Karl Spindler
Der Jude
Karl Spindler

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Capitel.

»Du bist heute so saumselig und faul!« schalt die Ehewirthin des ehrsamen Altbürgers Diether Frosch ihre Gürtelmagd, die am Sonntagmorgen nicht mit dem Zöpfeflechten fertig werden konnte. – »Wenn ich heute die Kirche besuchen wollte, so könnte ich nur immerhin im Schlafmantel dahin gehen. Was dir seit einigen Tagen im Kopfe steckt, begreife ich nicht.«

Else schwieg einige Augenblicke und seufzte. Dann aber sprach sie: »Ehrsame Frau! die Schuld, daß ich nichts recht mache, mag wohl zunächst in Euch selbst liegen, denn Ihr seid seit geraumer Zeit so reizbar, daß Euch immer beim geringsten Anlaß gleich der Zorn übermannt, und ich nur mit Zittern und Zagen Kamm und Schnürnadel zur Hand nehme, mein Amt bei Euch zu verrichten.«

Else schwieg, sich selber ob der Keckheit wundernd, mit der sie zu der raschen Gebieterin gesprochen, und die bösen Folgen fürchtend; aber zu ihrer größeren Verwunderung blieb die Letztere in Schweigen versunken. Die gefalteten Hände auf dem Schoß haltend, sah sie vor sich hin, wie von tiefem Nachdenken gefesselt, blickte dann schnell in die Höhe und sagte: »Diesmal hast du nicht unrecht, gute Else. Ich finde das selbst. Dieser Zustand dauert schon einige Wochen!«

»Freilich, liebe gnädige Frau!« versetzte Else, mit gutmüthiger Besorgnis ihr in's Gesicht schauend; »ich fürchte, Ihr seid krank, oder auf dem Wege, es zu werden. Eure rosenrothen Wangen haben an Farbe verloren und Euer Auge sieht oft aus, als habe es viel geweint. Ich an Eurer Stelle würde den Judenarzt um Rath fragen.«

Frau Margarethe schüttelte langsam den Kopf. »Der alte Joseph ist ein geschickter Mann,« sprach sie, »aber seine Arzneien heilen mein Uebel nicht.«

»Warum denn nicht?« fragte die Magd; »ein Jude kann Alles. Wo seine Kräuter nicht ausreichen, da hext er die Krankheit weg.«

»Einfältiges Geschwätz!« eiferte die Gebieterin. »Ich werde doch wissen, ob ich krank bin oder nicht. Das Ganze wird meines Bedenkens nichts anders sein, als die Folge der Unruhe, die meinen Schlaf stört und mir böse Träume verursacht.«

»Die bösen Träume, wie die guten, kommen von Gott!« meinte Else mit einem frommen Seufzer. – »Darum hat er auch zugelassen, daß gewisse Menschen die Träume auszulegen vermögen. Meiner Mutter Schwester konnte fürtrefflich damit umgehen, und bei ihren Lebzeiten hat man sie oft zu den vornehmsten Geschlechtern berufen, um Träume zu deuten. Ich habe ihr viel abgelernt, als ich bei ihr wohnte, aber freilich, zu ihrer ganzen Kunst hab ich's nie gebracht.« –

»So?« fragte Margarethe, neugierig werdend, »da hätte ich beinahe Lust, dir das Gesicht mitzutheilen, das ich erst verwichene Nacht hatte, und dessen Andenken noch jetzt meine Seele foltert, obgleich ich wieder Lust hätte, darüber zu lachen.«

»Nur nicht lachen!« warnte die gläubige Else. »Ein Traum ist ein gar ernsthaft Ding. Aber nicht jedes böse Traumgesicht bedeutet darum eine böse Wirklichkeit. Oftmals verkehrt sich des Schlummers Leid in wachende Freude. Wer im Schlafe Särge sieht, macht gewöhnlich bald eine fröhliche Hochzeit, und wer hinwiederum geträumt, er werde in der Kirche mit der Braut eingesegnet, braucht gar häufig kurz nachher sein Todtenhemd.«

»Nun!« versetzte die Frau, »höre mir zu, gute Else. Sieh, ich schlummerte ein vor Mitternacht, und sah mich, nach manchen Traumbegebenheiten, auf die ich mich nicht mehr besinnen kann, in einen herrlichen, zu einem lustigen Bankett geschmückten Saal versetzt. Blumensträuße wehten über allen mit Gold- und Silberstück gedeckten Tafeln und ich war, gleichsam als die Königin des Festes, auf einem Thronsitz erhöht, der ganz von Rosen eingefangen war.«

»Ach! das ist herrlich!« rief Else, »rothe Rosen bedeuten Glück und Jugend.«

»Höre weiter!« fuhr Frau Margarethe fort. »Da ich nun also gefeiert da saß, von vielen Herren und Frauen umgeben, die mir dienten, so fiel mein Blick auf einen Spiegel, der mir gegenüber hing . . . von einer Größe, wie ich mich nicht entsinnen kann, jemals gesehen zu haben. Von dem Anblick überrascht, lächle ich freundlich meinem Spiegelbilde zu und gewahre, indem ich die Lippen öffne, in der Reihe meiner Zähne einen weitblinkenden, vom feinsten Golde gestalteten, wunderbar und zauberisch mir entgegenleuchtend. Und wie ich nun, entzückt davon, aus den Händen eines Pagen einen Becher empfange, geschnitten aus purem Edelstein und angefüllt mit hispanischem Weine, und ihn an den Mund setze, so berührt kaum der erste Tropfen meine Zunge, als plötzlich mit einem schrillenden Klange der goldene Zahn gewaltsam losspringt von den übrigen und klingend zur Erde fällt. Ich bücke mich schnell nach dem Entwurzelten, aber zu meinen Füßen war der glatte Boden des Saals zu wüstem Schlamm geworden, der das goldene Kleinod immer tiefer hinabschlürfte. Mein Jammer war nicht zu beschreiben, bis eine Hand aus dem neblichten Dufte um mich her sich herausstreckte, mit einem blüthenweißen Zahne zwischen den Fingern, und ihn an die Stelle des Verlornen setzte. – Aber, Kind, du bist bleich geworden . . . rede . . . was hältst du von diesem Traume?«

Frau Margarethe blickte ängstlich zagend in die Augen der Magd, die sich vor ihr niedergekauert hatte und endlich, die Hände der Gebieterin an ihre Brust drückend, ausrief: »O, das ist ein bös' Gesichte, liebe Frau! Ach, welch Unheil mag es Euch verkündet haben . . ?«

»Also doch?« fragte Margarethe, von einem leichten Frost geschüttelt. »Unbarmherzige, du hörtest noch nicht Alles, und beinahe sollte ich dir Schonungslose das Ende verschweigen. Doch mußt du jetzt Alles wissen, da ich dir so viel verrathen. So wisse denn, daß, während mein Auge hoffnungslos dem goldenen Punkte folgte, der, immer tiefer sinkend, nur wie ein ferner Stern noch in dem gährenden Dunkel sichtbar war, sein neugepflanzter Stellvertreter in meinem Munde lebendig wurde, sich in eine graue Schlange verwandelte, auf meine Brust herabringelte und mit heißem Schmerze sich da einbohrte, wo das Herz schlägt . . .«

»O, haltet ein, liebe Frau!« seufzte Else unter ängstlichem Zittern, »das ist des Entsetzlichen zu viel! Eilt, durch Gebet und fromme Gaben des Himmels Zorn zu wenden, der Euch ein liebes Kleinod rauben will, aus dessen Verlust ein immer nagender Wurm entspringen und Euer Herz verzehren wird. Stiftet Messen, gelobt Wallfahrten, damit das Unheil sich wende, das Euch droht!«

»Aberwitziges Geschöpf!« schalt Frau Margarethe, bemüht durch den aufgeregten Zorn Herr ihrer Bangigkeit zu werden. »Meinst du, ich glaube an deine tolle Auslegung und widerliche Besorgnis. Lug und Trug ist die Traumdeuterei, und wofern ich höre, daß du diese wahnsinnige Kunst noch ferner ausübst, um Leichtgläubige zu schrecken, so lasse ich dich durch den Stöcker aus der Stadt bringen!«

Else, die nicht recht begriff, wie so schnell das Vertrauen der Herrin sich in Ungnade verkehren konnte, packte, um sich nicht durch Widerrede um den Dienst zu bringen, alle ihre Gerätschaften zusammen und ließ, ohne eine Silbe zu reden, die Zürnende allein. Margarethe ging heftig hin und her von Tisch zu Schrank, vom Spiegel zum Fenster. Sie riß die Flügel des letztern auf und starrte in den naßkalten Wintertag hinaus; aber die geputzten Leute, die, Rosenkranz und Kerzen in der Hand, zur Kirche wandelten, paßten wenig zu ihrer grollenden Stimmung; sie öffnete ihren Juwelenschrein, aber das Gefunkel der Steine ergötzte nicht ihren traurigen Sinn; sie wollte sich in ihr Schlafgemach einschließen, aber im Begriff einzutreten, gewahrte sie das Bild ihres Ehegemahls, das sie von der Wand herab ansah in ernstem Schweigen, und unmuthig warf sie die halboffene Thüre in's Schloß. Aber gerade da sie unruhig sich niederließ in den breiten Sorgensessel und der Vernunft das Feld einräumen wollte, trat ein Gast in die Stube, der nicht zur ungelegeneren und wiederum nicht zur gelegeneren Zeit hätte kommen können. Ein Laut der Ueberraschung entfuhr Margarethen, da sie die wohlbekannte Weibergestalt in der Tracht der Nassauer Bäuerinnen kerzengerade auf der Schwelle stehen sah.

»Willhild! Willhild!« rief sie halblaut und wollte der Frau entgegeneilen, aber das Zittern ihrer Knie verhinderte sie daran. »Was bringt dich so schnell wieder hieher? Unglücksbotin!«

Die Bäuerin machte sorglich die Thüre hinten sich zu, nachdem sie im Vorzimmer nachgesehen hatte, ob Niemand zugegen, schob den Riegel vor und näherte sich verlegen und mit gebücktem Haupte der Frau vom Hause. »Bleibt nur immer ruhig auf Eurem Stuhle,« sagte sie zögernd, »Ihr spracht nicht unwahr. Ich bringe kein Glück.«

»So ist es denn endlich wahr geworden, was schon lange zu fürchten war?« klagte Margarethe mit herzzerreißendem Geflüster. »Er ist dahin, . . . todt . . .?«

Willhild nickte trübsinnig mit dem Haupte. Margarethe warf sich in den Stuhl zurück und schlug in bitt'rem Schmerz beide Hände vor das Gesicht. Es gibt ein Leiden, das sich weder in Worten noch in Thränen ausspricht und den Körper eines Starken durch seine entsetzliche Wucht an die Grenzmarke des Lebens drängt, . . . dahin, wo die Sinne schwinden und der Athem vergeht, ohne ihm einen Laut abzwingen zu können. Es ist der lang vorausgesehene Gram. Die Augen haben kein Wasser mehr, wenn der Fürchterliche ihnen endlich ganz nahe steht und sein entsetzliches Antlitz weist. Die Brust hat keinen Seufzer mehr, die Zunge keine Klage, und nur das mühsam arbeitende Herz kämpft mit dem Grausamen einen kurzen, aber um so schrecklicheren Kampf, der den widerstrebenden Sterblichen entweder unter dem eisernen Fuß des Schicksals zermalmt, oder – ein seltenerer Ausgang – ihn zum Herrn und Sieger seines Verhängnisses macht. – Ein solches Leiden hatte Margarethen's Seele überfallen, gegen ein solches Leiden stritt sie verzweifelnd eine bittere Viertelstunde lang, und ihr ward der Siegerkranz. Willhild stand niedergeschlagen vor der Trauernden und murmelte Gebete, als diese mit einem Male die Hände sinken und die üble Botschafterin in ein bleiches, ernstes, in starrer Ruhe gehaltenes Antlitz blicken ließ.

»Ermanne dich, Willhild,« sprach sie gefaßt, »trockne die Tropfen ab, die dick und schwer an deinen grauen Augenwimpern hängen. Folge meinen. Beispiel. Als du vor einigen Wochen mir die erste Nachricht brachtest, gewöhnte ich mich nach und nach an den Gedanken des höchsten Kummers. Du siehst, sein plötzliches Einbrechen hat mich nicht dahingerafft. – Ich wußte schon, was kommen würde!« setzte sie hinzu, und gedachte schmerzlich ihres Traums, der so schnell in Erfüllung gehen sollte. »Erzähle aber, wie ging es? Schone mich nicht.«

»Ach, gestrenge Frau!« versetzte die Alte, in peinlicher Verlegenheit, wie die Sache anzubringen sei. »Die Heiligen mögen es wissen, daß keine Sorge gespart wurde, das junge Herrlein zu erhalten, bis es das zufällige Geschick uns entriß.«

»Nichts ist Zufall!« fiel Margarethe ein. »Der Knabe mußte sterben nach Gottes Gebot und ich spreche dich frei von aller Schuld.«

»Vorgestern,« fuhr die Alte stockend fort . . . »vorgestern war das Junkerlein noch ziemlich munter, aber . . . am Abend . . . war er nicht mehr bei uns.«

»Schied er unter Schmerzen, der liebe Knabe?« fragte Margarethe.

»Nein . . . das nicht, edle Frau,« entgegnete Willhild, »im Schlummer ward er von uns genommen. »Gestern haben wir ihm ein Kreuz errichtet.«

»Gestern wurde er begraben?« fiel Diether's Gattin ein, »o, mein warnungsvoller Traum! Johannes, du bist das goldne Kleinod, das in die schwarze Grube sinkt . . . und nur einen ewigen Stachel zurückläßt. Kein Wort mehr, Willhild, genug bis auf eine Zeit, wo ich werde weinen können. Eine Frage: du hast doch beachtet, was ich dir bei deinem letzten Hiersein vorschrieb. Du hast geschwiegen?«

»Wie das Grab!« betheuerte Willhild. »Ich darf einen Eid darauf ablegen, auch hat noch keine Christenseele erfahren, daß das Herrlein . . . nicht mehr bei uns.«

»So sei es auch ferner!« sprach Margarethe lebhaft, »sein Tod sei ein Geheimnis für die Welt.«

»Der Vater muß jedoch erfahren . . .« meinte Willhild.

»Er am allerwenigsten,« versetzte Margarethe herrisch; »vor der Hand zum mindesten nicht. Du weißt übrigens, was ich dir auf den Fall des Ablebens unseres Sohnes neulich vertraute?«

»Als ob es gestern gewesen wäre,« erwiderte Willhild.

»Mein Eheherr,« fuhr Margarethe fort, »kaum von schwerer Krankheit genesen, hat nicht das Geringste von Johannes Siechthum erfahren. Noch weniger erfahre er seinen Tod, wenn es nur gelingt, wovon ich dir jüngst sagte, und du mir deinen Beistand nicht entziehen willst.«

»Gewiß nicht, ehrsame Frau!« gelobte Willhild. »Auch meinen Mann, den einfältigen Cumpan, will ich schon unterweisen. Er kömmt ohnedies nie hieher, gen Frankfurt.«

»Aber der Pfarrherr, der des Knaben Leiche bestattete . . .« fragte Margarethe.

»I nun!« meinte Willhild, nach einigem Besinnen, »wenn Ihr nicht schelten wollt, möchte ich Euch wohl gestehen, daß ich, Eurer früheren Reden eingedenk, dem Leutpriester von Wiesbaden vorgelogen habe, der Knabe sei mein eigener Sohn gewesen.«

»Gut!« rief Margarethe und ein Strahl der Freude flog über ihr Angesicht; »diese Lüge soll dir herrlich belohnt werden, wenn die Hauptsache erst in Richtigkeit ist.«

»Freilich,« versetzte Willhild etwas ängstlich; »ich sehe nur nicht ab, wie Ihr das Alles in's Werk richten wollt.«

»Meine Sorge!« sprach die edle Frau, »wenn nur der Zufall seinen Segen gibt.«

Es pochte an der Thür leise und verstohlen. Margarethe fragte auffahrend, wer ihre Einsamkeit störe. Zu dem Schlüsselloch stahl sich aber eine zarte Stimme in's Gemach, die versicherte, insgeheim und auf der Stelle mit der gestrengen Frau sprechen zu müssen. Margarethe winkte der Bäuerin in das Seitengemach und öffnete die Thüre, durch welche Ben David's Tochter herein schlich. Wie verschieden war aber ihr Aussehen, ihre Kleidung von der Tracht und dem Benehmen des gestrigen Tages. Statt des seidenen Gewandes hing heute ein ärmlich unsauber Kleid um ihren schön geformten Körper. Die von wollenen Streifen umwickelten Füße schlürften in schweren Holzschuhen einher, und das blühende Gesicht war unkenntlich gemacht durch die tief anliegende Kopfbinde und den groben kurzen Schleier, der Haar, Wange und Hals neidisch versteckte. In solcher Vermummung mußte, wenn es die Notwendigkeit erheischte, die musterhaft gebildete Jungfrau ihr Haus verlassen, wie ein Weib der niedersten Volksclasse. Diese abscheuliche Larve mußte ihren Wohlstand vor dem Blicke des Neides, ihre Schönheit vor den Begierden des Wollüstigen sicher stellen und verbergen.

Die Hausfrau war unangenehm durch die Erscheinung überrascht und fragte hastig und unwirsch nach des Mädchens Begehr; aber ihr Gesicht wurde freundlicher, da sie Ben David's Botschaft vernahm. Sinnend rieb sie sich die Stirne und sprach nach kurzem Besinnen: »Dein Vater mag noch diesen Abend kommen in ehrbarer Tracht. Meine Mägde werde ich aus dem Hause senden und eine vertraute Frau zur Thürhüterin bestellen. Um die siebente Stunde erwarte ich ihn; wenn die Glocke achte schlägt, kommt mein Eheherr nach Hause und darf ihn um alles in der Welt nicht mehr finden. Geh' jetzt von dannen.«

Margarethe wunderte sich nicht wenig, als die Dirne nicht von der Stelle wich, sondern eines Schauens nach einer Schilderei starrte, die über dem Putztische der Altbürgerin hing. Und da das Mädchen auf eine wiederholte Mahnung nicht von dannen ging, so wandte sich Margarethe mit einem ungeduldigen: »Verdammter jüdischer Eigennutz!« von ihr ab, suchte nach einigen Hohlpfennigen in ihrem Wetscher und drückte dieselben, mit der Weisung, endlich zu scheiden, in Esther's widerstrebende Hand. Ben David's Tochter kam zu sich und wies erröthend die Gabe von sich. – »Bist du so stolz, schmutzige Jüdin,« sprach Margarethe, dadurch gereizt; »daß dir dieser Lohn zu gering erscheint, für welchen Andere deines Gleichen einen falschen Eid leisten würden?«

»Ob mit diesem Gelde ein falscher Schwur sich bezahlen läßt, weiß ich nicht,« antwortete Esther mit leichtem Unwillen; »aber Ihr könntet meinen Gang besser vergelten, sonder Geld und Gabe.«

»Wie das?« fragte Margarethe stolz.

»Mit einem freundlichen Wort;« erwiderte Ben Davids Tochter. »Sagt mir doch, gnädige Frau, . . . wer ist der Reiter dort auf dem Bilde, der die Schlange todt sticht unter seines Pferdes Hufen?«

»Der Reiter hat nichts mit dir und deinem Volke gemein,« versetzte Diether's Gattin nicht ohne Hochmuth. »Er ist ein Heiliger unserer Kirche, ein Streiter für den Glauben, der allein selig macht, und man nennt ihn den frommen Ritter Georg.«

»Den Ritter Georg?« fragte Esther schlau und ihre Bewegung verbergend. »Wie glücklich seid Ihr, solch ein Bild Euer zu nennen! Der Maler muß den Heiligen selbst gesehen haben, denn dem schönen Ritter sieht gewiß kein Sterblicher gleich.«

»Kein Jude freilich,« spottete Margarethe bitter. »Der Maler fand aber unter den Rechtgläubigen das beste Vorbild, meinen . . . hier erröthete sie schnell . . . meinen Stiefsohn.«

Esther sah sie überrascht an, mußte aber der herrischen Geberde gehorchen, mit der Margarethe sie aus dem Gemache wies. Gesenkten Hauptes schlich das Mädchen unbemerkt, wie sie gekommen, über die marmorgefaßten Treppen zur Hauspforte hinaus. Schnell flüchtete sie über den Liebfrauenberg weg, an den Hütten der Scherer vorbei, bis sie in die Nähe der Domkirche gekommen war, aus welcher des Hochamts Orgeltöne feierlich zu ihrem Ohre drangen. Wie gern hätte sie vor der offenen Pforte verweilen, in das von Weihrauchdüften erfüllte Gotteshaus schauen und sich unter all den Feierklängen, Kerzenflammen und pomphaften Gebräuchen den heiligen Rittersmann wieder vergegenwärtigen mögen, der in Diether's Hause sie so zauberisch berückt. Aber die Scheu vor roher Mißhandlung trieb sie von dannen, und sie durfte nur in sich hineinflüstern: »Ihr Stiefsohn ist's? Er, der Ritter, der mit mir und meinem Volke nichts zu schaffen hat? Leider ist es so! Nun, da der für mich bisher Namenlose einen Namen trägt, . . . nun da ich ihn aussprechen darf, . . . nun ist er ganz für mich verloren . . . Gewiß . . . o, gewiß trennt ihn nicht sein Volk, sein Glaube, sein Stand allein von mir. Diese Hindernisse sind ja nichts für ein Herz, das nur im Erinnerungsbilde liebt und allem Irdischen entsagend, nur im Reiche der Einbildung glücklich zu sein wünscht. Aber gewiß fesseln ihn andere Bande . . . den Angebeteten. Konnte der schöne Mann seiner Stiefmutter gleichgültig bleiben neben den grauen Haaren ihres Gemahles? Daß sein Bild in ihrer Kammer hängt, bürgt für ein geliebtes Andenken, und vereint hat sie die Liebe!« – Esther's Gesicht flammte auf in Scham über die Ungerechtigkeit ihres Wahns. »Die Liebe?« zürnte sie gegen sich selbst, »die Sünde hätte sie vereint, und Sünde ist dem Herrn meines Herzens fremd. Wahrlich! Wahrlich! Wie könnte sonst sein Antlitz das Bild eines Heiligen sein? Verzeihe mir, du, den ich über Alles liebe und in dem Götzenbilde verehre, das mein Gesetz verdammt und verflucht. Nimmer soll eine Eifersucht, wie diese, dein holdes Andenken schwächen!«

An der Thüre ihrer Wohnung empfing sie der Vater, der ihr gleichgültig im Gespräche mittheilte, daß es ihm bereits gelungen, die Eltern seines Christenfindlings zu ergattern. Esther fragte mit heftiger Neugierde nach deren Namen. »Du wirst es gut finden, wenn ich ihn verschweige,« antwortete Ben David mit scharfem und bestimmtem Tone. »Der Greis Jochai hat mir offenbart, welch unziemlich Gefühl dich hinzieht zu dem Knaben. Die Thorheit muß nicht ferner genährt sein; denn unbegreiflich ist es ohnehin, wie du dich hinneigst zu den Söhnen und Töchtern Amalek's. Der fromme Vater, dem einst der Frieden sei, dringt darauf, daß ich dich führe gen Worms, wo eine Schule blüht und die Weisheit gelehrter Rabbiner. Er will gern die Traurigkeit auf sich nehmen, dich nicht um sich zu sehen, so du nur wieder des Paradieses würdig wirst.«

»Führe mich in den Tod, nur nicht nach Worms;« sprach Esther entschieden und fest. »Worms ist Zodick's Vaterstadt und folglich für mich der höllische Pfuhl, aus welchem die Teufel und Nachtgespenster stammen. Ich muß dir gehorsamen, aber dir vergebe dann der hochgelobte Gott!«

Sie entfloh in ihre Kammer und schloß sich ein. Der Vater schlug sich die Brust und sah seufzend empor zum Himmel. »Hier ahne ich böse Stürme!« sprach er zu sich. Der Ewige wolle Alles zum Guten wenden. Hierauf verbrachte er den Tag in geschäftreicher Muße, ordnete seine Rechnungen, überzählte sein Geld, das er im Keller barg, wie die übrige Habe, und kleidete sich gegen Abend in feinbürgerliche Tracht. Dann nahm er den Knaben, der ungestüm nach der Mutter verlangte, bei der Hand und führte ihn mit sich an das Haus der Frosche, wo er mit dem Glockenschlage der siebenten Stunde, wie befohlen, anlangte. Willhild harrte an der zugelehnten Thüre und so wie sie in der Dunkelheit den Mann und das Kind herannahen und die Pfortentreppe besteigen sah, winkte sie ihm einzutreten. Ben David folgte ihr bis in das Vorgemach der edlen Frau, die ihn alsobald zu sich herein bescheiden ließ. Er übergab den Knaben Willhild's Obhut und ging leisen Trittes in Margarethen's Stube. Erwartung und Hoffnung in den Mienen empfing ihn die stolze Frau.

»Was bringst du mir, David?« fragte sie gespannt; »die Möglichkeit, die ich neulich dir angab, ist zur bösen Wirklichkeit geworden. Mein Sohn ist hinübergegangen.«

»Ist er?« sprach Ben David mit Theilnahme. »Beim hochgelobten Gott. ich bedaure Euch aufrichtig, denn auch wir Juden wissen, wie lieb uns Kinder sind, und Söhne vor Allen. Ach! auch mir hat der Herr zweie genommen. Den einen durch einen grausamen Tod; den andern . . . . . . Nun des Herrn Wille geschehe!«

»Er geschehe!« versetzte Margarethe kurz abbrechend. »Aber eben weil dieser Wille unabänderlich ist, so ist es nicht gerathen, in einem vergeblichen Schmerz zu verwelken und darüber das Leben zu vergessen. Der Himmel weiß, daß ich dich nicht gern zu meinem innigern Vertrauten machte, aber die Lage der Dinge erfordert es. Ich war arm, ehe ich dem alten Manne meine Hand gab. Die Meinigen sind es noch. Ich bin jung und will nicht gerne umsonst den Winter meines Eheherrn mit dem Kranze meiner Jugend geziert haben. Die Vorsehung selbst hat das nicht verlangt, darum gestattete sie, daß meines Gatten einziger Sohn erster Ehe dem Himmel geweiht wurde, seine Tochter Verzicht leistete auf ihr Erbe, und ich ein Söhnlein gebar, das einst der Besitzer aller Habe seines Vaters zu werden bestimmt war. Für seine Gesundheit besorgt, übergaben wir den Knaben einer ehemaligen Dienerin meines Hauses, die, unfern vom Wiesbade verheirathet, den schwächlichen Körper des Kindes in dem stärkenden Heilbrunnen daselbst zu baden angewiesen war, nach der Vorschrift des Arztes Joseph, der uns den Aufenthalt auf dem Lande als das wirksamste Heilmittel für das kränkelnde Kind anpries. Vor wenigen Wochen erfahre ich, der Knabe sei krank. Die Mutterangst reißt mich vom Lager des siechen Gemahls, den ich über diesen Punkt in Unwissenheit ließ; ich sehe meinen Sohn, überzeuge mich von einer unheilbaren Verzehrung, die ihn überfallen, und denke, trostlos zurückkehrend, sogleich auf die allzu wahrscheinliche Zukunft. Damals war es, wo ich dir, der mir schon öfter Vertrauen abgewann, ein größeres schenkte, und heute sind wir da, wo ich mich damals nur hindachte. Hast du gefunden, was du suchtest? Eine Mutter, die ihr Kind für reichlichen Lohn auf ewig von ihrem Busen weist? Rede, zaud're nicht. Die Zeit ist kostbar.«

»Eine Mutter, die ihr Kind verkauft, fand ich nicht, edle Frau,« erwiderte der Jude. »Aber etwas Besseres fand ich, einen Knaben, an den die Welt keinen Anspruch hat, der selbst nicht weiß, woher er stammt, von dessen Eltern Ihr keine Forderung zu fürchten habt, da sie ihn verstießen.«

Margarethe horchte aufmerksam auf die Geschichte, die ihr Ben David zu erzählen für gut fand, ohne dabei des Edelknechts von Hülshofen zu erwähnen. »Hat der Knabe alle Eigenschaften, die ich verlangte?« fragte sie hierauf. »Braunes Haar, blaue Augen . . . eine flüchtige Aehnlichkeit mit den Bildern unseres Geschlechts? Das rechte Alter?«

»Alles, wie Ihr's begehrt. Der Zufall konnte nicht besser dienen. – Ueberzeugt Euch selbst.«

Ben David führte den Knaben herein. Willhild erschien mit ihm und winkte der edlen Frau mit voller Zufriedenheit zu. Wohlgefällig betrachtete Margarethe beim hellen Kerzenschein das blöde dastehende Kind. – Thränen stiegen in ihre Augen. »Wahrlich!« rief sie mit aufgeregtem Gefühl, »sind diese Züge nicht ein Fingerzeig von Gott, so weiß ich's nicht. Sprich Willhild! Mein Knabe, wäre er gesund und kräftig geworden . . . hätte aussehen müssen, wie dieser. Ach, mein Johannes!«

»Ich heiße Hans!« sprach der Knabe schüchtern.

»Ein neuer Wink von oben!« versetzte Ben David. »Das Büblein heißt wie der Eure, und leicht kann auf seinem Dorfe der Name also abgekürzt worden sein.«

»In der That!« meinte Margarethe, die Zähren trocknend; »es ist außerordentlich und Alles fügt sich besser, als man's wünschen kann. Komm' her, mein Knabe! wirst du mich lieben?«

Sie zog den Buben an sich und küßte seine Stirne; er starrte aber zu ihr empor, spielte mit dem goldenen Kreuz an ihrem Halse, und fragte: »Wer bist du denn, gute Frau?«

»Ei, das ist ja deine Mutter!« antwortete ihm Ben David kurz und bestimmt. – Der Knabe aber lächelte ungläubig und schüttelte zweifelnd mit dem Haupte.

»Das ist deine Mutter und ich bin deine Pflegemutter,« bedeutete ihm Willhild ebenfalls. Der Knabe sah sie groß an und schien zweifelhaft zu werden. »Wo ist denn die Gundel und das Hänschen?« fragte er ein wenig kleinlaut.

»Gundel ist fortgegangen und kommt nicht mehr wieder,« nahm Ben David das Wort, da die Frauen des Knaben Rede nicht begriffen. »Hänschen ist aber schwarz geworden, weil du so lange ausgeblieben,« setzte er hinzu und wies auf den kleinen schwarzen Spitzenhund, der auf einem zierlichen Polster schlief. – Der Knabe schlug verwundert die Händchen zusammen, warf dann noch einen prüfenden Blick auf Margarethens Antlitz, das bekümmert und freundlich zu ihm niedersah, und flüsterte hierauf dem Juden halblaut zu: »Die ist aber doch die Mutter nicht.«

»Ungerathner Bube!« rief Diether's Gattin, durch einen Wink Ben David's unterrichtet, »willst du mich wohl gleich wieder erkennen? Sprich, wenn du nicht die Ruthe kosten willst; bin ich deine Mutter, oder nicht?«

Der Knabe krümmte ängstlich seinen Rücken, faltete die Hände und rief, in der Scheltenden Schoß geschmiegt: »Liebe Mutter, schlage mich nur nicht. Hans will gut sein und er weiß ja, daß du seine Mutter bist. Nur nicht schlagen.«

»So laß' ich's gelten!« erwiderte Margarethe und reichte ihm versöhnt einen Zuckerfladen. »Sei nur immer gut und folgsam und du wirst auch den Vater zu sehen bekommen.«

»Den Vater?« fragte der Knabe, »ich habe keinen mehr.«

»Doch, doch, mein Jüngelchen!« redete ihm Ben David zu. »Einen guten und liebreichen Vater, der dich lieben, reich beschenken und unter lauter Freude und Vergnügen groß ziehen wird.«

»Das ist schön, daß ich einen Vater habe und eine Mutter, die mich nicht schlägt!« rief hierauf Hans ganz erfreut und ließ sich vertraulich auf dem Polster des Hündchens nieder, das bald gute Freundschaft mit ihm machte und seinen Kuchen mit verzehren half. Während nun die Beiden spielten und Frau Willhild sich hineinmischte, um den Knaben mit sich bekannt zu machen, folgte Ben David Margarethen in ihr Schlafgemach, wo die Bedingungen des Verkaufs festgesetzt wurden. Nicht geringe waren sie, denn als Ben David, mit Beuteln und Verschreibung beladen, davon zu gehen im Begriff war, sagte ihm Margarethe: »Du verstehst es, Jude, deinen Vortheil zu beachten. Der Kinderhandel schlägt dir gut ein.«

»Was wollt Ihr, edle Frau?« fragte Ben David mit schlauer Aufrichtigkeit, »Kinder sind doch Gottes Segen und den bezahlt man nie zu theuer. Am allerwenigsten, wenn man damit gewinnt Erb und Gut. Dem alten Herrn blüht gewiß kein Sohn mehr. Ihr seid zu fromm, um zu beglücken den Freund statt des Ehemanns. Und dennoch muß der Sohn der ersten Ehe ausgeschlossen bleiben und Priester werden und nimmer den Dispens gewinnen, den Stamm fortzupflanzen in Ermanglung andrer Erben. Der Knabe, den ich Euch überlasse, ist dennoch allzuwohlfeil erkauft, als Euer größtes Glück und Heil.«

»Doch der tiefsten Verschwiegenheit darf ich mich zu dir versehen?« fuhr Margarethe mit durchdringendem Blicke fort.

»Beruhigt Euch, gute Frau,« antwortete Ben David lächelnd, »wär' ich ein Christ, so würde ich Euch leisten einen Schwur und ihn hinterher vielleicht erst nicht halten. Als Jude darf ich nicht schwören einen Eid ohne den Rabbi und dann erst müßtet Ihr mir glauben auf's Wort, ob ich recht geschworen habe oder nicht; denn ich verstehe Euer Deutsch, aber Ihr nicht mein Hebräisch. Verlaßt Euch deshalb auf ein sicheres Pfand, auf meinen Hals. Wenigstens an mein Leben ginge es, käme es heraus, daß ich ein Christenkind verschachert. Gehabt Euch wohl und versichert Euch nur der Weiberzunge, die unser Geheimnis theilt.«

Hierauf entfernte sich Ben David schnell und Margarethe säumte nicht, seinem Wink zu folgen und die halb verlegen, halb froh sich benehmende Willhild zur Bewahrung des Gelübdes aufzufordern, das sie geleistet.

»Ihr könnt mir keck vertrauen, beste Frau,« versetzte Willhild; »mir fällt ein Stein vom Herzen, daß ich nicht des edlen Herrn Unwillen aushalten muß, der fürchterlich gegen mich entbrennen würde, träte ich vor ihn hin und meldete ihm den Unfall, der seinem Söhnlein widerfahren. Aber . . . wenn ich mich nur überzeugen könnte, daß es keine Sünde sei, einen unbekannten Zweig auf solch edlen Baum zu pflanzen.«

»Wenn ich es nicht für Sünde halte,« entgegnete Margarethe stolz, »so denke ich doch wohl . . .«

»Ach, liebe Frau,« versetzte Willhild ängstlich, »bei Euch vornehmen Leuten ist das was anderes. Kommt ein böser Fall auch hie und da vor, so könnt Ihr mit Geld Euch Ablaß holen. Wir armen Leute haben aber nichts, und unser Leutpriester zu Wiesbade ist ein strenger gottesfürchtiger Mann, dem ich doch nächste Ostern den ganzen Handel beichten muß. Er ist im Stande und schickt mich ohne Ablaß aus dem Beichtstuhle, und dann ist es so gut als ob ich vor der ganzen Gemeinde im Banne läge.«

»Sei unbesorgt!« erwiderte hierauf Margarethe; »kommt die Zeit heran, so mache dir ein Geschäft zu Frankfurt und lege dein Sündenbekenntnis vor meinem Beichtvater, dem guten Barfüßermönch Reinhold, ab. Der wackere Priester fragt nicht nach Namen und nähern Umständen und läßt deiner Reue um so eher die gewünschte Lossprechung angedeihen, als du beschwören kannst, durch besagte Verwechslung einen unglücklichen Knaben glücklich gemacht zu haben.«

»Nun, so sei es denn in Gottes Namen!« sprach Willhild und legte muthig ihre Hand auf das Crucifix, das ihr Margarethe vorhielt und in dem ein Splitter von der Hirnschale der heiligen Katharina eingefaßt war. »Da mein Seelenheil nicht gefährdet sein soll, so schwöre ich das mit aufgelegten Händen auf die Heiligen zu den Heiligen, daß ich Euch nimmer verrathen werde, so lange mir die Augen offen stehen, an Niemanden, der da lebt und vom Weibe geboren ist.«

Hierauf küßte sie der Gebieterin die Hand und Beide begannen nun zu beratschlagen, wie und wann der Knabe in das Haus seiner neuen Eltern eingeführt werden sollte. Der kleine Hans saß dabei, ohne von der Verhandlung etwas zu verstehen, spielte mit dem Spitzhunde und liebkoste Margarethens Hand und nannte sie einmal über das andere seine gute und liebe Mutter. – Ehe jedoch die Beratschlagung eine völlig genügende Wendung genommen hatte, hörte man von ferne den Schritt des heimgekehrten Gemahls. – Margarethe sprang mit Herzklopfen auf. – »Kein Zögern mehr!« rief sie, »das Schicksal will schnellen Entschluß. Willkommen, Johannes Frosch! Du wirst den Vater sehen!«

Sie drückte den Knaben mit wehmüthigen Gefühlen an ihre Brust und drängte Willhild mit dem Kleinen in die Kammer. Schnell trocknete sie die Thräne von ihrer Wimper und erwartete muthig, wiewohl nicht ohne innere Bangigkeit, den Eheherrn, der auch nicht säumte, bei ihr einzusprechen.

»Guten Abend, Margarethe!« sprach Diether in fröhlicher Weinlaune, die Gattin in die Arme schließend. Er warf einen freundlichen Blick auf sie und da er gewahrte, daß sie mit gleicher Freundlichkeit zu ihm aufsah, so freute er sich deß und sagte: »Seht, liebe Ehewirthin, so gefallt Ihr mir. Das düst're Gesicht, das schon seit geraumer Zeit Euer alltägliches geworden war, hat mir viel Nachdenken verursacht. Aber wenn Euer Mund so zuckersüß lächelt – gerade so wie jetzt – dann geht mir das Herz auf.«

Er küßte sie zärtlich. »Kommt, laßt uns Eins plaudern,« fuhr er fort und zog sie auf den gepolsterten Fenstersitz. »Es ist mir jetzt Bedürfnis, zu schwatzen wie eine Elster. Gar unlieb wäre es mir gewesen, wenn ich Euch noch trübsinnig gefunden hätte, denn ein Glas Rheinfall hat meine Seele fröhlich gemacht, und eine wohlklingende Botschaft ist mir zu Ohren gekommen von meinem Sohne Dagobert.«

»Welche?« fragte Margarethe, nicht ohne Theilnahme.

»Ihr seid ein wackeres Weib!« versetzte der alte Diether, ihr die Hand drückend; »Ihr nehmt so viel Antheil an dem Jüngling und er ist doch nur Euer Stiefsohn. Darum sagte ich ja immer, wenn mich meine Freunde aufhetzen wollten gegen Euch in Schnack und Schwank: meine Grete ist ein herzliebes Ehegespons, das sich weder an meinem grauen Bart stößt, noch nach dem flaumbärtigen Stiefsohn verlangt in Unehren und darum sollt Ihr auch jetzt wissen, daß der Dagobert glücklich und gesund zu Costnitz angekommen ist, wie mir – 's ist kaum eine halbe Stunde – der Stadtschreiber Heinrich von Gelnhausen versichert hat, der auf unsere Trinkstube Limburg kam. Der Schöffe von Braunfels hat ihn zurückgesandt, um noch mehrere Schriften nachzubringen, und im Augenblicke der Abreise hat er unsern Dagobert, der gerade angekommen, begrüßt. – Nicht wahr, das freut Euch, so wie mich.«

»Von ganzer Seele,« versetzte die Frau.

»Mitten unter der Freude meines Herzens ist mir jedoch eine Betrachtung angekommen. Sprecht selbst, liebe Ehewirthin, ist's nicht ein seltsam Schicksal, von dreien Kindern, die uns lieb sind, keines unter unsern Augen zu haben? Von der Tochter will ich eigentlich nicht reden, denn sie hat sich selbst losgesagt von uns. Ihr Bruder aber ist fern, auf seinen Beruf bedacht; und unser Johannes, mir das liebste von den Kindern, da Ihr seine Mutter seid, lebt auch von uns entfernt, ohne daß wir selbst ihn pflegen könnten.«

»Ihr würdet ihn also gerne wieder um Euch haben?« fragte Margarethe lächelnd, obgleich ihr das Herz beinahe brach.

»Welche Frage?« erwiderte Diether. »Zwei Jahre sind es fast, daß ich ihn nicht sah. Das verdammte Zipperlein hat mich gehindert, verwichenen Herbst den Buben zu besuchen, wie ich mir's vorgenommen. Aber sobald meine Gicht das Leben im Steigbügel vertragen kann, steige ich zu Pferde und gehe den Jungen zu küssen.«

»Er ist recht kräftig geworden,« sprach Margarethe, »Willhild hat mir gestern Botschaft gesandt. Seit ich ihn heimsuchte, hat er um Vieles zugenommen.«

»Hat er?« rief Diether, »beim Himmel! das ist mir lieb. Ein gesunder Stamm trägt auch gesunde Früchte! – Wenn er nur schon so weit wäre, daß er wieder kommen könnte in's Vaterhaus.«

»Wer weiß, ob das nicht bald, recht bald geschieht,« meinte Margarethe.

»Bald, recht bald?« versetzte Diether mit glänzenden Blicken; »Weib, Ihr wißt am Ende, daß er kommen darf? Sagt mir's . . . ich will ihn abholen, auf meinen Armen ihn hieher tragen! Wie gerne will ich meinen Bart von ihm zerraufen lassen, wie gern ihn auf meinen Knieen schaukeln, wenn er nur kommt, gesund ist und unsere Freude wird.«

Margarethe benutzte geschickt die freudige Bewegung des Alten, öffnete rasch die Seitenthüre und legte den staunenden Knaben an die Brust des vor Freude zur Bildsäule gewordenen Gatten. – »Siehe hier deinen Sohn!«

»Mein Johannes!« stammelte der Ueberraschte und preßte ihn unzählige Mal an sein Herz. Er nahm ihn auf die Arme, tanzte mit ihm in der Stube umher, geberdete sich, als habe die Freude seinen Verstand verrückt. Endlich setzte er ihn zur Erde nieder und betrachtete ihn staunend.

»Ich kann nicht zu mir selbst kommen,« sagte er. »Wie können wenige Monate ein Kind verändern! Wie haben sich die Züge ausgebildet und die Gestalt! Ja, so muß ein Sohn unsers alten Geschlechts aussehen; stark, kräftig, ein emporstrebendes Stämmchen. Warum bist du aber so fremd geworden gegen deinen Vater? Du betrachtest mich so verwundert, als ob du mich noch nie gesehen? Was ist denn mit dem Jungen?«

»Auf unserm Meierhofe,« begann Willhild ängstlich, »hat er viel vergessen. Zürnt ihm nicht, edler Herr.«

»Umarme deinen Vater, Hans!« gebot Margarethe. – Der Knabe warf einen furchtsamen Blick auf sie, umschlang Diether's Hals und drückte einen herzhaften Kuß auf dessen Mund. – »Willkommen, Vater!« sprach er, noch halb verdutzt. »Hab' den kleinen Hans lieb!«

Schon der Kuß hatte Alles wieder gut gemacht, und die zutraulichen Worte des Knaben vollendeten Diether's Bezwingung. Kosend und tändelnd trat er, den Kleinen auf dem Arm, vor den Spiegel und sprach wohlgefällig. »Fast möchte ich für wahr halten, was die Amme schon sagte, als sie den neugebornen Buben in meinen Arm legte, er sieht mir ähnlich; recht ähnlich! Ist das nicht meine Nase, mein Mund? Sind das nicht meine Augen? Die Aehnlichkeit hat sich erst recht herausgewachsen. Nicht wahr?«

Margarethe und Willhild bekräftigten die Meinung des guten Alten. »Die Lästerzungen,« raunte er Margarethen in's Ohr, »die über unsern Ehebund spöttelten, werden gelähmt sein, beim Anblick dieses Gesichts, das in das Geschlecht der Frosche recht eigentlich gehört. Sie prophezeiten mir das gewöhnliche Los des Sechzigjährigen, der zur zweiten Ehe schritt, und dennoch . . .«

Hier wies er triumphirend auf den Knaben, der mit seinen grauen Locken spielte. Margarethe verschloß ihm aber den ruhmredigen Mund mit einem Kusse.


 << zurück weiter >>