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Militärische Kurzsichtigkeit

Unoffiziell verhält sich die Sache ganz anders. Demokratie, sogar Sozialdemokratie, wennschon gleich feindlich gegen englische wie gegen deutsche Junker und ohne Selbsttäuschung über die Überlebtheit und ungeheure Sinnlosigkeit eines heutigen Krieges, braucht es an Begeisterung für den Kampf nicht fehlen zu lassen, der ihren eigenen Zwecken besser dienen mag als denen ihrer politischen Widersacher. Denn der glänzende Bernhardi und unsere eigenen stumpfen Militaristen sind gleich wahnwitzig; der Krieg wird nichts von all den Dingen verwirklichen, um deretwillen sie sich hineingestürzt haben. Er wird vielmehr das bringen, was sie am meisten fürchten und mißbilligen. Tatsächlich hat er sie schon jetzt in eine Art von Organisation getrieben, zu deren Unterdrückung sie die antisoziale Liga begründet haben. Um zu zeigen, wie verrannt sie sind, wollen wir annehmen, der Krieg würde ihre Aspirationen im Westen restlos erfüllen. Nehmen wir also an, Frankreich geht aus dem Krieg siegreich, glücklich und ruhmvoll hervor, Elsaß und Lothringen sind zurückgewonnen, die Reims-Kathedrale im besten modernsten Handelsstil restauriert und sie haben eine ungeheure Entschädigung in der Tasche! Nehmen wir an, wir bugsieren die deutsche Flotte nach Portsmouth und lassen den Hohenzoller bildlich unter dem Absatz der Romanoffs und tatsächlich in einer behaglichen Villa in Chislehurst, Held jeder Teegesellschaft und Richter aller Gymkhanas! Ich höre die Militaristen ausrufen: Wohlan, gewiß sollt ihr das voraussetzen, könnten wir Besseres wünschen? Nun habe ich zufällig eine ziemlich rege Vorstellungskraft, die sich weigert, an diesem bekömmlichen Punkt haltzumachen. Ich muß fortfahren »anzunehmen«. Nehmen wir also an, Frankreich, neuerdings mit seinem militärischen Prestige auf Napoleonischer Höhe, verwendet seine Entschädigung zum Bau einer unbesiegbaren Flotte, stärker und uns näher als die deutsche, die wir jetzt vernichten wollen! Nehmen wir an, Sir Edward Grey erhebt Einwendungen und Monsieur Delcassé antwortet: »Rußland und Frankreich haben einen kaiserlichen Bramarbas gedemütigt und sind bereit, es mit einem zweiten aufzunehmen. Wir haben Fashoda nicht vergessen. Hindert uns, wenn ihr könnt oder wendet euch um Hilfe an Deutschland, das wir bezwungen und entwaffnet haben!« Von welchem Vorteil wird dann all dieses Blutvergießen sein, mit der früheren Lage in schlimmerer Gestalt erneut, der Feind näher unseren Küsten, ein Einfall viel leichter durchführbar, die überlieferte »natürliche Feindschaft«, um den Gegner zu stählen und Waterloo wettzumachen gleich Sedan. Ein Wickelkind sollte fähig sein zu sehen, daß diese irrsinnige Absicht, den militärischen Druck für uns zu erleichtern, indem wir diese oder jene besondere Macht schlagen, dasselbe ist, als wollten wir den Druck des Ozeans ändern, indem wir der Nordsee einen Eimer Wasser entnehmen und ihn in den Hafen von Biscaya leeren.

Ich übergehe absichtlich mehr östlich liegende Vermutungen, was ein siegreiches Rußland tun würde. Doch eine edle Befreiung von Polen und Finnland auf Rußlands Kosten und von Bosnien und Herzegowina auf Kosten Österreichs könnte unseren nervösen Militaristen die Befürchtung nahelegen, daß eine Leidenschaft für die Freiheit in Ägypten und Indien Platz greift und Rußland sich darauf besinnt, daß wir zur Zeit von Rußlands Demütigung in der Mandschurei Japans Verbündete waren. So ist hier wiederum das Problem des Kräfteausgleichs in Asien sehr erschwert, wenn Deutschland aus der antirussischen Schale geworfen und zu Staub gerieben wird. Selbst in Nordafrika – doch genug ist genug. Wenn man in der Bratpfanne sitzt, kann man seinen Weg durchhauen wie man will, man kommt immer nur ins Feuer. Besser Nietzsches tapferen Rat annehmen und es zu seinem Ehrenpunkt machen, »in Gefahr zu leben«. Die Geschichte lehrt, daß es oft die Art ist, lange zu leben.


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