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Die Achillesferse des Militarismus

Statt dessen sprang Deutschland Frankreich an die Gurgel. Indem es dabei zufällig in Belgien eindrang, gab es uns den Vorwand, den unsere Militaristen brauchten, um mit der vollen Zustimmung der Nation Deutschland anzugreifen. Warum hat es diese Dummheit begangen? Nicht wegen der Ratschläge von General von Bernhardi. Im Gegenteil. Bernhardi hatte Deutschland ausdrücklich davor gewarnt, sich zwischen Rußland und einer franko-englischen Koalition fangen zu lassen, bevor es als Gegengewicht mit Amerika, Italien und der Türkei eine Allianz geschlossen hätte. Und ganz gewiß hätte er niemals dazu geraten, sich darauf zu verlassen, daß England Deutschland schonen würde. Er konnte vielmehr die listige Grausamkeit nicht genug bewundern, mit der England seine Gelegenheit abwartet und auf seinen Feind sich stürzt, wenn er am Boden liegt. (Er wußte wenig, der gute Mann, wie sehr er unserer Fähigkeit für Realpolitik schmeichelte!) Doch er rechnete ohne die verhängnisvolle und grundsätzliche Schwäche seines Glaubens, die darin besteht, daß Junker-Militarismus nur Dummköpfe und Protzen aufkommen läßt und wirkliche Realisten unterdrückt wie Schlangengezücht, so daß, wenn eine Krisis kommt, es immer neu gilt, »daß dumme Leute ihr eigenes dummes Geschäft nicht verstehen«. Der Kaiser und seine Minister machten aus ihrer Aufgabe ein schreckliches Durcheinander. Sie waren von Bernhardi begeistert, aber sie verstanden ihn nicht. Sie hatten sich seine Schmeichelei munden lassen, aber sie beachteten weder seine Strategie noch seine Warnungen. Sie wußten, daß, wenn der Augenblick kam, der französisch-russischen Allianz gegenüberzutreten, sie einen großartigen Schlag gegen Frankreich führen müßten, um dessen Figuren vom großen Schachbrett zu fegen, bevor die Russen Zeit hatten, mobil zu machen; dann würden sie zurückkehren und Rußland zerschmettern und sich die Eroberung Englands für ein andermal aufsparen. Soviel konnten sie auf einmal im Kopf behalten, aber sie waren hilflos unfähig zu überlegen, ob die übrigen Voraussetzungen Bernhardis zutrafen, oder in der Erregung ihrer schülerhaften Phantasie sich zu besinnen, ob er überhaupt solche Voraussetzungen gemacht hatte. So wagten sie ihren Angriff und setzten sich in jeder Beziehung moralisch ins Unrecht, indem sie gleichzeitig den Sieg für sich selbst menschenunmöglich machten. Das ist die Nemesis des Militarismus. Der Militarist wird in einen großen Kampf geworfen, den mit Fähigkeit durchzuführen er zu plump ist. Philipp von Spanien versuchte es vor dreihundert Jahren, und der Ruin, den er über sein Reich brachte, währt bis zum heutigen Tag. Er war so töricht, obwohl er sich für das auserwählte Werkzeug Gottes hielt (ein ebenso sicheres Zeichen eines hilflosen Narren in einem Menschen, der nicht zu sehen vermag, daß jeder andere Mensch ebenso ein Werkzeug jener Macht ist, als es ein Beweis für Weisheit und guten Willen eines Mannes ist, wenn er den Nachbar ehrt wie sich selbst), unternahm er es, gegen Drake zu kämpfen, unter der Voraussetzung, eine Kanone sei eine Waffe, die kein wirklicher Edelmann und guter Katholik zu handhaben sich herablassen werde. Ludwig XIV. versuchte es neuerdings vor zweihundert Jahren, und da er ein läppischerer Narr war als jener, wurde er von Marlborough geschlagen und brachte seinen Urenkel vom Thron auf die Guillotine. Napoleon versuchte es vor hundert Jahren. Er war gefährlicher, denn er besaß eine ungeheure persönliche Fähigkeit und technisch militärische Erfahrung, und er zog aus mit dem großartigen Zeugnis der französischen Revolution. All das brachte ihn weiter als den bigotten Spanier oder den französischen Gecken. Aber auch er setzte Narren an und Buben und endete geschlagen in St. Helena, nachdem er zwanzig Jahre lang dem Hunger von Idioten nach Ruhm und Blutvergießen Vorschub geleistet hatte. Indem er Krieg wagte als »ein großes Spiel« und in einem leichenübersäten Feld »un beau spectacle« sah. Kurz, ein ebenso starker Magnet für Narren als die andern, aber weitaus fähiger.


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