Karl Spindler
Der Jude
Karl Spindler

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Neuntes Capitel.

Der erste Tag des Jahres Eintausendvierhundertundfünfzehn hatte sich eingestellt, zur Freude von Alt und Jung; denn obgleich der Winter jetzt erst anfing, so dachte schon Jedes mit Entzücken an die Fastnachtfreuden und an die bald darauf folgenden gelben Himmelsschlüssel, die lieblichen Herolde des Frühlings. In Frankfurt war Alles lebendig, das Fest zu begehen; die Kirchen waren gedrängt voll, und auf den Gassen summte es fröhlich umher. Aus den Pelz- und Zwillichmänteln schauten vergnügte Gesichter und der Geschenke wurden fast zu viel gespendet. Freunde begabten Freunde, Verwandte den Blutsfreund, der Herr den Diener, der Unterthan seinen Vorgesetzten. Auf dem Römer saßen Bürgermeister, Schultheiß und Schöffenrath, um die gewohnten Gaben zu empfangen. In den Gotteshäusern waren die Opferstöcke dazu geöffnet; Genossen der Brüderschaften der heiligen Sebastin, Jost, Jörg und Stephan sammelten in verschlossenen Büchsen für die milden Stiftungen von Haus zu Haus. Und durch all dieses Getreibe hüpften und johlten schon vom frühen Morgen an die lustigen Gesellen ohne Haus und Hof, Frau und Kind, die Trinkstuben und Zunfthäuser füllend, weil an diesem Tage die strengen Zechordnungen so gut wie aufgehoben waren.

Den Altbürger Diether Frosch hielt sein Amt als Schöffe auf dem Rathhause fest; seine Ehefrau hatte die Liebfrauenkirche besucht und wandelte nach ihrer Wohnung zurück, da der Gottesdienst zu Ende war, als Else, die unter der Thüre auf sie geharrt hatte, von weitem schon auf sie zusprang. »Ach, liebe Frau,« sagte sie eilig, »erschreckt nur nicht. Es sitzt ein Gast in Eurer Stube, der Euch nicht angenehm ist. Aergert Euch nicht und denkt an Eure kostbare Gesundheit.« – »Wer ist's, Unheilbringerin?« fragte die Altbürgerin ängstlich und sah an ihrem Hause in die Höhe; da gewahrte sie, oben aus dem Fenster schauend, den Mann, dessen Anblick in der That ihrem Herzen nicht wohl that. – Verdruß in Auge und Brust, stieg sie hinauf und trat, ohne denselben zu verhehlen, in ihr Gemach, wo ein langer Mann in ritterlicher, aber abgetragener Kleidung, bequem im Lehnsessel sitzend, ihrer wartete. Sein sonnverbranntes Gesicht mit den Zügen eines Dreißigers trug indessen alle Spuren eines lockern Lebenswandels, so wie sein übriges Aeußere das Gepräge der Dürftigkeit aufwies. Der Federbusch auf dem fleckigen Hute hing wie eine trauernde Weide drüber her. Die Metallspangen und Hefteln des Wams waren erblindet, die Zieraten des verblichenen Mantels unscheinbar geworden; Handschuhe und Reitstiefel sammt Sporen, Dolch und Raufdegen zeugten von langem Gebrauche und schlechter Besorgung. Zu der ganzen Gestalt, die von allen Unbilden der Hitze, des Frostes, des Schwertes und der Armut gezeichnet war, paßten vollkommen die ungeschlachten Geberden, die vernachlässigte Sprache, die der Redner immer mit ausdrucksvollen Bewegungen seiner hagern luftgebräunten Hände begleitete, und gaben das getreue Bild eines jener Edelleute, die nichts ihr Eigenthum nannten, als den dürren Klepper, den sie ritten, das Wenige, was sie am Leibe trugen und ihr Wappen; die an den Kreuzwegen ihr wild Gewerbe trieben und oft keine sichere Höhle hatten, um ihre Beute darinnen zu verbergen. – »Was soll das, Veit?« fragte Margarethe streng und finster, »du schon wieder hier? Du magst wissen, daß deine Gegenwart mich in Unmuth versetzt.« – »Niemand ist darob bekümmerter denn ich,« antwortete der Fremde. »Du weißt aber, lieb Schwesterlein, daß ich nicht anders kann. Die Blutsfreunde laden mich nicht ein, daher muß ich mich schon selbst einladen. Ich bin da, um dir ein glücklich Neujahr zu wünschen und den Festtag bei dir zu begehen.« – Mit einem Seufzer des Unwillens legte Margarethe Hut und Hauptfinster ab, hängte Mantel und Ueberkleid in den Schrein und setzte sich hierauf in ziemlicher Entfernung dem Bruder gegenüber. – »Wo kommst du her?« fragte sie kurz und hart. – »Zunächst von der Landstraße,« erwiderte der rohe Mensch, »eigentlich aus unserem Rattenneste zu Gelnhausen.« – »Was macht die Base?« – »Hm; die Base ist noch lahm wie sonst. Einäugig ist sie jedoch obendrein geworden. Die Katze hieb ihr das rechte Auge aus. Im Uebrigen befindet sie sich wohl. Sie tratscht über Kaiser und Reich und hat dabei eine frische Eßlust, trotz mir. Das wäre nun freilich all' gut, wenn wir nur mehr zu essen hätten.« – »Man muß genügsam sein; nicht ein Jeder kann im Ueberflusse leben,« schaltete Margarethe trocken ein. – »Gott's Marter!« rief Veit, »du hast gar schöne Sprüchlein gelernt, seitdem du selbst im Ueberflusse sitzest. Als du noch daheim lebtest in unserem Ganerbenschloß, war dies Alles nicht recht. Gar manch' liebesmal, da wir bei einander saßen, bei unserer Rübensuppe und Kleienbrot, hast du dich gekümmert, daß nicht alle Menschen reich sind. Seit dich der grauhaarige Rathsherr zur Frau nahm, hast du uns rein vergessen. Und doch gaben wir die Einwilligung dazu, daß unser Wappen erniedriget wurde durch deine Verbindung mit einem jener Altbürger, die sich zwar gern für Adelige ausgeben möchten, im Grunde aber doch keine sind, wenn sie schon der Kaiser den Letztern gleichhält.« – »Genug deines unverschämten Geschwätzes!« eiferte Margarethe. »Ernähre ich Euch nicht sammt und sonders seit länger denn sechs Jahren? Hast denn du nur ein einzig Mal versucht, dir das nackte Leben zu gewinnen? Frei wollt Ihr sein und zehren an der Habe Eurer Blutsfreundin, die sich für Euch einem ungeliebten Gatten hingab. Bot ich der kranken Base nicht eine Pfründe im Stifte der Witwe Wambach? Wollte mein Eheherr dich nicht zum Hauptmann unter den laufenden Gesellen der Stadt vorschlagen oder zum Reisigen des Raths, wenn du zu stolz wärest mit bürgerlichen Hauptleuten zu dienen?« – »Schweige mit den alten Grillen!« fuhr Veit trotzig auf, »du reizest jetzt meine Galle. Dienen, schon dies Wort allein rechtfertigt meine Weigerung. Ich diene dem Kaiser selber nicht und will mich eben so wenig, als die Base in ein reichsstädtisches Spital gehört, um ein paar Ellen Tuch an die Zunftkönige verdingen, die hier das Wort führen. Ich will meinem Stande gemäß leben und wenigstens frei sein, ohne Eurer Bürgermeister Brot zu essen.«

»So gehe und sei frei!« entgegnete Margarethe. »Geh' hinaus, plündere und faulenze. Werde der Schrecken der Kaufleute und Handwerksgesellen und mäste dich von ihrem Schweiß. Ich thue nichts mehr für Euch und verweise dich in Treuen auf das Gewerbe, das dir längst kein fremdes mehr ist.«

»Wer kann mir das beweisen?« fragte Veit höhnisch, »und thäte ich's, was wär' es anders, als was die meisten meines Gleichen thun.«

»Schäme dich, roher Mensch!« rief Margarethe. »Du bist der Spießgeselle aller Nachtreiter, die das Land unsicher machen. Der Verdacht, den Mord des Pfarrherrn von Bonames verursacht zu haben, der, vor zwei Jahren in der Frühe zur Kirche gehend, von Schandbuben erschlagen wurde, ruht auf dir. Du hattest ihm blutige Rache geschworen, weil er dich im Beichtstuhl nicht losgesprochen.«

»Lügen!« entgegnete Veit, aber sein Ton wurde gemäßigter. Die Schwester fuhr indessen fort: »Auf diesen Verdacht hin hat man dir die Stadt verboten. Wie kannst du wagen, hier zu erscheinen? Mensch, du steckst den Hals selbst in die Schlinge.«

»Am heutigen Fest ist die Stadt ihren ärgsten Feinden erlaubt bis Sonnenuntergang,« versetzte Veit, »ich weiß, wie weit ich mich wagen darf. Ich bin nicht so einfältig, wie der Wernher von Hyrzenhorn, der sich neulich fangen ließ und nun auf dem Eschenheimer Thurme sitzt. Entsinnst du dich noch des riesigen Cumpans, der einst von Herzen gern um deine Hand gefreit hätte?«

»Der grobe Junker mit den Sitten eines Troßbuben ist mir allerdings noch im Gedächtnis,« antwortete Margarethe, »unser Vater war vor Zeiten sein Treuenhändler und Vogt.«

»Pfleger und Mündel verjubelten gemeinsam ihr bißchen Gut!« schaltete Veit ein; »'s war eine lustige Wirthschaft. Höre, den wackeren Kämpen könntest du, früherer Bekanntschaft eingedenk, aus seinem Käfig befreien oder ihm mindestens zu billigen Bedingungen verhelfen, denn man will ihn nicht eher der Haft entlassen, als bis er seinen Thurm zu Wettershausen der Stadt zu Lehn gestellt, vierhundert Gulden als Lösegeld erlegt und vier adelige Freunde vermocht hat, sich gleich ihm der Stadt zu Mannen zu verschreiben. Das Erste thut er nicht, das Zweite kann er nicht, und das Dritte thun die Andern nicht.«

»Was soll ich für ihn bewirken können?« fragte Margarethe befremdet.

»Das Vorteilhafteste,« erklärte Veit, »und das war mit zum Theil der Grund meines Rittes hieher. Mir ist es wohl bewußt, daß der Schultheiß dich liebt, und ein Wörtlein aus deinem minnekosigen Munde setzt den Waffenbruder in Freiheit, ohne daß ihm besonderer Schaden zugefügt wird.«

»Was kannst du mir zumuthen?« fragte Margarethe staunend und bestürzt. »Welchen Begriff machst du dir von meinen Sitten, meiner Zucht? Ich liebe den Schultheiß nicht.«

»Thue nicht so heilig, mein Täublein!« versetzte Veit lachend. »Wir wissen das besser. Der Schultheiß ist ein stattlicher Mann, stattlicher noch als dein guter Stiefsohn, der dir auch gar hold war, . . . und dein Eheherr ein alter Lazarus, dessen gichtbrüchige Beine ihm den Dienst versagen, weil er sich nach 66 Jahren noch nicht zur Ruhe legen will.«

»Frecher Spötter!« sprach Diether's Frau, erröthend im stolzen Unwillen, »beuge dich vor den grauen Haaren meines Herrn, dem du Ehrfurcht schuldig bist.«

»Ehrfurcht?« lachte der Bruder. »Etwa deshalb, weil er mich darben läßt und dich angesteckt hat mit seinem schmutzigen Geize? Oder, weil er gegenwärtig auf dem Römer sitzen und die Geschenke mit empfangen darf, die der Pöbel seinen saubern Herren bringt? Wohl bekomme ihm das Würzgeschenk und die Malvasiersuppe, die ihm die Juden bringen; Gott segne ihm die Honigkuchen, mit denen die weißen Frauen den Rath heute bedenken. Lieber wär' es mir jedoch für mich und dich, du hättest ihn schon zu Tod geärgert. Du hättest dann nicht Noth, den Tugendspiegel länger vorzustellen, und ich würde am Ende Vormünder über deinen Buben, der leider Frosch heißen muß, ob er gleich – ich schwöre darauf – kein Frosch ist.«

Diese gemeine Zweideutigkeit fertigte die Verletzte mit einem verächtlichen Blicke ab, weigerte sich jedoch hartnäckig, den Knaben herbeibringen zu lassen, welches der werthe Oheim angenehm dringend, wie immer verlangte; und während dieser Weigerung kam Diether im völligen Staate eines Schöffen nach Hause. War Margarethens Staunen bei dem Anblick des unwillkommenen Bruders groß gewesen, so überstieg das unmuthige Befremden Diether's dasselbe noch bei weitem. Die Ungezogenheit des Gastes ließ es aber nicht zum Ausbruch kommen. »Glücklich Neujahr!« schrie er, dem Schöffen an den Hals fliegend, »so viel Gesundheit als dazu gehört, Methusalems Alter zu erreichen, so viel Geld als der Kaiser brauchen würde, um zu sagen: Ich habe genug; und so viel Glück als Töchter der Freude hier zu Frankfurt hausen! Ich zweifle nicht, daß Ihr diese Wünsche mit einem feinen Geschenk vergelten werdet, und will es in dieser Voraussetzung dabei bewenden lassen, alter Schwager.«

Diether blickte ihn achselzuckend an. »Mit einem guten Rathe zum Mindesten will ich des Ueberlästigen Glückwünsche, so widerlich sie sind, vergelten,« sprach er, »kommt ja nie mehr gen Frankfurt; stellt Eure Auflauerungen in der Umgegend ein; haltet Euch fein still zu Gelnhausen. Paul, der Webergesell aus Bonames, ist soeben in seines Meisters Haus in der Schnarrgasse verschieden, nachdem er ein Bekenntnis abgelegt, das über den zu Bonames verübten Mord die wichtigsten Aufschlüsse gibt. Der StadtpfaffeMeister der Rechte, beim Rath bedienstet, seit 1380; das Amt eines Syndicus verwaltend. wird das Bekenntnis bei Rathe niederlegen und auf Eure Verdammung antragen.«

Veit wurde blaß, ermannte sich jedoch. »Verdammtes Lügengespinst!« rief er. »Der Rath hat nicht mich zu verdammen, ich stehe nicht unter ihm.«

»So haltet Euch fern von seinem Weichbild,« ermahnte Diether, »die Unthat ist auf seinem Boden verübt worden, und wir verstehen keinen Scherz. Daß ich Euch jetzo warne, läuft schon wider meine Pflichten. Berücksichtigt aber mindestens diese Warnung und bringt ferner uns nicht Gefahr durch Eure Einkehr.«

»Gefahr?« lachte Veit mit grimmigem Hohne. »Ehre bringe ich Euch mehr Ehre, denn Ihr verdient, ungastlicher Mann. Ein Sprosse alten Geschlechts, wie ich bin, sollte sich scheuen, in ein Haus wie das Eure zu treten; diese Auszeichnung verdankt Ihr nur Eurem Weibe, das sich zu Euch herabließ. Ich hoffe dafür nicht mit Undank belohnt zu werden. Für's erste weigert Euch nicht, nur den Jahrgehalt verabfolgen zu lassen, den Margarethe mir bisher zahlte: zehn Pfund Heller, nicht mehr, nicht weniger. Gerade so viel kostet's, um Bürger bei Euch zu werden – lege ich noch zwei Pfund darauf, so kann ich einen Mord abthun vor Gerichte, wär's auch der des Pfaffen zu Bonames.«

Margarethe schlug beschämt die Augen nieder. Diether sah strenge auf und sprach: »Ich wußte wohl, daß meine Ehefrau Euch zudringlichen Gesellen dann und wann mit Almosen bedachte, aber von einem Jahrgehalte weiß ich nichts, und ein so reichliches erwartet nimmer.«

»Ihr wißt wohl von Vielem nicht, was Eure Wirthin thut!« äußerte Veit hämisch grinsend.

»Glaubt ihm nicht, dem schamlosen Lügner,« bat Margarethe den stutzig werdenden Gatten. »Er mißbraucht auf unerhörte Weise die Blutsfreundschaft, die mich leider an ihn fesselt. Ich gab nie so viel; Eure Gebote waren mir heilig, lieber Herr!«

»Glaubt Ihr doch!« spottete Veit ihr nach. »Im Grunde sagt sie die Wahrheit. Nicht sowohl zu meinem Nutzen und Frommen, als zu andrer Wohlsein wird sie Eure Geldtruhe leeren, und wohl bekomm's Euch, schäbiger Filz. Indessen säumt nicht, mir das verlangte Geld einzuhändigen. Ihr möchtet sonst einen Tanz erleben, daß Euch die Haare zu Berge stehen.«

»Ihr droht, in meinem Hause?« fuhr Diether zornig auf.

»Wir haben ein lustig Sprüchlein,« sprach Veit unbekümmert weiter, »das lautet also: Rother Hahn und rothes Eisen soll den Bürgern Sitte weisen! Merkt Euch das. Der Hahn kommt geflogen, ehe man sich's versieht; und das Eisen braucht nur eine kühne Faust. Zahlt aus, sputet Euch.«

»Schändlicher Bube!« grollte der Altbürger und knüpfte den Beutel ab, den er am Gürtel trug und dem Schwager verächtlich vor die Füße warf. Dieser hob ihn aber geschmeidig auf, wog ihn in der Hand und sagte: »'s wird weniger sein, denn ich verlangte; dafür seid Ihr aber auch ein Frankfurter Bürger, der sich nicht schämt, an seinem Wechseltisch mit dem schmutzigsten GewertschenLombarden, gleich den Juden vom Wechsel ausgeschlossen, auf Wechsler-, Leih- und Wuchergeschäfte angewiesen. um einen falschen Schilling zu jüdeln; und wenn ich Zeit habe, hole ich das Fehlende nach.«

»Thut es nicht,« entgegnen Diether; »es möchte Euch theure Zinsen kosten. Packt Euch jetzt. Der Imbiß wartet auf uns, und für einen verwiesenen Landstreicher ist kein Stuhl an meinem Tische.«

Soeben brachte Else den kleinen Hans herein, und Veit flog wie ein Stoßvogel auf den Knaben zu und herzte ihn mit widriger Zärtlichkeit, so sehr Kind, Magd und Mutter es zu wehren suchten. »Laßt mich doch!« rief der Junker, »ist der Bube doch mein Neffe; gewisser mein Neffe als Euer Sohn, Graubart!«

Diether, der kaum seinen Zorn mäßigen konnte, winkte Elsen zu gehen. Veit hielt den Knaben zurück und wollte ihm einen Kuß auf die Wange drücken. Das wilde Gesicht und der hängende Schnauzbart des Ohms schreckten jedoch den Kleinen, und mit dem Ruf: »Lieb Väterlein! hilf nur von dem Manne!« entsprang er dem Leuenberger und eilte in Diether's Arme. Der Junker schlug ein helles Gelächter auf. »Lieb Väterlein!« rief er. »Lieb Väterlein! Sie haben dir das Vaterunser gut gelernt, mein Söhnlein, wenn sie auch selbst nicht dran glauben. Ich wünsche Euch Glück zu dem Buben, Alter. Kein Zug von Euch in seinem Gesichte; gewiß auch keine Ader von Euch im Herzen. Er wird einst Euern schlechten Namen zu Ehren bringen. Ich möchte nicht gerne überlästig sein, darum gehe ich jetzt schon. Zählt indessen immer Geld für mich ab; und du, lieb Schwesterlein, vergiß nicht, für deinen ehemaligen Freiersmann ein gut Wort bei deinem treuen Freunde einzulegen.«

Nun war dem Ausbunde roher Bosheit das Gift ausgegangen, und er ging davon über die Schwelle des Hauses, in welchem er den nagenden Keim des Unfriedens zurückließ. Diether verlor zwar kein Wort über die abscheulichen Andeutungen des feinen Buschritters, aber sein Schweigen war der Vorbote einer bösen Zeit, und Margarethe, von Schuld nicht rein, wenn auch vor des Bruders Anklage ohne Fehl, that, von Gewissensangst befangen, keinen Schritt, dies feindliche Schweigen zu brechen, das den frohen Neujahrstag in eine trübe Nacht stummen Zwistes verwandelte. – Von der andern Seite war es in des Leuenberger's Brust bei weitem nicht so ruhig geblieben, als vielleicht sein kalter Spott ahnen ließ. Er kochte verzehrenden Grimm; denn die Droh- und Schmachworte, die sein Schwager gegen ihn gebraucht, hatten den wunden Fleck seines Ehrgefühls unsanft berührt. Die Furcht vor den reichsstädtischen Zwang- und Halsgesetzen allein hatte ihn abgehalten, sich thätliche Rache auf dem Fleck zu nehmen. Die unersättliche Habgier, die, aller Weigerung ungeachtet, dennoch in der Zukunft neue Nahrung erwartete, hatte auch ein begütigend Wort dazu gesprochen; aber die fürchterliche Sühne, die der Augenblick nicht gebären durfte, sollte nichtsdestoweniger in der Folge die Verunglimpfung vergelten. Mit diesem Gedanken beschäftigt, stieg der Herr von Leuenberg in seiner Winkelherberge zu Pferde, nachdem er sein dürftig Mahl und Mittagsruhe gehalten hatte, und klepperte, sobald die Thore wieder nach der Vesperzeit geöffnet worden waren, von dannen, denn die Stunde war im Schlagen, die den Stadtfeind seinen Gegnern erlaubte.

Seine raschtrabende Mähre legte mit Windesschnelle den Weg bis über die nahe Warte zurück, und hier schöpfte der Behutsame neuen Athem. Theils um dem beginnenden Schneegestöber auszuweichen, theils auch in der Hoffnung, auf Bekannte zu stoßen, lenkte er links von der Heerstraße ab, nach der Gegend zu, wo zwischen sanft anstrebenden Anhöhen ein wenig besuchter Hohlweg durchläuft und zu einer Wüstung führt, an deren Ende, von Erdaufwürfen, wie von Vertiefungen und krüppelhaftem Buschwerk gedeckt, eine elende Schänke stand; die Herberge herren- und gesetzlosen Gesindels größtenteils, dann und wann der versteckte Schlupf- und Lauerwinkel hungriger Raubjunker. Weder dem Leuenberger, noch seinem Gaule war das räucherige Nest ein unbekannter Ort. Der Reiter klopfte, zum Zeichen, daß ein guter Freund angekommen, mit der Gerte an die armseligen Schiebefenster, zog sein Pferd unter die elende Bedachung von Tannenästen, die einen Stall vorstellen sollte, band es an einen Sparren fest, und trat, nachdem er ihm Häckerling vorgeschüttet und eine Last Stroh, von dem Hüttendach gerauft, untergeworfen, in das Innere der verrufnen Kneipe. Ein altes Weib kauerte am Herde und mühte sich ab, das naßgewordene Reisig in Flammen zu blasen; eine junge Dirne von unlieblichem Angesichte schlief in der Ecke mit einigen Hühnern um die Wette. Sonst keine Seele in der Hütte, ein paar elende Tische aus Balken gezimmert, dergleichen Bänke und ein Kandelbrett, mit unsaubern Krügen und hölzernen Bechern versehen, waren das ganze Geräthe der Stube, auf deren Estrich man mit der größten Vorsicht wandeln mußte, um nicht in einem der Löcher desselben ein Bein zu brechen. – »Ein Glas Funkelhans!« rief der Eintretende der Alten zu, die auch allsobald mit tiefer Reverenz das Verlangte herbeibrachte und einen frischen Lichtspan aufsteckte. »Ich werde hier bis morgen verweilen,« fuhr Veit mit vornehmem Tone fort; »die Nacht hat mich übereilt und ist keines Menschen Freund.« – Das Weib nickte beifällig, versicherte, es werde ihr eine Ehre sein, den Junker zu beherbergen und machte sich wieder an ihr Geschäft. – »Was brau'st du da, Alte?« fragte Veit, um das Gespräch nicht ersterben zu lassen. – »Habersuppe, edler Herr;« erwiderte die Wirthin, indem sie einen derben Kessel an's Feuer rückte. – »Wer geht heute bei dir zu Tafel, alte Hexe?« fuhr der edle Herr fort. »Die Brühe ist zu lang für deinen und deines Töchterleins Hunger.« – »Hm!« grinste das Weib; »Ihr wißt ja wohl, daß wir oft Gäste haben, und so auch heute. Mein Mann hat bei Bergen ein Geschäft, das ihn bis in den späten Abend vielleicht aufhält. Wenn er heim kommt, wird er hungrig sein, und die Gesellen nicht weniger.« »Was gibt's heute zu Bergen?« erkundigte sich der Leuenberger. – »'s ist dort Tanz und offene Lustbarkeit!« klang der Bescheid. »Ein reicher Bürgersohn von Friedberg, der vor der Adventzeit die schöne Eva von Bergen geehlicht, holt heute ihren Mahlschatz und gedenkt ihn noch gen Friedberg zu schaffen.« – »Er gedenkt, . . .« brummte Veit höhnisch; »so, so! dein Alter denkt aber weiter, nicht wahr?« – »Ach, großer Gott!« seufzte das Weib, die Augen verdrehend, »man muß freilich sehen, wie man kümmerlich sein Leben durchbringe.« – »Kümmerlich!« spottete der Gast; »Ihr Lügenvolk! Nur das Schlechte laßt Ihr liegen; das Beste nehmt Ihr und heuchelt obendrein Armut gegen Leute, die einiges von Euren Kniffen verstehen.« – »Lieber Herr,« erwiderte die Wirthin, »'s ist lauter Wahrheit. Mit den Cumpanen muß man theilen; das Kostbarste verscharren, darf das liebe Gut nicht sehen lassen. Oft sagte ich zu meinem Manne: Marten! sagte ich zu ihm, wär's nicht besser, wir fingen an, ehrlich zu arbeiten und könnten ruhig leben und uns wohl sein lassen, als von ungerechtem Gut reich sein, und es verbergen müssen und zittern müssen vor Entdeckung? Da lacht er mich aber jedes Mal aus und sagt: Wart' nur, Weib, bis wir genug haben, dann wallfahrten wir nach Compostell, opfern dem heiligen Jakob eine silberne Krone, holen uns Ablaß und kaufen uns alsdann am Rheine an.« – »Ein feines Vorhaben,« lachte Veit, »so habt Ihr noch immer die Aussicht, als Ehrenleute zu sterben, vielleicht noch selig gesprochen zu werden, wenn Ihr auf dem Todbette irgend ein Kloster reichlich bedenkt.« – Die Alte wurde empfindlich. »Warum sollen wir denn etwa nicht des Paradieses theilhaftig werden? Mein Marten hat noch keinen Pfarrherrn erschlagen.« – »Verfluchte Spötterin!« fuhr Veit auf und griff nach dem Dolche. Die Alte rannte schreiend nach der Ecke, in der die Tochter schlief, und weckte diese durch ihr Gejammer.

»Was schreit Ihr denn also?« fragte die Erwachende schlaftrunken; »der Herr wird Euch nicht im Ernste erstechen wollen, und in Eurem liederlichen Gewerbe solltet Ihr blanker Messer schon gewohnt geworden sein.« – Veit mußte über die faule Predigt lachen, die das häßliche Mägdlein hielt, und steckte den Dolch wieder ein. – »Komm her, Alte,« rief er; »'s war nur ein Scherz. Und du, garstige Bußrednerin, lege wieder dein Haupt zur Ruhe. Unser Gesprächsel würde dein frommes Ohr ärgern.«

»Das würde es auch,« versetzte die Dirne, wie oben. »Ich will mich daher lieber draußen im Stalle zur Ruhe legen als in Eurer Nähe.« – Sie stand auf und ging. – »Mädel, draußen pfeift der Schneewind!« rief ihr die Mutter zu. – »Mein Roß steht im Stall und kann nicht gut Gesellschaft leiden!« fügte der Junker bei. – »Was thut das?« fragte die Dirne entgegen, »Schneeluft ist kalt, aber kälter der Schoß einer gottlosen Mutter. Unter den Hufen eines schlagenden Rosses schläft der Gerechte besser, als unterm Schirmdache des Bösen. Gute Nacht!« – Sie verschwand und bei dem Ernste ihres Abschiedes war dem Leuenberger unheimlich um's Herz geworden. Unheimlicher noch der Mutter, die, trübsinnig beim Feuer sitzend, die Hände faltete, und, in die Flamme starrend, die dicken Thränentropfen ungetrocknet ließ, die in ihren grauen Wimpern hingen. – »Die Maid bricht noch mein Herz, . . .« seufzte sie endlich, »und ich darf sie nicht schelten, weil sie die einzige Unschuldige im Hause ist. Die Klostermagd am uralten Stifte der Reuerinnen zu Frankfurt war der Dirne Taufpathin und brachte sie, da sie zehn Jahre alt geworden und ich noch rüstig dem Haushalt vorzustehen vermochte, als ihre Helferin in dasselbe Stift. Daselbst wurde unsere Judith zwanzig Jahre alt und überlebte ihre Pathin und trat an deren Stelle, bis ich, an Kräften abnehmend, sie wieder zu uns forderte. Sie weigerte sich auch keineswegs und kehrte heim, geschickt und gewandt und ausgestattet mit Bibel- und Sittensprüchen, die sonst an uns gemeine Leute nicht kommen. Ihr Verstand merkte bald, wo es leider in unserm Hause hinaus will, und ihre Frömmigkeit spricht oft Donnerwetter gegen uns aus, vor denen nicht selten mein Mann selbst erzittert. Im Anfang wollte er die Judith schlagen, aber es war immer, als ob ein Engel seine Hand aufhielte. Und da wir nun sahen, daß sie unverdrossen ihre Arbeit verrichtet und das vierte Gebot ehrt wie eine Heilige, so ließen wir sie reden und haben uns an ihre harten Ermahnungen gewöhnt, beachten sie gar nicht, wenn sie nicht etwa dann und wann mein Mutterherz zu schonungslos angreift, wie just heute. Ich habe sie ja doch geboren!«

»Eben darum,« versetzte Veit gleichgültig. »Die Bärin muß etwas von ihrer Brut vertragen können. Schlechtes Volk seid Ihr, das leidet einmal keinen Zweifel. Nehmt immerhin das Kreuz auf Euch, fügt Euch der Tollheit Eures Sprößlings und dankt dem Satan, wenn die Verrückte Euch nicht einmal an die Gerichte verräth.«

Die Alte schüttelte ungläubig den Kopf. »Das thut sie nimmermehr!« sprach sie; »ich habe einmal von ihr verlangt, sie sollte einen Eid darauf schwören. Sie aber hat's nicht gethan und gesagt: »So Ihr auf ein leeres Wort von mir vertraut, mehr als auf mein kindlich Herz, so verdienet Ihr, daß ich hinginge und Euch verriethe.«

»Stille jetzt mit dem thörichten Geplauder,« gebot der Leuenberger. »Weißt du schon, daß unser alter Geselle, der Weber Paul von Bonames, gestorben?«

»Nein, werther Herr,« erwiderte die Alte; »ihm sei das Freudenreich dort oben, wenn's also sich verhält.«

»Den Teufel auch!« schalt Veit. »Der Hölle Schwefelpfuhl sei dem niederträchtigen Buben, der auf dem Sterbelager mir übeln Leumund brachte. Ich kümm're mich freilich wenig um die Ellenreiter zu Frankfurt, aber verdrießlich ist's doch immer, wenn solche Menschlichkeiten zur offenen Sprache kommen.«

»Ja wohl, ja wohl!« bekräftigte die Alte. »Paul war sonst einer der Besten unter meines Marten's Leuten, bis er fromm wurde und sich in Reue und trostlosem Nachgrübeln sein Ende herbeizog. Mein Mann erzählte oft, der Paul führe einen Stoß, trotz einem Wälschen, und Stich und Tod sei eins bei ihm.«

»Dem war auch so,« versetzte Veit, »bis der Kerl zum Schurken wurde.«

»Daß solche kecke Leute auch dahinfahren müssen!« fuhr das Weib fort; »ich darf es wohl bekennen: die besten Gehilfen Marten's, den doch allgemach Augen und Kraft verlassen, kommen nach und nach von seiner Seite. Dreie sind ihm noch geblieben von der ganzen Schar, die er seit mehr denn zwanzig Jahren mühsam herangezogen. – Und von diesen dreien wird nächstens der Beste, der Jude, sich trennen, wie mir mein Mann mit Verdruß geklagt.«

»Wie?« fuhr Veit überrascht auf; »der Jude, der pfiffigste aller Galgenvögel, der unverzagteste aller Mörder hat Euch den Dienst aufgekündigt? Blitz und Strahl! Wegen seiner bin ich eigentlich hier. Seiner Geschicklichkeit bedarf ich ja gerade am allermeisten.«

»Die wird Euch auch nicht entgehen,« tröstete die Alte. »Kann die Arbeit bald gethan werden, so verrichtet sie der Rothe gern für Euch. Aber im nächsten Sommer wird er eine Frau nehmen und gen Worms ziehen, und das Messer an den Nagel hängen, um ein ehrlicher Mann zu werden. Der Bursche hat gar leicht zu reden und zu thun. Den besten Theil jeder Beute hat er für sich genommen, und sein Gewissen ist vollkommen ruhig, denn ein Jude begeht keine Sünde, wenn er einen Christen plündert oder erschlägt, so wenig als es etwas zu sagen hat, wenn ein Christ einen Hebräer todt macht.«

Schöne Weisheitslehren, dachte Veit für sich und wünschte sich weit hinweg von dem entmenschten Weibe, in die Gesellschaft der rohesten Männer. Sein Wunsch wurde bald erhört, denn ein dumpfes Geräusch wurde, fern herkommend, vernommen. Die Alte spitzte das Ohr, öffnete behutsam den Schiebladen, horchte und flüsterte in die Stube herein: »Sie kommen, edler Herr; sie sind's!« – Das Gesumme kam näher – Gestolper auf dem holprigen Pfade, der von der Bergener Anhöhe herunter führte, . . . mitunter leises Stöhnen, wie das eines Geknebelten – darauffolgende halblaut hervorgepreßte Flüche; . . . endlich verlor sich Alles hinter der Hütte und schien plötzlich still zu werden. Mit einer ungeheuren Seelenangst schlug die Alte aber das Fensterlein zu, packte den Junker wie eine Verzweifelnde am Arm und murmelte mit klappernden Zähnen: »Betet, betet ein Paternoster, lieber Herr, . . . eine Ave für die arme Seele, sie sind zu den Weiden am Sumpfe gegangen . . . Gott erbarme sich!« – Veit, dessen Haare sich auf dem Wirbel sträubten, machte sich mit aller Gewalt los und wollte zur Thüre, zu welcher eben Judith wie ein bleicher Schatten eintrat, umweht von schaurigem, aus dufter Nachtferne dringendem Geächze. »Wo wollt Ihr hin?« fragte die Dirne hohl und bebend. »Bei den Weidenbäumen wird das Werk gethan, auch ohne Euch. Wahrlich! besser wäre es, mit dieser Hütte umzukommen im feurigen Pfuhl, als den Mord zu sehen, an welchem wieder ein Gerechter verblutet.«

Ein herzzerreißendes Stöhnen aus der Ferne war das Letzte, das gehört wurde. Lange blieb es nun stille; endlich hörte man ein Rauschen im Moore, wie das Versenken schwerer Steine, und kurz darauf kamen hastige Schritte auf die Hütte zu, in welche drei stämmige Kerle traten. »Guten Abend!« war ihr erstes Wort; »Wer da?« ihr zweites, da sie des Fremden gewahrten, der ihnen indessen bald kein Fremder mehr war, wie die rohe Freundlichkeit des alten Marten bewies, der ihn zuvorkommend aufnahm. – »Wasser!« herrschte einer von den andern hochgewachsenen Burschen der Dirne zu; und gemessenen Schrittes holte diese den Schwenkkessel vom Kandelbrett, in dem sich der Wildblickende die Hände wusch. »Reinige deine blutigen Hände, Zodick,« redete das Mädchen zu ihm, »von deiner Seele geht der rothe Flecken nicht ab, bis er sich vor dem Herrn in höllische Flammen verkehren wird.« – »Schweig', Aberwitz!« polterte der Jude, die Faust gegen sie erhebend und setzte sich zu den Uebrigen. Die Alte trug Most auf und die Habersuppe, die den Uebrigen mundete. Zodick zog aber ein Stück Brot aus der Tasche und einige Zwiebeln, um sie zu speisen, legte dann sein Messer in des Herdes Kohlen und forderte seinen besonderen Becher, seine besondere Flasche. Beides, mit eingeschnittenen Zeichen versehen, wurde gebracht; in dem Most, der ihm vorgesetzt wurde, löschte der gewissenhafte Jude die glühend gewordene Klinge ab, murmelte: »Koscher! koscher! koscher!« vor sich hin in den Bart und trank und aß dann mit den Andern darauf los, die ihrerseits ebenfalls die größte Scheu zeigten, etwas zu berühren, dessen sich der Hebräer bedient hatte. »Wo ist Jost?« fragte die Alte, einen der gewohnten Tafelgenossen vermissend. »Gebeckert hat er,« antwortete Zodick. »So wahr als wir sitzen hier am Tische, so wahr hat ihn der Goi, der nicht lassen wollte vom Gelde, darniedergestreckt mit einem Hieb. Darum hat er auch müssen an's Messer, und hätt' ich ihn schleppen müssen sechs Stunden weiter, ich hätt' ihm sein Blut nicht geschenkt.« – »Bärenwüthig hat sich der Bursche gewehrt,« fuhr Marten fort, »er meinte uns alle in die Flucht zu schlagen durch sein Schwertlein. Aber Wolf hieb ihm die Sehne der rechten Faust mit dem Messer durch, ich rannte ihn zu Boden, und der Jud stieß ihm den Knebel in den vorlauten Schreihals. Fort mit ihm über Stock und Stein bis hieher, wo ihn Zodick abkehlte. Im Sumpfe ruht er sanft gebettet und kommt gewiß nicht wieder, sein Geschmeide und sein Geld zurückzufordern.«

»Gott wird's an seiner Statt und die Thräne seiner Witwe!« sprach Judith feierlich. »Ich aber will am Rande des Moors für seine arme Seele beten.« – Sie ging hinweg, und die Alte folgte ihr bald nach, um durch abergläubische Formeln ihr zagendes Gemüth zu beschwichtigen.

»Jetzt wollen wir theilen,« sagte Zodick mit seiner gewohnten Grobheit; »heraus mit dem Fang; ich muß heute noch zur Stadt, sonst merkt mein Herr Unrath.« – Marten deutete verstohlen auf den Leuenberger, der, ohne Antheil an dem Gespräche zu nehmen, ruhig in der Ecke sitzend, einen günstigen Augenblick erwartete, sein eigen Gesuch anzubringen. Zodick verstand Marten's Geberde wohl, aber lachend antwortete er: »Immer zu! Der Herr ist nicht dabei zum ersten Male. Ihr fürchtet wohl, er möchte versucht sein, uns Alles abzunehmen mit seinen Spießgesellen? Dazu ist er zu fein und weiß, daß das Messer der Blutzapfer trifft hinterm Schutzgatter, wie hinterm Altar.«

»Macht Euch keine Sorgen,« bestätigte Veit unbefangen; »vor Euren Genickfängern habe ich alle Ehrfurcht. Weit entfernt, mich selbst ihnen zum Ziele zu geben, will ich diesem wackern Rothkopf vielmehr eine Arbeit auftragen, die ihm wenig Zeit kostet, aber Vortheil bringen wird.«

»Desto besser!« versetzte Zodick mit abscheulichem Grinsen. »Davon nachher. Vorab die Theilung. Frisch daran. Steht die Wache vor der Thüre?«

»Meine Alte paßt auf,« erwiderte Marten und langte eine schwere Geldkatze hervor, die – auf den Tisch geleert – eine nicht unbedeutende Sammlung von Geld und Kleinodien, wie die Bürgersleute zu tragen pflegten, enthielt. Veit stand am glimmenden Herde und schaute auf die drei Schurken herüber, die mit einer ekelhaft habsüchtigen Schnelligkeit den ganzen Raub in drei Theile zerrissen, von welchen der größte und beste dem Juden anheimfiel, der obendrein mit vieler Spitzbüberei den andern Bösewichtern die auf deren Theil gefallenen Kostbarkeiten um einen Schelmenpreis abschacherte. Noch im letzten Augenblicke stahl er seinen Gesellen mit gewandten Fingern einige Silberstücke, und auf ihre Einsprache zuckte sogleich des Juden blutgewohnte Faust nach dem Dolche, den die Andern so sehr fürchteten, daß sie jeden Anspruch fahren ließen. – »Laßt doch den Hader,« sprach Veit, sich einmengend; »es ist schon spät geworden. Legt Euch zur Ruhe, Ihr Leute. Ich muß mit dem Rothen noch ein paar Worte reden.« – Marten und sein Cumpan lagerten sich auf den Boden am Herde. Zodick machte sich indessen fertig zum Gehen, zog die Mütze über's Ohr, band ein schmutziges Tuch darüber und unter das Kinn und winkte dem Leuenberger, ihm vor die Thüre zu folgen. »Die Spitzbuben lauern wie Füchse!« flüsterte er seinem Kundmann warnend zu und zog ihn aus der Hütte. »Was soll's?« fragte er hier demüthig und geschmeidig. Aber kaum hatte Veit den Namen seines Schwagers genannt, als sich der Bube emporrichtete, mit Augen, die durch die Finsternis roth funkelten. »Ho!« rief er mit Zähneknirschen, »diesen Namen kenne ich wohl und hab' ihm Rache geschworen. Ist's der Alte, dem ich den Dalles geben soll?« – Veit bejahte. – »Schade, Schade!« versetzte Zodick unmuthig, »den Jungen hätte ich lieber geschachtet.« – »Der ist fern,« sprach Veit, »erwarte seine Rückkehr und schaffe ihn dann hinweg, wenn's dir beliebt.«

»Hm!« meinte Zodick, »schon lange lebte er nicht mehr, hätte ich's nicht verschworen, keinen Stoß zu thun als nur für baar Geld. So mag's denn bleiben bei dem Aette. Wie schwer wiegt er Euch?«

»Fünf Pfund Heller . . . keinen Albus mehr!« erwiderte Veit. »Ich bezahle sie nach gethaner Arbeit. Du weißt aus Erfahrung, daß ich in ähnlichen Fällen Wort halte.«

»Ja, ja, ganz recht!« sprach der Jude zögernd, »aber 's ist verdammt wenig, das Ihr bietet.« – »Für ein abgenutztes altes Leben, das ohnehin vielleicht in Kurzem von selber reißen wird!« rief Veit. – »Der Tod dieses abgenutzten Körpers bringt Euch aber Glück!« lachte Zodick hämisch. »Bietet mehr und zahlt etwas voraus.« – »Ich biete nicht mehr und zahle nicht voraus,« sprach Veit. – »Weiß wohl!« entgegnete Zodick. »Ihr Herren habt nie Vorrath an Münze. Müßt erst den Sold irgendwo krimpeln, ehe Ihr ihn zahlen könnt. Mag's indessen sein. Tof! tof! Sobald ich ihm ankomme an die Rippen, dem Alten, sollt Ihr von mir hören.« –

Die Würdigen schüttelten sich die Hände und schieden. Veit legte sich in der Mordhütte zur Ruhe, und Zodick lief über Zaun und Steg der Stadt zu. Er erreichte das Thor gegen Mitternacht und wurde gegen das Sperrgeld von dem schlaftrunknen Pförtner fluchend in die Stadt gelassen. Zodick schlüpfte durch die finstern Straßen in die Judengasse. Nach Gewohnheit fand er das Haus verschlossen, öffnete die Thüre geschickt mit einem eisernen Haken, drückte sie wieder zu und suchte mit leisen Katzentritten das elende Lager, auf welchem ihn, den im Verbrechen verhärteten Sünder, bald ein fester Schlaf beschlich.


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