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Mr. H. G. Wells hißt die Landesflagge

Mr. H. G. Wells war es, der im kritischen Moment mit der Stimme des Volkes sprach. Mit seiner elektrischen Zornentladung gegen »diese exerzierende, trampelnde Narrheit im Herzen Europas« gab er der verhaltenen Erbitterung von Jahren Ausdruck, der anschwellenden Empörung gegen Übergriff und Despotie, Getue und Popanz, das sich selbst Blut und Eisen nannte, und gepanzerte Faust, und Gott und Gewissen, und alles übrige, was großartig klingt. Wie Nietzsche waren wir überdrüssig der kaiserlichen Gefangensetzungen demokratischer Journalisten wegen Majestätsbeleidigung, seiner Ahnen, seines Evangeliums von Unterwerfung und Gehorsam für die Armen und von Autorität, gemildert durch Zweikampf, für die Reichen. Die Welt hatte Kopfschmerz davon und wünschte dringend, daß die, die mit dem Schwerte klappern, durch das Schwert zugrunde gehen sollen. Niemand kümmerte sich ein Jota um Verträge. Tatsächlich, es war nicht an uns, über die Heiligkeit von Verträgen zu sprechen, die wir gesehen hatten, wie der Berliner Vertrag durch den kecken Griff nach Bosnien und Herzegowina 1909 von Österreich zerrissen wurde und die wir das ebenso stillschweigend hingenommen hatten wie Rußland, selbst wenn die Papierkörbe der auswärtigen Ämter nicht voll von zerrissenen »Fetzen Papier« gewesen wären und was ganz gut war, denn General von Bernhardis Annahme, daß Umstände Verträge ändern, ist nicht eine Seite aus Machiavelli, sondern ein Gemeinplatz aus den Gesetzbüchern. Der Mann in der Straße verstand wenig oder nichts von Serbien oder Rußland oder von irgendeiner der Karten, mit denen die Diplomaten ewig Schwarzen Peter spielen. Wir waren über jede Geduld vom preußischen Militarismus und seiner Verachtung für uns und für menschliches Glück und gesunden Menschenverstand verdrossen. Wir gingen darauf aus, den Kaiser zu schlagen, wie wir darauf ausgingen, den Mahdi zu schlagen. Mr. Wells erwähnte niemals einen Vertrag. Er sagte tatsächlich: »Hier steht das Monstrum, das alle freiheitslieb enden Menschen hassen. Endlich werden wir dagegen kämpfen.« Und die Leute, der Diplomaten müde, sagten: »Das ist ein Wort.« Wir regten uns nicht dabei auf, unser Gewissen zu fragen, ob die preußische Anmaßung, die Beherrschung der zivilisierten Erde gehöre deutscher Kultur, arroganter sei als die englische Anmaßung, die Beherrschung des Meeres gehöre dem englischen Handel. In unserer insularen Sicherheit waren wir so wenig fähig wie immer, die schreckliche militärische Gefahr von Deutschlands geographischer Lage mit Frankreich und England im Westen und Rußland im Osten zu erfassen, alle drei verbündet, Deutschland zu zerstören. Und wie unvernünftig war es, von Deutschland zu verlangen, den Bruchteil einer Sekunde zu verlieren (viel weniger Sir Maurice de Bunsens naiver »Aufschub von wenig Tagen«), sich auf seinen westlichen Feind zu stürzen, wenn es keine Bürgschaft für die Absichten des Westens erlangen konnte. »Wir befinden uns in einem Zustand der Not, und Not kennt kein Gebot«, sagte der kaiserliche Kanzler im Reichstag. »Es ist eine Angelegenheit von Leben und Tod für uns«, sagte der deutsche Minister des Auswärtigen zu unserem Gesandten in Berlin, der plötzlich einen außerordentlichen Sinn für die Heiligkeit des Londoner Vertrags von 1839 entwickelte, der zwischen den zerrissenen Stücken vieler späterer und ähnlicher »Papierfetzen« zufällig noch unverletzt geblieben war. Unser Gesandter scheint Sir Maurices Meinung geteilt zu haben, daß kein Grund zu so wütender Eile vorlag. Die Deutschen konnten durch die befestigte Linie zwischen Verdun und Toul in Frankreich eindringen, wenn sie wirklich zu hitzig waren, um einige Tage auf die Möglichkeit zu warten, daß es Sir Edward Greys Überredung und Liebenswürdigkeit gelinge, Rußland zu besänftigen und Österreich zur Einsicht zu bringen. Daraufhin fragte der kaiserliche Kanzler, immerhin nicht gänzlich ein Engel, ob wir die Kosten berechnet hätten, die es mache, den Weg eines Reiches zu kreuzen, das für sein Leben kämpft. (Denn diese militaristischen Staatsmänner glauben wirklich, daß Nationen mit Kanonenschüssen getötet werden können.) Das war eine Drohung. Und da uns an Deutschlands Gefährdung nichts gelegen war, und wir nicht länger von einer Macht bedroht werden wollten, von der wir bis zum Überdruß genug hatten, blieb das Öl im Feuer, das stärker aufflammte als je. Da war nur ein Ausgang möglich für einen solchen Anprall von Zorn, nationalem Egoismus und beidseitiger Unwissenheit.


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