Karl Spindler
Der Jude
Karl Spindler

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Vierundzwanzigstes Capitel.

»Wohin?« fragte Diether, im Begriff, sein Haus zu verlassen, um in seinem Garten Zerstreuung zu suchen, einen Mann in bäurischer Tracht, der, einen Tragkorb auf dem Rücken, die Treppe hinanstieg. Der Mann hielt auf diese unvermuthete Frage still, sah mit offenem Munde hinauf, strich die Haare von der Stirne und fragte, die Mütze in der Hand, entgegen, ob hier die Frau Altbürgerin Margarethe Frosch wohnhaft sei. Diether bejahte und winkte den. Zaudernden, näher zu kommen. »Was soll denn die ehrsame Frau?« begann er, dessen Mißtrauen durch die scheu umherschweifenden Blicke des Bauern erregt wurde. – »Ich muß selbst mit ihr reden,« meinte hierauf der Letztere und die liebe Dummheit sprach sich in seinen Zügen und Worten aus, »der Herr soll nichts davon erfahren, hat mein Weib gesagt, oder seid Ihr vielleicht der Herr?« – »Nicht doch,« erwiderte Diether kurz; »ich bin Frau Margarethens vertrautester Freund und du kannst nichts Besseres thun, als auch mir dein Gewerb vertrauen, weil die ehrsame Frau verreist ist und unter einigen Tagen nicht wiederkehrt.« – »So?« sprach der Bauer, auf den Stock gelehnt. »Wer wird mir denn abnehmen, was ich in meinem Korbe trage?« – »Tritt hier herein!« befahl Diether, die Thüre seiner Stube öffnend, »ich will dir Botschaft und Waare abnehmen.« – Der Bauer sah sich verwundert in der Stube um und wußte nicht recht, ob er niedersetzen oder fortgehen sollte. Diether gebot ihm hingegen nachdrücklich, den Inhalt des Korbes vorzuweisen; und mit einer dummpfiffigen Miene gehorchte endlich der Mensch. Mit einem verstockten Lächeln zog er die grobe Leinwand von dem Korbe, in welchem ein kleines Mägdlein saß, das seine Händchen bittend dem Alten entgegenstreckte. Diether nahm das holde Kind schnell aus dem unbequemen Versteck und maß staunend bald den Träger, bald seine Bürde. »Was soll das?« fragte er, »ein Kind?« – Der Bauer lachte und wiederholte: »Mein' Seel' Herr, es ist ein Kind.« – »Wessen Kind? Sag' an!« – »Hm!« versetzte der Bauer langsam und kratzte sich auf dem Wirbel, »Herr, wenn ich das wüßte, mein' Seel', ich wollt's Euch sagen.« – »Ist der Mann hier dein Vater?« fragte Diether zu dem Kinde, das sein Köpfchen an des Alten Brust legte. Es schüttelte aber auf diese Frage das Haupt und antwortete mit kindischem Lallen: »Nein, nein, Vater weit, Mutter weit, Agnes ganz allein gelassen!« – Diether begütigte das Mägdlein, so gut er es vermochte, und wendete sich wieder zu dem dämischen Boten, der mit eingebogenen Knieen und vorgestrecktem Halse dastand, ein gleichgültiger Zuschauer. – »Wer bist denn du, Mensch, und wie hängt das Alles zusammen?« fragte der Altbürger. – »Mein' Seel',« entgegnete der Bauer, »guter Herr, ich will Euch wohl sagen, daß man mich Paul getauft hat und daß ich ein eigener Mann des gestrengen Grafen von Katzenelnbogen bin. Wir armen Leute wissen nicht, wie alt wir sind, aber, daß der Johannestag heuer zum einundzwanzigsten Mal wiederkommt, seitdem ich mich mit meiner Willhild habe einsegnen lassen dürfen zu Wiesbad – denn wir zu Moorweiler haben keinen Pfaffen für uns – das weiß ich genau.« – »Willhild?« wiederholte Diether, »wäre die Pflegerin meines Söhnleins . . . des Herrn Diether's – wollte ich sagen – wäre sie dein Weib?« – »Mein' Seel', Herr, sie ist's, wenn uns anders der Leutpriester recht eingesegnet hat.« – »So rede schnell. Was ist's mit dem Kinde und was soll es bei Frau Margarethen?« – »I nu,« redete Paul, »mein Weib meint, daß es am besten da aufgehoben wäre, weil es doch einmal die Tochter von der Frau ist, die vorige Woche von der Heerstraße gestohlen wurde.« – »Von Wallrade?« rief Diether.

»Recht, so heißt sie,« fuhr Paul fort, »und ihr Töchterlein ist das Kind hier, das sie bei uns zurückgelassen hat. Wir sollten's ihr aufheben, bis sie wieder käme.« – »Wallradens Kind?« sprach Diether bestürzt und entsetzt vor sich hin. »Barmherziger Gott! in welchen Höllenschlingen finde ich bei jedem Schritte Alle, die ich liebe! – Wie kam denn das Fräulein zu Euch?« setzte er laut hinzu. – »Zu Wagen, lieber Freund;« antwortete Paul, »was die Weiber mit einander schwätzten, weiß ich nicht, denn ich hatte die Frohne für meinen gestrengen Herrn und die Willhild sagt' mir auch nicht viel. Genug, da es Sonnabend war vor des Herrn Geburt, sollte ich mit herein und auf Alles Ja sagen, was die Frau, die Mutter nämlich von diesem Kinde, erzählen und vorbringen würde.« – »Vor des Herrn Geburt?« wiederholte Diether kopfschüttelnd, »Mensch, bist du irre, vor Ostern vielleicht?« – »Meinetwegen vor Ostern, wenn das nicht eins ist, was wir ungelehrte Leute nicht wissen. Es ist einmal noch nicht lange her. Die Frau war sehr aufgebracht und sagte einmal über das andere Mal: »Ich will zurückkommen, ich will dem Vater sagen . . . doch, das geht Euch nichts an, und ich weiß es auch nicht mehr so recht.« – »O, meine Ahnung!« murmelte Diether durch die Zähne, »strahlende Gewißheit bist du geworden. Wallrade hat den wunden Fleck meines Hauses getroffen; Willhild zum Bekenntnis gebracht, den Bastard in meinem Geschlechte entlarvt. Ich müßte ihr danken, hätte sie nicht ähnliche Schande auf mein Haus gehäuft!« Er sah bei diesen Worten das Kind auf seinen Armen finster an und drang in Paul, endlich doch zu endigen.

»Ich bin schon zu Ende,« versicherte der Bauer, »die Frau wurde gestohlen und ich lief heim, ohne zu wissen, wo sie hingekommen. Einer von den Teufelsburschen hat mich gejagt wie einen Hasen und Willhild mich noch obendrein ausgescholten. Und da die Frau nicht wiederkam in den nächsten Tagen und keine Kunde von hier aus, so redete meine kluge Willhild zu mir: »Morgen, Paul, nimmst du das Mägdlein im Korbe mit dir und trägst es zu Frau Margarethen, denn die Mutter, fürchte ich, ist dahin und ich könnte nicht ruhig sterben, wenn das Kind nicht versorgt wäre. Sage der ehrsamen Frau, sie soll mir nicht böse sein, allein ich mußte reden, um unser beider Seelenheil und daß der alte Herr nicht ferner betrogen sei.« – »Hörst du, alter Thor?« fragte Diether knirschend in sich hinein. – »Weiter, Paul!« – »Laß' dich aber nicht vom Herrn erwischen, sagte das gute Weib ferner,« fuhr Paul fort, »es könnte mit diesem Kinde auch einen Haken haben, wie mit dem Johannes und zu viel Verdruß auf einmal muß man dem lieben Herrn nicht machen.«

»Schweig'!« herrschte Diether dem Erzähler zu, welcher erschrocken zusammenfuhr, »aus deinem Munde will ich nicht wissen, was noch zurück ist. Laß' das Kind hier und packe dich schnell aus der Stadt in die Heimat. Mit dir, du Tölpel, habe ich nichts zu schaffen. Aber Willhild soll kommen, übermorgen soll sie hier sein, oder es schwer bereuen. Hinweg.« – »Na, na, lieber Freund,« sprach Paul begütigend, »ich will's wohl ausrichten und die arme Willhild wird freilich kommen, wenn sie kann. Aber . . .« hier kratzte er sich wieder hinter den Ohren – »es ist ein kitzlich Ding.« – »Wieso?« fragte Diether strenge. – »Das arme Weib wird wohl gestorben sein,« versetzte Paul weinerlich, »der Pfaffe gab ihr, da ich heute früh aufbrach, nur zwei Stunden noch zu leben.« – »Verflucht!« zürnte Diether dumpf und setzte das Kind nieder. – »Wenn Ihr jedoch ein vertrauter Freund des Herrn war't, wie der ehrsamen Frau,« fuhr Paul fort, »so wollte ich Euch wohl ein Brieflein für denselben zustellen.« – »Das Bekenntnis meiner Schande!« seufzte Diether für sich und griff finster nach dem Zettel, den ihm der Bauer reichte. »Ein verkleideter Mann gab ihn mir, da ich Moorweiler verließ,« setzte dieser hinzu, »er mag wohl seine Ursachen haben, warum er ihn nicht selbst überbringt.«

Diether öffnete bedächtig den Zettel und las zu seiner Verwunderung ganz andere Worte, als er vermuthet hatte. Es standen darin folgende: »Wisset, Schöff und Rathsherr Diether Frosch, daß ein Freund seine Ehre bewahrt will haben und Euch verrathen, an welchem Orte sich befindet Eure Tochter Wallrade. So Ihr am Tage, da der nächste Vollmond eintritt, zur elften Stunde der Nacht Euch wollt einfinden an dem Feld und Bannsteine, das Sprünglein genannt, unfern von Bergen und mitbringen wollt einen Sack mit vierhundert Mark löthigen Silbers, sollt Ihr Alles wissen und erfahren, wie Ihr wieder zu Eurer Tochter gelangen könnt. Kommt allein, sonder Gefährte, sonst sucht Euch der rothe Hahn daheim. Ich bin der Niemand.«

Mit finster gerunzelter Stirne sah Diether von dem Zettel zum Boten auf, Letzterer hatte aber für gut gefunden, sich – einem Unwetter vorzubeugen – aus dem Staube zu machen. Diether rief seinen Leibdiener herbei. Der Mensch wollte jedoch nichts von dem Bauern gesehen haben. – »Eitel!« sprach Diether unwirsch, da sein Auge wieder auf das Kind fiel, das still und furchtsam in der Ecke saß, »ist meiner Tochter Knecht noch nicht heimgekehrt von dem Streifzuge des Jungherrn?« Der Diener verneinte. – »Liegt die Magd noch krank?« fuhr der Hausherr fort. – Eitel berichtete, daß seit dem gestrigen Tage das Fieber nachgelassen habe, das von dem Schrecken des Ueberfalls erregt, die Dirne bisher außer Stand gesetzt hatte, Antwort auf die ihr vorgelegten Fragen zu ertheilen. Diether befahl, die Zofe heraufzusenden. Ueberlegend ging er auf und nieder. »Soll ich denn von der Magd erfahren, was mein Blut jetzt schon sieden macht? Was mir jetzt schon klar wie der Tag ist?« fragte er endlich. »Nein! Diether,« – antwortete er entschlossen, – »nein, schirme, so viel als möglich, die Ehre deines Namens.«

Er führte das Kind in die Kammer und unmittelbar darauf trat die Zofe Wallradens, eine hübsche, etwas blasse Dirne zu ihm in's Gemach, gewärtig, seine Befehle zu empfangen.

»Du bist eine feine Magd,« begann Diether ernst, »deine Gebieterin schmachtet in arger Haft und du denkst nicht einmal an das Kind, das sie hilflos zurückgelassen?« – »Ihr Kind?« entgegnete die Dirne betroffen und ihr Angesicht wurde blutroth. »Ach, gestrenger Herr, Ihr wißt . . .?« – »Wie sollt' ich nicht?« fragte Diether mit scheinbarer Unbefangenheit entgegen; »unverzeihlich ist es von Euch, zugegeben zu haben . . .« – »Ach, Herr,« seufzte das Mädchen ängstlich, »vergebt uns. Der Diener muß gehorchen und schweigen, so die Herrschaft befiehlt. Und da es Gott so gut gemacht hatte mit dem Kleinen . . . in welchen Händen konnten wir das Kind lieber sehen . . .?« – »Als in Willhildens Hütte bei der Sterbenden?« unterbrach sie Diether rasch. »Unverzeihliches Beginnen der Mutter und der Pfleger! und mir ein Geheimnis aus dem zu machen, was ich wußte, blieb das arme Kind verwahrlost zurück?« – Die Magd wollte reden. – »Kein Wort, bei meinem Zorn!« fuhr Diether auf. »Ich sehe hell und brauche Euer Deuteln nicht. Hier ist das Kind« – er führte das Mägdlein aus der Kammer . . . »heute mag es noch bei dir im Hause bleiben, ich mache dir's jedoch zur Pflicht, vor Niemand es sehen zu lassen, vor meiner . . . vor Frau Margarethen am allerwenigsten. – Wo die Mutter nicht gern gesehen ist, wird das Kind verachtet,« schaltete er bitter ein und endigte mit dem Versprechen, der Zofe und dem Töchterlein mit dem nächsten Tage eine Zuflucht anzuweisen, in welcher sie bis zur Befreiung der Mutter zu verbleiben hätten. – Die Zofe schwieg gehorsam, in ihren Augen war jedoch ein gewisses Staunen nicht wohl zu verkennen, da Diether ihr das Mägdlein hinreichte, das sich mit dem Schmeichelworte: »Ach, du liebe Gundel! du bist da?« an der Erröthenden Brust schmiegte. »Sieh' da, Agnes, du hier?« entgegnete der Mund der Letztern endlich und nachdem sie noch einige Fragen des Altbürgers, die er, geflissentlich den Aufenthalt im Wiesbad und die Geschichte des Kindes umgehend, über einige Umstände des Raubes auf der Heerstraße an sie richtete, beantwortet hatte, ging sie stille und demüthig mit der müden Agnes hinweg.

Diether saß lange da. Der Gedanke, von Weib und Sohn sich verrathen, von der tugendhaft geglaubten Wallrade entehrt zu sehen, preßte dem alten Manne dicke Tropfen der innersten Marter aus den Augen und in solcher Niedergeschlagenheit fand ihn der Oberstrichter, welcher plötzlich in dem Gemache erschien. Der Eintritt desselben machte keinen unangenehmen Eindruck auf den Leidenden. In einer nicht unbedeutenden Reihe von Jahren durch die Geschäfte des Kriegs und des Friedens verbunden, hatten sich Beide einander freundschaftlich genähert, ohne innige Freunde geworden zu sein. Der Oberstrichter, dessen größter Fehler ein Jähzorn war, leicht zu wecken, schwer zu besänftigen, hatte keinen Grund gehabt, Diethern gehässig zu sein. Sogar der verdrießliche Auftritt mit Dagobert auf Limpurg hatte Diether nicht von dem Richter entfernt, obschon der Letztere unverholen auf des Schultheißen Seite gewesen. Auch heute reichte Diether dem Gaste die Hand zur stummen Begrüßung.

»Gott walte im Hause!« sprach dieser; »vergebt, daß ich einbreche wie ein Kundschafter. Von Eurer Wallrade ist noch keine Spur zu finden und der Stadthauptmann in Verzweiflung, Euch nicht kräftiger dienen zu können. Die Aussagen des Knechts reichen nicht hin und nicht die der Zofe, wie ich vernehme. Beide wissen nur, daß die Veste, in welche man sie geschleppt, weit von hier liegen muß und aussieht, wie ein jedes Schloß im Innern auszusehen pflegt. Man muß von der Zeit erwarten, was sich jetzo nicht fördern mag. Ein ander Geschäft bringt mich hieher. Ich suche Vollbrecht, Eures Sohnes Knecht. Sein ehemaliger Herr ist in den Handel des Juden verwickelt und am Ende weiß der Knecht mehr davon als wir Alle.« – »Vollbrecht ist mit Dagobert auf die Streife gezogen,« erläuterte der Altbürger. – »Hm!« brummte der Oberstrichter, »da werden wohl Beide nimmer heimkehren. Eurem Sohne ist's schwerlich Ernst, die Schwester aufzusuchen, deren Gefängnis ihm bekannt genug sein mag. Ich bedaure Euch, alter Freund, Ihr habt keine Freude an dem Erben Eures Namens, denn . . . was den Johannes betrifft . . .« – »Schweigt um's Himmels willen!« unterbrach ihn Diether. »Schmerz und Zorn zersprengen mein Herz. Nicht der leiseste Zweifel bleibt mir mehr. Dies sei Euch genug. Mein lasterhaftes Weib ist aus meiner Liebe gestoßen, wie ich es schon aus meinen Armen stieß.« – »Und dennoch wollt Ihr nicht glauben, was die ganze Stadt glaubt,« erinnerte der Oberstrichter, »glaubt mir, Ben David wollte Euch erwürgen, Ben David wurde dafür von Margarethen gedungen. Schüttelt nicht das Haupt. Die Zeit trifft zusammen. Eitel, Euer Knecht, glaubt in jenem Manne, der bei Nachtzeit aus dem Hause schlich, den mit Geld beladenen Juden entdeckt zu haben. Dagobert hatte dazumal schon den Freibrief von dem Papste erwirkt, Dagobert sollte zurückkehren. Gatte und Vater war im Wege.« – »O, daß ich es glauben muß!« seufzte Diether trostlos, »aber, hörten meine Ohren nicht selbst, wie die Sünderin ihrem Buhlen die Rettung des Juden so dringend empfahl? Warum, wenn nicht . . .?« – »Hört ferner,« fuhr der Oberstrichter fort, »in unserm Thurme liegt ein junger Bube, ein angehender Helfershelfer der Blutzapfer, ein Lehrling des Webergesellen von Bonames. Ein einzig Mal ist der Bube in der Mörder Genossame gekommen, ohne, wie er schwört, einen einzigen derselben zu kennen, noch den Ort wieder bezeichnen zu können, an den er damals in einer Schneenacht geführt worden. In jenem Mordwinkel jedoch, behauptet er, gehört zu haben, daß ein Ritter mit dem Juden einen Handel abgeschlossen, Euch aus der Welt zu schaffen, um zehn Pfund Heller glaubt er, seiet Ihr verkauft worden.« – »O, der Niederträchtigkeit!« rief Diether empört, »und dieser Ritter . . .?« – »Dagobert oder Euer Schwager von Leuenberg,« antwortete der Freund achselzuckend. – »Schändlich!« jammerte der trostlose Vater, »ich bin preisgegeben dem abscheulichsten Meuchelmord und weiß es nicht, in welcher Hand der Dolch mich bedroht.« – »Das Mittel, hell zu sehen,« fuhr der Oberstrichter fort, »wäre, der Anklage freien Lauf zu geben, die ich gegen Euer Weib verhängen will und die das Geständnis des Juden bekräftigen muß. Die Wahrheit muß alsdann durch Gottes Fürsicht an den Tag kommen.«

»Nimmermehr!« erklärte Diether mit schneller Fassung; »das Weib, das ich einst liebte, sollte ich der öffentlichen Schande preisgeben, einem schmählichen Tod überliefern? Nein! ich will nicht klagen und verbiete Euch, es zu thun. Ich werde die Sünderin von mir entfernen, aber als eine letzte Gnade empfange sie ihr Leben von mir.« – »Ihr seid die Milde selbst,« äußerte der Oberstrichter; »ich weiß jedoch nicht, ob ich Eurer Barmherzigkeit werde willfahren können. Des Schultheißen Befehl dürfte . . .« – »Der Schultheiß wird nicht als Kläger auftreten können, so lange ich schweige,« versetzte Diether heftig. – »Wohl und recht;« sprach der Andere nach einer Weile; »erlaubt jedoch, daß ich Euch auf meine Pflicht aufmerksam mache, die Ihr zu übersehen scheint.« – Hiermit ging der Oberstrichter nach der Thüre, sah behutsam hinaus, ob Niemand um die Wege, kehrte dann zurück und zog Margarethens Gatten in die Ecke.

»Euer Sohn,« sprach er, »hat großes Aergernis gegeben und seine Vergehen sind weltbekannt. Er hat geschändet Euer Haus in sträflichem Bunde mit Eurem Weibe; er hat entehrt Euern Stamm, der einen wilden Zweig in seiner edlen Krone trägt. Er hat höchst wahrscheinlich einen Mörder gedungen gegen Euch, er hat das richterliche Amt verletzt auf öffentlicher Straße, eine schlechte Judendirne vertheidigend; er lebt, nach wohlverbürgten Angaben, in Buhlerei mit dieser Jüdin, deren Schlupfwinkel die Gerechtigkeit nur zu erfahren strebt, um ihr den wohlverdienten Lohn werden zu lassen. Blutschande, Verletzung kaiserlicher Majestät, Mord, Abfall vom christlichen Glauben nennt man obige Vergehen. Ihr hemmt den Arm der öffentlichen Rechtspflege; aber die Sünde soll nicht ungestraft bleiben, da auch im Verborgenen gerichtet wird unter dem höchsten Königsbann. Ich frage Euch also, Diether Frosch, Schöppe der heimlichen beschlossenen Acht . . . was werdet Ihr thun?« – Diether fuhr heftig zusammen und mußte sich an dem Gesimse anhalten, um nicht hinzusinken. Der Oberstrichter raunte ihm hierauf in die Ohren: »Denkt Eures Eides und Eurer frei-kaiserlichen Schöppenpflicht. Einmal habe ich gewarnt. Ich thue es nicht das zweite Mal. Nächsten Dienstag wird gehegt und der Stuhl erwartet Eure Klage.« – »Um Gott!« seufzte Diether; »dieses Gräßliche hat mir nicht geahnt. Um des Heilands willen; eben so gut hätte ich meinem Sohne, der doch mein Fleisch und Blut bleibt, den Dolch in die Brust stoßen können, denn – muß ich dort klagen, ist er ohne Gnade dahin.« – »Ertapptet Ihr ihn auf handhaftiger That, so war's an Euch, in des Königs Namen zu richten,« versetzte der Oberstrichter kalt; »verbessert jetzo Euern Fehler. Die Pflicht ist schwer, ich geb' es zu; aber eines echten Freischöffen schwerste Pflicht ist seinem Eide etwas Leichtes. Lebt wohl, Bruder. Gedenkt Eures Schwurs.« – Der Oberstrichter überließ den Altbürger seinen Betrachtungen, wie unerbittlichen Henkern ein vergebens widerstrebendes Opfer.

Da nun der ehrbare Herr sich dem Rathhause näherte, sah er an dessen Pforte den Schultheiß stehen, im vertraulichen Gespräch mit Zodick, den er jedoch bald entließ, als er des Oberstrichters ansichtig wurde. Der Letztere säumte nicht, seinem Freunde zu berichten, daß durch seine Bemühungen alles Verdächtige in Diether's Hause sich zu entwickeln im Begriffe stehe. Der Schultheiß lächelte freundlich bei dieser Kunde. – »Recht, mein guter Herr und Freund,« sprach er; »hier gibt es viel zu thun für Euern Eifer, das Böse, das sich halsstarrig Euerm Falkenblick zu entgehen strebt, an's Tageslicht zu ziehen. Mir,« setzte er lächelnd hinzu, »mir ist das Glück nicht so günstig. Soeben benachrichtigt mich der getaufte Jude, daß es ihm noch nicht gelungen, den Aufenthalt Esther' s auszuwittern und ich darf Euch versichern, daß ich des Geldes nicht schonen würde, ihn zu entdecken.« – Der Oberstrichter wiegte achselzuckend den Kopf. »Ich konnte nicht wissen,« entgegnete er, »daß die armselige Jüdin Euch es angethan. Ich hätte sie wahrlich nicht so wohlfeilen Kaufs damals entkommen lassen.« – »O, Ihr wißt nicht, was schön ist!« versetzte der Schultheiß seufzend. »Schafft mir diejenige wieder, nach deren Besitz ich mich unaussprechlich sehne und verlangt von mir, was Ihr wollt. Mein schöner floßreicher Weiher am Feldberg hat Euch beständig so wohl gefallen. Er ist Euer mit all' seinen Fischen für das einzige Fischlein, das Ihr aus dem Netze ließt, weil Ihr seinen Werth nicht zu schätzen wußtet.« – »Traun, Herr Schultheiß,« lachte der Oberstrichter, »dort sehe ich, wie mich dünkt, einen ganz andern Fisch die Straße heraufschwimmen, der noch nicht einmal weiß, an welcher Angel er hängt.« – Es wälzte sich auch wirklich durch die ziemlich enge Gasse ein Schwarm von Menschen daher, mit Sing und Sang und Pfeifenklang, die sich gar fröhlich geberdeten. Zwei Gestalten in buntfarbiger Kleidung, – junge Männer, die ihre jugendlichen Gesichter mit ungeheuern falschen Bärten verziert hatten – eröffneten den kleinen Zug, lange Schwerter auf den Schultern tragend. Ein Banner- und Schildträger folgte auf sie und ihnen nach jubelte die ganze Zunft der Harnischer und Waffenschmiede, dem Reiter, der in ihrer Mitte langsam und gravitätisch einherklepperte, ein helles »Lebe hoch!« bringend.

»Ist das nicht der von Hülshofen?« fragte der Schultheiß. – »So ist's, gestrenger Herr,« erwiderte der Oberstrichter, »auf meine Einladung in Euerm Namen kehrt er zurück und ich gönnte ihm gern das kurze Festgepränge, das ihm die Waffenschmiede zugedacht, da er in Costnitz durch seine Fechterkunst unserer Stadt viel Ehr' und Ruhm erworben. An Euch ist es nun, ihm anzukünden, wozu er eigentlich hierher berufen.« –»Das geschehe auch auf der Stelle,« meinte der Schultheiß und zog sich mit seinem Freunde an die innere Treppe zurück, da die ankommende Menge schon anfing, die Pforte zu belagern. Mit einem dreimaligen Vivat, dem Kämpfer und der Vaterstadt dargebracht, wurde Gerhard vom Gaule gehoben und betrat die Schwelle des Heiligthums der Gerechtigkeit! Zu seiner Linken trug man sein Wappen und die Waffenstücke, die er im Rennen zu Dank erhalten; zu seiner Rechten das Banner der Zunft und die in Turnieren eroberten Stechfähnlein. Mit einer bescheidenen Unterwürfigkeit, aber nicht ohne Selbstbewußtsein, näherte sich der Fechter dem Vorsteher der Stadt mit der Bitte, ihm die Ursache wissen zu lassen, die seinen also schnellen Aufbruch von Costnitz nöthig gemacht. – Der Schultheiß erwiderte mit Würde, man würde ihm diese Ursache nicht vorenthalten, sobald er sein Geleite verabschiedet haben würde. – »Nun, Ihr guten Jungen,« sprach Gerhard zu den jubelnden Freunden; »Eure Freude thut meinem Herzen wohl, aber noch wohler wird meiner dürstenden Kehle der Firnewein thun, den ich von Eurer Freigebigkeit zu erhalten hoffe; gehet darum hin auf Eure Stube und pflanzt die weißen Holzbecher auf, die ich so sehr liebe, und diese Waffen und Fähnlein, die Zeugen der Tapferkeit, mit welcher ich das Ansehen Eurer Stadt in der Fremde behauptete. Mit den gestrengen Herren allhier habe ich noch einige Worte zu wechseln und dann bin ich bei Euch.«

Die Meister der Zunft schüttelten dem erprobten Zecher und Raufer die mächtige Faust, die Gesellen schlugen die kleinen Tartschen und Kolben an einander, mit denen sie sich der Festlichkeit halber geschmückt hatten. Die Pfeifer bliesen zum Rückzug und unter gellendem Freudengeschrei wurde dieser auch wirklich angetreten. Gerhard stieg mit den beiden Machthabern die Treppe vollends hinan und erschöpfte sich in der Wiederholung der Grüße und Freundschaftsversicherungen, welche ihm, seinen Betheuerungen zu Folge, Fürsten und Herren an den wohlweisen Rath von Frankfurt aufgetragen hatten. In dem Strome seiner langathmigen Rede dahinschwimmend und die Hoffnung berührend, die er auf die bekannte Großmuth und Freigebigkeit des Magistrats gesetzt, bemerkte Gerhard nicht, daß Schultheiß und Oberstrichter hartnäckig schwiegen. Da aber die Thüre des Schöffengemachs hinter ihnen zugefallen war und Gerhard sich noch immer vergebens nach einem freundlichen Gesichte umsah, statt dessen jedoch nur zwei ganz ernsthafte vor sich erblickte, wurde ihm anders zu Sinne. Er schwieg ebenfalls und manche längst vergessene Schalkheit, für die er jetzo zur Verantwortung gezogen zu werden befürchtete, drang sich seiner Erinnerung auf; indessen glaubte er aus allen Himmeln zu fallen, als ihn der Schultheiß folgendermaßen anredete: »Herr! Ihr habt Euch zu Costnitz gehalten wie ein Mann; glaubte ich nicht den Berichten der dort anwesenden Schöffen, ich müßte es Euerm ruhmredigen Mund unbedingt glauben; allein nicht um Eurer Thaten willen belobt zu werden, wurdet Ihr zurückberufen, sondern um Rechenschaft zu geben von einer Handlung, die sich eben so wenig mit Euerm Wappen, als mit Euerm Stand als Dienstmann dieser reichsfreien Stadt verträgt. Darum werdet Ihr Belieben tragen, Eure Wehr an den ehrbaren Herrn hier zu meiner Seite abzuliefern und in seinem Hause für's erste ritterliche Haft Euch gefallen zu lassen. Von Euern Geständnissen wird es abhängen, ob Ihr daselbst verbleiben dürft oder härtern Gewahrsam schuldig seid.«

Der Edelknecht stand verblüfft. »Gestrenger Herr,« versetzte er endlich, »Gott der Herr behüte meine Ohren; ich fürchte aber, sie haben falsch gehört. Ich wüßte nicht, welcher Popanz von Gläubiger mich verklagt haben könnte. In Costnitz hat der Wirth zum »Engel« mein Kerbholz feierlich zerbrochen. Ich bin frei dort weggegangen wie der Barfüßer, der den besten Schmaus nur mit einem Gratias vergilt. Kleine Lumpereien zu geschweigen, welche einige gemeine Hintersassenseelen allhier von mir zu fordern haben, bin ich ohne alle Schulden und begreife darum nicht, warum ich in des ehrbaren Herrn Oberstrichters Hause meine Schlafstätte aufschlagen soll.Des Oberstrichters Wohnung war in der Regel das Schuldgefängnis angesehener Leute. Hier ist ein Irrthum, liebe Herren und Meister.«

»Mit nichten, Junker,« erwiderte der Oberstrichter; »von Eurer gewöhnlichen Krankheit ist diesmal nicht die Rede. Da sich jedoch Eure Erinnerungen meistentheils nur an Herbergen und Trinktische knüpfen, so brauche ich Euch nur den Wirth zur »Traube« zu Worms in's Gedächtnis zu rufen, um Euch mit einem Male von Allem in Kenntnis zu setzen.« – »Ha! der Schelm!« brauste Gerhard auf; »ich wollte, ich dürfte bei einem Ringelrennen seinen nichtswürdigen Glatzkopf vom Rumpfe stechen. Der Bursche lügt, wenn er das Kleinste noch an mich begehrt. Die paar Turnosen, die ich ihm schuldig wurde, weil er immer doppelt und dreifach in's Holz schneidet, sind ihm längst bezahlt; das will ich durch einen gestabten Eid erhärten und bekräftigen.« – »Laßt das!« antwortete der Schultheiß verächtlich; »daß Ihr zahltet, wissen wir. Sagt uns lieber, wie Ihr bezahltet.«

»Je nun,« . . . hob Gerhard an und verstummte aber in selbigem Augenblick, da ihm plötzlich der Handel mit dem Juden beifiel. – Der Oberstrichter fiel dagegen siegreich ein: »Da haben wir's. Dieses Stocken verräth den ganzen Hergang. Die Wormser Juden haben Recht und Junker Gerhard wird sich freisam herausreden müssen, wenn er mit ehrlichem Schild aus dem Gedränge zu kommen Lust hat.« – Gerhard nahm mit einer wehmüthigen Miene das Schwert von der Hüfte und reichte es wie ein armer Sünder dem Oberstrichter hin. – »Gestrenge Herren,« stammelte er verlegen. »Eure Weisheit und Gerechtigkeit wird ja wohl einen Fehler von einem Verbrechen unterscheiden. Ich vermuthe, daß hier von einem gewissen Knaben die Rede werden dürfte, der mir zu Worms plötzlich zu- und noch plötzlicher abhanden gekommen sein soll. Ich kann jedoch einen körperlichen Eid darauf ablegen, daß der verdammte Jude . . .« – »Hier ist nicht der Ort zu Eurer Rechtfertigung, noch zum Eide,« unterbrach ihn der Schultheiß, »der Oberstrichter wird Euch Beides abfordern, wann er es für nöthig erachtet. Folgt ihm jetzt.« – Gerhard rieb sich ängstlich die Stirne. »Euer Haus, liebster Herr,« seufzte er, »ist so nahe am Eschenheimer Thurm, daß ich nichts Gutes aus meiner Einkehr bei Euch erwachsen sehe. Laßt mich zum mindesten im Stadtgewahrsam. Ich gebe Euch meinen adeligen Handschlag, durch kein Pförtlein noch Thor zu entwischen.« – Der Oberstrichter verneinte. – »Traut Ihr dem Worte eines biedern Edelmannes nicht, so verstattet mir einen Bürgen,« fuhr Gerhard dringender fort. »Mein bester Freund lebt zum Glücke hier, Herr Dagobert Frosch, des Schöffen Sohn. Er wird sich für meine Redlichkeit und Haft verbürgen und mir ein vorteilhaft Zeugnis geben können, da, wie mir gerade einfällt, er selbst just bei dieser ganzen Wormser Begebenheit gegenwärtig gewesen.«

»Dagobert Frosch?« fragte der Oberstrichter schnell. – »Der junge Mann hat ja überall die Hände im Spiel,« setzte der Schultheiß mit Schadenfreude hinzu und dem armen Gerhard wurde es mit einem Male recht klar, daß er des Freundes wohl zu vorschnell erwähnt hatte. Nun half ihm kein Zögern mehr. Statt auf der Zunftstube Wein und Lob in ungeheuerm Maße zu genießen, mußte er dem Oberstrichter folgen. Wie ein Sieger war er eingezogen und saß nun zwischen vier kahlen Wänden. Von einer Säule des Ruhms hatte ihm geträumt und vor den Gittern seines Fensters streckte sich der Eschenheimer Thurm in die Höhe, sein künftiger Aufenthalt, wenn Zufall oder Willkür oder Gerechtigkeit seine Lage verschlimmern würden. Von Dagoberts Klugheit allein hoffte er einen Ausweg aus diesem Gewirre von bösen Folgen einer übeln That und darum war bald der Entschluß in ihm fest geworden, den jungen Mann ohne Rückhalt mit in die Geschichte zu verwickeln; überzeugt, daß der Verstand desselben gewiß Sieger werden würde.


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