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Als Obergeneralstabschef im k. u. k. Heere

In der Tat war die Situation, die Seeckt vorfand, sehr ungünstig. Der erste Stoß hatte die Gegend von Luck getroffen. Er richtete sich in der Hauptsache gegen die k. u. k. 4. Armee und, da diese dem General von Linsingen unterstellt war, gegen die Gruppe Linsingen. Die Angriffe sehr viel weiter südlich waren anfangs von den Russen lediglich als Nebenoperation gedacht. Brussilow hatte den Österreichern die Front eingeschlagen, man war eigentlich beinahe in haltlosem Zurückgehen. Viele Monate später in einem Brief vom 16. 4. 1917 wird die Aufgabe von Seeckt so charakterisiert: »Zerschlagene Trümmer, geführt von Menschen, die keine Hoffnung mehr hatten, zu fester Front zu fügen, war der Anfang.«

Falkenhayn hatte Seeckt eine Weisung gegeben als Grundlage dafür, wie er seine zukünftige Aufgabe zu lösen hat Heeresarchiv Potsdam, aus dem Nachlaß des Generals v. Seeckt, Akte 54.: »... Ich habe Ihnen nur die Instruktion mitzugeben, daß Sie an Ihrer vermutlichen neuen Stelle die Sache zum Halten zu bringen und Führern wie Truppe wieder Vertrauen zu sich einzuflößen haben. Ich erwarte unmittelbar ganz kurze tägliche Berichte von Ihnen.«

Zunächst wurde also nichts verlangt, als die Lage zum Stehen zu bringen. Dann allerdings enthielt der Auftrag eine sehr schwierige psychologische Forderung, die zu erfüllen kaum ein anderer als Seeckt geeigneter sein konnte, und schließlich hatte sich mit dem Schlußsatz Falkenhayn in den Gang der Dinge eingeschaltet.

Am 15. 6. 1916 meldet Seeckt sein Eintreffen in seiner neuen Dienststelle. Zum zweiten Male wird er gegen die Russen eingesetzt. Man darf es dabei nicht übersehen, daß der Seeckt, der sich zum Durchbruch von Gorlice anschickte, und der Seeckt, der jetzt den Ansturm des Feindes aufzuhalten gewillt ist, weder vor der gleichen Aufgabe steht noch auch der gleiche Mann ist. Er ist in schweren Monaten gereift, ist ernster, viel ernster geworden. Gewiß, ihn trägt und hebt das starke Selbstbewußtsein erreichter Erfolge. Aber er trägt auch mit sich das Bewußtsein der Schwere dieser Aufgabe und der Gesamtlage überhaupt. Noch am 15. 6. sieht sich Conrad gezwungen, gegenüber der deutschen O.H.L. die Lage als die größte Krise des Weltkrieges zu bezeichnen und zu erklären, er sähe im Kampf an der Ostfront die ausschlaggebende Aktion für die beiderseitigen Interessen Akten Heeresarchiv Wien.. Man kann nicht sagen, daß diese Lage grundlos entstanden sei. Daß sich ein russischer Angriff vorbereitete, war längst erkannt. Man hat wenig oder zu spät etwas dagegen getan. Im Westen hatte man vor Verdun weiter gekämpft, die Österreicher standen noch im Angriff gegen Italien, und aus der Nordhälfte der Ostfront gingen freigemachte Kräfte zwangsläufig zur bedrohten Stelle bei Linsingen.

Allerdings hatte sich in der letzten Woche vor Seeckts Eintreffen einiges geändert. 2 k. u. k., 1 deutsche Division sind im Anrollen nach Galizien. Conrad legt am 7. 6. gegen Italien eine Verteidigungslinie fest Akten Heeresarchiv Wien. und erklärt am 9. Akten Heeresarchiv Wien., Italien sinke gegenüber der Kriegsentscheidung gegen Rußland zum sekundären Kriegsschauplatz herab. Beeinflußt durch die Berliner Besprechung vom 8. war Conrad am 9. Akten Heeresarchiv Wien. der Auffassung, es käme darauf an: erstens den Russen einen Schlag zu versetzen, der die jetzige Lage wettmachte; zweitens zu verhindern, daß Rußland sich in den Besitz von Ostgalizien (Lemberg) und der Bukowina (Czernowitz) setzte.

Falkenhayn hat am 9. Akten Heeresarchiv Wien. an eine Wiederherstellung der Lage durch Offensive bei Kowel gedacht. Am 12. 6. abends besteht kein Zweifel mehr, daß ein Angriff bei der 7. Armee erst geplant werden konnte, wenn die Lage in Wolhynien wiederhergestellt war Akten Heeresarchiv Wien..

Gleich am Tage nach der Ankunft beweist Seeckt, daß er sehr wohl weiß, seine Ernennung sei wesentlich von der Zustimmung des Generaloberst v. Conrad abhängig gewesen. Er schreibt an ihn Heeresarchiv Potsdam, Akte 54.: »E. E. bitte ich zunächst den Ausdruck meines Dankes für das mir durch die Einsetzung als Stabschef der k. u. k. 7. Armee erwiesene Vertrauen aussprechen zu dürfen. Ich hoffe dieses zu rechtfertigen, verkenne aber nicht, daß die Lage der Armee für die ihr gestellten Aufgaben eine schwierige ist. Im wesentlichen glaube ich, die Schwierigkeit darin zu sehen, daß der durch die letzten Kämpfe stark geschwächten Armee keinerlei nennenswerte Verstärkungen zugewiesen werden können … Wenn die Zuweisung der beiden Divisionen nicht möglich war, so müßte meiner gewissenhaften Überzeugung nach wenigstens baldigst schwere Artillerie zugeführt werden … Ob sich die innegehaltene Stellung gegen einen starken und gut vorbereiteten Angriff überall halten lassen wird, ist mir zweifelhaft, und voraussichtlich ist dieser Zweifel auch schon im verneinenden Sinne behoben, ehe diese Zeilen E. E. erreichen … Ich fürchte, daß bei der Aufgabe der Armee, mit den Hauptkräften zwischen Pruth und Dniester zu decken und mit einer anderen Gruppe die Bukowina zu sichern, die Armee in der Mitte auseinanderbrechen wird.«

Das war immerhin deutlich und auch nicht ohne einen Anklang von Vorwurf. Die Antwort Conrads entbehrt daher keineswegs des Gegenvorwurfs: »D. 18. 6. 1916. Sehr geehrter Herr General! … Es ist zweifellos, daß die jetzige Überlegenheit der Russen in ihren reichen Ersätzen, die sie schonungslos in den Kampf werfen, sowie in ihrer starken gut mit Munition versorgten schweren Artillerie gelegen ist. Daß ein Reich von 170 Mill. über erstere verfügt, darf nicht wundernehmen, und zur Schaffung der Artillerie hat man den Russen monatelang Zeit gelassen – ohne auf den wesentlichen Kriegsschauplätzen in Frankreich und Italien einen die Entscheidung herbeiführenden Schlag erzielt zu haben. Mit dieser Situation müssen wir nun rechnen. Daß meinerseits alles geschieht, um schwere Artillerie und Truppen, die im Südwesten nicht ganz unerläßlich sind, heraufzuführen, ist selbstverständlich. So hoffe ich, daß dem Vordringen der Russen Schranken gezogen werden, wobei ich auf Ihre bewährte Mitwirkung zähle. Mit den besten Grüßen Ihr ergebener Conrad v. Hötzendorf.«

Noch am 15. abends schickt Seeckt Falkenhayn eine ganz kurze Lagenbeurteilung, die allerdings nicht gerade günstig aussieht Heeresarchiv Potsdam, Akte 54.:

»Erster Eindruck von Lage 7. Armee ist der, daß ihre Aufgabe der Deckung einschließlich Czernowitz des Zugangs nach Ungarn und Sperrung des Raumes zwischen Pruth und Dniester mit den vorhandenen Kräften sehr schwierig ist. Verluste sind sehr stark gewesen. Vor allem aber scheint die Haltung einer großen Zahl der Verbände unzuverlässig. Artillerie gegenüber der russischen stark unterlegen. Werde alles versuchen, Festhalten der jetzt besetzten Stellungen zu erreichen. Da aber an alle Führer rückwärtige Stellungen schon ausgegeben sind und alle Befehle schon mit weiterem Rückzug rechnen, so ist mir Erfolg zweifelhaft.«

Falkenhayn antwortet:

»Sicher ist die Lage bei 7. Armee schwierig. Wäre sie es nicht, so würden Sie nicht dorthin berufen worden sein.

Hauptschwierigkeit liegt bestimmt, wie Sie dies auch erwähnen, im Versagen der Führung.

Ihre vornehmste Aufgabe wird sein, hiergegen mit rücksichtslosem Nachdruck einzuschreiten und Teschen zur Überführung ausreichender Art. von Tirolfront zu zwingen. Es darf nicht ein Fuß Boden freiwillig aufgegeben werden.«

Der Schlußsatz ist wieder keine sehr glückliche Wendung gegenüber dem ausgesprochenen Vertreter beweglicher Verteidigung.

Die ersten Eindrücke finden deutlich ihren Niederschlag in den Briefen:

»15. Juni 1916. Mein Geliebtes! Also wieder aus Galizien, freilich aus einer anderen Ecke und anderen Verhältnissen, als damals vor einem Jahr. Und wieder unter östr. Kdo. und Chef oder mir zu Ehren ›Ober-Stabs-Chef‹ einer östr. Armee, in der außer Dunst und Gräser, kein deutscher Soldat. Was für eine Armee dazu, zerschlagen und im Rückzug … Ein überraschender schneller Szenenwechsel und eine kaum dankbare, keinenfalls ruhmreiche Aufgabe! Mehr tun, als die Armee halbwegs noch zu retten und die ungar. Grenze zu schützen, werde ich nicht fertigbringen. Eigentlich eine tolle Idee, mich herzuschicken, ohne mir die Mittel zu geben, die Sache zu ändern; doch das ist Soldatenlos, und ich muß sehen, was sich machen läßt.«

Man wird sich erinnern, daß Seeckt selbst seine Verwendung am 8.6. an dieser Stelle vorgeschlagen hatte. Er hatte aber damals eine neue Armee aus 6 Divisionen bestehend vorausgesetzt. Jetzt ist er schwer enttäuscht, daß man ihm eine Aufgabe stellt, ohne ihm die nötigen Mittel zu geben. Es ist eigenartig, daß er darüber noch im Ernst sich beklagt. Eigentlich hätte die Zeit vom Mai 1915 bis zu diesem Tage ihn an dies Verfahren gewöhnen müssen. Der Brief geht dann weiter:

»... Budapest etwas weniger in Feststimmung als am Abend des Seesieges, ich hatte wahrhaftig Belgrad verschlafen … Dann weiter gegen die Karpathen, langsam vorwärts trotz Extrazug, da alle Bahnen überfüllt und verstopft mit Flüchtlingen. Viel Elend dabei gesehen; es sind Gegenden, die zum drittenmal geräumt werden müssen. Die Gegend heute früh wunderschön … Ich wohne gut beim ruthenischen Pfarrer, ziehe aber morgen in das Bürohaus, um den Geschäften näher zu sein. Der eigentliche östr. Chef räumt es für mich und geht weg, was ich ihm nicht verüble, im Gegenteil. Ich habe eine direkte Telegraphenleitung für mich beantragt … Mein Oberbefehlshaber ist der Generaloberst von Pflanzer-Baltin … Ob er mich aushält, ist mir fraglich; heute hat er jedenfalls schon Fieber. Der Stab groß und entsetzlich höflich und erstaunt.

In Nisch war es doch ein kleiner Schreck, den König selbst auf dem Bahnhof zu finden; es war aber noch eine interessante halbe Stunde. Er hatte große Sorgen, war aber sehr einverstanden, daß ich hinging nach Österreich. Er sagte mir unendlich liebenswürdige Dinge, bat mich um mein Bild … Er brachte mich dann zum Wagen und wartete meine Abfahrt ab, also ungewöhnliche Ehrungen als Abschluß meiner Balkanzeit, die ich wohl kaum erneuern werde … Bisher ist noch allgemeiner Zustand und nichts recht in Ordnung …

D. 19. Juni 1916 … Seitdem ich zuletzt schrieb, habe ich versucht, mich nützlich zu machen – noch ohne großen Erfolg. Es ist nicht ganz leicht. Vorläufig habe ich mich bemüht, in die etwas desolaten Verhältnisse Einblick zu gewinnen, hier im Stabe die Menschen mir anzusehen und gestern den Tag gebraucht, um draußen die Führer zu sprechen und zu beeinflussen, und Land und Truppen zu sehen. Ich muß anerkennen, daß man mir persönlich mit Offenheit und Liebenswürdigkeit entgegenkommt, obwohl allen die Einsetzung des deutschen Chefs ganz natürlicherweise schwer und deprimierend ist, besonders da ich ihnen keine Soldaten mitbringe. Einzelheiten erspare ich Dir. Es wird ja in einiger Zeit schon werden. Bis dahin sind vielleicht noch einige unangenehme Momente durchzumachen. Ich bin aber guten Mutes und zufrieden, in nützlicher Tätigkeit zu sein. Es geht mir persönlich gut … Mein neuer Bursche spricht so wohltuend Berlinisch, was unter allen den Sprachen um mich herum beruhigend wirkt. Ungarisch ist noch das beste, das verstehe ich sicher nicht, während ich bei ihrem Deutsch mir oft nicht ganz klar bin. So war hier zunächst die Hauptsache, daß die Armee sich wieder ›derfangen täte‹, was soviel heißt, sich wieder faßte, wieder zu sich zu kommen … Gestern war ich bei einem Gen.Kdo. …; ich bekam, um nach einem Beobachtungsstand zu fahren, einen Schimmel-Viererzug allerbester Klasse und Zusammenstellung – übrigens das erstemal, daß ich dieses Fortbewegungsmittel im Krieg benutzte, und dann konnte ich nur etwa 10 Minuten fahren und mußte dann gehen, und schließlich war auf der Höhe eigentlich nichts zu sehen. Sonst war die Fahrt, d. h. die im Auto, schön; das Land an den Karpathenausläufern fruchtbar und reich bewaldet. Das Volk unendlich bunt an Farben und Mischungen und ganz auffallend hübsch, rumänisch, ruthenisch, polnisch, deutsch gemischt. Hier viel Arbeit vorgefunden … Dunst und Gräser sind mir eine große Stütze … In allen äußeren Dingen kann ich zufrieden sein. Innerlich muß ich es sein, da man anscheinend von mir erwartet, daß ich helfen kann, und werde es wieder mehr sein, wenn es auch der Fall ist, was aber eben nicht von mir abhängt … Fast vergessen ist schon die ganze Balkanfrage in diesen sechs Tagen, die soviel Neues von meinem bescheidenen Gehirn verlangte. Was sie dort wohl ohne mich machen, und ob ich mich wohl noch einmal mit dem Feldmarschall und der ganzen Gesellschaft wieder vereinige? …

20. Juni 1916 … Soviel Dank für das liebe vierblättrige Kleeblatt, das ich zu dem andern legte, das ich immer bei mir habe; es wird mir, da es von Dir kommt, schon Glück bringen. Aber eigen ist das Zusammentreffen wirklich. Das erste fandest Du in Buchenau 1913, wie ich eben Chef des III. Korps geworden war, und dieses nun wieder an dem Tag, wo ich eine neue Stellung antrat. Finden ist aber auch eine besondere Gabe, wie das Glück selbst …

21. Juni 1916 … Ich glaube, in der ganzen Armee ist nicht ein Mensch, dem die unglückliche Lage so zu Herzen geht wie mir …

Wie freue ich mich, daß Du so nette Tage mit meiner Mutter in Goldberg hattest, auch für Dich; denn es tut doch wohl, erkannt und anerkannt zu werden, wenn man es so lange und wirklich verdient wie Du … Sie fühlt es doch, wieviel Dank sie Dir für das schuldig ist, was Du seit 23 Jahren an ihrem Sohn tust. Nun ist Dank an sich ja nicht das beste Bindeglied zwischen Menschen, es sei denn, sie wären so eins geworden in sich wie wir beide, wo sich etwas Verdanken, Leben und Nehmen zur lieben Gewohnheit und Selbstverständlichkeit geworden ist. Bei ihr ist es das Gefühl, daß Ihr beide in den wesentlichsten Fragen der Weltauffassung verwandt seid, vor allem in den Fragen der Wahrheit, der Pflicht und des Glaubens. Das, daß Du Dir ›Das Kreuz mit Rosen umwunden‹, ist Dein großer Vorzug vor ihr … Formell bin ich noch Chef der Heeresgruppe Mackensen, und sie taucht auch vielleicht noch einmal wieder auf, so daß ich dann mit ihm zusammenkomme … Nein, in Berlin war ich wirklich nicht, scheine aber schon seit längerer Zeit in mehreren Auflagen zu existieren! Hier sucht mich die Welt kaum, und das ist ja noch gut … Die Nacht war ruhig, was ich mit entsprechendem Schlaf quittierte, und heute ist auch noch kein großes Unglück passiert, wofür man schon immer dankbar sein muß.

Eben war mein Oberbefehlshaber bei mir, Pflanzer-Baltin, soweit ich es bisher beurteilen kann, kein übler Soldat, von merkwürdigen Formen, von verblüffender Offenheit, die wohl zum Teil Maske ist. Woran man sich alles gewöhnen muß.

Bleibe mir gut und bleibe gesund.

D. 22. Juni 1916 … Außer Deinem lieben Brief passierte mir seit gestern nichts Erfreuliches, freilich auch nicht soviel Unerfreuliches. Ich muß das sonst schon auf mich nehmen nach all dem Glück, das ich militärisch gehabt habe.

Gestern, am Fronleichnamstage, ein noch bunteres Bild als sonst auf der Straße. Es war hübsch und bunt, die Menge der Frauen und Mädchen vor der kleinen ruthenischen Kirche neben uns im Grase kniend; die Kirchen sind alle aus Holz, auch die neuen, und immer im gleichen Stil und immer von Bäumen umgeben. Sonst nicht allzu viel Neues und eine ruhige Nacht. Gestern erfuhr ich durch eine zwei Tage alte Berliner Zeitung von Moltkes Tod, der mich doch berührte. Für seinen Namen ist es eine ganz gute Bestätigung, daß er damals wirklich schon krank war, als er zurücktrat. Der Abgang hat etwas wenn nicht Tragisches, doch ungemein Dramatisches und paßt in diese Zeit. Das klingt reichlich nüchtern, aber ich kann mich für sein Andenken zu einer besonderen Gefühlsregung nicht aufschwingen. Trotz allem hat er seine bedeutenden Verdienste; denn man kann im ganzen doch mit der Weiterbildung des Generalstabes schon zufrieden sein …«

Die erste Woche, die Seeckt in der neuen Stellung verlebte, bringt ein Unheil nach dem anderen. Czernowitz fällt in russische Hand. Am 19. durchbrechen die Russen die Sereth-Stellung. Seeckt fordert Verstärkungen an soweit, daß wenigstens zur äußersten Abwehr ausreichend Kräfte da sind. Falkenhayn betont erneut die Frage des Oberbefehls. Conrad, dem noch die Empörung Pflanzer-Baltins über die Hersendung Seeckts frisch in Erinnerung ist, antwortet, ein deutscher Oberbefehl sei nur gerechtfertigt, wenn starke deutsche Hilfe käme.

Wie erwähnt, war der Stoß auf Czernowitz zunächst als russische Nebenoperation gedacht. Als hier der Widerstand so gering wurde, daß sich ein großer Erfolg anbahnte, nutzten ihn die Russen aus. Im August verlegten sie ihren Schwerpunkt dann ganz auf den Südteil. Ein Anreiz, das Schwergewicht des Angriffs aus der nördlichen Gegend in die südliche zu verlegen, war selbstverständlich, daß südliche Erfolge nachhaltigen Einfluß auf die Haltung Rumäniens ausüben mußten.

Seit dem 16. hat man allerlei Absichten, bei Kolomea oder sonst irgendwo eine Stoßgruppe zu versammeln, um das unaufhaltsame Vordringen der Russen angriffsweise endlich zum Stehen zu bringen. Seeckt ist kein Mann der Illusionen. Er legt am 22. General v. Falkenhayn eine sehr nüchterne Beurteilung der Lage vor, die keineswegs mit unausführbaren Angriffsgedanken spielt. In der Tat ist der am 16. noch bestehende Plan einer österreichischen Offensivgruppe bei Kolomea einfach, ohne je aufgehoben zu werden, durch den Gang der Ereignisse gegenstandslos geworden. Das hindert merkwürdigerweise General von Conrad nicht, noch am 21. beim General v. Falkenhayn eine große deutsch-österreichische Offensive bei Linsingen und am Dniester anzuregen. Man muß dem wirklich Seeckts Lagenbeurteilung entgegenhalten, der selbst das Halten der Pässe in ernstlichem Kampf nur nach Verstärkung für gesichert hält und angriffsweise Abwehr ohne Verstärkungen ausdrücklich ablehnt. Er schreibt Heeresarchiv Potsdam, Akte 54.: »... Ich erwarte starken Vorstoß des Feindes gegen Kolomea und südlich … Sein Streben wird die Besetzung der Bukowina sein und die Umfassung des Südflügels der Armee … Dies zu verhindern, ist die nächste Aufgabe der Armee, und hierfür sind die verfügbaren Kräfte … zusammengezogen. Um der Gefahr durch einen Vorstoß zu begegnen, dazu halte ich die Armee im Augenblick … für zu schwach. Sie muß halten oder gezwungen den rechten Flügel Benigni auf Pistyn-Kolomea zurückschwenken. Sobald die schwere Artillerie und die beiden anrollenden Divisionen eingetroffen sind, soll über Kolomea zum Angriff in Dichtung Sniatyn angetreten werden.«

Am 23. 6. trafen sich Falkenhayn und Conrad in Berlin. Man entschloß sich, durch Gegenangriffe Linsingens, die Russen zum Stehen zu bringen und darauf am Dniester mit Angriff die Lage für die Bukowina wiederherzustellen. Es war nicht so, daß Seeckt überhaupt gegen solche Angriffspläne war. Er hatte lediglich ausgeführt, daß man dazu auch die Kräfte haben müsse. Nunmehr sollten die notwendigen Kräfte, ohne die es nun einmal nicht ging, bereitgestellt werden. Dies ist der Ausgangspunkt für die Bildung der k. u. k. 12. Armee.

Im Anschluß an die Besprechung verlangt Falkenhayn von Seeckt eine Beurteilung über die Ausführung dieser geplanten Entlastungsoffensive Heeresarchiv Potsdam, Akte 54.: »Die Entlastung der 7. Armee, die Wiederherstellung der Lage und die Wiedereroberung der Bukowina werden am schnellsten durch einen Stoß erreicht, der zwischen den Karpathen und dem Dniester geführt wird. Der Stoß ist frontal, hat aber den Vorteil, daß sein rechter Flügel sicher angelehnt ist. Aus der Flanke, also aus Siebenbürgen vorzugehen, ist durch die Bahnverhältnisse ausgeschlossen … Gesamtstärke der Stoßgruppe von 12 Divisionen … in 45 Kilometer Angriffsbreite … Kann der Stoß weiter durchgeführt werden, und deckt die sich anschließende Südarmee den linken Flügel nördlich des Dniester, so kann die Operation die ganze bisherige russische Südwestfront zu Fall bringen.«

Man muß sich einmal vorstellen, was solch Vorschlag Seeckts bedeutet. Es gelingt gerade an diesem Tage mit einigen Landsturmformationen, die Höhen ostwärts Jacobeny–Kirlibaba mit Mühe zu halten. Russische Angriffsvorbereitungen gegen Linsingen sind deutlich erkennbar. Die Lage hat sich derart verschärft, daß sogar Falkenhayn nicht mehr umhin kann, den Angriff auf Verdun anzuhalten.

Es schien alles dazu angetan, sich zunächst einmal damit zu begnügen, die Lage zu halten. Seeckt hat ja auch tatsächlich in nüchterner Beurteilung unausführbare Pläne beiseite geschoben. Aber auf der Grundlage einer operativ, taktisch, materiell und personell völlig verwirrten Lage jetzt bereits einen Gedanken zu entwickeln, der praktisch möglich ist, eine Offensive will und aus dieser heraus das anstrebt, was ein Jahr zuvor durch Gorlice nicht einmal entscheidend erreicht worden war, nämlich die ganze russische Südwestfront zu Fall zu bringen: das ist allerdings eine Kraft der Konzeption, die man wohl anerkennen darf. Es wird soviel über solche kriegsgeschichtlichen Ereignisse lediglich aus ihrer tatsächlichen Entwicklung heraus kritisiert. Die Beurteilung der Lage durch Seeckt vom 22. zeigt eine so ungeheure Willensstärke, daß sie berechtigt, dem Chef, der sie schrieb, Feldherrnkönnen zuzubilligen.

Allerdings muß man zugeben, daß, als Seeckt diesen Stoßgedanken im großen aufwarf, vor seiner eigenen Front der Russe noch deutlich mit schwächeren Kräften in einer Nebenoperation stand und seine Hauptkräfte bisher gegenüber Linsingen eingesetzt hatte Allerdings zeigte die Lagenkarte vom 23.6. vor der 7. Armee tatsächlich schwächere Kräfte. Aber hart nördlich davon war eine Zusammenballung starker russischer Kräfte, was immerhin eine Flankenbedrohung für den zwischen Dnjestr und den Karpaten geplanten Gegenstoß bedeutete..

Um die Schwierigkeiten für Seeckt in ein seltenes Maß zu steigern, gehen zwei Spannungen durcheinander. Einmal machen im Laufe der letzten Juni- und ersten Julitage die Ereignisse die beabsichtigte Bildung der 12. Armee so gut wie unmöglich. In der Tat haben nachher dem Oberbefehlshaber der 12. Armee, dem Erzherzog Thronfolger, nur Mitte Juli ganz vorübergehend wenige Divisionen unmittelbar unterstanden. Die Dinge wurden stärker als der Wille der Führung. Zweitens kommt es zu einem von Tag zu Tag immer unmöglicher werdenden Verhältnis zwischen dem Oberbefehlshaber v. Pflanzer-Baltin und dem Obergeneralstabschef, was Seeckt zunächst nun einmal doch war.

Pflanzer hat sich sehr viel später für das Neue Wiener Journal interviewen lassen. Er sagt dort unter dem 17. Februar 1929:

»... Sie wissen natürlich nicht, was … der eigentliche Grund der unleidlichen Vorkommnisse in der Bukowina gewesen ist …: es war das ganz unmögliche Verhältnis zwischen mir und dem von der deutschen Heeresleitung mir aufgenötigten Generalstabschef Seeckt. In deutschem Rahmen gewiß eine Klasse für sich. In unseren Verhältnissen undenkbar. Es gab sofort den schwersten Konflikt. Er kam, sah und – befahl. Als ob ich Luft gewesen wäre. Ordnete an, disponierte, stellte mich vor vollendete Tatsachen. Hielt es für unnötig, mich überhaupt von den getroffenen Anordnungen zu verständigen … Ich zitierte ihn, sagen wir meinetwegen zum Rapport, und erklärte: ›Der Armeekommandant bin ich. Sie sind als Generalstabschef mein untergebenes Organ. Ich befehle, Sie haben meine Anordnungen zur Durchführung zu bringen. Jede weitere Eigenmächtigkeit verbiete ich …‹ Vierundzwanzig Stunden später war Seeckt nicht mehr mein Generalstabschef. Er hatte telegraphisch von der deutschen Obersten Heeresleitung seine Ablösung erbeten.«

Der Interviewer fügt hinzu: »Zwei gleich hervorragende, in den schwierigsten Verhältnissen bewährte Soldatencharaktere und Führernaturen. Zwei gleich eisenharte Köpfe, jeder besten Willens und sein Ich rückhaltlos einsetzend fürs große Ganze. Doch jeder von unvereinbarer Mentalität und Anschauung …«

Daß die Anschauungen unvereinbar waren, sollte sich allerdings bald genug erweisen.

Es kam viel, wenn nicht alles darauf an, daß das k. u. k. XI. Korps an den Gebirgspässen zum Stehen gebracht würde. Andernfalls war freilich eine Gefährdung des Ganzen vorhanden, Am 27.6. Nach Unterlagen aus dem Heeresarchiv Wien. stand fest, daß trotz persönlicher Ermahnung des Oberbefehlshabers das k. u. k. XI. Korps mit Gewaltmärschen und unter Benutzung von Fuhrwerken sich nach Kirlibaba zurückgezogen hatte, ohne den Willen zu zeigen, daß es dort halten werde. General v. Pflanzer ließ keinen Zweifel, daß er einen Teil der Schuld hieran auch der Art der Befehlsgebung durch General v. Seeckt zumaß. Seine Befehle seien zu allgemein und ohne Bindung. Der Oberbefehlshaber machte darüber zum General v. Seeckt eine Bemerkung und gab dem Wunsche Ausdruck, daß er nächstens die Befehle so stilisieren lassen solle, wie er es für zweckmäßig erachte. Als der Oberbefehlshaber sich ausdrücklich Befehle vorlesen ließ, war deutlich zu erkennen, daß Seeckt dadurch verärgert war. Er ließ es merken. Man soll auch gar nicht bestreiten, daß Seeckt in dem Bewußtsein, hier ungewöhnliche Verantwortung zu tragen in einer Lage, die der bisherige Befehlshaber nun eben doch nicht gemeistert hatte, sehr stark sein Selbstbewußtsein und seine Selbstherrlichkeit betonte. Es wäre unnatürlich gewesen, wenn eine geborene Führernatur in solcher Lage nicht jedem und erst recht diesem Oberbefehlshaber hätte unbequem werden müssen. Seeckt mag auch den Eindruck gehabt haben, daß Pflanzer an dieser Stelle ungeeignet wäre. Seeckt wußte: Überall konnte man zurückgehen, nur nicht in der Nähe der rumänischen Grenze. Daher wurde er ja gerade dorthin entsendet. Sollte die Erfüllung des Auftrages mit Pflanzer nicht möglich sein, dann allerdings müßte es auch ohne ihn gehen. Ob und in welcher Form solche Gedanken gefaßt wurden, ist schließlich vielleicht gleichgültig. Zunächst ist Seeckt jedenfalls die Entfernung Pflanzers, wenn er sie gewollt haben sollte, nicht gelungen. Nachher haben die Ereignisse stärker gesprochen, als Seeckt es jemals gekonnt hätte, im übrigen wäre die persönliche Spannung zwischen diesen beiden Männern zweifellos sowohl aus sachlichen wie aus persönlichen Gründen eingetreten Falkenhayn erwähnt die Absicht einer Abberufung Pflanzers Cramon gegenüber am 30.6.; Heeresarchiv Potsdam, Akte O 1167. Jedenfalls wollte wohl Falkenhayn seit längerer Zeit Pflanzer beseitigen. Das muß Pflanzer gewußt oder gefühlt haben. Seine scharfe Ablehnung Seeekts konnte damit im Zusammenhang stehen..

Allerdings verschärften sachliche Differenzen die Spannung schon innerhalb der beiden nächsten Tage. General v. Seeckt bat um die Enthebung einiger Generäle. General v. Pflanzer lehnte dies ab. Man verdeckte danach durch eine beiderseitige Höflichkeit notdürftig die Tatsache, daß jene Harmonie nicht bestand, wie sie zwischen Oberbefehlshaber und Stabschef nötig war. Der beiderseitige Verkehr beschränkte sich betont nur auf den dienstlichen.

Leichter wird Seeckts Stellung dadurch auch nicht gerade, daß Falkenhayn am 25. ihm antwortet Heeresarchiv Potsdam, Akte O 468.: »Ihre Gründe für die Wahl der Gegend südlich des Dniester für die Entlastungsoffensive haben mich nicht überzeugt … Ich neige mehr zum Stoß aus der Front der Südarmee.« Dann allerdings kommt ein Zusatz, der nun wieder die Lage für Seeckt erleichtern konnte. Falkenhayn fährt fort: »Bei diesem Stoß würden Sie persönlich aber auch beteiligt werden.« Das konnte nichts anderes bedeuten, als daß Seeckt seine Stellung zu wechseln hoffen durfte.

Am 26.6. telegraphiert Falkenhayn an Conrad. Der Inhalt des Telegramms so, wie es abgegangen ist, handelt im wesentlichen von dem Einsatz der als Verstärkung heranrollenden beiden Divisionen. Wesentlicher ist der Teil des Telegramms, der von Falkenhayn nicht im Augenblick des Entwerfens, sondern erst nachher, wie man an der Art des Durchstreichens sieht, gestrichen wurde. Der gestrichene Teil lautet Heeresarchiv Potsdam, Akte O 433.: »Zur Vorbereitung für die geplante Gegenaktion halte ich nunmehr die Unterstellung wenigstens der Süd- und 7. Armee unter den Feldmarschall von Mackensen für unbedingt nötig, so schwer er auch auf dem Balkan zu entbehren sein wird … General v. Seeckt müßte unter diesen Umständen zum Feldmarschall zurücktreten …« Die Persönlichkeit des Feldmarschalls hat sich allerdings auf dem Balkan dann angesichts der dortigen Lage als völlig unentbehrlich erwiesen. Es ist aber zu vermuten, daß Seeckt von diesen Gedanken und Absichten wußte. Er schreibt am 25. 6. an seine Frau:

»25.6.1916. … Heute ein kritischer Tag: Starker allgemeiner Angriff der Russen im Gang, und ob meine Soldaten ihn abschlagen werden, ist mehr als zweifelhaft. Wir werden wohl noch durch einige schwere Tage hindurchgehen müssen, ehe hier eine Besserung eintritt, ich hoffe zum Guten – aber der Umschwung dauert noch eine Weile, und bis dahin heißt es, zuviel Unheil verhüten; keine leichte Sache. Ob ich mich dann später mit dem Feldm. wieder vereinige, weiß ich noch nicht; doch ist es möglich …

26.6.16. … Ganz im Vertrauen: Lange bleibe ich wahrscheinlich nicht in dieser Stellung, wohl aber hier auf diesem Kriegsschauplatz. Ich kann natürlich Näheres nicht sagen, bin auch selbst noch nicht orientiert, wie das Ganze organisiert werden soll; ebensowenig, wann der Wechsel eintritt. Vorläufig bleibe ich noch hier und habe auch hier vollauf Wirksamkeit. Ein buntes Leben … Armes Griechenland, aber es kommt dort genau so, wie ich es schriftlich und mündlich voraussagte. Wer sich das erste gefallen läßt, muß sich alles gefallen lassen, und der König hat den Augenblick versäumt, in dem er ein großer Mann sein konnte. Jetzt wird er zur Puppe oder weggejagt …«

Seit dem 24. rechnet Seeckt täglich mit dem russischen Hauptangriff. Der k. u. k. Ministerrat, namentlich Tisza, ist am 26. wegen der Lage bei der 7. Armee in großer Sorge. Es ist bezeichnend, daß Conrad jede nähere Auskunft an diese Stellen verweigert. Tags darauf ist Seeckt mit dem 27. jedoch schließlich ganz zufrieden, als tatsächlich südlich Kolomea vom Gegner angegriffen wird, aber einige deutsche Verstärkungen dahintergeschoben werden können. Er schreibt über diesen Tag an seine Frau:

»Den 27. Juni 1916. … Der heutige Tag scheint gut verlaufen zu wollen; ich hielt ihn für kritisch, man hat sich wieder etwas gefaßt, und ich habe schon einige deutsche Soldaten außer Dunst und Gräser. Es müßte nun eigentlich jeden Tag besser werden – wollen es hoffen. Dunst sitzt ohne Nachthemd und Zahnbürste ganz weit vorn und spricht gut zu … Es regnet nach einem heißen, staubigen Tag, und ich genieße diesen eigenen Duft eines nördlichen Sommer-Regenabends und fühle, wie körperlich wohltuend die schärfere Luft für unsereinen ist gegen die weiche des Südens, die ich gerade noch am Balkan kennenlernte. Denn nördlich nenne ich es hier, obwohl ich wohl östlich sagen müßte, jedenfalls ist Klima, Land, Licht und Luft wieder mehr heimatlich – nur die Leute nicht. Gute Nacht für heute. Dir – aber auch mir wünsche ich sie.«

Am 27. sendet Falkenhayn an Cramon folgende Frage Heeresarchiv Potsdam, Akte O 1167.: »Halten Sie es für möglich, daß der Oberbefehl für die in der Dniester-Gegend geplante Offensive, die ein Zusammenfassen der 7. und 8. Südarmee sowie der neuen ankommenden Verbände … erfordert, dem Erzherzog Thronfolger übertragen wird? Er müßte natürlich Seeckt als Chef … erhalten. Ich bin auf diesen Gedanken gekommen, weil die sonst unvermeidliche Ernennung eines deutschen Oberbefehlshabers möglicherweise ungünstig auf die an gewissen Orten gerade genug erschütterte Stimmung wirken könnte. Mackensen wird, wie ich hinzufüge, nach neueren Nachrichten kaum für Galizien frei zu machen sein.« Cramon antwortet umgehend zustimmend, schlägt lediglich neben Seeckt »den anerkannt tüchtigen jetzigen Stabschef des Thronfolgers Oberst v. Waldstätten« vor; in welcher Eigenschaft ist nicht gesagt. Für den Fall, daß die Wahl nicht auf den Thronfolger fällt, erwähnt Cramon Boehm-Ermolli. Bereits am 28. hat Falkenhayn mit Cramon ein Hughes-Gespräch. Er lehnt Boehm-Ermolli ab und will Waldstätten als Oberquartiermeister zulassen. Von Conrad ist inzwischen über Cramon Zustimmung eingegangen.

Der 28.6. hat sich als ein schwerer Tag gestaltet. Die Russen greifen von südlich Kolomea bis zum Dniester an und haben südlich und ostwärts Kolomea große Erfolge, die auch das in den Kampf geworfene deutsche I.R. 129 Dessen Chef war Generalfeldmarschall v. Mackensen. nicht zu verhindern vermag. Seeckt schreibt darüber an seine Frau doch ein wenig niedergeschlagen:

»Den 29. Juni 1916. … schwere Tage sind es, ein etwas aussichtsloses Arbeiten. Morgen mehr. Es geht mir aber persönlich gut, und ich behalte den Kopf oben. Ganz schrecklich der Angriff auf das gute Karlsruhe – eine Gemeinheit, sich gerade den Ort auszusuchen, immer in der geradezu krankhaften Hoffnung, die Verwandten des Kaisers doch noch zu treffen. Meist ist ja nach solchem Angriff eine Pause, trotzdem ist mir der Gedanke, daß Du wahrscheinlich hingehst, etwas unruhig, und heute wolltest Du reisen! Gott schütze Dich …«

Er meldet an Falkenhayn Heeresarchiv Potsdam, Akte 54., daß man die Ausladungen zurückverlegen müsse und auf diese Ausladungen unter Deckung der Karpatenpässe und im Anschluß an die Südarmee zurückgehen müsse.

Unmittelbar nachdem die Meldung geschrieben ist, aber bevor sie abgeht, erscheint General v. Seeckt beim General v. Pflanzer in der Wohnung und beantragt auf Grund des Rückzuges der 42. und 30. Division, nunmehr die ganze Front mit der Mitte an den Ostrand von Kolomea zurückzuverlegen. General v. Pflanzer hat dann den Vorschlag genehmigt. Allein es muß bei dieser entscheidenden Unterredung doch klar zu erkennen gewesen sein, daß Oberbefehlshaber und Chef nicht miteinander arbeiten konnten Ein Jahr später in einem Brief vom 24.6.1917 schreibt Seeckt von einem Besuch, den ihm der General v. Pflanzer gemacht habe: »Peinlich war mir der Besuch nicht im geringsten; er fing an, wir hätten uns ja nicht immer verstanden, worauf ich einfiel: Was mich nicht abhalten soll, jetzt – dies Wort mit starker Betonung – Euer Exzellenz Wünschen in jeder Beziehung entgegenzukommen«. Pflanzer war Inspekteur der Ersatztruppen im Hinterland geworden und wollte sich deutsche Ausbildungslager ansehen..

Pflanzer hat einmal geäußert: »Es kam zwischen mir und meinem Stabschef oft zu Meinungsverschiedenheiten, bei letzterem nach meinem Gefühl zu passivem Widerstand. Trotz der scheinbaren Bescheidenheit fühlte ich, weil er mich meist allein reden ließ, seine Meinungsverschiedenheit heraus, auch ohne daß er speziell sie zum Ausdruck brachte.«

Seeckt hat sich wahrscheinlich damals seine Ablösung gewünscht, vielleicht sogar gegenüber der deutschen O.H.L. seinem Wunsch Ausdruck gegeben. Der Grund der Verwendung an anderer Stelle ist natürlich die Bildung der 12. Armee, die Ernennung des Erzherzog Thronfolgers Karl Franz Joseph zu ihrem Oberbefehlshaber und die Übertragung der Chefaufgabe bei dieser Armee an Seeckt. Jedenfalls weiß Seeckt bereits am 30., daß ihm eine neue Aufgabe bevorsteht.

»Den 30. Juni 1916. … Viel zu tun und meine Aufgabe hier geht zu Ende. Ich bin Chef des Generalstabes einer Heeresgruppe geworden, die aus zwei der hier stehenden und einer neuen Armee besteht. Mein Oberbefehlshaber wird der junge Erzherzog Thronfolger. Also eine verantwortliche Sache. Ich bleibe noch zwei bis drei Tage hier und gehe dann in den nicht weit von hier gelegenen Ort zur Bildung der neuen Armee … Also Trennung vom Feldmarschall Die Trennung von Mackensen hatte Seeckt bis zu diesem Zeitpunkt also nicht als endgültig angesehen und ganz neue Verhältnisse. Bin natürlich zufrieden, aber doch sehr gespannt … Liebes Katz – halte mir den Daumen.«

Zunächst muß Seeckt noch wenige Tage in seiner bisherigen Stellung zur Überleitung der Geschäfte ausharren.

»Den 30. Juni und 1./2. Juli 1916. … Ich hatte mich gerade hingesetzt, um Dir zu schreiben, als das entscheidende Telegramm kam. Ich warte hier nur noch das Eintreffen meines Nachfolgers ab, der auch mein über mein Kommen wenig erfreuter Vorgänger war und nun eilend zurückgerufen wurde. Mein nächster Aufenthalt liegt nicht weit von hier und nicht weit von der schönen Stadt Lemberg, die uns vor einem Jahr (28. VI.) zufiel – der Name tut nichts zur Sache … Nun ist meine Trennung vom Feldmarschall vollzogen – doch ein wichtiger Abschnitt in unser beiden Militärleben; das wurde mir recht klar, als ich ihm heute einen Abschiedsbrief schickte. Ich habe ihm für viele Bewegungsfreiheit und viel Vertrauen zu danken, Grund genug dazu.

Einzelheiten für meinen Stab weiß ich noch nicht, außer daß ich Dunst und Graeser bei mir behalte, zwei anscheinend heute sehr zufriedene Menschen. Ich muß es ja als ein Zeichen großen K. u. K. Vertrauens betrachten, daß sie mir den Thronfolger anvertrauen, und die Verantwortung wächst damit. Ich muß suchen, sie zu tragen und auf Soldatenglück hoffen. Gute Nacht, ich bin müd.

Den 1. Juli 1916. … Die Nacht verlief ruhig, wie man zu sagen pflegt, und nun muß der heutige Tag noch ohne neuen großen Unfall vorübergehen, damit ich meine Tätigkeit leidlich hier abschließen kann … Heute bekam ich endgültig alle Befehle über meine Stellung. Zwei Kaiser mußten sich bemühen, und ich meldete mich eben telegraphisch bei meinem neuen jungen Herrn nach der Hofburg, wo er auch noch eine Weile bleiben wird. Ich bin auf die neue Zeit gespannt; es läßt sich alles gut an; … verdammt gut ist hier der Russe geworden seit vorigem Jahr. Er hat die Furcht verlernt.

Den 2. Juli. Bin gespannt, wie sich der Tag entwickeln wird; ich hörte noch nichts. Mein Nachfolger kommt heute, und ich hoffe, morgen fort zu können …«

Die Befehle über die neue Stellung entstanden nicht so einfach, wie Seeckt das in seinem Brief schreibt. Es handelte sich nicht mehr um die 12. Armee, sondern um eine Heeresgruppe, für die Cramon die Bezeichnung Heeresgruppe Erzherzog Karl vorschlug. Falkenhayn antwortete Heeresarchiv Potsdam, Akte O 1167., er habe für »später gegen die Benennung keine unüberwindlichen Bedenken. Er würde aber vorziehen, ihre Taten abzuwarten und vorläufig einfach zu sagen, daß dem Oberbefehlshaber der 12. Armee auch die Süd- und 7. Armee operativ unterstellt wären«. Das Telegramm an Cramon schließt mit der Zustimmung zur Rückkehr des alten Stabschefs zur k. u. k. 7. Armee, woran jedoch als Schlußsatz die Worte angehängt werden: »Ich muß indessen bitten, daß entweder Pflanzer gegangen oder der deutsche Einfluß bei dem Oberkommando in irgendeiner Form gewahrt wird.« Die letzten Stunden in der bisherigen Stellung sind für Seeckt wirklich nicht einfach. Als ihn am 30. die Südarmee nachdrücklich bittet, daß der Anschluß an sie erhalten bleiben möge, da sonst die gesamte Südarmee zurückgenommen werden müsse, antwortet Heeresarchiv Potsdam, Akte 54. Seeckt, die Antwort eigenhändig aufsetzend, messerscharf. »Der Rückzug der 7. Armee erfolgte so rasch, wie es die Lage gebot. Die Gesamtsituation wird hier vollkommen übersehen. Eine Ergänzung der der Armee gegebenen Befehle im Sinn dortigen Telegrammes bedarf es nicht …«

Für seine neue Verwendung war Seeckt zunächst nicht viel mehr bekannt, als daß der Stab in Chodorow zusammentreten sollte. Es mag allerdings Seeckt nicht unbekannt gewesen sein, daß die Bildung dieser Heeresgruppe von österreichischer Seite nicht gerade mit Freuden begrüßt wurde. Es fehlte nicht an österreichischen Kreisen, die sie »unverständlich, schleierhaft und unfaßbar« nannten. Man sprach sogar Österreich-Ungarns letzter Krieg. von einem neuen Solferino. General v. Pflanzer selbst war der Ansicht, daß Seeckt, da er den leicht lenkbaren Erzherzog als Oberbefehlshaber hätte, nunmehr wohl auf dem ihm erwünschten Platz gelandet sei.

Die Lage ist am 2. 7. so, daß der Angriff der 119. und 105. Division zwar einen örtlichen Erfolg längs des Dniester bringt, daß damit aber die Lage nicht entscheidend geändert ist. Auch im Pruth-Tal bringt ein Angriff der 24. I.T.D. den russischen Angriff endlich zum Stillstand. Das sind wenigstens einige Lichtblicke. Ernst, außerordentlich ernst bleibt die Lage trotzdem. Der 3. 7. zeigt das ganz deutlich. Jede neue Verstärkung, die ankommt, muß Seeckt an bedrohte Stellen schicken. In dieser Art endet seine Tätigkeit am 3. 7. als Obergeneralstabschef der k. u. k. 7. Armee. Es steht kein glücklicher Stern über den wenigen Wochen. Gewiß ist es klar, daß Seeckt in verzweifelter Lage Ungeheures geleistet hat. Aber es ist ebenso klar, daß die Auswirkung der Lage sich fortsetzt auf seine weitere Tätigkeit. Er selbst hat alle die Truppen, die nun eigentlich die 12. Armee bilden sollten, in alle Winde zerstreuen müssen. Das A.O.K. 12 ist ein Stab ohne Truppen, der als Heeresgruppe über zwei andere Armeen befehlen sollte: Von vornherein kein glücklicher Zustand.

In einem Entwurf zu einer Disposition seiner Lebenserinnerungen hat Seeckt einen Abschnitt »Ungarns Rettung« genannt. In diesen Abschnitt bezieht er auch seine Tätigkeit beim General v. Pflanzer-Baltin ausdrücklich ein. In der Tat ist Seeckt hier der geistige Führer in einer der schwierigsten und größten Abwehrschlachten und erreicht mit unzulänglichsten Mitteln einen recht wesentlichen, wenn auch nicht gerade populär gewordenen Erfolg.


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