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Schluß

Man hat Seeckts Entsendung nach der Türkei später vielfach bedauert, weil seine Stellung ihn von den Hauptereignissen fern hielt. Das ist wahr. Aber das Schicksal hat ihn dadurch auch nicht mit den Ereignissen des deutschen Zusammenbruchs belastet und hat ihn vorbehalten für eine unerhört schwere Aufgabe nach dem Kriege. Die Tatsache bleibt jedoch, daß ein Mann wie Seeckt in der Krise des Feldzuges am äußersten Ende Europas seinen Dienst tat. Man hat, vielleicht etwas überheblich, vom Krieg der versäumten Gelegenheiten geschrieben. Überheblich insofern, als Gelegenheiten reichlich oft die Eigenschaft haben, erst nachträglich erkannt zu werden. Nachträglich darf man vielleicht sagen, daß die Neuverwendung Seeckts im Dezember 1917 eine der versäumtesten Gelegenheiten, wenn nicht enthielt, so doch enthalten haben kann; daß man alles in allem genommen Seeckt nicht an die Stelle brachte, die seinen Kräften entsprochen hätte.

Fast zwanzig Jahre später, in einem Brief vom 14. Februar 1936 an Graf v. Hutten-Czapski schreibt Seeckt, er sei seiner Zeit doch auf den asiatischen Kriegsschauplatz »abgestellt«. Es muß auffallen, daß sich dieser Ausdruck nicht irgendwo anders wiederfindet. General v. Kraewel hat in einer Rücksprache einmal erklärt, Seeckt habe selbst im vertrautesten Gespräch niemals auch nur den Schatten einer Andeutung gemacht, daß er beiseite geschoben sei. Es ist gar nicht ausgeschlossen, daß diese Vorstellung bei Seeckt sich erst sehr spät und ex post entwickelt hat. Man darf sogar vermuten, daß es ebenfalls ein nachträgliches Empfinden geworden ist, wenn Erzherzog Josef über die Tage Ende November 1917 schreibt Erzherzog Josef, Der Weltkrieg usw.: »Ich bemerke, daß Ludendorff in Seeckt einen Rivalen sieht und dies erschwert die Arbeit. Meiner Ansicht nach ist Seeckt ein noch höher stehendes militärisches Talent als Ludendorff.« Allerdings schrieb Erzherzog Josef Ende Januar 1917 bereits: »General v. Seeckt beklagt sich, daß Ludendorff ihm zu fühlen gibt, daß er ihn nicht vorwärtskommen lassen will … Er tut mir leid, denn Seeckt ist ein außerordentlich gescheiter, vorzüglicher Generalstabsoffizier. Einen besseren Generalstabschef als ihn kann ich mir gar nicht vorstellen. Als höheren Kommandanten muß man ihn unbedingt zu den vorzüglichsten zählen.« Es ist das einzige Mal, daß Seeckt gesagt haben soll, Ludendorff habe ihn nicht vorwärtskommen lassen wollen. Daß Ludendorff in Seeckt einen Rivalen gesehen hätte, kann füglich im einfachen Sinn dieses Wortes ohne weiteres ausgeschlossen werden. Daß Seeckt eine Behinderung empfunden haben soll, muß ein Mißverständnis gewesen sein. Er sprach im Januar 1917 unter dem unmittelbaren Eindruck mehrerer Meinungsverschiedenheiten.

In den Bereich nachträglichen Urteils gehört es auch, wenn sich in der Presse 1926 anläßlich des 60. Geburtstags Seeckts, und zwar je weiter die Zeitungen links standen, desto deutlicher der Hinweis fand, Seeckts Ernennung zum Chef des Generalstabes des türkischen Heeres habe geradezu seinen Sturz bedeutet. Seeckt sei ein begeisterter Anhänger Falkenhayns gewesen, sei mit dessen Sturz mitgestürzt und habe stets in einem gewissen Gegensatz zu den operativen Ansichten der 3. O.H.L. gestanden. Das einzige, was darin eigentlich stimmt, ist, daß Seeckt sich meist bemüht hat, für die Handlungen des Generals v. Falkenhayn Verständnis aufzubringen und ihm gerecht zu werden. Das war sehr viel gerechter, als an Falkenhayn nichts Gutes gelten zu lassen, obwohl dieser seinem Vaterlande in schwersten Zeiten mehrfach sein Bestes gegeben hatte. Und das war nicht wenig.

Seeckt mag auch in seinen operativen Auffassungen gelegentlich von denen der 3. O.H.L. abgewichen sein. Daraus sind Spannungen entstanden. Aber in einen tatsächlichen Gegensatz zu ihr hat er sich nicht gestellt. Es läßt sich auch nirgends eine Stelle finden, die wirklich beweisen könnte, daß Seeckt es empfunden hätte, er sei mit seiner türkischen Verwendung kaltgestellt oder gar gestürzt worden.

In etwas mildere Form ist die Behauptung des Gegensatzes Ludendorff-Seeckt gefaßt, indem man sich so ausdrückte: Ludendorff habe zweifellos das Können und die Bedeutung Seeckts erkannt und anerkannt. Aber er sei ihm in der Ferne lieber als in der Nähe gewesen. Daher habe er zwischen sich und ihn die größte Entfernung gelegt, die geographisch überhaupt vorhanden war. Daran kann empfindungsgemäß etwas Richtiges sein. Es würde dann aber damit die hohe Anerkennung Seeckts durch Ludendorff besonders betont sein. Noch kein oberster Feldherr hat in der ganzen Kriegsgeschichte auf den entferntesten, in diesem Falle überaus schwierigen Kriegsschauplatz einen Stellvertreter entsendet, den er nicht für den besten von allen gehalten hätte. Man darf mithin behaupten, daß gerade die Entsendung Seeckts nach der Türkei den Gegensatz der beiden Männer, wobei es auf den bewußten und wirklichen Gegensatz ankommt, in den Bereich der Legende verweisen muß. Außerdem hat Ludendorff ursprünglich gar nicht Seeckt, sondern Liman zum türkischen Generalstabschef machen wollen, und zwar auch noch als Seeckt schon zugesagt hatte. Liman war Enver nicht genehm.

Nun ist es natürlich möglich, daß Seeckt schon damals, man möchte beinahe sagen ein unbestimmtes Bedauern empfunden haben könnte, nicht etwa über seine neue Verwendung, wohl aber darüber, daß er nicht an die Westfront kam. Als Seeckt Anfang Dezember im Gr.H.Qu. war Mitteilung von Oberst Blankenhorn., sagte ihm einer seiner früheren Generalstabsoffiziere, es wäre ja gut und schön, daß er nun nach den Bulgaren und Österreichern auch die Türken betreuen solle. Allein seine Kraft sei doch eigentlich in der Gesamtleitung oder wenigstens an der Westfront am notwendigsten. Seeckt hat ihm darauf geantwortet: »Man kann mich hier nicht gebrauchen.« Der Generalstabsoffizier hatte den Eindruck, als wenn die Worte doch etwas traurig gesprochen wären, als wenn Seeckt, unzufrieden mit dem letzten Wirkungskreis, auch etwas unzufrieden und nicht allzu hoffnungsvoll an den neuen heranging. Das mag bis zu einem gewissen Grade sogar stimmen. Sehr erfreulich lauteten die Nachrichten vom türkischen Kriegsschauplatz nicht. Seeckt besaß überdies eine ziemlich stark entwickelte Skepsis und gab sich nicht gern Illusionen hin. Ihm war diese Neigung zur Skepsis sogar bewußt. Er hat darüber einmal gesagt: »Diese Skepsis ist kein Ruhm, sondern beim Soldaten mehr ein Mangel. Recht behalten zu haben ist kein befriedigendes Gefühl.«

Seeckts Antwort in Kreuznach kann auch mit jenem Humor, bei dem leicht ein Unterton der Selbstironie mitspricht, gemeint gewesen sein. Sie könnte sogar ein Ausdruck momentaner Verärgerung gewesen sein. Seeckt hatte Einiges in der Besprechung am 1. 12. verstimmt.

An sich hätte die neue Aufgabe in ihrer Schwere und Größe Seeckt andrerseits auch wieder locken müssen. An der Palästinafront hatten die Engländer die türkischen Stellungen durchbrochen und Jaffa genommen. Der Angriff auf Jerusalem war zu erwarten. Falkenhayns Unternehmen gegen Bagdad war unausgeführt geblieben. Sollte der militärische Einfluß Deutschlands in der Türkei nicht verlorengehen, so gehörte eine Persönlichkeit dorthin, die unter den Bundesgenossen in hohem Ansehen stand. Ludendorff schrieb am 24. November 1917 Heeresarchiv Potsdam, Akte 61.: »Die Entente scheint mehr wie je zu rücksichtsloser Fortsetzung des Krieges entschlossen.« Um so mehr gehört eine »erste Kraft« in die Türkei. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß Seeckts Entsendung als letzte militärische Hilfe gedacht war. Generalfeldmarschall v. Mackensen hat noch 1938 erklärt, es wäre völlig unrichtig, Seeckts Entsendung nach der Türkei anders aufzufassen als die letzte Aushilfe, um die Lage zu retten. Man schickt eben nicht eins der größten militärischen Talente auf einen mit Sicherheit unfruchtbaren Posten.

Es hat auch gar nicht den Anschein, als ob die Miterlebenden damals an eine Kaltstellung Seeckts gedacht haben. Den Beweis bringen eine Fülle von Glückwünschen. Generalfeldmarschall v. Mackensen schreibt Seeckt, daß ihn seine treuesten Wünsche in die neue inhaltvolle und auszeichnende Stellung geleiten. Zar Ferdinand schreibt; Jekow, Lossow, Enver, Zekki und eine Menge anderer Menschen. Sie können unmöglich alle geheuchelt haben.

Im übrigen hätte Seeckt durchaus Gelegenheit gehabt, abzulehnen. Man hat ihn gefragt. Am 18. 11. 1917 drahtete Ludendorff an ihn:

»Die militärische Lage der Türkei verlangt eine tatkräftige Persönlichkeit an der Spitze des türkischen Generalstabes. Ich richte deshalb zunächst in unverbindlicher Weise an E. Hochwohlgeboren die Frage, ob Sie unter Umständen geneigt wären, die Stellung des Chefs des Generalstabes der türkischen Armee zu übernehmen.

Ich wäre für baldige Antwort und vertrauliche Behandlung der Angelegenheit dankbar.«

Seeckt antwortete:

»Grundsätzlich zur Übernahme jeder Stellung gern bereit, für welche Seine Majestät und Euer Exzellenz mich für geeignet erachten. Ich nehme an, daß Euer Exzellenz mir die notwendige Einwirkung auf die Führung der Operationen sicherstellen werden, die ich als Vorbedingung für das Gelingen meiner Aufgabe ansehe.«

Die ganze Lage kennzeichnet vielleicht am besten eine kleine Episode. Als Seeckt aus Kreuznach zurückkam, feierte er mit dem Geburtstag seiner Frau zugleich den silbernen Verlobungstag in einem größeren Freundeskreis. Seeckt begann seine Tischrede mit den Worten: »Auf diesem Höhepunkte meines Lebens zum Kaiserlich-türkischen Generalleutnant ernannt, teile ich Ihnen, meine Freunde mit, daß ich die Silberbraut nun an den Bosporus entführen werde …« Niemand spricht von einem Höhepunkt des Lebens, wenn er recht besehen sich für gestürzt ansehen muß.

Nun kann man bei aller objektiven Beurteilung nicht ganz übersehen, daß bestimmte Spannungen zwischen Seeckt und Ludendorff bestanden. Abwegig ist es, diese Spannung aus der Gorlice-Tarnow-Zeit, die Seeckts Ruhm begründete, ableiten zu wollen. Dafür findet sich nirgends ein Anhalt. Vielmehr läßt der Schriftwechsel zwischen beiden erkennen, daß Ludendorff damals fast freundschaftlich an Seeckt schreibt und in ihm einen kongenialen verständnisvollen Kopf sieht. Sachliche Meinungsverschiedenheiten sind danach dann allerdings aufgetreten. Ludendorff hatte nachträglich Kritik am serbischen Feldzug geübt und die Kräfteverminderung auf dem Westflügel für falsch gehalten. Es sind später andere sachliche Meinungsverschiedenheiten hinzugekommen, die bei der Darstellung der Ereignisse geschildert worden waren. Man kann auch unterstellen, daß Seeckt der Frühjahrsoffensive 1918, von der er gerade in der Zeit vor seiner türkischen Ernennung erfuhr, in der Art, wie sie ausgeführt wurde, nicht bedingungslos zugestimmt haben mag. Jedoch sind das Meinungsverschiedenheiten, die niemals zwei große Soldaten zu entfremden brauchten. Sie kamen immer vor und werden immer wieder vorkommen. Man muß auch berücksichtigen, daß neben einer Reihe von Ansichtsdifferenzen eine Fülle von Übereinstimmung in den Anschauungen bestand.

Gelegentliche Unmutsäußerungen in Briefen von Seeckt besagen dabei gar nichts. Er hat solche manchmal in seinen Briefen geschrieben und 1922 einmal von der »Kommissigkeit« der 3. O.H.L. gesprochen. Solchen Äußerungen steht gegenüber, daß Seeckt oft genug davon sprach und schrieb, er sei Ludendorff für vieles dankbar. Immerhin kann vielleicht die Verschiedenheit operativer Auffassungen Ludendorff in seiner Beurteilung der Persönlichkeit Seeckts etwas beeinflußt haben.

Mitte Mai 1917 muß die Frage einer Kanzlerschaft Ludendorffs erörtert worden sein Generaloberst v. Plessen vermerkt dies am 19. 5. 1917, Generalleutnant v. Tieschowitz bestätigt den Vorgang.. Man regte an: Hindenburg Chef des Generalstabes des Feldheeres, Ludendorff Kanzler, Seeckt Erster Generalquartiermeister. Ludendorff habe auf die Anregung nicht sogleich geantwortet. Alsdann habe er etwa dem Sinne nach gesagt: »Ein anderer als Seeckt könnte es nicht sein. Aber es ist dann besser, ich bleibe.« In den Worten liegt Anerkennung und Ablehnung zugleich. Es ist nicht abzuschätzen, was kommen konnte, wenn drei Männer von solcher Kraft, jeder dann vielleicht erst an seiner besten Stelle, gemeinsam das Geschick Deutschlands in ihre Hände genommen hätten. Vielleicht hat gerade dieser eine Dritte gefehlt, das Schicksal zu wenden. Es war in den Sternen beschlossen, daß er fernbleiben mußte.

Es spricht nicht gegen die Größe führender Männer, wenn sie nicht leicht zu einen sind. Goethe und Schiller brauchten ihren Karl August. Es war Wilhelms I. weltgeschichtliches Verdienst, daß er schwerste Konflikte zwischen Bismarck und Moltke auszugleichen imstande war. 1917 ist die Einheit nicht erstrebt und nicht gelungen. Man ist versucht, das Paradoxon zu prägen, der Grund könne sein, daß es niemals zum wirklichen Gegensatz kam. Denn wer eine Gegnerschaft zwischen Ludendorff und Seeckt hat behaupten wollen, verkennt zu allererst die Größe beider Naturen. Für kleinliche Rivalitäten waren sie in der Tat beide zu groß.

Das alles schließt nun aber freilich nicht aus, daß man wohl einen Wesensunterschied der beiden anerkennen muß. Sie haben sich kaum jemals näher kennengelernt und sind sich dadurch fremd geblieben. Die Fremdheit mag bei Seeckt etwas zugenommen haben, weil von 1917 ab eine leise Verstimmung über dies und jenes einsetzte, eine Verstimmung, die auch in Briefen ihren Ausdruck fand. Ludendorff seinerseits hat vielleicht nicht an das in der Familie sprichwörtliche Seecktsche Soldatenglück geglaubt. Es bleibt allerdings ein Rätsel, warum er ihn dann als Retter nach der Türkei schickte. Sein Können hat er aber so hoch geachtet, daß es ihm, vielleicht sogar unbewußt, etwas unbequem war. Es kommt eben mancherlei zusammen, die beiden Großen auseinanderzuhalten. Vor allen Dingen muß man das Verhältnis von den Zutaten nachträglicher Legende befreien. Sie standen sich nicht gut, sie standen sich nicht schlecht. Sie kannten sich beide nicht genug, und zwar weder Ludendorff Seeckt, noch Seeckt Ludendorff. Vielleicht hatten sie Vorurteile schwer feststellbarer Art gegeneinander. Vorurteile sind nun aber einmal die wesentlichsten Mittel, die Welt in Betrieb zu erhalten. Die Ansicht, alles, was getan wird, müsse auf Grund wohlabgewogenen Urteils getan werden, ist weltfremd. Vorurteile stammen übrigens meist nicht aus der Vernunft, sondern aus dem Herzen. Es war eine Ferne zwischen ihnen und so hielt das Schicksal sie auch fern.

Seeckt hat von sich aus nichts dazu getan, die Fremdheit zwischen ihm und Ludendorff zu mildern. Er konnte im persönlichen Verkehr von der ihm eigentümlichen trockenen, ja eisigen Kälte auch Ludendorff gegenüber sein. Seeckt war nun einmal so. Niemand vermag über seinen eigenen Schatten zu springen. Man kann das bedauern. Aber Menschen von selbsteigener Prägung können sich eben schwer anders geben als in der Art, die aus ihrem Innern heraus wirkt. Wenn Ludendorff und Seeckt einander nicht näher kamen, so muß man also immerhin zugeben, daß Seeckts Eigenart daran nicht unwesentlich beteiligt war.

Das Verhältnis Ludendorffs zu Seeckt ist ein Problem und bleibt rätselhaft wie so vieles im lebendigen Schicksal der Menschen. Jeder war so, wie er war, und mußte so sein; und wie es war, so war es gut. Die Menschen müssen sich in das, was ist, fügen.

Als Seeckt Mitte Dezember 1917 der türkischen Grenze entgegenfuhr, lagen mehr als zwei Drittel seines ganzen Lebensweges hinter ihm. Ein lebenssprühender Mensch mit besten Anlagen geht zunächst beschwingt und auch vom Glück begünstigt den Weg des Generalstabsoffiziers bis in dessen auszeichnendste Stellung hinein. Ein Zufall, Soissons, läßt ihn zuerst noch mehr aus der Reihe der anderen heraustreten, als es vielleicht ohnehin der Fall gewesen wäre. Aber doch ein Zufall, wie er eben nur den trifft, den das Schicksal mit Besonderheit auszuzeichnen gesonnen ist. Steil geht der Weg des Erfolges von Gorlice ab hinan, und bis in das eroberte Serbien hinein. Mögen äußerlich hier die Höhepunkte liegen, in Wahrheit waren die anschließenden Abwehrerfolge wohl die noch größere Leistung. Man hat einmal mit Recht hervorgehoben, daß Seeckt die einzige bedeutende Führerpersönlichkeit des Weltkrieges gewesen ist, die keine eigene Niederlage hat hinnehmen müssen, ohne daß er sie nicht hätte wieder ausgleichen können. Der Einsatz in zwei der größten Offensiven und einer der größten Defensivhandlungen aller Kriegsgeschichte dürfte wahrhaftig Beweis des Könnens genug sein.

Das Jahr 1917 stellt ihn nach und nach aber vor Aufgaben, die eine tiefe Tragik enthalten, weil das Wesen der Leistung nicht mehr im richtigen Verhältnis zum zweifellos unausgenutzten Können steht. Auf den noch 1915 durch fast unbekümmerten Schwung ausgezeichneten Mann legt sich Schwere und Last eines Werdeganges, der beginnt, bis an das Lebensende von Jahr zu Jahr an Härte und Entsagung zuzunehmen. Begleitet wird dies Jahr 1917 von einer anderen Wandlung. Je mehr die militärische Aufgabe an Wesentlichkeit, an äußerer Farbe und innerer Glut verliert, desto mehr tritt das politische in den Vordergrund. Man spürt das schon aus den Briefen heraus. Sie werden immer politischer. Dabei darf man ein inneres Widerstreben nicht übersehen. Die Überleitung ist gerade in den Briefen deutlich gekennzeichnet durch ein auffällig häufiges Zurückziehen auf das rein persönliche. Seeckt hat sich auch niemals so viel um Personalien gekümmert wie gerade 1917. Nun kann man nicht bestreiten, daß die Politik im Ideenkreis Seeckts schon vom Elternhaus her und dann von Zeit zu Zeit immer wieder eine wesentliche Rolle gespielt hat. Ein ungarischer Ministerpräsident hatte wohl recht, wenn er 1917 sagte, Seeckt sei »vom Genius der Staatskunst geküßt«. Seeckt hatte auch vor dem Kriege aus seiner Vorliebe für politische Probleme nicht einmal ein Hehl gemacht. Es wäre ihm vielleicht garnicht unlieb gewesen, wenn sich ein Weg zur Politik für ihn gefunden hätte. Gelegentlich hat er bei Aussprachen über die Wiedererwerbung von Nepzin darauf hingewiesen, daß es ihn nicht allzusehr verlocke, das Gut zu besitzen, denn der Sitz im Herrenhaus sei inzwischen nicht mehr mit dem Gut verbunden. Dieser Sitz im Herrenhaus als Einführung in das politische Leben wäre eigentlich das Wesentliche, was ihm an Nepzin begehrenswert erschiene. Als im Laufe des Jahres 1917 seine militärische Tätigkeit für die Maße, die Seeckt zur Verfügung standen, an Größe verlor, da wurde es fast ein natürlicher Ausgleich, daß er sich zur politischen Persönlichkeit wandelte. Denn es ist tatsächlich eine Wandlung vom Militärischen zum Politischen. Von hier ab hat die Politik Seeckt nicht mehr verlassen und ist für ihn zum Schwergewichtsfaktor seines ganzen ferneren Lebens geworden. So nahe es an sich lag, das Kriegsende als den teilenden Einschnitt im Leben Seeckts anzusehen, eben so sehr muß man herausheben, daß die lebensbestimmende Abgrenzung in der Wandlung vom rein militärischen zum mehr und mehr politisch handelnden Soldaten liegt. Hier ist die wirkliche Wesenstrennung, und darum ist mit dem Ende 1917 und nicht mit dem Ende 1918 der erste Teil der Lebensdarstellung Seeckts abgeschlossen. Seeckt hat im königlich-preußischen-kaiserlich-deutschen Heer niemals wieder Dienst getan. Ohne daß er es ahnte, verließ er es im Dezember 1917 für immer.

Erkennt man die Problematik, die alle Menschen belastet, sobald sie historische Verantwortung tragen, dann lernt man Vorsicht in der Beurteilung geschichtlicher und besonders kriegsgeschichtlicher Vorgänge. Die Menschen handeln aus den Umständen heraus. Diese Umstände sind aber nicht allein die äußeren, sondern die eigenen inneren seelischen Bedingtheiten. Vielleicht kann die Schilderung des Lebensweges Seeckts dazu beitragen, geschichtliche Vorgänge und ganz besonders das Handeln im letzten großen Krieg, jedoch nicht nur die Vorgänge, sondern vornehmlich die Menschen, die ihr Bestes gaben, verständnisvoller zu beurteilen, als es bisher manchmal und überstark in den Jahren unmittelbar nach dem Kriege geschah. Man soll gewiß aus den Fehlern der Kriegsgeschichte lernen. Es gibt manchen Vorgang, der vielleicht nachgerade sogar kritischer betrachtet werden könnte, als es bislang geschah. Aber es sind die Vorkriegsleistung, das Kriegsjahr 1914, insbesondere der Aufmarsch und die Marneschlacht zu früh und unbillig beurteilt worden. Unter dem Eindruck des Zusammenbruches haben wir uns überhaupt geradezu kritischer Selbstzerfleischung hingegeben. Man soll sich jedenfalls davor hüten, aus der Beurteilung von Tatsachen eine Verurteilung von Menschen abzuleiten, die in einem unvergleichlichen Ringen Können und Leistung in einem Ausmaß gezeigt haben, das durch den unglücklichen Ausgang auf keinen Fall nachträglich verkleinert werden darf.

Eine besondere Eigenschaft tritt bei Seeckt hervor. Man ist versucht, bei ihm zu sagen, er habe einen unbändigen Willen zum Schlagen und zur Entscheidung besessen. Freilich würde das in dieser Fassung nicht zutreffen. Gewiß, harten Willen zum Handeln, zur Tat, besaß er. Aber das Ungebändigte Seeckt beizulegen, wäre wiederum falsch. Gerade das Beherrschte gab seiner Haltung den Grundzug, wie ihn das Besonnene und Besinnliche, so darf man einfügen, im Denken zum Feind jedes billigen Gemeinplatzes und jeder bequemen Binsenwahrheit, im Sprechen zum Gegner jedes doch nur auf Augenblickswirkung eingestellten Superlativs werden ließ. In dem gewiß nicht robusten Körper steckte ungeheuer viel Kraft, aber eben beherrschte Kraft. Gerade das zeichnete ihn vor so vielen aus. Im Jahre 1936 schrieb ein Franzose Benoist-Méchin, Histoire de l'Armée Allemande depuis l'Armistice.: Der deutsche Generalstab habe »mehr als einmal seine eigene Sache durch Überstürzung verschlechtert«. Jedesmal, wenn er die Dinge reifen ließ, habe er den Sieg davongetragen Im Text steht allerdings temporisér. Man ist aber wohl berechtigt, so zu übersetzen, wie es geschah, weil kurz zuvor anstelle von temporiser das Wort mûrir gebraucht ist.. Aber Leute, die die Dinge reifen zu lassen verstanden, seien selten im Generalstab gewesen. » C'est en cela que Hindenburg et Seeckt se distinguent de leurs confrères.« Es kommt hier nicht darauf an, ob das Urteil über den Generalstab richtig oder falsch ist. Es kommt nur auf die Bemerkung über Seeckt an. Mit ihr ist er keineswegs zu einem Zauderer gestempelt, wohl aber ist ihm sehr zu Recht das Kennzeichen gebändigter Kraft zuerkannt, und es ist ungemein aufschlußreich, daß ihn als Träger solcher innerer Disziplin der Angehörige eines anderen Volkes voll hoher Anerkennung zusammen mit dem Feldmarschall v. Hindenburg nennt.

War die äußere Entwicklung Seeckts im Rahmen so großen Geschehens notwendig bedeutsam, so war es die innere, also die für den Menschen selbst wesentlichere noch mehr. Seeckt ist weder als ein Fertiger in den Krieg gegangen noch als ein solcher aus dem Krieg zurückgekehrt. »Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen; ein Werdender wird immer dankbar sein.« Seeckt ist ein Werdender bis an sein Ende geblieben, und er hat jene durchaus metaphysisch zu wertende Dankbarkeit besessen. Wenn er dabei immer er selbst und sich selbst treu, manchmal treu bis zur Starrheit blieb, so ist das vielleicht eine unbequeme Seite, aber auch eine seiner besten Eigenschaften. Man faßt die Persönlichkeit Seeckts nicht zusammen in einem einfachen: so war es. Dazu war er zu mannigfaltig. Daß er sich über eine Kleinigkeit freuen konnte und daß ihm auch einmal Wesentliches schwer wurde, das ist es. Der Mensch, die Seele, das Unergründliche ist aber nicht festzustellen, sondern nur zu ahnen. Man schildert historische Figuren nicht selten so, als ob sie nur vom Verstand geleitet würden und keine Seele hätten. Seeckt hatte Seele. Der Marschall Pilsudski sagte einmal: »Wer Seele fordert, muß Seele geben.« Seeckt gab seine große und doch so herbe Seele. Diese Herbheit, oft nicht verstanden, ließ die Menschen in ihm den Sphinx sehen. Will man das gelten lassen, so vergesse man nicht, daß der ursprüngliche, also ägyptische Sphinx männlich ist Seeckt wurde einmal in einem sehr humorvollen Schreiben von einer Dame darauf aufmerksam gemacht, daß der alte, ägyptische Sphinx in der Tat männlich sei..

Seeckts Entwicklung ist ausgesprochen eine Wesensvertiefung. Das Kleine hat ihn nie erfaßt. Ihn kennzeichnet, mehr und mehr, seine ganze Persönlichkeit bestimmend, der Trieb zum Großen. Man darf von ihm sagen: »Denn hinter ihm im wesenlosen Scheine liegt, was uns alle bändigt, das Gemeine.« Der Weg führt ins Außerordentliche, ins menschlich Einsame, gemildert nur durch das einzigartige Verhältnis zu seiner Frau. Der Weg wird in Zukunft nicht leichter werden. Seeckts Werdegang hat es nicht verhindern können, daß auch er wie jeder Ungewöhnliche beschwert ist mit Widersprüchen, die aber von geheimnisvoller Kraft erfüllt sind. Ob solche Rätsel und Widersprüche sich lösen lassen werden, das ist eine der Fragen an die Zukunft.

Man hört so oft, Seeckts etwas spröde Art sei auf sein karges, nur dem Soldatischen zugewandtes Wesen zurückzuführen. Das ist nicht richtig. Unendlich vielgestaltig und reich war in Wirklichkeit dieser Mann an Wissen und an Interessen. Gleich durch sein großes gütiges Herz, im Grunde ein Künstler und Poet, also ein echter Soldat. Ja, auch Poet, obwohl er nur sehr selten und niemals gute Verse gemacht hat. Aber er besaß diese Art Poesie, von der Gneisenau meinte, daß sie zu großen Taten unerläßlich sei. So vieles vereint sich in Seeckt überreich, von der Natur freigebig geschenkt: die tiefe, soldatischem Lebensempfinden stets unentbehrliche Religiosität, die Liebe zur Kunst, die Liebe zum Schönen, die Liebe zur Natur, und alles übersonnt durch die große Liebe zu seiner Frau. Aus alledem entsteht eine wundervoll harmonische Lebenshaltung, entsteht echtes Führertum und eine Herrennatur in edelstem Sinne. Man übersehe jedoch nicht: Die Summe aller solchen Eigenschaften ist Stärke, aber auch Begrenzung zugleich. Bei aller Größe seines Könnens muß man solche Begrenzung Seeckts wie jeder historischen Persönlichkeit klar sehen, wenn man lebenswahre Menschen nicht in stilisierte Idealtypen umkonstruieren will. Seeckt wußte, daß an den Grenzen menschlichen Wollens oft genug ein bitteres Unmöglich stehen kann, das kein Mensch zu überwinden imstande ist. Es kann auch manchmal letzte Größe sein, Mögliches zu leisten, statt Unmögliches zu versuchen.

Seeckt war vielleicht der typische Träger besonders charakteristischer Eigenschaften des Deutschen im Weltkriege schlechthin, der zäh, klug und verbissen seinen Lebenskampf kämpfte und der in echter Tragik schließlich in diesem Ringen auf verlorenem Posten stand.

Man kann es nicht leugnen, daß Seeckt nach und nach häufiger in eine Spannung zur Umwelt und zu den Menschen geriet. Es ist dies vielleicht ein ständiges Attribut wachsender eigener Größe. Seeckt hat es empfunden. Er besaß eine ganz eigentümliche Zartheit des seelischen Empfindens. Er konnte wohl hart sein, aber Härte und rohe Unempfindlichkeit sind ja nicht gleich zu setzen. Es nimmt auch einige Menschenverachtung bei ihm zu. Das ist schade, denn um Menschen helfen zu können, darf man sie nicht verachten. Es liegt in der keimenden Menschenverachtung, die keinem Großen ganz erspart bleibt, eine unbestreitbare Gefahr. Bei Seeckt wurde sie durch zwei Dinge gemildert. Einmal durch angeborene Güte und zum andern durch die immer mehr sich steigernde philosophische und weisheitsvolle Lebensauffassung, die zu jener Abgeklärtheit hinführte, die Seeckts Wesen später so typisch bestimmt hat. Jedoch es ist nicht anzunehmen, daß Seeckt die Spannungen zwischen sich und anderen wesentlichen Persönlichkeiten gleichgültig hinnahm. Er hat vielleicht schwerer daran getragen, als er andere merken ließ. Es geht gerade in der letzten Zeit durch seine Äußerungen ein deutliches Verlangen nach Frieden und Stille. Das ist die natürliche Reaktion eines Menschen, der als Widerspruch, wie ihn nur der ewige Schöpfer schaffen kann, eine Kampfnatur und seelische Zartheit in sich vereinte.

Seeckt ist, wenn man es so nennen will, ein Sollender, gehorsam dem eigenen inneren Imperativ, und wohl in der Erfindungskraft, seltener in der Ausführung ein Wollender. Er lebt, wie man es heute ausdrücken kann, dem Wir, der Aufgabe. Es ist dies um so merkwürdiger, als er keineswegs frei ist von der Ich-Betonung. Schon wieder ein Widerspruch. Aber weil die Aufgabe ihm im Kriege letzte Größe nicht zur Tat werden ließ, bleibt eben ein ungelöster, unerfüllter Rätselrest. Denn eigenes Feldherrntum hat das Schicksal ihm ebenso wie Scharnhorst versagt. Hätte ihm das Geschick auch dies gegeben, aus dem Sollenden wäre wohl ein großer Wollender und, was sehr viel seltener ist, Gestalter geworden. Will ein gütiger Gott den Mann zum Genie erheben, so macht es ihn frei von Hemmungen der Umwelt. Seeckt ist diese Freiheit in den äußeren Umständen niemals geschenkt worden. Freilich im eigenen Innern, da hat er sie sich erkämpft.

Auf dem Höhepunkt des Lebens fühlte er sich im Dezember 1917. Aber während das Schicksal zu geben schien, nahm es bereits wieder, um dereinst von neuem geben und danach noch einmal nehmen zu können. Die Tragik des Menschenloses, Seeckt hat sie erfahren. Das Bleibende ist die ewige Sehnsucht. Seeckt kannte sie. Harmonisches und Problematisches als Antithese haben diese uralte Sehnsucht zum Ergebnis. Großes ersehnend, Fernes suchend, so fuhr er hinaus in das unbekannte Land. Was er verließ, sah er so nicht wieder. Wie er ging, so kam er nicht zurück. Er fuhr Neuem entgegen. Was blieb, war der Mann und der Mensch.


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