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D er Präsident von Hohenstein war, nachdem er die Redaction des Volksboten verlassen, an einer der nächsten Straßenecken stehen geblieben, augenscheinlich unschlüssig, welchen Weg er zunächst einschlagen solle. Dann hatte er eine vorbeifahrende Droschke angerufen und sich zu Frau Antonie von Hohenstein fahren lassen. Er fand Antonie im Begriff, einen Spazierritt zu machen, und wurde in Folge dessen, vielleicht auch, weil die gnädige Frau, wie es schien, überhaupt in sehr übler Laune war, ziemlich ungnädig empfangen. Der Präsident wollte die schöne Schwägerin gar nicht aufhalten, er wollte sie nur im Namen seiner Damen und in seinem eignen Namen – hier verbeugte sich Herr von Hohenstein mit der ihm eigenthümlichen geschmeidigen Höflichkeit – daran erinnern, daß heute Empfangsabend in seinem Hause sei. Dann erwähnte er – ganz zufällig – seines Gegners, des Dr. Münzer, welcher, sehr wahrscheinlich wenigstens, heute Abend ebenfalls zum Thee kommen werde, und dann seufzte er und meinte: »Wenn ich Jemand wüßte, der diesen Mann auf unsere Seite bringen oder unschädlich machen könnte, ich – aber, ma chère Antonie, da stehe ich und schwätze und thue, als ob ich nicht sähe, wie Sie vor Aerger über diesen Aufenthalt an den schönen Lippen nagen, und nicht hörte, wie Ihr Pferd die ganze Straße in Allarm scharrt. Adieu, ma belle! Kommen Sie nicht zu spät, und reiten Sie deshalb nicht so weit!«
Der Präsident lächelte, verbeugte sich, lächelte und verschwand, tippte unten im Vorbeigehen mit der Spitze des Zeigefingers Antonien's Pferd auf den schlanken Hals und schritt dann, die schmalen langen Hände auf dem langen schmalen Rücken, durch die engen, menschenerfüllten, lärmenden Gassen dahin. Obgleich er die Augen kaum von seinen zierlichen Lackstiefeletten zu erheben schien, bemerkte er doch offenbar Alles, was um ihn vorging. Der Gruß auch des geringsten Handwerkers wurde verbindlichst erwidert; einem Knaben, der weinend neben den Scherben eines Bierkruges, welcher den ungeschickten Händen entglitten war, stand, schenkte er ein Zehngroschenstück (zur größten Genugthuung einer Schaar alter Weiber, die seit einer Viertelstunde eifrig auf den Buben eingeredet hatten) und sagte dabei (mehr zu den Weibern, als zu dem Knaben:) »Wenn Dein Vater Dich fragt: wie Du zu dem Gelde kamst, sage nur: der Präsident von Hohenstein habe es Dir gegeben.« In einer andern Straße trat er auf die Seite, um eine Prozession in eine Kirche ziehen zu lassen, und blieb mit unbedecktem Haupte stehen, bis der letzte Wallfahrer in dem Portale verschwunden war – eine Aufmerksamkeit, die von den vielen Herumstehenden höchlich gebilligt wurde, von denen nicht Wenige den Präsidenten von Ansehen kannten und wußten, daß er, wie seine ganze Familie, nicht das Glück habe, der allein seligmachenden katholischen Kirche anzugehören.
So mit sorgsamen Händen nach rechts und links den billigen Samen der kostbaren Popularität ausstreuend, kam der Präsident zuletzt in ein ruhigeres Quartier der Stadt. Der Präsident hatte diese Straßen lange nicht gesehen, so lange nicht, daß sie ihm beinahe ganz fremd erschienen. Und doch war er in frühern Jahren oft hier gewesen. In einem Hause, das seinen schmalen hohen Giebel nach einem halb mit Gras bewachsenen kleinen Platz kehrte, der auf zwei Seiten von düstern Klostergebäuden begrenzt wurde, hatte drei Treppen hoch ein wunderhübsches Mädchen gewohnt, in die der Auscultator von Hohenstein leidenschaftlich verliebt gewesen war und die ihrerseits den vornehmen schlanken jungen Mann noch viel leidenschaftlicher geliebt hatte. Der Präsident erinnerte sich, daß er auf derselben Stelle, auf welcher er jetzt einen Moment stehen blieb, um nach dem Giebelhause hinüber und hinauf zu blicken, vor nun ungefähr dreißig Jahren in einer schönen Maiennacht von der braunäugigen Agathe Abschied genommen hatte, da er am nächsten Morgen in die Residenz reisen mußte – nur, um sein zweites Examen zu machen und dann wieder zu kommen, wie er dem weinenden Mädchen sagte, in Wirklichkeit aber, um viele Jahre wegzubleiben. Er hatte die kleine Agathe nicht wiedergesehen; er wußte nicht, was aus ihr geworden war; einmal hatte er, aber nicht als bestimmt, gehört, das Mädchen habe einen schlechten Lebenswandel angefangen und sei später in der Charité der benachbarten Universitätsstadt elend gestorben. Es war eine unbequeme Reminiscenz und der Präsident hielt sich nicht lange dabei auf; er hatte Wichtigeres zu thun und er beeilte seine Schritte, bis er in die breite Straße gelangte, in welcher, wie er wußte, das Haus seines Bruders lag. Es war eine stille, melancholische Straße; die eine Seite wurde von der langen hohen Mauer des Klosterhofes, über welche uralte Bäume ihre zum Theil verdorrten, zum Theil mit jungem Laub geschmückten Aeste streckten, begrenzt. Die Häuser auf der andern Seite waren meistens zweistöckig und sahen sich, da ihre Wände alle mehr oder weniger mit Weinspalieren bekleidet waren, so ähnlich, daß der Präsident nach einigem Suchen daran verzweifelte, das rechte zu finden und es für das gerathenste hielt, eine Dame in Trauerkleidung, die eben aus einem der Häuser getreten war und ihm in diesem Augenblicke den Rücken wandte, nach der Wohnung des Herrn Stadtraths von Hohenstein zu fragen. Die Dame kehrte sich auf das höfliche: »Erlauben Sie Madame –« um und der Präsident erkannte zu seinem Erstaunen das schöne junge Mädchen, das er vor einer Stunde in dem Giebelfenster des Schmitz'schen Hauses gesehen hatte. Das reizende Gesicht des Mädchens trug unverkennbare Spuren von Schmerz oder Bestürzung, ja der Präsident glaubte zu bemerken, daß die großen blauen Augen noch eben erst geweint hatten.
»Ah, mein Fräulein, ich hatte, wenn ich nicht sehr irre, heute Nachmittag schon einmal das Vergnügen; verzeihen Sie mir als einem nahen Verwandten der Schmitz'schen Familie die Neugier, mich nach Ihrem Namen zu erkundigen; ich heiße von Hohenstein, Präsident von Hohenstein.«
Und der Präsident verbeugte sich anmuthig, den Hut über dem rechten Ohre haltend.
»Mein Name ist Ottilie Schmitz,« erwiderte das junge Mädchen, dem, als der Präsident seinen Namen nannte, das Blut in die Wangen geschossen war.
Der nahe Verwandte der Familie Schmitz war in der Genealogie dieses ehrenwerthen Geschlechts keineswegs hinreichend bewandert, um durch diese kurze Antwort vollkommen befriedigt zu werden. Er sagte deshalb: »Ah, in der That, Fräulein Ottilie Schmitz? Ich erinnere mich. Und Sie haben einen Trauerfall in der Familie gehabt, Fräulein Schmitz?«
»Mein Vater,« erwiderte Ottilie, deren Verwirrung mit jedem Augenblick größer wurde.
»O!« sagte der Präsident, »das ist ja recht schmerzlich. Ihr Herr Vater! – Aber ich halte Sie in unverantwortlicher Weise auf. Ich hoffe, noch öfter das Vergnügen zu haben –«
Der Präsident trat mit einer tiefen Verbeugung auf die Seite, und Ottilie entfernte sich eilends, nachdem sie mit niedergeschlagenen Augen und hoch erröthenden Wangen den Gruß kaum erwidert hatte.
»Hm!« murmelte der Präsident, »ein hübsches Mädchen; Ottilie Schmitz, Nichte oder so was vermuthlich von meiner vortrefflichen Schwägerin, möglicherweise in einiger Zeit auch mit uns verschwägert. Ich muß in die Sache Klarheit bringen. Clotilde hat sich, wie es scheint, in gewohnter Weise wieder einmal zu tief eingelassen. Es ist die höchste Zeit, daß ich die Angelegenheit in die Hand nehme. Jedenfalls ist dies Haus das rechte; da steht ja auch der Name auf dem Klingelschild.«
Der Präsident klingelte und fragte: ob der Herr Stadtrath zu Hause sei.
»Jessus Maria, Herr Präsident!« schrie die »dumme« Ursel, welche vor Jahren einmal im Hause des Präsidenten gedient hatte, und von den Zwistigkeiten der Familie Hohenstein hinreichend unterrichtet war, »nein, wird sich aber der Herr Stadtrath freuen! Wollen Sie hier in den Herrn sein Zimmer treten, Herr Präsident; ich will nur eben hinauflaufen und sagen, daß Sie hier sind.«
»Aber ich werde doch nicht stören, liebes Kind?«
»Jessus Maria, stören! Bitte, treten Sie näher, Herr Präsident.«
Ursel drängte fast den Präsidenten in das rechts vom Flur zu ebener Erde gelegene Zimmer ihres Herrn und machte die Thür hinter ihm zu. Der Präsident sah sich neugierig in dem Zimmer um; er war, so lange der Stadtrath verheirathet war, noch nie bei demselben gewesen. Er hatte sich die häusliche Einrichtung des Bruders – wenn er einmal, was selten geschah, daran dachte – immer klein, unbedeutend, armselig vorgestellt und war deshalb einigermaßen erstaunt, das gerade Gegentheil von dem Allen zu finden. Teppiche auf dem Fußboden, etwas alterthümliche, aber bequeme, sogar kostbare Meubel, seidene Gardinen vor den Fenstern, schöne Kupferstiche und treffliche Gypse an den in pompejanischem Roth gemalten Wänden. Stattlicher sah es in seinem eigenen Arbeitscabinet nicht aus. »Ja, ja, wir Hohensteins haben Geschmack,« sagte der Präsident; »es ist ein eigenes Ding um den Vorzug, aus guter Familie zu sein, man encanaillirt sich doch nicht so leicht, wie ich sehe. Hm, hm! Es wäre am Ende so übel nicht – wenn man nur des Alten sicher wäre.« –
Der mit Akten und Papieren bedeckte Arbeitstisch des Stadtraths erregte die Aufmerksamkeit des Präsidenten. Ein offener, mit großen plumpen Buchstaben geschriebener Brief lag so, daß man ihn – wenn man sich, wie der Präsident, scharfer Augen erfreute – noch aus einiger Entfernung bequem lesen konnte.
»Steht es so?« murmelte der Präsident, von dem Schreibtisch schnell zurücktretend und sich in die Betrachtung eines Bildes am entgegengesetzten Ende des Zimmers vertiefend; »so hat Clotilde also ausnahmsweise doch einmal das Gras wachsen hören. Das ist freilich etwas Anderes. – Ah! da bist Du ja, lieber Bruder! wie freue ich mich, daß ich Dich endlich einmal unter vier Augen sprechen kann!«
Der Präsident war dem in's Zimmer tretenden Stadtrath mit weit vorgestreckten Händen entgegengegangen, aber er stutzte unwillkürlich, als er das bleiche aufgeregte Aussehen des Bruders bemerkte.
»Mein Himmel, Arthur, Du bist krank; ich komme Dir ungelegen!«
»O nicht doch, nicht doch – ein wenig angegriffen – das ist Alles,« erwiderte der Stadtrath, mit bleichen Lippen lächelnd und die Hände des Bruders ergreifend; »ich freue mich, freue mich sehr, Dich bei mir zu sehen. Aber willst Du nicht Platz nehmen? Du kommst mir zuvor; ich würde mir heute Abend selbst die Erlaubniß genommen haben, Dich aufzusuchen. Wichtige Familienangelegenheiten, von denen ich in der That nicht weiß, was Du dazu sagen wirst …«
»Vorerst, lieber Bruder,« unterbrach ihn der Präsident, sich in das bequeme Sopha sinken lassend, »gieb mir Nachricht über das Befinden der Deinen. Wie geht es Deiner Frau? wie geht es dem Wolfgang?«
»Besser, besser, ich darf wohl sagen: gut. Wir haben eben eine Conferenz gehabt, in welcher Eure Namen oft genannt wurden.«
»Lieber Arthur,« sagte der Präsident, sich auf seinem Sitze vornüberbeugend und seine Hand leicht auf den Arm des Stadtraths legend, »laß uns ohne Rückhalt, wie es Brüdern geziemt, offen zu einander sprechen. Wir sind uns durch jahrelanges thörichtes Schmollen ein wenig entfremdet, aber ich denke, wir werden uns wohl noch verstehen, wie wir uns früher verstanden, als wir auf derselben Schulbank saßen und Du, obgleich Du zwei Jahre jünger bist, mir meine Arbeiten corrigirtest. Du warst der Gescheidtere von uns Beiden und hättest eine große Carrière machen können, wenn Du, wie es ja doch auch natürlich war, zu uns gehalten hättest. Laß mich ausreden, lieber Bruder! Siehst Du, gerade weil ich so viel von Deinen Talenten hielt, gerade weil ich wußte, daß Du ein Stolz der Familie sein könntest, wenn Du wolltest – gerade deshalb kränkte es mich so sehr, daß Du eine Richtung einschlugst, die Dich weiter und immer weiter von uns entfernen mußte und in der That entfernt hat. Wie tief mein Kummer über das Alles gewesen ist, das habe ich erst jetzt an der Freude erfahren, die ich empfand, als ich vorgestern Abend auf dem Rathhause vor allen Anwesenden in Dir den Retter der Stadt umarmen konnte. Lieber Arthur! Laß uns nachholen, was wir versäumt haben, so weit es noch möglich ist! Wie groß mein Vertrauen zu Dir ist, kannst Du daraus abnehmen, daß ich heute als eine Art Bittender, um Aufschluß Bittender zu Dir komme. Um es kurz zu machen: meine Frau hat mir ein Langes und Breites von einer stillen Neigung erzählt, die meine Camilla während des Besuches auf Rheinfelden für Deinen Wolfgang und, wie Clotilde meint, Dein Wolfgang vice versa für meine Camilla gefaßt hat. Ich habe mit dem Kinde selbst natürlich noch nicht gesprochen, werde es auch nicht thun, bevor ich weiß, was denn nun eigentlich an der Sache, die mich natürlich höchlich überrascht hat, ist. Und zu dem Zwecke bin ich eben hier. Hat Dir Dein Wolfgang, oder Deine Frau – Frauen sind in diesen Dingen so äußerst scharfsinnig! – eine Mittheilung gemacht? Du siehst: ich vertraue Dir ganz, vertraue Du auch mir.«
»So hast Du keinen Brief von dem Onkel erhalten?« fragte der Stadtrath.
»Von dem Onkel? Nein – kein Wort!« sagte der Präsident.
»Und weißt auch nicht, was der Onkel über Wolfgangs Zukunft beschlossen hat? daß der Wolfgang die Juristerei aufgeben, Soldat werden und in Guisbert's Regiment eintreten wird?«
»Nicht das Mindeste!« erwiderte der Präsident mit trefflich gespielter Ueberraschung.
»So erlaube, daß ich Dir diesen Brief, den ich heute Morgen vom Onkel erhielt, vorlese,« erwiderte der Stadtrath, aufstehend, all den Schreibtisch tretend und den Brief des Alten zur Hand nehmend.
»Ich bin ganz Ohr,« sagte der Präsident und hörte mit den Zeichen lebhaftesten Interesses den Brief vorlesen, von welchem der Stadtrath natürlich die letzten, für den Bruder so wenig schmeichelhaften Zeilen fortließ.
»Ei, das ist mir eine Neuigkeit!« sagte der Präsident, als der Stadtrath den Brief in ein Schubfach seines Schreibtisches schloß; »aber, lieber Bruder, was sagt der Wolfgang, was Deine Frau, was sagst Du dazu?«
»Ich kann Dir nur so viel sagen, daß Wolfgang Camilla liebt; er hat es meiner Frau, er hat es mir gestanden. Gegen das Project des Onkels, bezüglich seiner zukünftigen Carrière, hat er noch einige Scrupel; aber das wird sich finden, wenn wir nur in der Hauptsache einig sind.«
»Und ich denke, daß sind wir!« sagte der Präsident mit feinem Lächeln, indem er dem Bruder die Hand hinhielt.
Der Stadtrath ergriff sie mit großer Lebhaftigkeit.
»Kann es denn wirklich sein?« sagte er, »sollen wir, die wir so lange Jahre miteinander gegrollt haben, uns wirklich am Abend unseres Lebens wiederfinden?«
»Am Abend unseres Lebens?« sagte der Präsident lächelnd; »ei, lieber Bruder, wir stehen noch nicht einmal auf der Mittagshöhe; wir können und werden noch höher steigen, wenn wir zusammenhalten.«
»Ich weiß nicht,« sagte der Stadtrath, »ich fühle mich seit einiger Zeit weniger kräftig als sonst. Mir ist, als ob ich alle Spannkraft verloren hätte.«
Der Stadtrath strich sich mit der Hand über Augen und Stirn.
» A bas,« sagte der Präsident; »Du bist überarbeitet, lieber Bruder; wenn Jemand das Recht hat, müde zu sein, so bist Du es. Aber Deine Verdienste werden auch anerkannt. Ich sprach gestern Abend beim General Hinkel den Oberbürgermeister. Er hält Deine einstimmige Wahl zum Kämmerer für unzweifelhaft. Er hat mir auch die romantische Geschichte Eurer improvisirten Kassenvisitation erzählt; sehr gut, ha, ha, ha; ich hätte Euch wohl Beide dabei sehen mögen.«
»Ha, ha, ha!« lachte der Stadtrath; aber sein Lachen ging in einen trockenen Husten über. Er stand auf:
»Ich glaube, meine Brust ist angegriffen; ich muß doch einmal mit dem Medicinalrath sprechen.«
»Du bist ein Hypochonder geworden, lieber Bruder,« sagte der Präsident, der ebenfalls aufgestanden war. »Ist auch nicht zu verwundern; Du hast außerhalb Deiner eigentlichen Sphäre gelebt, so was bekommt Einem immer schlecht. Doch das wird sich jetzt Alles ändern. Ich habe auch meine Sorgen gehabt und habe sie noch. So ein armer Beamter, noch dazu wenn er eine höhere Stellung einnimmt, ist übel daran. Unsern Kindern wird es hoffentlich besser gehen. Ich darf doch sagen: unsern Kindern?«
»Lieber Bruder!« sagte der Stadtrath und öffnete seine Arme.
»Aber nun will ich fort,« sagte der Präsident, nachdem er sich der stummen Umarmung entzogen hatte. »Ich habe heute noch eine Welt von Geschäften abzuarbeiten. Und dazu ist heute Abend Clotilden's Empfangstag: Du solltest doch auch kommen! junge Officiere, hübsche Mädchen … A propos: hübsche Mädchen! Wer war denn die Kleine in Trauer, die aus Eurem Hause kam, eben, als ich hineinging?«
»Eine Nichte meiner Frau,« sagte der Stadtrath, »die Tochter ihres Bruders in Thüringen, der vor einigen Tagen gestorben ist. Meine Frau hat eine merkwürdig unbequeme Anhänglichkeit an ihre Familie. Ich hatte eben, als Du kamst, eine kleine Dispüte mit ihr gerade über dies Kapitel.«
»Ha, ha, ha!« lachte der Präsident, »kann mir denken, muß Dir gerade jetzt ein wenig unbequem sein. Nun, nun, das arrangirt man so peu à peu. Keinen Schritt weiter, lieber Bruder, au revoir!«
»Sieht in der That elend aus, mon cher frère,« murmelte der Präsident, als er die einsame Klostergasse langen leisen Schrittes hinabhing; »glaube wirklich, daß er's nicht mehr viele Jahre treibt. – Das also wäre glücklich geordnet! Ich habe einen feinen Kopf für Geschäfte der Art. Wie klug, daß ich mir gar nichts merken ließ! Nun habe ich nur noch dem demokratischen Bären einen Ring durch die Nase zu ziehen, daß er nolens volens nach meiner Pfeife tanzt. Sechs Uhr! wie die Zeit hingeht! Droschke! – Nach dem Präsidial-Gebäude!« –