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» B ernhard!«
Clärchen's zuckende Lippen sprachen das Wort nicht aus – dennoch war es ihr, als ob die ganze stille dämmrige Stube es wiederhallt hätte. Sie wollte sich aus ihrem Sitz am Arbeitstischchen im Fenster aufrichten, aber die Kräfte versagten ihr; sie preßte die Hand auf ihr pochendes Herz und starrte nach der Thür. Einen Augenblick darauf stand ihr Gatte vor ihr.
»Clärchen!«
Der jungen Frau erste Regung war, sich an die Brust des geliebten Mannes zu stürzen und ihm zu sagen – nein, zu sagen nichts; nur noch einmal, vielleicht das letzte Mal in ihrem Leben, sich als seine Gattin zu fühlen; aber eine edlere Regung, als beleidigter Stolz, hielt sie davon zurück. Sie neigte ihr Haupt über ihre Arbeit und flüsterte:
»Kommst Du schon?«
»Schon? – das klingt ja, als hättest Du mich noch nicht erwartet – oder gar nicht erwartet?«
Münzer sagte das ohne alle Bitterkeit. Er war vor Clärchen stehen geblieben, mit über der Brust verschränkten Armen, als wolle er sich selbst verhindern, eine Hand nach der Frau auszustrecken, deren Herz ihm nicht mehr gehörte.
Clärchen schaute zu ihm empor. Ein Blick in sein blasses, gramzerrissenes Antlitz genügte, um alle ihre Vorsätze, ruhig und gefaßt zu sein, zu nichte zu machen. Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und brach in ein leidenschaftliches Weinen aus.
Ihr Weinen gab Münzer die Kraft zurück. Er fühlte, daß es an ihm sei, zu sprechen und zu handeln. So setzte er sich denn Clärchen gegenüber in das Fenster und sagte ruhig und traurig:
»Kannst Du, und willst Du mich hören, Clärchen?«
Clärchen antwortete nicht; aber eine leise Bewegung des Kopfes und ihr leiseres Weinen sagten ja.
»Ich will Dir eine Geschichte erzählen, Clärchen; eine kurze Geschichte, und Du mußt denken, Die, von denen sie handelt, seien nicht wir, sondern zwei Menschen unsrer Bekanntschaft, denen wir Beide wohlwollen, und deren Schicksal ganz in unsre Hand gelegt ist. Es ist die Geschichte eines Mannes, der arm, unglücklich und verdüstert durch ein hartes, schweres Loos und durch sein leidenschaftliches Herz, das in ewiger Fehde mit seinem besseren Wissen und Gewissen lag, ein Märchen heirathete, welches gleichfalls das Leben von keiner heitern Seite kennen gelernt hatte, und in Folge dessen es ebensowenig, wie der Mann, leicht mit dem Leben nahm. Sie lebten bei einander Jahre lang; sie theilten, was sie zu theilen hatten: wenig der Freude, aber desto mehr des Leides. In ihrem Garten konnte der Liebe rothe Rose, die den Sonnenschein des Glückes so schwer entbehrt, nicht zur vollen Blüthe kommen. Sie konnte sich in keinem Augenblicke von dem Gedanken los machen, daß die Ehe für ihren Gatten ein Unglück sei, weil sie ihm die freie fröhliche Entfaltung seiner Kräfte unmöglich mache; er seinerseits that nichts, zum wenigsten nicht genug, seine Gattin von dem Alp zu befreien, der schwer und schwerer auf ihrer Seele lastete. Er versuchte wohl im Anfang, ihr ihre Sorge wegzuscherzen und wegzuphilosophiren; aber er wurde ungeduldig, als es ihm nicht gelang und bedachte nicht, daß seine Heftigkeit und sein düstres Wesen seine Küsse und seine Worte Lügen straften, trotzdem allerdings seine Melancholie ihre hauptsächlichste Nahrung aus Dingen und Verhältnissen zog, die mit der Ehe und der Liebe gar nichts zu thun hatten. So, anstatt sich gegenseitig Trost und Hülfe zu gewähren, wie sie sich einst gelobt hatten und wie es auch gewiß ihr Wille war, erschwerten sie sich, Eines dem Andern, das Leben. Selbst ihre Kinder waren nicht im Stande, den Fluch, der auf ihnen ruhte, zu bannen. Sie konnte der Kinder nicht froh werden, die nur ein Zuwachs zu seinen Sorgen waren; zwischen ihm und den Kindern wollte sich kein freundliches Verhältniß gestalten. Er hatte selten Zeit, sich mit ihnen zu beschäftigen, und wenn er sie ja einmal auf seine Kniee nahm, blickten sie so scheu zu dem finstern Manne empor, daß sich seiner das schmerzliche Gefühl, in seinem Hause ein Fremdling zu sein, mehr und mehr bemächtigte.
Dennoch liebten sich die Beiden; aber, weil sie Beide sehr stolz waren, so sagten sie es sich nie, und weil sie oft sich nicht zu lieben schienen, und sie nichts thaten, diesen bösen Schein zu verbannen, so setzte sich der Schein auch hier und da an die Stelle der Wirklichkeit, und eine halbe Liebe war für diese Beiden keine Liebe.
Bis in die neueste Zeit war indessen Keinem von ihnen der Gedanke gekommen, daß Untreue im gewöhnlichen Sinne ein Wort sei, welches jemals zwischen ihnen genannt werden könne.
Da geschah es, daß der Mann – durch einen Zufall, der nicht zufälliger sein konnte – ein Weib kennen lernte, dessen ungewöhnliche Schönheit seine Phantasie mächtig entflammte, um so mehr, als in dem Augenblick, da er sie zuerst sah, sein Geist nach einem mühevollen, undankbaren Tagewerk auf das furchtbarste verdüstert war. In dem Rausche einer fieberhaft überreizten, vernichtungsseligen Stimmung erschien ihm dies Weib als das Ideal seiner Träume, und er liebte das Weib, wie man im Traume sich anbetend vor einer Erscheinung niederwirft, deren Herrlichkeit nicht von dieser Erde stammt. Aber, geschult in einer herben Philosophie, die auf jedem Blatte Entsagung lehrt, riß er sich aus diesem Traume, – nicht ohne Kampf, nicht ohne Schmerz; aber doch so, daß er in diesem schmerzensreichen Kampf schließlich Sieger blieb. Dann hat er das Weib noch einmal gesehen, nur um ihr zu sagen, was sie sich zum Theil schon selber gesagt hatte. Seitdem hat keine Verbindung zwischen jenen Beiden, die der blinde Zufall zusammengeführt und die wache Vernunft getrennt hat, stattgefunden, bis auf einen Brief, den er vor wenigen Augenblicken erhielt und nicht gelesen hat und nicht lesen wird; denn für ihn ist ein Vorhang über jene Scene seines Lebens gefallen, und soll von seiner Hand nicht wieder gelüftet werden.
Dann ist der Mann zu der Mutter seiner Kinder gekommen und hat ihr Alles gesagt, und, Clärchen, wenn Du die vertraute Freundin dieser Mutter wärest, wenn Du für sie denken und beschließen müßtest, was würdest Du ihr rathen, daß sie ihrem Gatten erwidern solle?«
Clärchen hatte schon nach den ersten Worten Münzer's zu weinen aufgehört; und als sie jetzt, nachdem er geendigt, das Gesicht zu ihm wandte, lag auf ihrer Stirn und in ihren Augen eine Klarheit und sichre Ruhe, daß Münzer innerlich davor erschrack. Und dieselbe Ruhe und Klarheit sprach auch aus ihrer Stimme, als sie sagte:
»Ich danke Dir, Bernhard, daß Du zuerst gesprochen hast, daß Du mich aufgefordert hast, Dir zu sagen, was ich Dir auch so, aber dann mit viel schwererem Herzen, gesagt haben würde. Du meinst es gut, Bernhard; ich bin davon überzeugt; ich kann Dir nicht sagen, wie sehr, wie ganz; aber eben, weil ich so innig davon überzeugt bin, darf ich nicht zugeben, daß Deine Güte noch länger, wie bisher, die Quelle Deines Unglücks ist. Du liebst mich, sagst Du, – ich glaube es; Du liebst die Kinder, sagst Du, auch das glaube ich; aber diese Liebe ist nicht die Liebe, mit der Du lieben kannst, mit der wir geliebt sein möchten, und, wie Du vorher selber sagtest: eine halbe Liebe ist keine Liebe. Ich trage dieses Schmerzensgefühl mit mir herum, fast so lange schon, als ich Dein Weib bin. Hundert und tausendmal habe ich es Dir gestehen und Dich bitten wollen, Dich und mich von diesem Schmerz zu erlösen; – ich hatte nie den Muth dazu. Jetzt habe ich den Muth; ich weiß es selbst kaum, woher ich ihn habe, es müßte denn aus der unumstößlichen Gewißheit sein, daß wir so nicht weiter leben können. Was würde die Folge sein, wenn wir es versuchten? Wir würden uns noch sorgsamer als früher hüten, unser Unglück einander merken zu lassen; aber das Leid, das uns drückt, würde deshalb nicht leichter werden, es würde im Gegentheil nur noch schwerer auf uns lasten, je heimlicher wir es trügen. Da habe ich nun so gedacht, Bernhard – aber Du mußt mich recht ruhig und geduldig anhören, vielleicht daß ich in diesem einen Falle doch klarer sehe, als Du. Laß uns – nicht für immer, denn eine Stimme in mir sagt, daß es nicht für immer sein wird – aber für einige Zeit laß uns uns trennen. Es bietet sich jetzt die passendste Gelegenheit. Als Du mir vor einer Stunde Nachricht sandtest, daß Du gewählt seiest, da habe ich mich zuerst recht satt geweint und dann habe ich gedacht: es ist doch so am besten. Du gehst in wenigen Tagen nach der Residenz; ich könnte dann wohl mit den Kindern hier bleiben, aber hier in diesen Räumen kann ich nicht gesunden, und überdies, wer weiß, wie lange die Session dauern wird, und ob, wenn Du zurückkommst, Du nicht für mich und für Dich zu früh kommst. Deshalb schicke mich und die Kinder – wenn es sein kann, morgen – ich habe alle Vorbereitungen dazu getroffen – zu meinem alten Onkel. Niemand wird darin etwas finden, denn weshalb sollte ich nicht die Zeit, in der Du fort bist, zu einer Reise nach dem alten Herrn benutzen? und überdies hat Dr. Brand für Karl eine Veränderung der Luft schon längst gewünscht und angerathen. Dort können wir so lange bleiben, wie Du willst. Den Kindern soll es an Nichts fehlen. Ella will ich selbst unterrichten, Latein und das Andre wird Karl vom Onkel lernen, der ja, wie Du selbst sagst, ein Gelehrter ist und so gern und so gut unterrichtet. Was sagst Du dazu, Bernhard?«
»Daß Du recht hast, vollkommen recht, vollkommen.«
Münzer stand auf und ging in dem kleinen Zimmer auf und ab. Es war mittlerweile so dunkel geworden, daß Clärchen nicht mehr im Stande war, den Ausdruck seines Gesichts deutlich zu erkennen. Der Ton aber, in welchem er gesprochen, hatte etwas so Beängstigendes für sie, daß sie sich schnell erhob und an ihn herantretend und die Hand auf seinen Arm legend, sagte:
»Bernhard, glaubst Du, daß ich Dich liebe?«
»O gewiß,« sagte Münzer in demselben gepreßten unheimlichen Ton, »mit jener halben Liebe, die eben keine Liebe ist.«
Clärchen nahm ihre Hand von seinem Arm. Sie wußte, daß es jetzt nur an ihr liege, ihren Gatten zurückzuhalten, aber ihr Entschluß stand fest.
»Du willigst also in meinen Vorschlag?«
»Gewiß.«
»Und erlaubst, daß wir morgen reisen?«
»Um so lieber, als ich selbst schon morgen nach der Residenz zu gehen gedenke, wo ich jetzt besser wirken kann, als hier.«
»Darf ich Dir Dein Abendbrod besorgen?«
»Ich danke, ich muß doch noch einmal ausgehen.«
»Dann lebe wohl, Bernhard; ich will zu den Kindern.«
»Lebe wohl!«
Münzer war schon an der Thür. Er zögerte, bevor er sie öffnete. In Clärchen's Brust wogte ein wilder Schrei: Bernhard, Bernhard! – aber kein Ton kam über ihre Lippen – und die Thür schloß sich hinter der dunkeln geliebten Gestalt.
Clärchen stand noch einen Augenblick in dem dämmrigen Gemach, die Hände an ihre brennenden Schläfen gedrückt, dann ging sie leise in das Schlafgemach ihrer Kinder.