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Als Chef des III. Armeekorps im Westen

Am 7. August verläßt das Generalkommando vom Charlottenburger Güterbahnhof aus Berlin, um im Aufmarschraum der 1. Armee westlich Köln ausgeladen zu werden.

Am Abend vorher schreibt Seeckt der Mutter: »Einen letzten Gruß vor dem Ausrücken an Dich liebe alte Soldatenfrau und -mutter! Wie gern hätte ich Dir noch einmal ins Auge gesehen und Deine lieben Hände geküßt. Ich nehme Deinen Segen mit. Habe für alles Liebe und Gute Dank, meine Mutter. Ich will versuchen, meine Schuldigkeit zu tun, auch in Gedanken an Dich. Behalte meine Frau in Deiner Liebe; sie … ist auch in dieser Zeit wie stets mein guter Kamerad gewesen … Ich weiß, daß Deine Gedanken bei mir sind; mit mir geht das kleine Psalmbuch, das Du mir gabst …«

Der Kommandierende General war General der Infanterie v. Lochow, der 1. Generalstabsoffizier der spätere Chef der Operationsabteilung unter Ludendorff, der damalige Major Wetzell. Die Zusammensetzung des Stabes ist vom Stabschef sehr bald und noch lange Jahre danach immer wieder als eine besonders glückliche bezeichnet worden. Insbesondere rühmt er wiederholt die eisernen Nerven seines I a, des Majors Wetzell. Natürlich sind Menschen von ausgeprägter Eigenart, wie es sowohl der Kommandierende General, der Stabschef und auch der 1. Generalstabsoffizier waren, einander nicht durchweg und zu jeder Stunde bequem. Das starke Selbstbewußtsein Seeckts mag der Stab, vielleicht sogar der Kommandierende General gelegentlich geradezu unbequem empfunden haben. Der Kommandierende war nicht der Mann, bei der Führung des Korps etwas zurückzutreten, wie es hie und da, wenn der Chef stark das Übergewicht bekam, eintreten mochte. Seeckt andererseits hat vielleicht sich in die sorgenden Gedanken des Älteren nicht immer ganz hineindenken können oder wollen. Er mag diese Sorgen sogar gelegentlich deshalb abgelehnt und beiseitegesetzt haben, weil er ihnen im Allerinnersten die Berechtigung gar nicht absprach, hemmende Gedanken aber nicht Herr über sich werden lassen wollte. Das alles hat jedoch niemals bewirkt, daß diese Männer, die alle nur dem einen Ziele, einem deutschen Siege, dienten, anders als in gegenseitiger Hochachtung, treuer Kameradschaft und, wie die Zukunft bewies, unzerstörbarer Anhänglichkeit nahezu ausnahmslos aneinander hingen. Seeckt ist sich selbst gegenüber, was seine Stellung zum Stabe anbelangt, von einer verblüffenden Ehrlichkeit gewesen. Er bekennt es einmal ganz offen, daß Schwierigkeiten auch durch ihn selbst entstehen konnten: Hemmungen gibt es immer, auch in der eigenen Person. Seinem Kommandierenden General rühmt er eine Eigenschaft nach, die sicher die schönste eines führenden Soldaten ist und immer bleiben wird: »Er hat die Gabe, die Herzen der Soldaten zu gewinnen.« Über sein Verhältnis zum Major Wetzell schreibt er einmal Ende 1914: »Er ist ein ausgezeichneter Offizier … geradezu großartig, wie schnell und selbstlos er jede Trübung zwischen uns überwindet. Solche bringt das Geschäft ja mit sich, und mir ist es noch sehr klar, wie unangenehm es für den I a ist, wenn der Chef eine eigene Meinung hat. Glücklicherweise haben wir beide meist die gleichen und dann ist es ja in Ordnung. Für die Sache ist er einfach unersetzlich, für mich eine dauernde Beruhigung und Erleichterung Wenn die Herkunft der in Anführungsstrichen gegebenen Stellen nicht in Fußnote vermerkt ist, sind es fast durchweg Briefstellen, zumeist aus Briefen an Frau v. Seeckt..

Fast in der Mitte der 1. Armee ging das III. A. K., beiderseits angelehnt, auf jenem rechten Heeresflügel mit vor, den der Geist Schlieffens zum Schicksalsflügel des deutschen Heeres gestempelt hatte. Es ist ganz natürlich, daß sich über den Aufmarsch ein erfahrener Generalstabsoffizier wie Seeckt auch seine kritischen Gedanken gemacht hat. Wir haben bei Kriegsbeginn über den Aufmarsch keine Aufzeichnungen von ihm, wohl aber hat lange Jahre danach einmal Seeckt darüber etwas geschrieben, was vielleicht doch mit seiner ursprünglichen Auffassung übereinstimmt, obwohl oder gerade weil er im August 1914 keinerlei Kritik geäußert hatte. Er wehrte sich ausgesprochen zornig gegen jene Kritiker, die die sogenannte Verwässerung des von Schlieffen vorgeschlagenen Aufmarsches in Grund und Boden verurteilten. Seeckt befindet sich damit in recht guter Gesellschaft. Männer, deren Urteil entscheidendes Gewicht hatte, haben dem Aufmarsch von 1914 das Zeugnis ausgestellt, daß mit ihm durchaus zu operieren war. Seeckt erinnert in seinem Nachkriegsschreiben daran, daß ja doch einer der Chefs der maßgeblichen Abteilung Ludendorff selbst war in der Zeit, in der der Plan abgeändert wurde. Seeckt trifft damit nicht ganz das Richtige, wenn auch die Tatsache an sich stimmt. Verantwortlich für die Abänderung blieb in erster Linie der Chef des Generalstabes, General von Moltke, alsdann der damalige Oberquartiermeister, General von Stein. Der Abteilungschef hatte sich ihren Entschlüssen und Befehlen zu unterwerfen.

Dennoch hat Seeckt in der Abwehr der alle Grenzen überschreitenden Kritik des Aufmarsches und der Führung 1914 recht. Denn auch als Stein nicht mehr Oberquartiermeister war, ist der Aufmarsch naturgemäß nicht im Sinne von 1905/06 zurückrevidiert worden. Da sich die Voraussetzungen inzwischen geändert hatten, konnte das nicht sein. Seeckt hat sich nie darüber geäußert, ob er dies oder das beim Aufmarsch für falsch oder richtig hielt. Aber er hat sich gegen die bodenlose Unsachlichkeit gewehrt, daß man von Menschen behauptet, sie hätten es sicher ganz anders gemacht, die dieser Behauptung selbst niemals zugestimmt haben, die an den Maßnahmen vor Kriegsausbruch beteiligt waren und, soweit die Verantwortung auf ihnen lag, diese Verantwortung keineswegs abgelehnt haben.

Die Fahrt ins Aufmarschgebiet setzt selbst den erfahrenen Soldaten in Erstaunen über die Genauigkeit bis auf die Minute. Wohltuend ist überall die Begeisterung und die Fürsorge der Bevölkerung.

Am 13. August tritt die 1. Armee an. Die Stimmung ist aufs höchste gespannt. Die Riesenmasse schiebt sich durch Aachen. Man hört von Kämpfen um Lüttich, und man hört auch den ersten Kanonendonner. Viel Arbeit, aber eigentlich noch wie in einem schweren Manöver. Allerdings ein Manöver mit einigen Schwierigkeiten, wie sie eben doch nur der Ernstfall mit sich bringt. Am 16. August wird die Maas überschritten.

Am 17. streift das blutige Geschehen des Kampfes den Stab in einer Zufälligkeit, die wie alles, was zum erstenmal unvermutet kommt, dem Gedächtnis nicht wieder entschwindet. Der Oberleutnant von Witzleben vom Husaren-Regt. 3 ist zur Erkundung gegen den Gethe-Abschnitt angesetzt. Er verliert sämtliche Pferde seiner Patrouille und bekommt selbst einen Brustschuß. Zu Fuß unter Mitnahme Verwundeter kommt er bis zum Generalkommando, um seine Meldung persönlich zu machen. Die Pflichttreue des Offiziers macht gerade in ihrer Selbstverständlichkeit starken Eindruck.

Der 18. August. Der Chef des Stabes hat das erinnerungsreiche Datum nicht übersehen. Jedoch die Umstände lassen einen Verlauf, der den Kämpfen von 1870 an die Seite zu stellen wäre, nicht zu. Nur schwache Kräfte des Feindes sind zu werfen. »Kleine Plänkeleien. Es geht unaufhaltsam vorwärts. Sie halten wieder nicht. Wir kommen heute nach Loewen und ich hoffe morgen nach Brüssel … Die Truppen im Ertragen der Anstrengungen herrlich und vor allem überall, wo es zum Gefecht geht oder zu gehen scheint. 20er und 35er waren im Feuer und sind sehr gelobt. Die Rauflust erwacht. Darauf hatte ich gerechnet.« Die lastende Frage, die natürlich auch das Generalkommando beschäftigt, ist die nach dem englischen Expeditionskorps. Noch am 18. und 19. ist es nicht klar, ob sie kommen oder gekommen sind. »Die Oberkommandos der 1. und 2. Armee hatten allerdings in einer belgischen Zeitung gelesen, daß nach einer Meldung des offiziellen Londoner Pressebüros das ganze Expeditionskorps auf französischem Boden gelandet sei; diese Nachricht an die Oberste Heeresleitung weiterzugeben, ist vergessen worden. Die Unsicherheit wegen der Engländer beschränkt sich daher auf die allerdings wichtigste Frage: Wo werden sie erscheinen? Groener, Testament des Grafen Schlieffen.« Das Oberkommando der 1. Armee muß die Nachricht über die Engländer jedoch nach unten hin weitergegeben haben. Das Generalkommando des III. A. K. wußte in der Frühe des 20., daß die Engländer seit dem 14. 8. in Boulogne gelandet waren. Die Bevölkerung wußte das erst recht, denn sie hält die deutschen Truppen zunächst für Engländer. Es ist nun bezeichnend, daß Seeckt notiert, die ganze Expedition der Engländer sei mißlungen, selbst wenn sie noch einige Erfolge haben sollte. Das sei die Bedeutung der Kämpfe über diesen Tag hinaus. So sah man die Sache damals an. Die Kämpfe sind übrigens nicht immer leicht. Sie arten in dem Industriegebiet zum Straßen- und Häuserkampf aus. Die Gefechtsdisziplin und der Schneid der Truppe ist hervorragend. Aber leider »läßt die Infanterie im Draufgehen der Artillerie vor Eifer nicht Zeit zur Vorbereitung, daher die Verluste. Jedoch ist unsere Artillerie auch über jedes Lob. So war es doch, obwohl es nicht zu einem sogenannten großen Siege kommen konnte, ein wohlgelungener Tag … Die Gefangenen … waren alle wütend auf die Franzosen … und auf ihr Government, das ihnen gesagt, es sei ein Kolonialkrieg … Heute hatten wir die ersten Franzosen … endlich den eigentlichen Feind. Unsere Kerle jauchzten bei den ersten roten Hosen und gingen mit Hurra über die Grenze … trotz allen Blutes, das schon Belgien trank … Heute schlafe ich in Frankreich …« Weiter geht es hinter dem Feind her in nicht endenwollendem Marsch. Nur selten und nur geringe Gefechtsberührung. Dafür um so größere Anstrengungen. Der 28. geht als Marschleistung fast über die Kraft selbst dieser herrlichen Truppe. Es kann trotzdem gar nicht ausbleiben, daß die Zuversicht sich von Tag zu Tag bis zur offenkundigen Siegesfreude steigert. Am 29. 8. ist Seeckt im Hauptquartier des Armee-Oberkommandos beim General v. Kuhl. Dieser zeichnet ihm eigenhändig die weiteren Operationen auf einer Karte Auf der Karte fehlt das Datum. Sie kann vom 28. nachm. oder 29. vorm. stammen. ein, die sicher nicht den Kartenbeständen des preußischen Generalstabes, sondern irgendeiner Redaktionsstube des Petit Journal entnommen gewesen sein dürfte. Die Striche, die der General v. Kuhl mit fester Hand in die Karte setzt, sind allerdings geeignet, das Herz des Chefs des III. Korps höher schlagen zu lassen. Der Pfeilstrich für die 2. Armee geht auf die Westkante von Paris, der für die 1. Armee gegen die untere Seine, beinahe Halbwegs Rouen-Paris. »Wie ein Traum ist es, daß diese langdurchdachten Operationen nun in der Tat ganz so laufen wie auf dem Papier. Es ist die größte Tat seit Bestehen der Kriegsgeschichte, ermöglicht durch die Kunst der Konzeption, die Sicherheit der Organisation und die unvergleichliche Willigkeit und Tapferkeit unserer Truppen. Das ist eigentlich das Ausschlaggebende, und der Vorwärtsdrang unvergleichlich. Es steht sehr gut im ganzen Westen. Die Engländer sind erledigt … Es werden noch einige kleine Rückschläge kommen, aber im ganzen ist es gut …« Seeckt wußte nicht, daß, während er diese Worte schrieb, bereits die Entscheidung gefallen war, auch die 1. Armee von der Richtung auf die untere Seine in südöstlicher Richtung abzudrehen und daß überhaupt der Dies nefastus, wie Groener den 30. 8. mit Recht genannt hat, eingeleitet war. Das Armee-Oberkommando 1 hat frühzeitig seine Entschlüsse zum Abweichen von der Südwestrichtung selbst gefaßt, so frühzeitig, daß es annahm, die Oberste Heeresleitung sei mit seinem Befehl sozusagen den Entschlüssen der 1. Armee gefolgt. Das war nun freilich nicht der Fall. Der Entschluß der Heeresleitung war ein selbständiger, ungefähr zur gleichen Zeit wie der der 1. Armee, aber aus anderen Gründen entstanden. Dem III. A. K. brachte der 30. 8. und 2. 9. erfolgreiche Angriffe. Beide Male schnelle wuchtige Schläge, »keine großen Entscheidungen, aber doch auch Bausteine im ganzen«. Es ist nun allerdings eigentümlich, daß, als in den ersten Septembertagen kein Zweifel mehr über das Abweichen von der Südwest- in die Südostrichtung der Flügelarmee sein kann, weder das Kriegstagebuch, noch Seeckts persönliche Aufzeichnungen irgend etwas über den Sinn und die Folgen dieser wesentlichen Änderung enthalten. Und doch ist auch das wieder verständlich aus der Selbstverständlichkeit des Vertrauens heraus, das man in die höhere Führung setzte. So schreibt Seeckt am 2. 9. ganz befriedigt: »... Wir laufen weiter. Für den Stab eine Reise durch französische Schlösser, lauter Romanillustrationen. Wo gestern Engländer lagen, liegen heute wir. Wir bekamen sie gestern noch etwas zu fassen, was ihnen nicht gut bekam. Es war aber nur eine kleine Sache; groß genug … für die, die dabei sind … Unsere Kerls hatten sich in Wut gelaufen, und im Nahkampf zeigte sich der tapfere 35er den Coldstreams und Scotch Guards doch überlegen. Heute … sind sie uns wohl endgültig hinter die Marne entwischt. Wir wollen nun Franzosen jagen und streifen Paris schon mit dem Ärmel.« Gewiß, man streifte Paris mit dem Ärmel. Leider aber nicht mit dem linken, sondern mit dem rechten, worüber der Briefschreiber nicht ein einziges Wort verliert. »... Unsere Leute sind zum Teil am Ende ihrer Kräfte, die freilich überraschend schnell wiederkommen. Es scheint mir überall gut zu stehen.«

Am 3. 9. geht es über die Marne. Jetzt kommen dem Kommandierenden General aber über die Leistungsfähigkeit der Truppe Bedenken. Er berichtet an den Oberbefehlshaber über die Übermüdung infolge der ungeheuren Marschleistungen und bezeichnet einen Ruhetag, falls es die taktische Lage zuließe, als im hohen Grade erwünscht. Dazu die ungewöhnliche Hitze. Mit dem 6. 9. tritt ein ganz offenkundiger Umschwung ein. Der 5. 9. steht noch unter dem Eindruck des immer weiter fortgesetzten »Vormarsches gegen die Seine unter Deckung gegen Paris«. Am 6. heißt es plötzlich, »die Armee solle sich gegenüber der Ostfront von Paris zwischen Oise und Marne bereitstellen, um feindliche Unternehmungen aus Paris offensiv abzuwehren Diese und entsprechende Stellen sind dem Kriegstagebuch des Generalkommandos III. A. K. entnommen.. Das III. A. K. soll am 6. in Richtung La Ferté sous Jouarre marschieren«. War der Feind bisher stets ausgewichen, so bot sich am 6. noch einmal die Gunst der Lage an, daß er sich vor der Front stellte, an der das III. Korps südostwärts La Ferté sozusagen den rechten Flügel zum unmittelbaren Eingreifen bildete, da das IV. und II. Korps rückwärts gestaffelt gingen. Man mußte zugeben, daß große Erfolge dem III. Korps bislang nicht beschieden waren. Jetzt konnte es zum Angriff an vielleicht entscheidender Stelle gelangen. Da hoben die Befehle für den 7. alles auf. Kurz nach Mitternacht vom 6. zum 7. trat das Korps, das wenige Stunden zuvor noch eine Aufgabe mit der Front fast genau nach Süden hatte, den Abmarsch auf den Ourcq, also in nordwestlicher Richtung an. In der Bewegungsrichtung war dies bereits annähernd ein Rückmarsch. Er wurde nur nicht ganz als solcher empfunden, weil man wußte, daß man im Angriff den aus Paris vorstoßenden neuen Gegner schlagen und nach Westen werfen wollte. In dem Tagebuch eines Ordonnanzoffiziers beim III. A. K. Landesdirektor v. Winterfeldt-Menkin. findet sich daher diese Bewegung eingetragen lediglich als Richtungsänderung auf Paris, obwohl man sich allerdings über die Tatsache des Rückmarsches nicht im unklaren sein konnte, weil man teilweise in die gleichen Quartiere zurückmarschierte. Bei der Truppe setzte also schon hier etwas Enttäuschung ein.

Es ist bezeichnend, daß Seeckt, der in der Tat gern und viel Briefe, auch im Kriege, schrieb, in den Tagen zwischen dem 4. und 8. September nicht zu einer Zeile Zeit gefunden hat. Dazu war die entstandene Spannung nun doch zu stark geworden. Am 8. schreibt er dann: »... Kritische Tage, die wir durchleben. Die Lösung noch unsicher. Doch ich habe gutes Zutrauen. Irgendwo mußte ja ein Stocken kommen. Wenn nur die Nerven hielten! wie meine, Gott sei Dank! Es gibt Menschen, die von den Nerven der anderen leben. Ich kam nicht zum Schreiben, wie nicht zu anderen Dingen als Waschen und dergleichen … Seit gestern früh hier unter Feuer, nachdem auch die beiden vorhergehenden Tage aufregend genug und ohne bessere Resultate verliefen. Wir haben Engländer und Franzosen gegenüber und kommen gegen ihre schweren Festungs- und Schiffsgeschütze nicht recht an.« Immerhin hat man am 8. einen Durchbruchsversuch des Gegners verhindert und für den 9. die Aufgabe, die Stellung zu halten. Da tritt am Mittag des 9. 9. zum erstenmal etwas ein, was man bisher nicht gekannt hatte. Die Engländer sind über den Marneabschnitt nach Norden vorgegangen. Der linke Armeeflügel wird infolgedessen etwas zurückgenommen, linker Flügel der Gruppe Lochow an den Ourcq-Abschnitt. Ungestört vom Feind wird die Bewegung ausgeführt. Um 5 Uhr 40 nachmittags trifft nun aber der folgenschwere Befehl ein, daß die Armee auf Soissons ausweichen soll. Da man bereits seit vier Stunden in einer Rückwärtsbewegung war, wäre es verständlich, wenn der Armeebefehl zunächst nicht in der vollen Wucht seelischer Auswirkung empfunden worden wäre. Dies vielleicht um so mehr, als das Gen. Kdo. III im Augenblick nicht seine eigenen, sondern die 7. R. D. und 8. I. D. unter seinem Befehl hatte.

Mit ergreifender Schlichtheit verzeichnet das Kriegstagebuch des III. Korps in zwei Zeilen diese Schicksalswende. Man könnte bestürzt sein, daß sich hier nicht ein Wort findet, wie dieser Befehl auf die Truppe gewirkt hat. Die einfache Tatsache wird vermerkt und auf den nächsten Seiten steht die Ausführung. Das ist allerdings auf nüchternem schlechten Aktenpapier ein Gedenkblatt heroischer Disziplin, die unübertrefflich sein dürfte. Anders mag es in der Seele des Korpschefs ausgesehen haben. Ein leises Zittern der Erregung spürt man in seinen Aufzeichnungen, und doch auch bei ihm nicht ein Wort des Widerstrebens, nur die zerbrochene Hoffnung und der Wille, das Beste aus der Lage herauszuholen.

»Den 10. 9. 14. … Der gestrige Tag verlief bei uns gut, trotz vieler Hindernisse. Beide Divisionen mit den Heeresflügeln siegreich – und doch zurück! Die 2. Armee hat Mißerfolg gehabt. Eine etwas angreifende Macht und das gewohnte Bild auf der Chaussee, auf der unaufhörlich Truppen vorbeiziehen … Viel Eindrücke, die in ihren Einzelheiten erschütternd wirken, konnten in der Masse kaum berühren. Es regnet und das paßt. Wir gebrauchen alle ein bis zwei Tage Ruhe, um wieder in Ordnung zu kommen. Es wird alles wieder ins richtige Geleise kommen. Aber man ärgert sich und gönnt dem Feinde nicht den Triumph, daß wir zurückgehen. Nicht viel, aber etwas. Heute abend werden wir in der Gegend von Soissons sein … Die Stimmung ist also entsprechend, die Eindrücke wie im Traum …« Das ist wirklich ein Gehorchen mit zusammengebissenen Zähnen und ein Sich-nicht-beugen- Wollen, auch in schwerster Lage.

Die Erschütterung Aufzeichnungen des Landesdirektors v. Winterfeldt-Menkin. war freilich doch so, daß ein Teil der Offiziere des Stabes in eine seelische Verfassung kam, die man nur noch mit stummer Verzweiflung bezeichnen konnte. Es wirkte wie eine Erlösung, daß Seeckt völlig unverändert, wie immer kühl, zurückhaltend, still, aber auch wie immer ruhig, ausgeglichen und völlig Herr seiner Nerven blieb; in diesem Augenblick ein Beispiel vorbildlicher Selbstdisziplin für seine ganze Umgebung und dadurch natürlich vorbildlich auch auf die Truppe wirkend.

Am 11.9. Abmarsch der 1. Armee über die Aisne. Das Generalkommando geht nach Soissons. Der Aufenthalt ist nicht sehr gemütlich. Es regnet in Strömen. In der Stadt ein unaufhörlicher Spektakel, fluchende Fahrer und ein Wirrwarr von Autos.

Am 14.9. greift das III. Korps gegen starken Feind an. Es erreicht nichts mehr. Die Offensivabsicht wird noch zwei Tage wie selbstverständlich aufrechterhalten. Sogar für den 15.9. vermerkt das amtliche Kriegswerk, daß ein voller Sieg durch energisches Vorgehen des II. und III. A. K. auf Fismes in Aussicht stünde. Am 16. hat nur noch das III. A. K. einen offensiven Auftrag. Jedoch am 16. abends muß man zugeben, daß die erste große Offensivbewegung dieses Feldzuges zum Stillstand gekommen ist Vgl. hierzu auch das im Band 5 des Amtlichen Kriegswerks abgedruckte, spätere Urteil Seeckts über die Gründe des Mißerfolgs der Fortsetzung der Offensive nach der Marneschlacht.. Aber es ist festzuhalten, daß das III. Korps noch eine volle Woche nach dem 9. September sich in die Vorstellung, es könne der Stillstand endgültig sein, keineswegs hineingefunden hatte. Der Angriffsgedanke ist gerade beim III. Korps nie eingeschlafen. Das Bewußtsein blieb stark und lebendig, es müsse nun sofort erneut zum Angriff übergegangen werden, weil ja die Feldzugsentscheidung auf anderem Wege nicht zu erreichen war. Bereits in den ersten Oktobertagen nimmt dies Streben greifbare Formen an, die alsdann Ende Oktober zur erfolgreichen Tat werden. Alles innere Widerstreben kann jedoch nicht verhindern, daß tatsächlich mit dem 17.9. der Stellungskrieg einsetzt. Es ist die Kampfart der beiderseitigen Erschöpfung, gekennzeichnet mit dem an diesem Tage eintreffenden Befehl der Obersten Heeresleitung, mit der Munition zu sparen. Und selbst das hat beim III. Korps nicht dazu gereicht, daß die führenden Männer den Gedanken, wieder in Bewegung zu kommen, innerlich aufgaben.

Man muß allerdings zugeben, daß die Dinge von höherer Stelle ganz anders gesehen wurden. General v. Falkenhayn Kuhl, Weltkrieg, wörtl. Zitat aus einer Niederschrift des Generals v. Falkenhayn. war der Ansicht, daß nach der Durchführung des Rückzuges von der Marne das deutsche Westheer dem Feind die Stirne bot. Immerhin hätten sich die Fronten zwischen Oise und Reims nur mühselig gegen die Stöße des nachdrängenden Gegners behauptet. Diese Worte zeigen allerdings lediglich die Genugtuung, eine Katastrophe verhindert zu haben, und keineswegs den Glauben, daß die Front in der Lage wäre, die Bewegung wieder aufzunehmen. Infolgedessen entstand ja auch der Wettlauf um die Flanke. Es ist die Frage, ob Anschauungen wie die, die beim III. Korps herrschten, nicht doch einige Berechtigung hatten. So fest war die Front des Gegners keineswegs geworden, daß ein Angriff mit erheblich mehr Kräften, als sie bei Vailly eingesetzt wurden, nicht vielleicht doch einige Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Seeckt hat die Dinge zunächst wohl noch anders gesehen oder sehen wollen. Er schreibt am 14. 9., daß das Korps am 13. und 14. an der Aisne und bei Soissons einen kleinen, aber glatten Sieg gehabt und die Engländer zurückgeschlagen hat. Entschieden sei die Schlacht noch nicht, aber er hoffe, daß es ein Auftakt sei und die andern neben dem III. Korps dem Beispiel folgen werden. Seine persönliche Spannkraft hatte in der Tat nicht gelitten. Aber er muß sofort vermerken, daß, während er schrieb, bereits kleine Rückschläge eintreten. »Es scheint noch eine ganze Weile so gehen zu wollen, was entschieden aufreibend ist …« Daß es noch jahrelang so gehen sollte, das ahnte er in diesem Augenblick wohl nicht.

»15.9. Eine langbauernde Schlacht, deren Ausgang und Ende noch nicht recht abzusehen ist … Wir hatten einen schweren Stand, von noch nicht abzuschätzender Überlegenheit angegriffen, noch die Nacht gekämpft, die Truppen großartig ausgehalten. Als ein ganzer Mann zeigte sich der viel genannte Oberst v. Reuter Einst Regimentskommandeur in Zabern.... Ich vertraue auf den Erfolg des Ganzen und bin gefaßt, Rückschläge im kleinen zu ertragen. Unsere Schuldigkeit tun wir. So ist die Stimmung bei mir. Das Schwerste ist, sie auch bei den anderen durchzusetzen und zu erhalten. Vor allem gegen den Pessimismus täglich vorzugehen, ist aufreibend. Ich weiß das, weil diese Stimmung sich zauberhaft schnell nach unten ausdehnt und alles lähmt …«

Es sind nur wenige Tage, die genügen, um das Bild hinter der Front auf eine gewisse Friedlichkeit umzustellen. Die Stadt erinnert ihn mehr an ein Manöver als an einen Krieg. »Ganz natürlich, man kann doch nicht immer mit gezogenem Säbel einhergehen, und zu morden war auch nichts da. Die Einwohner sinb auf der Straße, die Läden zum Teil offen. Sie machen gute Geschäfte.« »... Am 21.9. machte ich einen Ritt zu unserer 5. Division …, um mich nach ihr umzusehen und dabei dem General Wichura das Kreuz I. Klasse zu bringen. Er umarmte und küsste mich, und es war nicht einmal komisch, nur echt. Ihm wohl zu gönnen. Er hat es nicht leicht gehabt und hat es wohl auch heute noch nicht …« »24.9. … Ein hartes Ringen um jeden Fußbreit Landes … Das Leben wird ruhig, doch innerlich in steter Spannung, Hoffnung, Sorge und viel, viel Resignation.« Nebenbei hat Seeckt einen beinahe ins Komische gehenden Ärger über die ausbleibende Feldpost! Der sonst so bemessene kommt hierüber in Siedehitze. Auch große Menschen können manchmal durch Kleinigkeiten gereizt werden. »... den 25.9. … Es wird schon werden. Ich habe nie an einen schnellen Verlauf geglaubt... Wir haben sehr zahlreiche und zähe Gegner. Frankreich kämpft absolut um seine Existenz als Großmacht, England um sein ganzes Ansehen, wir um alles. Das gibt noch harte Kämpfe. Ich sehe den Ausgang voraus, bin aber guten Muts. Es kann jedoch noch lange auf sich warten lassen. Wir sind nicht verlustscheu geworden, aber so wie in der ersten Zeit können wir nicht weiter gehen. Das ist der Grund, weshalb es langsamer geht …« Man sieht, daß es weitergehen muß, ist ihm vorläufig eine Selbstverständlichkeit. Der Gedanke, daß es hier zu einem Durchhalten, zu einem Ausharren im Stellungskriege käme, liegt ihm völlig fern. Diese Auffassung wurde dadurch unterstützt, daß die benachbarte 7. Armee für den 26.9. einen Angriffsbefehl hatte, der allerdings wiederum nichts weiter einbrachte als den Beweis, daß es eben so nicht ging. Es wird ihm sehr schwer, sich in die, was den Kampf anlangt, Untätigkeit zu finden. »Jeder muß eben die Rolle hinnehmen, die ihm das Schicksal zuweist, und suchen, aus ihr das Beste zu machen. Zu glanzvoller Tat fehlt hier die Gelegenheit …« Langsam wendet sich die Hoffnung dem Osten zu, und dann kommt eine Stelle, die sich wie eine bitterböse Prophetie liest: »... Daß wir im Volk innerlich einiger werden, Gegensätze gemildert werden, das wäre ein Erfolg, kaum zu hoffen. Wir haben doch schließlich alle gegeben, jeder nach Anlage und Kraft. Doch in der Hinsicht ist meine Hoffnung gering, wenn alles vorüber ist. Die Hauptsache bleibt, daß jetzt wenigstens alles zusammenhält.« Schon am 29.9. tritt der Drang nach vorwärts wieder hervor. »... Ihr erwartet Siege, wie sie unsere Väter 1870 erfochten. Das geht dieses Mal nicht … Heute stehen die Dinge meines Erachtens gut. Vielleicht geht es nun weiter vorwärts. Am endlichen guten Ausgang zweifele ich nicht und habe ich nicht gezweifelt.«

Am 4. Oktober erhält Seeckt das Eiserne Kreuz I. Klasse. Er schreibt es der Mutter. Seine Schrift, die gelegentlich in diesen Feldzugstagen auch flüchtig sein kann, bekommt beinahe etwas Feierliches. Gerade dann ähnelt sie etwas der Schreibart, die wir aus den Feldzugsbriefen des Vaters kennen. »... Ch. Pinon, Dep. de l'Aisne, den 4.10.1914. Liebe Mutter, heute hat mir Seine Majestät das Eiserne Kreuz I. Klasse verleihen lassen. Es gilt Dir und dem Andenken unseres Vaters. ›Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.‹ Das Ererbte liegt in Deinem Schrank, das Erworbene auf meiner Brust. Ich hätte nie das eine bekommen, ohne daß unser Vater sich bei St. Privat das seine erwarb, und ich es nicht seit Kindheitstagen auf seiner Brust als stets ersehntes Ziel vor mir gesehen hätte. Nach ihm und dem von ihm mir gegebenen zwingenden Vorbild danke ich heute meinem König, dem lieben alten Regiment Alexander, das 23 seiner Offiziere hat liegen lassen, dem Vorbild meiner Jugend; ich danke es dem alten pommerschen Armeekorps, mit dem mich Gedeih und Verderb aus jahrelanger Friedenszeit verbindet, so daß ich seine Trophäen als miterworben empfinde. Doch das sind persönliche Rücksichten und Gedanken. Das Kreuz I. Klasse, das der Chef bekam, gilt allein dem Armeekorps brandenburgischer Heimattreue im ganzen und gilt dann dem Stab des Generalkommandos III. A. K., als dessen Chef ich es mit tiefer Dankbarkeit tragen will. Der Begriff des Verdienens darf nicht für mich in Frage kommen, nachdem im Auftrag S. M. es mir mein Kommandierender General gab. Stellt doch das Schicksal uns vor so verschiedene Aufgaben, und diese sind im Grund die gleichen: im Granatfeuer wie am Schreibtisch oder Telephondraht: versuchen, seine Pflicht zu tun, als Geselle recht zu bauen und den Meister sorgen lassen. Das steht in Deinem Rückert; da Du es mir mitgabst, so, liebe Mutter, nimm Deinen Teil an von dieser schönsten und höchsten Auszeichnung Deines Sohnes.« Die tiefe innere Freude zittert auch noch in den unwillkürlich etwas weniger feierlich gehaltenen Worten an die Gattin nach: »... Ich weiß nicht, was ich zum Kreuz I. Klasse sagen soll. Ich freue mich natürlich sehr, sehr. Und etwas von Rührung kommt über mich beim Anblick dieses Zeichens auf der eigenen Brust, das man nur in scheuer Ehrfurcht auf der der anderen von 1870/71 einst sah … Freue Dich mit mir und nimm den Dir zukommenden Anteil daran, den Du durch Liebe und Fürsorge … daran hast, wie an allem, was ich habe. Es gilt meinen Mitarbeitern, von denen es Wetzell zu meiner Befriedigung mit erhielt. Es gilt dem Korps … allen den ausharrenden geduldigen Leuten. Der Kommandierende General gab es mir mit den denkbar freundlichsten Worten, und ich bin voll Dankbarkeit gegen ihn. So muß ich es ihm wohl glauben, daß ich es verdiente. Es hätte schöner den Dank für eine gewonnene Feldschlacht gebildet. Aber so ist es der Lohn für Geduld im Ausharren … Ich komme nicht recht über die I. Klasse fort … Ich muß mich ganz von der Frage des Verdienens oder Nicht-Verdienens freimachen, sonst könnte ich das Kreuz doch nur still wieder ablegen. Vielleicht habe ich noch Gelegenheit, es zu verdienen. Aber wenn Du Dich mit mir freust, dann ist es gut. Und der alte Herr hatte es nicht trotz St. Privat und Le Bourget. Doch ich kann nichts dafür … Welch glückliches Zusammentreffen, daß ich gerade jetzt in einer Stellung bin, in der man seine Kräfte regen muß, Gelerntes verwirklichen kann … Ich suche das Kleine noch kleiner zu nehmen als bisher. Wenigstens donnerten die Kanonen dazu, als der Kommandierende General mir das Kreuz ansteckte.«

Als es nun gar nicht vorwärts gehen will, faßt ihn doch eine Art inneren Grolls. »... Wir leben hier fast garnisonmäßig und doch innerlich in täglichem Ringen, äußerlich bequem und innerlich voll Unruhe. Die Tage vergehen fast einförmig und doch in steter Spannung …« »... Ich darf auch einmal am Ende meiner Kräfte sein und konstatieren, daß das Leben groß und ernst ist … daß ich aber eben kein wirkliches Soldatenglück habe. Ich sollte diese Zeilen der Verstimmung nicht schicken … Der Fall von Antwerpen ist unbedingt ein Erfolg. Ihn zu verkleinern sind nicht ausländische Stimmen, sondern die eigenen Jammerhasen am Werk. Gestern war der Reichskanzler – ach, Bismarck und Alvensleben, muß das hübsch gewesen sein – hier, wozu und warum weiß ich nicht, und meinte: ›politisch könne ihm ja der Fall von Antwerpen nicht unwillkommen sein.‹ Der Teufel soll ihn holen, … ›nicht unwillkommen!‹«

Am 26. Oktober besucht Seine Majestät der Kaiser das Gen. Kdo., das Inf.-Regt. 48 vorn, sieht außerdem das Gren.-Regt. 12 bei Schloß Pinon in Paradeaufstellung. Der offizielle Bericht des Korps gibt in preußischer Knappheit lediglich Angaben über die gehaltenen Reden und die erledigten Formalitäten. Seeckt selbst schreibt: »Also der Kaiser war heute bei uns. Zuerst in unserer Tagesstellung … Dann fuhr er so weit nach vorn, wie wir es irgend verantworten konnten. Er zuckte resigniert die Achseln, als ich ein Veto einlegte, weil er noch weiter vor wollte. Kehrte aber freundlich um, als ich hinzufügte: Er zöge durch das Erscheinen … nur die Aufmerksamkeit des Feindes auf die Batterie. Immerhin wurde über ihn … weggeschossen … Beim Gren.-Regt. 12 hielt er eine kurze hübsche Rede: ›Brandenburger, euer Markgraf spricht zu euch auf Frankreichs Boden‹ … Er war guter, zuversichtlicher Stimmung, aber sehr ernst. Ganz anders als sonst. Gegen mich war er sehr gnädig. Ich muß aber auch sagen, daß Lochow mich ihm gegenüber … ganz über Verdienen lobte … Eine Einzelheit: Wenn man ihm von einem Gefecht erzählte, dann fragte er: Engländer? und sein Gesicht nahm einen ganz besonderen Ausdruck an. Konnte man dann antworten: Nein, Franzosen!, dann wich die Spannung, und er sah wieder ganz ruhig aus.«

Über den Kaiserbesuch schreibt Seeckt am 4. 11. an den beurlaubten Ordonnanzoffizier v. Winterfeldt-Menkin: »... Der Kaiser gewann einen Einblick in die Schwierigkeiten des Geländes. Am Grabe eines Leutnants legte er schnell beschaffte Blumen nieder … Er kam mit ganz kleinem Gefolge und war nicht nur sehr freundlich und gnädig, sondern machte einen ernsten Eindruck … Sehr amüsant soll sein Zusammentreffen mit Lichnowsky beim A.O.K. gewesen sein. Nachdem er ihn zunächst ganz geschnitten, hat er zu ihm gesagt: er freue sich, daß er sich hier nützlich mache und für Tafelobst gesorgt habe …«

Ende Oktober kam es beim III. Korps zu dem Unternehmen, das unter der Bezeichnung: »Kämpfe um Vailly vom 30.10. bis 3.11.1914« zusammengefaßt wird. Die Anfänge dieser Kämpfe reichen 1½ Monate zurück. Es war bereits erwähnt, daß beim Gen.Kdo. III und durchaus auch bei Seeckt die drängende Absicht, das fast elementare Streben, wieder zu einer Offensive zu kommen, eigentlich überhaupt nicht aufgehört hatte. Es haben die Umstände, sicher aber auch die Persönlichkeit des Kommandierenden Generals, des Chefs und des I a entscheidend mitgewirkt, wenn beim III. Korps das Offensivstreben so hervorragend lebendig blieb. Es mochte freilich hinzukommen, daß es durch Kämpfe bisher auch nicht so hart und schwer gelitten hatte wie manche andere Truppe. Der erste Anstoß ist sicher vom Ia, Major Wetzell, ausgegangen. Ihm gelang es sehr schnell, den Kommandierenden General von Lochow für seine Erwägungen zu erwärmen. Man hatte immer mehr den Eindruck Amtliches Kriegswerk, Bd. V., daß dem III. Korps nicht mehr hochwertige Truppen gegenüberständen, und daß auch die feindliche Artillerie sich geschwächt habe. Es begann der Entschluß zu reifen, den Feind aus seinen Stellungen bei Vailly und Chavonne vom nördlichen Aisne-Ufer zu vertreiben. Um die Entwicklung und den Zusammenhang der Kämpfe beim III. Korps Ende Oktober in der Gegend von Vailly und im Januar in der Gegend von Soissons, insbesondere um das innere Verhältnis Seeckts zu diesen Kämpfen zu verstehen, muß man berücksichtigen, daß die damit verbundenen Absichten sich nach und nach gewandelt haben. Ursprünglich hat vermutlich der Gedanke mitgespielt, überhaupt Bewegung wieder an einer Stelle in die Front zu bringen. Sonst hätte man nicht die Absicht gehabt, das II. Korps hinter dem III. bereitzustellen Amtliches Kriegswerk, Bd. V.. Am 27. 10. ist dann diese Bereitstellung von zusätzlichen Kräften teilweise und kurz darauf ganz aufgegeben worden. Damit wurde der Angriff des III. Korps ein rein örtliches Unternehmen. Es wechselte also keineswegs die Absicht an sich, wohl aber der Sinn der Handlung. Wenn Seeckt solchen Absichten anfangs mit einer gewissen Zurückhaltung gegenüberstand, so ist das verständlich. Er ist mit seinen Gedanken durchaus bei der ursprünglichen Vorstellung, aus dem Stillstand herauszukommen, geblieben. Er schreibt noch in der Nacht vom 29. zum 30. 10. von einem Versuch, wenigstens etwas Bewegung in die Sache zu bringen. Vielleicht kommt ihm überhaupt erst nachträglich das Empfinden dafür, was diesen örtlichen Erfolg rechtfertigt und ihm Sinn gibt. Er schreibt am 2. 11., daß der Erfolg zwar blutig war, aber seine Früchte trage, freilich in dem Riesenringen natürlich nur eine Episode sei, daß aber, wie die Dinge nun einmal lägen, nur aus solchen Episoden sich der endliche Erfolg zusammensetzen könne. »Wir suchen jedenfalls das Beste zu tun. Viel Erhebendes, viel Tragisches und endlich viel Menschliches bringen diese Tage. Die Kämpfe … im eigenen Herzen und vor dem eigenen Gewissen sind vielleicht nicht weniger schwer als die in der Front …« Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Seeckt in der Tat einige Hemmungen hat überwinden müssen bei diesen Unternehmungen, die nun doch bereits den deutlichen Stempel des Stellungskrieges an sich trugen und damit von einer starken, impulsiven Führung eine Resignation verlangten, die Seeckt ganz gewiß nicht leicht gefallen ist. Für ihn war es keine Kleinigkeit, aus dem Streben nach der Bewegung gedanklich herüberzuwechseln zu einem Unternehmen bei Vailly. Das alles läßt die Entschlusskraft des Kommandierenden Generals und die Initiative des Majors Wetzell in ganz besonders hellem Licht erscheinen. Es tut aber Seeckt keinen Abbruch, wenn es ihm anfangs vielleicht ausgesprochen nicht leicht wurde, mit solchen Plänen mitzugehen. Um so höher ist es zu veranschlagen, wenn er in kurzer Zeit sich sofort mit seinem ganzen Können auf diesen örtlichen Angriffsgedanken umstellt. Der bestimmten Weisung Entnommen dem Erinnerungsbuch Gen.Ob. v. Seeckt, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften. des Komm. Generals entsprach er, wie dieser selbst schreibt, sogleich »in vollstem Maße: zunächst in der Aufstellung des Planes, wonach erst in der Mitte bei Vailly, dann auf dem linken Flügel bei Soupir und weiterhin auf dem rechten Flügel bei Vregny angegriffen werden sollte. Auf Grund seines mir vorgelegten Antrages und seiner mündlich geführten Verhandlungen gelang es, das Oberkommando der 1. Armee für die Ausführung meiner Des Generals v. Lochow. Angriffsabsichten und für die Zuweisung der dazu erforderlichen Verstärkungen zu gewinnen. Auch die mündlichen Besprechungen mit den Artilleriekommandeuren und den anderen Stellen führte Seeckt mit der ihm eigenen Klarheit. Der Angriffsplan sah die gründliche Niederkämpfung aller feindlichen Schützengräben durch Artillerie oder Minenwerfer sowie der feindlichen Artillerie und dann das Vorbrechen der Infanterie auf die Minute genau unter fortschreitender Vorverlegung des Artilleriefeuers vor. Dieser klar durchdachte Plan führte am 31. Oktober zum Siege im Gefecht bei Vailly und weiter am 2. November zu dem bei Soupir. Zweifellos ist Seeckt an den Erfolgen von Vailly und Soupir in hervorragendem Maße beteiligt gewesen.«

In den Tagen vom 30. Oktober bis 2. November wurden die französischen Stellungen nördlich der Aisne bei Vailly, Chavonne, Soupir genommen und, abgesehen vom Dorf und Park Soupir, auch gehalten. Das III. A.K. hatte seine Verteidigungslinie erheblich verbessert. 2000 Gefangene, 5 beschütze und 8 Maschinengewehre waren das äußere Kennzeichen des Erfolges; dazu eine besondere Freude, Rohgummi für etwa eine Million und 16+000 Liter Wein. Nach längerer Untätigkeit war Bericht des A.O.K. der 1. Armee, I a 1088, geh. v. 3. 3. 1915. wieder ein in kühnem Angriff errungener Waffenerfolg zu verzeichnen. Das erstemal im Laufe des Krieges war der Beweis erbracht worden, daß weder Drahthindernisse noch starke Verschanzungen den Angriff einer tüchtigen Truppe aufzuhalten vermochten, wenn sachkundige Vorbereitung und geschickte Führung ihnen den Weg wiesen. Und nun fährt der Bericht des A.O.K. fort: Wertvolle Erfahrungen waren gesammelt worden; sie wurden zur Grundlage für den Sieg … bei Soissons. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Seeckt aber hatte doch auch recht, wenn es ihn etwas bedrückte, daß der Erfolg ziemlich blutig erkauft war. Im ganzen betrugen die Verluste an Toten, Verwundeten und Vermißten bei drei Divisionen 67 Offiziere, 3583 Mann. Es mußte dies unwillkürlich zu denken geben. Man hat später bei solchen örtlichen Unternehmungen davon gesprochen, daß sie dazu dienten, den Offensivgeist zu heben. Das ist nicht ohne weiteres und nicht immer richtig. Der Angriff bei Vailly war ganz gewiß nur zu billigen und nicht abzulehnen. Er bewirkte eine Stellungsverbesserung, und in ihm lebte noch deutlich der Drang nach vorwärts und nicht nur das Streben nach einem Erfolg an Ort und Stelle, ganz gleich, ob dieser Vorwärtsdrang im Augenblick Wirklichkeit werden konnte. Seeckts Gedanken aber kehrten immer wieder zu der Frage zurück, ob man sich denn mit örtlichen Erfolgen begnügen oder das Ganze wieder in Bewegung bringen solle. Wenn das A.O.K. schreibt, daß der Kampf bei Vailly die Grundlage für den Sieg bei Soissons gegeben habe, so mag das bis zu einem gewissen Grade richtig sein und ist dennoch falsch. General von Lochow selbst schreibt Siehe Fußnote 1 auf S. 78, daß es sich nicht um eine neue, etwa gar von Seeckt erfundene Taktik gehandelt habe. »Die von uns angewandte entsprach den bereits im Frieden gültigen Dienstvorschriften, die allerdings wohl nicht Allgemeingut der höheren Führung geworden, im III. Armeekorps aber schon im Frieden theoretisch und praktisch erprobt waren. Über die Grundsätze dieses taktischen Verfahrens waren sich der Kommandierende General, der Generalstabschef und der 1. Generalstabsoffizier von vornherein völlig einig. Bei der Verwirklichung der Grundsätze im vorliegenden Falle kam übrigens dem vortrefflichen, später auf dem Douaumont gefallenen General von Lotterer ein nicht minder großes Mitverdienst zu als meinen Generalstabsoffizieren.« Der vom Generalkommando III am 8. November abgefaßte Erfahrungsbericht bringt eine große Anzahl zweifellos sehr nützlicher Einzelheiten. Aber er gibt dem General von Lochow recht, weil nichts in ihm steht, was den in der Armee herrschenden Anschauungen und Kenntnissen widersprach. Nur eine Erfahrung verdient hervorgehoben zu werden. Auch sie war nicht neu. Sie wird und wurde aber leider in der Praxis, trotzdem sie allgemein bekannt und anerkannt war, oft übersehen.

Als eine wesentliche Erfahrung betont der Bericht, daß es bei jeder Durchbruchshandlung auf die Überraschung ankomme. Der Begriff der Überraschung wird vielfach falsch verstanden. Es ist natürlich weder im Bewegungskrieg noch im Angriff aus der Stellung heraus möglich, heutzutage einen Gegner völlig zu überraschen. Es kommt nur darauf an, daß er die Absichten des Angreifers zu spät erkennt. Zu spät, um rechtzeitig Gegenanordnungen zu treffen, zu spät sogar, um richtige Maßnahmen einzuleiten. Es muß jene Lage entstehen, in der überhaupt nur noch Fehler zu machen sind. Wenn beides, nämlich falsche und verspätete Gegenhandlungen des Feindes erreicht werden, dann ist in der Tat mit einer Überraschung zu rechnen, die wirksam und kampfentscheidend wirkt. Das Streben, nur mit dem Material zu wirken und ein Angriffsverfahren zu konstruieren, das bei normalem Verlauf zwangsläufig zum Erfolg führen müßte, wird mit Recht abgelehnt. Man darf also auf Überraschung nur rechnen, wenn man nicht ein und dasselbe Verfahren wiederholt anwendet. Allein hieraus ergibt sich, daß das Generalkommando III aus den Kämpfen von Vailly keine geheimnisvollen Vorbilder für Durchbruchsschlachten ableiten wollte. Es berichtet vielmehr ausdrücklich, daß in den Kämpfen bei Vailly nacheinander zwei verschiedene Arten des Vorbereitungsfeuers der Artillerie und des danach einsetzenden Infanterieangriffs angewandt worden sind.

Der Eindruck des Erfolges bei Vailly war insofern bedeutend, als er nach wochenlangem Stillstand erneut die Angriffskraft der deutschen Truppen bewies. Trotzdem konnte das alles nicht darüber hinwegtäuschen, daß man fest saß. Man war sich auch bewußt, daß »die Taten oder Nichttaten zu Hause vielfacher Kritik begegneten. Das ist ganz selbstverständlich und sicherlich auch vielfach berechtigt. Die Kritik wird auch von uns selbst geübt. Sie ist aber schwer. Vieles ist ganz anders gekommen, als wir angenommen haben; aber auch vieles so, wie wir es erwartet, wenigstens ein Teil von uns. Mit ihm habe ich bei solchen Konstellationen niemals auf Erfolge im Stil von 1866 und 1870 gerechnet. Man sollte nicht vergessen, daß wir 1866 mit erheblicher Überlegenheit gegen das aus zwei Fronten beschäftigte Österreich schlugen, 1870 gleichfalls an Zahl stärker … waren. Heute schlagen wir im Westen gegen einen … uns mindestens an Zahl gleichen Feind … im Osten gegen einen weit … überlegenen … Wenn man, wie wir doch alle, an dem endlichen Erfolg nie gezweifelt hat, so sind uns vorübergehende Rückschläge, selbst stärker als die bisher erlebten, nicht außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegend erschienen. Können wir … auf einen Sieg im Osten rechnen, … so kann dies eine Entscheidung von historischer Größe sein. – Hätte hier jemand anders an entscheidender Stelle gestanden, so hätte er es wahrscheinlich anders gemacht; ob besser, ist eine offene Frage, die nie zu beantworten sein wird; denn wir werden kaum von vorn anfangen.« Hierbei ist recht interessant, daß Seeckt einmal die beweislose Kritik ablehnt, welche unterstellt, daß bestimmte andere Personen alles besser gemacht hätten; zum andern mit der Möglichkeit weiterer Rückschläge gerechnet hat und schließlich die allgemeine Hoffnung teilte, die Novemberkämpfe im Osten würden zu einem vollen Erfolg führen, was leider durch Falkenhayns Maßnahmen nicht möglich wurde.

Nachträglich kommt diese oder jene Einzelheit aus den Kämpfen um Vailly noch zur Kenntnis. Im Dorfe Chavonne hatten die Franzosen etwa 40 Schwerverwundete zurückgelassen, französische Ärzte und Pflegepersonal waren geflüchtet. Zunächst nahm sich ihrer der dort vorhandene Assistenzarzt pflichtgemäß an. Da aber die Franzosen lebhaft auf das Dorf schossen, ließ das Generalkommando nicht mehr zu, daß deutsche Sanitätswagen hineinfuhren, um die Verwundeten abzuholen. Da haben die deutschen Soldaten sie in der Nacht einzeln hinausgetragen, wohl eine Stunde weit, obwohl es meist Farbige waren.

Am 18. November besucht S. M. der Kaiser erneut das Korps auf seinem Gefechtsstand Fort Malmaison. Seeckt betrachtet sein Kommen nicht ohne Sorge, da der Kaiser Gefahr nicht scheut, mit ganz geringer Begleitung durch das Land zur Truppe fährt. »Wie verstehe ich ihn jetzt, wenn ich denke, daß er diesen Krieg als der allein Verantwortliche hat hinausschieben, verhindern wollen bis an die letzte Grenze und über sie hinaus.«

Sowie wieder Kampfruhe eintritt, beginnt in Seeckt die innere Unruhe. Die Gedanken drängen nach einem Ausweg. Man fühlt es deutlich heraus, daß er dem Stillstand grollt. »... Allem Anschein nach sollen wir hier noch einige Zeit bleiben. Trotzdem kann plötzlich einmal ein Wechsel kommen. In mancher Beziehung will ich ja zufrieden sein. Man muß eben suchen, sich im kleinen zu betätigen … Vielleicht kann uns draußen vieles zu Hilfe kommen, vor allem die Türkei, vielleicht Südafrika, vielleicht auch später Indien; weite Aussichten, doch nichts unmöglich … Ein leichter Stumpfsinn liegt über mir und meiner Umgebung. Wenn die letzten Tage wieder etwas Anspannung und Erwartung brachten, sinkt alles wieder heute in die Ruhe zurück. Fast schläfrig klingt dann und wann ein Schuß durch die graue Luft. Kampf ist das kaum noch zu nennen. Aber es ist doch auch nicht möglich, zehn Wochen lang in der gleichen Anspannung zu kämpfen; auch an der See oben und bei dem vielgenannten Lille scheint sich alles müde gekämpft zu haben. Wie die Sache wird, ahne ich zur Zeit wirklich nicht, und ebensowenig, wie lang diese Lage und das Ganze noch dauern soll. Viel wird von der Entwicklung der Dinge im Osten abhängen … W. darf morgen nach Aachen fahren und seine Frau dort treffen – hat der es gut! Aber ich darf es wirklich nicht selbst tun, und ich hoffe, das weißt Du, glaubst Du und verstehst Du … Eine ganz amüsante Kleinigkeit, die Folge meines Zeitungslesens ist: Ich schrieb schon, daß ich zuweilen die Times bekomme, und da ich auch Annoncen, die gerade in dieser Zeit teilweise sehr charakteristisch sind, lese, fand ich die Bitte Lady Ramlinsons, die für das Armeekorps ihres Mannes (IV.) mit 7. und 8. Infanterie-Division warme Sachen erbat. Dadurch haben wir die uns bisher unbekannte Formierung eines IV. Armeekorps und einer 8. Division und den Namen des Kommandeurs erfahren …« Der Stillstand gestaltete, durchaus nicht nach dem Wunsche Seeckts, die Zustände immer friedlicher. »... Vom Fenster Blick auf den Park und einen Schwan. Hier draußen in Ange Gardien haben sie eine Bahn und ihre Lokomotive in Ordnung gebracht, was den Leuten riesigen Spaß machte. Sie fahren heute den ganzen Tag damit herum. So ist der Krieg. Zuerst wird alles Erreichbare kurz und klein geschlagen und dann alles wieder zusammengeflickt und aufgebaut … Ganz eigenartig ist unser Verhältnis zur Bevölkerung, soweit sie noch vorhanden ist. Hier hat sich der Aufseher der Fabrik in seine Rolle als allgemeiner Aufwärter hineingefunden. Dabei lebt er von uns und wünscht nichts inniger als unser Bleiben. Die Frau kocht und wäscht. Gestern sprach ich den Curé in Pinon. Er lebt gleichfalls ganz von uns und wird mit seiner Schwester aus der Feldküche genährt. Er hat nichts, vor allem keinen Groschen Geld. Der Staat gibt ihm 1200 Franken, von denen er 600 an die Gemeinde für Miete der Kirche geben muß, die alte Familienkirche der Coulevins. Er ist dabei ein guter Patriot geblieben, nennt sich Royalist, hofft durch den Krieg auf Hebung der Religiosität, Sturz der Republik und den General Pau als König …« »... Damit, daß für Taten keine Gelegenheit, muß ich mich abfinden und will auch nicht egoistisch denken. Wenn es nur im ganzen gut geht, woran zu zweifeln bei der augenblicklichen Entwicklung im Osten schweres Unrecht wäre, … selbst wenn der Ausgang nicht so gut wird, wie er zu sein scheint. Du fragst, ob man Ypern oder Eipern sagt. Ich weiß es nicht. Wir sagen es nicht sehr gern und sprechen es lieber Plock polnische Stadt im Raum der Novemberkämpfe. aus.« Und plötzlich taucht in einem Brief Anfang Dezember jenes Wort auf, das für uns das Kennzeichen der Kampfdepression geworden ist: »Sonst nichts Neues, wie es ja auch jetzt in den Zeitungen dauernd von uns heißt.« »... Am 20. spät abends wurde gemeldet, sie wollten uns angreifen und schössen schrecklich. Ich glaubte es nicht … Bald war alles wieder still … Nun wollen wir es diese Nacht umgekehrt machen … Hoffentlich ängstigt sich mein Kollege von drüben da ebenso. Man sieht, eine ziemlich harmlose Art, Krieg zu führen – – und doch: wen's trifft! Es ist nur äußerlich das leichte Getue. Aber es hilft weiter. Im ganzen denke ich mir, sie wollen sich für die morgige Kammereröffnung etwas zu erzählen schaffen, und sie haben es ja leicht. Sie tun dann so, als ob wir angegriffen hätten und sagen dann, sie hätten alle Angriffe abgeschlagen. Diese Art der Kriegführung ist dann allerdings noch harmloser.« Tatsächlich hatte die Times, worüber sich Seeckt geärgert hatte, Anfang Dezember bereits über abgeschlagene deutsche Angriffe bei Missy und Vailly berichtet, obwohl seit Anfang November dort nicht gekämpft worden war. Einmal kommt er, als das Ausbleiben einer Entscheidung auch im Osten nicht mehr zu verkennen ist, zu der Überlegung, ob dieser Krieg überhaupt wohl eine Entscheidung bringen wird. Er gehört nicht zu den Leuten, die den Bundesbrüdern Vorwürfe machen. Im Gegenteil, er erkennt an, daß ihre Opfer wesentlich dazu beigetragen haben, die Ostgrenze des Deutschen Reiches zu schützen. Aber es bedrückt ihn ganz offensichtlich, daß nun langsam die Osthoffnungen auch begraben werden müssen. »... Dann wird der Weg lang sein zum Ende; denn wie und wann wir den eigentlichen Feind, England, niederzwingen sollen und können, wird schwer zu ermessen sein. Kommt es jetzt nicht zu einer vollen Lösung, dann kann sich der heimliche Krieg lange hinziehen, um dann ein anderes Mal seine offene Erledigung zu finden …«

Weihnachten. »Um 5 Uhr Kirche in Pinon. Die kleine, aus dem 14. Jahrhundert stammende Kirche voll von unseren Leuten und eine Frau aus dem Dorfe. Der Pfarrer zitierte Sophokles und sprach von Correggio. Man hätte es einfacher haben können. Der Raum war schön zurechtgemacht. Brennende Bäume und Tannenzweige. Die alten Sieurs von den Grabsteinen sahen sich die Sache verwundert, aber nicht mißbilligend an … Ich konnte mir freilich als Text für die eigene innere Betrachtung nicht das Friedensevangelium wählen. Dazu konnte ich mich nicht zwingen. Aber den 91. Psalm holte ich mir aus dem kleinen Buch heraus, das von Dodos Frau v. Seeckt. Hand beim Ausrücken ergänzt, einst Vater in den Krieg begleitet hat … Meinen einen Burschen, der schon mehrere Jahre bei mir ist, mußte ich im Stalle aufsuchen, wo er sich und seinen Pferden einen besonderen kleinen Baum angezündet hatte … So saßen wir fünf dann ganz still, aber ohne Rührung, wie man mir glauben kann, etwas zusammen. Er ist ein Pommer und nicht sehr gesellig …«

Es soll hier neben diesen Worten, die den Briefen des Sohnes teils an seine Mutter, teils an seine Frau entstammen, ein Brief des Vaters seinen Platz finden.

»Den 24. Dezember 1870 … Soeben steige ich vom Pferd … Ich komme von Blanc Mesnil, weil man einen großen Angriff auf unser Korps erwartete … Meine Leute, die zurückgeblieben waren, haben mir einen Weihnachtsbaum aufgebaut, der ganz allerliebst aussieht … Darunter Hans sein Bild … Ich habe mir ein kleines Adoptivkind zugelegt. Beim Füsilier-Bataillon steht ein kleiner Fähnrich, Frhr. Treusch v. Buttlar … Der sah so elend aus. Er ist gerade 17 Jahre, und das jammerte mich. Ich bat den Obersten von Zeuner … den kleinen Jungen mir zu geben, nahm ihn mit hierher … So hat das Kind seine frohen Weihnachten, und ich habe einen Sohn an Stelle meiner Kinder …«

In dem Einerlei der Tage gewinnen Kleinigkeiten Bedeutung und werden zu Ärger und zur Freude. Am meisten ärgert ihn sinnlose Kritik aus der Heimat. Die Zusammenhänge könne doch nur die Zentralstelle beurteilen. Er jedenfalls glaube nicht, zu einer Kritik befähigt zu sein. Am meisten stört ihn, wenn es der Heimat zu lange dauert. Man müsse solchen Menschen sagen: »Ja, es dauert lange. Wir könnten es mit Strömen von Blut auch schneller machen. Aber das Blut eines Mannes an der Front ist hundertmal mehr wert, als das eines dieser Ungeduldigen zu Hause.« Jedem Friedensgerede aus der Heimat begegnet er mit großem Mißtrauen, weil er vorläufig nichts so sehr wie einen faulen Frieden fürchtet. An die Friedensvermittlung des Papstes glaubt er auch nicht. »Päpste werden übrigens überhaupt keinen Frieden machen. Zu meiner Zeit hieß er Pius X. Aber der muß wohl versetzt sein.« Dann wieder eine Freude: »Ich hatte heute abend einen kleinen Alexandriner Grawert neben mir. Fliegeroffizier in meiner Abteilung, schlank und frech. Hoher Kragen und tadellos im Anzug. War heute nachmittag in diesem Sturm über den französischen Stellungen … Er ist der richtig moderne und doch so alte Alexandriner, doch auch ein Stück von mir.«

Bereits die zweite Woche des neuen Jahres 1915 brachte dem III. Korps jenen großen Erfolg, den man mit der Bezeichnung der Kämpfe bei Soissons vom 8.–14. Januar zusammengefaßt hat. Als sie vorbereitet wurden und als sie begannen, hat Seeckt nicht im entferntesten geahnt, daß diese Kämpfe der äußere Anstoß sein sollten, ihn aus der normalen Entwicklung des Generalstabsoffiziers herauszuleiten. Die ersten Anfänge müssen unmittelbar in die Tage nach dem Erfolg von Vailly-Soupir zurückreichen, denn am 18. 11. Kriegstagebuch des III. Armeekorps. wird ein bis dahin »beabsichtigter allgemeiner Angriff gegen die feindlichen Stellungen westlich und südlich Vregny zunächst« aufgegeben. Man hatte also bis dahin weitere Angriffsabsichten gehabt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß trotz dieses Verzichts die treibende Kraft, die den Gedanken nicht einschlafen ließ, der 1. Generalstabsoffizier, Major Wetzell, war. Seeckt ging aber bei seiner Einstellung zu jedem Angriffsgedanken sofort wieder schnell auf diesen Gedanken ein, zumal es unbestreitbar war, daß man entweder die Einbuchtung in der Front des Korps durch Angriff beseitigen oder die Korpsfront zurücknehmen und begradigen mußte. Major Wetzell hatte recht, wenn er immer wieder darauf hinwies, daß die entstandene Linienführung des Korps ungünstig sei und nutzlose Verluste brächte. Nachdem dieser Gedanke sich durchgesetzt hatte, »bewährte sich bei den Vorarbeiten für den geplanten Angriff die klare sachgemäße Art des Generalstabschefs hervorragend, insbesondere bei den eingehenden Besprechungen mit der 5. I.D., die den Angriff zu führen hatte, und ihrem Artl.Kdeur., Oberst von Lotterer, als auch mit dem Gen. d. Artl. im Stabe des Armeeoberkommandos, General von Berendt Eigene Worte des Generals v. Lochow im Erinnerungsbuch über Gen.Ob. v. Seeckt der Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften..« Die Durchführung des Planes, den Gegner von dem Plateau westlich Vregny herunterzustoßen Bericht der 1. Armee, I a 951 geh. v. 3. 2. 1915., wurde dadurch verzögert, daß die Heeresgruppe zunächst eine gemeinschaftliche, also wesentlich größere Unternehmung beabsichtigte. Erst als Kräftemangel dies nicht zuließ, wurde der Plan des III. Korps am 2. Januar gestattet, um in der Nacht vom 3. zum 4. bereits wieder gefährdet zu werden. Man hatte außer nicht unwesentlicher Verstärkung an Artillerie dem Korps auch eine Infanteriereserve zugesagt. Diese wurde plötzlich von der Obersten Heeresleitung insofern wesentlich geschwächt, als sechs Infanterie-Bataillone durch Landwehr-Bataillone ersetzt wurden. Es spricht schon für den Kampfwillen beim III. Korps, wenn trotzdem an der ursprünglichen Absicht über alle Hemmungen hinweg festgehalten wurde. Man hatte den Angriff auf den 14. Januar festgesetzt und dementsprechend alle Vorbereitungen getroffen. Da setzte am 8. Januar plötzlich und tatsächlich überraschend ein französischer Angriff westlich des Plateaus von Vregny in der Gegend von Clamecy ein. Die Überraschung wurde vielleicht unterstützt, die Abwehr behindert durch einen wolkenbruchartigen Regen. Das Gen.Kdo. III. A.K. hat in den Kämpfen der folgenden fünf Tage eine Wendigkeit der Führung bewiesen, die man wohl als mustergültig ansprechen kann, und die ihren Eindruck nicht verfehlte. Zunächst blieb gar nichts anderes übrig, als im Gegenangriff dem feindlichen Angriff zu begegnen. Dieser Entschluß wurde allerdings der Führung insofern verhältnismäßig leicht gemacht, als das Gen.Kdo. bei seinen ursprünglichen Erwägungen die Gegend von Clamecy auch für einen Angriff erkundet, sich zwar später für die westlichere Stelle entschieden, aber auch den Fall Clamecy durchgearbeitet hatte. Dazu kam, daß die Masse der Artillerie für beide Fälle günstig stand. So wurde mit großem Geschick der Gegenangriff durchgeführt. Sollte er Aussicht auf Erfolg haben, so durfte man nicht lange warten. Man setzte ihn für den 12. Januar an und hatte nach ausgezeichneter Vorbereitung durch die Artillerie und Minenwerfer vollen Erfolg, der sogar über die ursprüngliche Stellung hinausging. Es handelte sich nunmehr darum, ob man am 13. den Erfolg des 12. fortsetzen oder nun auf den eigenen Plan bei Vregny zurückkommen sollte. Ein wirklich großer Erfolg war allerdings nur bei Vregny zu erwarten. Es war gewiß nicht leicht, nach den Kämpfen des 12. wieder umzustellen auf den Plan von Vregny. »Es kostete Mühe, alles wieder in Ordnung zu bringen. Es hieß hart sein … und das heißt doch immer am härtesten gegen sich selbst. Opfer fordern ist nicht leichter als Opfer bringen …« Seeckt hat am Abend des 11. mit der Möglichkeit gerechnet, den eigenen Angriffsplan aufzugeben. »... Aber wenn es nicht hilft, dann muß es auch mit ganzer Hingabe geschehen, und Starrsinn hieße dann ein nicht wiedergutzumachender Fehler. Mun, ich denke, der neue Plan ist auch noch gut, und haben sie uns den alten verdorben, verderben wir ihnen den ihren … Ich bin guten Muts, kann aber nicht leugnen, daß ich einige bängliche Momente im Innern durchgemacht habe. Nach außen sie zu zeigen, ist dem Chef nun einmal ganz besonders verboten. Vortrefflich war und ist in diesen Tagen der Komm. General …« Tatsächlich ist am 10. abends Gen.Kdo. III, I a 23 geh. eine von Seeckt selbst geschriebene Meldung an das A.O.K. 1 abgegangen, daß die Abwehr des feindlichen Vorgehens es notwendig mache, zunächst den Angriffsgedanken bezüglich des Vregnyplateaus zurückzustellen und durch Angriff die feindlichen Stellungen nördlich Crouy zu nehmen«. Das will noch nicht besagen, daß der Vregny-Plan aufgegeben war. Da er erst für den 14. beabsichtigt war, zeigt die Wendung vom 10. lediglich die Schwere der Entschlußkrise. Ganz aufgegeben hatte man den Plan wohl nie. In der Nacht nach dem französischen Angriff ist sogar trotz aller Bedenken unbeirrt die eigene Infanteriestellung auf dem Vregny-Plateau zur Einleitung des Angriffs vorgetrieben. Es ist ein seltener Blick in die Seele einer führenden Persönlichkeit, der das Ringen um den Entschluß nicht erspart bleibt. Große Entschlüsse sind nicht, wie militärische Laien oft denken, innere Selbstverständlichkeit, sondern meist das Produkt seelischen Kampfes. Trotz aller Schwierigkeiten fand man zum Anfangsentschluß zurück. Truppe und Führung haben auch das geleistet, und zwar um die Gunst der nunmehr geschaffenen Lage auszunutzen, nicht etwa an dem beabsichtigten 14., sondern bereits am 13. Das war besonders eine hervorragende artilleristische Leistung, da ein Teil der Batterien umbauen mußte. Ausserdem waren natürlich Teile der Angriffsinfanterie in die Abwehr hineingezogen. Das Ganze ist ein Muster schneller Befehlserteilung. Seeckt schildert diesen Vorgang mit berechtigtem Stolz. Es ist hier wirklich nach Seeckts eigenen Angaben aufs äußerste mit der Zeit gegeizt worden, um die Überraschung zu sichern. Man hielt am 13. fest trotz aller Schwierigkeiten und verschob die Sache nur um einen halben Tag, bis auf den 13. mittags. Vielleicht hat gerade diese ungewöhnliche Stunde zur Überraschung mit beigetragen. Der Angriff des 13. war ein voller Erfolg und führte bis an den Nordausgang von Soissons. 5650 Gefangene, 35 Geschütze und 6 Maschinengewehre waren die Beute, wobei allerdings nicht unerwähnt bleiben darf, daß die eigenen blutigen Verluste ebenfalls nicht gering waren. Der Gegner schlug sich ausgezeichnet. Davon abgesehen, muß man zugeben, daß das ganze Unternehmen vom Glück begünstigt war. Der Gegner hatte die Zusammenziehung der Kräfte beim III. Korps offensichtlich für Abwehrmaßnahmen gehalten. Infolgedessen traf ihn am 12. und 13. der Gegenstoß ganz sicher überraschend.

Am 13. und 14. kam S. M. der Kaiser zum III. A.K. Er verlieh dem Komm. General den Pour le mérite. Seeckt vermerkt fröhlich, daß S. M. noch »40 unglaublich schmutzigen, aber strahlenden Leuten selbst das Kreuz anheftete. Sie kamen direkt aus der Linie … Meine Ordensschmerzen sind wirklich mit meinem Kreuz I. erfüllt, das doch erst verdient sein wollte … Eben marschiert ein Bataillon 24 vom Schlachtfeld kommend vorbei. Gelb vor Lehm, aber in ganz vortrefflicher Haltung und singend nach all den Anstrengungen und INöten. Unbesiegbar! Ich habe immer soviel von Infanterie gesprochen, und mein altes Infanteristenherz schlägt auch höher bei ihnen, die doch die Sturmernte pflücken. Aber ich täte Unrecht, nicht auch der Artillerie, Feldartillerie, Fußartillerie und der Pioniere zu denken. Die Offiziere zur Beobachtung in den vordersten Linien der Infanterie, die Feldartillerie auf dem Sprung, ihr zu folgen …«

Man hat später gesagt, daß Soissons für Seeckt sozusagen eine Vorübung für den späteren Durchbruch in Galizien gewesen wäre. Das ist falsch, Seeckt war kaum dazu bereit, mehr Erfahrung für eine Kriegshandlung ganz anderer Art aus den Kämpfen von Soissons herauszuziehen, als eben jeder kluge Soldat aus jeder Kriegshandlung herauszieht. Gerade bei Soissons war mehr die Kunst der Führung in diesem Einzelfall zu bewundern, als daß man eine Methode hätte ableiten können. Das tritt deutlich in dem Erfahrungsbericht des Generalkommandos Gen.Kdo. III. A.K., I a 39 geh. v. 24. Jan. 1915, im Wortlaut nicht ganz übereinstimmend mit dem dem Bericht des A.O.K. 1 am 3. 2. beigefügten Bericht des III. A.K. zutage. Dieser Bericht enthält wesentliche Einzelheiten, aber nur an einer einzigen Stelle etwas Grundsätzliches. Es heißt dort: »Die Wirkung unserer schweren Artillerie und Minenwerfer war erschütternd für die feindliche Infanterie, die zum Teil in den Gräben nur geringen Widerstand leistete, zum Teil die Unterstände gar nicht verlassen hatte und sich unter Wegwerfen der Gewehre ergab. Als Lehre ist daraus zu ziehen, daß der Sturm nicht einen Augenblick in den genommenen vordersten Schützengräben halt machen darf … Das Wesen des Erfolges besteht darin, den Feind nicht einen Augenblick zur Ruhe kommen zu lassen …« In dem Bericht des III. A.K., der dem der 1. Armee angefügt ist, steht aber: »Als Lehre ist daraus zu ziehen, daß der Sturm nicht nur auf die festgesetzte Minute losbrechen muß und keinen Augenblick in den genommenen vordersten Schützengräben halt machen darf …« Hiermit war allerdings eine Lehre gezogen, die für immer bestimmte, daß der Sturm auf die Minute festzulegen sei. Man darf sich erinnern, daß General von Lochow zwar kein neues Verfahren für sein Korps in Anspruch genommen, wohl aber betont hatte, daß das III. Korps eine Anwendung der gültigen Dienstvorschriften bereits im Frieden erprobt hatte, die allerdings nicht Gemeingut geworden sei Vgl. S. 78 u. 79.. Solche Verschiedenheit in der Anwendung der Vorschriften war durchaus möglich. »Die deutschen Reglements Gen. d. Inf. Liebmann im 4. Heft 1937 der Militärwissenschaftlichen Rundschau »Die deutschen Gefechtsvorschriften von 1914 in der Feuerprobe des Krieges«. gaben allerdings in dem Bestreben, jeder Schematisierung entgegenzuwirken, den Führern aller Grade einen sehr weitgehenden Spielraum bei der Ausbildung sowohl wie in der Anwendung der Gefechtsgrundsätze und Gefechtsformen. Ihre Vorschriften waren keine Rezepte und hüteten sich davor, für alle möglichen Fälle bindende Anordnungen zu geben; sie beschränkten sich vielmehr in der Regel darauf, Vorteile und Nachteile eines bestimmten Verfahrens zu kennzeichnen, und überließen es dem Führer, das für den gerade vorliegenden Fall passende Verfahren und die passenden Formen zu wählen. Unter diesen Umständen übte die Truppenpraxis einen Einfluß aus, der vielfach stärker war als der Wortlaut der Reglements.« Wenn man nun jetzt trotz aller gewohnten Abneigung gegen jegliches Schema in dem Erfahrungsbericht den Angriff nach der Uhr als den bewährten ein für allemal sozusagen festlegte, so muß das einigermaßen auffallen. Wenn nach gleichgestellten Uhren die Infanterie jedesmal in der gleichen Art zum Angriff vorbricht, dann ist ein Schema gegeben. Natürlich ist der Vorgang nicht so, daß das Oberkommando der 1. Armee in Wirklichkeit diese Erstarrung der Form gewollt hätte, noch weniger natürlich das Gen.Kdo. III. A.K. Man wird aber zugeben müssen, daß unsere sämtlichen Angriffe bis zum letzten 1918 aus dem Stellungssystem heraus sich wie ein Ei dem anderen glichen. Es ist durchaus die Frage aufzuwerfen, ob eine größere Wendigkeit im Verfahren das Überraschungsmoment nicht mehr gewahrt hätte. Diese Frage trifft insbesondere das bis in die Minute und bis in den letzten Schuß hinein festgelegte artilleristische Verfahren. Die Anfänge hierzu muß man doch vielleicht hier in den ersten Erfolgen des Stellungskrieges suchen. Seeckt hat später ausschlaggebenden Anteil daran gehabt, die Begriffe des Stellungskrieges zu überwinden. Es ist aber nicht etwa so, daß Seeckt seine Erkenntnis erst später geworden wäre. Vielleicht ist ihm die Differenz der Auffassung zwischen dem Generalkommando III und dem A.O.K. 1 sofort zum Bewußtsein gekommen. Er fühlt auch umgehend heraus, von welchem Ausdruck im Bericht des III. A.K. sie abgeleitet wird. Es war berichtet worden, die Wirkung der Artillerie und Minenwerfer haben die feindliche Infanterie erschüttert. Das ist ein Ausdruck, unter dem man sich eine Schwächung, eine Lähmung oder eine Zerstörung des Widerstandes vorstellen konnte. Das Generalkommando III wollte lediglich eine starke Schwächung mit diesem Worte kennzeichnen. Seeckt entwirft daher noch im Januar Heeresarchiv Potsdam, Akte 290. Der Entwurf trägt kein Datum. persönlich eine Stellungnahme »zu dem Bericht des A.O.K. an die O.H.L. vom 16.1.15«. Es ist ein etwas ungewöhnlicher Vorgang, wenn ein Generalkommando zu dem Bericht einer vorgesetzten Dienststelle an die oberste Dienststelle unaufgefordert Stellung nehmen zu müssen glaubt. Der Bericht ist auch nicht ohne einige Schärfe. Zum Schluß heißt es: »... Endlich muß ich Der handschriftliche Entwurf Seeckts ist vom General v. Lochow unterschrieben. nach meinem eigenen Dafürhalten bestreiten, daß die Widerstandskraft des Gegners im wesentlichen durch die Artillerie und Minenwerfer gebrochen war, als der Infanterieangriff erfolgte. Erschüttert war der Feind naturgemäß. Die Verluste der Infanterie sprechen aber selbst aus, eine wie starke Arbeit ihr noch zu tun blieb. Ich halte mich zu dieser Feststellung nicht nur im Interesse der mir unterstellten Infanterie für verpflichtet, sondern auch, um von meiner Seite nicht die Auffassung entstehen zu lassen, als ob Angriffe durch artilleristische und pioniertechnische Vorbereitungen zum wesentlichsten Teil durchzuführen wären. Die Entscheidung bringt eine angriffskräftige und angriffslustige Infanterie …«

Nicht weniger als vier Berichte hat Seeckt über Soissons geschrieben oder schreiben müssen. Am 19. Januar 1915 Heeresarchiv Potsdam, Akte 298, III. A.K. hat er eine längere Stellungnahme niedergeschrieben. Nachdem er die Entstehung der Angriffsabsicht bei Vregny noch einmal von Mitte November an, als es lediglich auf Anfordern der Obersten Heeresleitung zu einer artilleristischen Demonstration kam und die Ausführung des Angriffs aus Kräftemangel unterblieb, geschildert hat, hebt er, beinahe aus dem Zusammenhang herausfallend, plötzlich hervor, daß die Fortnahme des Vregny-Plateaus ein großer Erfolg werden konnte, wenn er »im großen angestrebt wurde«. Diese Bemerkung kann nicht anders verstanden werden, als mindestens im Sinne lebhaften Bedauerns, daß es nicht so gekommen ist. Es ist auch bezeichnend, daß Seeckt Aufzeichnungen vom 23. 1. 15 überschreibt »Der Durchbruch bei Soissons« und, geleitet von diesem Gedanken, sofort mit Überlegungen aus der Gesamtlage heraus beginnt. Seine Gedanken bleiben sofort nicht an Ort und Stelle, sondern gehen ganz offenkundig in das große Ganze. Er beginnt: »Operative Aussichten und Vorteile: Bei der auf beiden Seiten geschlossenen Linie zwischen See und Schweizer Grenze erscheint zunächst eine Operation gegen die Flanke nicht möglich. Die notwendige Fortführung der Operationen muß daher durch den Durchbruch erfolgen.« Man übersehe nicht, mit welcher Hartnäckigkeit Seeckt immer wieder von der Notwendigkeit, Operationen durchzuführen, spricht. »Für einen solchen Durchbruch kommen in Frage: die Gegend von Lille, die Richtung auf Amiens, die Fortnahme von Verdun, die Gegend von Soissons. Der Durchbruch über Soissons bedroht unmittelbar Paris und muß zu einer Abwehr starke Kräfte von dem nördlichen und südlichen Schauplatz heranziehen, also überall den Widerstand schwächen. Das Vorgehen auf der Linie Soissons–Paris trifft auf keine großen natürlichen Hindernisse, ist aber in seinen Flanken an der Oise und der Maas zu decken. Ein Vorgehen über die Linie Soissons–Braisne–Fismes … muß die Front des rechten Flügels der 1. Armee bis zur Oise und die der 7. Armee freimachen, im weiteren Verlauf auch die der 3. Armee. In Verbindung muß dieses Vorgehen mit einer Operation auf dem nördlichen Kriegsschauplatz stehen, das mehr auf die Masse der feindlichen Kräfte zielt. Operative Durchführung und Kräfte: Der Durchstoß selbst muß, um nicht zu große Kräfte zu verlangen, auf schmaler Front durchgeführt werden, aber mit so starken Kräften, daß nicht nur der erste Erfolg gesichert ist, sondern dieser auch vorwärtsgetrieben, auf die Seite übertragen und verbreitert werden kann. Legt man die zu erreichende Linie Verberie–Château Thierry zugrunde, so würden bei ihrer Breite von 60 Kilometer etwa 6 Armeekorps in der Front anzusetzen sein … Als weitere Folge wäre dann an ein Vorgehen der 7. Armee nach Süden zu denken, um so das Ziel des Durchbruchs, die Trennung der beiden Hälften des französischen Heeres zu erreichen. Daß hierfür wohl noch weitere Kräfte erforderlich wären, ist anzunehmen …« Man muß zugeben, daß hier zehn Tage nach einem örtlichen Erfolg die gedankliche Entwicklung von Seeckt sofort in große operative Pläne hereingeführt wurde. Es mag dabei gleich sein, ob diese Pläne in allen Einzelheiten, die hier fortgelassen sind, noch der Überprüfung bedurft hätten. Es mag insbesondere dahingestellt sein, ob 6 Armeekorps in der Front genügt hätten. Jedenfalls gibt sich Seeckt über den operativen Feindwiderstand keinen Täuschungen hin. Er sieht die Gegenhandlungen von Paris und ebenso von Süden her voraus. Das aber schreckt ihn viel weniger, als, was außerordentlich bezeichnend ist, ganz etwas anderes. »Die Schwierigkeit des Vorgehens liegt weniger in der Abwehr feindlicher Gegenoffensiven als in der voraussichtlichen Stärke seiner zwischen der Aisne und Paris liegenden und vorbereiteten Verteidigungsstellungen. Den Feind in offenem Angriffskrieg fassen zu können, wäre schon an sich ein Gewinn, während der Gefahr zu begegnen ist, vor einer neuen starken Stellung wieder zum Halten gezwungen zu werden …« Es folgen taktische Einzelheiten, die beweisen, wie genau Seeckt als Chef selbst sich in solche Dinge vertiefte. Das Ganze schließt dann erneut mit Hinweisen, wie man über einen örtlichen Erfolg hinaus den Durchbruch erweitern könnte, nicht ohne daß dieser Schluß ein klein wenig Pessimismus anklingen läßt, er werde wohl doch nicht so zur Ausführung kommen können. Immer wieder kommt Seeckt auf das Operative zurück. Er bewahrt sich selbst fast mit innerem Zwang davor, diesen Erfolg von Soissons über das Maß hinaus zu bewerten, was ihm gebührt. Am 7. 2. 1915 schreibt er an den Chef des Generalstabes der 1. Armee, General von Kuhl, im Anschluß an eine Rücksprache vom Tage vorher: »... Das Gefecht bei Soissons am 13./14. 1. 15 hat auf der französischen Seite, wie aus einwandfreien Zeitungsnachrichten feindlicher und neutraler Blätter hervorgeht, einen Eindruck gemacht, der weit über seine taktische und streng-operative Bedeutung hinausgeht. Während die Tage in ihrem militärischen Erfolg außer einer erfreulichen Waffentat doch nur die sehr wünschenswerte Verbesserung der Stellung der Armee an der Aisne zeitigten, ergab sich in Paris eine vorübergehende Panik, die sich im Sinken der Börsenkurse, Zurückhaltung von Kapitalien, Verlassen der Stadt zeigte. Im neutralen Ausland wurde der deutsche Erfolg als endgültiges Scheitern der französischen Offensive bezeichnet. Die Gründe für diese der taktischen Bedeutung nicht entsprechende Bewertung scheinen mir darin zu liegen, daß das französische Volk bei jeder Aktion berechnet, wie nahe sie Paris kommt. Dadurch, daß die Gefechte bei Soisons an der zur Zeit am nächsten gelegenen Stelle stattfanden, gewannen sie ihre politische Bedeutung. Man konnte dies auch an der Erleichterung sehen, die eintrat, als der gefürchtete und gar nicht beabsichtigte Durchbruch über die Aisne nicht erfolgte. Ich glaube, nun den Schluß ziehen zu dürfen, daß jede kräftige Lebensäußerung an der gleichen oder einer nahe gelegenen Stelle ähnliche empfindliche Störungen des französischen Gleichgewichts hervorrufen muß. Diese dürften nicht nur politische Folgen zeitigen, sondern auch operative. Es erscheint sicher, daß das feindliche Oberkommando schon durch die Sorge für Paris gezwungen sein würde, stärkere Kräfte an der Front der Armee zusammenzuziehen, die an anderen Stellen fehlen. Für das III. A.K. läge nun vielleicht der Wunsch nahe, dafür einzutreten, daß sein Vorgehen bei Soissons eine Fortsetzung erführe. Die Inbesitznahme der Stadt wäre mit nicht allzu großen Kräften wohl möglich und würde ihren Eindruck nicht verfehlen. Wohl aber bedürfte der Angriff auf die beherrschenden Höhen südlich der Stadt eines Kräfteeinsatzes, der zur Zeit meines Wissens nicht verfügbar ist. Ohne Besitz dieser Höhen ist aber der der Stadt militärisch wertlos und einer, der dauernde Opfer fordern würde. Ich möchte also diesen Durchbruchsgedanken hier nicht weiter verfolgen und mir nur erlauben zu bemerken, daß ich diesem auch nicht in der Dichtung von Nord nach Süd und unmittelbar gegen Soissons nachgehe. Oer Durchbruch aus der Front des Armeekorps an sich wird hier dauernd lebendig erhalten und in seinen Möglichkeiten erwogen. Der Schluß, den ich aus der Empfindlichkeit der feindlichen Front an der genannten Stelle ziehe, ist der, daß mir der Plan der Armee, zunächst dem Feind die Höhen bei Nouvron zu nehmen und die Stellung bis an die Aisne in die Linie Vic s. A.–Pommiers vorzutreiben, äußerst wirksam erscheint. In seiner Bedeutung und in seinen Folgeerscheinungen würde die glückliche Ausführung den Erfolg bei Soissons sicherlich erreichen, vielleicht als Wiederholung übertreffen. Dies veranlaßt mich, darauf aufmerksam zu machen, daß die Gefahr besteht, durch einen Einsatz stärkerer Kräfte der Armee im Bereich oder im Anschluß der 7. Armee den Plan von Nouvron zu schädigen. Wir stehen meines Erachtens weder an Menschen noch vor allem an Munition so, daß wir mit Sicherheit sagen können, erst Troyon, dann Nouvron. Es würde zunächst wohl heißen müssen: Troyon oder Nouvron; denn die O.H.L. wird doch wohl zu beiden ihren Segen in Gestalt von Munition geben müssen. Der Gedanke, aus nordwestlicher Richtung gegen die linke Flanke des der 7. Armee gegenüberstehenden Feindes mit starken Kräften vorzugehen, erscheint mir an sich seit langem aussichtsvoll und durchführbar, in seinen Folgen auch operativ bedeutend. Daß aber zu dieser Offensive die Absicht und die Kräfte vorhanden sind, erscheint mir zweifelhaft. Wird sie aber nicht in größerem Maßstabe durchgeführt, so erreicht sie nicht die Bedeutung eines Erfolges bei Nouvron. Lediglich vom Standpunkt des III. A.K.s aus wäre natürlich der Angriff bei dem VII. A.K. vorzuziehen, da er die Aussicht böte, die unbehagliche Stellung des linken Flügels bei Soupir zu verlassen. Trotzdem würde ich immer der Durchführung des Angriffs bei Nouvron den Vorzug geben.

Ob meine Annahmen über die Einwirkung dieses Unternehmens vom Standpunkt der allgemeinen Lage richtig sind, kann ich nicht beurteilen, ich glaubte sie aber im Anschluß an die gestrige Besprechung noch zum Vortrag bringen zu dürfen.«

Bei dem A.O.K. 1 hatte man es für erforderlich gehalten »Erwägungen darüber anzustellen, an welcher Stelle ein operativer Durchbruch bei dem Westheer ausgeführt werden kann … so daß Teile in die Nähe von Paris gelangen«. Seeckt nimmt am 22. 2. 1. Armee, Aktenstück: Angriffsentwürfe Chassemy. noch einmal in einer sehr umfangreichen selbst geschriebenen Niederschrift zu der Gesamtfrage Stellung. Erneut geht er von dem Gedanken aus, daß es sich nicht um irgendeinen Angriff, sondern um die Fortführung des Krieges handelt. Da das in der Flanke nicht mehr möglich sei, bliebe eben, wie gesagt, nur der Durchbruch. Es käme alles auf die Möglichkeit an, seine Wirkung auf die anderen Fronten zu übertragen. Ein Angriff aus der Lille–Arras-Linie richte sich im wesentlichen gegen die englischen Kräfte und nur gegen den äußersten linken französischen Flügel und brächte die Hauptfront nicht notwendig ins Wanken. Deshalb, weil ihm die Einwirkung auf die Hauptfront fehle, sei er abzulehnen. Also käme zunächst die Richtung Amiens in Betracht. Sie treibe einen Keil zwischen die Verbündeten und ließe im weiteren Verlauf einen von Norden her umfassenden Angriff gegen Paris zu. Man muß feststellen, daß hier in einem Satz nahezu eine Rückkehr zu den Plänen angedeutet ist, von denen man am 29. August 1914 abgewichen war. Es wird auch die Fortnahme von Verdun gestreift, aber wirklich nur gestreift. Seeckt verkennt keineswegs die große Wirkung auf die Südfront, wenn die Wegnahme gelingt. Er erörtert aber nicht einmal die Erfolgsaussicht, scheint also von vornherein mit einem Erfolg dort nicht zu rechnen. Schließlich wird die Operation von Soissons auf Paris erwogen. »Der Durchbruch hier bedroht unmittelbar Paris und muß nach der Erfahrung der Gefechte bei Soissons im Januar eine unmittelbare politische und damit auch militärische Wirkung haben … Das Ziel des Durchbruchs ist neben der unmittelbaren Bedrohung von Paris die Trennung der beiden feindlichen Heeresteile nördlich und östlich der Hauptstadt. Ob diese Operation als die Einleitung eines Vorgehens über die Maas Wohl sicher ein Schreibfehler, soll Marne heißen. in südlicher Richtung zu denken ist, ob sie im Zusammenhang mit gleichzeitigem Vorgehen gegen den Nordflügel (Amiens) stehen soll, kann für ihre Einleitung und Durchführung außer Betracht bleiben. Ob der Vorstoß gegen Paris allein schon eine entscheidende Wendung des Krieges herbeiführen kann, mag dahingestellt bleiben …« Es wäre nicht uninteressant, diese Überlegungen von Anfang 1915 den tatsächlichen Vorgängen von 1918 an die Seite zu stellen. Es wird alsdann noch betont, daß der rechte Flügel dieses Vorstoßes von Soissons auf Paris in der Gegend von Soissons liegen solle und nicht etwas weiter ostwärts bei Chassemy Akte 1. Armee: Angriffsentwürfe Chassemy 1915.. Die 1. Armee hat sich übrigens in ihrer Stellungnahme diesen Ausführungen Seeckts vom 22. 2. 15 nicht angeschlossen. Sie lehnt einen Durchbruch über Roye, ferner über Compiègne, aber auch über Soissons selbst ab und befürwortet ausdrücklich den über die Hochfläche von Chassemy. Seeckt schließt seine operativen Ausführungen wieder ab mit den Worten 1. Armee A.O.K. Ia Nr. 1182 geh. v. 13. 3. 15.: »Bei allen neu einzuleitenden Operationen scheint es von ausschlaggebender Bedeutung, nicht vor starke und vorbereitete oder leicht zu befestigende Fronten zu kommen, sondern den Angriff so anzusetzen, daß er solche Abschnitte möglichst in der Flanke anfaßt (Vorstoß auf Amiens von Südosten und auf Linie Soissons–Paris).« Er bleibt also Ende Februar bei seinem Grundgedanken Soissons–Paris und empfiehlt, wohlverstanden gleichzeitig, eine Richtung auf Amiens, die tatsächlich diejenige von 1918 geworden ist. Die weiteren Erörterungen über die Durchführung eines solchen Durchbruchs beweisen dann, daß Seeckt allerdings in der Tiefe von drei starken Wellen eine Operation anstrebte, die weit ging und weite Auswirkung einleiten sollte.

Zwei Tage nach Abgang dieser umfangreichen Denkschrift waren sowohl Seeckt wie Wetzell beim A.O.K. zu mündlicher Rücksprache. Man kann annehmen, daß hierbei Seeckt die abweichende Auffassung des A.O.K. nicht unbekannt geblieben ist. Die Ansichten scheinen ziemlich scharf aufeinandergeplatzt zu sein. Seeckt schreibt, daß es beim A.O.K. etwas »Krach« gegeben habe.

Die von Seeckt verfaßten Niederschriften gingen zweifellos über eine persönliche Stellungnahme zu der Frage einer Durchbruchsmöglichkeit hinaus. Sie bezeichnen vielmehr das Ringen des deutschen Heeres überhaupt mit der Grundidee des Krieges, mit der Bewegung. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, wenn man annehmen darf, daß das Mühen um das große Problem nicht allein bei Seeckt spontan einsetzte, sondern wahrscheinlich bereits mit den Bestrebungen anderer Männer in Zusammenhang stand. Am 28. Dezember 1914 hatte der später zum Kriegsminister ernannte General Wild von Hohenborn eine Denkschrift über die Wiederbelebung der erstarrten Front verfaßt. Seeckt muß wohl unmittelbar oder vielleicht schon im Entstehen über die Gedanken des Kriegsministers unterrichtet worden sein. Jedenfalls schreibt er in einem Brief vom 28. Dezember 1914: »Heute bekam ich eine große, interessante Arbeit vom großen Chef oder vielmehr vom Kriegsminister, was ich wohl Wrisbergs Damals Oberst und Chef der Armeeabtlg. im pr. Kr. Min Zutrauen verdanke … So findet sich immer etwas zu tun, Kleines und Großes im Wechsel …« Offenbar hat Falkenhayn an Seeckt die erwähnte Denkschrift Wilds übersandt. Es ist übrigens verständlich, wenn Seeckt auf seinen eigenen Grundgedanken, die Entscheidung im Osten zu suchen, in diesen Berichten nicht eingeht. Daß er sie im Osten erwartet, darüber hat er sich mehrfach geäußert, und noch am 18. Januar 1915 schreibt er: »... Die Frage ist, wie lange Rußland noch hält. Die Zeichen innerer Schwäche mehren sich … Ich glaube eigentlich auch, daß hier der Weg zum Ausgang liegt und daß trotz allem die Zukunft wieder eine Annäherung zwischen uns und Rußland bringt. Auch in vieler Hinsicht eine Geldfrage, wie manches andere … Auf die erstrebte Vormachtstellung auf dem Balkan hat Österreich keinen Anspruch mehr, und den zu erkämpfen, werden wir auch wohl kaum Lust haben.« Wild von Hohenborn hatte selbst die Ostentscheidung allem anderen vorangestellt. Man muß dabei den Begriff der Ostentscheidung richtig verstehen. Seeckt hat sich mehrfach darüber geäußert, daß er unter einer Ostentscheidung nur einen Erfolg verstand, der die Russen zum Frieden zwang und damit den Rücken freimachte. Gerade er, der immer an einen großen Erfolg im Osten dachte, war sich vollkommen bewußt, daß die letzte Entscheidung dieses Krieges im Westen fallen mußte. Da Falkenhayn keinen Ostentschluß wollte, hatte Wild neun verschiedene Angriffsrichtungen im Westen erörtert und davon zwei in die engere Wahl gestellt: einen Durchbruch aus der Gegend Noyon–Soissons–Vailly auf Paris und einen aus der Gegend von St. Quentin in Richtung Amiens. Gegen sein inneres Streben ist Seeckt also in der Zwangslage, sich lediglich mit Westfragen zu beschäftigen. Das tut er, solange er Chef des III. Korps ist, streng in dem ihm gewiesenen «Rahmen. So tritt der merkwürdige Vorgang ein, daß ein bewußter Vertreter der Tendenz, eine Entscheidung im Osten zu suchen, sich zunächst nur mit Westabsichten beschäftigt und dann später tatsächlich reichlich plötzlich vor eine Ostaufgabe gestellt wird. Dazwischen aber liegt die Trennung vom III. Korps.

Zunächst ist es noch nicht so weit. Vielmehr forderte der Stellungskrieg wieder sein Recht. Humorvoll berichtet Seeckt, daß er Mitte Januar darüber verhandele, »ob Herr T. hier ein Kaufhaus haben soll oder nicht. Ich war dafür, die andern dagegen. Also unterblieb es. In Unwesentlichem widerspreche ich nie«.

Eines Tages sieht er auf einem frischen Grabe eines französischen Artillerie-Hauptmanns Leroy-Beaulieu, der bis zum Schluß seine Batterie bedient und verteidigt hatte, einen Kranz in französischen Farben, den deutsche Offiziere gestiftet hatten. »Diese Barbaren. Wie wird das französische Volk überhaupt später mit unseren Gräbern umgehen! Daß nicht alle so fremd sind, sah ich heute aus einer Korrespondenz, die mir ausgehändigt wurde, weil man militärisch Wichtiges erwartete … Der Vater, ein französischer Kommandierender General … erinnert seinen Sohn daran, wie sie zusammen Kant gelesen hätten. Er solle dessen Forderung der strengen Pflicht nicht vergessen und auch nicht, daß jener ein Deutscher gewesen sei. So hat man doch auch einmal ungesucht und ungewollt einen freundlichen Eindruck von diesem Volk … Daß in der französischen Armee viel Ernst und Hingabe ist, das ist ganz unbestreitbar.«

Am 27. Januar 1915 wird Seeckt Oberst. Er schreibt an seine Frau: »... So bist Du nun mit mir vom Secondelieutenant bis zum Oberst durch alle Stufen gegangen als mein guter Kamerad im gleichen Schritt und Tritt … Für Buggermann Der Bursche. freue ich mich, daß ich Oberst geworden bin. Er kann es besser aussprechen als Oberstleutnant …«

Am 29. Januar erwartet man den Reichskanzler. »... Was er wieder will? Nichts zu tun anscheinend. Ich hörte nie, daß 1870 Bismarck bei den Kommandierenden Generälen herumgefahren sei. Er hatte wohl zu arbeiten. Hoffentlich erzählt er wenigstens etwas Neues, wenn er selbst etwas weiß …« Als der Besuch des Kanzlers vorüber ist, zeigt Seeckt sich wenig befriedigt. »... Ich lese wohl gerade zu viel in den Bismarckbriefen. Der Kanzler wußte gar nichts. Aber militärisch ist er hier gebildet worden, daß er jeden Tag ein Korps führen könnte … Der Kanzler war übrigens außerordentlich einfach, liebenswürdig und dankbar für alle Kunststücke, die ihm vorgeführt wurden. Sogar fünf ganz neue Gefangene konnten wir ihm zeigen. So was gibt es nicht alle Tage bei uns … Ich habe ihm viel zugeredet und versucht, ihm klarzumachen, daß … die Stimmung der Truppen ausgezeichnet sei. Er schien so etwas der Stärkung zu bedürfen. Er klagte – ich weiß nicht, ob als Kanzler oder als Landwirt – über Futterschwierigkeiten, über die Dauer des Krieges und Ähnliches …«

Anfang Februar kam der Maler Vollbehr. Er machte unter anderem auch eine Porträtskizze von Seeckt. »Ich fand sie ganz gut. Aber mir wohlwollende Leute waren entrüstet und meinten, so häßlich wäre ich gar nicht. Vollbehr kam mit seinem Bild triumphierend zum Frühstück, stieß auf eisiges Stillschweigen, und wir beide waren doch so stolz. Es soll eine Studie zu einem Bild werden ›Kaiser Wilhelm II. empfängt die Meldung vom Sieg der Brandenburger bei Soissons‹. Szenerie: Stube in einer Zuckerfabrik; handelnde Personen: der Kaiser, der Kommandierende General des III. A.K. und der Chef, der die Siegesbotschaft hereinbringt. Nike im Louvre, aber mit Kopf oder der Läufer von Marathon. Vielleicht dürfen noch zwei Generaladjutanten dabei sin … Es ist aber ordentlich erfrischend, wieder mal einen Menschen hier zu haben zwischen allen historischen Helden, einen Menschen, der wirklich grün vor Ärger wird, wenn man ihn fragt, ob er Schulte im Hofe Bekannter Münchner Porträt-Maler. kennt. Mich liebt er, seitdem ich ihm gesagt habe, er habe noch das afrikanische Licht im Auge und die von ihm gemalten Steinbrüche sähen aus wie die Königsgräber in Ägypten.«

Seeckts Gedanken wandern oft zu dem Mann draußen an der Front. Er fühlt mit ihm. »Daß jedem und uns erst recht der Gedanke an die da vorn kommt, ist ja nur zu natürlich. Doch was hilft es ihnen, wenn wir es selbst schlechter hätten. Wir können immerhin von uns sagen, daß wir nach unseren Kräften für sie sorgen.«

Und dann kommt wieder wie so oft der Ärger herauf über unnützes Gerede, besonders aus der Heimat. »Menschen, die auch innerlich bei 29+000 Gefangenen noch nicht flaggen, gibt es auch hier. Werden dann 60+000 draus, so fragen sie: außer den gestrigen 29+000? Und sind dann wieder nicht zufrieden, wenn das die Zahl im ganzen ist.« »Es scheinen sich in Berlin ja sehr viele Menschen schon mit Friedensbedingungen zu beschäftigen, auch solche, die es besser nicht täten. Es kommt da eine ungeheure Ahnungs- und Verantwortungslosigkeit zutage. Uns, die wir der Grundlage jeden Friedens, dem Erfolg, der noch nicht erstritten ist, näherstehen, scheint es etwas töricht und leichtfertig, so zu tun, als ob wir die Wahl hätten, halb Frankreich oder halb Rußland zu nehmen und zu behalten … Optimismus ist schön, aber er darf nicht ins Uferlose schweifen … Es kommt alles darauf an, aus der gemeinsamen Blutarbeit im Felde Folgerungen für den Frieden im Innern zu ziehen und uns etwas mehr verstehen zu lernen, wofür ich leider wenig Hoffnung habe …«

Lebhaft beschäftigt ihn die Frage der im beginnenden Frühjahr nicht mehr zu vermeidenden Beurlaubungen. Einmal denkt er dabei auch flüchtig an sich. »... Schließlich ließen sich Geschäfte und Läuse vorschützen. Aber es ist doch eben ein dummes Gefühl, daß man hier notwendig sein könnte, wenn man es auch meist nicht ist … Wir kommen zu einer milden Urlaubserteilung. Namentlich gilt das im Augenblick da, wo landwirtschaftliche Interessen, die ja zugleich auch allgemeine sind, berührt werden. Bei dem Stillstand kommt es einem oft hart vor, Besuche abzulehnen. So suchen wir in jedem Fall einen Kompromiß zu schließen und tun damit gewiß meist so oder so Unrecht. Das ist so im Leben.« Die Erkenntnis, daß kein Mensch wirklich ganz gerecht sein kann, ist vielleicht der höchste Grad persönlichen Gerechtigkeitsempfindens. Gerecht ist nur Gott. Seeckt hat solche Gedanken nicht allzu selten ausgesprochen.


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