Mendele Moicher Sfurim
Fischke der Krumme
Mendele Moicher Sfurim

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XIX

Fischke schwieg wieder. Er schien sehr erregt. Um ihn wieder gesprächig zu machen und von ihm alles zu erfahren, was ich so gerne wissen wollte, fing ich ihn wieder zu reizen an:

»Du hast uns noch nicht gesagt, Fischke, ob deine Bucklige ein hübsches Mädel ist. Was kann an einer Buckligen so sehr gefallen?«

»Wieso?« ereifert sich Fischke: »Wer denkt bei einer jüdischen Tochter an Schönheit? Wenn sie schön ist, so ist sie es für sich selbst, und es geht niemanden etwas an. Die Bucklige ist aber wohl gar nicht übel, sie hat hübsches Haar und ein angenehmes Gesicht, und ihre Augen sind wie zwei Brillanten. Was ginge mich aber das alles an? Bin ich denn ein dummer Junge, der hübschen Frauenzimmern nachläuft? . . . Unsinn! . . . Mich bezauberte ihre Güte, ihr Mitleid mit mir: sie bemitleidete mich wie einen Bruder und ich sie wie eine Schwester. Das war es! . . .«

»Mein Gott, ist es nicht ganz gleich?« fällt ihm Alter ins Wort.

»Meine letzte Sorge . . . Was erzählte sie dir aber, Fischke? Nun, heraus damit!«

Alter treibt ihn auf seine Art an, Fischke erzählt auf seine Art, ich helfe ihm auf meine Art, und die Geschichte geht wie folgt weiter:

»Ich hatte schon längst bemerkt, daß der Halunke – die Kränke fahr ihm in die Knochen! – die Bucklige zu kneifen pflegte. Ich glaubte, er täte es einfach aus Bosheit, um sie zu quälen. Nun hörte ich von ihr, daß das Kneifen einen ganz andern Sinn hatte. Der Schurke hatte ein Auge auf sie geworfen und gab ihr keine Ruhe. Wenn er sie irgendwo in einem Winkel erwischte, machte er sich an sie mit süßen Reden heran und versprach ihr goldene Berge. Und als er mit Gutem nichts erreichen konnte, fing er mit Bösem an: er drohte, ihr das Leben bitter zu machen, sie in schlechten Ruf zu bringen und in den Tod zu treiben. Einige Male versuchte er auch, ihr Gewalt anzutun. Das endete gewöhnlich damit, daß sie sich aus seinen Händen losriß und ihn so in den Bauch stieß, daß er beinahe verreckte. Er zahlte es ihr nachher mit Zinsen heim und riß ihr das Fleisch förmlich stückweise aus dem Leibe. Und dann ging die Geschichte von neuem los: er versuchte es wieder mit Gutem und wieder mit Bösem. Je mehr sie ihm aus dem Wege ging, um so mehr setzte er ihr zu. Im Vorbeigehen versetzte er ihr oft einen Stoß oder kniff sie, wie zufällig, aber so, daß es die Leute sahen.

Solches hatte sie von ihm oft erlebt, und ich will davon gar nicht sprechen. Aber was sie in der letzten Nacht erlebt hatte, war schon gar zu schrecklich. Als der große Lärm im Hekdesch sich gelegt hatte und alle schliefen, kauerte sich die Bucklige in einem Winkel bei der Türe hin und schlummerte schon ein, als ihr plötzlich jemand etwas ins Ohr flüsterte, so daß sie erwachte. Es war der Rothaarige. ›Du liegst hier schlecht‹, sagte er ihr, Mitleid heuchelnd: ›Komm, ich geb dir einen guten Platz, wo du wirklich ausruhen kannst.‹ Sie dankt ihm für seine Güte und bittet ihn, sie in Ruhe zu lassen. Er setzt ihr aber noch weiter zu, bringt auch die Rede auf mich und sagt ihr, daß es ihm gut bekannt sei, wie die Dinge zwischen uns stehen . . . Er droht ihr, sie und mich ins Grab zu bringen, und benimmt sich zugleich wie ein böses Tier und wie ein sanftes Lamm. Er ist gut und zugleich schlecht; wie er aber zudringlich wird, bekommt er von ihr einen Schlag ins Gesicht, daß ihm beinahe die Zähne herausfallen. Nun wird er ganz wild: er packt sie und schleudert sie ins Vorhaus. Was weiter geschah, wißt Ihr schon.

Als mir die Bucklige das alles erzählte, war ich eine lange Weile wie erschlagen und ohne Sprache. In meinem Innern nagte aber ein Wurm. In mir brannte ein wilder Zorn gegen den Halunken und heißes Mitleid mit ihr; und noch ein anderes Gefühl, für das ich keinen Namen weiß. Dieses Gefühl packt mich am Herzen, ich ergreife ihre Hand, die sie noch vor dem Gesicht hält, und sage ihr mit einer Stimme, die mir selbst fremd vorkommt:

›Meine Seele! Das Leben will ich für dich hingeben!‹

›Ach, Fischke!‹ sagt sie seufzend. Und sie rückt näher zu mir heran und lehnt sich mit der Wange an meine Schulter.

Es wird mir hell vor den Augen und warm in allen Gliedern. Ich tröste sie wie eine Schwester mit guten Worten. ›Gott wird schon helfen!‹ Und ich schwöre ihr, daß ich ihr ewig wie ein treuer Bruder sein werde. Sie blickt mir in die Augen, lächelt süß, senkt den Kopf und sagt:

›Ich weiß nicht, warum, aber es ist mir jetzt so wohl ums Herz, Fischke! Und ich habe wieder Lust zu leben . . .‹

Eine lange Weile sprachen wir nun leichten Mutes miteinander und trösteten uns damit, daß Gott uns helfen wird und daß wir einmal bessere Zeiten erleben, wie wir es uns beide wünschen. Plötzlich hören wir in der Nähe ein Klopfen. Ich mache einige Schritte im Schatten hart am Zaune und sehe auf der anderen Seite des Gäßchens einen Menschen, der sich an einer Kellertüre etwas zu schaffen macht. Ich schaue genauer hin – die Kränke fahre ihm in die Knochen! Es ist der Rothaarige. Ich sehe, wie er das Schloß aufbricht und in den Keller steigt, wohl um alles, was sich am Sabbat in einem Keller befindet, zu stehlen. Wie ein Blitz durchfährt mich der Gedanke: ›Fischke, nimm jetzt an ihm für dich und für die Bucklige Rache! Jetzt ist die Zeit: mach schnell die Kellertüre zu; soll er dort wie ein Bär in der Falle sitzen, bis man ihn morgen erwischt und ihm ein Bein ausrenkt!‹ Zum ersten Male fühlte ich, wie gut, wie süß die Rache ist! Das Blut siedete in mir, und ich war wie berauscht. In einem Augenblick war ich vor dem Haus und schlug die Türe zu. ›Liege da wie ein Hund!‹ sage ich mir lächelnd. Wie ich aber den Riegel vorschieben will, sehe ich, daß er etwas verbogen ist. Ich gebe mir die größte Mühe, bringe ihn aber nicht von der Stelle. Ich nehme meine ganze Kraft zusammen und habe ihn schon beinahe vorgeschoben, als die Türe plötzlich von innen aufgerissen wird und ich in den Keller fliege. Auf den Stufen stoße ich mit dem Rothaarigen zusammen. ›So, Reb Fischel!‹ sagt er mir, nachdem wir uns eine Weile schweigend gegenübergestanden haben: ›Du hast an der Türe gearbeitet und um meinetwegen den Sabbat entweiht? Es freut mich, so wahr ich lebe! Komm nun, Kätzchen, etwas tiefer hinunter, ich muß dich doch ordentlich traktieren!‹ Und er stößt mich die Treppe hinunter, ich falle auf die Erde und breche mir beinahe das Genick. ›Hier hast du einmal einen Vorschuß, du verschämter Bettler!‹ sagte er mir und schlägt mich mit aller Wucht in den Rücken. ›Jetzt kannst du warten, bis ich das gebratene Huhn, die Fische und die Schüssel Kalbsfußsülze, die ich deinetwegen beinahe zurückgelassen hätte, in den Sack gepackt habe!‹ Und dann fängt er mich wieder zu schlagen an.

›Zähl, Fischke: eins, zwei, drei, vier, fünf . . . Das hast du von mir für dich. Und jetzt kriegst du für die Bucklige. Zähl, Fischke: neun, zehn . . . Was ist das für eine Art, sich nachts mit einem Mädel herumzuschleppen? . . . zwölf, dreizehn . . . Ich sah dich früher mit ihr im Hintergäßchen herumspazieren . . . Sechzehn, wenn ich nicht irre, siebzehn . . .‹ Seine letzten Worte brachten mich ganz aus der Fassung.

›Schurke!‹ schreie ich ihn an: ›Du bist nicht wert, ihren Namen auszusprechen!‹ Und ich springe schnell auf und beiße mich in ihm mit den Zähnen fest. Nun beginnt ein Kampf: ich mit den Zähnen, er mit den Händen. Beide sind voller Haß, ein jeder will den andern umbringen. Er reißt mich mit aller Kraft von sich los, drückt mich fürchterlich zusammen und schleudert mich weit von sich weg.

›Danke Gott für die Errettung deiner Seele!‹ sagt er mir. ›Es ist mir nicht gelungen, dir den Garaus zu machen. Bleib nun da, Fischele, ruhe dich aus bis morgen. Statt gefüllte Fische werden sie morgen einen lebendigen Fischke finden . . . Gute Nacht! Was soll ich deinem Weib ausrichten? Sie wird noch heute nacht einen Gruß bekommen!‹

Mit diesen Worten geht er fort und schließt die Türe.

Als ich zur Besinnung kam, stürzte ich sofort zur Türe. Ich ziehe und ziehe – alle Mühe ist umsonst: sie ist von außen fest verschlossen. Ich weiß gar nicht, was ich tun soll. Ich darf keinen Lärm machen, damit die Leute mich nicht hören; und dableiben ist noch schlimmer. So stehe ich da, vor Schreck, vor Zorn und Schmerz schwindelt mir der Kopf. Ich werfe mich auf die Erde und liege in meinem Unglück da. Und ich denke mir, wie man mich hier morgen finden wird und wie alle Leute zusammenlaufen werden, um mich zu sehen. Es wird heißen, man hätte einen Dieb erwischt, und wird noch tausend Einzelheiten hinzudichten; jeder Mensch, der Lust hat, wird mich schlagen, und ich werde mich gar nicht rechtfertigen können. Dieser Gedanke bohrt in meinem Gehirn und gibt mir keine Ruhe. Plötzlich fühle ich, wie etwas über mich kriecht. Ich strecke die Hand aus und ergreife eine Ratte, die mir flink aus den Fingern gleitet und piepst. Ich springe auf, es ist mir schlecht, und kalter Schweiß tritt mir auf die Stirne. Mich kaum auf den Beinen haltend, lehne ich mich an die kalte, feuchte Wand und denke mir: ›Schöpfer der Welt, was ist das für ein Leben? Wofür strafst Du mich so? Wäre es nicht besser für mich und für die Welt, wenn ich gar nicht geboren wäre? Warum muß ich solches tragen?‹ Wie ich mir das denke, bricht mir schier das Herz, und ich vergieße bittere Tränen. Ich weine und frage: ›Schöpfer der Welt, wo bist Du?‹ Und ich stehe wie ein Lehmgötze da und weiß gar nicht, was um mich vorgeht. Plötzlich knarrt die Türe, ein schmaler Streif leuchtet in der Finsternis auf, und ich höre auf den Stufen leise Schritte. Die Haare stehen mir zu Berge: gleich wird man mich erwischen und mit mir wie mit einem Dieb abrechnen! Und wie ich zitternd mit gesenktem Kopf stehe, höre ich, wie mich jemand leise beim Namen ruft: ›Fischke, Fischke!‹ Ich erblicke vor mir die Bucklige und schreie vor Freude auf.

›Still!‹ sagt sie, meine Hand ergreifend: ›Geh doch schneller von hier fort!‹

›Du hast mir das Leben gerettet!‹ schreie ich ganz außer mir vor Freude. Und hier im Keller geschah es – ich muß es gestehen –, daß ich sie zum ersten Mal küßte . . .

Ich frage sie, wie sie hergekommen sei. Sie bittet mich aber zu schweigen und erinnert mich daran, daß wir uns nachts in einem fremden Keller befinden.

›Komm schnell heraus, wirst bald alles erfahren‹, sagt sie mir und führt mich an der Hand ins Freie.

Im Gehen erklärte sie mir die ganze Geschichte: Bald nachdem ich sie verlassen hatte, sagte ihr das Herz, daß mir etwas zugestoßen sei und daß sie nach mir sehen müsse. Sie ging bis ans Ende des Zaunes und sah auf der gegenüberliegenden Straßenseite jemand vor einer Türe stehen. Sie meinte, daß ich es sei, und kam näher. Da hörte sie aber die Worte: ›Lieg jetzt da wie ein Hund, Reb Fischel! Die Türe ist gut zugeriegelt.‹ Es wurde ihr finster vor den Augen, und sie blieb ganz verwirrt stehen. Plötzlich geht auf sie der Rothaarige zu; er kneift sie und sagt mit einem Lächeln: ›Gut Schabbes! Willkommen! Bist ein feines Mädel: Schleppst dich nachts in den Gassen herum, stellst dich aber so fromm wie eine Rebbezin . . . Geh sofort nach Hause, du Herumtreiberin!‹ Er stößt sie mit dem Knie in den Rücken, und sie muß mit ihm gehen. Unterwegs sieht er sich immer nach allen Seiten um und legt den schweren Sack jeden Augenblick von der einen Schulter auf die andere, vergißt aber dabei nicht, sie vor sich her zu stoßen und zu quälen. Sie geht, nebbich, ganz unglücklich vor ihm her. Sie weiß, daß ich mich in einer bösen Lage befinde und daß sie mir nicht helfen kann, weil der Rothaarige sie nicht aus den Augen läßt. Plötzlich zeigen sich mehrere Juden, die von einer Ben-Sochor-Feier kommen; sie sind lustig und guter Dinge, wie es Juden bei solcher Gelegenheit immer sind. Sie lachen über einen, der in Zerstreutheit sein Schnupftuch trotz des Sabbats in der Hand trägt. Der Halunke springt sofort zur Seite und verschwindet in einem schmalen Gäßchen. Meine Bucklige sieht sich frei und rennt davon.

Selbstverständlich läuft sie zum Keller, um mich zu befreien. Stellt Euch aber ihren Schmerz vor, als sie merkt, daß sie sich in den Gassen verirrt hat und die Stelle, an der wir gesessen sind, nicht mehr finden kann. Sie weiß, daß ich mich in großer Not befinde, daß sie mich so schnell wie möglich befreien muß, daß jeder Augenblick teuer ist, und sie irrt durch die Gassen und findet nicht das Haus . . .! Schließlich erbarmte sich ihrer Gott: sie fand den Keller und befreite mich . . .

Wir gehen also und reden leichten Mutes miteinander. Ich sage ihr: ›Meine Seele, du hast mich heute aus der Not errettet!‹ Und sie mir: ›Fischke, du hast mir wie ein Bruder beigestanden, weißt du noch, gestern nachts im Vorhaus.‹ Wie wir aber schon in der Nähe des Hekdeschs sind, befällt uns Angst, und wir sprechen kein Wort mehr. Das Herz sagt uns, daß uns dort nichts Gutes erwartet, daß diese Nacht nicht so einfach ablaufen wird . . .

Der eine Flügel der Haustüre steht offen, der andere ist zu; von der Straße fällt ins Vorhaus ein Lichtschein. Vor der Türe stehen wir eine Weile mit bangem Herzen still, dann gehe ich leise als erster hinein. Wie ich ins Vorhaus trete, sehe ich gleich den Rothaarigen und mein Weib, die dicht vor der Türe sitzen und aus seinem vollgestopften Sack mit großem Appetit essen. Der Kerl flüstert ihr etwas ins Ohr und verschwindet. Sie springt voll Zorn auf und fällt über mich her: ›Du, so einer und so einer! Der böse Geist fahre in deinen Vater! Wirst du die ganze Nacht mit so einer Herumtreiberin, mit so einer liederlichen Person herumlaufen! Glaubst du vielleicht, daß ich von deinen schönen Streichen nichts weiß? Ich weiß es schon längst und trage es in mir, dieweil mir die Galle überläuft. So dankst du mir für alles Gute, das ich dir getan, daß ich dich in die weite Welt hinausgeführt und zu einem Menschen gemacht habe? Glaubst du vielleicht, du Hund, daß ich es dir schenken werde? Nein! Ich werde dir schon zeigen, du frecher Kerl, der Teufel fahre in deinen Vater, und auch ihr, der Herumtreiberin, der böse Geist fahre in ihres Vaters Mutter und ihrer Mutter Vater! Ich werd' euch beiden zeigen, wer älter ist!‹ Und sie fängt mich zu schlagen an: ›Hier hast du für heute, für gestern und für früher, hier, hier! Umbringen werd' ich dich.‹

Ich reiße mich halbtot aus ihren Händen los und laufe einige Schritte in die Straße zurück. Sie bleibt noch eine Weile draußen stehen und schreit. Dann geht sie wieder ins Vorhaus und ruft mir zu: ›Bleib wie ein Hund draußen liegen!‹ und schlägt die Türe mit großem Krach zu.

Nun stehen wir beide, ich und die Bucklige, draußen und schauen uns an. Wir sind sehr betrübt, und alles, was wir eben erlebt haben, ist wie Salz auf unsere Herzenswunden. Wir können aber nicht auf einem Fleck stehenbleiben und gehen, wohin die Augen schauen, in Gedanken versunken und ohne miteinander zu reden. Wie ich wieder zur Besinnung komme, sehe ich, daß wir auf den Schulhof geraten sind. Das Herz bricht mir entzwei, wie ich denke, was die Bucklige alles auszustehen hat. Es ist ja schon die zweite Nacht, daß sie keine Ruhe finden kann. Ich überlege mir, wie ich ihr ein Nachtlager verschaffen soll. Und es fällt mir ein guter Ort ein: die Weiberschul!

Als wir mit Gottes Hilfe die baufällige Treppe, die unter jedem Schritt erbebte, hinaufgestiegen waren und tastend die Türe gefunden hatten, stießen wir plötzlich auf etwas Weiches. Es entsteht ein großer Lärm, jemand rennt und springt um uns herum und über uns hinüber. Wir werden hinten und von den Seiten gestoßen und wissen noch immer nicht, was es ist. Ich werfe mich hin und her und erwische einen Bart . . . Wessen Bart, meint Ihr? Einen Ziegenbart! Es waren die Ziegen, die bekanntlich das Vorrecht haben, mit dem Gemeindebock in der Weiberschul zu nächtigen.

›Wo bist du?‹ rufe ich meiner Buckligen zu. ›Hab keine Angst: hier sind, unberufen, viele Ziegen! Das Städtchen ist wohl gar nicht so arm.‹ Und ich jage die Ziegen hinaus, damit sie diese eine Nacht im Freien nächtigen, wünsche der Buckligen Gute Nacht, gehe hinaus und schließe hinter mir die Türe.

Auf der Treppe tritt mir aber der Ziegenbock mit gesenktem Kopf entgegen; er ist wütend, weil ich seine Weiber gekränkt habe. Wir kämpfen eine Weile miteinander, er läßt mich nicht los und verfolgt mich, bis es mir schließlich gelingt, mich in die Klous unten zu retten.

In der Klous liegen auf den Tischen und Bänken die Ortsarmen, schnarchen um die Wette und schlafen wie die Fürsten. Es ist eine Freude zu sehen, wie schön sie, unberufen, schlafen. ›Die Ortsarmen haben es wirklich gut‹, sage ich mir voller Neid. ›Das ist doch wirklich eine ganz andere, viel vornehmere Sorte Bettler . . .‹ Ich wähle mir einen Platz am Ofen, werfe mich hin und schlafe sofort ein. Mir war aber nichts Gutes beschieden. Denn bald weckt man mich aus dem Schlafe: ›Junger Mann, steht, bitte, auf!‹ Ich reibe mir die Augen und sehe mehrere Männer mit ernsten Gesichtern. Es sind die Mitglieder des Psalmenleservereins, die sich hier am Ofen jeden Sabbat ganz früh versammeln, um die Psalmen zu lesen. Was soll ich tun? Ich muß aufstehen! Ich übergieße mir die Fingerspitzen mit Wasser, setze mich hin, obwohl ich den Kopf kaum halten kann, und lese mit den Leuten die Psalmen . . .«


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