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Das Schloß Neufalkenstein, der Sitz des Ritters Bechtram von Vilbel, hatte seit Langem nicht so viel Geplauder und Gelärm in seinen Mauern gefaßt, als seit der Zeit, da der Graf von Montfort dem Besitzer einen Besuch abgestattet und demselben aufgetragen hatte, das schöne Fräulein von Baldergrün von der Heerstraße wegzufangen, zum schuldigen Dank für manche Unbill, die der Graf zur Zeit, da er um das Edelfräulein warb, hatte ertragen müssen. Dem in dergleichen Aufträgen geübten Bechtram, welcher, nachdem er lange Jahre hindurch der Hauptmann der Reichsstadt Frankfurt in Ehren und Frieden gewesen, vorgezogen hatte, das unedlere Gewerbe der Wegelagerei wieder zu ergreifen, war des Grafen von Montfort Aufgabe über alle Maßen trefflich gelungen und die Beute richtig geworden. Ein solcher Fang warf zu viel an Gewinn ab und war überhaupt zu selten in der Rechnung der Herren vom Stegreif, als daß sich die Letzteren nicht hätten etwas zu Gute thun sollen.
Bechtram mit seinen Genossen bankettirte Tag aus Tag ein; seine Hausfrau hatte alle Hände vollauf zu thun, um ihre Gäste zu bewirthen, und Wallrade hatte in ihrem männlichen Geiste mit überraschendem Scharfblick den Standpunkt erfaßt, von welchem sie ohne weitere Demütigung in das Gewühl um sie her herniedersehen konnte. So finster es auch in ihrem Innern wogte, so heiter und glatt hatte sie die Stirne gelegt. – Nicht die Gefangene schien sie zu sein – preisgegeben der harten Willkür räuberischer Wächter – eine Fürstin vielmehr, die sich es gefallen läßt, auf kurze Zeit von dem Gipfel ihrer Größe in's gemeinere Leben herniederzusteigen und durch ihre Gegenwart das Haus eines ihrer ärmeren Vasallen zu beglücken. Sie vermochte es über sich, dem ganzen Abenteuer eine scherzhafte Seite abzugewinnen, und dann und wann mit seinem Spott ihrer Umgebung merken zu lassen, daß der ganze Vorfall ihr nichts weniger, als wichtig erscheine, sondern im Gegentheile kurzweilig und ergötzlich, da es über kurz oder lang dennoch ein für sie erwünschtes Ende nehmen werde. Mit verächtlicher Kälte hatte sie ihre Kleinodien und ihre Baarschaft den Räubern hingegeben, mit unbefangener Ruhe hatte sie es mit angesehen, da Frau Else, Bechtram's Hauswirthin, ihre breitschultrige, unangenehme Gestalt mit diesen Kostbarkeiten geschmückt und sich ihr also geputzt wie in höhnendem Scherz vorgestellt hatte. Den derben Uebermuth des Burgherrn und seiner Freunde vergalt sie ebenso mit unempfindlicher Derbheit, des Leuenbergers und Petronellens schadenfrohen Spott mit schalkhaften Antworten, die die Lacher auf ihre Seite brachten, und stand im Ganzen genommen da, nicht wie ein eingekerkert schwaches Weib, sondern wie ein zu Schutz und Trutz gerüsteter Kämpfer, der keine Blöße gibt, ohne die des Gegners zugleich zu treffen. – Je unerwarteter dieses Benehmen den Insassen und Gästen Neufalkensteins war, je weniger verfehlte es seinen Zweck, und die kräftige Wallrade hatte die Genugthuung, bald den Erfolg zu beobachten.
Bechtram, sein Weib und seine Gesellen, rauhe Menschen, wie das wilde Leben in Fehde und abgeschiedener Veste sie zu gestalten pflegt, hätten die stillduldende Sanftmuth einer Unglücklichen unerbittlich zu Boden getreten – aber der unduldsame Trotz Wallradens erschien den Harten einer günstigern Behandlung würdig. Bechtram lächelte, wenn das Fräulein seine Veste ein Raubnest schalt. Else duldete scherzend den Spott, welchen die gezwungene Gastfreundin über ihre unschmackhafte Küche aussprudelte. Der wilde Hornberger gerieth in Entzücken, sah er Wallraden auf dem Rücken seines Gauls, dessen Koller sie mit aller Kraft eines Mannes im wenig geräumigen Zwinger bändigte. Der schielende Doring, der wüste Reifenberger, der dicke Henne von Wiede – Bechtram's Gefährten – sowie der ab- und zufahrende Eppsteiner bemühten sich um die Wette, das in Haft liegende Fräulein durch kurzweilig Gesprächsel zu vergnügen, oder durch ein Spiel im Brette, oder durch ein vom Zuge mitgebrachtes Geschenk. Der Leuenberger legte von Stunde zu Stunde mehr von der Schroffheit ab, die er gegen seine Stiefnichte geäußert hatte, und wandelte sein Betragen in eine gewisse tölpische Höflichkeit und Augendienerei um, die von Wallraden nicht unbemerkt, sowie von allen Uebrigen nicht ungeneckt blieb.
Die Base Petronella endlich, verblüfft von dem Benehmen Wallradens, hatte ihre beißende Zunge zur Ruhe verwiesen und ihren gewöhnlichen Standpunkt eingenommen; nämlich den einer Zeitvertreiberin, weil ihre Märlein und Schnurren weit und breit in den adligen Genossamen der Gegend guten Klang und Ruf hatten. Frau Else liebte das Erzählen im traulichen Kreise und Wallrade forderte oft selbst die Muhme dazu auf, wenn sie den Zudringlichkeiten des Leuenbergers ein Ende machen wollte. War die Alte dann im Zuge, so entfernte sich Diether's Tochter gewöhnlich unvermerkt und erklimmte den Wartthurm, wo sie sich zwischen den mächtigen Zinnen niederließ auf die Steinbank, in die weite Luft hinausstarrte und ihren stürmischen Gefühlen den Lauf ließ.
Der Thurmwächter, der seiner tauben Ohren halber aus den Reihen der reisigen Knechte in die Höhe verwiesen worden war, wo seine scharfen Augen noch gute Dienste zu leisten vermochten, begriff nicht, wie sich das schöne gefangene Fräulein so ganz allein zu unterhalten vermöge auf der einsamen Warte. Wallrade legte aber die glühende Stirne an die kalten Steine und blickte hinaus gen Frankfurt, von wannen immer noch kein Retter nahen wollte. Immer noch war es ihr nicht gelungen, eine Botschaft an den Vater zu senden; von Tag zu Tag verzögerte sich ihre Befreiung. Unwillig klagte sie den Himmel an, daß er sie, gleich wie auf einem Siegerzuge, aufgehalten, während sie im Begriff gestanden, des Unfriedens und der Zwietracht höchstes Maß über das Haupt des Vaters und der Stiefmutter auszugießen. Unwillig fragte sie die Vorsehung, wie lange sie noch hier zu verharren habe in einem Zwang des Willens und der Empfindung, der ihr an's innerste Leben zu greifen begann, trotz Verstellung und Sündhaftigkeit. Zagend und zürnend zugleich gedachte sie des Augenblicks, in welchem der Graf von Montfort – dessen Zuthun bei der verwünschten Begebenheit sie leicht errieth – auf der Veste erscheinen und seine Gegenwart die durch seine Unritterlichkeit Gefangene am tiefsten demüthigen würde. Allein der Zeitpunkt ihrer Erlösung lag immer noch ferne, denn ein geheimnisvoller Schleier bedeckte vor jedem fremden Auge die auf Neufalkenstein verwahrte Beute.
Der Aufenthalt der Gäste hatte bereits mehrere Tage gedauert und Wallrade war gerade nach dem Imbiß zu dem Wartthurm emporgestiegen, um ruhiger zu werden. Der Weg, welcher unfern der Veste vorüberlief, war leer und öde. Ein frischer Luftstrom erquickte aber Auge und Stirn der Gefangenen und ihr Blick schweifte kühn über die Höhen und Ebenen, über Gewässer und düstere Tannenwipfel und senkte sich tief in das Innere der kleinen, zu ihren Füßen liegenden Veste. Ihr Herz ergrimmte auf's neue, da sie jetzt erst wahrnahm, wie gering und unbedeutend der Kerker war, der sie einschloß. Ein tiefer Graben umschloß die unregelmäßig gebaute Veste, deren Eingang ein schmales Thor, bloß für einen Mann zu Pferde breit und hoch genug, bildete. Zugbrücke und Pforte verschlossen diesen Eingang beständig, wie eine von aller Welt abgeschnittene Klause. Hinter den dicken, am Graben emporragenden Mauern schlängelte sich der enge Zwinger, in welchem Knechte, Pferde und Hunde sammt dem geraubten Zug- und Melkvieh ihre Hütten und Ställe fanden. Eine elende Waffenschmiede, in welcher die auf Raubzügen zerhackten Blechhauben und Drahtwämser nothwendig zusammengeflickt wurden, streckte hier ihren rauchenden Schlot. Dicht daneben hatten die Burgleute eine bald zum Armbrustschießen, bald zum Kegelschieben benützte Bahn angelegt; der einzige Fleck, auf welchem allenfalls ein Roß zugeritten werden konnte. Wer aus diesem Zwinger in das Innerste dringen wollte, mußte durch ein niedriges, von schwerem eichenen Gegatter fest verschlossenes Pförtlein kriechen, hinter welchem der enge finstere Hof das Wohngebäude des Herrn einfaßte, zu dessen, ungefähr acht bis neun Schuh von dem Boden erhöhter Schwelle eine in Klammern gehängte Holztreppe führte, die im Nothfall weggenommen werden konnte, um einem Feinde den Eingang zu den Schätzen und Vorräthen des Hauses mindestens zu erschweren.
Im Hofraume schnatterte des Federviehs bedeutende Menge, rauchte der Ofen, in welchem die thätige Hausfrau das Brot bereitete, umfangen von hohem, rußigem Gemäuer, das in die Fensteröffnungen des Erdgeschosses der Burg nur den bleichsten Strahl des Tages eindringen ließ. Hier war die Halle, welche den mächtigen Herd in sich faßte und den in tiefer Schlucht quillenden Brunnen der Veste und den Eingang in die unterirdischen Waarenkammern und Weinkeller des Hauses, sowie die Treppe zu den obern Gemächern, deren zwei sich in der Burg befanden, in eben so vielen Stockwerken vertheilt. Das erste, zu welchem die Wendeltreppe führte, – das Gemach der männlichen Bewohner, in welchem Trinkgelage und Mahlzeiten gehalten wurden, nahm den ganzen Raum des Stockwerks ein, eine Kammer ausgenommen, in welcher auf strohgefüllten Säcken, überdeckt mit Wolfs- und Bärenfellen die Männer des Schlafs genossen, umgeben von ihren Gewändern, Waffen und Sätteln ihrer Pferde. Stieg man die fortlaufende Wendeltreppe empor, so gelangte man im zweiten Stockwerke zu dem Gemach der Frauen, das, wenngleich zierlicher geputzt, als das der Männer, dennoch ungefähr dieselbe Einrichtung hatte. In jedem der vier, ziemlich breiten aber niedern Fenstern zwei steinerne Ecksitze, an den Wänden fortgehende Bänke mit Polstern; in jedem Winkel des Gemachs ein schwerer Schwenktisch oder Kleiderschrein, geschmückt mit glänzendem Schloß und zierlich geputzten Kürbissen und Pfauenfedersträußen, Truhe und Spinnrocken und Garnwinde nicht zu vergessen. Vorspringende Erker, von kleinen Schartenfenstern erhellt, enthielten die Lagerstellen der Frauen des Hauses und der längs der Vorderseite des obern Stockwerks hinlaufende Söller bot ihnen eine willkommene Stelle dar, um in freier Luft zu arbeiten, zu beten, zu plaudern, oder dem Treiben und Leben des Taubenvolks zuzuschauen, das oben an des Schlosses Zinne seinen Schlag besaß und auf- und niederflatterte an den steil gezackten Giebelseiten des bunten Ziegeldachs.
Ringsum war oben die Aussicht frei, nur an der Seite nicht, wo der lange und runde Wartthurm in die Höhe strebte, welcher in seinem Erdgeschosse die enge und kleine Kapelle der Burg enthielt und drei Stockwerke zählte, bis zu der Zinnen räumlicher Krone, drei Verließe enthaltend, von welchen das oberste des Lichtes genoß, das mittlere einer milden Dämmerungshelle sich erfreute, das unterste aber, zu welchem nur ein rundes Loch den Eingang bot, tief hinabging in schaurig dunkle Gruft, wohin bloß die ferne Stimme des in der Kapelle die Messe singenden Priesters drang, da der schreckliche Schlauch des Verließes dicht hinter dem Altar sich abwärts senkte. Auch dieser schwache Trost war jedoch zu gegenwärtiger Zeit dem Unglücklichen versagt, der vielleicht diese Schreckensgrüfte bewohnen mußte. Der Herr der Burg war in den Kirchenbann gethan worden; der Pfaffe, der den Kapellendienst im Schlosse versehen hatte, war ausgeblieben und dumpfiges Schweigen herrschte Tag und Nacht in dem verödeten Kirchlein. Wallrade wußte nicht, ob das unterste Verließ des Wartthurms, auf dem sie stand, einen Gefangenen barg; aber daß im mittlern Stockwerke des Erkergebäudes Menschen in Haft lagen, war unbezweifelt, da von Zeit zu Zeit trotz dem dicken Gemäuer und den schmalen Luftluken, klagende oder singende Stimmen herausdrangen, nur hörbar für den auf der Thurmspitze aufmerksam Lauschenden. Im Vergleich mit diesen armen, zwischen düstern Wänden eingesperrten Leuten, mußte Wallrade freilich ihr Schicksal glücklich preisen und sie that es auch, so lange ihr Auge Erholung suchte in den freien Himmelsräumen. Sah sie jedoch hinab in die enge Veste, welcher sie dennoch nicht entrinnen konnte, da wollte ihre Brust beinahe zerspringen und alles Gold der Welt hätte sie für die Erlaubnis gegeben, einen jener Renner zur Flucht besteigen zu können, die soeben im Zwinger zu einem Zuge fertig gemacht und gezäumt wurden. Die Knechte der Burg, vielleicht ein Dutzend an der Zahl, krochen gerüstet aus ihren Hütten und jagten sich auf dem Rasen umher, während der Schmied die Hufe der Rosse besichtigte und in Eile zusammenpfuschte, was nicht mehr halten wollte.
Mittlerweile traten die Herren aus der Gatterpforte: Bechtram mit seinen Gefährten. Ihr Anzug verrieth deutlich, daß sie nicht zu einem Lustritt gingen. Bewaffnet bis an die Zähne stiegen sie zu Pferde, winkten sie der Hausfrau ein Lebewohl und zogen durch das schmale Thor über die schwankende Brücke in's Freie. Der Leuenberger, der zur Bewachung des Hauses zurückgeblieben war, ertheilte dem Thorwächter die nöthigen Befehle zur Verschließung der Burg. Die Brücke ging knarrend in die Höhe; die wenigen zurückgebliebenen Burgleute gingen an ihr Geschäft oder an das zeitvertreibende Spiel, und die ausgezogenen Männer waren noch nicht an die Spitze des Tannenbruchs gelangt, als schon in der Veste wieder eine Ruhe herrschte, gleich der des Grabes. Es währte indessen nur kurze Zeit, so kamen rasche Tritte den Thurm herauf und der gegenwärtige Schirmvogt der Veste stand plötzlich vor Wallraden. Das Bewußtsein des wichtigen Amtes, das er in diesem Augenblicke zu bekleiden erkoren war, sprach aus seiner Haltung und seinen Zügen. – »Beschäftigt, alle Räume des mir anvertrauten Schlosses zu besichtigen,« sprach er mit widerlichem Lächeln, – »muß ich doch auch sehen, wie und wo sich meine werthe Gefangene befindet.«
»Sie lugt hier nach dem Zuge der freien Lerchen,« entgegnete Wallrade ebenfalls lächelnd, »und kann nicht begreifen, wie sich diese holden Sänger diesem finsteren Thurme nähern mögen, in welchem die Knechtschaft weint.«
»Ei, was kümmern Euch die Knechte im Thurme?« versetzte Veit mit einer plumpen Verbeugung. »Ihr seid die Herrin von Neufalkenstein, mehr denn Frau Else selbst.« – »O, spart Euer höhnisch Schmeichelwort,« erwiderte Wallrade leicht, »Ihr wißt, sie versteht nicht lange Scherz und ist eifersüchtig auf die Oberherrschaft.«
»Wie ich auf einen Blick von Eurem holden Augenpaar;« fügte Veit wie oben bei. Wallrade gab sich die Miene, seinen Worten keinen Glauben beimessen zu wollen, daher nahm der Leuenberger seine Zuflucht zu Betheuerungen. – »Pest und rother Hahn!« rief er. »Schönes Fräulein, ich würde lügen, wenn ich sagen wollte, daß ich Euch von Anbeginn gern gesehen, aber die Liebe nistet sich ein, ohne daß man's vorher sieht oder merkt. Ihr habt mich berückt, ob ich gleich bis auf den heutigen Tag mein Herz bewahrte und ob Ihr gleich meine Stiefnichte seid.« – »Ihr schreibt mir einen großen Sieg zu,« versetzte Wallrade scherzend, aber einen der gefährlichsten Blicke hinzufügend, deren sie nur Meister war. Dieser Blick ermuthigte den unbeholfenen Ritter, in seiner Herzensergießung fortzufahren. – »Mich soll der Schwarze reiten, hier vor Euren Augen,« sprach er, »wenn, was ich sage, nicht mein voller Ernst ist. Ich rede sonst nicht viel mit Weibern, aber heute und Euch gegenüber bin ich in Zug gekommen. Ihr wißt jetzt mein Geheimnis, von welchem ich nicht einmal der Base ein Sterbenswörtlein verrathen habe. Erwidert mein Vertrauen mit dem Eurigen. Laßt mich wissen, ob ich vielleicht hoffen dürfte.« – »Eure Rede wird sehr dringend und ernstlich;« meinte Wallrade, eine Aufmerksamkeit verrathend, die des liebetrunkenen Junkers Glut anfachte. – »Wenn Ihr nur endlich das Ernstliche einseht!« rief er; »Kreuz und Stein! Ich denke, so gut als Euer Vater und meine Schwester ein Paar werden konnten, – so gut können wir's auch werden und sollte die Verwandtschaft ein Hindernis machen wollen, so martre ich einen Pfaffen so lange, bis er einen Dispens herausgibt, gültig wie einer von Rom.« – »Ei, Ihr sprecht ja ruchlos, wie ein böhmischer Ketzer!« rief Wallrade scherzhaft. »Nimmer werdet Ihr mich von der Wahrheit einer Liebe überzeugen können, die sich so gotteslästerlich ausdrückt.« – »Pest und rother Hahn!« eiferte der Leuenberger, heftig mit seinen braunen Händen die Luft sägend. »Fordert eine Probe meiner Liebe. Soll ich den tauben Hund von Wächter, der dort wie ein Klotz auf der Matte kauert und in die Ferne stiert, Kopf über Kopf unter vom Thurme werfen? Oder soll ich in Frankfurt eintreten, trotz dem Stadtbann, in dem ich liege und mich wieder herausschlagen, und das Tintenfaß des Stadtpfaffen vom Römer mit heimbringen? Gebietet; was Ihr wollt, soll geschehen und wenn sich der Satan drei Mal dazwischen legte.« – »Ihr stellt Euch Aufgaben allzuschwer, als daß ich Euch beim Worte nehmen könnte,« entgegnete Wallrade, – »und gerade durch solches Ueberbieten in Gefahren, die Ihr bestehen wollt, macht Ihr mich mißtrauisch. Kann ich an die Liebe des Mannes glauben, der, um mir zu gefallen, Andere mordet; mich selbst jedoch, ohne vor Scham und Unwillen zu erröthen, in dem Schlamm der Demüthigung sehen kann? Ihr fordert, daß ich Euer Herz prüfe. Wohlan; geht hin, öffnet mir die Pforte dieses Kerkers, löst meine Fesseln und dann bewerbt Euch um meine Gunst. Oder, – thut das Leichtere; meldet nur meinem Vater den Ort meiner Gefangenschaft und dann – nachdem ich in seine Arme zurückgekehrt – dann fordert meine Hand.«
Der Leuenberger schwieg betroffen, während Wallrade den Blick auf ihn heftete. »Edles Fräulein,« sprach er endlich bedächtig, »was Ihr verlangt, geht über meine Kräfte. Wir Edelleute halten fest an unserm Wort und Bechtram hat das meine; und Euer Vater würde mir zehn Mal eher vor dem Gallusthore zu Frankfurt Nase und Ohren abschneiden lassen, als mich in seine Sippschaft aufzunehmen.« – »Ich weiß nicht, inwiefern Herr Diether Euch gehässig ist,« erwiderte Wallrade seufzend, »allein ich dächte, auch meiner Dankbarkeit solltet Ihr in etwas vertrauen.« – Der Blick, den sie bei dieser Rede auf Veit's Antlitz warf, sollte heftiger zünden, als die vorigen, aber seine Kraft prallte ab an der Scheu des Leuenbergers vor Bechtram's Rache und Diether's gegründetem Haß. – »Ei was!« brummte er. »Eure Haft kann ja doch wahrlich nicht ewig währen. Hat Bechtram von Montfort erst erhalten, was er will, liegt ihm ferner nichts daran, Euch zu füttern. Dann wäre es an der Zeit, meinen Wünschen zu genügen und eine fröhliche Ritterehe zu schließen, zu welcher man nichts braucht, als einen Bettelmönch und ein stilles, sicheres Kämmerlein. Was sagt Ihr dazu, mein süßes Lieb?« – »Daß Ihr ein Abscheulicher seid, der meine Verachtung verdient, aber nicht die Minne einer ehrsamen Jungfrau,« erwiderte ohne Hehl Wallrade, der das Blut in die Wangen geschossen war, bei dem unziemlichen Antrag des Stegreifritters.
Veit schwieg und lehnte sich verlegen auf die Brustwehr des Thurmes. »Einfältiger, tölpischer Klotz!« murmelte Wallrade und stützte verdrießlich den Kopf in die Hand. Der Leuenberger gewahrte aber soeben seine Base am Erkerfenster der Burg und winkte ihr und Frau Elsen, heraufzukommen auf die luftige Höhe. – »Muhme Petronella soll uns ein Märlein erzählen,« sprach er mit läppischem Lächeln zu Wallraden; »sie wird Euch dadurch auf andere Gedanken bringen und mich vergessen machen, was ich von Euch vernehmen mußte.« – Wallrade machte eine unwillige Bewegung gegen ihn und stand auf, um zu gehen. Der Versuch war aber umsonst, denn schon knarrte die Thüre des Thurmes und die schwerfälligen Tritte der Frauen kamen näher heran. Frau Else hielt die auf der Höhe der Steige unschlüssig verweilende Wallrade auf. »Ei, wo hinaus?« fragte sie mit ihrer männlichen Stimme, die im Hause Befehle ertheilte, donnernd wie der Schlachtruf eines Feldhauptmanns; »dageblieben! Wir sind jetzt die alleinigen Herren im Hause und wollen uns gütlich thun auf der kühlen Warte.« – Somit drehte sie Wallraden mit einer Schwenkung des Ellbogens um und reichte der mühsam heranklimmenden Base die Hand. – »Herauf! herauf! alte Nixe!« rief sie der Keuchenden entgegen. »Hier oben ist's wohl sein. Hast du dem Wilpert gesagt, daß er uns eine Kanne kühlen Weins heraufschleppe und einen Korb mit Brot und Fleischkuchen?« – Petronella bejahte; Else zog Rocken und Spindel aus dem breiten Ledergürtel, der ihren stämmigen Leib umschloß. Der Thurmwächter mußte dem zögernden Wilpert entgegeneilen und die Frauen machten sich's bequem auf den Mauerbänken zwischen den Zinnen. – »Wie ist es doch so schön hier oben!« sprach Petronella. »Himmlischer Vater! wenn das Alles, was wir hier vor Augen sehen, unser wäre! Was meint Ihr, liebe Frau Else?«
Bechtram's Ehewirthin zuckte verächtlich mit den Lippen. »Mir kommt ein ähnlicher Gedanke nicht, denn ich bin zufrieden in meinem Hauswesen und wenn dieses mir nach Wunsch geht, so frage ich nicht nach Allem, was um uns her liegt an Wald und Feld, an Häuser und Höfen.« – Hier beschrieb sie mit dem hoch und drohend geschwungenen Rocken einen großen Kreis rings um sich her und schlug damit auf die Schulter des Leuenbergers, der, in Gedanken verloren, den Weibern den Rücken gekehrt hatte. – »Frau Else! Frau Else!« rief der Erschrockene, sich die Schulter reibend, »der Ritterschlag von Eurer Hand ist nicht sanfter, als der von einer Männerfaust.« – »Meint Ihr?« entgegnete die Frau von Vilbel. »Ich möchte auch wissen, wie ich wohl zurecht kommen würde unter dem Gelichter, das in unserem Hause aus- und einfährt, wie die Hexen aus und in den Schlot. – Vergebt aber, Leuenbergerin, daß ich gerade von bösen Hexen sprach. Ich sollte wissen, daß Ihr's nicht liebt, wenn man von Truden redet.« –»Hm!« meinte Petronella, »so man nur davon redet, mag es hingehen. Nur über die Schwelle dürfen sie nicht kommen und dafür habt Ihr gesorgt, Frau Else, denn das Hufeisen, das unter Eurer Pforte angenagelt ist, bleibt ein wahres Gottesmittel dagegen und so Ihr vollends nicht versäumt, jeden Morgen zwei Strohhalme kreuzweis darüber zu legen, so komm Euch nimmer eine Hexe zu nahe.« – »Ihr seid eine kluge Jungfrau,« erwiderte Frau Else, »und ich werde mir noch Manches von Euern Erfahrungen merken.« – »Ho, die Base ist gelehrter, als ein Meister der freien Künste,« fiel der Leuenberger ein; »besonders im Erkennen zauberischer, übernatürlicher und verborgener Dinge.« – »So?« fragten Else und Wallrade. »Das hätte man versuchen können,« fuhr die Erstere fort, »Ihr hättet meinem Manne des heutigen Zuges Ausgang und Erfolg weissagen können.« – »Hm!« meinte Petronella, den Kopf bedenklich wiegend, »dem Gastfreund geziemt's eigentlich nicht, des Wirths Thun und Lassen zu deuteln, aber, wenn man Achtung hat auf das, was um uns vorgeht, so kann man Manches in seinen Handlungen ändern, was ersprießlich und von Nutzen wäre. Der Hund hat die ganze Nacht im Zwinger jämmerlich geheult, die Eule hat geschrien und die Todtenuhr hat gehämmert, als wollte sie nimmer aufhören. Das bedeutet nicht viel Gutes. Zudem ist heute kein glücklicher Tag und ich hätte an Eurer Statt den Ritter nun und nimmermehr reiten lassen.«
»Ihr macht mir bange!« versetzte Else. »Mein Mann lacht über solche Dinge und fürchtet sich nicht, weil er ein geweihtes Amulet bei sich trägt, das er einem Pilger abgenommen, der es gerade von des Erlösers Grab geholt hatte. Wenn ihm nur das Heiligthum noch hilft, da er jetzo im Banne liegt?« – »Ei, wie sollte es denn nicht?« fragte Petronella entgegen; »die hochwürdigen Barfüßer Ordensherren weihen ja gewöhnlich diese Schutzmittel und man weiß ja, daß sie sich nicht viel um Bann und Interdict kümmern.« – »Ihr beruhigt mich wieder völlig,« antwortete Else, »ich hatte schon den Gedanken gefaßt, trotz Bann und Strahl eine Messe in der Kapelle lesen zu lassen, auf die glückliche Heimkehr meines Alten« – »Eine Messe? Wer versteht das Handwerk hier?« spottete Wallrade; »etwa der edle Herr, der vor uns steht, oder der taube Wächter, der endlich mit dem ersehnten Vorrath anlangt?« – »Hoho!« fiel Else ein, »wir haben wohl noch andere Leute hier im Schlosse, die Kutte und Platte tragen. Da unter uns sitzt ein armer Pater im Kühlen, dem Eure Gesellschaft, Leuenbergerin, Unglück gebracht hat, und der wohl jetzo, obschon Mittag vorüber, nüchtern genug wäre, um das Meßopfer zu bringen.« – »Wie?« schrie Petronella, erstaunt die Hände faltend, »der arme Mann, der mit uns hier angelangt?« – »Derselbe,« versetzte Frau Else kaltblütig, »er sammt dem Bäuerlein, das Euch den Wagen lieh, bewohnt unsern Thurm, weil mein Alter meinte, die Leute seien mit der Gegend zu bekannt, als daß nicht der Gewahrsam der schönen Wallrade verrathen hätte werden müssen. Sie werden sich's nun gefallen lassen, so lange hier zu verharren, bis des Fräuleins Haft vorüber.« – »Ha, Euer Herr macht wackere Streiche!« rief Wallrade keck. »An schwachen Frauen und wehrlosen Mönchen erprobt sich des Helden Muth« – O, laßt den Heldenmuth aus dem Spiele,« entgegnete Else; »einen schönen Falken läßt der tapferste und großmüthigste Mann nicht aus den Händen. Wahrlich, Wallrade, hätte ich einen Sohn, Ihr müßtet meine Schwieger werden und noch heute müßte der Pfaffe da unten Euch trauen.« – »Das ist ein Wort, vortreffliche Nichte,« sprach Petronella beißend, »Frau Else denkt nicht an ihr alt Geschlecht.« – »Ihr habt recht, Base Stolperwitz,« ließ sich Wallraden vernehmen; »unser halbadlig Wappen würde nicht zu dem des Ritters Bechtram passen, wenn er gleich Räuberei treibt. Beruhigt Euch indessen. Meine verehrte Wirthin hat ja keinen Sohn, der ihre Drohung verwirklichen könnte.« – »Freilich nicht,« setzte Else seufzend hinzu, »das ist's, was mir oft blutige Thränen kostet. Was nützt meinem Alten seine schwere Mühe und saure Arbeit? Wir haben ja doch Niemand, dem wir hinterlassen könnten, was er mit Schweiß und Blut erobert. Der Tag, an dem unser Philipp starb, der wilde Bube, war ein harter Tag, und auch damals schrie die Eule wie ein wahrer Unglücksvogel. Der Junge mußte gerade seinen Kopf aufsetzen und ein Pferd in die Schwemme reiten wollen. Mein Alter erlaubte es dem Fürwitz und vom Rosse geschleift und zertreten, brachten uns die Leute den Buben sterbend in's Haus zurück.« – Else wischte sich eine Thräne ab, die in ihr finstres Auge gedrungen war. – »Den leibeigenen Knecht, der das Unglück, ohne zu helfen, geschehen ließ, ließen wir todtpeitschen,« setzte sie mit fürchterlich gepreßter Stimme hinzu, »allein unsern Philipp machte es nicht lebendig.« – Eine tiefe Stille folgte auf diese kurze und gräßliche Erinnerung. Frau Else richtete sich indessen schnell in die Höhe, stampfte einige Mal mit dem Fuße auf das Pflaster, fuhr sich verstohlen mit dem Aermel über die Augen und langte die Kanne mit Wein an Wallraden. »Trinkt, thut Bescheid!« sprach sie mit ganz verändertem Tone; »dem Gaste gebührt die Ehre. Dann die gute Leuenbergerin, dann ihr Vetter und zuletzt ich. Petronella ist hernach so gut und gibt uns eine Sage zum Besten. Man vertreibt damit die Zeit am besten.« – »In Gottes Namen denn,« fügte Wallrade hinzu und drehte dem Leuenberger den Rücken, da er ihr einige verbindliche Worte in's Ohr flüstern wollte; »in Gottes Namen, Muhme. Hebt an und erzählt.«
Veit stemmte maulend den Kopf in beide Hände und pfiff in die Luft hinaus; die Alte setzte sich indessen zurecht und graute sich am Kinn. »Liebe Freunde,« begann sie, indem sie den Finger an die Nase legte, »eine Sage, die Ihr nicht schon wüßtet, fällt mir gerade nicht ein; eine Geschichte von den lieben Heiligen ziemt sich nicht zu berichten, an einem Orte, wo kein Gottesdienst gehalten werden darf, demzufolge will ich Euch lieber, da wir von Kindern gesprochen haben, Euch ein Kindermärchen erzählen; nicht das beste, nicht das schlechteste, das jemals von einer Amme oder einer treuen Mutter erfunden worden ist.« – »Meinethalben,« entgegnete Frau Else; »nur sei es nicht zu lustig und schnurrig, mein kluges Fräulein. Das Ernsthafte und Schauerliche ist mir lieber und stimmt besser zu meinem heutigen Gemüth.« – »Wie Ihr befehlt, meine gute Wirthin,« antwortete hierauf des Leuenbergers Base und hob an, mit lebhaften Geberden und wackelndem Kinn, wie folgt:
»Es sind wohl länger denn zweitausend Jahre her, als es einen reichen Mann gab, der eine gar schöne, fromme und sittige Wirthin in sein Haus geführt hatte und mit ihr des Lebens Glück genoß im höchsten Maße, ausgenommen das Glück, ein Kind zu haben. Da geschah es einmal, daß die Ehewirthin an einem frischen Wintertage unter dem Mandelbaume saß, der im Hofe stand, und einen Apfel schälte. Das Messer glitt jedoch ab und fuhr ihr in den Finger, daß ihr Blut in den Schnee rann. »»Ach!«« seufzte sie aus innerer Brust, »»wohl ist weiß der Schnee und roth das Blut, und hätte ich doch ein Kindlein roth und weiß wie sie beide.««
Kaum hatte die Frau diese Worte gesprochen, als ihr recht fröhlich und heimlich um's Herz wurde. Ein Mond ging hin und der Schnee ging weg; der zweite Mond fand Alles grün, im dritten kamen die Blümelein aus der Erde, im vierten alle Bäume in's Holz, worin die Vöglein sangen. Und wie der fünfte Mond vorbei war, da stand die Frau unter dem Mandelbaum, der gar zu lieblich roch, und ihr Herz war froh und konnte sich nicht fassen vor stiller Freude. Und wie der sechste Mond vorüber war, da begannen die Früchte aufzugehen und stark zu werden; sie aber wurde ganz still. Im siebenten Mond griff sie nach den Mandelbeeren, aß davon und ward traurig. Da aber der achte Mond hingegangen war, da rief sie ihren Mann und weinte und sagte zu ihm: »»Wenn ich sterbe, so begrabe mich unter den Mandelbaum.«« – Nun wurde ihr wieder ganz wohl und getrost zu Sinne und kaum war der neunte Mond vorbei, so gebar sie ein Knäblein, weiß wie der Schnee und roth wie Blut, und freute sich baß und starb. Ihr Mann begrub sie unter den Baum, wie er es versprochen, und fing an zu weinen gar sehr, eine Weile lang, allgemach legte sich aber das Herzeleid und dann hörte er auf zu greinen, und dann währte es nur eine kurze Zeit, so nahm er sich wieder ein Weib.« – »Männertreue!« sprach Wallrade bitter; »Ihr erzählt kein Märlein, Muhme. Daß ich Euch also nennen muß, beweist, daß wirklich im Leben geschieht, was in der Ammenstube erdichtet wird.« – Petronella zog ein verdrießliches Gesicht und ihr Vetter schlug eine spöttische Lache auf. Frau Else aber schlug allen beginnenden Hader durch den Wunsch nieder, das Märlein weiter zu hören, und das Fräulein von Leuenberg fuhr fort: »Die Stiefmutter gebar eine Tochter in's Haus und diese war ihre Liebe, und der Sohn der Verstorbenen wurde ihr Haß, und sie dachte ihn zu verderben. Und als einstens der Junge aus der Schule kam und von der Mutter 'nen Apfel begehrte, machte sie glühende Augen und begehrte von dem Buben, daß er heraufkomme zur Dachkammer, wo eine Kiste stand mit scharfem Schloß von Eisen und da sie den Deckel aufmacht und dem armen Jungen befiehlt, sich einen Apfel aus der Truhe zu holen, und der unschuldige Knabe sich hineinbiegt . . . Puff! schlägt sie den Deckel zu, daß des Buben Kopf unter die rothen Aepfel fiel. Darauf hat sie mit einen. weißen Tuch das Haupt wieder an den Körper gebunden, den Knaben vor die Thüre gesetzt und ihm einen Apfel in die Hand gegeben. Und da sie in der Küche stand, da kam ihr Töchterlein traurig zur Küche und sprach: »»Ach Mutter mein! vor der Thüre sitzt das Brüderlein und sieht aus wie der Schnee, und ißt nicht seinen Apfel und antwortet nicht, ob ich ihn gleich gebeten, mir von dem Apfel zu geben.«« – »»Ei,«« sagte die Mutter, »»wenn der böse Bube nicht reden will, so ziehe ihn an den Ohren.«« Lenchen ging hin und that, wie ihr die Mutter geheißen, und da lag der Bruder todt zur Erde. Da hat nun das arme Mägdlein geschrien und geweint, und die Mutter hat gesprochen: »»Ach, Lene, Lene, was hast du gethan. Komm', daß wir's dem Vater verbergen!«« und sie hackte den Jungen in Stücken und steckte diese in den Topf mit Wasser und kochte sie zum Imbiß; Lenchen stand aber dabei und weinte, daß alle Thränen in den Topf fielen, und das Gericht brauchte weiter kein Salz.« – »Aber, Fräulein!« sprach hier Frau Else; »welch' schreckliche Mär erzählt Ihr uns da? Gott vergebe der bösen Stiefmutter!«
»Und es ist doch nur 'ne Stiefmutter,« entgegnete Petronella mit häßlichem Lächeln, »und manche wahre und echte Mutter hat also gethan an ihrem Kinde.« – Else schlug ein Kreuz; Veit wollte sich todt lachen über die Schnurren, die seine Base auftischte; Wallrade war jedoch ganz still und sah ernst vor sich. Die Leuenbergerin nahm den Faden wieder auf und erzählte:
»Wie nun der Vater kam aus dem Wald und setzte sich zum Tisch, so fragte er: »»Wo ist denn der Bube?«« – »»Ueber Land ist er gegangen,«« antwortete ihm die Frau hierauf, als ob sie kein Wasser getrübt hätte: »»er will beim Großohm verweilen sechs Wochen lang und ich habe ihm's nicht versagen mögen.«« – »»Ach,«« versetzte der Vater gar wehmüthig, »»Wie konnte er doch fortgehen, ohne mir gesagt zu haben: Leb' wohl, Vater, und bleib' gesund?«« – Der gute Mann wurde recht wehmüthig und wollte nichts genießen, da er aber den ersten Bissen der gräßlichen Speise gekostet, wurden ihm die Augen und Mund weit, und er aß und aß, und aß ganz allein, und ließ keinem Menschen einen Bissen übrig, und vom ganzen Gerichte nur die Beinlein, die das kleine Lenchen in ein seiden Stück wickelte, verstohlen, daß es die Mutter nicht sah, und unter den Mandelbaum niederlegte in's grüne Gras, und sie befeuchtete mit blutigen Thränen. Da geschah es aber mit einem Male, daß der Mandelbaum begann sich zu bewegen und der Wipfel nickte freundlich, während dessen die Zweige aus einander rauschten und wieder zusammenschlugen, und die Wurzeln hüpften. Und dabei ging eine Nebelwolke aus von dem Baume und aus der Wolke flog so ein schöner Vogel heraus, wie er nimmer gesehen wird in deutschen Landen; der sang lieblich und wohlgemuth und flog in die hohe Luft. Unter dem Mandelbaume war jedoch Alles wie zuvor und das Gras spielte im Winde, die Blätter regten sich leise, aber des Brüderleins Gebeine waren verschwunden, wie das seidene Stück, so daß Lenchen's Herz weit wurde und sich nicht anders vorstellen konnte, als daß lieb Brüderlein noch lebe. Der bunte Vogel setzte sich inzwischen auf eines Goldschmieds Haus und sang vernehmlich. »»Die Mutter hat mich erschlagen, – Verzehrt hat mich des Vaters Mund, – Mein Schwesterlein thät mich begraben, – Beim Mandelbaum im kühlen Grund! Kywitt! Kywitt! welch ein schöner Vogel bin ich!«« – Meister Goldschmied saß gerade in der Werkstatt und fertigte eine goldene Kette. Der Gesang des fremden Vogels auf seinem Dach gefiel ihm über die Maßen und er lief auf die Straße, wo die Sonne so hell schien, wie das goldene Geschmeide in seiner Hand. – »»Ach Vögelein!«« rief der kunstreiche Mann: »»wie singst du doch so schön! Wiederhole die Weise noch einmal.«« Der Vogel erwiderte: »»Gibst du mir die goldene Kette in deiner Hand, so singe ich noch einmal. Umsonst thu' ich's jedoch nicht.«« Der Goldschmied reichte ihm hierauf die Kette dar vom reinsten Golde und der Vogel packte sie in die Kralle und setzte sich vor dem Goldschmied nieder und sang: »»Die Mutter hat mich erschlagen, – Verzehrt hat mich des Vaters Mund, – Lieb' Schwesterlein thät mich begraben, – Beim Mandelbaum im kühlen Grund! Kywitt! Kywitt! welch ein schöner Vogel bin ich!«« – »Traun!« schaltete hier der Leuenberger ein; »man kann nicht leichter zu goldnen Ketten kommen.« – »Unterbrecht doch die Muhme nicht,« schalt Else dagegen; »Ihr seid ein unruhiger Zuhörer. Nehmt ein Beispiel an Eurer Nichte, welche dasitzt wie ein fleißig Mägdlein in der Kinderlehre.«
Petronella schenkte der aufmerksamen Zuhörerin einen günstigern Blick, denn zuvor, und ließ sich weiter vernehmen: »Der Vogel flog von dannen und setzte sich auf eines Schusters Dach, wo er abermals sein Lied sang und damit Meister und Frau, Kinder und Gesellen auf die Straße lockte, wo die Sonne nicht heller schien, als die goldene Kette um des Vogels Hals. Und da ihn der Schuster aufgefordert hat, das Stücklein noch einmal zu pfeifen, so gurrte der Vogel, als ob er sich besänne, und sagt: »»Gibst du mir die rothen Schuhe, die du gerade vollendet hast, so will ich singen; umsonst thu' ich's aber nicht.«« – Der Meister reicht die Schuhe dem Vogel, der sie erpackt, auf des Schusters Schulter fliegt und das Lied wiederholt. Weit davon stand aber eine Mühle und zwanzig Müllersknechte standen darin und behauten einen Stein und ihre Hämmer klangen: hick hack, hick hack zwischen durch die Mühle klipp klapp, klipp klapp. Ein Lindenbaum stand gar lustig vor der Mühle und darauf setzte sich der bunte Vogel mit Kette und Schuhen und sang ein Lied, daß einer von den Gesellen nach dem andern aufhörte zu hauen und Alle herausgelaufen kamen, und den wunderlichen Vogel anstarrten, der so vernehmlich singen konnte, wie ein Mensch. Da sie nun verlangten, er möchte seine Weise wiederholen, so entgegnete der Vogel: »»Gebt Ihr mir den Mühlenstein, so Ihr behauen habt, so will ich wohl. Umsonst aber thu' ich's nicht.«« Die Gesellen pflogen hierauf Rath unter sich und wurden endlich eins: daß der Stein dem Vogel gehören sollte. Da sie nun mit Hebeln und Stoßbäumen ansetzten, um den schweren Stein zu erheben, so kam der Vogel herbeigeflogen, die Kette in der rechten, die Schuhe in der linken Kralle, steckte sich den Mühlstein an den Hals, wie einen Helmkragen, und da er noch einmal gesungen hatte, so flog er weit, weit weg mit Stein, Kette und Schuhen, nach seines Vaters Hause.«
»Dort fliegt Staub auf am Waldrande!« rief der Leuenberger, mit der Hand nach der Heerstraße deutend: »Es wirbelt lustig durch einander. Was gilt's, unser wackerer Hauswirth kehrt heim!« – Else warf einen Blick nach der Straße und erwiderte gelassen: »Gott Lob! Aber noch sind die Männer fern und das Fräulein hat alle Muße, ihre schöne Mär zu endigen, deren Schluß ich mit Neubegier erwarte.« – »Gewiß!« setzte Wallrade mit einem gezwungenen Lächeln bei, während ihr Auge bald gespannt auf Petronellens Munde heftete, bald scheu den Boden suchte. Die Base fuhr mit feierlichem Antlitz fort: »In der Stube des Hauses saßen der Vater, die Mutter und Lenchen am Tisch. Plötzlich fliegt der Vogel herbei und so wie er sich auf das Dach setzt, sagt der Vater: »Mir ist heut' sonnenwohl und heiter, als ob ich einen guten alten Freund wiedersehen sollte.« Die Frau sagt dagegen: »'s ist wunderlich! mir wird so bang und die Zähne klappern mir, und es kriecht wie Feuer durch meine Adern, und das Mieder will mir zersprengen vor Gebreste.« Lenchen sagte kein Wort und weinte, daß die Schürze naß wurde, wie ein Regentuch. Inzwischen war der Vogel auf den Mandelbaum geflattert, und indem er durch die Scheiben stierte, als wäre jeder seiner Blicke eine Stechlanze, sang er: »»Die Mutter hat mich erschlagen . . .«« da hielt die Frau die Ohren zu und kniff die Augen zusammen, daß sie nicht hören und nicht sehen mochte. Doch vor den Ohren brauste es ihr wie alle Waldströme des Fichtelgebirgs und vor den Augen zuckte ein Blitz nach dem andern. – »»Verzehrt hat mich des Vaters Mund . . .«« sang der Vogel weiter und obgleich der Mutter das Lied klang wie Todtenglocken, so war's doch dem Vater, als ob Engel sangen zu goldnen Harfen, und ein süßer Geruch wie Rosmarin herabrieselte von dem Wipfel des Baumes in die sonnenhelle Stube. »»Lieb Schwesterlein thät mich begraben,«« tönte des Vogels Stimme weiter und Lenchen mußte, um sich satt zu weinen, den Kopf auf die Knie legen. Der Vater wollte heraus, um nach dem seltsamen Vogel zu schauen, was er auch that, ob ihn schon die Frau beim Aermel zurückhielt und stammelte: »»Geh' nicht! geh' nicht! es wankt ja das Haus, und steht's nicht in Flammen?«« – Da der Vater nun den Vogel beschaute und sich seines Gefieders freute, wie auch sich wunderte ob der befremdlichen Worte die er sang: »»Beim Mandelbaum, im kühlen Grund, . . . kywitt! kywitt! welch ein schöner Vogel bin ich!«« so ließ der Sänger die goldene Kette fallen, gerade um des Vaters Hals, daß sie ihm stand, wie der Schmuck eines Ritters. Der Vogel kam nun an die Weise: »»Lieb Schwesterlein thät mich begraben,«« und nun mußte auch das Mägdlein hinaus, um den Vogel zu schauen, der ihr die rothen Schuhe herunter warf, auf denen sie fröhlich in die Stube zurücktanzte. Da schmetterte der Vogel sein: »»Kywitt! kywitt!«« wie ein rüstiger Trompeter durch die Luft und hörte nicht damit auf, daß der falschen Mutter die Haare zu Berge standen, wie Feuerflammen. – »»Ach!«« schrie sie verzweifelnd. »»Hört denn der Bube nicht auf zu schreien? Ich muß hinaus zu ihm, ob es mir wohl mein Herzblut kosten wird!«« – Rannte hinaus und vom Mandelbaum polterte der Mühlstein herab, daß sie elendiglich zerschellt dahin sank, viele Fuß tief in die Erde, aus welcher der Stein nimmer gehoben werden konnte. Der Vater und Lenchen rangen die Hände, da Dampf und Feuer aufging von der Stätte. Als aber der Rauch verzogen, die Flamme erloschen war, da war es unter dem Mandelbaume wie zuvor, das Gras spielte im Winde, die Blätter regten sich leise, und der kleine Bruder stand, weiß wie Schnee und roth wie Blut, und lebendig wie ein Hirsch vor dem Vater und dem Schwesterlein und sprach: »»Guten Tag, ihr Lieben, und wohl mir, daß ich wieder bei Euch bin.«« Und wie sie sich fröhlich zu Tisch setzen, ist das Märlein zu Ende.«
»Blase, Bärenhäuter!« schrie Veit dem Wächter in die Ohren, der langsam und faul nach dem Horn griff, da die Reiter schon nahe am Graben waren. – »'s ist wahrlich mein Alter!« rief Else unter dem Geschmetter des Horns; »Gott und alle Heiligen seien gelobt.« – Indem sie jedoch schnell aufstand, bemerkte sie mit Schrecken, daß Wallrade von der Steinbank zur Erde gegleitet war, daliegend wie eine Leiche. Die Frauen sprangen der Ohnmächtigen bei. Der Junker sah ihnen höhnisch lächelnd über die Achseln. »Seht doch einmal!« rief er, »das Fräulein ist ja doch sonst hart wie Stahl und Eisen. Wie kommt's, daß ein Kindermärlein die Starke umwirft? Ich laufe, die Zugbrücke herabzulassen!« – Er überließ die Bewußtlose ihren Pflegerinnen und eilte hinab an das Thor der Veste, um den Ankommenden den Eintritt zu verstatten. Sie kehrten Alle wohlbehalten zurück, aber mit verdrießlichen Gesichtern. Bechtram ritt eines Knechtes Mähre und sein eigenes Pferd kam hinkend hinterdrein. »Das war ein Miserereritt!« rief er dem Leuenberger entgegen; »Gottes Marter! wer sagt mir denn, was meinem Hengste fehlt? Die bockbeinige Mähre hat mich abgeworfen, da ich ihr das Hinken mit den Sporen austreiben wollte, und das hat unserm Zuge ein plötzliches Ende gemacht, denn der Satan versuche an dem Tag sein Glück weiter, wo sein Leibpferd ihn abwarf. Das bedeutet Unglück!«
»Kreuz und Stern!« rief Bechtram und zauste seinen grauen Knebelbart, »wer weiß, ob deine Base den Gaul nicht verhext hat, Leuenberg!« – Die Uebrigen brachen in ein lautes Gelächter aus. Doring faßte übrigens den Gedanken auf und versicherte ernsthaft, es sei hier wohl eher die Wahrscheinlichkeit einer Zauberei da als nicht. – »Es wäre möglich, daß die Krämer zu Frankfurt dir den Gaul geknüpft hätten,« meinte der Reifenberg und der von Wiede schwor bei allen Wettern, Zauberei stecke dahinter und weiter nichts. Sie standen mit untergeschlagenen Armen im Kreise um den Gaul, und Bechtram sprach endlich verdrießlich: »Was verzaubert ist, muß sich auch entzaubern lassen, wenn man's nur verstände!« – »Warum liegt Ihr im Bann!« wieherte der Hornberger. »Warum nahm Euer Kaplan Reißaus! Die Schorköpfe kennen Teufelei und Hexenwerk wie ihr Meßbuch und beten dem Satan die Hörner stumpf!« – »Wenn's nur das ist, da kann abgeholfen werden,« meinte Bechtram; »in meinem Verließe steckt ja ein Kuttenknecht und man könnte ihn ja eine Weile aus dem Käfig lassen, um hier seine Schuldigkeit zu thun!« – »Ja wohl,« pflichtete der Leuenberger bei, »und so Ihr begehrt, verlange ich von Eurer Hausfrau die Schlüssel und schleppe Euch den hagern Burschen her.« – Bechtram gab nach einigem Bedenken die Einwilligung und Veit eilte, seinen Auftrag auszurichten, und kehrte bald mit dem Mönch zurück, dessen Gang sich sehr von dem schleichenden Katzentritt seiner Ordensbrüder unterschied. Kraftlosigkeit lag jedoch über sein ganzes Wesen ausgebreitet und das Gesicht hielt er in der Kapuze verborgen, durch deren Oeffnung ein verwirrter Bart sich sehen ließ. »Willkommen, hochwürdiger Herr,« redete ihn Bechtram spottend an, »Ihr mögt vergeben, daß meines Gewerbes strenge Beschäftigung mir noch nicht die Muße gönnte, einen werthen Gast, wie Ihr seid, von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Ich hoffe, daß Euch und Euerm Begleiter die nothwendige Atzung nicht gefehlt haben werde. Ich möchte Euch indessen, würdiger Vater, gern zu einem bessern Trunk und leckerem Bissen verhelfen, wenn Ihr mir dieses Pferd hier, das am Hinterfuß verzaubert ist, wieder zurecht bringen wolltet durch Euern Segen und Beschwörung.« – Der Mönch sah auf den Gaul und dessen Herrn hernieder wie ein Fürst und erwiderte ruhig: »Ich verstehe das nicht, Herr, was Ihr begehrt.« – Bechtram war mit der Antwort nicht zufrieden. – »Ausflüchte,« sprach er lächelnd; »Ihr Klosterleute pflegt doch sonst eher mehr zu versprechen, als Ihr halten könnt, und allzu große Bescheidenheit ist Eure Sache nicht. Stellt mir das Thier wieder her. Es soll Euer Schade nicht sein. Höher als eines Menschen Leben schätze ich das Roß und meine Dankbarkeit ist Euch gewiß.«
»Ich wiederhole Euch, Herr,« versetzte der Mönch gelassen, »daß ich nichts von Beschwörungen verstehe.« Indessen besah er das arme Roß nach allen Regeln der Kunst, so daß sich die Knechte selbst ob der Unerschrockenheit wunderten, mit welcher ein, des Reitens unkundiger Klosterbruder, das wilde und ungeduldige Thier zu behandeln wagte. »Mache dich fertig, Pfäfflein,« forderte Bechtram auf, »heile mir das Pferd. Ehe die Abendsonne hinter jener Linde sinkt, muß es geschehen sein. Mangelt dir etwas vom geistlichen Staat, so zu diesem Werke nöthig wäre, so soll es dir gereicht werden. Weihkessel und Wedel, Stola und Meßrock findet sich in meiner Kapelle. Darum sprich und treibe deine Schwänke, damit mein Gaul gesunde und es dir wohl gehe auf Erden.«
»Muß ich denn wiederholen, was ich früher sagte?« fragte der Mönch achselzuckend, mit etwas verächtlicher Miene, so weit sich sein blasses Gesicht unter der Kapuze erkennen ließ. – Bechtram stampfte wild mit dem Fuße. »Hagel, Sturm, Pest und rother Hahn!« schrie der vorlaute Hornberger, »seit einer Stunde schon gibt dir ein biederer Rittersmann die besten Worte und du, schmutziger Bettelgänger, treibst deinen Spott mit ihm? An's Werk oder ich lähme dich wie den Gaul hier!«
Er griff nach seinem Lieblingswerkzeug, dem Messer am Gürtel. – »Bist du denn toll?« rief ihm der Leuenberger in's Ohr und hielt seinen Arm. Der wilde Junker sträubte sich jedoch ungeberdig und rief außer sich: »Laß' mich, Veit, laß' mich! Ich will die Kniesehne des Faulenzers treffen, so gut als die eines Pferdes!« – Leuenberg ließ indessen nicht ab und die Uebrigen standen ihm bei. Der Mönch kehrte sich gelassen zu Bechtram und sprach: »Ich weiß wohl, daß der gute ungestüme Junkerherr Wort halten würde. Einen Menschen zu verstümmeln wie ein Thier, fällt ihm nicht schwer. Demungeachtet kann ich Euerm Wunsche durch eine Beschwörung nicht genügen, wohl aber durch leichtere Hilfsmittel. Das Roß ist nicht behext. In seinem Hufe sitzt die ganze Zauberei und diese Krankheit nennt man die Steingalle. Gefällt es Euch, so will ich noch diese Nacht ein wundätzend Wasser bereiten und morgen das Pferd damit von Grund aus heilen. Mit Zauberei gebe ich mich aber nicht ab.« – Die Edelleute standen ungläubig und stumm bei diesen Worten. Als aber der Mönch mit gewandter Faust des Pferdes Fuß aufhob und ihnen allen den kleinen, braunrothen Fleck darinnen zeigte, den ihr ungeübter Blick übersehen hatte und sie sich überzeugten, daß bei der Berührung dieses verletzten Fleckchens das Thier zusammenschauerte und mit aller Macht zu hauen und zu beißen verlangte, da kam ihnen doch zu Sinne, daß der verachtete Klostermann wohl recht haben könnte und eine Art von Bewunderung trat an die Stelle des pöbelhaften Hohnes.
»Ei, hochwürdiger Herr,« sprach Bechtram verbindlich, »solch adlig Reitergewerbe zu verstehen, wie Ihr's versteht, was sich aus Euren Handgriffen und zuversichtlichen Worten ermessen läßt – das lernt man sonst in Euren Klöstern nicht, worin der Bettelesel das einzige Thier ist, das von ferne eine Aehnlichkeit mit dem edlen Rosse hat. Sagt, womit ich Euch erfreuen kann; nur die Freiheit muß ich Euch für jetzo versagen, da mir es eine andere Pflicht gebietet.« – »Ich weiß zwar nicht, welche Pflicht Euch gebieten kann,« – versetzte der Mönch, »die Gewaltthätigkeit fortzusetzen, die jener junge, unbesonnene Mann an mir und meinem armen Fuhrmann verübt hat. Allein eben in die Gewalt muß man sich fügen, so man nicht der Stärkere ist. Heile ich Euch jedoch den Hengst und findet Ihr morgen, daß ich nicht zu viel versprochen, so erleichtert in etwas das Schicksal des armen Bauers, der mit mir in Euerm Thurme schmachtet. Bedenkt, daß er ein Weib daheim hat und fünf Kinder, die nicht ahnen, wohin ihr Ernährer gerathen ist und die vielleicht vergehen in Noth und Jammer, wie er in Heimweh und verzehrendem Gram. Behandelt ihn nicht schlechter als Eure Rüden, die dann und wann eine bessere Atzung erhalten, als verdorbenes Haferbrot und schlammiges Wasser. Haltet den Unschuldigen wie einen Menschen; dann habt Ihr mir reichlich den geringen Dienst vergolten, welchen ich Euch leisten will.« – Bechtram schwieg etwas beschämt. – »Ein wunderlicher Heiliger,« lachte der Hornberger, »wenn Ihr ihn auf der Fahrt hieher gesehen hättet . . . geschworen hättet Ihr, der Mensch sei stumm. Auch kein Wörtlein hat er verschwendet, so tapfer des Leuenbergers Base ihn in's Gebet nahm. Ohren und Augen in die Kutte gehüllt, saß er da, wie ein Bild von Holz, und ich schwört, er hat auch kein Wort gehört, was wir gesprochen. Jetzo aber geht ihm der Mund frisch weg, wie ein fleißiges Rädlein. Glück zu, Pater!« – »Man rede nur zur gelegenen Zeit,« versetzte der Mönch ruhig. – »Man rede aber auch alsdann nur für sich und nicht für Andere,« fügte Bechtram mit einer Gutmüthigkeit bei, die ihm um so besser anstand, als er selten darein verfiel. »Mir wär's lieber, bei Gott! Ihr verlangtet etwas besseres, als ein Stück Fleisch für den dummen Bauer.« – »Mein Gewand ist das der Demuth,« entgegnete der Mönch kurz; »ich begehre nichts für mich. Für heute wünsche ich nichts als Ruhe und daß man mir verstatten möge, in den Thurm zurückzukehren, um das Wundwasser für das Pferd zu bereiten.« – »An unserem Hausherde könnt Ihr weit leichter Euern Balsam brauen,« meinte Bechtram, »und an unserem Trinktische sitzt sich's besser als in dem Kerker. Kommt mit; einige Becher edeln Getränkes werden Euch stärken und ein Stück köstlichen Wildbratens Euern Gaumen vergnügen. Ihr erzählt uns dabei aus Euerm Leben und aus der Ferne, denn weit seid Ihr hergekommen, und helft uns den Abend verkürzen.« – »Ich bin ein schlechter Erzähler,« antwortete der Mönch, »im Thurm aber wird mein Begleiter, der arme Bauersmann, meine Gesellschaft vermissen.« – »Ei, was!« rief Bechtram, »ich sende dem Manne einen Becher Wein, daran mag er sich Rausch und Schlaf zutrinken. Ihr aber, Pater – Kreuz und Stein! – Ihr müßt mit und ohne Zögern!«
Der Ritter nahm den Arm des Mönchs unter den seinigen und das ganze Häuflein der Gäste nahm seinen Weg zu dem Gatterthore, an welchem die Hausfrau ihnen entgegen kam und den Eheherrn bewillkommte. »Wo ist das Fräulein?« fragte er schnell und jeder Mund wiederholte die Frage und jeder Blick suchte sie. Frau Else gab jedoch eine unbedeutende Unpäßlichkeit vor, versicherte, daß dieselbe bald vorüber sein würde und führte die Herren sammt und sonders in das Gemach des ersten Stockwerks, wo auf dem eichenen Tisch Speisen aufgestellt waren, und vom Kandelbrett die glänzenden zinnernen Kannen herableuchteten mit den mächtigen Paßgläsern und den bauchigen Krügen. Wie heißhungrige Wölfe fielen die Gäste über die derben Keulen her und der duftige Wein strömte in die Becher. Frau Else schnitt das Fleisch vor, Fräulein von Leuenberg credenzte in Ermangelung eines reizenderen Mundschenks den Trunk, und bald verwirrte sich Alles in scherzhaften Gesprächen und Alltagsreden. Doring und Wiede griffen nach der reisenden Uhr, sich die Zeit zu vertreiben; der Reifenberger krähte ein Minnelied zu Petronellens Ehre, welches der tolle Hornberger mit einer verstimmten Laute begleitete; Bechtram, der Leuenberger und der Mönch saßen beisammen und schwatzten von Jagd und Falkeniererskunst, in welcher der Letztere wieder ungemeine Fertigkeit verrieth und den Zuhörern manch' Jägerstücklein und Falknergeheimnis zum Besten gab, von dem sie sich nichts hatten träumen lassen. Bald jedoch nahm der Wein in Bechtram's, wie in Veit's Kopfe überhand, und es entspann sich zwischen ihnen ein Hader über Wilderei und Forstherrngerechtsame. Die Uebrigen, nicht minder vom Weine erglüht, mischten sich in den Handel, und ehe man sich's recht versehen konnte, saßen Alle beisammen an einem Tische, um sich mit weniger Aufwand an Stimme und Geberden zanken zu können.
Petronella sah sich vergebens nach Elsen um, die verschwunden war, und steuerte endlich auf den geistlichen Herrn zu, der jedoch plötzlich aufstand und aus dem Gelärm der Bezechten, wie vor der Redseligkeit der alten Jungfrau floh, um an den verglimmenden Kohlen des Herdes die Wundarznei zu bereiten. Die Glut knisterte schon unter dem Topfe, in welchem schon das Wasser gährte, vermischt mit dem notwendigen Wein und Gewürz und der lange braune Mann stand sinnend, mit über einander geschlagenen Armen, bis ihn ein Geräusch aufzuschauen bewog. Frau Else stand neben ihm, ergriff seine Hand und küßte seinen Aermel. »Liegen wir gleich jetzo im Bann hier zu Falkenstein,« sagte sie dann muthig, »so sind wir doch Christen. Hochwürdiger Herr, es hat mir oft das Herz geblutet, daß mein Alter Euch gefangen halten muß, seiner eigenen Sicherheit wegen und daß ich Euch nicht besser bewirthen durfte, als bisher geschehen; ich bin aber die Frau, würdiger Herr, und der Mann führt den Befehl. Vergebt mir also.« – »Hab' ich Euch gezürnt, Frau?« fragte der Mönch dagegen; »wollt mir gütigst hier eine Weile beistehen, so lange das Wasser kocht;« setzte er hinzu; »denn ich muß Euch bekennen, daß ich des Küchenhandwerks nicht allzu gewohnt bin.« – »Ich glaub' es wohl, hochwürdiger Vater,« erwiderte Frau Else, »das Geschäft schickt sich eher für weibliche Hand und ich will gerne, so Ihr mir begreiflich macht, was dabei zu beobachten ist, es ganz an Eurer Statt zu Ende bringen, wenn Ihr geneigt wäret, einer armen, mit sich selbst und ihrem Gott zerfallnen Frau einen Liebesdienst zu erweisen, wie ihn die Kirche und der Heiland eingesetzt haben.« – »Wie meint Ihr das, Frau, und ist von Euch die Rede?« fragte der Mönch ernsthaft. – »Nicht von mir gerade, liebster Herr,« sprach Frau Else heimlicher; »ich liege im Bann durch meines Mannes Schuld und darf ja von der Kirche nichts begehren, bevor wir nicht losgesprochen. Aber da ist eine Frau im Schlosse, eine Verwandte von uns, und diese Frau sehnt sich plötzlich nach dem Sacrament der Beichte und Buße. Ich hab's nicht gerne gethan, allein ich mußte ihrem Bitten nachgeben, da der Zufall gewollt hat, daß mein Herr Euch aus der engen Haft entlassen. Wollt also sagen: Ja, und die Schlüssel zur Kapelle empfangen, denn in das Gemach der Schwermüthigen darf ich Euch nicht bringen, weil die Männer es merken könnten und der Jähzorn meines Alten ist ohne Grenzen, weil er im Bann liegt und er kann daher nicht leiden, was geistlich oder geistlicher Verrichtung ist. Ich sende Euch die Bußbedürftige.«
Der Ordensmann war während dieser Erläuterung verlegen geworden. Mit einer gewissen Heftigkeit weigerte er sich des Antrags und schob der Weigerung Schuld auf das Interdict, das auf der Veste ruhe. Frau Else warf ihm dagegen ein, daß die Fremde nicht dem Banne unterliege und es demnach nicht gegen das Gewissen des Paters laufen würde, wenn er das Verlangte thue. »Eure Tafel soll Eure Willfährigkeit verspüren, hört Ihr? Hier ist der Schlüssel zum Kirchlein,« setzte sie hinzu, indem sie den Mächtigen von dem breiten Schlüsselringe losmachte; »hier steht eine Leuchte, mit der Ihr vorsichtig umgehen mögt, denn es liegt allerlei brennbares Zeug in der Kapelle und sie ist etwas in Unordnung gerathen, aber zum Beichtsitzen ist Platz genug vorhanden. Geht voraus; gleich sende ich Euch das Fräulein. Laßt es aber unterwegs, mit demselben vielleicht eine List anzuspinnen, um zu entkommen; unsere Augen sind scharf; man hintergeht nicht mich, nicht meinen Alten.« – Somit drehte sie, ohne eine Antwort abzuwarten, dem Mönch den Rücken und begab sich in das höhere Stockwerk, das Frauengemach. Der Mönch zündete indessen die Leuchte an der Flamme des Herdes an, schob sein Gebräue von der Glut, lächelte dann seltsam und blickte nachdenkend gen Himmel. – »Sollte es denn wohl eine Sünde sein,« fragte er vor sich hin, »wenn ich mich in diese Zumuthung füge? Nicht doch,« setzte er nach kurzem Bedenken bei, »dies Gewand schon erheischt es und dann ist es ja eine Trostbedürftige, die nach der Theilnahme eines Menschen verlangt, in dessen Worten sie den allmächtigen Gott zu finden hofft. – Vermutlich, trotz der Verwandtschaft, von welcher Frau Else sprach, eine gleich mir Gefangene . . . vielleicht diejenige, um deren Willen man mich und den Unglücklichen, der mich fuhr, zurückhält, ob wir gleich in unserer Abgeschiedenheit nicht einmal ihren Namen erfuhren? Werde ich sie aber trösten können, ich der Trostsuchende und Trostlose? Vielleicht denn doch: auf die Lippen des Leidenden setzt sich wohl zuweilen ein Engel, welcher andern Geprüften das Heil einer gesegneten Zukunft verkündet. Laßt sehen!«
Er faßte Leuchte und Schlüssel und schlich über die Holztreppe in den engen Hof, in welchem er nach wenigen Schritten das Kirchlein erreichte, dessen niedrige Pforte mit einem großen Kreuz bezeichnet und von einem halb verwitterten Fliederbaume dürftig beschattet war. Schon hatte der Rost sich in die Angeln gesetzt, daß sie knarrten wie Räder, als der Mönch die Pforte aufthat. – »Was macht Ihr da, frommer Herr?« fragte eine Stimme über die Brustwehr der Hofmauer aus dem Zwinger herüber, leise und mit Theilnahme. Ein Knecht guckte herüber, der gerade vier Stunden lang die Rundwache hatte und auf dem Mauergänglein einherschlenderte. – »Ich gehe beten!« versetzte der Mönch. – »Ei Herr,« sprach wieder der Knecht, ein junges Blut mit treuen Augen, »darf man denn beten, wo der Bannfluch haust?« – »Warum nicht?« redete der Mönch, »Gott ist überall und seine Mondesscheibe sieht die Gebannten an, wie die Freien.« – »Ach, wie dank' ich Euch, würdiger Herr,« versetzte der Knecht, »ich habe mich gescheut, den englischen Gruß zu beten, seit ich auf der Veste bin, während ganzer drei Wochen, und war doch daheim gewohnt, nie ohne Gebet einzuschlummern.« – »Bete du auch hier!« versicherte ihn der Mönch; »fromm sein bringt Segen überall. Behüte dich Gott!« – »Und Euch,« flüsterte dankbar der Knecht; »so Ihr etwas Geheimes darin zu verrichten habt, habe ich Euch nicht gesehen. Ave Maria, Herr!« – Ohne weitere Störung trat der Mönch in die Kapelle und es wurde ihm seltsam um's Herz, da er das kleine Gotteshaus in so ganz anderem Zustande antraf, als man es wohl an solchen Gebäuden gewohnt sein durfte. In einem Winkel aufgethürmt lagen Betschemel, Bahre und Abendmahlbänke, umflort von Staub und Spinnenfäden. Die Hälfte des Kirchleins war angefüllt mit Laubhaufen und Strohbündeln, wie mit einem Heuvorrath, welchen zu ergänzen oder wegzunehmen die Burgknechte den bequemsten und kürzesten Weg gefunden hatten, nämlich durch das an die Zwingermauern stoßende Fenster der Kapelle, wo die Leiter lehnte, welche diese Geschäftsgänge zu erleichtern bestimmt war. Die hölzernen Stufen des Altars waren zertrümmert; der Altar selbst in dem traurigsten Zustande. Der Burgpfaffe hatte die Monstranz mit sich genommen und das Tabernakel stand offen und verödet. Das Bild unserer lieben Frau neigte sich dem Beschauer von der Höhe entgegen, aber von dem Haupte des Bildes hingen noch wenige verwelkte und vertrocknete Blumen, die einst eine fromme Hand zu einem Kranze für dasselbe gewunden hatte. Der Priesterornat, wie die Gefäße des Altars lagen in dem offenen Schrein und die Lampe, die ewige genannt, nunmehr aber auch erloschen, bewegte sich, von einer Kette losgerissen, bloß noch von der andern emporgehalten, im Luftstrome hin und her.
Der Besucher dieser Oede hatte nicht lange Muße, alle Gegenstände genau zu betrachten, die sich ihm in finsterer Unordnung in diesem engen Raume aufdrängten. Bald vernahm er die Schritte eines näher kommenden Menschen und er hatte kaum noch Zeit gefunden, sich in den Beichtstuhl zu setzen, als die Pforte wieder leise aufging und eben auf diese Weise zugemacht wurde. Wallrade trat ein, in dichte Gewänder und einen dunklen Schleier gewickelt, warf im Vorübergehen gegen den Altar einen Blick in den Stuhl der Reue und nickte dem Darinsitzenden langsam zu. Alsdann warf sie sich vor den Stufen des Altars nieder und Thränen, seltene, seit Langem ungewohnte Gäste, heute schon einmal erschienen, besuchten die Erschütterte zum zweiten Male. Ihre Lippen beteten, wie ihre Augen weinten, heftig, stürmisch. – »Herr der Erde und aller Welten!« stammelte sie ihre Empfindung in unhörbaren Worten; »wie ist doch mein Herz heute erfaßt worden auf wunderbare Weise; bist du es, der also zu mir redete durch den Mund der aberwitzigen Alten? O, gieb mir doch einen Wink, daß du es bist, oder verrathe mir, daß es der Geist der Ohnmacht allein gewesen, der über mich kam und mich schwächer machte, denn ein unbeholfenes Kind! . . . Ha, wie dieses Wort mich ergreift. Warum hasse ich den Namen des Kindes, warum verachte ich den der Mutter und warum dennoch ergriff mich so allgewaltig das märchenhafte Beispiel der Grausamkeit einer Mutter des Leidens eines Sohnes! Warum klang es wie mit metallenen Schlägen an mein Herz, daß auch ich . . . o, weh' mir! Wer sagt mir, was ich thun soll und ob ich recht thue, indem ich meinem entsetzten Gewissen folge und zur Buße schreiten will, die mich vielleicht verwirft, – die ich vielleicht verwerfen sollte, wenn meine Kraft noch die alte wäre? – Heilloses Schwanken! traurige Furcht vor den Gespenstern meiner Einbildung! Ich habe ja nicht gemordet! Was will ich denn eigentlich bekennen? Gott schütze mich und meine Vernunft!« –
Sie erhob sich entschlossen, näherte sich dem Beichtstuhle, in welchem der Geistliche lehnte, zu dessen Füßen die hell aufflackernde Leuchte brannte. Und als sie den Schleier zurückwarf und die Knie beugen wollte, tönte ein schmerzliches »Ach!« von den Lippen des Mönchs und er schien in Bewußtlosigkeit zu vergehen. Wallrade, erschrocken, heftig wie sonst, reißt die Lampe auf, leuchtet in das Gesicht des Todblassen und entsetzt sich nicht minder. Die Augen des Mönchs gehen auf wie drohende Mordbilder, seine Hand erfaßt mächtig die erkaltende Wallradens; mit der Linken entreißt er ihr die Leuchte, die sie soeben sinken lassen will und seine Zunge stammelt ein schreckliches: »Jesus! Jesus! sehen wir hier uns wieder? – Kennst du mich?« setzt er heftiger bei und sie nickt stumm mit dem zitternden Haupte und hält sich schwindelnd fest an den Armen dessen, den sie haßt, damit sie nicht niedergleite zum kalten Boden. Und der Mann, der Zürnende, hat Mitleid mit der Vernichteten und ein freundlicherer Ton seines Mundes ruft sie wieder auf zum Leben, zum Schauen. – O, daß in solchen Augenblicken der hereinbrechenden Wahrheit, Reue und Beschämung ein falsches Herz nicht bricht, um rein unter die Erde zu gehen! Daß mit der Besinnung und der wiederkehrenden Kraft auch die vorüberblitzende Scham schwindet und das Bedürfnis der Sühne! Daß jeder gute Vorsatz durch der Lüge gift'gen Athem in der Blüthe vergeht! Von Wallraden wich der gute Engel trauernd in einem Augenblicke der wichtigsten Warnung und gerade dem gegenüber, dessen plötzliches Erscheinen das Siegel auf ihren Bund mit der Buße hätte drücken sollen.