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XLII.
Nachlese

Hier nehmen wir Abschied von Lukas. Aber einige Leser seiner Lebensgeschichte fühlen vielleicht ein liebenswürdiges Interesse an den Seelen, mit denen er am häufigsten in Berührung kam oder die wissentlich oder unwissentlich Einfluß auf ihn übten. Mit den meisten von ihnen war der Autor im Laufe seines Werkes in freundliche Beziehungen getreten, um die Einzelheiten zu sammeln, die er dem Publikum darzubieten wagte. Alle ohne Ausnahme hatten ein liebes Wort für den armen Lukas; die meisten aber zahlten seinem Andenken den noch beredteren Tribut einer Zähre.

Vater Martin, der zuerst etwas unzugänglich und sogar abweisend war, wahrscheinlich infolge großen Schmerzes, entwickelte sich zu einem gütigen und, wie ich nicht zu sagen brauche, sehr geistreichen Berater und Helfer. Der kleine Salon in Seaview Cottage wurde dem Autor ganz vertraut; denn hier berieten und planten sie die Anlage und Ausführung des Buches.

Auch Tiny und Tony, die jetzt hübsch groß geworden waren, wurden verständnisvolle und entschieden interessante Führer. Sie waren es, die den Erzähler zur Felsenbrüstung am Meere hinabführten, wo Vater Meade den Schrei Alluas über den Wassern vernommen hatte. Und da war auch dasselbe Kräuseln auf dem ruhigen Busen der riesigen Flußmündung wahrzunehmen, wo die eifersüchtige See ihrem mächtigen Angreifer vom Lande entgegentritt.

»Ich kann bis zur Strömung schwimmen,« sagte Tony mit einem triumphierenden Blick auf seine Schwester.

»Du bekämst Krämpfe und würdest nur ertrinken,« sagte Tiny.

»Ich kann im Sattel stehend einen Kreis reiten,« fuhr Tony uneingeschüchtert weiter.

»Und ich kann mit einem Damensattel ohne Bügel reiten,« sagte Tiny.

»Ich will euch etwas sagen,« warf ich dazwischen; »ich werde eurem Vormunde auf das eifrigste empfehlen, euch dem nächsten Zirkus dritten Ranges, der Ardavine mit seinem Besuche beehrt, in die Lehre zu geben.«

Ich wollte sarkastisch sein; aber mein Vorschlag wurde aufs wärmste begrüßt.

»O, das ist recht!« rief Tiny.

»Dann reite ich ohne Sattel,« rief Tony.

»Ich kann durch einen Papierreif springen,« sagte Tiny.

»Du würdest es versuchen, hinfallen und dir das Nasenbein brechen, und dann heulen wie ein Mädchen.«

»Tony,« sagte ich, »das ist unritterlich und unbrüderlich. Laßt uns wieder heimgehen!«

Den Kanonikus besuchte ich nicht. Ich teilte da Lukas' Nervosität; aber ich konnte sie nicht, wie er, überwinden. Aber mit Vater Cussen kam ich zusammen. Er ist jetzt von seinem Pfarrer ganz begeistert. Wir besuchten miteinander das zerstörte Haus in Lisnalee. Es ist kein sehr seltener Anblick in Irland – so eine Stätte der Zerstörung, wo die Nesseln wachsen über den brandgeschwärzten Mauern, wo der vernichtete Herd nie mehr rötlichen Schimmer in ein frohes Gesicht strahlt. Weit drunten am felsigen Ufer liegt des Fischers Hütte, wo Mona, noch lebt; und inmitten aller Veränderungen von Tod und Zerstörung, da wogt das ewige Meer!

Ruhig schläft es unter dem Auge Gottes. Es gehört auch zu den vielen Dingen, die einen die Entwicklungslehre verachten und zu einer direkten Schöpfung zurückkehren lassen: »Gott sprach also: Laßt die Wasser, die unter dem Himmel sind, sich an einem Ort vereinigen. Und so geschah es. Und die Zusammenströmung der Wasser nannte Er Meer. Und Gott sah, daß es gut war.«

»Glauben Sie, daß die McNamaras je zurückkommen werden?« fragte ich.

»Gewiß werden sie das,« erwiderte Vater Cussen. »Und was noch mehr ist: wir werden den alten Stand der Dinge wieder bekommen, so wahr Gott gerecht ist, wenn das Grundherrentum tot ist und –«

»Pst!« mahnte ich, »ich müßte das, um aufrichtig zu sein, meinen Lesern erzählen; und es würde nicht schön klingen.«

»Man sagt, der Geist des alten Mike Delmege gehe hier um,« fuhr er fort. »In Mondscheinnächten hat man ihn hier herumwandern sehen, und sein weißes Haar umflatterte wild seine Schultern, wie an dem Unglückstage. Ich wollte, er ginge nach Paris, und würde das luxuriöse Schlafzimmer dieses –«

»Ist Mona verheiratet?« unterbrach ich mitleidig.

»Noch nicht. Sie hat schon hundert Anträge bekommen, seit sie sich so als Heroine bewies; aber sie sagt, sie wolle nie heiraten, bevor nicht die Vertriebenen zu ihrer ererbten Scholle zurückkehren könnten.«

»Eine treue, liebe Seele!« sagte ich.

»Ganz gewiß. Aber sie dachte, der arme Lukas sei bei jener Gerichtsverhandlung viel zu höflich gegen die Richter gewesen. Sie erwarteten alle eine fürchterliche Philippika von ihm.«

»Das hätte aber kaum seiner Art entsprochen,« erwiderte ich.

»Natürlich nicht. Ich glaube auch, daß er ganz richtig handelte, obgleich ich bezweifeln würde, ob ich selber die Sache so ruhig hingenommen hätte,« sagte Vater Cussen.

Ich hatte auch eine genußreiche Zusammenkunft mit Doktor Keatinge, dem Pfarrherrn von Roßmore. Er war einer der prächtigen alten Priester, die gutes in allem und jedem erblicken, ein vollkommener Optimist, als ob er von einem anderen Planeten, auf den andere Sonnen ewiglich scheinen, hierher versetzt worden wäre. Es gab für ihn weder Nacht, noch Dunkelheit, noch Sünde. Alles war Tag, Licht und Gnade. Er redete ganz begeistert von Lukas.

»Ein vollkommener Charakter, mein lieber, junger Freund, ein edler Charakter, der immer nur nach dem Wahren, Echten und Rechten strebte.«

»Aber ein bißchen verworren, eine Grüblernatur?« fragte ich.

»Alle guten Menschen sind das, bis sie sich mit einer Tatsache vertraut machen, der notwendigen Unvollkommenheit alles Menschlichen, bis es von der göttlichen Vollkommenheit ersetzt wird. Dann ist alles gut. Es war die Ungeduld über jede Unvollkommenheit, die ihn aufbrachte. Aber er war tolerant, außerordentlich tolerant, zum Beispiel mit seinem exzentrischen Burschen.«

»Mit John?« fragte ich.

»Ja!« erwiderte der Doktor, etwas beunruhigt.

»Was ist aus diesem hoffnungsvollen Menschen geworden?«

»Ich habe ihn jetzt,« versetzte der Doktor, und sein Gesicht zog sich in die Länge.

Ich schwieg. Nach einer kleinen Weile bemerkte der gute alte Priester, mich scheu anblickend und etwas verlegen: »Vielleicht wollen Sie ihn einmal sehen?«

»Ganz gewiß,« erwiderte ich. »Ist er verheiratet?«

»Jawohl!«

Zögernd kam John aus dem Garten herein, als man ihm sagte, man hätte ihn drinnen nötig. Er hatte es nie gern, wenn man ihn »nötig« hatte. Es bedeutete stets Angst oder Unannehmlichkeiten. Sein Gesicht wies den erschreckten, argwöhnischen Ausdruck, der Lukas aufzubringen pflegte; aber er wich sofort dem Sonnenschein eines Lächelns, als er sah, daß es kein Polizist, sondern nur ein alter Bekannter war, der ihn zu sehen wünschte. Er behielt aber trotzdem seine gewöhnliche Vorsicht bei.

»Wie geht es Ihnen, John? Freut mich, wenn Sie sich wohl befinden!« rief ich und streckte ihm meine Hand hin.

Er berührte sie mit den Spitzen seiner Finger.

»Mir geht's ganz gut, Hochwürden,« sagte er.

»Sie sind also jetzt verheiratet?«

»Ich weiß nicht, Hochwürden.«

»Was, Sie Schurke,« rief ich; »Sie wissen nicht, ob Sie verheiratet sind oder nicht?«

»Meiner Treu, ich glaube, ich bin es doch, Hochwürden,« sagte er, dumm lächelnd und sich den Kopf kratzend.

»Mit Mary natürlich?« fragte ich.

»Ach Gott, ich glaube ja,« erwiderte er grinsend.

»Ich hoffe, diese verantwortliche Stellung hat Sie zu einem tüchtigen Manne gemacht?«

»O, gewiß, Hochwürden! Sie kann es Ihnen selber bestätigen.«

»Sie wissen, wie ängstlich besorgt Vater Lukas stets um Sie war; und wie es ihn freuen würde, zu erfahren, daß Sie jetzt gut tun.«

»Ach ja, viele gute Ratschläge hat mir der arme Herr gegeben,« erwiderte John, ein ganz klein wenig bewegt, »wenn ich sie nur befolgt hätte,« fügte er hinzu.

»Wie finde ich Marys Haus?« forschte ich. »Ich möchte gern mit ihr reden.«

»O, das ist leicht genug,« erwiderte John mit breitem Grinsen; »Sie werden es gleich an den Blumen aus den andern herauskennen.«

»Ihren Lieblingsblumen?«

»Jawohl Ew. Hochwürden!«

Er schien zu zögern, als ob er etwas sagen wollte.

»Würden Sie mir gern eine kleine Gefälligkeit erweisen, Hochwürden?« fragte er.

»Warum denn nicht?« versetzte ich.

»Möchten Sie ihr nicht sagen, Hochwürden, das Kind sei ihr ganz aus dem Gesicht geschnitten? Das versetzt sie stets in wunderbar gute Laune.«

»Aber ist das auch richtig?«

»Einige Leute sagen, es sei so; andere wieder nicht. Aber daran liegt ja nichts.«

»Und Sie werden nicht beleidigt sein?«

»Ach nein, wenn es nur ihr Freude macht.«

Es war nicht schwer, Johns Haus zu finden. Schon von weitem stach es von den bescheideneren Behausungen seiner Nachbarn ab; als ich aber ganz nahe war, wurde ich geblendet von all dem Glanz und der Blumenpracht, die dieser große Gärtner vor dem Herrn zu schaffen gewußt hatte.

Mary war eben am Herd beschäftigt, als ich eintrat. Sie kam auf mich zu, ihr Gesicht vom Feuer und der Ueberraschung hochgerötet.

»Ich war beim Pfarrer oben, Mary,« sagte ich, »und traf da John. Wissen Sie, was der Bursche mir sagte?«

»Ich weiß nicht, Hochwürden.«

»Er sagte mir, er wisse nicht, ob er verheiratet sei oder nicht.«

»Er ist der größte Schlingel von hier bis Cork,« erwiderte Mary stirnrunzelnd. »Ich weiß nicht, was ich von ihm denken soll, oder wie der Doktor so viel Geduld mit ihm haben mag.«

»Er sagte mir aber doch, ich würde das Haus mittels der Blumen leicht finden, und das war auch richtig so. Sie haben das hübscheste Haus in Roßmore und Umgebung.«

Ich schaute mich um und fand alles recht nett. Der Ziegelboden war fleckenlos; die Messingleuchter und das Zinngeschirr glänzten; im Bauer am Fenster saß ein Kanarienvogel, und der Kessel summte lustig über dem Feuer. Das Ganze war ein Bild der Behaglichkeit.

»Selbst der General,« sagte ich, »fände hier nichts auszusetzen.«

»Ich würde ihn auch gar nicht hereinlassen,« sagte Mary. »Er kam einmal bis zur Türe, aber weiter nicht.«

»Sie vertreiben ihn wohl mit kochendem Wasser?« deutete ich an.

Sie lachte. »Nein, so schlimm ist's doch nicht, Hochwürden! Aber er kam wirklich einmal, schaute herein und sagte: ›Es freut mich sehr, daß Sie Ihr Haus so reinlich halten‹. ›Ich danke für Ihre gute Meinung,‹ erwiderte ich. ›Ich will den Damen und Miß Dora mitteilen,‹ sagte er weiterhin, ›daß das ein Musterhaus ist, und ich werde Ihren Namen bei der nächsten Preisverteilung für Reinlichkeit und Geschmack auf die Liste setzen lassen.‹ ›Das ist ganz unnötig,‹ sagte ich. ›Ich arbeite nicht deswegen Tag und Nacht, weil ich einen Preis gewinnen will, sondern weil sich das so gehört und weil uns das die Nonnen und Priester so gelehrt haben.‹ Das schien ihm nicht zu gefallen. ›Ich hoffe, Sie halten hier kein Geflügel?‹ sagte er. ›Das geht nur mich etwas an. Oder haben Sie etwa letzten Samstag Ihren Zins nicht erhalten?‹ ›Doch, doch!‹ erwiderte er beschämt. ›Was treiben Sie sich denn dann hier herum, statt Ihren eigenen Geschäften nachzugehen?‹ bedeutete ich ihm. Auf das hin ging er und ließ sich nicht mehr sehen.«

»Sie wollen mir doch nicht glauben machen, daß Sie so mit einem Grundherrn gesprochen haben?« fragte ich.

»Gewiß. Und warum auch nicht?« erwiderte sie. »Sagte uns der Herr nicht hundertmal, daß wir ebensoviel wert seien wie sie, und um kein bißchen weniger, und daß wir alle das gleiche Fleisch und Blut hätten –«

»Es würde ihn sehr freuen, Sie jetzt so glücklich zu sehen,« bemerkte ich, »und so eifrig darauf bedacht, seine Lehren zu befolgen.«

»Ja, das ist wahr,« erwiderte Mary seufzend.

In einer Ecke entdeckte ich kleine, zierliche Stickereien und Wäsche. Ich sah Mary an und fragte: »Das ist wohl?«

»Ja, das ist, Hochwürden,« entgegnete sie lächelnd und errötete. »Wollen Sie ihr nicht Ihren Segen geben?«

Ich ging hinüber und sah bewundernd auf das kleine Erdenwesen, das aus seinen dunklen Augen lebhaft hervorblinzelte und mit seinen zarten Händchen in die Luft griff. Du lieber Gott! Es war ein herziges Kind.

»Ich will Ihnen wahrlich nicht schmeicheln, Mary,« sagte ich, »aber es ist Ihnen aus dem Gesicht geschnitten.«

»Wirklich, Hochwürden?« erwiderte Mary, beglückt lächelnd. »Jedermann sagt, sie sähe John ähnlich wie ein Ei dem andern.«

»John?« rief ich entrüstet. »Unsinn, sie gleicht John nicht mehr, als eine Rose einer Kresse. Es ist also eine junge Dame?«

»Jawohl, Hochwürden!«

»Darf ich nach ihrem Namen fragen?«

»Nun, der ist sonderbar genug, wenigstens hatten wir ihn nie in unserer Familie. Ich hätte sie gern Mary nach der Mutter Gottes genannt; aber der Pfarrer sagte: ›Nein! Nennt sie nach eures toten Herrn Musterheiliger, und heißt sie Barbara!‹ Und das klingt doch sonderbar, Hochwürden, nicht wahr? Wie die Heiden und Schwarzen in den Legenden.«

»Barbara Glavin!« wiederholte ich. »Das klingt gut; und ich kann Ihnen auch sagen, Mary, daß der Pfarrer recht hatte. Es ist der Name einer der schönsten Heiligen, die vor langen Jahrhunderten starb, und einer andern Heiligen, die noch lebt. Möge Ihr Kind beiden nacheifern, und es wird glücklich sein!«

Das schien Mary zu befriedigen; ich zögerte daher auch nicht, zu fragen, ob John das Kind liebe.

»Lieben?« sagte Mary. »Er vergöttert es. Er denkt den ganzen Tag an nichts anderes als an das Kind. Und wenn sie nur einen kleinen Hustenanfall hat, so meint man schon, es mache ihn ganz verrückt!«

»Und hält sich John auch ordentlich?« fragte ich.

»O ja, Hochwürden! Aber auch da ist nur das Kind schuld daran. Wenn sein Durst über ihn kommt, dann brauche ich nur, ohne daß er's merkt, einen Buben hereinkommen lassen und John sagen: ›John, das Kind gleicht Ihnen, wie eine Nadel der andern‹. John sagt dann nichts, bis der Sprecher draußen ist. Dann aber nimmt er das Kind aus der Wiege und küßt und liebkost es, und ich weiß dann, er bezwingt seinen Hang und seine Laune.«

»Gott segne das Kind!« rief ich.

»Möchten Ew. Hochwürden nicht auch unsern kleinen Salon sehen?« fragte Mary.

»Natürlich!« war meine Antwort. Und es verlohnte sich wahrlich der Mühe. Ich erkannte mehrere kleine Andenken an Lukas, die er seiner treuen Haushälterin hinterlassen hatte; und drüben am Fenster, nach Norden schauend, was, wie ich glaube, der richtige Platz für neutrales Licht ist, hatte Mary mit künstlerischem Geschmack eine Staffelei aufgestellt, auf der ein Gemälde stand. Ich besah es mir. Es war das Oelgemälde Olivette Lefevrils: die Szene von dem wracken Schiff aus dem »Alten Matrosen«, das Lukas einst von ihr zum Geschenk erhalten hatte. Und über dem Sims hingen Marys zwei Heroen, Robert Emmet und St. Antonius; und zwischen ihnen nahm den Ehrenplatz ein riesiges Bild von Lukas Delmege ein. Ich trat hinzu.

»Es ist der Herr,« bemerkte Mary.

»So ist es,« erwiderte ich. »Sie haben ihm eine gute Gesellschaft gegeben, Mary.«

»Keine zu gute für ihn, Hochwürden. Er stand ihnen allen nicht nach.«

Ich weiß nicht, was dieses »allen« einschloß; aber abschiednehmend sagte ich Mary: »Wenigstens besitzt er eine edle Unsterblichkeit. Mary, Sie sind eine gute Frau. Gott segne Sie!«

»Und Gott segne auch Sie, Sir!« erwiderte sie.

Ich sprach auch bei Vater Tracey vor. Als ich seine bescheidene Wohnung betrat und sah, daß sie nur mit dem Allerunentbehrlichsten ausgestattet war, da kam der alte Geist des Scherzens über mich, und ich wollte schon sagen:

»Ich hoffe, daß Sie den Vorschriften nachgekommen sind und Ihr Testament gemacht haben, Vater! Sonst wird man sich um Ihre Hinterlassenschaft arg herumstreiten –«, als die Heiligkeit des alten Mannes mir den Mund schloß. Und es war nicht die Heiligkeit, die ihr Brennglas auf die bloßen, lebenden Nerven unserer Seele richtet und alle ihre vielgestaltigen Krankheiten beleuchtet, sondern die demütige Heiligkeit, die sich einem zu Füßen wirft und gerade durch die Erniedrigung ihre edle Ueberlegenheit bekundet. Auch er war von Lukas begeistert.

»Man kannte ihn nicht, mein Lieber, man kannte ihn nicht, ausgenommen der Bischof und ich. O mein Lieber, die Welt ist voller Heiliger, wenn wir sie nur kännten!«

»Ich bin eben daran, Lukas' Leben zu beschreiben,« sagte ich, »und da dachte ich, Sie könnten mir einige Aufklärung und Fingerzeige geben.«

»Ich? Gott stehe mir bei, was weiß denn ich? Aber sagen Sie, er war alles Gute und Große und würde ein Bischof geworden sein, wenn er länger gelebt hätte.«

Ich griff nach des alten Mannes Rosenkranz. Ich konnte nicht anders. Die Achse dieser bösen Welt würde nicht so laut ächzen, wenn das Oel der Freude, das aus solch demütigen Herzen strömt, freigebiger verschwendet würde.

Zuletzt besuchte ich den wohlbekannten Schauplatz von Lukas' letztem Wirken. Das war leicht genug, da der Ort ganz nahe lag. Es war an einem lieblichen Sommerabend, als ich in das Dorf einfuhr. Der gegenwärtige Pfarrer war nicht zu Hause; ich stellte aber Pferd und Kutsche bei ihm ein und spazierte der Kirche zu, wo Lukas begraben liegt. Als ich eintrat, hörte ich oben auf der Empore etwas flüstern; und als der kleine Dorfchor meiner ansichtig wurde, dachte er wohl, er müßte etwas Frommes hören lassen. Und so sangen sie:

»Näher, mein Gott, zu dir!« Ich horchte, und es klang so süß und stimmungsvoll im ruhigen Dämmer des Sommerabends.

Ich trat leise vor, um an der Schlummerstätte Lukas' ein Gebet zu sprechen. Ein armes Weib, mit einem abgenutzten Tuch um den Kopf, kniete an der Kommunionbank gerade über Lukas' Grabe. Ihre Hände waren um ihr kleines Kind geschlungen, das oben auf der Bank saß und unruhig mit den Füßen strampelte und seiner Mutter den Rosenkranz aus der Hand reißen wollte. Ich fragte leise: »Wo liegt Vater Delmege begraben?«

»Da,« sagte sie, auf den Boden deutend. »Möge der Himmel heute seine Wohnstätte sein!«

»Ihr kanntet ihn?« fragte ich.

»Gott weiß es, ich werd' ihn wohl gekannt haben,« gab sie zurück. »Schaut nur her, Hochwürden,« dabei tätschelte sie des Kindes dralles Bein, »das war das letzte, das er uns taufte; Gott sei ihm gnädig, dem lieben Priester!«

Schwester Eulalie darf jetzt zufrieden sein. Die Armen hatten Lukas wirklich geliebt.

Ich trat in die Sakristei und schrieb da für meine Leser im Zwielicht des Sommerabends die lateinische Inschrift von der Marmortafel in der Mauer ab. Sie lautet:

HIC IACENT
OSSA
ADM. REV. LUCAE DELMEGE
OLIM IN SUO COLLEGIO LAUREATI
NUPER HUIUS ECCLESIAE RECTORIS
NATUS OCT. 12. 1854.
OBIIT NOV. 20. 1898.
AMAVIT LABORAVIT
REQUIESCIT.

Vater Martin hatte die Grabschrift verfaßt. Ich würde noch etwas anderes angefügt haben, aber ich wußte das Latein nicht dafür zu finden; und außerdem hätte es Vater Martin kaum erlaubt. Denn er würde nicht zugeben, daß Lukas je über etwas im unklaren war. Der arme Lukas! Doch jetzt ist ja alles gleich! Er hat längst in dem weiten Spiegel der Unendlichkeit die Lösung des großen Rätsels gefunden.

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