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»›Basche!‹ sagte ich einmal zu meinem Weib im Guten, als wir allein waren und ich die Rede auf die Scheidung bringen wollte: ›Basche, was hast du gegen mich?‹
›Verrecke, Fischke!‹ antwortete sie mir kurz.
›Da habe ich es wieder!‹ sage ich geärgert: ›Ich rede mit dir im Guten, und du fluchst: Verrecke, Fischke. Warum?‹
›Also krieg die Fallsucht!‹ Sie verzieht das Gesicht und rückt von mir weg.
›Sollst mir gesund sein, Basche!‹ sage ich ihr. ›Gib deine Dummheiten auf und laß uns so leben, wie Gott geboten hat.‹
›Verrecke, Fischke, mitsamt deiner Herumtreiberin!‹
– Verrecke doch lieber du selbst mit deinem Kerl! – denke ich mir und rücke mit der Sprache heraus: ›Hör einmal, Basche, es heißt ja, daß eine Tochter Israels zu nichts gezwungen werden darf. Wenn du mit mir nicht leben willst, so gibt es bei uns Juden für diesen Fall die Scheidung. So oder so!‹
›Ach so, du sehnst dich nach der Herumtreiberin! Du willst dein Weib los sein und die Bucklige nehmen! Das wirst du aber nicht erleben! Ihr werdet beide eher krepieren. Hab keine Angst, es wird ihr nichts geschenkt werden, der frechen Person, sie wird schon die Erde kauen. Hörst du, Fischke! Der Teufel fahre in deines Vaters Vater . . .‹
Mein Weib fing so furchtbar zu schreien an, daß ich schnell davonlief.
Die Sache stand nun schlecht. Sehr schlecht! Ich bekam ja auch keinen Honig zu kosten, hatte genug auszustehen, aber die Bucklige, nebbich, hatte es noch viel schlimmer. Sie mußte für mich alles büßen, und mein Weib behandelte sie wie eine böse Hausfrau ihre Dienstmagd. Sie setzte ihr ganz fürchterlich zu, und der Halunke seinerseits plagte sie noch schlimmer. Schlecht hatten wir es beide. Unser einziger Trost war, abends, wenn alle schliefen, ins Freie zu gehen und voreinander unsere Herzen auszuschütten.
So sitzen wir einmal nachts neben der Großen Schul. Der Himmel ist voller Sterne, und um uns herum ist es still. Kein lebendes Wesen ist zu sehen. Sie sitzt neben mir auf einem Stein zusammengekauert, Tränen fließen ihr die Wangen herab, und sie summt vor sich hin:
Der Vater hat mich geschlachtet,
Die Mutter hat mich gegessen . . .
Jedes ihrer Worte dringt mir ins Herz wie ein Messer. Ich versuche sie zu trösten und ihr Mut zu machen. ›Nur noch ein wenig Geduld, bald wird uns von Gott die Hilfe kommen!‹ Ich male ihr aus, wie wir einst leben werden, wenn Gott uns aus diesem Jammer erretten wird. Ich schildere ihr alles in den glühendsten Farben, beschreibe ihr das Glupsker gemauerte Bad mit allen Einzelheiten. Ich sage ihr, daß es mir sicher gelingen wird, dort mit der Zeit wieder die Stelle eines Kleiderhüters zu bekommen. Vielleicht wird auch sie dort irgendeine Beschäftigung finden – als Badefrau oder ähnliches. Und sollte das nicht gelingen, so kann man in Glupsk auch andere Arbeit finden. ›Für arme Leute ist Glupsk ein wahres Erez-Jissroel; die Stadt ist, unberufen, groß und hat genug Häuser. Die Menschen sind einfach, machen keine großen Zeremonien, ein jeder tut, was ihm paßt, und niemand redet ihm etwas drein. In Glupsk darf selbst ein wohlhabender Bürger abgerissen herumgehen, und niemand sagt darüber ein Wort. Der Bürger kann dort mitten am hellen Tage zerzaust in einem schmutzigen Schlafrock herumspazieren; oder auch umgekehrt: ein Bettler darf dort in Samt und Seide herumstolzieren, und niemand nimmt daran Anstoß. Dort ist es überhaupt schwer, die Bettler von den Reichen zu unterscheiden: sei es an der Kleidung, sei es an der ganzen Lebensweise. Dort kommt es vor, daß arme Leute Vorsteher in Vereinen sind und davon leben; einer hilft dem andern, und alle haben ein gutes Leben. Armut ist dort keine Schande. Wenn man nur etwas Glück hat, kann man sich dort leicht ein gutes Auskommen verschaffen. Es gibt dort viele Leute, die erst vor kurzem Bettler und Dienstboten waren und auf einmal reich geworden sind und in der Stadt die größte Rolle spielen. Es ist ja möglich, daß auch ich, wie du mich da siehst, mit der Zeit ein einflußreicher Mensch sein werde, und dann werden wir es beide gut haben. Wir werden in Reichtum, Ehren und Freuden leben. Lache nicht, meine Seele, ich übertreibe gar nicht. In Glupsk gehört so was zu den gewöhnlichsten Dingen, man muß nur an Gott glauben, den Mut nicht verlieren und ein frommer Jude bleiben, der Gottvertrauen hat. Ach, Glupsk, Glupsk! Wann erleben wir es, daß wir uns von der üblen Bande losreißen und zu dir, meine Mutterstadt, zurückkehren?! . . .‹
›Ach Fischke! Ich habe keine Kraft mehr, es noch länger zu tragen‹, sagte die Bucklige und seufzte aus tiefster Seele. Sie lehnt ihren Kopf an meine Schulter und sieht mich flehend an. Ich streichle ihr das Haar, liebkose sie und spreche ihr Mut zu. Sie wird etwas heiterer, blickt mir in die Augen und lächelt. ›Fischke‹, sagt sie leise, ›du bist der einzige Mensch, den ich auf Erden habe: du bist mein Vater, mein Bruder, mein Freund, mein alles. Fischke, bleib mir treu und vergiß mich nicht. Schwöre mir bei der Schul, wo jetzt die Toten beten, unter denen sich vielleicht auch mein Vater befindet, den ich so wenig gekannt habe, schwöre mir, daß du mir immer treu bleiben wirst . . .‹
Nun nahm ich alle Kraft zusammen, um bei meinem Weibe die Scheidung durchzusetzen. Schließlich einigten wir uns so: ich gebe ihr das bißchen Geld, das ich mir während der Zeit, wo ich für mich allein arbeitete, zusammengebettelt habe; ich gebe es ihr sofort und deponiere es nicht, wie es sonst üblich ist, bis zur Scheidung bei einem Dritten, außerdem verpflichte ich mich, den ganzen folgenden Winter ganz ohne Widerspruch für sie zu arbeiten; das heißt: mich wieder zum Betteln führen zu lassen und alles, was ich bekomme, meinem Weib als Entschädigung für die Scheidung zu geben. Der Rothaarige lächelte, verprügelte mich und sagte: ›Masel-Tow‹. Und ich wurde wieder zu einem Bären, zu einer guten Ware; der Alte führte mich wieder zum Betteln, und ich mußte wieder hinken, Gesichter schneiden und seufzen, wie er mich lehrte.
Nach Pejssach kamen wir in irgendein Städtchen im Chersoner Gouvernement. In der ersten Zeit arbeitete ich so, wie ich mich verpflichtet hatte. Aber dann sagte ich mir: ›Es ist genug! Jetzt will ich ein Ende machen.‹ Mein Weib machte zuerst Schwierigkeiten und wollte noch eine Bedenkzeit haben. Schließlich erklärte sie: ›Gut, morgen kann die Scheidung sein.‹ Es wurde mir auf einmal hell vor den Augen. Vor lauter Freude litt es mich nicht an einem Ort, es zog mich ins Freie. Ich spazierte eine lange Zeit durch die Straßen und bettelte dabei von Haus zu Haus. Denn ich sagte mir: ›Was kann mir das schaden? In der ersten Zeit, wo ich selbständig bin, werde ich wohl ein paar Groschen brauchen können.‹ Das Geschäft ging diesmal sehr gut, so einen Ertrag vom Betteln wie an diesem Tage habe ich noch nie gehabt. So was erlebt man nur einmal in hundert Jahren. Wenn Gott einem Menschen helfen will, so hilft er ihm in allen Dingen. In jedem Hause kriegte ich was. Ich hatte solches Glück, daß ich zufällig auch in ein Haus kam, wo gerade ein Briss gefeiert wurde. Die Leute waren sehr gut aufgelegt und lustig. Man gab mir einen ordentlichen Schluck Branntwein, ein ganzes Kiddusch-Glas voll, ein großes Stück Honigkuchen, ein ›Königsbrot‹, etwas Geld und eine große Semmel. Ich nahm mich zusammen und kostete von allen diesen Dingen kein Bißchen, sondern verwahrte alles im Busen, um es der Buckligen als Geschenk mitzubringen. Ihr hättet sehen sollen, mit welcher Freude ich heimging. Ich dachte mir die ganze Zeit: ›Heute abend, wenn alle schlafen, werde ich ihr das geben, damit sie auch einmal eine Freude hat. Sie ist ja, nebbich, so einsam und elend. Sie hat in ihrem ganzen Leben keinen süßen Augenblick gehabt. Soll sie wissen, daß Fischke ein guter Bruder ist, daß er für sie sorgt und über sie wacht wie über seinen Augapfel. Er wird eher selbst nichts essen, ihr aber den besten und schönsten Bissen geben.‹ Ich malte mir schon aus, wie wir vor der Großen Schul sitzen und uns freuen. Sie erquickt ihr Herz mit dem Honigkuchen, und ich sage ihr: ›Meine Seele! Wohl bekomm es dir!‹ Und dabei denke ich mir im stillen: ›Soll das ein gutes Zeichen sein; gebe Gott, daß wir bald bei uns Honigkuchen essen . . .‹ Und ich teile ihr die frohe Botschaft mit: ›Morgen werde ich frei, denn meine Frau nimmt die Scheidung an.‹ Sie strahlt vor Freude. Wir überlegen uns, wie wir von der Bande weglaufen können. Wir werden uns einen Plan ausdenken, und alles wird, so Gott will, gut werden . . . Mit solchen Gedanken ging ich heim und malte mir immer unser Glück aus. Unterwegs traf ich auch noch einen Wasserträger mit vollen Eimern, und das ist ja auch ein glückliches Zeichen. Was kam aber heraus?
Das ganze fiel ins Wasser. Wenn einem Menschen Unglück beschieden ist, so helfen ihm auch keine guten Zeichen, selbst wenn er zehn Frauen mit vollen Eimern begegnet. Als ich abends ins Hekdesch zurückkehrte, traf ich dort die Bande nicht mehr an! Während ich lustig in der Stadt herumspazierte, fuhren sie alle davon und nahmen auch mein Weib und die Bucklige mit . . . Das war gewiß ein Streich vom Rothaarigen! Mag er soviel vom Leben wissen, wieviel ich damals wußte, was ich tun soll! Möchte sich ihm doch so der Magen umdrehen, wie sich mir damals der Kopf drehte. Finster war es mir vor den Augen, verdunkelt war meine Welt. Das einzige Sternchen, das mir leuchtete, war plötzlich erloschen. Weh ist mir, ich habe meinen Trost verloren! Ich habe die Bucklige nicht mehr bei mir . . . Ich bin wieder einsam und verlassen wie ein Stein. Und sie? Wo ist sie, was tut sie? Vor wem wird sie ihr bitteres Herz ausschütten können? Ach, Juden, das war ein Schmerz, ein doppelter Schmerz!
Als ich später das Stück Honigkuchen, das ich für sie aufgehoben hatte, aus dem Busen holte, riß mir das Herz entzwei. Ich hielt den Kuchen steif in der Hand und begoß ihn mit Tränen, wie ein Andenken, das man von seinem verstorbenen geliebten Kinde hat. Es ist dir nicht beschieden, du meine arme Seele, auch nur einmal in deinem Leben dein Herz zu erquicken! Ich schaue auf das Stück Lebkuchen, küsse es, wickele es dann wie einen Edelstein ein, verwahre es wieder im Busen und drücke es fest ans Herz . . . Weiß ich, was ich damals hatte?! . . .«