Karl Spindler
Der Jude
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Karl Spindler

Der Jude

Karl Spindler: Der Jude


Erstes Capitel.

Der zwölfte November des Jahres Eintausendvierhundertundvierzehn sah mit kaltem und duftigem Morgenantlitz in die Fensterscheiben der Herberge zum Rebstock in der Reichsstadt Worms. Der Winter hatte dem Spätherbst täppisch und zierlich zugleich in's Amt gegriffen; denn, während Alles knisterte und knarrte vor der früh eingebrochenen ungestümen Kälte, hatten die entlaubten Bäume weiße Wollelöckchen angesetzt und niedliche Eisblümlein sich angewachsen am Glas und Gestein.

Im unteren Geschosse des Rebstocks kam man der matten Sonnenflamme mit glühendem Ofen zu Hilfe, allein im Oberstocke glimmte kein Funke, und der mächtige Kachelofen der hübschesten Stube des Hauses, die nach einem über der Thüre angemalten buntfarbigen Blumenstrauße »Maienstube« genannt wurde, war eiskalt, obschon ein stattlicher Gast das Gemach bewohnte.

Die Attribute der Ritterschaft: Schwert, Handschuhe, bespornte Stiefel und Federhut lagen unordentlich hin und her auf dem Boden zerstreut.

Der Besitzer dieser Herrlichkeiten lag völlig angezogen zu Bette, beschäftigt, den verwichenen Martinsabend auszuschlafen, der ihm nicht am zuträglichsten gewesen zu sein schien. Neben ihm ruhte, in einen Reitermantel gewickelt, ein gar holder Knabe, dessen still lächelndes Gesicht, vom sanftesten Schlummer befangen, sehr gegen das aufgedunsene Antlitz des Nebenschläfers abstach. Der Letztere regte sich endlich, fuhr mit der breiten Hand über Stirne und Augen und den bereiften Bart, und erwachte. Verwundert betrachtete er die Stube und seine eigene Gestalt; seine Verwunderung wurde Erstaunen, da er seinen Bettnachbar gewahrte, und er sprang bei dessen Anblick auf, gleich als ob ihn eine Schlange gestochen. Unverständliche Worte vor sich hinbrummend und vor Kälte zitternd, fuhr er in die Stiefel und stampfte drei Mal gewaltig den Boden, daß der schlafende Knabe erschrocken aufschrie, alsbald jedoch wieder in Müdigkeit und Schlummer versank. Ein langer, hagerer Mensch, in der etwas zerlumpten Kleidung eines Herrenknechts, kam zur Thüre herein und fragte mit winterblauen Lippen nach dem Befehle des gestrengen Herrn.

»Sag' an, Vollbrecht!« fragte der Letztere. »Wie ging es denn zu, daß ich in Wams und Krause zu Bett gekommen?«

»Euer demüthiger Knecht hat Euch selbst hineingebracht;« erwiderte Vollbrecht. »Ihr littet gestern stark am Gebreste des heil. Martin, und so geschah es denn . . .«

»Still!« befahl der Herr. »Wie komme ich aber zu dem Kinde?« fuhr er kleinlaut fort.

»Der gestrenge Junker wolle sich nur gütig erinnern –« sprach Vollbrecht, ein paar Schritte ausweichend – »wie ich Euch gestern aus der Trinkstube zum Rosengarten heimleuchtete und wie wir im Scheibengäßlein unfern von dem Eckstein, an dem das Muttergottesbild aufgerichtet, den Knaben gefunden, der da eingeschlafen war.«

»Ganz recht; ich besinne mich nun auf Alles,« erwiderte der Junker, und rieb sich die erstarrenden Hände. »Was treibt aber unser Wirth, daß nicht einmal Feuer angemacht wird bei der grimmen Kälte? Sollen wir hier erfrieren?«

»Erfrieren,« bestätigte Vollbrecht, die Thürklinke zur Hand nehmend, »oder uns von dannen machen; denn der Wirth will nicht länger borgen und verlangt Zahlung unserer Zeche.«

»Nichts Billigeres als das,« antwortete der Herr; »aber ich habe keinen Weißpfennig mehr in der Tasche, Alles ging gestern darauf in Wein, Imbiß und Brettspiel. Der alte Narr muß warten.«

Vollbrecht schüttelte den Kopf. »Ich zweifle, Herr,« sprach er hierauf, vorsichtig die Thüre öffnend. – »Der Mensch sagte mir erst vorhin, er werde nach Pferd und Zaum greifen, wenn nicht noch heute Morgen Alles getilgt würde, was darauf gegangen ist in dieser Woche.«

»Kreuz, Stein und Dorn!« brach der Junker los, nach der Klinge fahrend, daß Vollbrecht – solcher Auftritte nicht ungewohnt – sich hinter der Thüre barg; »was bildet er sich ein, der Wormser Lump? Streckt er eine Kralle nach meinem Gaul aus, so haue ich sie ihm ab. Gleich soll er kommen – gleich, und auf der Stelle, ohne Säumen!«

Vollbrecht sprang die Treppe hinab. Der Junker stülpte trotzig den Hut auf den Kopf und schritt, eine Anrede an den Herrn des Rebstocks im Sinne ordnend, ungeduldig auf und nieder. Bald erschien auch der Gerufene, das verhängnisvolle Kerbholz tragend, auf dem die ziemlich beträchtliche Schuldsumme des Gastes eingeschnitten zu sehen war.

»Wie viel beträgt meine Zeche?« fragte der Letztere barsch, als strotzten seine Taschen vom Golde.

»Zwanzig Turnosen, drei Pfennige für den Herrn, den Knecht und das Pferd,« antwortete der Wirth vom Rebstock sehr freundlich.

»Ein Bettelgeld,« prahlte der Fremde, »obgleich die Zeche übertrieben theuer. Aber, wie gesagt, ein Bettelgeld, wegen dessen du mir keine Umstände machen wirst, guter Freund. Nicht wahr?«

»Nicht die geringsten,« erwiderte der Wirth, »Ihr habt nur zu bezahlen und meine schlechte Schänke ist wieder ganz zu Euern Diensten.«

»Du bist harthörig, mein Freund!« sprach der Gast mit vornehmem Augenzwinkern. »Ich hatte gestern Unglück im Spiel, und der Martinsschmaus hat mich viel gekostet. Heute kann ich dich nicht befriedigen, aber sobald ich wiederkehre von Costnitz, soll dein sein, was dir gehört.«

Der Wirth zuckte die Achseln und ging nach der Thüre. – »Wohin gehst du?« fragte ihn der Andere.

»Ich gehe, den Stall zuzusperren,« versetzte der Bürger kalt. »Müßt Ihr gen Costnitz, mögt Ihr zu Fuße gehen, Euer Pferd bleibt hier zurück, bis mein ist, was mir gehört.«

»Wie?« fuhr der Gast auf, »du ungeschliffener Wirth! Weißt du, mit wem du also sprichst? Ich bin der Edelknecht Gerhard von Hülshofen, und darum nicht zu Schild und Helm geboren, um mir von einem elenden Reichsstädter Schmachreden in's Angesicht sagen zu lassen.«

»Ich kenne Euch wohl,« erwiderte der Wirth. »Wer sollte den verwegensten Gesellen am Rheinstrome nicht kennen, den der wohlweise Rath von Frankfurt als seinen Kämpfer und Turnierfechter gedungen; der zwar keinen Gegner unbezwungen läßt, aber auch keinen Becher ungeleert, keine Dirne ungeneckt und keinen Herberger ungeprellt. Darum eben nehme ich Euern Gaul.«

»Das Pferd gehört meinen Herren von Frankfurt,« rief der Edelknecht patzig.

»So mögen Eure Herren von Frankfurt es auch auslösen,« versetzte der Gläubiger gleichgültig. »Der ehrsame Rath wird einen Reichsbürger nicht schädigen lassen an seinem Gut durch einen Dienstmann.«

»Ich bin ein Edelmann, Bursche,« brauste der Junker; »und wenn ich Spießbürgern diene, so geschieht es aus gutem Willen, und nicht . . .«

»Lieber Herr,« erwiderte der Wirth, »ich vermag eines Adeligen Thun und Lassen nicht zu schätzen; allein ich wollte, Ihr hättet Euern Martinstag wo anders zugebracht. Ich habe Euch nicht geladen, und will folglich Eure Zehrkosten nicht aus eigenem Seckel bestreiten. Darum nehme ich Euern Gaul und damit genug.«

»Unterstehe dich!« rief Gerhard. »Plumper Wicht! Glaubst du, meine Freunde werden mich verlassen?«

»Ei, Herr Junker,« sprach der Wirth lächelnd, »Freunde werden Feinde, sobald sie helfen sollen. Und vollends die Euren, mit denen Ihr acht Tage gezecht und gewürfelt habt. Die Einen sind auf der Landstraße besser zu Hause als in ihren vier verschuldeten Pfählen. Die Andern sind verdorbene Bürgersöhne, die Gewerb und Fleiß an den Nagel gehängt haben, um das väterliche Erbe durch die Gurgel zu jagen. Doch horch: . . . mich dünkt, ich höre ihrer Etliche die Stiege heraufstürmen. Versucht Euer Heil, Herr. Zwanzig Turnosen – die Pfennige erlasse ich Euch – öffnen die Stallthüre und geben Eurem Gaul freien Paß nach Costnitz. Kein Albus weniger! Verlaßt Euch darauf!«

Der Wirth ging ruhig von dannen, und an seiner Statt tobten vier Männergestalten herein, denen man die Ausschweifungen verwichener Nacht nicht wenig ansah. »Guten Tag, Bruder Hülshofen!« brüllten sie im Chor und schüttelten dem Verdrießlichen die steifgewordenen Hände. »Wie geht es? wie geschlafen? warum ist's hier so verteufelt kalt?« – – Gerhard zögerte keinen Augenblick, ihnen die unangenehme Lage, in der er sich befand, zu eröffnen. Die Freunde lachten aus vollem Halse und konnten sich gar nicht lassen vor muthwilliger Lust.

»Nun, das nenne ich doch in der Brühe sitzen!« rief der baumlange Wernher von Hyrzenhorn; »so fröhlich wurde die Gans eingeläutet und so traurig ist der Nachtisch!«

»Was ist aber da zu thun?« sprach Wolf von Eppenstein. »Ich will dem Schwarzen sein mit Haut und Haar, wenn ich dir helfen kann, Bruder Gerhard. Du weißt, daß uns der Sattel das tägliche Brot verschafft, – und deine Dienstherren gerade, – daß sie Gott verdammen möge! – haben es uns so geschmälert, daß es eine Sünde ist. Die Conciliumsfahrer haben unserem Säckel zwar etwas eingebracht, aber Weib und Kind wollen auch leben und Martinstag will auch gefeiert sein. Da haben wir uns denn hier zusammengethan, in Friede und Eintracht die Milch unserer lieben Frauen reichlich genossen, und müssen dafür morgen kahl wieder abziehen.«

»Hilf dir selbst!« rief der wilde Hornberger Veit. »Brich die Stallthüre auf und reite dem verdammten Kneipenwirth vor der Nase weg. Ich helfe dir, und je mehr Auflauf es gibt, desto besser.«

»Die Frankfurter setzen mich auf den Eschenheimer Thurm, erfahren sie dergleichen,« versicherte Gerhard kopfschüttelnd. – »Euch aber, meine Freunde,« fuhr er fort, – »Euch wäre es ein Leichtes, mir zu helfen, – denn das Frühjahr bringt Euch wieder Meßleute und Marktschiffe, die Euch das kleine Darlehen reichlich ersetzen, – kann ich's bis dahin nicht erstatten.«

»Ich schwöre einen körperlichen Eid, daß ich nicht helfen kann!« betheuerte der Herr von Hyrzenhorn, und der Eppsteiner holte eine in vergoldetem Kupfer gefaßte Reliquie des heil. Marcellinus aus seinem Wams, auf welche alle drei Edelleute in bester Form den theuersten Schwur leisteten, daß sie außer Stande seien, für ihren gemeinsamen Freund das Geringste zu thun. – Gerhard, wohl wissend, ein solcher Eid mache ein unwiderrufliches Ende, – sei er auch noch so falsch, – wendete sich alsdann zu dem vierten Freund, der bis jetzt ein stummer Zuhörer gewesen war. »Werde ich auch bei Euch vergebens anhalten, lieber Trautwein?« sprach er zuckersüß. »Ihr habt des Vermögens viel, habt mir gestern erst im Rosengarten all' mein Klingendes abgenommen und werdet wohl nicht anstehen, mich der unverdienten Schmach zu entreißen.«

Der Goldschmied lächelte aber eiskalt, zuckte die Achseln und erwiderte: »Gestrenger Herr; im Handel und Wandel braucht man sein Geld, und daß des Letzteren nicht zu viel werde, sorgen schon treulich Kaiser und Reich, die Ehewirthin und ihre Kinderlein und die Herren vom Stegreif. Deshalb bin ich außer Stande, etwas zu thun, als Euch die fünf Schillinge nachzulassen, die Ihr mir noch gestern auf Euer Wort schuldig wurdet.«

»Ich wollte, alle Martinsfeuer, die gestern brannten, kochten Euch zu Brei und Mus,« rief Gerhard in hohem Unmuth. »Uebermorgen soll ich in Costnitz sein. Ich hab's den Schöffen Holzhausen und zum Braunfels in die Hand geloben müssen. Der Kaiser gibt ein Turnier, auf dem ich zu Frankfurts und des Reiches Ehre mitstechen soll. Ich bin ewig beschimpft, erscheine ich nicht auf diesem Rennen. Und ohne meinen Roland, ohne mein gutes Pferd, komme ich nicht hin, kann ich nicht mitkämpfen.«

»Schlimm! sehr schlimm!« meinten die adeligen Herren und machten Miene, zu gehen. »Willst du einen Römer Würzwein annehmen, so komme mit uns!« sprach der Hornberger gutmüthig, aber Gerhard verweigerte Alles mit Ungestüm und ließ die adeligen Brüder und Freunde ohne Widerrede ziehen. Trautwein blieb an der Thüre zurück.

»Hört noch ein Wort, lieber Herr,« sprach er mit einiger Theilnahme; »der Kaiser gibt wohl übermorgen kein Rennen zu Costnitz, indem er noch in Aachen auf seiner Krönung verweilt, allein Eure Lage ist doch mißlich und es liegt außer meinen Grundsätzen und Kräften, Euch zu dienen; aber es gibt noch andere Leute, die es vielleicht gerne thun, wenn einiger Gewinn dabei zu verspüren ist.«

»Wer sind diese Leute?« fragte Gerhard, aufmerksam werdend.

»Ei nun,« sprach der Goldschmied zögernd, »es sind unsers heil. römischen Reiches liebe Kammerknechte.«

»Was?« fuhr Gerhard auf, »Juden? Hebräer? Seid Ihr toll geworden?«

»Wieso?« fragte Trautwein gleichgültig, »hebräisch Geld zählt wie das unsere; es kommt ja ohnehin nur aus christlichen Taschen.«

»Hm!« sprach Gerhard überlegend, »mein ganzes Leben hindurch habe ich mich gehütet, den Galgenvögeln in die Hände zu fallen, und in meinem fünfzigsten Jahre . . . indessen . . . wer weiß . . . damit ich nur fortkomme . . . wo gelangt man zu dem Gesindel? Ich will gleich . . .«

Der Goldschmied hielt ihn zurück. »Ihr werdet doch nicht am hellen lichten Tage . . .?« sagte er mißbilligend. »In eigener Person . . .?«

»Ihr habt Recht,« antwortete Gerhard. »Es ist wegen des Geredes . . . also will ich mich gedulden . . . diesen Abend, sobald es dunkel . . .«

»Behüte!« fiel Trautwein ein, »es ist bei zehn Pfund Heller Strafe verboten, bei Nacht in ein Judenhaus zu gehen, um zu leihen oder zu zahlen.«

»Aber beim Donner! Was soll ich denn thun?« fragte Gerhard ärgerlich.

»Abwarten, bis ich Euch einen vertrauten Mann schicke, mit dem Ihr alsdann handeln könnt,« versetzte Trautwein. »Ich weiß einen, der, wenn ich nicht irre, in der Nähe von Frankfurt zu Hause ist. Ein verschwiegener Mann, mit dem ich selbst manch Geschäft gemacht. Ist er gerade hier, kann er vielleicht bewogen werden, Euch zu helfen. Mich dünkt, ich sah ihn gestern in der Kämmererstraße. Ich sende ihn Euch und will besorgen, daß mein Gevatter Rebstockwirth Euch zum mindesten ein Feuer anmache in dem Ofen.«

»Nun, so geht, und plaudert nicht lange!« drängte Gerhard, und schob ihn zur Thüre hinaus. Ein leises Schluchzen und Weinen ließ sich jetzt hinter den Vorhängen des mächtigen Himmelbetts vernehmen und dem Junker fiel mit einem Male der Gedanke an den Knaben, den er gestern aufgenommen, siedendwarm auf die Brust. Er eilte zum Lager und sah das vier- bis fünfjährige Kind aufrecht sitzend, und eng in den groben Mantel gewickelt, aus dem nichts hervorguckte als der braungelockte Kindskopf, mit blauen von Thränen überfließenden Augen. Der Knabe fuhr etwas zusammen, da er das kupferrothe, mit dichtem Bart versehene Gesicht seines Findelvaters gewahr wurde, aber bald beruhigte er sich wieder in etwas, da er sich deutlich erinnerte, daß ihn derselbe Mann gestern von der offenen Straße genommen, und, den Müden erwärmt, auf's Lager gebracht hatte. Er streckte ihm die kleinen Arme bittend entgegen, und sah ihn mit einer Wehmuth an, die ihm fast das Herz abzudrücken schien. Der rauhe Hagestolz fühlte sich gerührt von der hilflosen Unschuld des Kindes, und nahm es auf seinen Schoß. »Komm' her,« sprach er »und laß' uns vernünftig reden, mein Junge! Wir haben gestern Abend nur flüchtige Bekanntschaft gemacht. Heute wollen wir's einbringen. Wie heißest du, mein Kind?« – »Hans!« antwortete der Knabe muthig und vernehmlich. »Und dein Vater?« – »Ich habe keinen mehr.« – »Doch eine Mutter hast du?« – »Ja, die Mutter und die Gundel.« – »Wie nennt sich deine Mutter?«– »Ich weiß es nicht.« – »Wo wohnt sie aber?« – »Ach, weit, weit von hier!« – »So? demnach nicht in der Stadt?« – »Wir sind drei Tage gefahren, bis wir angekommen sind. Wo ist denn aber die Mutter?« – »Ja, wenn du das nicht weißt . . .« – Der Knabe schüttelte traurig den Kopf. »Sage mir doch, Hänschen,« fuhr Gerhard neugierig fort. »Wie lange bist du denn hier?« – »Ich heiße nicht Hänschen,« versetzte der Knabe. »Hänschen hat vier Füße, und ich habe zwei; darum heiße ich Hans. Hänschen ist aber zu Hause geblieben. Wirst du mich wieder heimbringen, fremder Mann?« – »Wenn ich weiß, wo deiner Mutter Haus steht, mein Knabe.« – »Ach, es ist fern, recht fern. Wir haben drei Mal geschlafen, ehe wir gestern in der Nacht ankamen.« – »Wie kamst du denn auf die Straße?« – »Ich weiß es nicht. Auf dem Wagen schlief ich ein, und auf der Erde bin ich aufgewacht. Ach, wie war es so kalt, da Ihr mich aufnahmt. Die Mutter muß mich verloren haben.« – »Wie war die Mutter gegen dich?« – »Böse, lieber Mann, immer böse und finster. Aber Gundel ist herzensgut, und zu ihr möcht ich lieber als zur Mutter, und auch zu Hänschen lieber als zur schwarzen Mutter.« – »Zur schwarzen Mutter? Warum nennst du sie so?« – »Sie ist immer schwarz gekleidet, und hat so dunkle Augen; aber Gundel hat helle, und geht immer grün oder roth. Hänschen ist weiß und braun.«

Der Junker schüttelte bedenklich den Kopf, und zweifelte nicht mehr daran, daß der Knabe mit Vorbedacht zurückgelassen worden sei, auf der Durchfahrt durch die fremde, im nächtlichen Dunkel verhüllte Stadt. Aus dem Knaben war übrigens nichts herauszubringen, als daß der Mutter Haus auf einem Hügel stehe, unfern von einem Strome, daß viel Waldung und ein Dorf sich in der Nähe befinde, und nicht allzuweit eine Stadt, in der sich das Kind besann, vor einiger Zeit gewesen zu sein, zur Zeit eines Jahrmarkts. Ueber den Namen seines mütterlichen Hauses, des Stroms, der Stadt, war er in wahrscheinlich geflissentlicher Unwissenheit erhalten worden. Fern von Jugendgespielen und Gefährten seines Alters kannte er niemand, als die schwarze Mutter, die er nicht liebte, die freundliche Gundel, nach der er sich sehnte, und das vierfüßige Hänschen, das er am schmerzlichsten vermißte. Gerhard ersah aus Allem, daß ihn seine, größtenteils vom Wein erregte Weichherzigkeit hier in eine sonderbare Historie verwickelt hatte, und ihm wahrscheinlich eine Last zugefallen war, die er nicht auf die Dauer würde tragen können. Eine plötzliche Vermuthung ergriff ihn; und er durchsuchte die Kleider des Kindes nach Geld und Kleinodien, die vielleicht dem Finder als eine Entschädigung zugedacht sein möchten; doch war sein Bemühen umsonst. Keine Blechmünze, kein armseliger Hohlpfennig war bei dem Verlassenen zu finden. Außer dem höchst einfachen Gewande des Kindes trug es nichts bei sich. Unmuthig stellte er den Knaben nieder und ging, von neuem gegen sein Geschick grollend, auf und ab. Das Kind schmiegte sich indessen stille und in sich gekehrt an den durch Trautwein's Vorsorge erwärmten Ofen und weinte nur von Zeit zu Zeit vor sich hin, theils im Andenken an die gute Gundel, theils im Bewußtsein des quälenden Hungers, den es verspürte. Ein Glück war es, daß Gerhard in der Tasche seiner Pluderhosen noch ein sogenanntes Martinshorn auffand, ein Gebäcke, mit dem er alsbald den seufzenden Knaben beschwichtigte. Indem er jedoch mit sich selbst zu Rathe ging, wie die eßlustige Bürde vom Halse zu schaffen, und sein eigenes betrübtes Verhältnis zu wenden sei, ließ sich von Außen ein schlürfender, leiser Tritt vernehmen und ein demüthiges Pochen erklang an der eichenen Thüre. Gerhard öffnete schnell, und vor ihm stand einer aus dem Volke Abrahams. Seine Statur bot nichts Ausgezeichnetes dar, noch weniger seine Kleidung, die den wandernden Handelsjuden bezeichnete. Aber das Gesicht, das aus dem unscheinbaren grauen Kittel und aus dem schlecht gefältelten Kragen heraussah, war auffallend genug. Ein nicht fern von den Fünfzigern stehendes Antlitz, mit Spuren tiefen Kummers entweder, oder schwerer Erschlaffung, bleich und hager, war von Augen belebt, die an Lebhaftigkeit und stechender Schärfe mit denen der Eidechse wetteiferten. Die kahle Stirne, von wenigen, dünnen und grauen Locken besetzt, gab großen Spielraum der Beweglichkeit von Gesichtszügen, die wie die Schlangenwege eines Labyrinths sich nach allen Seiten in merkwürdiger Verschlingung ausdehnten. Eine breite Narbe, die quer von dem rechten Schlaf sich über Wange und Nase herüberzog, bis zu dem linken Ohrläppchen, schied das Gesicht, so zu sagen, in zwei ungleiche Hälften. Die Nase, vorspringend und gebogen, zeugte von orientalischer Abkunft und die Form des Mundes wäre gut gerathen zu nennen gewesen, hätte sich nicht in der etwas hängenden Unterlippe jener schon angedeutete Charakter der Abspannung offenbart. Der Bart kurz, kraus, grau und schwarz gemischt, paßte zu dem Uebrigen. – Der Jude neigte sich unterthänig vor dem Edelknecht, ohne ein Wort zu sprechen. – »Wer bist du?« fragte ihn der Letztere barsch und kurz. »Was willst du hier?«

»Was ich hier soll, möchte ich wissen, gestrenger Herr;« erwiderte der Jude mit unterwürfigem Tone. »Der achtbare Meister Trautwein sendet mich zu Euch. Er sagte mir, Ihr könntet meine Dienste brauchen, und somit biete ich sie Euch an.«

»Trautwein?« fragte Gerhard. – »Durch seine Empfehlung bist du mir willkommen, insofern du nicht hier in Worms geboren oder ansässig, denn ich fordere, daß du schweigest.«

»Gestrenger Herr Ritter,« versetzte der Jude wie oben, »ich weiß zwar nicht, wie Ihr könnt hegen Zweifel an der redlichen Verschwiegenheit meiner Glaubensgenossen hier zu Worms. Wenn Ihr demungeachtet Grund zu haben glaubt, unsere hiesigen Brüder zu beargwohnen, so vertraut Euch mir. Ich stamme von Friedberg, und dieses Zeichen auf meinem Rocke mag Euch beweisen, daß ich nicht von hier bin, wo dies Schiboleth in Vergessenheit gerathen ist.«

Hier zeigte er auf den Ring von gelber Seide, den jeder Jude in und um Frankfurt auf der linken Brust tragen mußte. Gerhard machte dem Juden eine ausführliche Beschreibung seiner Lage und verlangte ein Darlehen auf Wort, Schrift und Glauben. Seine eindringlichen Worte, seine ziemlich herrische Forderung verriethen wohl, daß er eine abschlägige Antwort nicht im Bereich der Möglichkeit vermuthe; um so mehr befremdete ihn das überlegende Kopfschütteln seines Gegenübers. Nach langer Pause sprach der Jude endlich: »Seht, werther Herr, wir halten auf das, was die Väter sagen und uns einprägten. »»Ben David, sagt der meinige öfters, hüte dich, großen Herren und Kriegsleuten auf das leere Geschrift hin zu vertrauen. Das Wort verweht der Wind, und das Papier zerhaut der Degen. Baare Münze lacht; ein gutes Pfand macht Muth.«« – Ich hab's nun immer so gehalten, und Euch, lieber Herr, soll geholfen sein, wenn Ihr mir Bürgschaft stellt in Dingen von Gewicht und Werth oder im Wort eines wackern Mannes, dem die Rechtschaffenheit werth ist, soll er sie auch nur gegen Juden beweisen.«

»Da steckt eben der Knoten!« polterte Gerhard. »Auf Pfand und reichliche Bürgschaft kann jeder Fastnachtsnarr Kappe und Pritsche leihen. Ich habe nichts von Werth, als meinen Gaul, und von ihm trenne ich mich um keinen Preis.« –

»Das glaube ich!« versetzte Ben David. »Das ist ein Pferd! Gott! ich habe Euch gestern reiten sehen, als der heilige Martin in der Procession. Ihr wart so stattlich, und das Pferd so geputzt und so blank; . . . nein! einen solchen Gaul gibt man nicht her!« –

»Wie soll ich aber aus dem verdammten Worms kommen?« rief der Junker. »Willst du die Bürgschaft der Herren von Eppstein, von Hornberg und von Hyrzenhorn?«

»Was soll mir die Bürgschaft von diesen Herren?« fragte Ben David. »Sie sitzen mir zu hoch und haben mich selbst schon zu oft gepfändet, als daß ihr Wort mir ein gültig Pfand sein könnte. Ja, – wenn es der edle Herr von Dalberg wäre, der wackere Kämmerer von Worms, unseres Glaubens Beschützer; . . . oder nur der Meister Trautwein, . . . aber . . .« setzte er lächelnd hinzu, »der Erste kennt Euch nicht, und der Zweite ist zu klug, um jemals sich zu verbürgen.«

»Kreuz und Dorn!« fuhr Gerhard auf, »ich will dich lehren, mein adelig Wort zu ehren. Zur Stelle wirst du mir gehorsamen! Einem Fürsten oder dem Krämermagister einer Reichsstadt seid ihr gleich zu Willen mit Geld und Gut. Aber einen wackern Edelmann laßt Ihr verderben.«

Der Jude zuckte die Achseln. »Fordert die Stadt unser Geld,« sprach er kalt, »so geht's mit Stürmen los auf unsere Habe, und der Gewalt weichen wir. Der Kaiser gibt uns Schutz, und nennt uns seine Kammerknechte; und da wir zufrieden sind, wenn wir athmen dürfen, so geben wir gern dafür, was unser ist. Dem Einzelnen steht aber nicht die Befugnis zu, uns gewaltsam zu plündern, zum mindesten nicht in Worms, wo wir eines billigen Schutzes uns erfreuen.« –

Bei diesen Worten näherte er sich der Thüre, um das Gemach zu verlassen. Gerhard jedoch, von der Notwendigkeit des Augenblicks bedrängt, wollte ihn aufhalten, und gab von seiner Störrigkeit Vieles nach, indem er ihm sagte: »Es war nicht so übel gemeint, Ben David. Du solltest aber auch einen ehrlichen Mann nicht so lang auf die Folter legen.«

»Alle Ehrfurcht vor Eurer Ehrlichkeit,« erwiderte der Jude; »aber Euer Benehmen macht mich nicht lüstern auf ihre nähere Bekanntschaft.«

»So laß doch mit dir reden;« fuhr Gerhard fort, ihn zurückhaltend. »Ich will mit dir handeln, wie ich es mit einem braven Christen thun würde. Ich verschreibe dir Zins und Rückzahlung bis zum Sonntag Lätare kommenden Jahrs mit meinem Namen und Wappen; und mit der Klausel, daß, wofern ich dir bis dahin nicht gerecht werden könnte, ich mein Einlager mit zwei Knechten und drei Pferden hier im Rebstock halten will, bis du befriedigt bist.«

»Ei! ei! bei meinem Bart!« sagte Ben David. »Da säßen zwei im Unglück statt des einen. Ich, weil Ihr mir meine Schuld nicht bezahlt, – der Wirth, weil Ihr Euer Einlager nicht bezahlt. Ich sehe schon, Ihr würdet mir noch anbieten Eure Hausfrau als Pfand, wenn Ihr nicht unbeweibt wärt. Gott befohlen!«

»Jetzt hast du Zeit zu gehen, verdammter Spötter!« tobte der Junker und erwischte sein großes Fechterschwert, das er drohend gegen den Juden schwang. »Hinaus! oder ich lege dir den Solinger um die Ohren!«

Ben David wollte schnellfüßig aus der Thüre. Indem sprang aber der kleine Hans, der bisher hinter dem Kachelofen gelauscht hatte, ängstlich schreiend hervor, und hing sich an Gerhard, entsetzt von dem gewaltig drohenden Schwerte und einen schrecklichen Auftritt fürchtend. Der Junker hielt inne und beugte sich zu dem Knaben, ihn zu beruhigen. Während dessen aber hatte Ben David einen Blick auf den Letztern geworfen, einen Augenblick theils überrascht, theils überlegend verbracht, und sich endlich wieder gelassen über die Schwelle in das Zimmer verfügt. »Was willst du noch hier?« schnauzte ihn Gerhard an.

»Mit Verlaub, gestrenger Herr,« sprach Ben David, »ist das Euer Knabe?«

»Kümmert's dich?« fragte Gerhard, wie oben. – Der Jude verneigte sich geschmeidig, schüttelte leicht den Kopf.

»Um des Knaben willen möchte ich dann mit Euch in's Reine kommen,« fuhr er fort.

»Ich bedaure,« versetzte Gerhard, »der Knabe ist nicht mein, obendrein eine sehr unnütze, widerliche Last.«

»Eine widerliche Last muß man sich schaffen vom Halse,« meinte Ben David und erkundigte sich um die nähere Bewandtnis, die es mit dem Kinde habe. Gerhard machte auch kein Geheimnis aus der Art, wie er zu demselben gekommen, und aus seinen Mittheilungen, wie unvollkommen sie auch sein mochten. Der Jude hörte aufmerksam zu, und in den Muskeln seines Gesichts zeigte sich eine auffallende Bewegung, die einem besseren Menschenkenner, als es Gerhard war, unmöglich hätte entgehen können. Gleichgültig jedoch dem äußern Anscheine nach wiegte er den Kopf und sprach, nachdem Gerhard geendet: »Es ist seltsam, wie das zusammentrifft. Der Knabe hat nicht Vater, nicht Mutter, denn die ihn böslich verlassen hat, ist so gut als todt. Und zufälligerweise kenne ich eine trauernde Mutter, die geben würde, was in ihren schwachen Kräften steht, könnte sie einen Sohn dafür erhalten, in dem gleichen Alter dessen, den ihr ein frühzeitiger Tod entriß. Ueberlaßt mir und der jammernden Mutter diesen Verstoßnen, damit er noch werde die Freude eines Menschen, und einstens stehe an seinem eigenen Herde.«

»Ist's eine Christin doch, der du das Kind bestimmst?« fragte Gerhard, schon zu der Ansicht des Juden sich neigend.

»Die Rechtgläubigste; die Witwe Schechlerin in Friedberg,« versetzte Ben David. »Sie besitzt einen kleinen Kram, der gerade hinreicht, sie zu ernähren, und den Knaben.«

»Die Waise zwingst du nicht zum Judenthum und schwörst mir's zu?« fuhr Gerhard fort, der sein erwachendes und zweifelndes Gewissen durch leere Form zu beschwichtigen dachte.

»Bei dem Haupte meines Vaters schwör ich's Euch!« entgegnete Ben David sehr ernst. »Wie könnte ich wohl einst eingehen in's ewige Jerusalem, hätte ich mit Vorbedacht einen Menschen elend gemacht? Der Elendeste aber auf Erden ist ein Jude.«

»Ja wohl, ja wohl!« entgegnete Gerhard, den Sinn von Ben David's Worten nicht begreifend, mit verächtlichem Blicke. »Damit wir aber schnell in's Reine kommen, . . . zahle fünfzig Turnosen und führe den Knaben hinweg.«

»Fünfzig? Du Herr meines Lebens!« rief der Jude, wie im größten Erstaunen die Hände zusammenschlagend. »Wo denkt Ihr hin, lieber Herr? Von zwanzigen war bis jetzt die Rede: wie soll ich zu fünfzigen . . .«

»Dort ist die Thüre!« erwiderte Gerhard trocken und kehrte ihm den Rücken. Ben David ging aber nicht, sondern kam näher: »Als ich gebe dreißig Turnos, gebe ich Alles, was in meiner Macht steht!«

»Schmutziger Schacherer!« polterte Gerhard, roth werdend vor Zorn; »und jetzt packe dich. Ich fürchte ohnehin, daß ich Sünde thue, wenn ich dies junge Leben deiner graugewordenen Verworfenheit überlasse.«

Ben David zuckte die Achseln, schlug seufzend die Augen gen Himmel, stellte sich hierauf zum Tische, langte aus seinem Zwerchsack einen nicht übermäßig gefüllten ledernen Beutel hervor und begann Geld aufzuzählen. Gerhard spielte hierbei den Gleichgültigen, obgleich er im Innern bereits an seinem Siege frohlockend zehrte; der Knabe, der arme Unschuldige, um dessen Haut und Haar der ganze böse Handel ging, ergötzte sich mit kindischer Lust an dem Glanz der Silberstücke, die aus des Juden hagern Fingern auf den Tisch rollten, und sehr langsam und sehr bedächtig von ihrem bisherigen Besitzer in Reihe und Schnur gestellt wurden. Gerhard konnte nur mit Mühe bei dieser geflissentlichen Langsamkeit seine Ungeduld bändigen. Endlich schüttelte der Jude den leeren Beutel, und sprach: »Seht da mein ganzes Vermögen: zweiundvierzig Turnosen – nicht mehr, und nicht weniger als alles, was ich habe. Wollt Ihr's, so nehmt. Die fünfzig kann ich nicht vollmachen.«

»So trolle dich und versieh dich ein ander Mal mit mehrerem Gelde, wenn du zu einem Edelmann gerufen wirst;« antwortete Gerhard kalt, der nun die Handlungsweise seines neuen Bekannten begreifen lernte.

»Ich kann nicht mehr geben,« fuhr der Jude fort. »Ich habe nicht mehr, als das und mein Leben.«

»So behalte beides in Gottesnamen und schere dich fort!« versetzte der Junker mit immer größerer Zuversicht. – »Ich finde einen Andern.«

»Ihr seid ein böser Kaufmann!« meinte Ben David und stellte sich, als wollte er das Geld zusammenraffen. Da ihn aber Gerhard von diesem Thun nicht abhielt, so ließ er es bleiben und holte statt dessen einen wollenen Lumpen aus seinem Sacke, in welchem sich mehr Geld eingeschnürt befand, als in dem geleerten Beutel gewesen war. – »Seht,« fuhr er fort, »wozu mich Eure Hartnäckigkeit verleitet. Das ist anvertrautes Geld, und ich muß davon entwenden acht Turnos, um sie Euch zu geben. Ich möchte mich selber schlagen in's Gesicht, daß ich das thue, aber ich bin zu freundschaftlich für Euch gesinnt, als daß ich Euch nicht helfen sollte aus der Noth.«

Die fünfzig Turnosen waren voll, und behaglich lächelnd strich der Junker das Geld ein. – »Für das Geld den Knaben,« sprach er, »auf nimmer wieder zu erstatten; aber erkundigen werde ich mich zu Friedberg, wie du den Knaben versorgt.«

»Das könnt Ihr,« antwortete der Jude mit aller Aufrichtigkeit. »Ich schenke dem Knaben eine wackere Mutter. Komm', Bübchen!«

Der Kleine weigerte sich anfänglich. »Der Mann bringt dich zur Mutter!« redete ihm Gerhard zu. – »Ich will lieber bei dir bleiben,« meinte das Kind. – »Aber auch zur Gundel und dem kleinen Hänschen!« setzte Gerhard bei. Der Jude nickte freundlich grinsend zu dieser Zusage, und der Knabe war schnell für den neuen Führer gewonnen. Fröhlich hing er sich an seine Hand, und eilte, ohne viel Abschied zu nehmen, mit ihm von dannen. So springt das unschuldige Lamm neben seinem Herrn dahin, in harmloser Fröhlichkeit . . . nicht wissend, wird es zur lustigen Weide, wird es zur Schlachtbank gebracht.


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