Mendele Moicher Sfurim
Fischke der Krumme
Mendele Moicher Sfurim

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X

Chaje-Trajne ist zwar eine fromme, brave Frau, aber ihre Wanzen sind wahre Bösewichte. Kaum habe ich mich auf die Pritsche in der Kammer niedergelegt, als sie sich über mich stürzen und zwischen uns ein Krieg beginnt. Beide Teile kämpfen hartnäckig, sie mit ihren Gebissen, ich mit den Händen. Sie kriechen auf mich, und ich springe in die Höhe. Sie kommen mit Ansprüchen: »Die Pritsche ist unser! Habt Respekt vor uns, Reb Jud, und laßt Euch beißen!« Ich stöhne, beiße in die Lippen und kratze mich mit aller Kraft; sie beißen, und ich kratze; sie springen auf mir herum, und ich auf dem Kissen. Zum Teufel das Kissen! Der dreibeinige Schemel fällt um; der irdene Krug mit dem Waschwasser zerbricht; die Küchenschaben wimmeln und rennen; die Federn aus dem zerrissenen Kissen fliegen mir in die Nase und in die Augen; die Pritsche unter mir knarrt. Ein Lärm, ein großer Betrieb! Ich bin wie toll und werfe mich von der einen Seite auf die andere. Sie hören nicht auf zu beißen. Es stinkt nach Wanzen. Die Sache wird mir zu dumm, und ich beschließe auszuwandern. Ich verlasse mein Lager und gehe ans Fenster, um etwas frische Luft zu atmen und auf Gottes Welt hinauszuschauen.

Am blauen Himmel schwebt ruhig der goldene Mond. Sein strahlendes Gesicht ist sehr ernst und nachdenklich. Still ist es ringsum! Mich überfällt süße Schwermut, der Mond spricht zu meinem Herzen und zieht mit jedem Blick die Seele aus mir heraus. Er weckt in mir eine Menge Gefühle, und ich muß immer an mich selbst denken. Ich denke an mein bitteres Leben voller Pein, Kränkungen und Beleidigungen, an allerlei Plagen und Schicksalsschläge, alte und neue, und ich beklage mich wie ein krankes, schwaches Kind bei seiner Mutter: »Ach, Mutter, es tut weh! . . . Ach, muß ich mich abplagen! Kopfweh und Bauchweh ist wohl zu wenig, ich muß noch an Mißgunst anderer Menschen leiden. Es genügt wohl nicht, daß ich meine eigenen Schmerzen und Wunden habe, ich muß auch noch von den anderen so viel ausstehen! Ich atme kaum, und doch gibt es Menschen, die mir das bißchen Leben nicht gönnen. Ach Mutter, es schmerzt, es tut weh!« Der Mond blickt mich mit seinem ernsten, nachdenklichen Gesicht an, und es ist mir, als spräche er mir Trost zu: »Still, armes Kind, still! Was soll man machen?« Das Herz weint in mir noch mehr, heiße Tränen treten mir in die Augen, ich stütze den Kopf in eine Hand und kehre die Wange mit der abgeschnittenen Peje dem Monde zu: soll er es wenigstens sehen! . . . Es tut sich in mir ein Abgrund von Gefühlen auf, etwas zupft mich am Herzen und überschwemmt mich mit Gedanken. Meine Augen, die so voller Tränen sind, wie ein Schröpfkopf voll Blut, blicken mit traurigem Flehen in die Welt hinaus: »Gewalt, helft, erbarmt Euch meiner! Es tut weh . . .« So erwacht mitten in der Nacht ein krankes Kind, nebbich; es jammert und klagt, blickt mit seinen kleinen Äuglein und bittet um Erbarmen. Es ist aber niemand da, kein Mensch! Niemand hört es! Alle schlafen! Still! . . . Ein Hund nur steht wach auf der Gasse; er hat den Schwanz eingezogen, den Kopf nach oben gerichtet und bellt kaltblütig den Mond an. Der Mond aber schwebt ruhig und gleichgültig weiter und macht sich nichts aus dem Hundegebell . . .

Es wird mir etwas leichter ums Herz. Mich überkommt plötzlich ein warmes Gefühl von Hoffnung und stummem Trost – es ist das Gefühl, das der Jude hat, wenn er sich vor Gott ausgeweint hat; das Gefühl macht den Menschen weich wie Teig, grenzenlos gut, bereit, seine Seele hinzuopfern und die ganze Welt zu umarmen und mit großer Liebe zu küssen. –

Und sind die Wanzen etwa keine Geschöpfe Gottes? Was sind sie schuld, daß sie, nebbich, stinken? Was sollen sie machen, wenn es schon einmal ihre Natur ist, zu beißen? Sie tun es ja nicht aus Bosheit, Haß oder zum Trotz, sondern nur um ihr Leben zu fristen: sie wollen, nebbich, trinken, sich mit fremdem Blut sättigen. Nun, ich will mich schon aufopfern. Habe ich denn das erste Mal im Leben mit Wanzen zu tun? Welcher Jude kann nicht ein Lied von ihnen singen?

Ich gehe vom Fenster weg und werfe mich mit den Worten: »In Deine Hände befehle ich meine Seele!« wieder auf die Pritsche. Und ich schlafe sofort ein. Meine Träume mag ich nicht erzählen: es sind ja doch nur Dummheiten!

Das Aufstehen am nächsten Morgen kostete mich große Mühe. Alle Glieder taten mir weh. Die Not zwang mich aber aufzustehen und hob mich von meinem Lager. Der Jude lebt in ewiger Hast. Die Not zwingt ihn herumzurennen, zu eilen, zu arbeiten. Wenn seine Hast auch nur ein wenig erlahmt, so liegt er auch gleich wie erschlagen da. Nur an einem Feiertag spürt der Jude seine Schmerzen und findet Zeit, krank zu sein . . .

Die Not hob mich von meinem Lager, die Not stellte mich auf die Füße, die Not setzte mich rittlings auf ein Pferd, die Not stieß mich in den Rücken, und ich rührte mich von der Stelle, zugleich mit Chajim-Chane, Chaje-Trajnes Mann. Schwer fällt dem Juden nur der erste Schritt; wenn das Werk aber schon einmal im Gang ist, so läuft alles wie auf Butter, und er rennt selbst dorthin, wo er nichts zu suchen hat und wo man ihn gar nicht eingeladen hat. Er klettert sogar steile Wände hinauf. Ich komme bald wieder zu Kräften und fühle mich wieder stark und frisch.

Wenn die Leute sagen, »Eine jüdische Seele läßt sich nicht im voraus abschätzen«, so wird es wohl stimmen. Anfangs glaubte ich, daß Chaje-Trajne sich so freute, weil sie in mir einen Verwandten erkannt hatte, und dazu noch einen solchen, der sich an Büchern reibt! Das Reiben wird bei den Juden sehr geschätzt. Wenn ein Jude, und selbst einer von den angesehenen Bürgern, etwas auf dem Amte zu tun hat, macht er den Anfang beim Amtsdiener, der sich ja immerhin an den Herren Beamten reibt; er spricht mit ihm und geht zufrieden heim. Für heute, sagt er, ist es genug. Der Diener ist ja gar kein übler Mensch! – Der Schames, der sich an einer jüdischen Schule reibt, wird von vielen der Schulinspektor genannt: der jüdische Briefträger wird beinahe als Postdirektor angesehen. Kurz und gut, es ist, wie es im Sprichwort heißt: »Des Rows christliche Magd ist imstande, Schailes zu entscheiden.« Schon beim Abendessen, als ich das dicke Mädel sah, das schon längst unter die Chuppe gehört, kam mir der Gedanke, daß Chaje-Trajne sich nur darum über mich so freut, weil sie glaubt, ich könnte ihr bei einer Partie nützlich sein. Und mir schien sogar, daß sie auf mich selbst ein Auge geworfen hatte. Darum war wohl auch das Mädel so sabbatlich ausgeputzt . . . Das alles wurde mir klar, als ich mich unterwegs mit Chajim-Chane unterhielt. Er erkundigte sich bei mir allzuviel nach meinem Söhnchen:

»So, so, Euer Junge ist also schon Bar-Mizwe und noch immer nicht verlobt?! In seinem Alter war ich schon verheiratet. Meine Chaje-Trajne gibt mir bei Nacht keine Ruhe: ›Gewalt, verschaff mir einen Burschen! Was liegst du so da, du Räuber? Gewalt, einen Bräutigam!‹ Mein Mädel habt Ihr doch gesehen. Sie ist eine gute Hausfrau. Vielleicht wäre es schon wirklich Zeit, sie zu verheiraten? Meine Alte hat heute nacht mit mir darüber gesprochen . . . Ihr seid ja bei ihr gut angeschrieben. Alles kommt unerwartet. Muß es sich gerade so treffen, daß Ihr Euch zu uns verirrt habt . . . Es ist uns sehr angenehm, so wahr ich lebe! Ihr sagt also, daß Euer Junge schon Bar-Mizwe ist?«

Wie wir so reden, kommen wir zu den beiden Wagen. Zuerst untersuche ich den meinigen. Ich finde alles in bester Ordnung vor und gehe auf Alters Wagen zu. Auch sein Wagen steht noch auf dem alten Fleck. Wie ich aber das leinene Verdeck anrühre, fahre ich zusammen: unter dem Verdeck rührt sich etwas . . . Ich springe vor Schreck zehn Ellen zur Seite. Das Verdeck wird zurückgeschlagen, und ich sehe – Alter Jaknhas, der mit verbundenem Kopf im Wagen sitzt!


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