Heinrich Seidel
Glockenspiel
Heinrich Seidel

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Sommerabend – Sommernacht

1. Feierabend

        Feierabend! Feierabend!
Westwärts sank die Sommersonne.
Weisse Tauben fliegen leuchtend
Um die rothbestrahlten Giebel,
Und in süssen Abendfrieden
Spinnt sich ein die ganze Welt.
Satt und schwergefüllten Euters,
Milchduft um sich her verbreitend,
Wandeln kluge bunte Kühe
Durch des Dorfes enge Gassen,
Und am Bach die Gäns' und Enten
Putzen schwatzend ihr Gefieder,
Oder schnabbern sich zum Abschluss
Noch ein Würmlein oder Schnecklein
Aus dem vielgeliebten Schlamm.
Feierabend! Heimwärts ziehen
Schon die Knechte und die Mädchen
Mit Gelächter und Gesang.
Sieh, da kommt ein schlanker Bursche,
Und es wandeln ihm entgegen,
Wo am Bach das schmale Brücklein
Zu dem Wiesengrunde hinführt
Eine Blonde, eine Braune,
Apfelschön, zwei frische Mädchen,
Und er breitet seine Arme,
Und er ruft mit frohem Lachen:
»Brückenzoll müsst ihr entrichten!«
Und sie lächeln alle beide,
Eine keck, die andre schämig,
Und ich fürchte, alle beide
Werden wohl bezahlen müssen.
Doch es schmunzelt still die Alte
Und gedenkt der eignen Jugend,
Wo man auch von ihren Lippen
Solchen süssen Zoll begehrte. –
Ach, das ist schon lange her!

2. Sonnenuntergang

          An dem schönen Sommerabend
Sassen wir auf jenem Hügel,
Schauten in den goldnen Westen.
Breithin streckte sich die dunkle
Wolkenbank, darin die Sonne
Nun versunken – nur die Ränder
Glühten noch in goldnem Scheine.
Doch im blauen Himmel drüber
Schwebten rosig weisse Wolken,
Angestrahlt von hellem Glanze.
Welch' ein Wunder sah ich droben:
Auf den Wolkenbänken sassen
Ros'ge Engel reihenweise –
Andre lauschten aus den Wolken,
Andre schwebten hin und wider,
Spielten hier mit Wolkenflocken,
Ritten dort auf einem Wölkchen –
Und es war ein stillbewegtes
Schimmernd rosiges Getümmel.
»Sieh, wie herrlich!« sprach ich leuchtend
Freudevoll zu dem Gefährten.
Dieser nickte nur; wir schauten
Still ins Zauberspiel der Wolken:
Wie die Engel nun verschwebten,
Lauschten noch mit ros'gen Köpfen
Ueber Wolken und verschwanden.
Und der Rosenschein verblasste,
Bis im bläulichen Gedämmer
Nur ein träumend Roth noch ruhte,
Und der Abend still sich senkte.

3. Dämmerung

        Auf der schönen grünen Wiese
Tiefe warme Schatten werfend
Liegt der stille, goldgetränkte,
Letzte Abendsonnenschimmer
Lerchenklang in hohen Lüften,
Und der Wind schläft in den Zweigen –
Kaum erzittert leis ein Grashalm.
Dort am Ufer auf der Weide
Grauem Stamm, der hingebogen
Sich im dunkeln Weiher spiegelt,
Weissgekleidet sitzt ein Mädchen.
Goldne aufgelöste Haarfluth
Wallet um das stille Antlitz,
Wie sie nieder in das klare
Spiegelhelle Wasser blicket, –
Und sie grüsst ihr Spiegelabbild,
Nickt und lächelt, und da drunten
Nickt und lächelt hold es wieder.
Und ein Strauch von wilden Rosen,
Der mit hundert schönen Blüthen
Neben ihr im Grund sich spiegelt,
Schaut mit all den Rosenaugen
Aus dem Spiegel ihr entgegen.
Goldne Haarfluth – ros'ge Wangen –
Grün Gezweige – rothe Rosen.
Und das Mädchen neigt ein Zweiglein,
Neigt es hin an ihre Lippen,
Und sie küsst die zarte Rose,
Schaut's im Spiegel und erröthet.
Doch ein Blatt, gelöst vom Kusse
Flattert auf das Wasser nieder,
Trübt das Bild mit leisen Ringen.
Mägdlein schaut in das Gezitter,
Bis das Bild sich wieder kläret,
Und sie küsst die Rose wieder,
Sinnt und schauet in die Ferne.
Dämmernd sinket nun der Abend –
Singend steigt sie, die den letzten
Späten Abendstrahl getrunken,
Singend steigt die Lerche nieder.
Und das Mädchen still und sinnend
Wandelt durch die grüne Wiese,
Bis das weisse Kleid im Dunkel
Jener Gartenbäume schwindet,
Draus das Landhaus hell hervorschaut.

4. Vor der Hausthür

            Sommerabend – süsse Labung,
Wenn der heisse Tag verglühte!
Stille Gärten blühn im Mondschein,
Athmen Kühlung, hauchen Düfte,
Froh befreit vom Sonnenbrand.
Unter Linden – welch' ein Flüstern,
Heimlich Wispern und Gekose –
Aus den Lauben glänzen Lichter –
Grün durchleuchten sie das Blattwerk –
In die süsse Abendstille
Tönt Gelächter und Gesang.
Friedlich sitzt der brave Bürgcr
Wohlbehäbig auf der Hausbank,
Raucht sein Pfeifchen – spricht verständig
Noch ein Wörtchen mit dem Nachbar –
Mutter strickt und nickt dazu.
Doch der schönen blonden Tochter
Drückt der blonde Sohn des Nachbars
Heimlich, heimlich und verstohlen,
Still die kleine weisse Hand.
Und sie sprechen sehr verständig,
Bald von diesem, bald von jenem,
Nur von dem nicht, was mit Beben
Durch die jungen Herzen geht.
Doch dem jüngsten Sohn des Hauses
Giebt ein Gott es zu verkünden
In der fremden todten Sprache,
Die zur Marter unsrer Kindheit
Einst der alte Römer sprach.
Denn gekehrt zum Mond das Lehrbuch
Lernt und lernt er laut und eifrig,
Lernt er: »amo, amas, amat!«

5. Die Elfe

      Nächtlich bei des Mondes Schimmer,
Wenn der Wind schläft in den Wipfeln,
Tanzt die wunderschöne Elfe
Auf dem stillen, schilfumgebnen
Wasserrosenteich im Walde.
Nimmer dringt in diese Gründe
Nur ein Hauch des Menschendaseins!
Selbst der Glocke weithinhallend
Klanggetöne stirbt versummend
In dem weiten Meer der Wipfel.
Und es steht der Wald im Lauschen
Auf das eigne Schweigen lautlos.
Und die wunderschöne Elfe
Wiegt sich über stillem Wasser
Wie ein schimmernd Duftgebilde,
Dass das leuchtend helle Goldhaar
Um die weissen Glieder wallet.
Breitend ihre schönen Arme
Schwebt sie ob dem dunklen Grunde,
Wie ein lieblicher Gedanke
Mondbeglänzter Einsamkeit.

 


 


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