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Ben David stand einige Tage nachher eines Morgens zum Ausgehen bereit, als Zodick in feiertäglichen Kleidern zu ihm in die Stube trat. Verwundert ob diesem Aufzuge und dem gespreizten Wesen des Schachergehilfen, befragte ihn der Herr nach der Ursache. »Ich komme bei dir zu freien um deine Tochter,« erwiderte Zodick. »Du weißt, Herr, welch ein Vertrag dich gebunden hat an meines Vaters Wunsch, auf dessen Andenken der Friede sei. Die Zeit ist geflossen dahin, während welcher ich dienen mußte nach dem Beispiele des Erzvaters. Ich habe den Lohn verdient, den wir ausgemacht, und die Perle, die ich wachsen sah, soll mein sein.« – Ben David schwieg mit sichtlicher Ueberraschung eine Weile, dann antwortete er: »Das siebente Jahr ist noch nicht zu Ende. Der vierzehnte Tag des Mondes Adar, an dem man feiert das Purimfest, ist derjenige, an dem die Frist verfällt.« – »Du sollst nicht zählen die Tage, wenn es ein Gelübde gilt,« erinnerte Zodick unterwürfig; »der Fürst der Barmherzigkeit zählt dann im Thale Josaphat deine Sünden um so nachsichtiger.« – Ben David drohte ihm mit dem Finger. »Es bleibt dabei,« sprach er, »am gedachten Tage komme wieder und freie mein Kind.« –»So soll mich der Hammer zerklopfen, wie den verfluchten Haman am Purim, wenn ich länger harre!« brach Zodick in leidenschaftlicher Hitze aus. »Du hast gedehnt meine Dienstzeit von drei Jahren auf fünf, von fünf auf sieben. Ich bin es müde. Ich habe dir gehorcht als ein redlicher Knecht, will aber nicht mein Lebenlang seufzen unterm Joch der Dienstbarkeit, will nicht im Abnehmen meiner Tage eine häßliche alte Lea freien, statt der schönen Rahel. Meine Freunde zu Worms fordern, daß ich heimkehre, und ein Weib will ich mitbringen, darum säume nicht und gieb deinen Segen.« –
Ben David war in unangenehme Verlegenheit versetzt; nach manchen vergeblichen Winkelzügen entschloß er sich, mit der Wahrheit es zu versuchen. »Freund Zodick!« redete er, »da du mit Ernst darauf dringst, um jeden Preis erfahren zu wollen, was ich dir noch gern verschwiegen hätte, so mag's drum sein. Dein Vater war mir lieb und werth; ein Gerechter in Israel. Du warst es nicht minder, aber seit einiger Zeit habe ich gefunden, es möchte gut sein, wenn nichts würde aus dem Verlöbnis zwischen dir und Esther.« – »Wie?« fragte Zodick neugierig und argwöhnisch zugleich. – »Esther ist dir nicht hold,« fuhr Ben David ruhig fort. »Ich würde vor Gott und dem Gesetz die Macht haben, sie zu nöthigen zur Ehe mit dir; aber ich fürchte, sie schlägt aus zu Eurem Unheil. Esther ist nicht für dich, dein Herz nicht für sie.« – »Was kannst du aussetzen an meinem Herzen?« fragte Zodick rasch und übermüthig. »Bin ich nicht immer gewesen ein eifriger Bar Israel? Hab' ich nicht gehalten meine sechshundert Gebote und Verbote, seitdem ich geworden war ein Sohn des Gebots? Wer hat das gesegnete Hallel eifriger gesungen als ich? Habe ich einmal versäumt zu beten drei Mal im Tage die Gebete Schmone Esra und Israel Schma? Was kann man mir vorwerfen? Ich bin ein rechtschaffner Sohn, denn ich faste jährlich am Sterbetage meines Vaters; ich bin ein getreuer Knecht, denn ich will verlahmen, wenn ich dich oder einen von unsern Leuten verkürzt habe um einen Schilling. Ich bin ein sparsamer Mensch, denn der heilige Gott hat meine Arbeit gesegnet, daß ich etwas vor mir gebracht habe, ich bin wohlthätig, denn ich habe nie unterlassen, Almosen zu geben an die Armen. Was kannst du mehr verlangen?« – »Hoffärtiger Mensch!« erwiderte ihm Ben David aufgebracht, »willst du prahlen mit den Gebräuchen, die deine Hände verrichten und dein Mund? Das Gesetz des heiligen Gottes ruht nicht auf den Zähnen, noch auf den Fingerspitzen, sondern im Herzen. Die Mesura an der Thüre deiner Hütte mag noch so schön und richtig geschrieben sein, und doch geht Sammael über ihre Schwelle, so deine Seele nicht rein und gesegnet wäre. Zodick! Zodick! ich fürchte, du wandelst auf bösen Wegen, die da führen in den Feuerstrom, der unter dem Throne des hochgelobten Gottes herausfließt auf die Häupter der Sünder!« – »Wie magst du mich schelten?« fragte Zodick mit frecher Fassung. »Du schändest mein Haupt, um dein Versprechen nicht zu halten!« – »Davon nachher,« entgegnete Ben David ernst, »für's Erste entscheide meine Tochter.«
Er ging und kehrte nach einigen Minuten, Esther an der Hand, zurück. »Dieser Mann freit um dich,« sprach er ohne Leidenschaft, »ich zwinge dein Gefühl nicht, antworte: willst du sein Weib werden? Zum ersten Male redet wohl ein Hausvater in Israel also zu seinem Kinde. Bekenne frei und offen: Willst du sein Weib sein?« – Esther stürzte mit Freudenthränen zu Ben David's Füßen. »Da du mich frei sprichst, Vater,« rief sie frohlockend, »so vernimm es, mein Geständnis, ich verabscheue diesen Heuchler – ich kann nicht die Mutter seiner Kinder sein!« – Ben David hob sie liebreich auf, Zodick stand wort- und bewegungslos. Ben David hatte Mitleid mit seiner Qual und sandte die jubelnde Esther durch einen Wink seiner Hand hinweg. – »Du wirst nicht zum Weibe begehren eine, so dich haßt,« redete er zu Zodick, »siehe aber, ich löse mich von dir mit diesen zwanzig Mark Silbers.« – Er legte den Sack mit dem kostbaren Metall vor Zodick hin auf den Tisch. – »Verlasse aber jetzt mein Haus,« fuhr er fort, »es kann dir hier nimmer wohl sein.« – Eine tiefdunkle Röthe bedeckte Zodick's Gesicht, seine Brust hob sich mühsam. – »Du gehst mit mir um, wie mit einem aus dem verfluchten Stamme Esau,« murrte der vor Zorn zitternde Knecht. »Ben David, Ben David! daß es dich nicht gereue! Der heilige Prophet Elias und seine Engel sind allenthalben um uns. Sie haben deine Worte gehört, zitt're vor ihrer Rache!« – »Zitt're du selbst vor ihnen, Sohn der Unreinigkeit!« zürnte Ben David, »ziehe nicht die Heiligen Israels in deine Händel, während du mir allein Rache brütest. Der Prophet sieht dich, wann du hinaus gehst zur Stunde, wo Lilis, die ungeheure Nachtfrau, auf dem Throne sitzt, und ihre Söhne, die Teufel, aussendet, daß sie die Menschen verblenden. Der Prophet weiß, was du zu jener Zeit verrichtest, da du ferne vom Hause umherschwärmst auf dem Pfade verdammlicher That. Dieses thust du unzählige Male, dieses hat mir dein übles Trachten verrathen, dieses weist dich aus meinem Hause; der Friede des Herrn komme auf dich und sein Segen. Geh' hin, und meide uns.« –
Zodick lachte höhnisch dem Scheidenden nach. »Du sollst es noch theuer bezahlen, was du mir gethan, elender Lügner!« sprach er halblaut vor sich hin, mit leidenschaftlicher Geberde; »was du Böses an den verdammten Gojim geübt, das vergelte dir der hochgelobte Gott mit tausendfältiger Pein. Er verschließe den Schoß deiner Tochter, daß sie dein Blut aussterben lasse in Israel, und verstoßen von ihrem Manne dahinwelke in Schmach und Verachtung! Er schlage dich mit Jammer, wie den aussätzigen Hiob, verwandle dein Gold in Staub, dein Haus in Kohle, deinen Namen in den der krummen Schlange! Gras wachse vor deiner Thüre, Hunger sitze an deinem Tische und dein Haar werde weiß im Elend! Sammael lähme dein Gebein, der Teufel Schafriri dein Auge, und deine Zunge bettle das Brot vor den Thüren Amalek's! Lebe, lebe, lebe unendliche Jahre der Noth und Trübsal, bis der Herr, unser Gott, mit seinem Zorn angethan, dich hinwegreißt zum ewigen Feuer der Gehenna! Amen.«
Unzählige Male wiederholte der Elende den abscheulichen Fluch, während er seine Habseligkeiten zusammenräumte, um sie wegzuschaffen. Diesen Fluch auf der Zunge schüttelte er vor Ben David's Thüre den Staub von seinen Schuhen und wanderte zum Dorfe Oberrad, wo er bei einem daselbst geduldeten Glaubensverwandten für den Augenblick seine Wohnung nahm. In Ben David's Hause war seit des zweideutigen Knechts Abzug eine feierliche Stille und Ruhe eingetreten, nur dann und wann von Jochai's bedenklichem Kopfschütteln gestört, der es unverhohlen mißbilligte, daß sein Sohn sein Versprechen zurückgezogen und, auf einen bloßen Verdacht hin, den Esther bestimmten Bräutigam aus dem Hause verwiesen. Er äußerte mit Nachdruck die Vermuthung, die Wormser Judenheit werde gedachtes Verfahren nicht gut aufnehmen, Ben David wohl in Bann thun. Der Letztere blieb indessen unerschüttert. »Wäre ich doch des Paradieses so gewiß,« sprach er, »als Zodick das Gesetz mit Füßen trat. Was die Schule zu Worms betrifft, so bin ich hier, wo keine blüht, der König meines Hauses und schalte mit meinem Kinde wie ich will. Laß' uns den Herrn preisen, der uns aus der Gemeinschaft des Gottlosen brachte.«
Ben David's Ruhe erlitt dennoch eine ungemeine Störung, da er in Kurzem gewahr wurde, daß Zodick Frankfurt nicht verlassen hatte, wie er im Anfang geglaubt. Häufig begegnete er dem tückisch lächelnden Rothkopfe auf seinen Handels- und Mäklergängen. Bald war es ihm auch kein Geheimnis mehr, daß derselbe auf die Verkürzung seines Erwerbs ausgehe. Näherte sich Ben David den Tischen und Hütten auf dem Berge bei St. Niklas, wo die Compsoren (Wechsler) saßen, und bot seine Unterhändlerdienste an, so war Zodick schon da gewesen und hatte unter den leichtesten Bedingungen alle Aufträge an sich gerissen; trat er in Palmstörfer's Wechselstube »zum Weidenbaum«, so ging Zodick gerade heraus, Rechentafel und Beutel unterm Arm, und der alte Wechsler und Altbürger Humbrecht sagte ohne Hehl zu Ben David: »Du hast da einen gar guten Spürhund gezogen, Jude. Er läuft wie ein Teufel, schnobert Alles aus und nimmt geringere Zinsen, denn du. Darum magst du jetzt feiern und dich pflegen. Zodick dient uns besser und lustiger als du, alter Knabe.« –
War auf dem Gewandhause eine Versteigerung, und Ben David dachte dabei sein Heil zu versuchen . . . umsonst, Zodick war dabei, kaufte am theuersten, schlug zum geringsten Preise los. Wurde an einem Orte ein Schmuck von edlen Steinen verlangt, und Ben David hatte bei allen Juwelenhändlern mit Mühe und Noth die Kleinodien zusammengebracht, so war doch Alles vergebens; Zodick hatte Wind davon gehabt und weit schönere Steine herbeigeschafft. Was die Darlehen – den Haupterwerbszweig der Juden – anbelangte, war Ben David nicht glücklicher. Zodick drängte sich überall auf, und Geld – zu dem er nach seines ehemaligen Herrn Einsichten unmöglich auf richtigem Wege gelangt sein konnte – stand ihm in Hülle und Fülle zu Gebot. Der ausschweifende Sohn des Oberstrichters, der leichtsinnige Neffe des Schultheißen zogen gegen niedre Zinsen die Mittel zu ihrer Verschwendung aus Zodick's Beutel. Sogar dem gefangnen Raubritter von Hyrzenhorn streckte der rothköpfige Störenfried die zweihundert Gulden vor, welche der Verhaftete, um nur los zu kommen, der Stadt sammt seinem Haus zu Wetterhausen als Lösegeld stellte. Mit einem Worte: Zodick's Bemühungen, auf den Verderb seines Lehrherrn losgehend, erreichten vollkommen ihren Zweck. Die größern Geschäfte, wie sie nur etwa den Frankfurter Juden erlaubt waren, riß er zu Ben David's und seiner übrigen Glaubensgenossen Nachtheil an sich, und erschlich sich behende das Vertrauen der Bürger, das sich dem Neuen und Wohlfeilen gern zuwendet. Ben David wurde von Tag zu Tag mißmuthiger und konnte endlich nicht umhin, dem Judenarzte Joseph, einem stolzen, aber nicht unverständigen Manne, seinen Gram mitzutheilen. »Ei, ei, Ben David!« erwiderte ihm Joseph mit vornehmem Kopfwiegen, »die Klugheit, die gerade vom Herrn stammt, hat Euch verlassen und der List des Leviathans, der eine schlechte Schlange ist, das Feld geräumt. Lasse nie einen Andern gucken zu tief in deinen Becher! lautet ein alter Spruch. Lehre deinem Schüler nie deine besten Künste, auf daß nicht seine junge Wissenschaft deine bejahrte verderbe, lautet ein andrer. – Da nun aber der Fehler begangen ist, so halte ich dafür, da Euch der Quell des Lebens Reichthum beschert hat, es sei am besten, damit auf anderm Boden Euer Heil zu versuchen, bis der, der Euch verderben will, in seinen eignen Schlingen verdarb.« – »Wie meint Ihr das, Rabbi?« fragte Ben David aufmerksam, und Joseph erwiderte wichtig und den Mund voll nehmend: »Thut doch, was ich Euch schon vor längerer Zeit gerathen. Macht Euch auf gen Costnitz, mit Geld versehen. Ich weiß aus sichrer Hand, daß der Herzog von Oesterreich bedeutende Summen sucht, die er hoch verzinsen will, wenn sie unter dem Siegel des Schweigens verabfolgt werden. Bei mehreren altbürgerlichen Geschlechtern dahier ist von ihm Anfrage gehalten worden, allein die haben ihr Baares bereits an den Kaiser und die Kurfürsten von Mainz und Pfalz verliehen. Da wäre ein ansehnlicher Gewinn zu hoffen, und – kehrt Ihr zurück – ist vielleicht schon des undankbaren Dieners Freudenleben zu Ende. Wer so rasch beginnt, endet sehr rasch. Beim Flüchtigwerden oder Falschmünzen hört's gewöhnlich auf.« – Ben David dankte dem Rathgeber von Herzen und begab sich mit besserer Zuversicht nach Hause. Erheiterten Sinnes erklärte er seiner Esther, daß sie zur Reise gen Costnitz sich bereit halten möchte, und fröhlicher, denn er die Kunde gab, nahm sie das Mädchen auf. Nachbars Ephraim, ein junger Bursche, der an Zodick's Stelle in Ben David's Hause getreten war, wurde angewiesen, dem Greise Jochai gefällig in Allem zu Diensten zu sein, und nachdem die Familie noch den Freudentag gefeiert hatte, der in den Mond Schebat fällt, fuhren Vater und Tochter, von den Segenssprüchen des Altvaters begleitet, von dannen, im Gefolge eines ansehnlichen Krämerzugs, der nach dem Bodensee trachtete. Gerathen war es, einem bewaffneten Geleit sich anzuschließen, da vor wenig Tagen erst die Junker Bernhard und Wernher von Keseberg, wegen eines Unbildes, das sie in einem Pferdehandel von einem jüdischen Roßtäuscher erlitten zu haben vorgaben, »der ganzen Judenschaft und ihren Hohmeistern,« Fehde geboten und durch ein nach Frankfurt gesendetes untersiegeltes Schreiben erklärt hatten.
Das gedrohte Unheil berührte indessen weder Ben David, noch die schöne Esther, die ungehindert ihres Weges zogen, sondern denjenigen, der in seiner Frechheit es am allerwenigsten vermuthet hatte. Zodick nämlich, der wohl von dem am Römer aufgehängten seltsamen Fehdebrief gehört hatte, sich jedoch auf seine Faust und sein Messer verließ, das er als Vertheidigungswaffe versteckt bei sich trug, weil die Gesetze jedem Juden untersagten, öffentlich ein Gewehr anzuhängen, schlenderte eines Abends bei einbrechender Dämmerung mißmuthig von Frankfurt nach Oberrad. Er hatte erfahren, daß Ben David die Stadt verlassen, und es quälte seine Seele, denjenigen nicht mehr täglich zu sehen, dessen Eigen- und Geldliebe seine Tücke einen so entscheidenden Stoß beigebracht hatte. So sehr es ihn freute, seinen Zweck zum Theil erfüllt zu sehen, so war ihm dieser Erfolg keineswegs genug. Den Wohlstand seines ehemaligen Herrn bis auf die Wurzel auszurotten, war das Ziel seiner glühenden Rache. Doch, wie er soeben in dem Rüsthause seiner boshaften Gedanken wühlte, den Pfeil zu finden, den vergifteten, fernhin treffenden – fähig, des Gegners Leben zu verletzen, verkröche dieser sich auch hinter den ewigen Eisbergen im Süden – ereilte den Grübler selbst ein feindlich Schicksal. Er war soeben an der deutschen Herren-Mühle vorbeigeschritten, als aus dem beschneiten Graben, der die Heerstraße vom Feldacker trennte, dunkle Gestalten auftaumelten und ihn umringten. Zodick's Hand fuhr nach der Waffe, allein schon hatte eine Schlinge, um seinen Hals geworfen, ihn zu Boden gerissen; ein Pechpflaster klebte auf seinem Munde. Im Nu war er entwaffnet, gebunden und querfeldein geschleppt an die Ufer des Mains, von dannen auf wenig betretnen Fährten gen Offenbach. Es war finstre Nacht, als der Flecken erreicht wurde, und die Straßendiebe zerrten ihre Beute in eine abgelegene Hütte, wo einige Männer in ritterlicher Kleidung bei dem elenden Schimmer einer Oellampe Buschkleppertafel hielten.
Die Gebrüder Keseberg und der tolle Veit von Hornberg waren die saubern Herren, die den Gefangenen mit wilder Freude empfingen. »Sieh da! sieh da!« lachte Wernher, »ein dicker, rother Gimpel zur Fastnachtszeit! Wack're Vogelsteller, die solches Wild aus dem Schnee zu graben verstehen! Guten Abend, Judas! Wir haben nicht umsonst Rechnung auf dich gemacht. Hast du viel Geld bei dir?« – Zodick schüttelte heftig mit dem Kopfe. Einer der Wegelagerer versicherte indessen seinen gestrengen Herrn, man habe den Juden zwar noch nicht durchsucht; er trage jedoch eine erkleckliche Geldkatze um den Leib. – »Gut!« erwiderte Bernhard, »nehmt ihm die Last ab. Das ist jedoch das Geringste. Wir wissen genau, daß er die Verschreibung unsers Vetters von Hyrzenhorn bei sich trägt. Um diese ist's uns zu thun. Hyrzenhorn ist genug zu bedauern, daß er den Frankfurtern sich verschreiben mußte; er gedenkt aber nicht länger der Schuldner eines schmutzigen Juden zu sein. Nehmt ihm den Wisch ab, so haben wir unsern Auftrag redlich erfüllt.«
Zodick wehrte sich wie ein Rasender mit Händen und Füßen, aber seine unsinnige Wuth mußte der Kraft des Hornbergers weichen, der ihn mit Blitzesschnelle durchsucht, Alles gefunden und ihm entrissen hatte. – »Verdammter Fetzen!« schrie der Junker bei der letzten Maulschelle, die er dem Geplünderten gab; »ich will dir lehren, wie man sich in Kriegs- und Fehdesitte fügt!« – Er griff nun nach der dickknotigen, rindsledernen Sattelpeitsche und wollte ein fürchterlich Gericht über Zodick ergehen lassen, als Bernhard sich mitleidig darein mischte. »Laßt doch den armen Sünder in Ruhe!« sprach er vermittelnd, »wir wehren uns auch mit Zähnen und Klauen, wenn man uns an's Leben will. Bedenke doch, daß man einem Juden mehr als das Leben raubt in seinem Gelde.« – »Mein Bruder hat recht,« setzte Wernher bei, »auch hat mir der Leuenberger empfohlen, säuberlich mit dem Unkraut zu verfahren. Er hat schon oft unsers Gleichen gute Dienste geleistet. Nehmt ihm das Pflaster vom Maule. – So; setze dich jetzt zu uns. Du sollst mit essen, dich erholen von der ausgestandenen Angst. Hier ist Brot, Käse, Wurst. Lange zu!« – Zodick fuhr mit Abscheu vor dem Dargebotnen zurück. Die Herren wollten bersten vor Lachen über die häßliche Fratze, die der Mißhandelte zog. – »Iß!« rief der Hornberger, mit dem Jagdmesser nach Zodick's linkem Auge zielend, »iß, räudiger Hund, oder es kostet dich ein Auge!« – Der Jude wissend, daß in solchen Scherzen der fürchterlichste Ernst verborgen lag, nahm ergrimmt einen Bissen von der verbotnen Speise und würgte ihn zornbebend hinunter. – »Auf einen fetten Bissen gehört ein klarer Trunk!« witzelte der Hornberger und machte kurz und gut den Vorschlag, den Juden in den Main zu werfen. – »Recht!« lachte Zodick mit verzweifelnder Galle, »schmeißt mich lieber in den Fluß, als daß Ihr mich zu dergleichen Sünde zwingt. Der Gerechte, der gesäckt wird in Edom, geht doch ein in Kanaan!« – »Der Teufel verstehe das Kauderwälsch des Brandkopfs!« brummte Wernher, »wir gedenken ihm aber nicht zum Marterthum zu verhelfen.« – »Wir haben nur dem Roßtäuscher zu Steinheim den Tod geschworen,« setzte Bernhard bei; »dir, Zodick, wollen wir wohl, da du so ein gewandter Stehler bist. Im Grunde galt es nur der Verschreibung, die ich hiemit feierlich an der Lampe verbrenne. Das Geld, das du zufällig bei dir trugst, behalten wir für unser Mühewalten. Speise und Trank sei dir aber vergönnt. Dein Fehler, wenn du nicht zugreifst.«
»Das Gesetz verbietet mir's,« antwortete Zodick, trotzig vor sich niedersehend. – »Gelt! unsere Speisen sind nicht koscher, Schuft?« polterte Veit von Hornberg, »bist denn du aber koscher genug, um an unserem Tische zu sitzen? Nein, sage ich, und du fährst durch meine Klinge zum Teufel, wenn du nicht diese Beleidigung unseres Wappens auf der Stelle gut machst.« – Zodick schaute hoch auf, der neuen Laune des Junkers gewärtig, und des Letztern Spießgesellen riefen lachend. »Hoho! Schwager! was kann der Schurke da gut machen? Welche Grille kommt dir an?« – »Keine Grille!« versetzte Hornberg, in dessen Kopfe sich der Wein breit machte, »aber ich schwör's Euch zu bei meiner Seele Seligkeit, daß ich den vermaledeiten Fuchsbart über den Haufen steche, bevor der Morgen graut, wenn er sich nicht in dieser Nacht noch taufen läßt.«
Ein lautes Gewieher war die Antwort auf den überraschend seltsamen Vorschlag, der jedoch im nächsten Augenblicke schon von den zu allem Abenteuerlichen aufgelegten Herren mit Begierde aufgenommen wurde.
»Vortrefflich!« rief Bernhard. »Herrlich!« rief Wernher, »der Jude muß sich taufen lassen und wir wollen des Höllenbratens Pathen sein.« – Zodick konnte vor Wuth und ohnmächtigem Ingrimm keine Silbe vorbringen, aber sein giftiges Ausspucken redete an seiner statt. – »Wage es, nein zu sagen!« schrie Veit, ihm den Stahl an die Kehle setzend, »und du fährst zur Hölle. Niederträchtiger Auswurf, dessen Wohlthäter wir werden wollen, den wir mit eigenen Händen aus dem ewigen Pfuhl ziehen! muckse nicht, oder es ist dein Letztes.«
Verblassend und verstummend stand Zodick wie niedergedonnert. – »Macht fort, Brüder,« sprach Veit, »bestellt Pfarrherrn und Glöckner; ich will indessen dem Höllenbrand mit dem Dolche das Paternoster einkitzeln.«
Die Gebrüder Keseberg eilten schnell von dannen und durchstreiften mit ihren Knechten, wie Gespenster der Nacht, den Flecken, bis sie in der tiefen Dunkelheit Kirche und Pfarrhaus gefunden. Wohl hörten die Bewohner Offenbachs die rohen Nachtgäste waffenrauschend durch die Gassen lärmen, aber in den damaligen Zeiten des Unfriedens und der Selbsthilfe wagte sich keiner aus dem Hause, sondern erwartete in ängstlicher Stille, ob der Besuch nur eine vorüberziehende Wetterwolke sei oder wie der Blitz ihre Hüttendächer entzünden werde. Die Wächter des Schlosses fanden ebenfalls keinen Beruf, sich in das Thun der Fremden zu mischen, hielten sich zur Vertheidigung gefaßt und blieben ruhig. So gelangten die Junkherren ohne Anstand zum vorgesteckten Ziele. Mit lautem Klopfen wurde der Leutpriester aus dem Schlummer geweckt, an's Fenster beschieden. Der von Natur Furchtsame erbebte, da er Bewaffnete vor seinem Hause sah und fragte demüthig nach ihrem Begehren. – »Heraus, Pfaffe!« rief ihm Wernher zu; »lege den Chorrock an und die Stola. Versiehe dich mit Kerze, Oel, Salz und Honig und komm' zur Kirche. Ein Ketzer will sich taufen lassen, und schnell, damit der böse Geist ihn nicht abwendig mache von seinem löblichen Vorsatze.« – »Ein Ketzer?« fragte der erschrockene Geistliche, »taufen in später Nacht, . . . wer bürgt mir . . .?« – »Schweig!« erwiderte ihm Bernhard, »wir bürgen, drei Edelleute, des Ketzers Taufzeugen. Steige herab ohne Säumen, bescheide dem Glöckner, daß er dir diene; aber wofern der Bube Lärm macht oder den Glockenstrang zu ziehen gedenkt, so ist sein letztes Stündlein da und das deine.«
Der Pfarrherr, der an Sprache und Keckheit wohl merkte, mit welchen Gesellen er zu thun bekam, und durch das traurige Schicksal mehrerer Amtsbrüder, die so zu sagen am Altare ihren Tod durch Mörderhand gefunden hatten, gewitzigt worden war, säumte nicht, dem gebieterischen Begehren Folge zu leisten. Das Frösteln der Angst in allen Gliedern, warf er sich in die kirchlichen Gewänder, schickte um den Meßner, und da er in Begleitung des Letztern, eines altersgrauen Männleins, das vor Schreck sich kaum auf den Füßen zu halten vermochte, an die Pforte der Kapelle kam, langte soeben der Hornberger daselbst an, dessen Knechte den Täufling an der Leine führten wie einen Rüden. Das Kirchlein wurde geöffnet, Wache davor gestellt, und die edeln Herren forderten nun den Priester auf, das heilige Amt an dem stummen, todbleichen Zodick zu verrichten, den die Drohungen des Hornberger's dazu gebracht hatten, sich Alles gefallen zu lassen, was man mit ihm vornehmen würde.
Der Pfarrherr, der verständig genug war einzusehen, daß hier die Würde der Kirche und alles Recht mit Füßen getreten werden sollte, machte nachdrückliche Einsprüche in das Verfahren der drei Ketzerbekehrer, forderte sie auf, den armen Menschen nicht zu einer Handlung zu zwingen, die er nicht begreife, die er verabscheue, deren er nicht würdig sei. – Die drei Gebietenden zogen aber drohend die Schwerter, stellten sich an den Taufstein und streckten die Schwörfinger in die Höhe. »Wir haben es gelobt bei den Wunden des Herrn, diesen verstockten Sünder zu heiligen wider seinen Willen,« sprachen sie. »Geht seine Seele verloren durch dein Zaudern, Pfaffe, so stirbst du dahin ohne Gnade. Gieb ihm das ewige Leben und genieße ferner das zeitliche!« – Der Geistliche zuckte die Achseln und machte sich bereit zu der Handlung. »Die Folgen Eures frevelnden Muthwillens kommen über Euch!« sagte er feierlich und begann die vorgeschriebenen Gebete. Die waffendrohenden Zeugen antworteten auf jede Frage für den zur starren Bildsäule gewordenen Zodick, der alle Gebräuche mit über einander gebissenen Zähnen über sich ergehen ließ. Das Glaubensbekenntnis legten die verwahrlosten, der Kirche längst entfremdeten Pathen mit Mühe und Stottern für den Täufling ab, – nun aber kam es an die gefährlichste Stelle der Handlung, an das einfache, aber aus dem Munde des Taufenden selbst zu verlangende Gelübde. Zu aller Erstaunen sprach der Jude die vorgesagten Worte keck und fest nach, machte das Zeichen des Christen mit sicherer Hand und nickte ungezwungen mit dem Haupte, da er, dem barbarischen Rituale jener Zeit gemäß, seinen bisherigen Glauben und die ihm anhängen, durch den Mund des Geistlichen verfluchen mußte. – Diese auffallende Aenderung des Betragens erleichterte das Herz des Pfarrherrn in etwas; die entweihte Handlung wurde ruhig beschlossen und dem Neugetauften der Name Friedrich beigelegt. Auf dem staubigen Tische der Sacristei schrieb der Pfarrherr das Zeugnis des Uebertritts nieder, händigte es dem Juden ein, befestigte auf seiner Brust, statt des gelben Ringes, ein Blechschild mit dem Kreuze und mit dem Buchstaben C, wie Neubekehrte es zu tragen verbunden waren, und entließ die seltsame Taufversammlung mit seinem Segen. – Mit rohen Scherzen zogen die Bekehrer davon und überhäuften den still rasenden Zodick mit Spottreden. Vor dem Flecken umringten sie ihn, trieben noch allerlei Possen mit dem Unempfindlichen und gaben ihm nun völlige Freiheit zu gehen, wohin es ihm belieben würde. – »Geh' heim, Söhnlein Friedrich,« sprach Wernher höhnisch zu ihm, »wachse im Glauben und danke es uns fein, daß wir dir zum Himmel verholfen.«
»Falle nicht in den alten Baalsdienst zurück,« ermahnte ihn Bernhard, der, der Gutmüthigste von den Dreien, sich in der That einbildete, ein dem Himmel angenehmes Werk verrichtet zu haben. »Das Christentum schenkt zeitliche und ewige Wohlfahrt. Den Juden haßte man, den Bekehrten wird Alles lieben und allenthalben befördern.« – »Merke dir aber noch das Eine!« schloß der Hornberger drohend, »wofern wir vernehmen, daß du wieder zur Ketzerei dich wendest, daß du dies Schildlein nicht trägst und nicht bekennst, daß du freiwillig unsers Glaubens wurdest, so stirbst du ohne Barmherzigkeit von meiner Hand. Jetzt aber bedanke dich knieend für die von uns empfangene Wohlthat und fahre hin deines Wegs.« – Zodick mußte auf seinen Knien die Hände seiner drei Pathen küssen, geloben, ihnen in Treue zu dienen, wann und wo sie es begehren würden, und wurde unter Gelächter und Hohn entlassen. – Als ob ihm der Kopf brenne, lief er aus dem Bereiche seiner Peiniger hinweg; bald verließen ihn jedoch die Kräfte und er sank nieder in den Schnee, gerüttelt von Gewissensbissen und reggewordener Verzweiflung. Es gibt Falten im menschlichen Herzen, die der Witz des Gelehrten nimmer auskundschaften wird. Der blutgierige Bube Zodick hatte geraubt, gemordet, und sein Gewissen war ruhig geblieben bei der freiwilligen Unthat. Es waren ja nur Christen, dachte er bei sich selbst. Ihre Habe ist in unsere Hände gegeben, ihr Leben selbst, das nicht edler ist als das eines Schweins. Nur wenn ich einen Sohn meines Gesetzes würge, begehe ich einen Todtschlag vor dem Herrn. – Der unfreiwillige Abfall jedoch von eben diesem Gesetze erfüllte den verhärteten Bösewicht mit allen Qualen der Reue. Vergebens stellte er sich vor, was ihn in jener fürchterlichen Kapelle bewogen hatte, frisch und frei seinen Mund zu dem frevelnden Werke zu leihen: daß nämlich die Rabbiner lehren, ein gezwungener Eid sei keiner – ein freiwilliger sogar sei keiner, sobald man nur geschickt den Worten des Gelübdes einen andern Sinn beilege in Gedanken als den geforderten. – Der Ausweg, den diese letztere verderbliche Lehre so wohlthätig dem Meineid eröffnete, war unzulänglich für den Abergläubischen, der sich verzweifelnd im Schnee wälzte, um von seinem Haupte den Greuel einer verabscheuten Religion zu waschen. – »Ich bin verloren,« seufzte er aus keuchender Brust. »Ein Jude bin ich nicht mehr, ein Christ kann und mag ich nicht sein. Alle Paradiese sind mir verschlossen, jedes Glaubens Hölle mir beschieden! Einen falschen Eid könnte ich verantworten, aber solche Greuelthat nicht. Wollte ich auch vorschützen, ich hätte es nicht freiwillig gethan – was nützt es mir? . . . Der Mensch steht vor Gott und seine Werke um ihn her. Der heilige, hochgelobte Gott, der starke, eifrige Gott hat sich gekleidet in Zorn, denn er hat gesehen, wie man mich taufte . . . er hat gehört, wie ich geschworen . . . wehe mir! wehe! Die Schule zu Worms wird mich in Bann thun; die grausamen Kinder Esau's werden mich ermorden, wofern ich wanke. Muß ich denn verloren sein, warum gehen sie nicht mit mir unter, die gottlosen Söhne Amalek's! Verruchte Gojim! Ihr habt mir meine Seele gestohlen! Ich fluche Euch! Ich gelobe Euch Rache, vollgeltende Rache!«
Dieser Gedanke belebte den Unseligen mit dem Funken, der nicht aus dem Himmel stammt, sondern aus der Tiefe. Zodick raffte sich zusammen, blickte wild, mit wehenden Haaren zu den jagenden Wolken auf, die vergebens ihre dichtesten Schneeflocken hernieder sandten, das glühende Molochgebilde abzukühlen. – »Der Bund ist zerrissen!« schrie er gellend hinauf, »Sammael! Fürst der Wildnis, Fürst des Todes und Gatte der entsetzlichen Nachtfrau Lilis, der Gebärerin aller Schreckgespenster und Sünden! Dir ergebe ich mich! Schütze mich vor dem Zorne unsers Gottes! Berge mich vor der Wuth Edom's! Lehre mich das Schwert führen gegen das Gesetz, das nicht mehr mein ist. Erlaube mir, Rache zu nehmen an Israel, wie an Esau, bis du einst meinen Geist dahin nimmst in den Stürmen deines Grimmes!«
Als ob der entsetzliche Sammael ihn verfolgte, irrte der Sünder auf den Schneefeldern umher, bis der nächste Morgen ihn zur Hütte trieb. Das wachsende Licht des Tages senkt stets mehr Zuversicht in gute, wie in böse zweifelnde Herzen. Der Wahnsinn der verlästerten Nacht schwindet in ruhigeres Nachdenken hin, und auch Zodick wurde gemäßigter. Er sah plötzlich ein, wie sehr sein irdischer Vortheil durch die nothgedrungene Glaubensänderung gewinne, und daß es dem jenseits Verlornen erlaubt sein müsse, hienieden doppelt zu leben in eig'ner Freude und fremden Leiden. Er erklärte vogelfrei alle Menschen, weß Glaubens sie auch seien, und beschloß nun das Werk seiner Rache an Ben David's Hause auf's Glänzendste zu vollenden. Trunken vor Freude über die entsetzlichen Bilder, die in seinem Gehirne aufstiegen, wähnte der Verblendete, von dem Schicksale mit Vorbedacht die Freiheit erhalten zu haben, ohne Gewissensangst seinen Durst nach Rache löschen zu können, und seine Bosheit schritt langsam aber kühn zur Ausführung.