Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Nun kommt die Frage, in welche Stellung diese Folge einer Wahntheorie und einer hoffnungslos unfähigen Anwendung derselben seitens Potsdams unsere eigene Regierung brachte. Sie ließ uns ganz deutlich in der Stellung des verantwortlichen Schutzmanns des Westens. Niemand sonst in Europa war stark genug, den wütenden Hund an die Kette zu legen. Von Belgien und Holland, Norwegen und Schweden, Dänemark und der Schweiz konnte man kaum erwarten, daß sie diese Pflicht auf sich nehmen würden, selbst wenn Norwegen und Schweden nicht gute Gründe hätten, antirussisch zu fühlen und wenn die holländischen Kapitalisten nicht halbwegs überzeugt wären, daß ihr kommerzielles Gedeihen unter Deutschland größer wäre als unter der eigenen Regierung. Es wird nicht in Frage kommen, daß Spanien etwas getan haben könnte; was Italien anbelangt, war es fraglich, ob es sich nicht noch als Mitglied des Dreibunds fühlte. Es war offenbar England oder niemand. Es war für England von jedem Gesichtspunkt aus unmöglich, sich nicht mit Kavallerie, Fußtruppen und Artillerie ins Gefecht zu stürzen. Vom demokratischen Standpunkt wäre Englands Zurückhaltung eine Anerkennung des Anspruchs gewesen, zu dessen Kämpen Potsdam sich machte, indem es die französische Republik angriff: der Anspruch der Junkerklasse, nach militaristischen Anschauungen über die Welt zu verfügen auf Kosten des Lebens und der Glieder der Masse. Vom international-sozialistischen Standpunkt wäre es die Annahme der extrem nationalistischen Anschauung gewesen, daß die Völker anderer Länder Ausländer sind, und daß es uns nichts angeht, wenn es ihnen beliebt, einander die Hälse abzuschneiden. Unsere militaristischen Junker riefen: »Wenn wir Deutschland Frankreich erobern lassen, werden nachher wir an die Reihe kommen«. Unsere romantischen Junker fügten hinzu: »Und es würde uns recht geschehn, wer wird Mitleid mit uns haben, wenn unsere Stunde schlägt, und wir uns diesmal drücken?« Selbst die Weisen, die den Krieg hassen und ihn als solche Entehrung und ein Unglück an sich betrachten, daß all seine Lorbeeren sein Kainszeichen nicht zudecken können, mußten zugeben, daß eine Schutzpflicht notwendig bestand, und daß man Krieg führen müsse gegen einen solchen Krieg, wie die Deutschen ihn durch ihren Angriff auf Frankreich unternahmen, mit dem eingestandenen Versuch, die Herrschaft der Kanone an Stelle des Völkerrechts zu setzen. Da war kein anderer Ausweg. Wäre das Auswärtige Amt das Sozialistenbureau der Internationale gewesen, wäre Sir Edward Grey Jaurès gewesen, wäre Mr. Ramsay MacDonald Premierminister gewesen, wäre Rußland Deutschlands Verbündeter gewesen statt unserer, das Resultat wäre doch das gleiche geblieben: Wir mußten das Schwert ziehen, um Frankreich zu retten und Potsdam zu schlagen, wie wir schlugen und immer schlagen müssen: Philipp, Louis, Napoleon et hoc genus omne.
Der Grund für unsere Handlungsweise ist somit so vollständig, als irgendein casus belli jemals wahrscheinlich sein wird. Tatsächlich wird er durch seinen doppelten Charakter als demokratischer und militärischer (wenn nicht militaristischer) Kriegsgrund allzu vollständig. Denn er setzt unsere Junker in den Fall, ihn gänzlich für sich in Anspruch zu nehmen und mit scheingesetzlichen Berechtigungen zu vermengen, die Neunzehntel unseres Anspruchs zerstören, indem die militärischen und gesetzlichen Gründe kaum ein Zehntel des ganzen ausmachen. Diese Gründe würden an sich noch nicht das Niederschlagen eines einzigen pommerischen Grenadiers rechtfertigen. Nehmen wir zum Beispiel den militaristischen Standpunkt, daß wir gegen Potsdam kämpfen müssen, weil, wenn der Kaiser siegreich ist, wir dann an die Reihe kommen! Nun, sind wir nicht immer zum Kampf bereit, wenn wir an die Reihe kommen? Warum sollten wir uns nicht auch auf unsere Marine verlassen, für den überaus unwahrscheinlichen Fall, daß Deutschland, wie siegreich es auch sei, zweimal so schreckliche Ansprüche an die gleiche Generation seines Volkes stellen würde, wie ein Krieg sie einbegreift. Warum sollten wir uns nicht auf die Zustimmung der Besiegten und auf die Unterstützung der öffentlichen Meinung in Amerika und Europa stützen, wenn wir an die Reihe kommen, wenn jetzt nichts anderes auf dem Spiele stünde, als der Unterschied zwischen Niederlage und Sieg in einem sonst gleichgültigen Feldzug? Wenn die Wohlfahrt der Welt durch eine englische Niederlage nicht mehr leidet, als durch eine deutsche, wem macht es etwas aus, ob wir besiegt sind oder nicht? Als bloße Mitstreiter im Wettrüsten und in einem olympischen Spiel, das mit Kugelgeschossen geführt wird, oder als Kläger in einem internationalen Rechtsstreit (dieser wurde nebenbei schon 1870 gegen uns entschieden, als Gladstone zu einem neuen Vertrag, gemacht ad hoc, greifen mußte, der bei Kriegsende wieder verfiel) mögen wir ebensogut geschlagen werden als nicht, wegen des Übels, das daraus für irgend jemand außer uns selbst entsteht oder sogar für uns selbst, abgesehen von unserer nationalen Eitelkeit. Als die besonderen Wachtmeister europäischen Lebens sind wir von Wichtigkeit, und in diesem Sinne können wir unsere Männer nach den Schützengräben senden mit der Versicherung, daß sie für eine würdige Sache kämpfen. Kurz gesagt, der Grund der Junker ist nicht two pence wert, der demokratische Grund, der sozialistische Grund, der internationale Grund ist all das wert, was er zu kosten droht.