Karl Spindler
Der Jude
Karl Spindler

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfundzwanzigstes Capitel.

»Leb' wohl, mein süßes Kind! Gott behüte dich, arme Maid!« hatte Dagobert bei seinem Abschiede zu Esther gesprochen und dieses einfache herzliche Lebewohl war der Verlassenen fest im Gedächtnisse geblieben. An jedem Tage wiederholte sie wohl tausend Mal die Worte ihres Beschützers, wie ein frommes Gebet, denn sie schienen ihr einen unfehlbaren Segen zu enthalten. Die gute Crescenz, die – ein seltenes Beispiel in ihrer finsteren Zeit – Dankbarkeit höher achtete, denn Vorurtheil, bemühte sich, an Esther aus Kräften zu vergelten, was sie von deren Vater empfangen und war treu in der Sorgfalt, die sie dem scheidenden Junker Dagobert gelobt hatte. Auf diese Weise konnte es denn geschehen, daß Esther auf dem Schellenhofe einige Tage verlebte, so ruhig, als sie nur den Umständen nach sein konnten. In einem versteckten Giebelstübchen hausend, von Niemand bemerkt, – Allen im Hause fremd, – die gutmüthige Pflegerin ausgenommen – hatte sie völlige Muße, ihres treuen Freundes zu gedenken und ihres armen Vaters, den sie nicht sehen zu wollen dem Junker, welcher für ihre eigene Freiheit zitterte, hatte versprechen müssen. Zerrissen von herbem Kummer und beseligt von verschwiegener Liebe, verschloß Esther den Schmerz und die Lust ihrer Abgeschiedenheit in sich und flehte täglich zu dem Gott ihrer Väter um die Erfüllung ihrer heißesten Wünsche, um Dagobert's Rückkehr, um Ben David's und Jochai's Befreiung durch des Edeln Hilfe und Macht, um ungestörte Verborgenheit bis zu diesem ersehnten Zeitpunkte. Diese Verborgenheit aber konnte sie dem Geschick nicht abringen. Eines Tages wurde Crescentia, da sie gerade ihrer Schutzbefohlenen das Vesperbrot gebracht hatte, durch den Klang der wohlbekannten Thorschelle abgerufen, um einen Besuch zu empfangen. Esther, deren Busen hoch schlug in der Erwartung des Geliebten, lauschte an der Treppe, ob nicht die erfreuliche Stimme des Junkers unten laut würde. Sie hörte Reden aus männlichem und weiblichem Munde wechseln und endlich in Crescentia's Wohnstube verhallen und bereits wollte sie, mißmuthig über die Täuschung ihres sehnsuchtsvollen Herzens, in ihre Klause zurückkehren, als ein leiser, knisternder Schritt sich auf den Treppen hören ließ, die zu ihrem Versteck führten. Die Hoffnung erneute sich in ihrer Brust. »O gewiß!« dachte sie, . . . »o gewiß ist er zurückgekehrt und gedenkt mich zu überraschen mit seinem wonnigen Anblick. Leise erklimmt er die Stufen, um wie eines Schutzengels Erscheinung plötzlich vor mir zu stehen; aber er soll mich vorbereitet finden. Er soll sehen, daß meine Sinne nur nach ihm gerichtet sind, daß ich durch mein dankbares Vertrauen seines Schutzes werth geworden bin!«

Erfüllt von diesen entzückenden Gedanken beugte die Lauschende dem Nahenden über der Treppensäule den Kopf entgegen und blieb stehen wie ein in gebückter Stellung ausgehauenes Steinbild, da der Anblick, welcher sich ihr darbot, ihr alle Kräfte zum Fliehen für den Augenblick benahm. Denn nicht Dagobert's blühendes Antlitz, umwallt von braunen Locken, – ein Rothkopf mit blassem, häßlichem, aber wohlbekanntem Angesichte schaute sie an. »Ei, Schickselchen,« flüsterte der Häßliche, in welchem der abscheuliche Zodick nicht zu mißkennen war, »ei, lieb Estherchen! find' ich dich endlich? O, du bös' Vögelein! hast du doch endlich nicht entkommen mögen dem Vogelsteller, der so lange hat geharrt umsonst?« – Der Mensch stand nun lebensgroß vor der Versteinerten und versuchte, ihre Hand zu ergreifen.

»Zurück! Gräßlicher!« rief sie mit vor Entsetzen halb erstickter Stimme, »du wagst es? Diese Hand, die meine Väter ermordet, wagt's, mich zu berühren? . . .« – Zodick gebot ihr mit einer drohenden Geberde Schweigen und zog sie in die offene Thüre der Giebelkammer. »Laß' ein vernünftig Wort finden Platz in deinem Ohre,« ermahnte er mit leiser Stimme, kümm're dich nicht um das, was ich unternommen gegen deinen Vater und Jochai. Solche Dinge gehören nicht für das Weib und ich werde verantworten Alles, so ich gethan, an jenem Tage des Zorns und der Barmherzigkeit.« – »Laß' ab von mir,« seufzte Esther, »welch böser Fürst des Unglücks hat dir verrathen, wo ich athme?« – »Zwei scharfe Diener meines Willens,« entgegnete Zodick, »meine beiden hellen Augen. Nicht von heute erst ist die Entdeckung. Ich schlich Euch nach, da Ihr diesen Schlupfwinkel suchtet, dein Buhle und du.« – Esther erblaßte. – »Beruhige dich!« sagte Zodick scharf; »daß ich bis jetzo dich nicht an die Gojim verrieth, die deiner Freiheit Ketten schmieden möchten, sei dir Bürge, daß ich dich noch nicht verrathen will.« – »Lügner!« zürnte Esther. – Er fuhr jedoch kalt und gemessen fort: »Ich spreche die Wahrheit. Warum sollte ich auch gehässig sein dir, die ich zur Frau machen wollte, ehe der Goi deine Gunst errang? Hast du doch nicht den Christenknaben gekreuzigt und nicht erschlagen den Friedberger. Hast du dich versündigt mit einem Edomiter, ist es deine Sache allein und deinem Geschlechte der Treubruch angeboren. Die Obrigkeit würde dich deshalb auf den Scheiterhaufen setzen, aber ich vergebe dir.« – »Welche Sprache?« fragte Esther entrüstet; »bist du gekommen, meiner zu spotten, ehe du mich dem Henker überlieferst? Geh' oder ich rufe nach Hilfe.« – »Und bereitest dadurch dein eigen Verderben,« ergänzte Zodick boshaft. »Es sitzt ein Gast bei der alten Beschließerin, der es nicht ungerne sähe, wenn er mit der Verführerin seines Sohnes bekannt würde. Herr Diether Frosch nämlich, der Altbürger. Verloren bist du, gibst du einen Laut von dir. Ich verhafte dich dann im Namen der Obrigkeit.« – »Barmherziger, hochgelobter Gott!« klagte Esther, die Hände ringend, »entziehe mir nicht gänzlich deine Huld! Laß' mich nicht umkommen in den Schlingen meiner Feinde. Oder . . . wär' es nicht besser, ich theilte die Fesseln meines Vaters, als daß ich hier noch kurze Frist athme unter der Faust des unmenschlichen Henkers?« – »Oder, . . .« äffte Zodick nach . . . »wär' es nicht besser, ich gäbe mich gutwillig in die Fesseln des Schultheißen, als daß ich schmachte noch länger ohne Liebeskuß und Spiel, wie ein Wittib?« – Esther erschrak mehr über die Mahnung an des Schultheißen Sinnlichkeit, als über die rohe Beleidigung, die sie aus diesem Munde erwarten mußte. Der Abtrünnige fuhr aber fort: »Bist du klug, Estherchen, so schweigst du und vertraust auf meine Güte. Ich hab' es überlegt, du bist zu schön und zu holdselig für die lüsternen Richter aus Amalek. Ich gönne dich ihnen nicht; aber auch nicht dem jungen Goi gönne ich dich. Der Bube hat mich einst geschlagen mit Faust und Kolben und das vergesse ich ihm nie. Ergieb dich mir zum Weibe und Ben David soll nicht sterben; – auch Jochai nicht,« setzte er nach einigem Bedenken hinzu. – Esther starrte ihn unbeweglich an und stumm empört.

»Besinne dich nicht lange,« fuhr er fort, »kurz ist nur der Augenblick, der mir erlaubt hat, dir zu nahen. Seit manchem Tage umschleiche ich das Haus, aber immer liegt die Pforte im Riegel, oder das alte Weib steht daran wie der feurige Wächter am Paradiese. Die Ankunft des Herrn hat auch meine Einkehr begünstigt. Aber lange darf ich nicht weilen, sollst nicht du verloren sein. Entscheide also. Gieb auf den Goi, dem die Hölle sei und rede zu mir, wie die Braut zum Verlobten.« – »Unsinniger Bösewicht!« erwiderte Esther heftig und entzog sich seinen Armen, »weißt du nicht, daß des Scheiterhaufens Flamme mir willkommener wäre, als eine Liebkosung aus deinem Munde? Hinweg! thue was du willst, aber ich sterbe eher, ehe ich dein sündlich Verlangen erwidre.« – »Gemach! gemach!« flüsterte Zodick, dessen linkes Ohr beständig gegen die Treppe gespitzt war, »Estherchen, warum eiferst du also? Du bist einst gewesen die Tochter des reichen Ben David und ich dein Knecht, den du verschmähtest. Jetzt bist du das Kind eines zum Tod verdammten armen Sünders und ich hingegen mehr als du, nämlich ein Christ. Die schlechte Jüdin sollte sich's zur Ehre rechnen, bewirbt sich ein Bekehrter um sie. Dein Sträuben hilft nichts und nicht deiner Schmähungen ergiebige Quelle. Bei meines Vaters Gebet und Todeskampf! ich hole dich heim, ehe noch des Mondes Scheibe sich füllt, magst du mich nun erwarten, geschmückt wie die Braut, oder thränend wie das gebundene Opferthier. Hoffe nicht, mir zu entrinnen, denn meinem Falkenblick wie meinen Spähern entkommst du nicht.« – »Mensch!« stammelte Esther, Todtenblässe auf den Wangen, »was willst du beginnen in deiner tollen Grausamkeit? Hast du geschworen zu verderben mein Geschlecht, so morde mich. Kannst du erringen Geld und Belohnung, so verrathe mich an das Gericht. Welchen Vortheil bringt dir's aber, so du mich quälst mit Zumuthungen, deren Gräßlichkeit mir den Tod wünschenswerth macht?«

»Närrchen!« lachte Zodick höhnisch, »du wirst mich kennen lernen besser, denn bisher. Leb' wohl und setze all' deine Hoffnung auf mich. – Noch eins!« setzte er bei, an der Thüre umkehrend, »ich habe versprochen, deinem Vater zu bringen von dir ein Zeichen des Lebens und des Wohlseins. Der hochgelobte Gott will, daß ich ihn dadurch tröste in der Nacht seines verdienten Kerkers. Gieb mir den Ring deines Fingers, oder die Flechtenspitze von deinem Haupte, auf daß sie Zeugnis geben mögen für mich bei deinem Vater!«

Esther sah den Menschen lange und forschend an. »O, sage mir, Zodick,« sprach sie alsdann, »rede und sage mir, wer du bist: ob ein Abschaum der Verworfenheit, oder ein wahnsinniger Thor, den der Herr geschlagen, daß er die Welt unglücklich mache durch seine bösen Träume und giftigen Reden, oder aber ein verblendeter, unglücklicher Mensch, der böse handelt aus Rache und Haß und gern wieder gut handeln möchte, um seinem bessern Theile zu genügen und dem empörten, zagenden Gewissen? Ich möchte dich für den Letzteren halten, so du mir betheuern könntest, daß keine Hinterlist hinter deinem Begehren lausche.« – »Wofern ich nicht habe versprochen deinem Vater, ihm zu bringen ein Pfand deines Lebens und deiner Freiheit,« hob langsam und beschwörend Zodick an, – »so will ich verkrummen wie ein lahmer Wurm, der im Staube verscheidet, alle Blutschuld von Israel und Edom falle über mein Haupt zusammen wie die Felsen von Josaphat. Also geschehe mir, wofern . . .« – »Halt ein mit dem gräßlichen Schwur, der den Ungläubigsten überzeugen müßte von der Wahrheit dessen, was du gesagt!« unterbrach ihn Esther schaudernd, indem sie mit schneller Hand eine Locke vom Haupte schnitt und sie dem falschen Boten hinreichte, »da, nimm, räthselhafter Mensch, der bald die Hölle selbst in sich erschließt, bald eine menschliche Regung kundgibt. Bringe den armen Gefangenen Trost durch dieses Zeichen und laß' den hochgelobten Gott deine Seele lenken, daß du erwachen mögest aus dem Schlummer der Sünde und widerrufest, was du gelogen und falsch beschworen. Zodick!« fuhr sie fort, da er stumm und stier, wie nachsinnend vor sich hinsah und sie dieses Schweigen für eine menschliche Rührung nahm. »Zodick! höre mich! Laß' dich rühren das Schicksal Ben David's, deines väterlichen Freundes. Nimm sie zurück, diese Anklage, die drei Menschen erbärmlich hinwürgt, wie schuldlos gepeinigte Lämmer.«

»Schweige!« entgegnete Zodick überrascht, »das geht nicht; aber, Gott soll mir helfen, das Aergste will ich treiben ab, so du mir sagst, Massal tobh!«

Mit einem Blicke des Abscheus wendete sich Esther ab und der freche Brautwerber drohte ihr grinsend mit dem Finger. »Was man oft verweigert in Güte,« murmelte er spottend, »das gewährt man oft der Gewalt. Gute Feiertage, Schickselchen. Wir sehen uns wieder. Denk' an mich!«

Mit der Schnelligkeit eines Kobolds huschte der Mensch über die Treppen hinunter und entkam glücklich, wie sich aus der Ruhe des Hauses schließen ließ. Statt seiner aber fand sich bald die alte Crescentia ein und weckte Esther aus den bösen Träumen, in welche sie der Besuch des gefürchteten Zodick versetzt hatte. – Nun erst fiel Esthern der Besuch des alten Diether ein und aufschreckend fragte sie: »Bin ich entdeckt? Hat mich Herr Frosch ausgekundschaftet?« – Crescenz schwieg ein wenig betroffen, dann entgegnete sie: »Ei, ei, Mägdlein, wie kannst du wissen, daß Herr Frosch, der Altbürger, hier gewesen, wenn du nicht gelauscht hast an der untern Treppe? Diese Neugierde hätte dich diesmal in große Gefahr bringen können. Der alte Herr war ohnehin so aufgeregt und unwirsch . . . und wenn er vollends gesehen hätte, wen ich hier ohne sein Vorwissen beherberge . . . – beim Stöcker säßest du und ich wäre um den kommlichen ruhigen Dienst. – Zum Glücke hat es diesmal nicht dir gegolten, du mein armes neugieriges Heidenkind, aber neue Hausbewohner hat der Herr auf den Schellenhof gebracht und da dieselben gerade unter dieser Giebelstube ihren Sitz aufgeschlagen haben, so empfehle ich dir leise Socken und ein hübsches feines Schweigen.« – »Neue Hausbewohner?« fragte Esther, »Herr Diether Frosch hat sie gebracht?« – »Ja wohl,« seufzte die Alte und schlug, achselzuckend gen Himmel sehend, ein Kreuz, »komm' ich mir doch beinahe vor, wie der Gefängniswärter auf dem Eschenheimer Thore. Ich soll alle Jungfern hüten, die man in der Stadt nicht wohl aufheben mag.« – Esther seufzte tief auf. – »Nu, nu,« fuhr die Alte fort, »das soll dir nicht zum Gehör geredet sein, mein Däuschen, ich wollte auf deine Ehrbarkeit einen Eid schwören, bloß allein, weil Junker Dagobert dich seines Schutzes würdigt, allein die da unten ist nicht mehr rein wie die Apfelblüthe an meinen Bäumen und ich wollte Alles verwetten, daß in ihr der Grund alles Zwiespaltes im Frosch'schen Hause aufzusuchen ist.« – »Wer ist diejenige, von welcher Ihr sprecht?« fragte Esther. – »Die Magd ist's, die soeben der alte Diether hierher geleitet und sammt einem holden Töchterlein in meine Verwahrung gegeben hat, bis auf weiteren Befehl. Er nimmt Antheil und Sorge an dem Töchterlein, sagt er, und ich glaube es wohl, denn man müßte blind sein, um nicht die Wahrheit zu errathen. Er findet es nicht gerathen, das Mägdlein und deren Mutter in seinem eigenen Hause zu beherbergen. Das meine ich auch, sintemalen die Hausfrau daselbst solche vom Himmel gefallene Kinderleins mit scheelen Augen ansehen würde. Da soll denn nun mein guter, ehrlicher Schellenhof das Nest sein, wo Kuckuckseier verwahrt werden mögen.« – »Aber, was bedeuten denn diese Reden?« fragte Esther, »was meint Ihr damit?« – »Daß den alten Herrn der Leidige zu unrechter Zeit geblendet hat,« eiferte die fromme Crescentia, »und daß hier die Schande verborgen werden soll. Meinethalben, ich bin eine alte Magd und mich kümmert nicht, was die Herrschaft thut oder läßt, ich sehe daher auch ganz ruhig zu und will – dem Befehl des Herrn zu folgen, sogar mich bezähmen und die Dirne, die gleichmüthig dasitzt wie die Unschuld selbst, nicht einmal ausfragen, sondern die Sachen gehen lassen; aber, wenn die ehrsame Frau herauskommt, wie sie in jedem Frühling ein paar Mal zu thun pflegt und die ganze Bescherung sieht, dann wasche ich meine Hände in Unschuld und dem alten Herrn von sechzig Jahren und darüber, dem ich stets etwas Besseres zugetraut hätte, geschieht dann recht. – Aber,« setzte sie, plötzlich leicht erröthend, hinzu, »da bemerke ich soeben, daß ich in der Fülle meines Herzens Alles herausgesprochen habe, was ich mir als Wahrheit einbilde. Das will sich für eine alte, treue Wächterin nicht wohl geziemen. Du magst es jedoch der Geschwätzigkeit des Alters zu Gute halten, und es wieder vergessen. Besonders empfehle ich dir, gegen den Jungherrn bei dessen Rückkehr nicht das Geringste merken zu lassen, denn Kinder müssen nichts erfahren von den Verirrungen ihrer Eltern.«

Als die Alte hinweg gegangen war, machte Esther ihrem gepreßten Herzen durch einen Strom von Thränen Luft. »Wie unglücklich bin ich!« klagte sie leise vor sich hin. »Einer Liebe hingegeben, die bald wie eine sanfte Glut mein Innerstes erwärmt und veredelt, bald aber wie ein ungeduldig Feuer meine Seele quält und anschmiedet an einen Gegenstand, der unstät und rastlos sich immer meiner Sehnsucht entzieht, bin ich bald niedergegangen zur Tiefe, bald schwebe ich auf zur Höhe der Himmel. Die Pflicht ruft mich gebieterisch auf die Schwelle wenigstens des Kerkers, in welchem meine Väter athmen, da die rohe Willkür mir das Glück versagt, ihn mit denselben zu theilen; die Liebe aber hält mich hier in diesem engen Raume zurück. Ihr vertrauend, die mir Schutz und Beistand den Meinigen verheißt, überlasse ich Jochai und Ben David ihren Leiden. Wird aber der Freund erfüllen können, was er zu erfüllen wünscht? Reißt mich das Verweilen auf dieser Stätte nicht endlich auch in den Abgrund, aus welchem ich meinem Vater nimmer emporreichen werde können die rettende Hand? O, Mutter, welcher das Paradies sei und die Palme des ewigen Friedens, Mutter, erinnere dich, wenngleich ein abgeschiedener Geist, deiner Tochter und leiste Hilfe! Ureiniger Gott, zu dem Jakobs Söhne beten, wie die Verehrer des Menschgewordenen, schütze du den edlen Mann, den ich ehre wie einen Gesegneten des Herrn, daß er bald zurückkehre und das Truggewebe zerreiße, das meines Vaters Unschuld, unser aller Geschick umhüllt! Schon drang der Verrath über diese Schwelle, wer weiß, wie lange der verbrecherische Unhold seine Drohungen aufschiebt? Wer weiß, ob mich nicht vielleicht der nächste Tag, verrathen und verkauft, in den Händen der Feinde sieht? Wo weilt er, der einzige Hort, auf den ich baue? Kann meine angstvolle Stimme ihn rufen über Berg und Thal? O, daß meine Klage ein Zauberspruch wäre, der ihn herbeizöge mit unwiderstehlicher Gewalt, daß der hochgelobte Gott die Schwester doch wieder in seine Hand gegeben hätte, damit er Zeit gewinnen möge, an seine unwürdige Magd zu denken! Seine Nähe allein dünkt mir schon ein Balsam für alle Wunden, die das Schicksal schlägt. Und meine allzu gefällige Einbildungskraft gaukelt mir nur zu oft eine schmeichelnde Täuschung vor. Pocht mein Herz bang und ungeduldig, so höre ich den Hufschlag seines geschwinden Rosses. Zittern meine Pulse, so vernehme ich seinen nahenden Schritt. Ungeduldig berge ich mich hinter diesem Riegel. Zürnend sieht mein Auge jenes verschlossene Fenster an, das mir die Aussicht nach der Heerstraße verbirgt, auf welcher er daherziehen wird. Wenn er käme, jetzt käme, im Andrange der höchsten Noth! Wenn ich ihm könnte entgegeneilen auf den Flügeln des Auges, um ihn zu begrüßen, schon im fernen Dämmerschein? Warum nicht jenes Fenster, das unnütze Vorsicht verschloß, kann eröffnen die muthige Hand! Vom Aufgange kommt alles Gute, alles Wahre. Vom Sonnenaufgange her sieht der hochgelobte Gott in unsere Tempel, von dort muß auch Dagobert wieder heimkehren!« – Kühn schlug ihre Hand den verschlossenen Laden des Fensterleins auf und ihr Blick suchte unter den Rosen, die der Niedergang dem blaudunkeln Osten zuwarf, den Geliebten. Umsonst! Leer war und blieb die Straße. Längs der Gartenmauer jedoch kroch ein Mann schwer und unbehilflich hin, beschäftigt, wie es schien, Kräuter zu sammeln im thauigen Abendschein. Zufällig richtete sich auf ihn Esther's Auge – zufällig blickte er zu dem klingenden Fenster empor – und schnell fuhr das Mädchen zurück. Es war der Judenarzt Joseph, der dort unten verkehrte und Esther flehte zum Himmel um Gnade, von dem Gefürchteten nicht erkannt worden zu sein.


 << zurück weiter >>