Mendele Moicher Sfurim
Fischke der Krumme
Mendele Moicher Sfurim

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IV

»Ich stehe also vor meinem Wagen«, fährt Alter in seiner Erzählung fort, »und schaue mir den Jahrmarkt an. Es siedet und kocht wie auf jedem Jahrmarkt. Es sind eine Menge Leute da. Die Juden machen Geschäfte, sind mit Leib und Seele dabei, mit einem Worte – sie leben! Ein Jude auf einem Jahrmarkt ist wie ein Fisch im Wasser. Auf dem Jahrmarkt, versteht Ihr mich, lebt er auf. Es ist, wie es in Jakobs Segen steht: ›Wajidgu‹ – und sie sollen wie die Fische sein – ›bekerew hoorez‹ – auf der Erde. Ist es nicht so, Reb Mendel? Steht es denn nicht geschrieben, wie die Juden sagen: ›ein Jahrmarkt im Himmel‹? Der Himmel ist für den Juden wohl ein Jahrmarkt. Ob es so geschrieben steht oder nicht, jedenfalls rennen die Juden umher, handeln und bleiben keine Weile still. Da sehe ich auch unter den Kaufleuten den Berl Teletze, der früher einmal Belfer und später Diener war und der heute Reb Ber heißt. Er steht vor seinem großen Laden und strahlt, daß man es auf dem ganzen Jahrmarkte sieht. Es siedet, es kocht. Dort läuft ein Jude, ein zweiter, ein dritter; sie laufen auch paarweise, ein jeder ist verschwitzt, ein jeder hat seine Mütze im Nacken sitzen; er tappt hier an, tappt dort an, winkt mit der Hand hin, winkt her, dreht den Daumen und kaut das Bärtchen: es ist ihm wohl was Gutes eingefallen! Ganz atemlos rennen sie alle umher: Makler, Schadchonim, Trödler, Betrüger, Hühnerdiebe, Jüdinnen mit Körben, Juden mit Säcken und auch solche, die nur ihre fünf Finger haben, junge Herren mit Stöckchen, Bürger mit Bäuchlein; allen brennt das Gesicht, jede Minute ist einen Dukaten wert. Kurz und gut, es sieht so aus, als ob ein jeder glücklich werden müßte. Ach, wie ich einen jeden um sein Glück beneide! Ein jeder verdient, nimmt das Geld mit beiden Händen ein; und ich Pechvogel? Ich stehe wie ein Lehmgötze mit verschränkten Armen vor meinem abgerissenen Wagen, der von außen mit Zizzes und Kamejes behangen und innen mit Büchern vollgestopft ist. Ein Spaß: Tchines der Ssore bas Tuwim! Die ganze Ssore bas Tuwim kostet einen Dreier . . . Geh, lebe davon, verheirate damit ein Mädel! Ich verwünsche in meinem Herzen sie, meinen Wagen, mein mageres Pferd: ach, wenn sie doch alle überhaupt nicht auf der Welt wären! Aber genug, man muß sein Glück versuchen, etwas tun, arbeiten. Der Herr kann sich ja noch meiner erbarmen. Warum auch nicht? Kurz und gut, ich schiebe die Mütze in den Nacken, krempele die Ärmel auf, meine Füße gehen ganz von selbst auf irgendeinen Wagen zu, und da kaue ich schon an einem Strohhalm, der mir aus dem Wagen ganz von selbst in den Mund geflogen ist. Ich kaue am Strohhalm, und mein Gehirn arbeitet. Ich verziehe das Gesicht, schaue hin, schaue her und plötzlich tippe ich mich mit dem Finger an die Stirne – ich hab's! Ein schönes Geschäftchen, eine Heiratsvermittlung zwischen den Kindern zweier Kaufleute, sehr anständiger Menschen, die beide auf dem Jahrmarkte Verkaufsstände haben. Versteht Ihr, was es für Menschen sind? Der eine ist Reb Eliokum, Reb Eliokum Schargoroder! Der andere – Reb Getzel Greidinger. Mein Geschäft – der Wagen mit dem Pferd und auch der Drucker mögen sich zum Teufel scheren! Und ich mache mich mit großem Eifer an das neue Geschäft. Ich habe Glück, die Sache kommt vom Fleck! Ich habe Hoffnung, daß sie in Gang kommt. Ich treibe an, und sie rührt sich. Ich tue nichts anderes, als von Reb Getzel zu Reb Eliokum und von Reb Eliokum zu Reb Getzel rennen. Nun laufe ich schon, Gott sei Dank, ebenso beschäftigt herum wie die anderen Leute und bin nicht ärger als alle Juden. Ich arbeite, pflüge mit der Nase die Erde – die Sache muß zustande kommen, und zwar gleich auf der Stelle. Gibt es denn dafür auch einen besseren Ort als den Jahrmarkt? Kurz und gut, ich beeile mich, die Leute zusammenzubringen, sie sehen einander an, gefallen einander sehr gut und wollen die Partie machen. Was kann ich mir noch mehr wünschen? Die Leute zappeln, verbrennen vor Ungeduld und sind miteinander fertig! Vor lauter Freude werde ich länger und dicker. Den Profit habe ich so gut wie in der Tasche. Ich überlege mir sogar schon, wieviel Mitgift ich meinem Mädel geben soll. Ich habe daraufhin schon Drillich für die Betten angeschafft und sogar beinahe einen Samtmantel bei einem Altkleiderhändler gekauft. Es fehlen noch Hemden, aber die sind meine letzte Sorge: Gott wird sie mir schon schicken . . . Gut. Hört aber, was einem passieren kann! Wenn der Mensch kein Glück hat, soll er lieber gar nicht geboren werden. Wie man schon beim Topfbrechen ist und Braut und Bräutigam holt, damit sie sich sehen, was stellt sich heraus? Was glaubt Ihr? Es tut weh, davon zu sprechen. Die Sache stürzt zusammen. Nein, zusammenstürzen ist kein Ausdruck – sie geht einfach zum Teufel! Hört nur, wie Gott einen strafen kann: die beiden Mechuttonim haben . . . nun, was glaubt Ihr, daß sie haben – beide haben Söhne!«

»Aber Reb Alter!« platze ich lachend heraus, »ich bitte Euch wie eine Mutter um Vergebung: wie kann man so dumm sein und sich nicht zuvor erkundigen, wer von den Mechuttonim einen Sohn und wer eine Tochter hat?«

»Gewiß, selbstverständlich!« sagt Alter und macht ein verdrießliches Gesicht. »Ich habe, Gottlob, noch ebensoviel Verstand wie die anderen Leute und brauche von niemand zu lernen. Seid Ihr denn kein Jude und wißt Ihr nicht, wie bei uns Partien zustandekommen? Ihr solltet doch, Reb Mendele, unsere Heiratssitten kennen! Warum staunt Ihr dann so über mein Unglück, das auch jedem andern hätte passieren können? Ich wußte sehr gut, daß Reb Eliokum eine Tochter hat, und was für eine Tochter! So ein Stück Gold wünsche ich mir selbst! Ich hatte sie vor einem Jahr mit meinen eigenen Augen gesehen – möge ich soviel Gutes im Leben sehen! Aber wenn der Mensch kein Glück hat, hilft ihm keine Weisheit. Hat also das schöne Mädel inzwischen keine Zeit gehabt und mir zum Trotz schon geheiratet. So eine Eile war über sie gekommen, wie in den Zeiten der Behole. Ich weiß gar nicht, was über sie gekommen war. Ebensoviel möchte ich von meiner Armut wissen! Nun frage ich Euch, überlegt es Euch selbst: wenn ich komme und sage: ›Reb Eliokum! Ich will Euch mit Reb Getzel verschwägern‹, wen habe ich da in Sinnen? Selbstverständlich Reb Eliokums Tochter und Reb Getzels Sohn. Das ausdrücklich zu erwähnen, wäre ja lächerlich, denn die Sache versteht sich von selbst. ›Was erzählst du mir?‹ würde er mir sagen: ›Es versteht sich doch, daß nicht zwei Burschen heiraten sollen, sondern ein Bursche und ein Mädel, wie es einmal Sitte ist.‹ Nun glaube ich, daß ich meinerseits richtig gehandelt habe. Kein Mensch – bei meiner Jüdischkeit! – hätte besser handeln können. Kurz und gut, ich bespreche die wichtigsten Dinge, das von der Mitgift, von den Kost. Ihr dürft auch nicht vergessen, daß man auf einem Jahrmarkte mit Kaufleuten nicht zuviel Worte machen darf. Man kann nur sehr kurz und nur vom Geschäft sprechen. Niemand hat Zeit. Da habe ich Euch also meine Handlungsweise erklärt. Gehen wir nun zu Reb Eliokum. Wie Reb Eliokum hört, daß ich ihm eine Partie mit Reb Getzel vorschlage, meint er natürlich, daß ich seinen Sohn im Sinne habe; anders läßt sich das ja gar nicht erklären. Ihm schlägt man eine Partie mit Reb Getzel vor? Natürlich denkt er sich, daß Reb Getzel eine Tochter hat, denn er weiß doch sehr gut, daß er selbst einen Sohn und keine Tochter zu verheiraten hat. Es kommt also heraus, daß beide recht haben. So ist die Sache. Versteht Ihr es nun?«

»Beh!« sage ich, mit großer Mühe das Lachen zurückhaltend und ein ernstes Gesicht machend.

»Gott sei Dank, daß Ihr es versteht!« sagt Alter, auf mich mit dem Daumen deutend. Und er fügt gedehnt hinzu: »Ja, so!«, wie wenn ich mit meinem »Beh« just das Richtige getroffen hätte.

Die Wahrheit zu sagen, setzte sich Alters Erklärung mir im Kopfe fest. Warum auch nicht? Warum soll bei unseren Heiratssitten nicht einmal auch so etwas vorkommen? Ich sage noch einmal »Beh« und blicke dabei Alter sehr freundlich an.

»Ja, ja!« fährt Alter fort und deutet wieder mit dem Daumen auf mich. »Ihr versteht also? Ich bin aber noch nicht fertig: in mir flackerte nämlich noch eine Hoffnung. Wenn ich mich an ein Geschäft mache, so gebe ich es nicht so leicht wieder auf!«

»Reb Alter, Gott sei mit Euch! Was redet Ihr?« Ich springe vor Erstaunen auf und meine, Alter sei vor der großen Tammushitze verrückt geworden. »Was für eine Hoffnung hat Euch noch bleiben können, nachdem es sich herausgestellt hat, daß beide Teile Söhne haben?«

»Laßt Euch dienen!« beruhigt mich Alter. »Laßt Euch dienen, Reb Mendele! Es stimmt schon. In mir pochte noch eine Ader. Gott gibt ja dem Menschen die Arznei noch vor der Krankheit. Versteht Ihr mich, nun kommt Berl Teletze an die Reihe. An Teletze hatte ich schon gleich am Anfang gedacht. Teletze hat ganz bestimmt Töchter, Ihr könnt's mir glauben. Anfangs gingen mir also immer die drei Namen durch den Kopf: Eliokum, Getzel, Teletze. Von diesen mußte ich zwei wählen. Hatte ich just Eliokum gewählt und Teletze inzwischen zurückgestellt. Was sollte ich tun, wo ich schon einmal dieses Unglück hatte? Natürlich, auf der Stelle die Partie mit Teletze zustandebringen. Der ist ja ein vornehmer Mann geworden und heißt ›Reb Berisch'l‹. Ich entschuldige mich also bei den ersten beiden Parteien: gut, ich bin schuld, Ihr seid schuld, und ein wenig ist auch das Schicksal schuld. Die Partie war wohl dem Himmel nicht genehm, versteht Ihr mich! Nun beginnt das neue Lied: Reb Berisch'l ist, unberufen, reich, ein wahrer Brillant, ein Wohltäter und Vorstand in vielen Vereinen. Mit einem Worte – Reb Berisch'l! Den Titel ›klug‹ erwähne ich gar nicht, denn der versteht sich von selbst und steckt schon im Worte ›reich‹. Also gut. Die Hoffnung brennt immer stärker. Auch das ist zu meinem Besten, sage ich mir, daß die beiden Söhne wie Baumöl auf dem Wasser heraufgeschwommen sind: nun habe ich für die zwei Burschen zwei Mädchen, die ihnen wie angegossen passen. Reb Berisch'l wird mir entgegenkommen, und alles wird gut werden. Also wieder hin, wieder her, ich arbeite, was ich kann, und renne wieder herum. Ich glaube schon, die Sache ist im Nu erledigt. Nun muß mitten drin der Jahrmarkt zu Ende gehen. Alles gerät durcheinander, alle reisen ab, aus ist's mit allen Geschäften, und alle meine Mühe ist verloren . . . So viel Mühe!«

»Versteht Ihr es jetzt?« wendet sich Alter an mich mit der Melodie eines Gebets, beide Hände ausstreckend, wie wenn er sein schweres, bitteres Herz ergießen wollte und von mir Hilfe erwartete: »Versteht Ihr es jetzt? Wenn der Mensch kein Glück, kein bißchen Glück hat, hilft alle Weisheit nicht. Ach, Gottes Zorn hat sich schon längst als Strafe für meine Sünden über mich ergossen. Von barem Gelde redet Ihr? Habe ich denn auch einen Groschen in der Tasche übrig? Ach und weh ist mir!«

»Ach, es ist wie im Bade!« sage ich gedehnt und strecke mich aus.

Alter starrt mich an, schüttelt erregt den Kopf und spricht, wie wenn er sich nicht an mich, sondern an die ganze Welt wendete:

»Dieser Verbrecher von einem Juden! Ein Mensch zerspringt – auf alle Feinde Zions sei es gesagt! – vor Ärger, die Galle läuft ihm über, und der – der macht sich nichts daraus! Er denkt nur an seine Seele. Ein Spaß: es ist so heiß wie im Bade! Zerschmelzen wird er . . . Ich verstehe aber, Gottlob, solche jüdische Hintergedanken: er will sich nur vom Geschäft zurückziehen, nachdem er gemerkt hat, daß der andere kein bares Geld hat!«

»So wahr ich lebe!« rufe ich aus und zupfe ihn am Bart, wie es bei uns Sitte ist. »Was fällt Euch ein? Wie könnt Ihr Euch so etwas denken, Reb Alter? Ich meine etwas ganz anderes. Das Ende Eurer Geschichte vom Jahrmarkt erinnert mich an eine andere schöne Geschichte, die ich einmal im Bade erlebt habe und die ich gar nicht vergessen kann. Es ist genau dieselbe Geschichte, um kein Haar anders. Dort war aber die Sache viel kürzer und endete mit einem Knacks. Die Geschichte ist wert, daß Ihr sie anhört. Was, Ihr schwitzt, Reb Alter? Rückt bitte ein wenig hin, und ich werde mich mit dem Rücken gegen die Sonne wenden und Euch die Geschichte erzählen.«

Alter wischt sich mit dem Ärmel des Hemdes den Schweiß aus dem Gesicht, holt aus der Busentasche seine Porzellanpfeife, auf der irgendein schönes Frauenzimmer gemalt ist, putzt mit dem Draht, der an einem Kettchen vom Messingdeckel der Pfeife herunterhängt, das Rohr, dessen Mundstück und unterster Teil aus grauschwarzem Bein bestehen und dessen biegsames Mittelstück mit Samt umwickelt ist, steckt die Pfeife an, wirft dabei einen Blick auf das schöne Frauenzimmer und streckt sich seiner ganzen Länge nach unter dem Baume aus. Ich räuspere mich, lege mich bequem hin und beginne meine Geschichte wie folgt.


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