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27.

D r. Holm traf in dem Schmitz'schen Wohnzimmer die ganze Familie beisammen. Peter durchmaß mit den Händen auf dem Rücken raschen Schrittes die Länge des Zimmers von der alten Schwarzwälder Kukuksuhr auf der einen bis zum Portrait Washington's auf der anderen Seite, und vom Washington wieder bis zur Kukuksuhr; Tante Bella saß auf ihrem gewöhnlichen Platz im Erker, wie gewöhnlich stickend – diesmal mit einer Docke schwarzen Stickgarns um den Hals – ihr gegenüber Ottilie, die, wie es schien, der Tante geholfen hatte, in diesem Augenblicke aber, wo Holm hereintrat, in ihren Stuhl zurückgelehnt und den Kopf aufgestützt, in Nachdenken versunken war. Es bedurfte keines großen Scharfblicks, um zu sehen, daß eine schwere Wolke am Schmitz'schen Familienhimmel stand. Die perpendikulare Falte zwischen Peter Schmitz' Augenbrauen war merkwürdig ausgeprägt; Ottilie hatte offenbar geweint, und die lebhaftere Röthe auf Tante Bella's Wangen und ein gewisser kriegerischer Ausdruck in ihren energischen Zügen deuteten darauf hin, daß die gute Dame so eben einen längeren Vortrag gehalten hatte, der durch Holm's Ankunft in der Mitte durchgeschnitten war.

»Seid mir gegrüßt mit freudigem Herzen und Freude sei mit Euch!« rief Dr. Holm, Petern die Hand schüttelnd und dann zu den Damen im Erker tretend, um Tante Bella ebenfalls die Hand zu reichen und sich vor Fräulein Ottilie mit seiner liebenswürdigen Grandezza zu verneigen.

»Freude!« sagte Tante Bella und dabei zuckte ein zorniger Blitz aus ihren großen dunkeln Schmitz'schen Augen; »wahrhaftig, wir haben auch Ursache dazu!«

»Dieses wäre mir lieb, doch gar nicht scheint es der Fall mir!« erwiderte Holm, auf einem Stuhl in der Nähe des Fenstertritts Platz nehmend und den breiträndrigen Strohhut auf dem Stock zwischen die Kniee nehmend.

»Was sagen Sie denn zu dem armen Cajus?« fragte Peter, ohne in seiner rastlosen Wanderung zwischen Washington und der Kukuksuhr inne zu halten.

»Daß er ein Held ist!« erwiderte Holm mit Emphase und obligatem Aufstampfen seines Stockes.

»Daß er ein Narr ist!« sagte Tante Bella.

»Narrorum?« fragte Holm verwundert.

»Ist es etwa keine Narretei, mit einem gebrochenen Arm eine lange ausgeschlagene Stunde dazusitzen, um Euer gelehrtes Wischiwaschi zu corrigiren, daß Doctor Brand ihm hernach den Aermel vom Leibe schneiden muß und selber sagt: so etwas sei ihm in seiner ganzen Praxis noch nicht vorgekommen? ist es denn nicht eine eben so große Narretei, daß er nicht hier bei uns bleiben will, die wir Raum die Hülle und Fülle und Alles haben, was er braucht? daß er durchaus in seine elende Hofwohnung, in die weder Sonne noch Mond scheint, gebracht werden muß? daß er Niemand um sich haben will, als eine alte tabakschnupfende Wartefrau? daß er kein Geld von Peter nehmen will und großartig erklärt: er habe immer ein paar Thaler für den Fall, wo er nicht arbeiten könne, übrig? – Ich habe keine Geduld mehr mit allen diesen Ueberspanntheiten!« sagte Tante Bella, ihre Brille von der Nase nehmend, in das Futteral steckend und das Futteral heftig in den Arbeitskorb werfend.

»Sind Sie bei Cajus gewesen, Schmitzorum?« fragte Holm, der Tante Bella, wenn sie in ihrer »Gefechtsstimmung« – wie er es nannte – war, ungern widersprach.

»Ja,« sagte Schmitz, »es ist Alles so, wie Bella es sagt; er will auch Niemand sehen, außer Münzer. Der Cajus ist nicht klug.«

»Aber, Ihr lieben Leute, was wollt Ihr nur?« rief Holm, beinahe ärgerlich, daß er auch von dieser Seite auf Widerspruch stieß. »Man muß die Menschen nehmen, wie sie nun einmal sind, und das hält doch auch am Ende so schwer nicht, zumal wenn die Menschen ihre Sonderlichkeiten nicht auf Kosten Anderer kultiviren. Cajorum ist ein wunderlicher Heiliger. Sie wissen, ich habe eine instinktive Abneigung gegen dergleichen fanatische Naturen; aber man darf das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Wer von uns weiß denn, wie Cajorum so geworden ist, wie er ist? wie das Schicksal auf ihm herumgehämmert haben mag, bis ein solcher alter, eigensinniger, verbogener Nagel aus ihm wurde? Als er vorgestern in unser Büreau trat und sich zu der Correctorstelle meldete, sagte ich zu Münzer: Hören Sie, Münzer, der Mann gefällt mir nicht. – Aber mir gefällt er! antwortete Münzer, denn er ist arm und unglücklich. – Das war eine noble Antwort von dem Münzer und ich habe mich an das: Arm und Unglücklich gehalten und den Teufel nicht weiter darnach gefragt: ob mir der Cajorum gefalle oder nicht.«

»Aber Holmchen,« unterbrach Taute Bella den Eifrigen, »von Gefallen oder Mißfallen ist hier auch gar nicht die Rede, sondern davon, ob einer vernünftig handelt, oder nicht. Und ich sage noch einmal: der Cajus ist ein Narr, daß er die Hülfe, die ihm freundlich geboten wird, nicht freundlich annimmt. Da schwatzt Ihr immer vom demokratischen Princip und von Brüderlichkeit und von Gott weiß was für schönen Dingen und wenn Ihr einmal nach Euren Worten handeln sollt – ja, da sind die Herren nicht zu Hause; da hüllt sich jeder in seinen alten Stolz und in seine alte Eigenliebe und thut, als ob er allein auf der weiten Welt wäre. Sprecht, wie Ihr denkt, und handelt, wie Ihr sprecht, das ist mein Grundsatz und dabei bleib' ich!«

Und Tante Bella schlug mit der flachen Hand auf ihre zusammengefaltete Stickerei.

»Sehr – orum gut – orum!« bestätigte Holm.

»Komm', Ottilie, wir wollen uns fertig machen; es ist die höchste Zeit. Sie gehen doch mit, Holm?« sagte Tante Bella und erhob sich.

»Allüberall, wohin Ihr mich führt, holdselige Frauen!« erwiderte Holm, sich, auf seinen Stock gestützt, ebenfalls erhebend, »denn der Abend ist schön und sehnlich schmachtet mein Herze nach des Windes Gesäusel durch Blüthenduft hauchende Bäume und nach der heiligen Fülle des Biers, so im Garten geschänkt wird, welcher ›zum Römer‹ heißt, bei Göttern und sterblichen Menschen.«

»In den Römer geht's heut' nicht, Holm; Rupertus' haben uns und Münzer's eingeladen, und uns auf die Seele gebunden, Sie mitzubringen.«

»Sei's,« scandirte Holm, während er den sich entfernenden Damen galant die Thür zum nächsten Zimmer öffnete, »denn auch dort ist ein Garten und gar nicht schlecht sind die Weine.«

Er schloß die Thür und sagte, sich zu Peter wendend in jenem ernsten Ton, den er immer annahm, sobald es sich um ernste Dinge handelte:

»Sagen Sie, Schmitzorum, was geht bei Euch vor? Die Kleine hat geweint, Tante Bella ist in einer fürchterlichen Gefechtsstimmung und Sie schauen so finster d'rein, wie ein Novembertag? Was hat's denn gegeben?«

»O nichts, nichts von Bedeutung,« sagte Peter Schmitz, indem er stehen blieb, sich mit der Hand über Stirn und Augen strich und dann seine Wanderung wieder begann.

»Hm,« brummte Holm; »nun, wie Ihr wollt. Was sagen Sie denn dazu, daß der Präsident bei uns gewesen ist und Münzer hat sprechen wollen?«

»Ja, ja,« erwiderte Peter zerstreut; »Bella hat mir's gesagt; ich habe gar nicht wieder daran gedacht.«

Holm schüttelte den Kopf; Peter Schmitz mußte sehr beschäftigt sein, wenn ihn ein Faktum, das ihm sonst das höchste Interesse eingeflößt haben würde, so gleichgiltig lassen konnte.

»Und was meinen Sie dazu, daß Münzer die Aufforderung des Präsidenten, ihn zu besuchen, angenommen hat und in diesem Augenblick auf dem Wege zu ihm ist?«

»Das ist nicht möglich,« sagte Peter Schmitz, sich auf dem Absatz herum zu Holm wendend mit großer Heftigkeit.

»Was ich Ihnen sage.«

»Münzer läßt sich in einen persönlichen Verkehr mit unsern schlimmsten Feinden ein,« fuhr Peter, dicht vor Holm tretend, leidenschaftlich fort; »mit diesem Präsidenten, der so glattzüngig und so falsch ist, wie sie Alle sind, diese Hohensteins, die Gott ver –«

Er schlug sich vor den Kopf: »ruhig, Peter, ruhig!« murmelte er, trat an's Fenster und trommelte mit den Fingern gegen die Scheiben.

Holm hatte Peter während ihrer vieljährigen Bekanntschaft noch nie so aufgeregt gesehen. Die Gewißheit, daß seinen Freunden ein Leid zugestoßen sein mußte, legte sich wie ein Alp auf des braven Mannes Seele. Aber sein unverwüstlicher Lebensmuth ließ sich nicht so leicht einschüchtern.

»Hören Sie, Schmitzorum,« sagte er, »was Ihnen auch passirt sein mag – eine Kleinigkeit wird's just nicht gewesen sein, das sehe ich Ihnen wohl an; aber – auch Patroklus ist gestorben und er war mehr, als Du. Sie haben in Ihrem Leben schon so viel Schlimmes erfahren, – da mag das nun so mit in den Kauf gehen. Sie wissen, daß mir das Schicksal gerade auch nicht allzuglimpflich mitgespielt hat; aber ich sage mit dem Prediger: Alles ist eitel: Freud' und Leid und Leid und Freud', nur das Eine nicht, daß man ein ehrlicher Kerl ist und bleiben wird, trotz allen Schelmen und Hallunken. Das ist die Hauptsache, mit der verglichen alles Andere eigentlich nur Spaß ist. Und nun kommen Sie, ich höre Tante Bella schon mit ihrem Schlüsselbund. Und noch Eines, Schmitz: sagen Sie den Frauen und vor Allem Clärchen nicht, wo Münzer ist. Ich halte, offen gestanden, die Sache gar nicht für so wichtig; aber es ist doch besser … Ei, da sind sie, die Hulden; nun auf zum milden Rupertus!«

Clärchen Münzer war bereits zum Ausgehen fertig, als die Gesellschaft, sie abzuholen, kam. Daß ihr Gatte auch diesmal – in Wahlangelegenheiten, wie Holm sagte, – wie schon so oft, verhindert war, schien sie sehr zu verstimmen. »Dann wollen wir auch zu Hause bleiben, Karl,« sagte sie, indem sie den Hut abnahm. Karl fing an zu weinen und wünschte zu wissen: weshalb er denn heute den ganzen Sonnabend-Nachmittag zu Hause geblieben sei und seine Arbeiten gemacht habe, wenn er nun doch nicht zu Wilhelm Rupertus solle? und weshalb Mama ihn nicht auch schon vor einer Stunde zu Bett geschickt habe, wie Ella'n, obgleich er keinen Husten habe, und heute eine ganze Bank heraufgekommen sei? – Onkel Holm schlug sich in's Mittel, und seinem und der Andern Zureden gelang es, Clärchen zu bewegen, den Hut wieder aufzusetzen, und auch Carl das Mitgehen zu erlauben.

»Ich thue es ungern,« sagte Clärchen; »ich fürchte, ich werde wenig zu Eurer Unterhaltung beitragen.«

»Ist auch nicht nöthig,« sagte Holm; »denn wir bestreiten die Kosten allein, der Holm und die Tante.«

Holm nahm wieder Tante Bella's Arm, während Peter mit den beiden anderen Damen voranging und Carl bald bei der einen, bald bei der anderen Gruppe war. Es dunkelte bereits stark, während sie durch die engen Straßen schritten, in denen noch immer die drückende Schwüle des heißen Tages lag. Holm hatte seinen Strohhut in der Hand und verlangte einmal über das andere laut »nach des Stromes labendem Athem.«

»Nun hören Sie endlich einmal auf, Holmchen,« sagte Tante Bella, »wir kommen dadurch nicht eine Minute früher hin.«

»Ebenso wenig, als Ihr durch Eure melancholischen Gesichter die Ursache eurer Melancholie aus dem Wege räumt,« entgegnete Holm in seinem ernsten Ton.

Tante Bella kannte diesen Ton ganz genau und wußte sofort, daß der treue Freund ihr nur Gelegenheit geben wollte, sich auszusprechen. Wie sehr ihr dies ein Bedürfniß war, bewies der Umstand, daß sie sofort in Thränen ausbrach und schluchzend sagte: »Ach, Holmchen, wir sind einmal wieder recht unglücklich.«

»Das sehe ich,« erwiderte Holm, »und das schmerzt mich, um so mehr, als die Sache so wichtig zu sein scheint, daß Ihr selbst mir gegenüber ein Geheimniß daraus machen zu müssen glaubt.«

»Bewahre, Holmchen,« sagte Tante Bella eifrig; »ich habe blos auf einen Augenblick gewartet, wo ich ungestört mit Ihnen würde sprechen können.«

»Na, dann schießen Sie los, Tante Bella!« sagte Holm ungeduldig; »Carlorum, lauf' ein wenig vorauf, mein Sohn; ich falle sonst noch über Deine Beine.«

»Die Sache ist die,« sagte Tante Bella, ihre Thränen trocknend, »daß der arme Eugen in grausam zerrütteten Verhältnissen gestorben ist; in viel schlimmeren, als Peter nur irgend gedacht hat, und aus Eugen's Büchern, die schrecklich unordentlich geführt gewesen sind, hat vermuthen können. Gestern und heute sind von dem Advokaten, den Peter in Thüringen angenommen hat, noch so viele Schuldforderungen gemeldet, daß Peter nicht aus noch ein weiß, wie er alle die Leute befriedigen soll. Und dabei ist noch gar kein Ende abzusehen – was das Allerschlimmste ist. Nun können Sie sich des armen Peter's Lage denken! Er, der so stolz auf seinen ehrlichen Namen ist und nun blos dazwischen zu wählen hat, ob er sich selbst ruiniren, oder ob er zugeben will, daß sein Bruder, sein einziger Bruder, als Banquerotteur aus dem Leben gegangen ist.«

»Hm, eine böse Alternative!« brummte Holm, »und die kleine Ottilie weint sich darüber die schönen Augen aus dem Kopf.«

»Ottilie!« sagte Tante Bella eifrig; »wo denken Sie hin, Holmchen! Ottilie weint über ganz was Anderes – denken Sie nur – doch davon nachher! Sie weiß von nichts. Wie mögen Sie glauben, daß Peter so schreckliche Sachen an das arme Kind herankommen ließe! Und das ist es eben. Sie kennen Peter ja. Er muß Jemand haben, den er aus voller Seele lieben kann. So hat er Gretchen geliebt und liebt sie auch wohl noch und so liebt er jetzt seine Kleine, wie er sagt, als ob ich gar keinen Theil an ihr hätte und als ob sie nicht jetzt mein Kind wäre, so gut wie seins. Aber freilich, nach mir fragt er nicht, fragt Niemand; ich bin das schon lange gewohnt und kümmere mich auch nicht mehr darum; aber das soll mich nicht abhalten, daß ich meine Verwandten liebe und mich Tag und Nacht quäle, wie das nun mit Peter werden soll. Eher, als er Ottilien den Schmerz bereitet, ihren Vater als Banquerotteur in den Zeitungen zu lesen – denn auf eine oder die andere Weise würde es ja doch an sie kommen – eher versucht Peter das Aeußerste, giebt Alles auf, und fängt noch einmal wieder – ich weiß nicht, zum wie vielten Mal in seinem Leben – von vorn an. Und Holmchen, das kommt Ihnen auch zu Haus und Hof, denn die Zeitung wird Peter dann auch wohl nicht halten können, und ob jetzt, wo die Leute schon wieder so abgekühlt sind, wie Peter sagt, neue Aktionäre zu einem so demokratischen Blatt sich finden werden, das, sagt Peter, sei mehr als zweifelhaft. Nun habe ich Petern gesagt, so solle er doch die Zeitung weniger demokratisch machen, aber da wurde Peter so zornig und fragte mich: ob ich ihm nicht etwa rathen wolle, daß er sich der Reaction verkaufte und ein schlechter Kerl würde. Und ich hatte es doch nur gut gemeint und ich verstehe ja von eurem ganzen politischen Kram nichts!«

Tante Bella mußte wieder Zuflucht zu ihrem Taschentuch nehmen.

»Hm, hm!« brummte Holm, »das sieht allerdings schlecht aus. Aber, Tante Bella, wenn Peter sich nur sonst über Wasser halten kann, so mag die Zeitung über Bord gehen; sie wird's doch über kurz oder lang. Ich will offen gegen Sie sein, Tante Bella; Sie sind ja ein verständiges Frauenzimmer; hören Sie einmal ganz ruhig zu. Das mit dem Weniger-demokratisch machen ist allerdings ein Nonsens, mit Ihrer Erlaubniß; wir Alle könnten nicht zurück, selbst wenn wir wollten, und, was viel mehr ist: wir wollten nicht zurück, selbst, wenn wir könnten. Peter hat ganz recht: das ist ein schlechter Kerl, der den Posten verläßt, welchen er sich selber ausgesucht hat; aber, merken Sie auf, Tante Bella: der Posten, auf dem wir stehen, ist ein verlorener Posten. Die Andern wollen das freilich nicht einräumen; ich aber bin ein ruhiger Kopf und ich glaube ganz deutlich zu sehen, wie die Sache liegt. Die Revolution ist zu schnell gekommen und hat uns Alle mehr oder weniger unvorbereitet gefunden. Der Adel, das Militair, die Beamten zum größten Theil haben sich von ihrem Schrecken erholt und waffnen sich in aller Stille; die Bourgeoisie, wie unser Freund Rupertus, wimmert nach Ruhe um jeden Preis, und in dem eigentlichen Volke haben wir keinen Boden, auf den wir mit Sicherheit bauen könnten. Die Bewegung ist bereits in ihrem Niedergang und über kurz oder lang wird der Gegenchoc der Reaction gegen den Choc der Revolution eintreten. Ich kann Ihnen nicht alle meine Gründe für diese Annahme auseinandersetzen und es ist das auch nicht nöthig. Ich will damit nur beweisen, wie unsere Zeitung so wie so eine Todescandidatin ist; und wenn der Volksbote, wie es ja nun doch der Fall zu sein scheint, auf den Ausfall der Wahlen in der Provinz in unserem Sinne günstig gewirkt hat, so hat er, meiner Meinung nach, seine Pflicht gethan, hat seinen Lohn dahin und kann ruhig sterben.«

»Aber Holmchen,« sagte Tante Bella, »Peter hat ja gerade auf den Aufschwung der Zeitung so viele, ja, ich glaube, alle seine Hoffnungen gesetzt! Und was soll denn aus Ihnen? was soll aus Münzer's werden?«

»Hm,« sagte Holm, »was Peter betrifft, so hat er, wie Sie selbst sagen, schon mehr als einmal in seinem Leben von vorn angefangen. Dergleichen Kraftstücke werden freilich mit jedem Jahre schwerer, aber Peter ist eben ein Kraftmensch und kann mehr als Andere. Ich habe ein unbedingtes Vertrauen zu seiner Klugheit, seinem Muth, seiner Energie. Mir ist immer, als brauchte man für sein Schicksal so wenig besorgt zu sein, wie für Regen und Sonnenschein. – Münzer wird in wenigen Tagen zur Vereinbarungsversammlung abgehen; wir sind jetzt – es müßten denn ganz absonderliche Zwischenfälle eintreten – unserer Sache sicher. So hat er vorläufig ein neues Feld für seine Thätigkeit, das ihm mehr zusagen wird, als Zeitungschreiben; ja, wer weiß, welcher große Mann sich in aller Schnelligkeit aus unsrem Freunde entpuppt! Nun, und was mich anbetrifft –«

Holm schwieg einen Augenblick und seine Stimme klang ein wenig dumpfer, als er fortfuhr:

»Mich würde der Schlag am härtesten treffen. Ich bin kein Jüngling mehr, Tante Bella; ich habe weder Peter's unverwüstliche Energie, noch Münzer's glänzenden Genius; aber was thut's! Der uralte, ewige Vater, der die Lilien auf dem Felde kleidet und allem Gethier auf Erden seine Speise giebt zu seiner Zeit – er wird den alten Holm nicht verlassen. Wer gern tanzt, dem ist bald aufgespielt, und wer wie ich, wenig Ansprüche macht, dem ist leicht geholfen. Also, Tante Bella, was die Zukunft angeht, so wollen wir uns über die nicht die Köpfe zerbrechen. Aber, Sie haben mir noch nicht Alles gesagt. Weshalb hat Ottilie geweint? und weshalb ist Peter so verstimmt? Ihr habt noch etwas Anderes auf dem Herzen, gestehen Sie es nur, Tante Bella!«

»Nun, wenn Sie es durchaus wissen wollen, so muß ich es Ihnen wohl sagen,« entgegnete Tante Bella, die nichts eifriger wünschte, als ihr Herz in den Busen des vielerprobten Freundes ausschütten zu dürfen. »Sie müssen sich aber gegen Peter nichts merken lassen, Holmchen, denn Sie wissen, in Allem, was mit Gretchen zusammenhängt, ist er von einer wunderlichen Empfindlichkeit. Hören Sie zu, Holmchen, und lassen Sie uns etwas schneller gehen, wir bleiben sonst gar zu weit zurück. Ich habe Ihnen doch erzählt, wie liebenswürdig Gretchen gegen mich und die Kleine gewesen ist, als wir vorgestern Abend zu ihr kamen? Nun sind wir auch gestern einen Augenblick da gewesen, und Gretchen hat Ottilie geküßt und geherzt, daß mir wirklich die Thränen über die Backen gelaufen sind, und dann sind wir gleich wieder fortgegangen, weil Gretchen wieder zum Wolfgang hinauf mußte. Heut' nun, wo ich die Kleine wieder hingeschickt hatte, weil Gretchen es doch gar so eifrig wünschte, findet sie Gretchen in Thränen aufgelöst, ganz außer sich, so daß Ottilie nicht anders denkt, als der Wolfgang ist gestorben, und Gretchen um den Hals fällt, das liebe, herzige Mädchen! – und mit an zu schluchzen fängt. Na, und da kommt es denn heraus: unser lieber Herr Schwager will nicht, daß Ottilie in sein Haus kommt: denn das ist der Kern von all' den Redensarten, mit denen Gretchen natürlich die Sache so viel als möglich zu vertuschen gesucht hat. Das arme Gretchen! sie thut mir wahrhaftig leid; aber sie ist doch auch gar zu schwach. Sie können sich denken, Holmchen, wie Ottilie, die Augen noch roth vom Weinen, nach Hause kam und – ich dummes Frauenzimmer! – ich muß Petern natürlich Alles erzählen, als ob er nicht schon so genug Kummer hätte und ich nicht wüßte, daß ihn diese neue Schändlichkeit unseres sauberen Herrn Schwagers tiefer kränken würde, als alles Andre. Ich könnte mich ohrfeigen, wenn ich daran denke.«

»Das würde Ihnen und Petern nicht viel helfen,« sagte Holm; »aber ich will Ihnen einen anderen Vorschlag machen. Lassen Sie uns einen Bund schließen zu Schutz und Trutz gegen die Melancholie, die sonst in unserer Gesellschaft überhand nimmt und einen ehrlichen Kerl aus allen Sinnen herausängstigen könnte, und lassen Sie uns gleich heute Abend damit anfangen. Wollen Sie?«

»Gewiß will ich, Holmchen,« sagte Tante Bella eifrig; »Sie haben auch wirklich Recht: es ist nicht mehr zum Aushalten, dies ewige Geseufze und Gebrumme. Und haben Sie denn wohl bemerkt, wie verstimmt Clärchen heute Abend ist? Ich sage Ihnen, Holmchen: es nimmt kein gutes Ende mit den Beiden. Sie passen nicht zu einander, Holmchen, Clärchen ist viel zu gut für ihn. Das habe ich mir gesagt und dabei bleib' ich. Er will immer oben hinaus, und wie's in seinem Hause zugeht, davon weiß er nichts, will es auch nicht wissen. Herr Gott! da sind wir ja schon! Nein, wie kurz mir heute der Weg vorgekommen ist!«

Der Rentier Wilhelm Rupertus, vor dessen reizender Villa die von dem Staub und der Hitze des langen Weges ermüdete Gesellschaft so eben anlangte, war mit der Familie Schmitz schon seit langer Zeit befreundet gewesen, mit Münzer's und mit Holm aber erst seit dem Anfang dieses Jahres, seit der Gründung des Volksboten, bekannt geworden. Wilhelm Rupertus war reich genug, um sich einige politische Freisinnigkeit wohl erlauben zu können, um so mehr, als man von Seiten des Gouvernements die in der That sträfliche Vergeßlichkeit gehabt hatte, einen Mann von solchen Verdiensten um den Aufschwung seiner Vaterstadt, weder zum Commerzienrath, noch zum Inhaber des blauen Geierordens vierter Classe, noch überhaupt glücklich, zufrieden und conservativ zu machen. Wilhelm Rupertus trug dieses Gefühl des Nicht-hinreichend-gewürdigt-Seins überall und zu jeder Zeit mit sich herum, und er citirte gerne aus dem bekannten Monolog des geharnischten Wallenstein's Stellen, wie: »Du hast's erreicht, Octavio!« oder: »den Schmuck der Zweige habt ihr abgehauen,« oder: »da steh' ich, ein entlaubter Stamm!« obgleich es meistens sehr schwer, oder geradezu unmöglich war, auch nur die entfernteste Beziehung solcher Citate zur Situation des Citirenden aufzufinden. Denn wenn irgend Einer keine Ursache hatte, mit seinem Schicksal zu hadern, so war es Herr Wilhelm Rupertus. In der Fülle der Manneskraft strotzend von Gesundheit, im Besitz eines bedeutenden, von den Vätern ererbten und durch eigenen Fleiß verdoppelten Vermögens, verheirathet mit einer nicht eben schönen, aber braven und klugen Frau, auf die er nicht ohne Grund stolz war, Vater einer Reihe blühender, hübscher Kinder, die er sehr liebte – er selbst von Herzen ein guter Mensch, der Niemanden zu nahe trat und Jedem das Seine wünschte – und doch nicht zufrieden! Ja, so unzufrieden, daß er, als Peter Schmitz, mit dem er schon oftmals in Geschäftsverbindung gestanden hatte, den Volksboten gründen wollte, sich mit einer ansehnlichen Summe an dem Unternehmen betheiligte, obgleich Niemand von politischem Radicalismus entfernter sein konnte, als Wilhelm Rupertus. – »Er ist so ein Stück von einem Herostratus,« pflegte Münzer zu sagen, »und seine Aktien zum Volksboten sind die Fackeln, die er in den Tempel der Diana schleudert.«

Herr Rupertus und seine Gattin Anna empfingen ihre Gäste auf das Freundlichste und eine halbe Stunde später saß die Gesellschaft um einen herrlich servirten Tisch in dem neuen Gartensaal, den sich Rupertus erst in diesem Frühjahr hatte bauen lassen und auf den er sich nicht wenig zu gute that. In der That war die Anlage kostbar und geschmackvoll. Von den Fenstern und noch bequemer von dem Balkone vor den Fenstern blickte man an dem breiten Strom hinauf zur Stadt, deren unzählige Lichter sich in dieser Stunde in den dunkeln Fluthen spiegelten. Der Balkon hing bereits über dem schmalen, sandigen Uferwege, von dem eine hohe Mauer den Garten trennte. Durch ein eisernes Gitterthor konnte man auf den Uferweg und zu ein paar zierlichen Ruderböten gelangen, die sich in einer kleinen mit Weidenbüschen umhegten Bucht auf dem an dieser Stelle ziemlich tiefen Wasser schaukelten.

Natürlich wurden die mit so vieler Mühe und so großen Kosten ausgeführten neuen Anlagen des gastfreundlichen Mannes von seinen Gästen gebührend gepriesen und bewundert, vor allem von Dr. Holm und Tante Bella, die ganz enthusiastisch in ihrem Lobe waren. Dr. Holm verglich in einer pathetischen Rede Wilhelm Rupertus mit dem Balladen-Könige, der, auf seines Daches Zinnen stehend, vergnügt auf das beherrschte Samos schaute, und rieth ihm (Wilhelm Rupertus) von dem Balcone irgend eine Kostbarkeit in den vorüberrauschenden Strom zu werfen, – die Flasche herrlichen Aßmannshäusers etwa, die er zu entkorken im Begriff stand – und so die neidischen Götter zu befriedigen.

»Sie haben gut spotten, Doctor!« sagte Rupertus, den Stöpsel herausziehend und mit dem dunkelrothen Wein reine Gläser füllend; »Sie sind ein Mann, der einen Namen hat; jedes Kind auf der Straße, möchte ich sagen, kennt Sie; da kommt kein Künstler in unsre gute Stadt, der Ihnen nicht zuerst seine Aufwartung machte und Sie um Ihre Fürsprache und Ihre Protection anginge. Sie sind eine Macht – ja, und wenn Sie nur wollten, Sie könnten sich, wie Freund Münzer nach der Residenz, so nach Mainstadt in's Parlament wählen lassen; ich habe mehr als Einen sagen hören: das wäre unser Mann, aber er will ja nicht. Aber ich! was könnte ich denn, wenn ich auch wollte! Ich bin ein entlaubter Stamm, ein obscurer Bürger – ein dummer Bourgeois, wie Ihr sagt, wenn Ihr unter euch seid! Nein, Doctor, da müßte es noch anders kommen, wenn ich meinen schönen Aßmannshäuser in den Rhein gießen soll.«

Doctor Holm hob Augen und Hände zur blauen, mit goldenen Sternchen geschmückten Saaldecke empor und rief:

»Jüngling von trotziger Red', Unbändiger! welcherlei Schmähung sprachst Du wider sie aus, die ewig waltenden Götter! Höret ihn nicht, den Frevler, Ihr Himmlischen!«

Aber Rupertus war nicht so leicht von seiner Meinung abzubringen.

»Ach was, Doctor,« sagte er, »ich habe doch Recht. Etwas muß Jeder haben, woran er sich halten kann. Ihr geistreichen und gelehrten Herren haltet Euch an eure Gelehrsamkeit und euren Ruhm; wir ungelehrtes Volk haben nichts als ›uns selbst,‹ wie Wallenstein sagt, oder, unser bischen Geld, wie Ihr sagen werdet, und was wir uns, für unser Geld schaffen können. Nun, da könnt Ihr es uns doch auch nicht verdenken, wenn wir auf Haus und Hof und Garten und so weiter ein großes Gewicht legen und gern Alles so schön und vollkommen als möglich haben möchten. Und dazu gehört viel; bald fehlt es hier, bald fehlt es da; man kommt nicht zur Ruhe und Zufriedenheit. Ihr habt die Freundlichkeit gehabt, meinen Garten zu loben. Nun ja, die Lage ist schön, das gebe ich zu; aber offenbar ist er doch für eine stattliche Besitzung, wie ich Sie mir wünsche und – weil ich eben nichts Anderes habe – wünschen muß, viel zu klein. Auch fehlt es an alten und hohen Bäumen, wie sie nebenan in dem Garten der Frau von Hohenstein zu Dutzenden stehen. Wenn ich den Garten noch zu dem meinigen bekommen könnte! das wäre doch noch etwas! Herr des Himmels, was habe ich nicht schon für Anstrengungen gemacht! Ich habe der gnädigen Frau unter der Hand zwei-, dreimal so viel bieten lassen, als die Anlage werth ist; aber sie will nichts davon hören. Freilich, der Garten ist so still und verschwiegen und da ist er allerdings wohl unbezahlbar für meine galante Nachbarin.«

»O, Wilhelm, das ist nicht hübsch!« sagte Frau Rupertus.

»Nun, nun,« meinte ihr Gatte, »ich will der Gnädigen damit nichts Schlimmes nachgesagt haben; ich spreche nur nach, was alle Welt sagt. Kenne sie übrigens nur von Ansehen und schön ist sie, das muß ihr der Neid lassen. A propos, Frau Doctor! wie findet denn Ihr Gemahl die Gnädige? Er ist ja ein Kenner.«

»Mein Mann?« sagte Clärchen, die, als Rupertus sie anredete, wie aus einem Traum erwachend, zusammengefahren war; »ich glaube nicht, daß Bernhard die Dame jemals gesehen hat.«

»Ha, ha, ha!« lachte Rupertus, »das nenne ich discret sein! Ei, da dürfte ich wohl eigentlich auch nicht darüber sprechen?«

»Ueber was und über wen?« fragte Clärchen ernst.

»Was Du auch Alles schwätzst!« sagte Frau Rupertus.

»Na, nur heraus mit der Sprache, sonst denkt die kleine Frau noch Wunder, was für Geheimnisse Sie in petto haben!« sagte Tante Bella ärgerlich.

»Aber mein Himmel, lassen Sie mich doch nur zu Wort kommen,« rief Herr Rupertus; »ich will ja dem Doctor gar nicht Ehre und Reputation für immer abschneiden! Was kann ich denn dafür, daß er vorgestern Abend, als die Leute vor dem Hause der gnädigen Frau in der Stadt Cravall machten – mein Schlingel von Gärtner ist auch dabei gewesen und hat's mir erzählt – sich in's Mittel gelegt und vom Balcon der gnädigen Frau aus eine wunderschöne Rede gehalten hat. Das hätten wir doch Alle auch gethan, bis auf die schöne Rede natürlich, die zum wenigsten ich armer Tropf nicht hätte halten können. Kommen Sie, meine Herrschaften! lassen Sie uns auf das Wohl unseres abwesenden Freundes trinken; Dr. Münzer soll leben!«

»Und dann bitte ich, daß wir auf das Wohl unserer neuen jungen Freundin trinken und möge sie unter uns eine zweite Heimath finden!« sagte die gute Frau Rupertus, und umarmte und küßte die neben ihr sitzende Ottilie.

Die Gläser klangen an einander. Die Wolke, die Herr Rupertus, ohne es zu wissen oder zu wollen, heraufbeschworen, schien glücklich vorübergezogen und Holm und Tante Bella sorgten dafür, daß es an Stoff zu einer heiteren, gemüthlichen Unterhaltung nicht wieder fehlte. Holm gestand Bella die Liebe, die er seit fünfundzwanzig Jahren in stillem feinen Herzen für sie getragen haben wollte, und daß nur ein Umstand sei, der ihm einen formellen Heirathsantrag bis jetzt unmöglich gemacht habe und noch unmöglich mache. Er habe trotz seiner ausgesprochenen demokratischen Grundsätze eine heimliche Schwäche für den Adel und habe sich schon als zarter Jüngling geschworen, ein adeliges Fräulein oder gar keine zu heirathen. Nun stehe es aber bis auf diesen Tag noch nicht fest, ob das zu neun Zehntheilen verstümmelte, aber unzweifelhaft adelige Wappen über der Thür des Hauses in der Ufergasse wahr und wahrhaftig das Schmitz'sche, oder, wie es dann wohl heißen müßte, das von Schmitz'sche Wappen sei, und so lange er darüber keine Gewißheit habe, müsse er auf ein Glück verzichten, dessen er allerdings – er bekenne es aus reumüthigem Herzen –sich auch außerdem gänzlich unwürdig fühle.

Tante Bella blieb dem gutmüthigen Spötter die Antwort nicht schuldig.

»Ich will Ihnen mal was sagen, Holmchen,« antwortete sie, »wenn Sie mich zur Frau nähmen, so wäre das wahrlich nicht der dummste Streich, den Sie in Ihrem Leben begangen hätten. Ich bin freilich nicht ganz so schön, wie die italienische Gräfin, von der Sie uns in schwachen Stunden erzählt haben, auch wohl nicht ganz so jung; aber Holmchen, Sie sind, seitdem Sie vor fünfundzwanzig Jahren in Rom waren, auch nicht jünger geworden und schöner auch nicht.«

»Ich rufe alle Götter zu Zeugen dieses Frevels an!« rief Holm, »nicht jünger! – das gebe ich zu – aber nicht schöner! Tante Bella, ich sage Ihnen, daß ich so schön bin, wie ich es nie gewesen!«

»Möglich!« sagte Tante Bella, »aber, Holmchen, Sie haben trotz alledem nur noch einen Schritt vom Junggesellen zum Hagestolz. Besinnen Sie sich, so lange es Zeit ist! ich werde nicht ewig auf Sie warten können, denn endlich muß ich doch einmal unter meinen Freiern wählen; ich komme sonst am Ende auch noch über die Blüthe meiner Jahre hinaus.«

»Holdes Wesen,« rief Holm, »hier mein Herz und meine Hand!«

»Und wenn ich Sie nun vor allen diesen Zeugen beim Wort nähme!« rief Tante Bella mit einem scharfen Blick ihrer dunkeln Schmitz'schen Augen.

»Ihr Götter!« rief Dr. Holm, die ausgestreckte Hand so schnell zurückziehend und ein so komisch-verblüfftes Gesicht machend, daß Herr und Frau Rupertus, Peter Schmitz und selbst Ottilie lächeln und lachen mußten.

Das Läuten eines vorüberfahrenden Dampfers drang durch die offenen Fenster in den Gartensaal. »Nun passen Sie auf, meine Herrschaften, wie die Wellen sogleich an's Ufer rauschen werden!« rief Herr Rupertus; »hören Sie wohl! ist das nicht famos!«

In diesem Augenblicke ertönte ein ängstlicher Knabenschrei von dem Platze her, wo die Böte am Ufer befestigt waren.

»Um Gott, wo sind die Kinder!« rief Clärchen Münzer aufspringend.

Carl und Wilhelm waren längst vom Tische aufgestanden; Niemand hatte darauf geachtet, daß sie schon seit einer halben Stunde den Gartensaal verlassen hatten.

Und wieder tönte der ängstliche Schrei: Hülfe, Hülfe! durch das Rauschen der vom Dampfer aufgewühlten Wogen, die sich jetzt mit Macht zwischen den Weiden des Ufers brachen.

Frau Rupertus hatte der Schrecken gelähmt. Todtenbleich, zitternd an allen Gliedern, schwankte sie aus ihrem Stuhl empor, um Tante Bella und Ottilien ohnmächtig in die Arme zu fallen. Aber Clärchen eilte nach der Thür, die Treppe hinab, ihr zur Seite Rupertus und Onkel Schmitz, während Dr. Holm ihnen so schnell folgte, als es bei ihm seiner Lahmheit irgend möglich war.



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