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Rasch und leicht war Dagobert seiner zufälligen Schwermuth enthoben. Wie ein Fuchs um die schlau erspürte Falle im weiten Bogen von dannen schleicht, also schlich er um Wallradens Haus und war seelenfroh, daß sie ihm nicht wieder begegnete. Alle unfriedlichen Auftritte seiner Jugend waren ihm lebhaft vor's Gedächtnis getreten und er konnte sich der ärgsten Dummheit schelten, daß er sein Schwesterlein schön gefunden, sie, die wie eine böse Nixe ihm alle Freude verdorben hatte, von jeher. An Esther dachte er freilich oft mit Sehnsucht und stillem Behagen, aber . . . war sie nicht fern von ihm? Nicht auf ewig von ihm getrennt? Darum schüttelte er alle Sorgen von sich und lebte mit den Fröhlichen, deren Viele damals zu Costnitz versammelt waren. Vergebens meisterte ihn sein Ohm mit aller Strenge, vergebens überhäufte ihn der Erzbischof von Ravenna mit vielem unnützen Geschreibsel zum Behuf der vorzubereitenden Sessionen; demüthig hörte er Monsignores Lehre an, geduldig, aber schnell that er die Arbeiten des Cardinals ab; doch, war er wieder auf einige Stunden frei, so sah man ihn allsobald im Kreise munterer Freunde. Sein ernstes Kleid war überall willkommen, weil der gutmüthige Schalk darunter verborgen war, die Frauen und Dirnen der besten Geschlechter sammelten sich um ihn, den freundlichen Sänger, den fertigen Lautenspieler, den erfinderischen Märleinschmied; die Männer schätzten in ihm den geübten Reiter, den erfahrenen Weidmann und Falkenabrichter und den unverzagten Zecher. Die Geselligkeit schmückte ihn mit ihren besten Kränzen und seine Laune wuchs, so daß bald in der ganzen Stadt von nichts anderem gesprochen wurde, als von Junker Fröschlein's Schwänken. – »Recht so!« sagte ihm einst sein Gönner, Herzog Friedrich, »was ich von Euch höre, gefällt mir wohl. Der Most muß brausen, der Bursch austoben; vorab, wenn er in die härne Kutte schlüpfen soll. Wie lange dauert's, so werden Eures Ohms Geschäfte allhier geendet und Ihr gemüßigt sein, ihm über die Berge zu folgen, hinter denen deutsche Ehrlichkeit das letzte Paternoster betet. Dann werdet Ihr werden müssen, wie sie Alle sind, aber wenigstens aus dem Vaterlande die Erinnerung einer kräftig freien Jugend mit Euch in's Grab nehmen, an dem Euch ohnehin keine Lieben nachweinen dürfen. Laßt Euch d'rum nicht stören in Eurer Freudigkeit, so lange sie neben Sitte und Zucht bestehen mag, und hütet Euch nur vor lüsternen Weibern, denn der Kuß einer falschen Delila stellt wahrlich eine scharfe Scheere vor, die Manneskraft und Simsonshaar mit einem Schnitte verschändet. Deshalb erfreut sich auch unser allergnädigster Kaiser einer werdenden Glatze, und sein Leibscherer hat bereits, wie man vernimmt, alle Mühe, den Uebelstand durch künstliche Verflechtung des Haupthaars zu verbergen.« –
Dagobert schwieg, lächelte aber im Stillen über den leidenschaftlichen Spott, der – im Uebrigen dem biedern Gemüthe des Habsburgers gänzlich fremd – beständig vorleuchtete, sprach er von Siegismund. Der Herzog fuhr indessen schmunzelnd fort: »Der gnädigste Herr wird, wie es verlautet hat, heute oder morgen zu Costnitz einreiten. Ein kluger Gedanke! Die Weihnachtsfeier wird uns demnach den Heiland der Christenheit bringen. Die friedenstiftende Majestät wird ihren Einzug halten, da man in den Kirchen singt: In dulci jubilo! – Es thut mir leid,« setzte er rasch abbrechend hinzu, »daß ich zum Empfang des Herrn Satteldecke und Steigbügel putzen muß, sonst fände ich wohl noch Gelegenheit, mich länger mit Euch zu unterhalten, guter Dagobert!« – Der Letztere entfernte sich allsobald. – Da er jedoch heraustrat auf die winterlich beschneite Gasse, über die der dunkelblaue Himmel soeben seine ersten Sterne heraushing; da er über den Markt schritt, wo in Hütten von Holz und Segeltuch allerlei Spielwerk und Leckerzeug feilgestellt wurde zur Freude der Kinder, die am heiligen Abend damit beschenkt werden sollten, – da wich in ihm die Erinnerung an des Herzogs Worte dem mächtigern Gedächtnis der fernen Heimat und der entschwundenen Jugendjahre. Denn sie war wirklich unvermerkt herangekommen, die fröhliche Weihnachtszeit, der lichte Stern am trüben winterlichen Himmelszelt, das gemütliche Fest; Eines von denen, die die heit're Kette schlingen um Haus und Kirchenaltar, das bürgerliche Leben mit dem Glauben an ein Göttliches, an ein Jenseitiges verbinden. – Eine freundliche Wehmuth, die man gern und gastlich in den Busen aufnimmt, bemeisterte sich der Brust Dagobert's, und was alle Ermahnungen seines geistlichen Schirmvogts nicht vermocht hätten, brachte sie zuwege. Der junge Mann schloß sich in sein Gemach, fern vom Geräusche der Welt, und saugte an den Blumen der Erinnerung. Sein redlich Herz drängte ihn, diese goldene Zeit seiner Knabenfreuden zu feiern. Wie beklagte er es, daß ihm die Mittel nicht beschieden waren, das Glück eines Menschen zu gründen. Wie bedauerte er, daß er keinen Todfeind wußte, den er hätte versöhnt in die Arme schließen können. – Da fiel ihm plötzlich seine Schwester Wallrade ein, gegen die der beinahe vergessene Groll wieder neu in seinem Herzen aufgeflackert war. – Ja, rief er nach kurzem Bedenken, ich will ihr die Hand zur Eintracht bieten und das feindliche Verhältnis in ein freundliches umgestalten und also den Christtag würdig begehen. In seinem Stüblein brachte er die Stunden zu, bis der Weihnachtsabend sich still und kalt herniedergesenkt hatte über Stadt und See. Nun litt es ihn nicht mehr im engen Hause. – Das Geräusch des kaiserlichen Einzugs, der am Tage stattgefunden hatte, war nicht vermögend gewesen, ihn seiner Einsamkeit zu entreißen. Der kalten Nacht gelang es, und verhüllt, wie ein Geist, schritt er nach dem Mauerdamm, an dessen Grundfeste die Wellen des Bodensees brausend anschlugen, des Frostes spottend, der bisher fruchtlos versucht hatte, ihnen Eisfesseln anzulegen. Des Jünglings heit'rer Blick schweifte über das dunkle deutsche Meer nach den Gebirgen des Appenzells, die in ihren Schneegewändern wie riesige am Himmel gelagerte Geister und Weltwächter herabsahen auf die stolze Bischofsstadt. Alle Glocken des Thurgaus, des Gallenstifts und der schwäbischen Ufer sangen ihr feierliches Lied über des Sees Spiegelfläche, auf welcher das wandelnde Mondbild dahin glitt, wie eine Silberscheibe auf ebener Eisbahn. »Gelobt seist du, Nacht des Heils,« sprach Dagobert mit demjenigen erhebenden Gefühl, das das einfachste Menschenwort zum Gebete stempelt; »vor länger denn tausend Jahren brachtest du uns den Glauben, schöner und sanfter als der Mondstrahl, der dich heute erhellt. Aber noch jetzt, so oft du wiederkehrst, senkt sich Friede und Freude in die elendste Hütte, wie in die stolzeste Fürstenburg der Christenheit. Du milde Nacht, den Unschuldigen hold und ein ersehnter Gast, schenke auch mir den Frieden, deinen Begleiter. Schenke ihr dereinst dein gnadenvolles Licht, ihr, die noch im Dunkel wandelt, damit ich jenseits sie wieder sehen mag, mit der hienieden keine Vereinigung mir erlaubt ist. Lenke das Herz derer, die mich hassen, zur Liebe und Versöhnung und mache alle glücklich, die mir fromm und auf dem Lebenspfade die Hand bieten!« – Eine Thräne zitterte im Auge des Betenden, er schämte sich ihrer nicht. Sein Herz war beklommen, aber nur von ruhiger süßer Wonne. Keiner Schuld sich bewußt, kehrte er in die Stadt zurück, wo die Menge durch einander wogte, wie am hellen Mittage. Alle Fenster waren hell erleuchtet, in dem erbärmlichsten Häuslein brannte ein kümmerliches Licht. Ueberall, wo Kindersegen daheim war, ragten dunkle Tannenbäume empor, mit den Früchten des Herbstes geschmückt und mit schwankenden Kerzen, die sich auf den Zweigen wiegten. Festlich geziert alle Stuben, Mohnklöse und Leckereien auf jedem Tische, Entzücken in jedem Kinderauge, wonnevoller Dank zum Höchsten in jedem Vater-, in jedem Mutterblicke. Hier tummelten sich muntere Knaben um den hölzernen Gaul mit Federn geschmückt und träumten sich zum ebenbürtigen Ritter, zu Schild und Helm geboren; dort tanzte der Mägdlein rothwangige Schar um den zierlichen Rocken, um die glatte Spindel, die das Christkind beschert; hier brachte eine in Engelgewänder vermummte Dirne süße Fladen und Mandelschnitte, dort sprühte ein ruthenbewaffneter Putzenmummel den feurigen Regen vergoldeter Nüsse in's Haus. Dagobert strich an den glücklichen Menschenwohnungen vorüber, sein Auge, sein Ohr ergötzend, – da überraschte ihn die Mitternachtsstunde, und von dem Thurme der Domkirche riefen die Glocken zur Mette der heiligen Nacht. Das Menschengewühl der Stadt wälzte sich nach Klöstern, Pfarrkirchen und Dom. Den Letztern betrat auch Dagobert. Schon mischten sich einzelne Orgeltöne in das Summen der heranströmenden Bet- und Schaulustigen, die Kerzen an den Altären winkten schon wie flammende Zungen herbei zum nächtlichen Opfer. Um die Weihkessel an den Eingängen drängte sich das Volk. Dagobert reichte höflich mit dem gewöhnlichen Spruch: »Gelobt sei Jesus Christus und seine gesegnete Weihnacht,« seine mit dem benedeiten Wasser benetzten Finger einer edelgekleideten Frau, die vor dem Gedränge nicht zur Säule gelangen konnte, und verstummte überrascht. Seine Schwester stand vor ihm. An ihrer Seite der breitstirnige Knecht, den sammetnen Kniepolster unterm Arme und das Windlicht in der Hand. Befremdet maß auch den Jüngling die finsterblickende Wallrade, warf den Kopf in die Höhe und drehte ihm den Rücken zu, langsam vorschreitend gegen den Altar, wo sie ihre Andacht zu verrichten beschlossen hatte. Dagobert schloß sich jedoch hart an die vom Gewühl Aufgehaltene und sprach sanft zu ihr: »Wir feiern heute die Geburt des Herrn mit freudiger Zuversicht. Auch unsere Eltern, Wallrade, haben die unsrigen also begangen, begehen sie noch heute; der Vater auf Erden, lieb Mütterlein im Himmel. Wollen wir denn, die eine Mutter gebar, nicht endlich den Groll fahren lassen, der unser Grab feindlich zu beschatten droht? Wollen wir nicht endlich den Zwist ersticken, das Unkraut aus dem irdischen Vaterhause, das wahrlich nicht wuchern sollte in dem Hause des ewigen Vaters?« – Wallrade stand aufmerksam stille, heftete die großen Augen auf den milden Redner und erwiderte: »Ich nahm Antheil an Euch, da ich nicht wußte, daß Ihr mein Blutsfreund seid. Die Trennung mancher Jahre hatte mir Eure Züge fremd gemacht, aber der Ohm hat mich erinnert, daß ich noch einen Bruder habe, den ich nicht einen Geliebten nennen kann, und daß derselbe hier lebe, erfuhr ich ebenfalls durch ihn. Weder Ihr, noch der Zufall haben etwas gethan, das mein Vorurtheil hätte mindern können. Liegt Euch indessen so viel daran, uns versöhnt zu sehen, so reiche ich – der Seltsamkeit wegen – die Hand dazu.« – Sie winkte dem jungen Manne, in dem Betstuhle neben ihr Platz zu nehmen, und raunte ihm, den Rosenkranz vom Gürtel nestelnd, zu: »Eure Gesellschaft kommt mir noch obendrein in diesem Augenblicke gelegen; sie bewahrt mich vor schlimmerer.« – »Wieso, meine Schwester?« fragte Dagobert. – Wallrade sah seitwärts und bezeichnete ihm durch unmerkliches Augenzwinkern zwei Männer, die unfern standen und ihre Blicke auf sie gerichtet hielten. – »Der Eine,« sprach sie, »der in der bunten Kleidung, den Ihr schon einmal, wie mich dünkt, an meiner Seite gesehen, ist der Herr von Königseck, ein weibisch thuender Gesell, der von Rosmarinöl duftet, sich einschnürt und vor eitel Zierlichkeit nicht dazu gekommen ist, in irgend einer Fehde die Sporen zu gewinnen. Der Andere, klein und unansehnlich, verwachsen und mürrisch von Angesicht, trägt unter seiner hohen Schulter ein Herz voll Kühnheit, Tücke und Leidenschaft. Er ist ein Graf von Montfort; beide Herrn aber sind meine Freier; beide vom Ohm begünstigt, beide mir verhaßt; der Erste, weil er kein Mann, der Zweite, weil er häßlich und hochfahrend ist. Sie hätten sich sicherlich schon an mich gedrängt, hielte sie Euer geistlich Gewand nicht in Ehrfurcht. Das Letztere danke ich Euch.« – Hiemit neigte sie das Haupt auf die gefalteten Hände und ließ im stillen Gebete Kugel auf Kugel durch die Finger schlüpfen, ohne den Bruder nur eines einzigen ferneren Wortes zu würdigen. Dagobert betrachtete sie verwundert von der Seite und mußte sich gestehen, daß diese stolze Schönheit wohl im Stande sei, andere Männer zu berücken, als den Stutzer und den Mißgestalteten, von denen die Rede gewesen. Zugleich aber bekannte er sich, daß das seltsam schroffe Benehmen Wallradens ihn beinahe bedauern ließ, eine Versöhnung eingeleitet zu haben, die nur um Gottes willen, wie es schien, angenommen worden war. – Welch ein Weib! dachte er bei sich, die Härte ihres Gemüths sogar bis zum Throne des Herrn tragend. Nicht einmal die heilige Handlung beschäftigt sie in diesem Augenblicke; die Glockentöne, die der Menge das Zeichen geben, sich zu bekreuzen, die Brust zu schlagen, werden von ihr überhört. Gedankenlos läßt sie die geweihten Kugeln durch die Fingerspitzen gleiten; denn offenbar verweilt bei andern Gegenständen ihr Sinn, und bald furcht sich ihre Stirn, bald glättet sie sich, bald lächelt ihr Mund, bald seufzt er schwer auf, wie man zu thun pflegt, wenn man sich abmüht, der Seele einen Entschluß abzuringen, vor dem man sich selber scheut. – Wallradens rasches Emporrichten endigte seine Betrachtungen; an deren Stelle trat des Ohres Aufmerksamkeit, da Wallrade, von den Donnertönen der Orgel umbraust, Gelegenheit fand, dem Nachbar etwas Geheimes mitzutheilen. – »Ich will glauben,« flüsterte sie sanfter denn zuvor, »daß das Bemühen aufrichtig ist, mit welcher der Jüngling Dagobert gut zu machen sucht, was der Knabe an der Schwester verbrach. Ich zaudere daher nicht, des Mannes Freundschaft mit meinem Vertrauen zu erwidern und ihm Anlaß zu geben, meinen Dank zu verdienen, sofern er mir zusagt, das Anvertraute zu bewahren wie ein Mann.«
»Zählt darauf, Wallrade,« erwiderte Dagobert. »Kann ich Euern Dank dadurch verdienen, bin ich gerne bereit zu thun, was Ihr verlangt, um nur Euer Vorurtheil zu widerlegen.«
»Vernehmt denn,« sprach Wallrade, vertraulich werdend. »Es langte heute in des Kaisers Gefolge ein Mann an, der sich schwer an mir verging. Dieser Frevel ist Euch gleichgültig und somit verschweige ich ihn. Der Anblick dieses Mannes jedoch ist mir eine Folter, da ich mich nicht thätlich an ihm rächen darf, obgleich er mich sehr zu fürchten hat. Sehr; sage ich Euch: der Verdammte fürchtet nicht also seinen Henker. Ihn zu vertreiben aus meiner Nähe ist mein einziger Wunsch, und um diesen erfüllt zu sehen, spreche ich Euch, dessen offene Keckheit ich beifällig wahrgenommen, um Hilfe und Beistand an.«
»Wie kann ich mich aber in dies seltsame Beginnen einlassen?« fragte Dagobert verwundert.
»Ein einziger Besuch ist hier hinreichend,« versetzte Wallrade. »Der, den wir meinen, heißt Rudolf Bilger von der Rhön und ist einer von des Kaisers Jagdleuten. Zieht Kunde ein von seiner Wohnung, sucht ihn heim und sagt ihm dürr heraus, mein Wille sei's, daß er wieder von dannen scheide, da mir seine Anwesenheit Aergernis gebe. Diesem Begehren möge er auf's Schleunigste gehorchen oder meines Thuns gewärtig sein. – Verspricht er zu thun, wie ich begehre, so laßt ihn ruhig ziehen; weigert er sich, so fordert ihn vor die Klinge. Ihr habt den Muth dazu, doch gelobe ich Euch, daß es so weit nicht kommen wird, nur meines Namens und eines befehlenden Tones bedarf's, um sicher den Zweck zu erreichen.«
»Ihr scheint Eures Mannes verzweifelt gewiß,« meinte Dagobert etwas verlegen. »Wie aber kommt es, Schwester, daß Ihr keinem Eurer Freier diesen Auftrag gebt?«
»Weil sie meine Freier sind,« antwortete Wallrade, »weil ich niemals heirathen werde und folglich auch nicht die mindeste Hoffnung dazu geben will.«
»Ich werde demnach in diesem Geschäfte Euer stummes, unwissendes Werkzeug vorstellen?« fuhr Dagobert fort; »wie der eigenhörige Knecht, der Hab' und Leben wagen muß, bloß weil sein Herr es will, und die Vernunft der Gewalt gehorcht?«
»Befremdet Euch das?« fragte Wallrade, aufstehend, denn der das Hochamt haltende Dompropst sang soeben das feierliche: Ite missa est! »Seht auf Euer Kleid, Ihr strebt darnach, der Leibeigene eines Standes zu werden, der für Alles den Löseschlüssel hat, Alles verzeiht, nur das Vernünfteln nicht. Uebt Euch vor der Hand in solcher Pflicht und gehorcht den Launen eines Weibes, denn nur dadurch erkauft Ihr das Gefühl, welches Ihr von meinem Herzen verlangt.«
Sie schritt von dannen, der Knecht voraus, Dagobert ihr zur Seite, hart an den besprochenen Freiwerbern vorüber, die nicht beachtet wurden. – »Ich werde Euch willfahren, Wallrade« sprach der Bruder unter der Pforte, »ich habe es Euch zugesagt; aber weh' thut mir's, daß eine Art von Schergenhandlung, deren Zweck und Grund ich nicht begreife, der Preis Eurer schwesterlichen Zuneigung werden soll, die mir mein redliches Werben, die Bande des Bluts und unseres Vaters Liebe hätten zusichern müssen. –«
»Die Redlichkeit des Mannes ist Lüge meistentheils,« versetzte Wallrade kalt und hart, »die Verwandtschaft achte ich nicht. – Kain erschlug den sanften Abel – und Diether Frosch, dessen Namen ich nicht mehr trage, hat aufgehört mein Vater zu sein, da er die Leuenbergerin zum Ehegemahl erwählte. Sagt mir: thut Ihr, was ich begehre oder nicht?«
»Das Erstere; verlaßt Euch darauf,« antwortete Dagobert.
»So laßt uns hier Abschied nehmen,« versetzte Wallrade, »ich untersage Euch, mich nach Hause zu geleiten. Die Nebenbuhler sind mir auf der Ferse, und ich will keinen Verdacht erregen, den ich mit dem leisesten Wörtlein zu widerlegen unter meiner Würde halte.« Ohne Widerrede nahm Dagobert die Weisung an, und es war ihm fast wohl, daß er von der Schwester Seite kam, zu deren Dienst ihn bloß sein voreilig gegebenes Wort und ein besonderes Zusammentreffen der Dinge bestellt hatten.
Der Wunsch, diesen unangenehmen Frohndienst ungesäumt abzuthun, sowie auch nicht minder eine leise Neugier, vermochten ihn, am folgenden Tage schon seine Nachforschungen zu beginnen. Die Feier des Christfestes bot ihm hiezu die erwünschteste Gelegenheit dar. Der prachtvolle Morgengottesdienst am Weihnachtstage, begünstigt von dem schönsten kalten Wetter, versammelte im Dom die Fürsten der Kirche, die weltlichen Fürsten und an ihrer Spitze den Kaiser mit seinem ganzen ansehnlichen Gefolge. Ein bis jetzt in Costnitz unerhörter Prunk entfaltete sich bei diesem Anlaß. Siegmund, ein wohlgebildeter, freundlich blickender Mann mit langem Haupthaare und Bart, dessen Leutseligkeit bei Hohen und Niedern anerkannt war, sowie seine eifrige Bewerbung um Frauengunst und seine vorstechende Eitelkeit, hatte sich mit allem Pomp umgeben, der einem Kaiser deutscher Nation zu Gebote stand. Alle Fürsten des Reichs, die gegenwärtig waren, halfen treulich dazu, um den vielen Fremden einen Begriff ihrer eigenen Macht zu geben. Herolde, Bannerträger, Musikbanden, glänzende Leibwachen, Edelknaben und Marschälle schmückten den Zug der Fürsten und Edeln, und es war keine geringe Aufgabe, unter der Flut von Herren und Dienern einen herauszufinden, von dem man nichts weiß, als den schlechten Namen. Dagobert's Bekanntschaft mit Herzog Friedrich's Hause verschaffte ihm Auskunft. Der Truchseß des Herzogs zeigte ihm unter der Schar von grünen Herren im Gefolge des Kaisers den Wildmeister von der Rhön. Dagobert stutzte bei dessen Anblick. Diese sanften Züge, diese bescheidene Haltung verriethen durchaus nicht den rohen Mann, der sich eine Freude daraus macht, sittsame Frauen zu kränken. In dem ganzen Aeußern des in schönster Altersblüthe stehenden Wildmeisters fand der Beobachter nicht das Geringste, das seinen Auftrag und den Widerwillen der Schwester hätte rechtfertigen können. Unmuthig, seines Versprechens Fessel sich aufgeladen zu haben, folgte Dagobert nach vollendetem Gottesdienst dem Herrn von der Rhön in dessen Herberge. Wenige Augenblicke nach dem Letztern trat er in's Gemach, das der Wildmeister bewohnte, und, wie sich's auswies, nicht allein bewohnte. Eine junge, kindlich hübsche Frau hing soeben bewillkommend an seinem Halse, ein Kind von zwei Jahren ungefähr lächelte ihm von dem Schoße der Mutter entgegen. In dem engen Stüblein herrschte ein Geist der Ordnung und Reinlichkeit, der die Zelle einer Nonne nicht vortheilhafter hätte schmücken können. Der Herr von der Rhön ging dem jungen Cleriker freundlich entgegen, nöthigte ihn einzutreten und forschte höflich nach seinem Begehr. Dagobert verlangte von dem Wildmeister geheim Gehör. Bilger überflog den Boten mit seinen Blicken, neigte sich dann freundlich und sprach: »Würdiger Herr – ich denke, daß zwischen uns, die sich noch nie sahen, kein Ding bestehen kann, das meiner lieben Ehefrau ein Geheimnis bleiben müßte. Indessen würde ich dennoch Euerm Wunsche gerne willfahren, aber ich muß bekennen, wie die Herberge von unsers gnädigsten Kaisers Leuten dergestalt eingenommen ist, daß mir und den Meinen dies kleine Gemach allein verblieb. Wollet Euch also hier Eures Auftrages entledigen.«
Dagobert wollte reden, aber im Begriff es zu thun, sah er auf Mutter und Kind, wie diese, Engeln gleich, zu dem fremden Manne emporsahen, und es war ihm als dürfe seine Botschaft nicht das Ohr der Unschuldigen berühren. Er bat demnach den Wildmeister, ihm auf die Flur zu folgen. Bilger, den Kopf schüttelnd, ging mit ihm. »Mich sendet Wallrade von Baldergrün,« begann Dagobert und sah allsobald den Wildmeister erbleichen wie einen Sterbenden. – »Wo . . . wo . . . ist sie, was begehrt sie?« stammelte er, der Sprache kaum mächtig. – »Sie ist hier,« antwortete Dagobert betroffen über die zaubergleiche Wirkung der ersten Worte. – »Hier?« – Bilger mußte sich an dem Fensterpfeiler halten. »Hier?« fuhr er fort, da der Bote, selbst von Staunen befangen, verstummte. – »Und ich . . . o, sagt es heraus . . . ich bin verloren!« – »Ich begreife Eure Rede nicht,« sprach Dagobert tröstend, denn ihn erbarmte des Wildmeisters Zustand. »Der Unwille Wallradens, wenn gleich, wie ich jetzt befürchten muß, verschuldet, sucht Verderben nicht. Das Erbfräulein begehrt nur Eure schleunige Entfernung. Eure Gegenwart, sagt sie, sei ihr verhaßt, und wolltet Ihr der Forderung nicht willfahren, so würde sie thun, was Euch nicht gefällt!« – »Die Schreckliche!« seufzte Bilger. »O, sie weiß zu lohnen, fürchterlich zu lohnen. Aber . . . ich muß gehorchen. Ohnedies hätte ich nicht lange hier verweilt. Sagt ihr, würdiger Herr . . . ich würde scheiden . . . sobald die Feiertage verflossen.« – Dagobert sah kopfschüttelnd in des Mannes zerstörtes Angesicht. Bilger schlug die Augen scheu nieder. »Würdiger Herr!« begann er dann zögernd, »ich darf Euch wohl nicht fragen, ob Euch das Nähere bekannt, das zwischen dem Fräulein und mir obwaltende Verhängnis . . .?« – »O schweigt, schweigt!« unterbrach ihn Dagobert rasch, »hier witt're ich Unheil, und das ist was ich nicht zu wissen begehre. Mein Staunen, Euch so leicht und knechtisch unter eines Weibes Wort gebeugt zu sehen, sei Euch Bürge für meine Unwissenheit. Ich bin Wallradens Bruder und kenne weder meiner Schwester Herz noch ihr Schicksal, verlange Beides nicht zu kennen. Lebt wohl und vergebt mir die Sendung, die Euch also betrübt und erschreckt hat.« – Ohne des Wildmeisters Antwort zu hören, stieg Dagobert die Treppe hinunter. – »Ei, was gähnt mich denn so schauerlich aus diesen Auftritten an?« fragte er sich befremdet. »Schier kommt mir Wallrade vor wie ein bös Gespenst, das den Menschen durch Unthaten zu seinem Leibeignen macht. um seine Seele mit seinem Leib zu verderben. Nein, Schwesterlein, ich begehre nicht, in dein Spiel zu sehen, verschmähe es aber auch, dein Knecht zu sein!«
Noch am selben Nachmittage ging er, von mancherlei Gefühlen beseelt, Wallraden heimzusuchen. In ihrer Wohnung fand er den Oheim und die Herren von Königseck und Montfort. Alle drei waren höchlich überrascht, ihn eintreten zu sehen. Die edeln Freier beruhigten sich indessen bald, da sie vernahmen, der schwarze Herr, der ihnen in vergangener Nacht viele Unruhe verursacht hatte, sei niemand anders, als der Bruder ihrer Huldin. Monsignore Ranocchia sprach viel von der Stimme der Natur, die endlich doch immer siege, wenngleich lange durch bösen Zwang darniedergehalten – von Geschwistern, die zuletzt doch der göttlichen Liebe ihren Haß opfern; und mit Freudenthränen segnete er den heiligen Tag, der Wallraden und Dagobert wieder zusammengeführt. »Ja!« rief er, die klaren Kunstthränen in den Wimpern, »der Himmel hat mein eifriges Gebet erhört. Geschehen ist die Versöhnung, die ich zu meinem liebsten Gedanken erhoben hatte. Dieser wackere Neffe, den ich liebe, wie ein Vater den Sohn« – Dagobert mußte heimlich lächeln – »diese getreue Nichte, die ich im Herzen trage, wie eine Mutter die Tochter,« – Wallrade zuckte mitleidig die Achseln – »sie haben sich wiedergefunden durch mein Zuthun. Die erhabene Kirche, deren Festlichkeiten die Ketzer, Wiklefs und Hussens Jünger zu entwürdigen gedenken, pflegt also durch ihre rührende Feier getrennte Seelen zu vereinigen, und ich, ihr unwürdig Geweihter, vereinige Euch zum zweiten Male durch diesen Friedenskuß!«– Er küßte Dagobert's und Wallradens Stirne und nöthigte die Geschwister, sich zu umarmen. Aber wenn es möglich wäre, daß zwei Bildsäulen von Granit sich in die Arme fielen, herzloser könnten sie nicht Brust an Brust ruhen als hier die lebenden, von jugendlichem Blute durchströmten Menschen. Die Zuschauer empfanden alle Langeweile, die ein solches Schauspiel gewährt. Die Vesperglocken brachten daher einen angenehmen Eindruck hervor. Der Prälat griff eilig nach Mantel und Hut, um die Kirche nicht zu versäumen; der Herr von Königseck bot Wallraden seine Begleitung in den Dom an, um daselbst den lustigen Pomwitzeltanz mit anzusehen, der – ein Ueberbleibsel des Heidenthums – in der Christtagsvesper um den Altar getanzt wurde. Der Graf von Montfort schlug einen Gang in's Freie vor, aber Wallrade verweigerte Alles, unter dem Vorwande, mit ihrem Bruder eine Sache von Wichtigkeit abthun zu müssen.
Die Herren fügten sich in ihren Willen. Während sie jedoch mit den verbindlichsten Worten Abschied nahmen, zog der Prälat den Neffen in das Fenster. »Es ist ein Beweis deiner Klugheit,« sprach er, »daß du Wallradens Freundschaft suchtest, und ich belobe dich deshalb. Die Herren Freier sind – wenngleich deutsche, ungelenke Thiere – dennoch nicht zu verwerfende Gönner, und ich ford're von dir, daß du deinen augenblicklichen Einfluß auf Wallraden dazu benützest, einen oder den andern ihr genehm zu machen, damit sie zur Ehe schreite. Beide sind ganz vernünftig in ihren Bedingungen, die sie mir machten. Der Königseck zahlt tausend Gulden baar; der Montfort bietet eine Präbende im Stiftmünster oder zweihundert Sonnenkronen Jahr für Jahr, zehn Jahre hindurch. – Es soll dein Schade nicht sein, wenn du die Widerspenstige zu einem oder dem andern zu bereden fähig bist. Empfange daher meinen Segen und sei klug. Besonnenheit und Vernunft verschaffen diesem Rocke Ehrfurcht.« – Mit den edeln Herren ging der Oheim von dannen. Wallrade versicherte sich, daß kein Lauscher nahe sei, trat dann mit durchdringendem Blicke hart vor Dagobert hin und fragte: »Nun, Bundesgenosse! Habt Ihr gethan nach meinen Worten?« – Dagobert bejahte. – »Wird er gehorchen?« fuhr sie fort, dringend und fest. – »Er wird!« erwiderte der Bruder. »In wenig Tagen schon.« – »Hm! ich weiß,« sprach Wallrade mit fliegendem Lächeln; »ich erfuhr bereits . . . er geht nach Mörsburg als bischöflicher Jagdmeister. Es kommt darauf an, ob er mir dort lästig scheint. In diesem Falle rechne ich auf Euern neuen Beistand, ihn von dannen zu treiben.«
Diese Worte empörten Dagobert's Gefühl, so gut er bis jetzt an sich gehalten hatte. »Ich begreife nicht,« sprach er mit Heftigkeit, »welch unglücklich Schicksal diesen Mann, der einem Verbrecher nicht ähnlich sieht, zu einem Geächteten gemacht hat, der vor der Drohung eines Weibes jede Stätte verlassen muß, wo er gedenkt zu bleiben; . . . aber so wenig mir gelüstet, der Theilnehmer eines Geheimnisses zu sein, so wenig biete ich auch ferner meine Hand zu diesen, im Verborgenen schleichenden Gewaltthätigkeiten. Hat dieser Mann Euch so schwer beleidigt, daß nur sein Verderben Euch zu versöhnen vermag . . . sagt's, und ich werfe diese Kutte auf einige Tage von mir, um mit dem Degen in der Faust den zu strafen, der Euch mißhandelte. Aber Euer Folterknecht bin ich nicht. Ich habe des armen Mannes Weib gesehen, sein Kind . . . nicht mein Mund, nicht meine Hand wird das Geringste thun, diese Unschuldigen langsam mit zu martern durch die Qual des Gatten und Vaters.«
»Sein Weib, sein Kind?« fragte Wallrade schneidend, »sie sind hier? Schon hier? Sehr wohl. Der Herr von der Rhön wird wohl thun, so schnell als möglich von dannen zu ziehen. Nicht meinetwegen allein,« setzte sie langsam und lauernd hinzu, »auch wegen des weichherzigen Bruders Empfindsamkeit, der die Laune hat, jungen Ehefrauen allein zugethan zu sein, wäre es auch seines eigenen Vaters Weib, seine Stiefmutter.«
»Wallrade!« rief Dagobert entsetzt, und seine Zunge erstarrte ob der frechen Anklage. »Leugnet!« entgegnete ihm Wallrade heftig, »leugnet, was ganz Frankfurt weiß, was bis in meine tiefe Einsamkeit drang und meinen Haß gegen Euch befestigte. Leugnet, was Eure Zunge lähmt, als ob sie Gottes Hand getroffen. Wagt es, mich zu beschuldigen und Euch heilig zu sprechen. Ich strafe nur ein Verbrechen. – Ihr lebt aber noch in Schuld und Fehl. Euer falscher Mund konnte mich gestern berücken, heute aber steht der eigensüchtige, verleumderische, boshaft-üppige Bube Dagobert wieder in seiner vollen Blöße da, und von nun an keine Gemeinschaft zwischen uns. Thut, was Euch beliebt. Das Schwert des Henkers legt sich zwischen Euch und mein Geheimnis, damit es der Schuldige nicht verrathe. Es ist todt für Euch. Versucht aber auch ja nicht den Schleier zu lüften; offenkundig machte ich dann Eure eigene Schande, und dieser Arm . . .« hier hob sie drohend die Rechte . . . »ist stark genug, auch in des Bruders Brust Genugthuung zu suchen. – Verlaßt mich jetzt.«
Stumm vor Wuth und Abscheu maß Dagobert die entartete Schwester mit einem Blicke der tiefsten Verachtung, und, fest entschlossen, die Unheilathmende nie wieder zu sehen, ging er hinweg.