns selbst gegenseitig todt zu machen. Der Teufel mochte es länger im Freien aushalten. Es wetterte nieder, wie eine Sündflut, und wir, wie die Leute von Bergen, kamen wie gebadet in dem Gehöfte zum Tannicht an. Das Höllengestürme hörte indessen bald auf und wir suchten nachher in allen Richtungen auf dem Platze nach, aber keine Spur von den Erschlagenen war zu finden und sicher hat sie der Teufel während des fürchterlichen Donnerschlags geholt, der uns sammt und sonders unter Dach trieb. Während wir nun lange Zeit suchten und lugten, so sah Einer von uns, wie von fern ein Brand aufging und da wir drauf los eilten, so kamen wir gerade an die Martenschänke, die lichterloh brannte, dergestalt, daß sich Keiner von uns hinein wagte. Entweder war die Hütte ganz verlassen, oder alle Leute waren darin umgekommen, denn es war nichts zu hören als das Fauchen der Flamme und das Geprassel der Balken. Von dannen kehrten wir zur Stadt zurück.«

»Und habt bewiesen, daß Ihr trunkene Mannen gewesen, die man in der Folge nur zum Ochsentreiben aussenden wird!« versetzte der Schultheiß mit erkünstelter Strenge, obschon es ihm ergötzte, daß Diether's Hoffnung auf ein günstigeres Ergebnis getäuscht worden war; »Ihr, Hauptmann, hättet besser daran gethan, einen verständigeren Gesellen zum Führer zu wählen, als diesen breitmäuligen Erzähler, den der rohe Witz eines Gaudiebes dergestalt überlisten konnte. Mir thut es Leid« – fügte er aufstehend und gegen Diether gewendet hinzu – »daß Ihr um nichts gelehrter seid nach diesem Zuge und lade Euch ein, von diesem Handel abzubrechen, da ich Leute nahen sehe, die unsere Aufmerksamkeit anderweitig in Anspruch nehmen werden.« – »Sogleich,« entgegnete Diether finster grollend, »was ist aber aus dem Leuenberger geworden und dem Weibe, das zu ihm sich gefunden?« – »Traun, lieber Herr,« antwortete der Rottmeister verdutzt, »das mögen die Beiden am besten wissen. Hat sie nicht der Blitz erschlagen, werden sie wohl mit heiler Haut davon gekommen sein.« – »Dummkopf!« murrte Diether dem Fortgehenden nach und sprach dann vor sich hin: »bleibt mir denn eine Wahl der Gedanken und Vermuthungen? Margarethe war das Weib . . . und ihr bös' Gewissen hat sie von mir gejagt. O, ich stehe allein unter entmenschten Geschöpfen, gezwungen zu hassen, die ich liebe, ein verlassener, betrogener Greis!«

»Macht Euch auf Weiteres noch gefaßt,« sprach der Oberstrichter sanft zu ihm und Diether gewahrte beim Aufschauen das Gemach von Leuten angefüllt, in deren Kreise sich zu finden er sehr betroffen war. Da waren eingetreten, außer dem Richter in Amtstracht, der Barfüßermönch Reinhold, der Predigermönch Johannes, berühmt durch seine Gelehrsamkeit und seine Gemüthsvorzüge, der Edelknecht Gerhard von Hülshofen, welcher, blaß und abgefallen, kaum mehr zu erkennen war, und im Hintergrunde verweilten noch zwei langbärtige, schattenähnliche Gestalten, Jochai und sein Sohn David. Frei ging der hundertjährige Vater einher, aber schwere Ketten belasteten die Hände des Sohnes, dessen Blick indessen furchtlos war. Ganz zuletzt bemerkte Herr Diether an der Hand des Bettelmönchs einen Knaben, seinen Sohn.

»Hochwürdiger Herr,« sprach er bestürzt zu Reinhold, »wie kommt der Knabe hieher?« – »Ihr werdet's sehen,« antwortete der Mönch mit finsterm Blick und auch der Predigermönch schwieg mit mißbilligenden Mienen, da der Schöffe sich an ihn wandte. Der Knabe betrachtete den Hülshofen mit aufmerksamem Gesichte und unverwandt. – Nachdem der Knecht die Thüre verschlossen hatte vor dem Andrange des Volkes, das in dem Wahne stand, die Juden müßten heute zum Flammentode verdammt werden, begann der Oberstrichter, nachdem er Platz genommen und dem Schultheiß, dem Schöffen und den Ordensmännern Sitze angeboten, mit feierlichem Tone: »Es sind oft Dinge vor den Schranken des peinlichen Rechts anhängig, die es nöthig machen, daß man abgehe von der Weise des Herkommens. So haben wir denn beschlossen, heut', anstatt des geheimen und stillen Verhörs der angeklagten Juden, wobei dieselben doch immer auf ihrem Leugnen beharren würden, ein offen Verhör anzustellen, wobei alle Diejenigen erscheinen mochten, die schon in die Klage verwickelt sind, oder zur Aufklärung des Geheimnisses Theil daran zu nehmen wünschen. Jochai und David sind angeklagt auf Haut und Haar, ein Christenkind gemartert und ermordet zu haben. Der Edelknecht von Hülshofen ist mit reuigem Muthe geständig, einen Knaben an den Juden David verkauft zu haben, um wenige Turnosen, doch leugnete es der Jude ab und sollte heute, nach langen, leeren Drohungen wirklich auf die Folter gesetzt werden, als sich gestern plötzlich ein Umstand ergeben, der die Sache verwickelter, die Klage trügerisch und dennoch den Gegenbeweis nicht leichter macht. Der Junker von Hülshofen hat auf seinen Eid geschworen, in diesem Knaben den erkannt zu haben, welchen er an den Juden David verhandelt hat. Dieser Knabe ist Herrn Diether Frosch, des Schöffen Söhnlein, oder wird dafür gehalten. Um in's Klare zu kommen, soll der Kleine in seines Vaters Gegenwart befragt werden.«

Mit vieler Milde richtete der Oberstrichter Fragen an den Knaben, die dieser so beantwortete, daß kein Zweifel übrig blieb, daß er es wirklich gewesen, welchen Gerhard gefunden. – »Mit Verlaub, gestrenge Herren,« betheuerte der Edelknecht nach ergangener Aufforderung; »der Henker soll mein Wappen unterm Galgen zerbrechen, wenn das nicht der Bube ist, von dem ich sprach. Nicht wahr, mein Junge? In meinem Mantel hast du geruht . . . vor meinem Barte bist du erschrocken . . . und mit dem schäbigen Juden dort, dem zerfetzten Haman, bist du gegangen? Sag's frisch heraus und Ihr, meine Herren, könnt Ihr noch an der Wahrheit deuteln, da der Bube bejaht? Bin ich nicht jetzo vor Kummer, Reue, betrübter Haft und schmaler Kost ein rechtes Charfreitagsgesicht geworden? Und dennoch kennt mich der Bube und entsinnt sich meiner. Nicht wahr, mein kleiner Hans?« – Der Knabe bekräftigte so gut er's vermochte, des Edelknechts Behauptung. Gerhard suchte von dem Augenblicke Nutzen zu ziehen und sagte demüthig: »Nun, Ihr Herren, wäre ich im Reinen. Reu' und Leid thue ich von Herzen und will auch die Armen reichlich bedenken, so Ihr mich von hinnen laßt. Ihr seht, der Bube ist ein Christenbube geblieben und in reiche Sippschaft gerathen. Ich wasche meine Hände in Unschuld. Der verdammte Jude, der von meiner Trübsal Nutzen zog, mag es entgelten. Spart nur die Folter nicht an dem Hunde, bis er bekennt, was er mit dem Knaben vorgenommen, bis er ihn so weit gebracht. Mich jedoch laßt ziehen mit Verlaub.« – Ein ernster Blick des Schultheißen brachte den Schwätzer zum Schweigen und der aufgerufene Jochai bezeugte mit zitternder Stimme: »Dieser sei wirklich der Knabe, den einst David in sein Haus gebracht, aber auch wieder von dannen geschafft habe, ohne zu sagen, wohin.«

Ben David trat nach ihm vor und sagte bescheiden und ruhig: »Mir soll Gott helfen . . . das ist das Jüngelchen, leibhaftig, und ich will nicht leugnen fürder.« – »Aber bei den Wundern des Herrn!« fuhr Diether auf, »wie verwickelt sich denn plötzlich meines Hauses Ehre mit diesem ekelhaften Judengesindel? Was ist da vorgegangen? Wer ist der Knabe? Ist dieser Bube mein Sohn . . . ist er's nicht? Rede, verruchter Menschenkäufer!« – Der Schultheiß lächelte tückisch und hing mit den Blicken an Ben David's Antlitz, welcher sich ruhig neigte und laut erwiderte: »Bei der Hoffnung Israels! Euer Sohn ist's, Herr, Ihr mögt's glauben!« – »Gelobt sei doch der Herr, unser Gott, und gepriesen, daß er endlich aufgethan den Mund des Stummen!« betete Jochai aus dem Grunde seines Herzens und umarmte den Sohn, welcher die weitern Fragen des Richters, wie des Schöffen erwartete. – »Aber . . . bei den Märtyrern!« begann der Letztere mit unruhig pochender Brust . . . »ist der Bube mein . . . wie kam er nach Worms, wie in deine Hände, Jude? Hast du begonnen, die Wahrheit zu reden, so vollende auch oder bekenne, daß du in diesem Augenblick gelogen. An deinen Worten hängt Schuld oder Unschuld meines Eheweibes.« – »Daß Frau Margarethe rein in dieser Sache war, wie der Abendstern, bekräftige ich mit meinem priesterlichen Worte,« entgegnete Reinhold wichtig und vernehmlich, ohne sich durch des Schultheißen drohendes Antlitz außer Fassung bringen zu lassen; »es ist an der Zeit, daß Ihr endlich von Euern verderblichen Irrthümern wiederkehret zum Vertrauen, Herr Diether. Gerade nicht die, die Ihr haßt, wollte Euern Gram und Verderben, sondern die, die Ihr unverdient geliebt. Es thut mir weh, daß ich hier das Vergehen einer unnatürlichen Tochter aufzudecken habe, allein die Wahrheit soll man sagen ohne Menschenfurcht. Eure Tochter Wallrade, von Haß entbrannt gegen eine Stiefmutter, die ihr Erbe und Vaterliebe zu schmälern schien, hat Euer Kind aus Willhild's, der Pflegerin Hütte gestohlen, und mit sich gen Worms geführt auf ihrer Fahrt gen Costnitz. Dort hat sie den Knaben ausgesetzt und ihn schlafend auf der Straße verlassen. Gott wollte, daß dieser Mann das Kind finden mußte und sich dessen annahm, und der Jude, der den wohlbekannten Sohn einer Frau, die ihn im Handel günstig stets bedacht hatte, in dem Buben entdeckte, säumte nicht, ihn zu erkaufen und der zum Tod betrübten Mutter heimzubringen. Zu den Füßen derselben hatte sich indessen die trostlose Willhild geworfen und sie angefleht, ihre Sorglosigkeit nicht dem Zorne des Vaters preiszugeben. Um der Verzweifelten zu schonen und des Vaters Herz nicht zu brechen, schwieg die barmherzige Mutter und verbarg ihren Gram in sich. Allein ihr Gebet war eifrig und blieb nicht unerhört. Aus den Händen eines verworfenen Hebräers ließ er für Euer Haus das Heil erwachsen und den Knaben wieder hervorgehen. Und als endlich durch Wallradens Erscheinen im Vaterhause der leise genährte Verdacht, daß sie des Knaben Räuberin gewesen, bestätigt wurde durch ihr Erschrecken bei seinem unverhofften Anblick, durch des Kindes Sträuben gegen sie, die ihn mißhandelt hatte. und durch dessen eigene kindliche Geständnisse . . . da zeigte sich dafür die Tugend Margarethens in ihrem schönsten Lichte. Sie verbot der eifrigen Willhild, die Euch, edler Schöffe, in's Geheimnis ziehen wollte, jede Einmischung; sie verzieh großmüthig der bittern Feindin, sie schwieg, um nicht des Vaters Herz von der Tochter zu reißen und ahnte nicht, daß der unseligste Argwohn so bald ihren Frieden trüben würde. Verkannt duldete sie jede Kränkung und schwieg und floh lieber das Haus ihres Eheherrn, um nicht vor den Schranken des Gerichts eine Tochter anklagen zu müssen, die sie lieben möchte. Da aber nun plötzlich die Dinge und der böse Handel dieser Juden eine solche bedauerliche Wendung nehmen und das ehrliche Haus eines wackern Altbürgers mit in den Strudel der Verworfenheit hinabzureißen drohten, konnte und mochte ich nicht länger schweigen und entdeckte, um die Abwesende zu vertheidigen, lieber frei und offen, was sie mir, nicht unter dem Siegel der Beichte, wohl aber im engsten Vertrauen längst geoffenbart.«

Der Mönch hielt inne mit seiner Rede, die er mit stürmischem Eifer vorgetragen hatte. Diether sah starr auf den Knaben, der sich an die grobe Kutte des Mönchs schmiegte; der Oberstrichter kaute an den Nägeln, der Schultheiß lehnte sich, ein ungläubiges Lächeln auf dem Antlitz, in den Sessel zurück. – »Und was sagst du, Jude?« fragte der Oberstrichter endlich den harrenden Ben David. Dieser zuckte die Achseln und entgegnete: »Was fragt Ihr doch nach meinem Gezeugnisse, gestrenger Herr, da schon der gelehrte und heilige Mann dort gezeugt hat und geredet?« – »Welche Widersprüche!« rief der Schultheiß. »Mit Erlaubnis, hochwürdiger Herr; allein wie mag's geschehen, daß der Jude geschwiegen bis jetzt?« – »Das möge er selbst verantworten,« versetzte Reinhold mit scharfem Seitenblick auf Ben David. Der Letztere nahm auch alsobald das Wort: »Ich habe gehandelt recht, da ich den Buben zurückgab der Mutter und das Recht ist ein gut Kopfkissen im Thurme sogar. Ich habe auch immer gehofft, wir würden sein gerettet durch der ehrsamen Frau Margarethe Beistand, und nicht verlassen hätte mich diese Zuversicht bis zum Ende. Darum habe ich nicht genannt ihren Namen vor dem Gericht, weil ein edler Name nicht gehört davor.« – »Schurke!« murmelte Gerhard zwischen den Zähnen, »ich wollte, mein Name wäre auch hier nicht genannt worden.« – »Ihr habt freilich nicht am Vorteilhaftesten Euch ausgezeichnet,« meinte der Oberstrichter; »allein ohne Euer Zeugnis wäre das Ganze nicht enthüllt worden, denn niemand, auch Frau Margarethe nicht, konnte ahnen, daß von diesem Knaben gerade die Rede sei, in der Anklage gegen die Juden. Aber, erklärt uns lieber, Junker von Hülshofen, wie es wohl geschehen sein mag, daß der Sohn des ehrsamen Schöffen, der junge Dagobert, den kleinen Stiefbruder nicht erkannte, da er doch bei dem Funde gegenwärtig gewesen, wie Ihr behauptet habt.« – »Ei, Herr,« antwortete Gerhard, begierig, sich so schnell als möglich aus dem Handel zu wickeln, der einen überraschend guten Ausgang für ihn darzubieten schien, »das geschah am Martinsabend, wo wir Alle nicht recht im Stande gewesen wären, unsere Väter und Mütter zu erkennen, geschweige unsere Brüder. Daß der Jude den Buben erkannte, am folgenden Tag nämlich, – das glaube ich recht gern, er war betroffen; aber die Hoffnung, Gewinn zu ziehen, machte ihn schweigen, damit ich ihm nicht etwa zuvorkäme, ich begreife das.«

»Mich freut es ungemein,« hob hier der Predigermönch Johannes an, der bis jetzt keine Silbe zu dem Gespräch gegeben hatte, »daß durch des Junkers Aussage mein guter Dagobert von jeder Mitwissenschaft an dem dunklen Gewebe dieses seltnen Menschenkaufs freigesprochen wird. Ein teuflischer Unhold scheint sich seit kurzer Frist Mühe gegeben zu haben, alles Unheil über dem Haupte Dagoberts, des Schuldlosesten aller Menschen, zusammenzublasen, und sein eigener Vater sogar hat an die Lügen der Leidenschaft und des Zufalls geglaubt. Deshalb habe ich mich aufgemacht von meiner Zelle, um hier ein Wort der Sühne für den Zögling zu sprechen, der – abwesend – nicht selbst seine Sache zu führen vermag; denn ich kenne sein Herz – ich habe es gebildet; ich darf – ich kann – ich muß mich für ihn verbürgen.« – Reinhold schaute, während Diether vor der Hoheit des beredten Priesters die Augen niederschlug, den Mann eines verhaßten Ordens scharf von der Seite an und sprach: »Das mögt Ihr allerdings, gelehrter Herr, aber hier handelt sich's um andere Dinge, um dieses Knaben Wohlfahrt, um die Unschuld seiner Mutter.« – »Rede, Hans!« hob nun mit einem tiefen Athemzuge Diether an und nahm den Buben freundlich bei der Hand: »Sage uns selbst, mit eigenem Munde, wer dich davon geführt hat von Willhild.« – Der Knabe sah ihn fragend an. – »Wer verließ dich zu Worms?« fügte der Oberstrichter bei. – »Ei, die schwarze Mutter!« antwortete das Kind. »Sie hat mich erbärmlich geschlagen und dann auf der Gasse liegen lassen, da ich schlief. Der Mann hier hat mich darauf zu sich genommen.« – »Ganz recht, Knabe,« versetzte Reinhold, »wer ist aber die, die du eine schwarze Mutter nennst?« – »Schwester Wallrade ist's,« entgegnete Hans nach kurzem Besinnen. »Da sie wieder kam und mich küssen wollte, hatte sie ein roth Röcklein an – ich habe sie aber doch wieder erkannt.«

»Wer ist dein Vater, Knabe?« fragte der Schultheiß plötzlich und scharf. Der Knabe stutzte ob der heftigen Anrede, aber ein ermunternder Händedruck des Paters an seiner Seite gab ihm Muth und er deutete scheu und verzagt auf Diether. – Also ist die Gewalt eines liebevollen Herzens, das gleichsam wider Willen von Groll umsponnen wurde, daß der geringste Anlaß den Geist der Liebe wieder darinnen mächtig weckt. Diether erfuhr es in diesem Augenblicke. Die scheue – man möchte sagen – sklavische Geberde des Kleinen gewann ihm plötzlich die Zärtlichkeit des Alten, weil es demselben schmeichelte, dadurch vor der Welt sein Recht, das er selbst beinahe im Argwohne aufgegeben, behauptet zu sehen. Er zog den Buben an seine Brust, küßte ihn und rief: »Ja, ja, du armer kleiner Hans! du sollst den Vater nicht länger missen.« – »Das ist dein Vater also,« fiel der Schultheiß ein, welcher gar zu gerne den Knaben auf einem Fehlwort ertappt hätte, »wer aber ist Dagobert?« . . . »Mein lieber Bruder!« erwiderte Hans vergnügt und munter. – »Und Frau Margarethe? . .« fuhr der Versucher fort. – »Mein liebes, liebes Mütterlein!« hieß die unbefangene Antwort und der Schultheiß sprang auf mit den Worten: »In Gottes Namen denn! Selig sind, die da glauben und nicht sehen!« Diether sah gehässig auf den Unmuthigen, der zum Fenster trat und wandte sich dann zu dem Oberstrichter und den geistlichen Herren. »Gewisse Vorfälle,« sprach er, »die sich während meiner Tochter Anwesenheit zwischen ihr und dem Knaben ereignet, sowie die Aussagen des Kleinen, bestimmen mich schier, an die Gewißheit der Aufklärung, die Ihr gegeben, würdiger Pater Reinhold, zu glauben. Ich danke Euch mit zerknirschtem Herzen dafür, denn ich beginne mein Unrecht einzusehen und verzeihe sowohl dem Junker von Hülshofen, als auch dem elenden Juden hier, daß sie mit meinem Blute einen elenden Handel getrieben. In diesem Augenblicke schmerzt mich nichts mehr, als daß meine Wirthin einen Schritt gethan, der ihr nicht erlaubt, selbst hier das Gesagte zu bekräftigen. Willhild, welche um die Sache vollkommen wissen muß, hat sich am zweiten Tage nach Wallradens unbegreiflichem Raube, auf eine weite Wallfahrt begeben und ich habe nichts von ihr gehört; allein Wallradens Zofe, unstreitig eine Vertraute des Frevels, ist in diesen Mauern und sie ist es, die Ihr gefangen haltet, Herr Schultheiß, weil sie das Unglück hatte, von Euern Häschern für eine Andere gehalten zu werden.«

Der Oberstrichter zog die Schelle und befahl, die Magd aus dem Gefängnisse zu holen. Inzwischen naheten sich die beiden Juden dem Oberstrichter ehrfurchtsvoll und küßten den Saum seines Gewandes und Jochai hob an: »Gestrenger Herr! Großer Richter über uns. Ihr habt mich gewürdigt einer großen Barmherzigkeit, für die Euch des gepriesenen Gottes Herrlichkeit wird segnen, denn Ihr habt seit geraumer Frist geschont mein weißes Haar, gespeist meinen Leib und das Oel der Gnade gegossen in die Wundmale, die ich an mir trug von den Ketten der Gefangenschaft. Laßt ausgehen diese Barmherzigkeit nicht minder über meinen Sohn, weil er auch schuldlos ist, damit er nicht verkümmere und verkrumme im Elend.« – »Was soll das Gewäsch?« fuhr der Oberstrichter mit Härte auf. »Mit deinem Alter hatte ich Mitleid und weil . . .« der Oberstrichter verschluckte, was er sagen wollte. Kurz darauf fuhr er indessen mit der obigen Härte fort: »Was wollt Ihr denn? Ihr seid nicht gerechtfertigt, nicht frei. Eine Anklage, wie die Eurige auf Haut und Haar, wird nicht aus der Luft gegriffen sein. Einen Buben mögt Ihr verkauft, einen Anderen gemartert haben und Euer Antheil an der Blutzapfer entsetzlichen Greuel ist unleugbar. Gesteht darum lieber, denn der Folter werdet Ihr nicht entgehen, ich schwöre es Euch.« – »Peinigt uns doch nicht!« bat Ben David. »Mein Vater ist rein wie der Schnee und ich nicht weniger schuldlos an den Gräßlichkeiten, die man mir aufgebürdet. Aber wir würden Beide bekennen das, was nie geschehen, unter den Martern der Folter. Sollen wir denn verwirken das Leben durch ein gezwungen falsches Geständnis?« – »Ausflüchte,« schalt der Oberstrichter, »schon zu lange hat die Untersuchung gedauert. Es muß zu Ende gehen, so oder so. Die Kerker liegen voll. Wir haben Eile.« – »Ei, ehrsamer Herr,« sprach hierauf der Predigermönch, der sich in das Gespräch mischte, »frommt denn die Eile im Blut- und Königszwang? Gibt es denn Fürchterlicheres als einen Richterstuhl, vor welchem die Sandkörner ängstlich gezählt werden, weil das Urtheil nach dem Falle einer gewissen Zahl derselben gefällt werden muß?« – »Jedem das Seinige, hochwürdiger Herr,« antwortete der Oberstrichter kalt, »Ihr seid ein Held auf der Kanzel, laßt mich auf dem Richterstuhle gewähren. Euch mag ein Sünder, der aus seiner Verstocktheit zurückkehrt zum Heil, angenehmer sein als tausend Gerechte, die nie gestrauchelt sind, denn die göttliche Milde spricht durch Euern Mund zu uns. Wir aber sind die Diener weltlicher Macht und das Schwert ist in unsere Hand gegeben, damit wir es gebrauchen und besser ist's, wenn zehn Unschuldige fallen, als daß ein Schuldiger aufrecht stehen bleibe.« – »Gräßlicher Grundsatz,« seufzte Johannes, während die Juden sich bekümmert ansahen, »eine Vorschrift, die der heimlichen Acht würdig wäre, welche den Stab ohne Unterschied über jeden bricht, der einen feindlichen Kläger gefunden hat.« – »Wißt Ihr das so genau?« fragte der Oberstrichter mit seinem Lächeln. »Ein Glück ist's, daß Euer Gewand Euch sicherstellt vor der Vehme, sonst möchtet Ihr doch ob solchen Reden Ungelegenheit erfahren.« – »So laßt, um ehrlich und redlich zu verfahren,« – fiel Johannes ein, – »zum Nutzen und Frommen dieser armen Leute, die wenn gleich Verirrte, dennoch Menschen sind, jetzt alsobald, um wenigstens den Handel über diesen Knaben in Ordnung zu bringen, die Ankläger vorfordern und mit dem Kinde zusammenstellen, damit sie aussagen, ob es dasjenige wirklich sei, das damals in des Juden Haus erschien. Auf das Zeugnis der stummen Grete wäre noch am ersten zu bauen, denn der getaufte Jude soll Zorn und Haß gegen seinen ehemaligen Meister hegen und dies macht seine Klage verdächtig.«

»Ei, das hebt sich auf,« antwortete der Oberstrichter, »diese Juden haben sich nicht entblödet, Abscheuliches von ihrem ehemaligen Glaubensbruder zu berichten. Die Magd, von der Ihr redet, ist während der Zeit gestorben und Friedrich steht allein gegen die Juden, aber um so wichtiger und bestimmter ist seine Klage, die durch ihre Umständlichkeit jeden Zweifel niederschlägt, und dann verdient sein Wort ein unbedingteres Vertrauen, weil ihn der Himmel so sichtbarlich erleuchtet hat durch seine Gnade und er gleich uns den Erlöser verehrt, den diese Hunde leugnen.« – »Ach!« seufzte der Mönch, »gestrenger Herr! Der Buchstabe nicht und nicht das Wort macht lebendig, denn Beide sind nur ein leerer Schall, wenn sie der Geist nicht belebt. Eben so wenig als unsere Psalmen, an der Bahre eines Todten gesungen, wieder Athem hauchen in dessen Brust – eben weil sie todt und starr ist – eben so wenig wird im Glauben derjenige leben, welcher nie im Glauben wandelte. – Indessen,« setzte er mit einem leichten Uebergange hinzu, – »will ich nicht an der Bekehrung dieser Beiden hier zweifeln, da der eifrige Vater Reinhold bereits sein Werk mit ihnen begonnen und schon die vorige Nacht mit ihnen im Kerker zugebracht.«

Jochai schauderte zusammen bei dieser Vermuthung und Ben David schüttelte unwillkürlich und fast unmerklich den Kopf. Indem ging die Thüre auf und der abgeschickte Rathsknecht kam eilig herein und ging verstört auf den Oberstrichter zu, den er geschäftig auf die Seite zog. – Ben David bückte sich mittlerweile vor dem gelehrten Johannes und küßte den Aermel seines Gewandes, obgleich ihn Jochai von dieser, eines eifrigen Juden unwürdigen Handlung zurückzuhalten versuchte. »Ihr seid ein Mensch!« sprach er bewegt, mit nassen Augen, »der hochgelobte Gott lohne Euch Euer mildes Mitleid, denn Ihr geht einher, wie der Fürst der Barmherzigkeit. Euch sind wir keine Fremdlinge, wie unser Name es nennt, und Ihr seid es nicht für uns, weil Ihr achtet unser menschlich Angesicht und versteht unsere Sprache, denn wir wissen gar wohl, daß Ihr das Buch Hiob entbunden habt aus den Ketten fremder Zunge und es gelegt habt auf die Lippen der Deutschen;Der Predigermönch Johann von Frankfurt hat wirklich das genannte Buch übertragen. und auch wir kennen den Mann aus dem Lande Uz und auch über unserm Haupte hat geleuchtet die Leuchte des Herrn, und gleich ihm ist sie uns ausgegangen in der tiefen Finsternis, wo wir denn hilflos tappen, wenn nicht eine Freundeshand uns führt wie die Eure.« – Der Mönch wollte soeben die Lobrede des Juden unterbrechen, als der Oberstrichter mit lauter Stimme durch das Gemach rief: »Der Thürmer muß in's Wasserloch. Bei den Wunden des Heilands! Die Dirne entwischen zu lassen. Lieber Freund! die Zofe des Fräuleins von Baldergrün, wie der ehrsame Schöffe hier die Dirne nennt, ist entsprungen sammt ihrem Kinde. Ein neuer Beweis für des hochwürdigen Vaters Reinhold Angaben; die Magd hat dem Wetter nicht getraut und das böse Gewissen hat ihre Fersen leicht gemacht.«

»So komm' denn, mein Sohn!« sprach Diether zu dem Kleinen, den er liebreich auf den Arm nahm, indem er dem Pater Reinhold die Hand reichte, »habt Dank, wack'rer Mann, für Euern Zuspruch. Ich will Alles aufbieten, die Verlorene wieder zu finden, und bewährt sich ihre Unschuld, wie Ihr sie verbürgt, so soll sie wieder die Meine sein, wie ehedem.« – »Lieber Herr,« flüsterte Gerhard dem Lehrer Dagobert's zu, »sprecht doch ein Wörtlein zu dem Richter, daß er mich mindestens in Stadtgewahrsam versetze. Ich will zur Stechlanze werden, wenn ich länger die verdammte einsame Haft aushalte.« – »Sohn, Sohn,« sprach indessen Jochai schmerzlich zu Ben David, »du wirst sehen, sie geben ihn los, der Schuld ist am ganzen Handel, und uns sperren sie ein in härtere Gefangenschaft.«

Noch hatte Johannes keine Zeit gefunden, das erbetene gute Wort zum Oberstrichter zu reden, als der ganze Schauplatz mit einem Male eine andere Gestalt gewann. Denn wie Sturmes Brauses tobten Menschenstimmen und Menschentritte über die Gänge und der Thürsteher meldete athemlos, daß ein Volksmeer das geräumige Haus überschwemme. An der Spitze der anstürmenden Haufen ziehe eine häßliche, aber rüstige Dirne heran, über deren Haupt ein schwarzes Tuch herabhänge und welche wie begeistert zu dem Volke rede und dasselbe auffordere, unverzagt voran zu gehen. – Der Schultheiß ging dem tobenden Menschenstrudel entgegen, vor welchem soeben die Flügelpforten des Gemachs aufgehen mußten. In die Stube quollen die ersten des Haufens; in ihrer Mitte Judith, aus deren Zügen, Gang und Geberden ein heftiger Schmerz und eine wilde Entschlossenheit sprach, welche vor der unnachahmlichen Hoheit des Schultheißen nicht verstummte. – »Richter und Herren dieser Stadt!« rief sie mit starker Stimme. »Da Ihr zu hören vermögt, so hört, was der Herr von mir begehrt hat, Euch wissen zu lassen!« –Die auffallende Erscheinung des Mädchens fesselte jede Zunge und Judith fuhr fort: »Lasset los, die Ihr gebunden und fanget diejenigen, so Ihr frei gelassen, denn ich will das Gewebe der Lüge zerreißen, da es noch Zeit ist. Also spricht der Herr, unser Gott: Ich will nicht, daß Verirrte den Tod leiden sollen, da sie doch nichts Todeswürdiges verschuldet haben. Ich begehre aber, daß das Blut gerächt werde an dem Blute des Schuldbewußten. Lasset darum los diese Juden, denn es ist kein Fehl an ihnen und ihr Ankläger allein ist der Frevel voll, ein gerüttelt Maß.«

»Ist das Weib wahnsinnig?« fragte der Oberstrichter heftig, da der Schultheiß nur Blicke des Staunens hatte, welche aber die entschlossene Judith nicht aus der Fassung brachten. – »Lüge ist Wahnsinn,« erwiderte diese Letztere stark, »aber Wahrheit ist gesunder Sinn. Der ewige Lügner hat Euch angesteckt; hört mich jedoch an und Ihr werdet genesen.« – Das umstehende Volk, welches schon durch die Gassen der Stadt der Rednerin gefolgt war und aus ihrem Munde Worte vernommen hatte, deren Sinn es sich nicht zu deuten wußte, gewann nun Ehrfurcht vor der Kühnen, welche mit den Vätern der Stadt eben ohne Scheu und Zurückhaltung redete, wie zu ihm, und die Rathsherren, die nach und nach in dem Gedränge sich einfanden, Bürgermeister und Schultheiß an der Spitze, achteten bald die Ueberspannung der Dirne für keine Tollheit mehr und forderten sie auf, endlich herauszusagen, was sie auf dem Herzen trage. – Diese Aufforderung klang wie Himmelsmusik in Judith's Ohr und sie begann freudig: »Euer Wille, edle Herren, ist mir Gottes Stimme. So hört denn zu, wie ich beginne vor allem Volke, im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes!«

Langsam beginnend, aber immer schneller vorschreitend, – immer beredtsamer werdend durch die Anspannung seiner Gedanken und Kräfte, entwickelte das muthige Mädchen vor den Augen derer, zu welchen es redete, eine lange Reihe von Greuelbildern, deren Wiege ihr väterlich Haus gewesen war, eine traurige Kette von Freveln, deren Schauplatz die berüchtigte Schenke, deren Grab das dunkle Moor geworden. Die Zuhörer bebten bei dieser furchtbaren Rechnung und schauderten, als sie erfuhren, daß in jenem abgelegenen Winkel die Herberge jener entsetzlichen Mörder gewesen, unter deren Dolchen seit langen Jahren die ganze Umgegend gezittert hatte. Noch höher stieg ihre Abscheu, da endlich aus diesem Gewirr von gräßlichen Thaten eine Gestalt aufdämmerte, deren Scheußlichkeit Alles überbot, was in gewöhnlichen Diebeskreisen gefrevelt wird; ein Riesenmann an Blutgier und Mordsucht. Alle Augen richteten sich auf Ben David, da Judith diesen Hauptmörder anfänglich mit dem Namen »der Jude« bezeichnete, aber alle Augen flogen furchtsam und beschämt vor dem ruhigen Blicke Ben David's zur Erde, als Judith Zodick's Namen nannte, unnachsichtlich jedes Bubenstück enthüllte, dessen Zeuge sie gewesen war, als sie Ben David von jeder Gemeinschaft mit den Räubern freisprach; als sie erzählte, daß Zodick des Schöffen Mord unternommen, daß Zodick den Schmuck der bedauernswerten Wittib des Bürgers von Friedberg um seiner Kenntlichkeit willen in Ben David's Keller verborgen, – eine That, deren sich der Niederträchtige nachher noch oft bei Trunk und Scherz gerühmt, daß Zodick endlich die Wurzel des Truggespinstes sei, welches Jochai und Ben David bisher im Kerker gehalten. Da sie nun endlich an die letzte Schreckens-Begebenheit in ihres Vaters Hütte kam, – an das Elend, das dort gewaltet . . . an die Leichen, die der Brand, von den Händen des Ungeheuers entzündet, zu Asche gebrannt hatte . . . da mochte ihre Stimme versagen, denn sie dachte daran, daß sie nie ihrer Erzeuger in Liebe gedenken könne und daß sie gehalten sei, statt einer kindlichen Todtenfeier, ihre Laster und Verbrechen schonungslos zu enthüllen. Und als – nachdem eine lange Stille vorüber und das darauf folgende Gemurmel der Menge verrauscht war – der Oberstrichter sie ernst und mahnend fragte, ob dieses auch Alles wahr sei und warum sie nicht früher diesen Schurken Einhalt gethan, durch ein offenes Geständnis? da antwortete sie mit wehmüthigem Vorwurf: »Ihr vergeßt, ehrsamer Herr, daß es mein Vater und meine Mutter waren, die an der Spitze jener Horde standen. Die, denen ich das Leben verdanke, auf das Rad zu bringen, hätte ich nicht vermocht. Ihr gestriges Schreckensende hat mich frei gemacht, und ich schwöre beim Himmel und all' seinen Heiligen, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Oft habe ich angstvoll mit meiner Kindespflicht gerungen wie Jakob mit dem gewaltigen Herrn. Aber die Verbrecher blieben doch immer meine Eltern. Die Natur hat ein Schloß vor meinen Mund gelegt und gestern erst hat der gnädige Herr es aufgethan. Darum verachtet nicht die einfältige Rede, so ich gesprochen, und lasset leben, die da ohne Fehl sind und lasset sterben den, der den Tod verdient hat.« – Judith schwieg erschöpft und schlug die Augen nieder vor den dankbaren Blicken, welche die Juden auf sie richteten. Die Meister des Raths standen indessen noch mit gefalteten Stirnen in tiefes Nachsinnen verloren und der Schöffe Diether war der erste, welcher die Sprache wieder fand und ausrief wie ein von schwerem Traum Erwachender: »Gottlob! Gottlob! Gräßlicher Argwohn fällt stückweis' ab von meiner Brust. Gesegnet seist du, muthige Magd, die da eingetreten ist zu rechter Zeit!« – Der Priester Johannes wendete sich an die Vorsteher der Stadt. »O, redet ein mildes Wort,« sagte er bewegt, »seht diese armen Leute, welche zitternd dastehen und selbst nicht begreifen können, wie ihre Unschuld so schnell an den Tag gekommen. Wenn auch ihre Fesseln jetzt noch nicht fallen dürfen, so erleichtert sie ihnen doch durch ein Wort des Trostes und der Hoffnung. Viel Freude und Glück ruht auf den Lippen der Mächtigen, wenn sie es aussprechen wollen gegen das Elend.« – »Die Dirne muß beweisen, was sie vorgebracht,« entgegnete der Oberstrichter, »oder die Zeit beweise und bürge für sie. Ich habe ausgesandt nach Friedrich und wehe ihm, wenn sich Alles so befindet, wie dieses Weib gesagt.«

»Der Mörder ist eine schlaue Natter,« versetzte Judith; »er wird sich hüten, in die Falle freiwillig zu gehen. Hier sind aber meine Hände, damit man sie binde. Freudig will ich den Kerker beziehen und keine Schmach daran finden, denn der Herr, der mich hierhergeführt, wird mein und dieser Armen nicht vergessen, als ein rechter Richter und Helfer der Waisen. Er wird die Hand des Gottlosen zerbrechen und aufstehen zu unserer völligen Rettung!«

Ein Wink des Oberstrichters beendigte den ergreifenden Auftritt. Judith wurde zu leichter Haft in das Haus der Reuerinnen gesendet und die Juden in den Kerker zurückgeführt. Judith wurde von einer jubelnden Menge begleitet – Jochai und Ben David waren von einer lautlosen Volksmasse umgeben, die ihren Schritten wie mit einer innern Beschämung folgten. Auch die Herren vom Gerichte theilten diese stille Scham und mancher beklagte nun im Geheimen die Schmach, die den Untadelhaften widerfahren war. Ben David sagte aber mit freudethränenden Augen zu Jochai: »Nun, Raaf? was sagst du nun? Die Leuchte des hochgelobten Gottes ob unserm Haupte beginnt wieder zu brennen und des Herrn Finger ruht auf uns. Gepriesen sei der Gott Abrahams, der die Hütten Jakobs beschirmt, der den Bösen versenkt in die Grube, die er selbst gegraben.« – »Preis ihm und Dank ihm,« antwortete, den Kopf wie beim Gebete neigend, der alte Jochai; »sein guter Segen wird salben unser Haupt mit Balsam und sein Fluch verderben den Feind; – aber wie wird es geschehen mit Esther, unserer Tochter? Mir will zersprengen die Brust, so ich an sie denke. Sie irrt umher in Amalek, gerathen unter die Hände des Gottlosen, woraus sie errettet worden, um vielleicht zu fallen in ärgere Stricke.« – »Vertraue, Raaf,« erwiderte Ben David, ob er gleich sein eigen kummervolles Antlitz nicht bergen konnte. »Vertraue! Auch sie wird unverletzt wiederkommen zu uns und werden unsere starke Stütze. In dieser Zuversicht will ich betreten mein Gefängnis, wie ein König seinen hohen Saal und mich niederlassen auf mein Strohlager, wie auf das köstliche Bette des Passah, denn mein Herr ist wieder mit mir und die Hilfe in der Noth und der Glaube, daß wir noch schauen werden das Glück im Lande der Lebendigen.«

Sie standen an der Thüre ihres Thurmes, und Jochai segnete den Sohn. Nach langer, von Jubelthränen gefeierten Umarmung trennten sie sich seufzend, aber Beide traten, wie mit Kronen geschmückt, in ihre Gefängnisse, Beide hatten eine herrliche Begleiterin in ihrem Gefolge: die Hoffnung, die frisch und grün bekränzte Hoffnung!


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