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Die vier Impfungen

Es ist notwendig, daß das Kriegsamt in alle Komitees und Ratssitzungen, welche öffentliche Kundgebungen erlassen, auch Vertreter der Arbeiterklasse entsendet. Zurzeit ist dort scheinbar keine einzige Person im Amt, die eine Ahnung davon hat, wie die überwiegende Mehrzahl rekrutierbarer Briten denkt. Die Folgen dieses Zustandes sind unbeschreiblich lächerlich und gefährlich. Jeder Aufruf ist zwingend so abgefaßt, daß er Rekruten mit einem Jahreseinkommen von 5000 Pfund Sterling beruhigen, und solche mit einem Pfund Wochenlohn abschrecken muß. Am gleichen Tage, wo der populäre Lord Kitchener das et rex meus von Wolsey fallen ließ und offenmütig 100,000 Mann für die Armee verlangte, und es eine Frage von Tod und Leben war, daß Arbeitsleute in jeder Weise zur Stellung ermutigt würden, erachtete das Kriegsamt den psychologischen Moment für gekommen, jedermann daran zu erinnern, daß die Soldaten im Dienst oftmals am Typhus sterben und den Rekruten die Impfung anzuempfehlen, bis zu der von Amtes wegen herbeigesehnten Stunde, wo Sir Almroth Wrights Begehren nach dem Impfzwang erfüllt werden kann. Ich sage hier nichts über die Wirksamkeit der Impfung. Wirksam oder nicht. Sir Almroth Wright begründet sein Verlangen damit, daß man nicht annehmen kann, die ganze Armee würde sich freiwillig der Impfung unterziehen. Wenn dem so ist, dann scheint es mir, nur ein deutscher Spion oder unser Kriegsamt (für unsere Gegner immer soviel wert wie 10,000 Mann) konnte, wenn Männer zögernd vor dem Rekrutierungsbureau stehen, den aufgeregten Anwerber am Ärmel fassen und sagen: »Haben Sie auch die Gefahr der Dysenterie bedacht?« Die Tatsache, daß die Arbeiterpartei, sehr gegen ihren von den Doktoren diktierten Willen, die Regierung dazu zwang, den Impfzwang abzuschaffen, zeigt, bis zu welchem Grade man in diesen Kreisen die Vakzinierung verabscheut und fürchtet (sie hat trotz ihres Namens weder mit Jenner, noch mit Kühen das geringste gemein), die oft schlimmere Wirkungen hervorruft als die Krankheiten, denen sie angeblich vorbeugen soll. Energische Impfgegner erinnern in stark verbreiteten Zeitungen und Broschüren beständig daran, von den grausigen Photographien durch Impfung entstellter Kinder nicht zu sprechen. Gleichgültige oder sorglose Rekruten kann man durch die Gewährung kleiner Vorteile während der Impfnachwirkung oder mit etwas Geld leicht zur Impfung bewegen; die Vorsichtigen lassen sich mit Sir Almroths Statistik herumkriegen; doch im ganzen wird sowohl der Impfung, wie einer laienhaften medizinischen Statistik von Seiten der Armee mißtrauisch begegnet, und die Tatsache, daß in der regulären Armee Impfung vorgeschrieben ist und daß der moralische Druck, die Impfung gegen Typhus sowohl wie gegen Pocken durchzusetzen, in der regulären Armee und in der Landarmee so groß ist, daß nur wenige stark genug sind, ihm zu widerstehen, macht sich sehr fühlbar. Zurzeit hat die Impfmanie ihren Höhepunkt erreicht und bringt nicht weniger als vier besondere Impfungen in Vorschlag: Gegen Blattern, gegen Typhus, gegen Cholera und – Sir Almroths letzter Schwindel – Impfung gegen Verwundung! Wenn das Kriegsamt und seine medizinischen Berater erfolgreich gegen Verrücktheit geimpft sein werden, wird es Zeit sein, solche Übertriebenheiten zu erörtern. Je früher indessen das Kriegsamt eine Verfügung erläßt, daß kein Rekrut gezwungen oder damit belästigt werden darf, irgendeiner Art Impfung gegen seinen Willen sich zu unterziehen, um so besser für die Rekrutierung und um so schlimmer für den Feind.


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