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Ein kurzer Überblick über die Kriegsereignisse dieses Abschnittes:
Am 13. 10. 1916 übernimmt der Erzherzog Karl das Kommando in Großwardein. Bis zum 31. 10. Kämpfe in den Grenzgebirgen; 9. Armee am Szurduk-Oitoz-Paß, 1. Armee zwischen Uztal- und Tölgyes-Paß. Am 24. 10. wird der Vulkan-Paß genommen, am 27. 10. der Szurduk-Paß. Hier tritt sehr bald ein Rückschlag ein. Am 14. 10. geht die rumänische Regierung von Bukarest nach Jassi. Von Mitte Oktober ab herrscht Ruhe in den Karpaten. Der russische Schwerpunkt wird an die rumänische Front verlegt. Ende Oktober russischer Angriff gegen die 1. Armee. Während des ganzen Novembers russische Vorbereitungen für einen Großangriff, der in den letzten Novembertagen eintritt. Am 20. 10. scheidet die 3. Armee aus dem Verband der Heeresfront aus. Am 11. Nov. beginnt die 9. Armee ihren Angriff am Szurduk-Paß. Vom 11.–14. Nov. ist die Schlacht bei Targu-Jiu. Am 21. Nov. nimmt die 9. Armee Crajova. Sie erreicht zwei Tage darauf den Alt. An diesem Tage beginnt Mackensen den Donau-Übergang.
Am 6. 10. 1916 war Seeckt in Pleß. Was dort an Einzelheiten der beginnenden Operation gegen Rumänien besprochen ist, läßt sich schwer feststellen. Auch die Briefe geben keinen Anhalt.
»Marmaros-Sziget im Schlafwagen. Sonntag, d. 8. Oktober 1916. Meine Geliebte – in aller Eile einen Gruß … Am 6. vormittags in Pleß, Besprechung mit dem Feldmarschall v. H. und Ludendorff und einigen anderen, darunter Wetzell. Frühstück beim Feldmarschall, dann im Auto nach Kattowitz, dort eine Viertelstunde Rücksprache im Mil.-Kabinett, zurückgejagt, Karte an Dich aus dem schon fahrenden Zug geworfen. Gestern Morgen im Ungarland in strömendem Regen aufgewacht, hier Besprechung mit einem k.u.k. Oberkdo. Im Auto zu einem deutschen Korps, spät zurück. Heute zu einem anderen und einigen Divisionen. Nun etwas Ruhe im Zug mit Deinen Briefen. Gleich kommt Dunst mit Telegrammen, dann Arbeit und Abendessen bei den Österreichern, um zehn Uhr abends Abfahrt. Morgen in Siebenbürgen. Ich denke, am 11. im neuen Hauptquartier zu sein.
Wetter leider schlecht, trotzdem waren die Fahrten durch den bunten Herbstwald schön. Aller Schnee von den Bergen wieder verschwunden. Es geht mir gut dabei, ich höre und sehe viel. In den nächsten Tagen noch mehr. Kronstadt heute wieder genommen – Das hat F. schön und schnell gemacht …
Hermannstadt, d. 9. Oktober 1916 … Eben im befreiten H. angelangt. Tausend Grüße! Morgen noch vorwärts, vielleicht bis Kronstadt, jedenfalls werde ich Falkenhayn sehen …«
Es ist immerhin anzunehmen, daß Seeckt in Pleß die Ansicht vertreten hat, die Kämpfe in den Karpaten würden allmählich zu völligem Stillstand kommen Heeresarchiv Potsdam, Akte O 435., so daß Truppen für Siebenbürgen frei würden. Conrad, beeinflußt von der 7. Armee, hat diese Ansicht nicht geteilt, zumal die Russen »nach verläßlichen Nachrichten« in der Gegend von Kirlibaba einen neuen Angriff vorbereiteten. Seeckt fährt deshalb am 7. nach Marmaros-Sziget und zum Tartarenpaß, um sich persönlich zu unterrichten. Seine Ansicht ändert er nicht. Vielmehr berichtet er nach Teschen, an dem er persönlich vorüberfährt und sich nicht dort meldet. Im übrigen herrscht natürlich darüber kein Zweifel, Rumänien anzugreifen.
Am 10. 10. ist Seeckt bei Falkenhayn und fährt nach Nágyvárád Tagebuch Seeckts.. Über das erste Zusammentreffen mit Falkenhayn in den veränderten Rollen berichtet der Brief:
»Bischöfliches Palais zu Nágyvárád, d. 11. Oktober 1916 … Wir sind hier nämlich sehr vornehm, und ich sitze, umgeben von Bildern geistlicher Herren, an einem alten Schreibtisch. Der Raum ist fast angefüllt von guten, etwas wahllos durcheinandergestellten Möbeln. Nebenan ein schönes Schlafzimmer mit Riesenbett unter einem Altargemälde. Nach der anderen Seite schließen sich Säle an, in denen meine Herren arbeiten, und im anderen Flügel ist die wirklich wunderbar eingerichtete Wohnung des Bischofs, in der der Erzherzog wohnen soll. Vor allem liegt das Palais schön still vor der Stadt. Der Bischof selbst, ein Graf Scecheny, ist in sein Sommerpalais gezogen, wo ich ihn heute nachmittag besuchen werde … Da Dein Bild vor mir steht, fühle ich mich schon ganz heimisch in der geistlichen Pracht.
Gestern ein langer und sehr ausgefüllter, aber auch befriedigender Tag. Früh im Auto an den in der letzten Zeit vielgenannten Rotenturm-Paß und das Gefühl gekostet, auf rumänischem, von uns besetztem Boden zu stehen. Übrigens auch landschaftlich eine wundervolle Fahrt. Der Paß noch angefüllt von den Spuren des eiligen Rückzugs, Hunderte von umgestürzten Wagen, verendeten Pferden und allen übrigen Spuren der Auflösung. Ich sprach vorn mit unseren braven mecklenb. Jägern, die sich schon an der rumän. Grenze ganz zu Hause fühlten … Ich fuhr dann weiter und kam zu Falkenhayn – ein eigenartiges Wiedersehen und eine Stunde hochinteressanter Unterhaltung, mehr politisch wie militärisch, – außer den aktuellen Stellen natürlich.
Seine Operationen sind glänzend und bisher sehr gelungen. Ich aß bei ihm und so ging die Unterhaltung noch einige Zeit weiter. Jedenfalls Versicherung bester Freundschaft. Er hatte übrigens vom Kaiser sehr gnädige Glückwunschtelegramme … Von S. ging es dann nach vorn, über das Schlachtfeld der letzten Tage nach Kronstadt. Am Tage vorher hatten noch die Leichen in den Straßen gelegen, gestern waren überall noch verwundete und gefangene Rumänen – aber dazu offene Läden und Kaffees, Fahnen, Tücherschwenken und Begrüßungsrufe. Beide Städte, Hermannstadt und Kronstadt, sind übrigens rein deutsch einschl. aller Aufschriften mit Ausnahme der staatlichen. Die Stadt hat trotz des heftigen Straßenkampfes fast gar nicht gelitten … Dann zurück durch die prachtvolle Mondnacht, durch stille verlassene Dörfer, bis wir um zehn Uhr in Hermannstadt in unserem Wagen eintrafen … Den gestrigen Tag beschloß dann würdig Deine Gabe, die noch immer für eine besondere Gelegenheit aufgesparte Flasche Veuve Clicquot England. Da ich an dem Tag auf dem 5. Feindesboden gestanden hatte und nach Belgiern, Franzosen, Engländern, Russen und Serben nun auch noch rumänische Gefangene gesehen hatte, fand ich sie gut angewandt und wir gedachten Deiner dabei.
Inzwischen habe ich meinen Besuch beim Bischof gemacht. Ein streitbarer Kirchenfürst nach dem Äußeren und ein großer Nimrod nach der Einrichtung seines reizenden kleinen Jagdhauses, im herbstbunten großen Tierpark gelegen. Bei ihm zwei Herren, deren Namen mir noch nicht klar, der eine früherer Gesandter in München. Dieser erzählte die boshafte Geschichte: Ich hätte nach Wien telegraphiert: ›Sieg ist nicht mehr zu vermeiden, Erzherzog kann jetzt kommen.‹ Ich mußte energisch protestieren. Übermorgen kommt der junge Herr … Lange möchte ich nicht hier bleiben; es ist zu weit zurück und zu gut. Diese herrliche Stille hier draußen und in dem alten Gebäude, dazu noch weiche Spätsommerluft. So, nun weißt Du, wie es bei mir aussieht … Große Reibungen sind vorgekommen zwischen rheinischen Großindustriellen und der Rohstoff-Kommission im Kriegsministerium. Wrisberg wird darunter zu leiden haben, wie er überhaupt einer der Kreuzträger des Krieges ist. Sie werden wohl nach Reichstagsvertagung Wild Wild von Hohenborn. auf ein Korps loslassen, aber auf eine ›glänzende‹ Rede im Plenum bin ich noch gespannt. Er ist dem Kanzler verschworen - und doch vielleicht auf falscher Spur. Eine Viertelstunde mit Marschall in Kattowitz ließ mich etwas Morgenluft wittern. Ich bin seit einigen Tagen nachrichten- und zeitungslos, an sich ein angenehmer Zustand, wenn man so wie ich gestern an der Stelle war, wo die Geschichte gemacht wird …
D. 13. Oktober … Heute morgen kam der Erzherzog. Wir freuten uns sehr zueinander und er ist doch auch ein lieber und liebenswürdiger Kerl. – Der Empfang war bunt. Neben all der roten und lila Geistlichkeit die Zivilvertreter, Obergespanen usw. in ihren bunten Phantasietrachten wie aus einer anderen Welt. Weiß mit Gold, Purpur und Braun, alles mit Pelz besetzt und bestickt und verschnürt, Säbel mit bunten Steinen – etwas seltsam. Vor allen stand dann der deutsche General; denn ich hatte ihnen deutlich klar gemacht, daß sie alle – Bischöfe und Magnaten – in einer Reihe zu stehen hätten und daß nur ich dem Erzherzog entgegenginge …
Ich werde morgen abend mit dem Erzherzog zu den Armeen fahren und erst am Dienstag wieder hier sein – also wieder eine Pause im Briefverkehr. Hart, aber unvermeidlich. Du bist mein Liebes und das weißt Du auch.«
Die Lage, die Seeckt in Nágyvárâd, also Großwardein, vorfand, war so:
Die 9. Armee hatte die rumänische 1. Armee bei Hermannstadt, die rumänische 2. Armee am Geisterwald und bei Kronstadt geschlagen und ins Gebirge verfolgt, während das Alpenkorps am Rotenturm-Paß sperrte. Weitere Fortschritte an den Pässen waren nicht erzielt. Falkenhayn hatte am 12. 10. der O.H.L. gemeldet, zweifellos beeinflußt von Kennern der Gegend, daß er weiter westlich am Szurduk-Paß durchbrechen wolle, sobald das Alpenkorps den Gegner am Rotenturm-Paß gefesselt habe Heeresarchiv Potsdam, Akte O 463..
Am 8. 10. hatte die O.K.L. an Conrad und Falkenhayn eine Direktive erlassen. Sie betonte ein Vorgehen mit Kavallerie in die Moldau. Danach erst könne die 9. Armee über die Linie Orsova–Kronstadt, Schwerpunkt auf Bukarest, nach Rumänien hinein offensiv werden. Das ließ Falkenhayn für die Wahl der Angriffsstelle freie Hand. Ob Seeckt am 6. 10. diese Direktive mit Ludendorff besprochen hat, ist nicht festzustellen. Es ist auch möglich, daß er sie schriftlich nicht gesehen hat. Sollte er den Inhalt gekannt haben, so wird er darüber am 10. 10. vielleicht mit Falkenhayn gesprochen haben. Sicher ist eins: daß er die Meldung Falkenhayns an die O.K.L. vom 12. 10. Abgedruckt Deutsches Weltkriegswerk, Band XI, in der er als Angriffsstelle den Szurduk-Paß vorschlägt, nicht gekannt hat. Man darf annehmen, daß in dieser Tatsache der Urgrund aller folgenden Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Angriffsstelle zwischen Falkenhayn und Seeckt bestanden hat. Am 11. gibt Conrad an die Heeresfront seine Weisung. In ihr heißt es nur, daß die Heeresfront den Übergang über das Gebirge zu erzwingen und den Vormarsch auf Bukarest anzutreten habe. Auch hier ist kein Schwerpunkt genannt. Am 13. gibt die Heeresfront ihren Befehl. Der rechte Flügel der Hauptkräfte solle aus der Gegend des Rotenturm-Passes vorgehen. Es ist bei der Bestimmung der Angriffsstelle in diesem Befehl nochmals hervorzuheben, daß Seeckt Falkenhayns Wahl in diesem Augenblick und, was noch schwerer wiegt, deren Billigung durch die O.K.L. wahrscheinlich nicht kannte. Falkenhayn meldet jetzt erst, als er den Befehl der Heeresfront bekommt, der zu seinen Absichten nicht paßt, auch der Heeresfront seine von der O.K.L. genehmigte abweichende Absicht, und daß er daher die heranrollenden Verstärkungen auf dem rechten Flügel ausladen werde. Den Befehl des Erzherzogs hat Falkenhayn damals und bis ans Ende aufs schärfste verurteilt. Conrad hat diese Differenz wohl sofort gemerkt. Er wendet sich am 13. Oktober, also am gleichen Tage, an dem die Heeresfront befohlen hatte, an Ludendorff. Er habe zwar gegen den beabsichtigten Druck am Rotenturm-Paß und Szurduk-Paß nichts einzuwenden Neu war der Szurduk-Paß-Gedanke der O.K.L. keineswegs. Sie hatte ihn selbst ganz zu Anfang bereits in ihre Erwägungen einbezogen.. Der Hauptangriff müsse aber in der Richtung Kronstadt–Bukarest geführt werden. Conrad legt sich hiermit zum erstenmal auf einen Schwerpunkt fest, und zwar auf den, den Seeckt will, und nicht den, den Falkenhayn will. Eigenartigerweise stimmt die O.K.L., die sich bisher der Lagenbeurteilung Falkenhayns angeschlossen hatte, jetzt der Ansicht Seeckt-Conrads zu. Jedoch widerspricht diese Zustimmung nicht völlig Falkenhayns Absicht, weil dessen Angriffsstelle wohl zugelassen und nur die Operation von Kronstadt aus als die Hauptoperation bezeichnet wird. In einem Punkt entwickelt sich allerdings im Laufe der nächsten Wochen der Gegensatz O.K.L. zu Falkenhayn ganz offenbar. Die O.K.L. will die Verstärkungen in die Gegend von Kronstadt herangeführt wissen. Als Falkenhayn erkennt, daß die O.K.L. doch wesentlich von seiner Absicht abweicht, meldet er am 15. morgens: Operation Brasso (Kronstadt) auf Bukarest könne nur durch Vorgehen weiter westlich in Fluß kommen. Diese Meldung, die Seeckt wahrscheinlich erst am Nachmittag während der Besprechung erfährt, läßt Seeckt nunmehr bestehende Unklarheiten vermuten. Er fragt an Heeresarchiv Potsdam, Akte der 9. Armee 175 16., ob eine Änderung der Absichten bei der 9. Armee eingetreten sei. Das Schreiben ist an Falkenhayn persönlich gerichtet. Er antwortet gereizt: »Keine Änderung. Die Angelegenheit wurde gestern bei meinem Vortrag berührt.« Das wurde sie wohl. Aber nicht so, daß man sich gegenseitig verstand. Der Erzherzog hat über seinen Eindruck beim Zusammentreffen mit Falkenhayn berichtet: Falkenhayn mache jetzt gern »kleine Schwierigkeiten« Heeresarchiv Wien.. Er sei wohl verärgert, daß er nicht die Heeresgruppe führe. Er sei niedergedrückt und »nicht klar« gewesen.
Falkenhayn hat im Rahmen der ihm gewordenen Weisungen bis zu diesem Zeitpunkt durchaus folgerichtig gehandelt. Vielleicht verdunkelt seine Meldung vom 15. früh ein klein wenig die Tatsache, daß sein Schwerpunkt am Szurduk-Paß liegt. Diese geringe Verschleierung war aber schon in der Meldung vom 13. vorhanden, dürfte also nicht ganz absichtslos gewesen sein. Man muß auf der anderen Seite Seeckt zubilligen, daß auch er völlig im Rahmen dessen handelte, was er wußte, und vor allen Dingen dessen, worauf sich die beiden O.H.Leitungen zuletzt festgelegt hatten Von der deutschen O.K.L. ist später ein Angriff auf Orsova gefordert. Dieser Vorstoß sollte im wesentlichen die Donau als Nachschubstraße öffnen und vom Szurduk-Paß ablenken. Die Angriffswelle Orsova ist deshalb hier und weiterhin absichtlich übergangen, um das Verständnis für das Problem der Angriffsstelle nicht unnötig zu erschweren..
Es ist also sofort ein Gegensatz da, der nach Lage der Dinge ein Gegensatz Seeckt-Falkenhayn sein und werden muß. Dieser Gegensatz ist nicht aus persönlichen Fehlern entstanden, sondern er hat sich aus den Dingen selbst heraus entwickelt. Beide Generale hatten ein inneres Recht zu ihrem Verhalten. Es ist recht schwer für Seeckt, bei solchem, noch dazu ungeklärtem Das Deutsche Weltkriegswerk (XI, S. 252) vermerkt, daß sich die O.K.L. der Ansicht Falkenhayns endgültig angeschlossen habe. In einem Befehl hat das zunächst nirgends seinen Ausdruck gefunden. Erst am 28. legte sich Ludendorff klar auf den Schwerpunkt Szurduk-Paß fest. Bis dahin blieb alles in einem ungeklärten Zustande, an dem das schlimmste war, daß die beteiligten Personen, von Falkenhayn abgesehen, Klarheit zu haben glaubten. Es muß auch auffallen, daß Ludendorff in seinem Buch S. 233 seine ursprüngliche Forderung zum Vorgehen von Kronstadt auf Bukarest gar nicht erwähnt. Das liegt allerdings wohl daran, daß die O.K.L. zum Eingreifen keinerlei Grund sah. Sie glaubte, mit Fk. einer Ansicht zu sein, weil sie das Unternehmen am Szurduk-Paß für eine Nebenoperation hielt. Meinungsgegensatz als verantwortliche Zwischeninstanz zu führen.
Falkenhayn ist seiner ganzen Natur nach schwer gereizt. Insofern kann man dafür etwas Verständnis haben, als ihm mit dem 13. Oktober die bisher ausgeführte Gesamtleitung der Operationen in Siebenbürgen entzogen war. Er sah die Unterstellung unter die Heeresfront daher als eine Erschwerung an. Er nimmt einen scharfen Tadel der O.K.L. über die Führung des XXXIX. Reservekorps außerordentlich übel.
Um einigermaßen die Stimmung wiederherzustellen, fährt Seeckt schon am 15. mit dem Erzherzog zu Falkenhayn hin. Ist Falkenhayn gereizt, so sind sowohl der Erzherzog wie Seeckt voller Anerkennung über die bisherigen Leistungen zum Oberkommando der 9. Armee hingefahren. Von einer Spannung gegenüber Falkenhayn ist daher zunächst noch nichts aus den Briefen zu entnehmen.
»D. 16. Oktober 1916, Heeresfront Kdo. Erzherzog Karl … Gestern ein langer ergiebiger Tag. Im Hofzug gut geschlafen, am Morgen in Schäßburg, einer reizend gelegenen kleinen Stadt, Messe in einer kleinen Kirche auf dem Berg, vierstündige Autofahrt nach Kronstadt, Besprechung mit Falkenhayn, Besuch der Generale von Staabs und von Morgen, Rückfahrt nach dem Standort der 1. Armee, hier großer Empfang, und um zehn Uhr abends wieder im Zug und dort gegessen; gut 300 km. Etwas viel für den Erzherzog; besonders da ich nicht daran gedacht hatte, daß er das Hungern nicht so gewohnt ist. Um einhalb acht mußte ich ihn schleunigst futtern, damit er nicht zusammenklappte. Neben dem Militärischen mußte er immer noch die Zivilempfänge ertragen. Deutsche Ansprachen, deutsche Gesichter, deutsche Höfe – ein echt deutsches Land, hochinteressant. Uralte Kirche mit Wall, Mauer und Gräben, Schießscharten und – Räucherkammer! damit die Belagerten auch leben konnten. Leider heute nicht mehr genügend nach dem Einfall der Rumänen, die übrigens wenig zerstört haben. Manche Dörfer waren noch ziemlich leer, doch waren in anderen die Einwohner schon zurückgekehrt. Das Land etwas eintönig, nicht so fruchtbar wie Ungarn. Viel Wald. Aber durch die sauberen, freundlichen Sachsendörfer ein wohltuender Gegensatz zu Galizien … Ich bin etwas stumpfsinnig, weil ich so lange nichts von Dir gehört habe …«
Die Dinge nehmen nun einen etwas eigenartigen Fortgang. Die Heeresfront fügt sich dem Kompromiß. Sie erklärt sich mit der Absicht, den Szurduk-Paß zu öffnen, einverstanden, bleibt aber in dem Glauben, daß die O.K.L. auch weiter den Angriff von Kronstadt auf Bukarest fordere.
Seeckt und Falkenhayn sind von da ab in kein rechtes Verhältnis mehr zueinander gekommen. Falkenhayn setzte seinen unmittelbaren Dienstverkehr mit der O.K.L. fort und Seeckt war nicht gewillt, das so ohne weiteres hinzunehmen, so daß er zu Ende des Oktober Falkenhayn bat, das Heeresfrontkommando in der Berichterstattung nicht zu übergehen. Darauf schrieb Falkenhayn an ihn, wie man zugeben muß, gereizt:
»A.O.K.9. 31.10.16. Mein lieber Herr von Seeckt!
Als Sie mir bei Ihrem gestrigen Ersuchen um eingehende Berichterstattung die k.u.k. A.Kdos. als Beispiel vorhielten, vermochte ich nicht zu folgen. Soweit ich die Verhältnisse bei jenen kenne – und ich kenne sie einigermaßen – ist aus der Vielschreiberei, Kartenmalerei und Statistikerei noch nie Gutes entstanden. Ich führe darauf in erster Linie den geschäftigen Müßiggang, die Überfüllung der Stäbe und die Unselbständigkeit auch der höchsten Kommandostellen sowie die Förderung der Tendenz in Teschen, dem Verantwortlichen nicht nur Aufgaben zu stellen, sondern ihn auch in der Ausführung zu binden und damit ein gutes Teil des Unglücks unserer tapferen Verbündeten zurück.
Andererseits bin ich mir nicht bewußt, daß die Heeresleitung oder das Heeresfrontkommando irgendeine wesentliche Sache vom A.O.K. 9 nicht rechtzeitig erfahren hätte. Die täglichen Patrouillengefechte und das laufende Artillerieschießen halte ich freilich nicht für wesentlich, obschon es natürlich leicht wäre, sie als Angriffe von dieser oder gegnerischer Seite anzusehen und darzustellen … Im übrigen habe ich Ihren Wünschen Rechnung getragen, d. h. den Generalstab angewiesen, die Meldungen, soweit es möglich ist, eingehender abzufassen … Mit herzlichem Gruß wie stets Ihr ergebener v. Falkenhayn.«
Genützt hat die Bitte Seeckts um Unterrichtung nichts. Falkenhayn verkehrt nach wie vor mit Pleß ohne Berücksichtigung des Heeresfrontkommandos. Es kommt deswegen also auch weiterhin zu Reibungen zwischen dem A.O.K. 9 und dem Heeresfrontkommando. Falkenhayn sieht das Heeresfrontkommando als eine k.u.k. Dienststelle an und hält sich für berechtigt, es in deutschen Angelegenheiten auszuschalten Heeresarchiv Potsdam, Akte A.O.K. 9, 176 1 u. 2..
Zu einer besonderen Streitfrage von nicht unwesentlicher Bedeutung wird die Verwendung der 8.b.R. und 10.b.D. Falkenhayn will sie auf dem rechten Flügel haben. Nach seiner Meinung ist ja dort die Hauptoperation. Seeckt hält sie zurück, aber nicht weil er sie beim vermeintlichen Hauptangriff im Sinne der O.K.L. haben will, sondern weil er sie bei der 1. Armee für nötig hält. Seeckt meldet das Heeresarchiv Potsdam, Akte O 469. und erhält ausdrücklich das Einverständnis der O.K.L. hierzu. Zweimal beklagt sich Falkenhayn nachträglich, daß man nicht nach seinem Willen gehandelt hat. Das erstemal in einem Briefe vom 30. 10. 16: »Wenn wir uns nicht beeilen, in die Ebene zu kommen, werden wir schweren Winterzeiten entgegengehen. Es ist ein wahrer Jammer, daß die Verhältnisse zum Abdrehen der 8.b.R. und 10. bayer. Div. zwangen, woraus erhebliche Verzögerung entstanden ist. Aber wir werden es in der Kombination mit Mackensen doch wohl noch schaffen …« Das zweitemal in einem Brief vom 7. 12. 16: »Herzlichen Dank, mein lieber Herr v. Seeckt, für Ihren liebenswürdigen Glückwunsch. Er zeigt mir, daß Sie mir nachfühlen, wie glücklich ich über den planmäßigen Verlauf der Operationen bin. Auf keine andere Weise konnte, davon bin ich heute noch fester überzeugt als vordem, ein so schnelles und entscheidendes Ergebnis erzielt werden. Hätte die 8.b.RD. und 10.b.D. s. Z. mir nicht entzogen werden müssen, so würden wir das gleiche Resultat schon vor 14 Tagen gehabt haben.«
Falkenhayns wiederholte Vorwürfe darüber, daß die 8.b.R. und 10.b.I.D. vom Heeresfrontkommando nicht zu ihm gelassen wurden, sind ohne Rücksicht oder in Unkenntnis der Lage im Norden Siebenbürgens und der Vereinbarung zwischen Conrad und Ludendorff gemacht. Außerdem wurde das Ausbleiben dieser Kräfte durch Abgaben von Ob. Ost ausgeglichen Heeresarchiv Potsdam, Akte O 469.. Es ist ganz eigentümlich, wie scharf das Verhalten von Seeckt und Falkenhayn kontrastiert, Seeckt hat, als er Falkenhayn unterstand, sich stets in dessen Absichten eingefügt. Falkenhayn ist gereizt, wenn nicht geschieht, was er will. Daß Seeckt andere Stellen zu bedenken hat, mag er jetzt nicht berücksichtigen. Falkenhayn urteilt nach dem Ergebnis in seinem Befehlsbereich, was sein gutes Führungsrecht sein kann. Seeckt handelt nach den Möglichkeiten der Gesamtfront, was wiederum sein Führungsrecht ist. Dieser Wirkungskreis greift aber von der rumänischen auf die russische Front über, an der der Gegner nicht untätig bleibt.
Wie wenig Falkenhayn die anders geartete Aufgabe Seeckts sah, geht daraus hervor, daß er dem Heeresfrontkommando den Vorwurf machte, es führe nicht mehr eine Offensive, sondern griffe mit der 9. Armee nach Süden, mit der 1. nach Nordosten an. Natürlich hatte Falkenhayn damit nicht völlig unrecht. Das Verhalten Seeckts war jedoch bedingt einmal durch das Verlangen der O.K.L., man möchte »Siebenbürgen auch im Bereich der k.u.k. 1. Armee und das Grenzgebiet bei Orsova vom Feinde« säubern Heeresarchiv Potsdam, Akte O 469.. Andererseits durfte Seeckt die Verstärkungen der Russen vor der 1. Armee nicht unberücksichtigt lassen. Ein Rückschlag bei der 1. Armee hätte auch den Erfolg der 9. Armee gefährdet. Es muß auffallen, daß Falkenhayn auch später die schwierige Lage der 1. Armee niemals erwähnt hat. Er hat es nicht bewertet, daß die Maßnahmen des Heeresfrontkommandos, so sehr Seeckt den Offensivgedanken heraushob, von den Defensivaufgaben nicht unbeeinflußt bleiben konnte. Conrad sprach für diese Frontteile überhaupt nur von einem dünnen »Postenschleier«. Der Erzherzog sah daher die Gesamtlage sehr ernst an. Falkenhayn hatte ein Recht, solche Auffassung als zu pessimistisch aufzufassen. Er bringt das auch in seiner sehr zuversichtlichen Beurteilung der Angriffsaussichten Heeresarchiv Potsdam, Akte O 463. zum Ausdruck. Es ist nicht wahrscheinlich, daß Seeckt die Auffassung des Erzherzogs so weitgehend geteilt hat. Falkenhayn durfte jedoch nicht verkennen, daß die Gesamtoperation ein ungewöhnliches Maß von Kühnheit voraussetzte, bei dem erhebliche Schwächemomente an anderen Stellen hingenommen werden mußten, die nicht in Falkenhayns Bereich lagen.
Die Schwierigkeiten mit Falkenhayn beschäftigten Seeckt allmählich so, daß er davon schreibt, allerdings mit der ihm eigenen, vornehm-zurückhaltenden Objektivität: »d. 19. Oktober 1916. Bis in die Nacht Telephon mit Pleß. Es ist eine hochinteressante Situation mit einer Reihe spannender Entschlüsse. Heute greift Mackensen wieder an; der Ausgang ist auch für uns wichtig. F. ist kein ganz leicht zu behandelnder Untergebener, was ich mir gedacht hatte; aber es geht bisher. Allzu wohlwollend ist die Stimmung gegen ihn natürlich oben auch nicht und ich versuche zu vermitteln Das klingt so, als ob Seeckt noch am 19. die Zustimmung der O.K.L. zu Falkenhayns Szurduk-Plänen nicht gewußt hat. Gewiß keine einfache Lage für ihn.; denn ›endlich und schließlich‹, wie mein Erzherzog immer sagt, ›verdanken wir ihm doch diesen schnellen Erfolg in Siebenbürgen …‹«
Seeckt ist in diesen Tagen ernst gestimmt. Es mag sein, daß der Ärger über das Ausbleiben der Post, das er ja immer übelnahm, das sich aber durch den Quartierwechsel schwer vermeiden ließ, mitgewirkt hat. Sein Brief vom 16.10. an Landesdirektor v. Winterfeldt-Menkin klingt ernst: »... Ihr Brief schlug einige unharmonische Töne an, indem er die Stimmung in recht maßgebenden Kreisen als sehr gedrückt schildert. Die Gründe zu dieser Gemütsverfassung sind zu einleuchtend, um nicht als sehr begreiflich, wenn auch nicht als berechtigt anerkannt zu werden. Immer wieder muß versucht werden, klarzustellen, daß wir politisch einen Verteidigungskrieg führen und daß sich dieser Grundlage die militärischen Maßnahmen anpassen, auch wenn sie selbst die Angriffsform tragen. Zu dieser Verteidigung drängte uns mit Gewalt die diplomatische Ausgangslage. Die Leitung unserer Politik hatte es verstanden, uns an einen Bundesgenossen zu binden, auf dessen innere Stärkung Einfluß zu nehmen wir verzichteten, uns in offenen Gegensatz gegen alle anderen Großmächte zu bringen oder uns in ihm zu erhalten und in allen kleineren Staaten die Überzeugung zu erwecken, daß ihre Interessen auf der Seite unserer Gegner liegen. Daß nur die Türkei und Bulgarien anders wählten, lag an bekannten und nicht bekannten Einflüssen und Erwägungen an beiden Stellen. Der Vergleich mit dem Siebenjährigen Krieg drängt sich auf, der mit 1870/71 ist hinfällig. Vielleicht wird die Ähnlichkeit mit dem ersten sich noch viel tatsächlicher entwickeln, als es bisher geschehen ist …
Über meine neue militärische Verwendung fanden Sie sehr gütige Worte. Zunächst mußte es mir genügen, zu großem Unheil zu steuern.
Die schöne Bukowina war verloren, als ich kam, und nun hieß es vor allem Ungarn decken, was ich der Sache wegen gern tat. Aber es war nicht leicht, in ganz verfahrene Verhältnisse etwas Halt zu bringen; mein Weg war nicht mit Lorbeeren bedeckt.
Mit wenig auskommen, das ist hier draußen vielfach die Parole; bei dem allseitigen Bedarf für jeden begreiflich. Wir werden den Sturm schon überstehen und hier oder dort etwas zerzaust dann zu frischen eigenen Taten schreiten …«
Der 19. 10. bringt eine etwas unvorhergesehene Wendung. An der Lage hat sich nicht viel verändert. An einzelnen Stellen Erfolge, an einzelnen Stellen Rückschläge und die Erwartung, wie sich Mackensens Angriffe auswirken werden. Da reicht der Erzherzog selbst unmittelbar an Conrad einen Lagenbericht ein. Es ist das zweitemal, daß er sich in operativen Angelegenheiten, offenbar ohne Wissen Seeckts, dorthin wendet. In seiner Beurteilung schließt sich der Erzherzog hinsichtlich der Angriffsstelle völlig Falkenhayns Ansicht an. Es bleibe nur eine erfolgversprechende »Hoffnung der Offensive am Szurduk-Paß. Offensives Verhalten der 1. Armee habe nur Zweck bei Erfolgen der 9. Armee. Diese wiederum könne sich nur die Pässe öffnen.« Das ist allerdings ein Widerspruch zu der bisherigen Auffassung. Es ist nicht festzustellen, ob Seeckt hinter dieser Beurteilung stand oder nicht. Es ist aber nicht anzunehmen. Wenn das Heeresfrontkommando bisher anders gehandelt hatte, so lag das einerseits am Verhalten des Gegners vor der 1. Armee, andererseits an den Weisungen der O.K.L. Tatsächlich hat sich Conrad auch in diesem Augenblick nicht der vom Erzherzog geäußerten Auffassung angeschlossen. Auch die deutsche O.K.L. teilte ja Falkenhayns Ansicht nicht in vollem Umfange. Seeckt bleibt also zwischen zwei Feuern. Er versucht aber, was ihm zu großem Verdienst anzurechnen ist, den verschiedenen Auffassungen nach Möglichkeit gerecht zu werden Heeresarchiv Potsdam, Akte 55 und O 469.. Daß er das geschickt gemacht hat, geht daraus hervor, daß Ludendorff mit seinen Vorschlägen einverstanden ist. Falkenhayn glaubt, gegen Seeckt seine Ansicht durch seine Maßnahmen bei der O.H.L. Der österreichischen. durchsetzen zu müssen. »Fabrizierter Agentennachricht« Falkenhayn, Feldzug 9. Armee. über die Lage vor der 1. Armee, auf die das Heeresfrontkommando hereingefallen sei, glaube er nicht. In Wirklichkeit stammte diese Nachricht von der O.H.L.
Seeckt setzte die Haupthoffnung, den Angriff im großen wieder vorzureißen, zunächst auf das Eingreifen Mackensens, womit er schließlich recht behalten hat. Er schreibt daher am 22. 10. 1916 an den König von Bulgarien:
»... Der Erfolg in der Dobrudscha wird weiter glückliche Folgen haben. Es ist mir nicht leicht, nicht mit dabei zu sein, wenn die Mack.-Armee sich nun mit versammelter Kraft auf Rumänien werfen wird, um die Zusammenarbeit mit uns herbeizuführen. Dann sehe ich die Erfüllung meiner alten Hoffnung heranreifen, den Stoß unserer vereinten Kräfte in die tiefe Südflanke der russischen Front. Quod dei bene vertant! Verzeihen E.M. gnädig dem unermüdlichen militärischen Projektemacher diese Zukunftsträume. Mein Zusammentreffen mit Ex. v. Fk. war, wie E.M. bemerkten, an sich eigenartig; doch ist dieser kluge und ganze Soldat jeder Lage gewachsen. Ich war schon zweimal bei ihm in Brasso und möchte nicht verschweigen, daß, wenn am Abend unser Gespräch die Welt et quibusdam aliis streifte, wir beide in dankbarer Verehrung E.M. gedachten, ohne dessen weise Entschließungen wir nicht dort stünden, wo wir heute stehen … Wie ein Blitz fuhr gestern die Nachricht von der Ermordung des Grafen Stürgkh in den hiesigen Kreis. Graf Berchtold erbleichte und sah sich schon als nächstes Opfer unter den prominenten Staatsmännern der Monarchie …«
An Frau v. Seeckt:
»D. 22. Oktober 1916 … Gestern erregte hier die Ermordung des Grafen Stürgkh große Bestürzung; ein Fall des sonst schon ausgestorbenen politischen Attentatswahnsinns, der in der Person die Sache zu treffen denkt. Eine völlig unaufreizende Persönlichkeit, der Graf St., kaum das; und durch jeden Dutzendmenschen zu ersetzen. Bei uns wegen seiner Bedeutungslosigkeit ein Hemmnis, auch vielfach für unsere Interessen, nur für Tiszâ, in dessen Händen er war, schwer zu ersetzen. Bleicher Schrecken hatte den Grf. Berchtold ergriffen, der mich heute morgen mit gläsernen Augen anstarrte, als ich sagte: ›Ja, hervortretende politische Persönlichkeiten müssen darauf gefaßt sein; die Öffentlichkeit ist ihr Schlachtfeld.‹ Es war nicht hübsch von mir, aber seine Haltung reizte mich.
Daß der junge Erzherzog etwas erschüttert war, ist kein Wunder; er schüttelte sich vor allen den Lasten und Gefahren seines zukünftigen Amtes, es geht so gar nicht nach dem alten Wahlspruch der Habsburger, den schon Friedrich der zärtlichen Kaiserin-Königin verdarb: Bella gerant alii, tu felix Austria nube! Winterfeldt kann Dir die totesten Sprachen übersetzen.«
Am 20. 10. war die 3. Armee aus der Heeresfront ausgeschieden. Es war eine fühlbare Einbuße an Befehlsraum für den Thronfolger. Freilich hatte er sie selbst beantragt, denn sie entsprach sicher der Lage.
Am 23. 10. beginnt Kneußl den Angriff am Szurduk-Paß und nimmt den Vulkan-Paß. Erfolge sind auch am Rotenturm-Paß zu verzeichnen. Die Predeal-Paßhöhe wird genommen. Mackensen gewinnt Constanza. Die Lage beim Russen ist eindeutig so, daß man die Brussilow-Offensive als beendet ansehen kann. Der Schwerpunkt der russischen Kriegführung ist an die rumänische Front verlegt.
Das Heeresfrontkommando geht am 24. nach Klausenburg.
Seeckt schreibt aus dem neuen Quartier:
»Kolosvar, den 24. Oktober 1916. In der Nacht sind wir übergesiedelt … Die Stadt ist ganz hübsch, rein ungarisch geworden; viele Stadthäuser der Adelsfamilien geben ihr einen anständigen Charakter, neben den alten Universitäts- und bischöflichen Gebäuden. Von dem alten deutschen Klausenburg ist außer einer gothischen Kirche, die ich mir ansehen werde, nicht viel übrig. Es herrschen die Bethlen, Banffy, Fekite und wie sie heißen und heute nachmittag kommen werden. Den großen Empfang habe ich verhindert; es ist ein militärischer Vorgang, kein Volksfest, solche Quartierverlegung.
D. 25. Oktober … In dem jüngsten Brief schreibst Du von einer kleinen Gesellschaft, mit etwas müden Männern. Es gehört etwas dazu, nicht müde zu werden in dieser Zeit; aber wir dürfen es nicht, wir haben keine Zeit dazu, wie unser alter Herr sagte …
Die Bande setzt mich hier heraus; ich muß umziehen in eine Villa gegenüber, Gräser kam gestern nach, erklärte alles, was wir eingerichtet, für unpraktisch, alles für zu eng, ich hätte es drüben besser. R. T. sperrte Mund und Augen auf, wie er mit mir umging, und ich ziehe gehorsam um. Man hat es nicht leicht!!
Chef bei Falkenhayn ist ein Oberst …; Ich möchte nicht Chef bei F. sein. Wir stehen uns in unserem jetzigen Verhältnis sehr gut Das ist wohl vornehm gesprochen. Eine Woche später mag auch Seeckt vorsichtiger geurteilt haben., obwohl er mir etwas zu viel diplomatisierte Seeckt wußte ganz genau, was er damit andeutete. In diesem Verhalten Fk.s liegt der wirkliche Grund zur Entfremdung. Auf Erzherzog Karl kann das »Diplomatisieren« Eindruck gemacht haben; auf Seeckt eben nicht. bei der Operation.
Mackensen nach wie vor sehr schön im Vorwärtskommen. Wir mehr schrittweise, aber auch heimlich ganz schön.
Hier ist schwer etwas Eßbares zu kaufen. In Österreich steht es bei der versagenden Organisation damit übel. Totschießen von Ministerpräsidenten ändert daran nichts; essen kann man sie nicht …
26. Oktober 1916 … Heute nichts Besonderes. Nur daß die Erzherzogin Zita überraschend ankam, »um Spitäler zu besuchen« – auf allerhöchsten Befehl. Der Erzherzog holte sie gleich herein, als ich zum Vortrag kam; eine allerliebste, zierliche kleine Person mit dunklen Augen im ganz blassen Gesicht. Ihre vier Babys sieht man ihr nicht an. Ganz einfach und sehr gut angezogen …
D. 27. Oktober … Gestern war ein alter Kavallerie-General bei mir, der für einen Mordskerl gilt – Pagay Schauspieler am Residenztheater in Berlin. hätte ihn gut gegeben s. Z. … Wie von der Bühne … Das gelegentliche Totgeschossenwerden paßt auch dazu – Maske. In Wien soll man sich sehr über den Fall Stürgkh ärgern; das erstemal, daß er ihnen Unbequemlichkeiten machte, war sein Ende. Er war so der Typ des Fortwurstelns, und nun soll man über den Nachfolger nachdenken – das ist aber so störend und langweilig. Daß er im Gasthaus erschossen wurde, ist schon so charakteristisch, und ein Kellner den Mörder ergreift, auch Theater!
Nun soll die Polenfrage Das von Seeckt mehrfach erwähnte Polenmanifest machte nach einer Meldung v. Haeftens der Entente doch »schwere Sorge«; Heeresarchiv Potsdam, Akte P 355. endlich in Ordnung sein, was man so nennt. Große Sitzung in Pleß: Reichskanzler und Gefolge. Burian und die Dioskuren H. und L. Wir werden die nächsten Folgen sehen; ich warte auf das Manifest.
Adieu, liebes Katz – ich will lieber aufhören, ich werde sonst am Ende noch unfreundlich – aber nicht gegen Katz. In der Times sucht heute jemand einen anderen, der sein cat liebevoll übernehmen wolle, er müsse an Bord. Das ist noch eine hübsche Zeitung …
D. 29. Oktober … Die Lage vergehen mit dem gewöhnlichen Kram; man ist schon so blasiert gegenüber den täglichen kleinen Sorgen, die eigentlich große sind, und dem stets gleich kleinen Ärger. Die Stadt ist langweilig und das laue Wetter auch – und erst die Menschen! Keiner ist einer. Ich bin heute nicht gut gestimmt – verzeih …
Auch draußen ist nicht viel, worüber sich zu ›dischkuriere‹ verlohnte, ich lese kaum noch Zeitungen; es steht doch immer das gleiche darin. Ich wollte der Krieg wäre zu Ende, ich brauchte keine Erzherzöge zu sehen und säße mit Dir im Schwarzwald.
D. 30. Oktober. Du bist doch die Allerbeste, und das ist das reinste Wunder, daß Du immer noch Geduld mit mir hast. Zwei so liebe Briefe kamen gestern abend, und da wurde ich wieder etwas besserer Laune; ich weiß wohl, daß ich ärgerlich geschrieben habe. Es ist aber auch nicht immer ganz einfach. Heute ist alles besser, sogar das Wetter.
X. kommt etwa am 5. nach Berlin zu einem kurzen Kommando, und natürlich muß ich ihm dazu einige Tage Urlaub geben – ›wegen der Fruchtbarkeit‹, wie eine Landsturmfrau an uns vor einiger Zeit schrieb … Wir gehen übrigens am 5. weiter nach Schaeßburg, einem hübschen deutschen Städtchen …«
Um die Wende vom Oktober zum November wird die Wiederaufnahme der Offensive vorbereitet. Hierbei muß die Schwerpunktsfrage nun endlich zur Entscheidung kommen.
Als am 28. 10. die O.K.L. zwei neu zugeführte Divisionen im Sinne Falkenhayns am Szurduk-Paß ansetzen wollte, begann das Telegramm an Seeckt Heeresarchiv Potsdam, Akte O 469. mit folgenden Worten: »Ein Einsatz der beiden Divisionen erscheint mir zwar aus strategischen Gründen von Kronstadt zweckmäßig, andererseits sind die Geländeschwierigkeiten dort wie am Rotenturm-Paß so erheblich, daß die Gewähr zu einem schnellen Erfolge nicht besteht.«
Eine bessere Rechtfertigung für Seeckt gibt es eigentlich nicht. Man hat so oft im Kriege vermissen zu müssen geglaubt, daß nach strategischen Gesichtspunkten gehandelt worden wäre. Hier bezeugt die eigene O.H.L., daß Seeckt strategisch richtig zu handeln gewillt war. Mehr kann man eigentlich nicht verlangen.
Wenn Falkenhayn seinen Gedanken durchgesetzt hat, so verdient das wegen der Willensstärke, mit der er einen einmal gefaßten Entschluß zum Ziele führte, Bewunderung. Es handelt sich aber hier nicht darum, festzustellen, welcher Entschluß richtig ist, sondern lediglich darum, zu erkennen, welche Rolle Seeckt dabei zufällt.
Seeckt vertritt offenbar den Offensivgedanken operativ in betonter Reinheit. Ludendorff telegraphiert Heeresarchiv Potsdam, Akte 55., die Heeresfront müsse dem Angriff im Gebirge standhalten, »wie er das nördlich der Karpaten von den deutschen Truppen in der Ebene unter ungleich ungünstigeren Bedingungen verlangen müsse«. Hierauf antwortet Seeckt Heeresarchiv Potsdam, Akte 55., auch er halte die 1. Armee »zweifellos für ausreichend stark, sogar für zu stark«, womit selbstverständlich Ludendorff sofort einverstanden ist. In dem Bestreben, alle verfügbaren Kräfte in den Angriff hineinzubringen, trafen sich beide sofort.
Das Ergebnis ist nun so: Beide O.H.Leitungen stimmen mit Seeckt in der Stoßrichtung an sich überein. Die deutsche O.H.L. weicht aber aus Geländegründen von diesem Grundgedanken zugunsten Falkenhayns ab. Conrad entfernt sich vom Grundgedanken wegen der Nähe der Russen. Seeckt hat anscheinend innerlich beide Gegengründe nicht anerkannt. Dies um so weniger, als seine Erfahrungen von 1915 eine Rolle gespielt haben mögen. Er hatte es erlebt, daß sich der Gegner immer wieder an den Abschnitten setzen konnte. Solche standen den Rumänen bei einer Westoperation ausgiebig zur Verfügung. Auf einen Kampf, sich gegen Falkenhayn oder die O.H.L. durchzusetzen, hat Seeckt es nicht ankommen lassen. Die Heeresfront schlägt vor, die eine heranrollende Division nach Hermannstadt, die andere nach Kronstadt heranzuführen. Die Heeresfront ist also auch jetzt noch nicht für den Szurduk-Paß. Ein Verhalten, das Falkenhayn selbst nach dem Kriege noch scharf getadelt hat. Die O.K.L. entscheidet, wie erwähnt, am 28.: beide Divisionen Szurduk-Paß. Seeckt hat am 29. den Versuch einer Gegenwehr gemacht. Inzwischen war nämlich die Lage in keiner Weise dadurch erleichtert, daß ein schwerer Rückschlag bei Kneußl am Szurduk-Paß eintrat Wenn Falkenhayn dafür ebenfalls das Heeresfrontkommando verantwortlich macht, so ist das kaum zu verstehen. Die Kräfteverschiebung, die hierbei Falkenhayn als vom Heeresfrontkommando veranlaßt ansieht, war überhaupt vor Seeckts Ankunft veranlaßt. Falkenhayn sah aber nicht die geringste Gefahr für die 1. Armee. Ein Vorgehen des Feindes gegen diese Armee habe höchstens die Wahl des Quartiers des Heeresfrontkommandos beeinflussen können. Aus solchen Worten spricht wohl mehr Gereiztheit, als nötig gewesen wäre. Falkenhayn übersah im absoluten Gegensatz zu beiden O.H.-Leitungen, daß ein starker Rückschlag bei der 1. Armee die galizische Front in Mitleidenschaft gezogen, eine der drei nach Kronstadt führenden Eisenbahnen gefährdet hätte und nebenbei von schweren politischen Folgen gewesen wäre. Man muß zugeben, daß Falkenhayn hier einseitig eine Sache und nicht das Ganze sah. Dazu war er in seiner Stellung ja auch nicht verpflichtet. Nur, daß Seeckt ihm gegenüber früher größer gehandelt hatte..
Der Rückschlag bei Kneußl ist so, daß das Heeresfrontkommando bei Falkenhayn anfragt Heeresarchiv Potsdam, Akte 55.: »E.E. verantwortlicher Beurteilung muß es in erster Linie überlassen bleiben, ob nicht andere Entschlüsse zu fassen seien.« Falkenhayn antwortet Heeresarchiv Potsdam, Akte 55, daß er an seinen Absichten festhalte. Er meldet dies auch der O.K.L. Heeresarchiv Potsdam, Akte O 463.. Diese vermerkt lediglich: »z.d.A.«. Falkenhayn hat später behauptet v. Falkenhayn, S. 35. Fk.s Buch ist mehrfach von einer Schärfe, daß es schwer ist, einen Grund dafür einzusehen., das Heeresfrontkommando habe ihn durch diese Anfrage wankend machen wollen. Von anderer Seite v. Zwehl, S. 245. ist ebenfalls bemängelt worden, »man dürfe einen vor einem gewagten Entschluß stehenden Führer nicht durch allgemeine Redewendungen schwankend machen«. Wollte das Heeresfrontkommando etwas anderes, so hätte es befehlen sollen. Seeckt ist darin mißverstanden worden. Er konnte gar nicht befehlen, wenn die O.K.L. nicht befahl. Er wollte eine Unterlage von Falkenhayn haben, um vielleicht doch noch den Versuch zu machen, seine Absicht durchzusetzen. Es ist ihm das nicht gelungen. Falkenhayn hat sich durchgesetzt und das spricht für sein Können. Es beweist aber noch keineswegs, daß an sich Seeckt im Unrecht war.
Es trifft nicht zu, wenn Falkenhayn meint, das Heeresfrontkommando habe seinen Plan, mit 1. Armee anzugreifen, erst fallen lassen, als er Schmettow vom Oitoz zum Szurduk-Paß gezogen habe. Das Schmettow ablösende Generalkommando Kühne war vom Heeresfrontkommando mit offensivem Auftrag, und zwar auf Ludendorffs Veranlassung eingesetzt v. Falkenhayn, S. 23, 25 und 36.. Falkenhayn hat ferner v. Falkenhayn, S. 39. einen Befehl vom 3. 11. als das Muster eines Befehls bezeichnet, wie er einem selbständigen Führer nicht erteilt werden dürfe. General v. Zwehl v. Zwehl, S. 246, 247. unterstreicht Falkenhayns Kritik und bezeichnet den Befehl als »Stilübungen untergeordneter Gehilfen«. Der Vorwurf richtet sich unmittelbar gegen Seeckt Der Befehl stammt von Seeckts Hand; Heeresarchiv Wien.. Veranlaßt war der Befehl durch Falkenhayns Meldung, die Operation am Szurduk-Paß könne nicht vor dem 7. 11. beginnen. Tatsächlich begann sie später. Die Heeresfront war anderer Ansicht. Sie forderte in dem Befehl baldige Entscheidung und ging dann allerdings stark auf Einzelheiten ein. Man kann ruhig zugeben, daß Seeckt bei der Abfassung dieses Befehls eine unglückliche Hand hatte. Die Spannung wirkte sich aus und so, wie der Befehl heraus ging, hatte er seine Fehler. Das begründete aber noch nicht einen ausgesprochenen Wutausbruch bei Falkenhayn. Seeckt muß diese Wut geahnt haben. Um die Lage wiederderherzustellen, fährt der Erzherzog zu Falkenhayn am 4. 11. hin. Seeckt hat ihn nicht begleitet. Er hat anscheinend vorausgesehen, was kommen würde. Der Erzherzog und Falkenhayn geraten hart aneinander. Der Erzherzog hat vermutlich darauf hingewiesen, daß er seine Weisungen von vorgesetzter Dienststelle habe. Er hatte am Tage zuvor Erzherzog Friedrich gesprochen. Vermutlich ist nun in diesem Zusammenhange jene scharfe Antwort gefallen: »Was fällt Euer Kaiserlichen Hoheit ein! Ich bin ein erfahrener preussischer General Der Wortlaut nach Zwehl, S. 158. Falkenhayn, S. 40, nennt seine eigene Antwort nur nicht sehr zuvorkommend..« Wenn Falkenhayn die Antwort des Heeresfrontkommandos auf seinen Einspruch als »nichtssagende Duplik« bezeichnet, so stimmt das auch nicht ganz. Die Heeresfront erklärt klar: »Der Auftrag bleibt bestehen.« Allerdings mußte man im Datum nachgeben, womit eben bewiesen war, daß der Befehl seine Schwächen gehabt hatte. Es gab eine solche Fülle von täglichen Reibungen, daß die Gereiztheit Falkenhayns und die Schwierigkeit der Situation für Seeckt gleichermaßen unverkennbar ist.
Die Szurduk-Offensive Falkenhayns hat Erfolg gehabt. Das macht Falkenhayn alle Ehre. Aber es beweist rein gar nichts gegen die Auffassung Seeckts. Was geschehen wäre, wenn er seinen Willen durchgesetzt hätte, das läßt sich theoretisch nicht sagen. Es bleibt die Tatsache, daß er hier wie sein ganzes Leben lang selbst in den schwersten Entscheidungen niemals aus dem Banne innerer Disziplin heraus tritt. Man könnte sagen, so abhängig dürfe Seeckt nicht von der vorgesetzten Dienststelle sein. Das hing nicht von ihm ab. Die O.K.L. griff in den Einsatz einzelner Divisionen, Brigaden, gelegentlich sogar von Regimentern ein.
Dies wiederum ist erklärlich, weil die Mittelmächte, insbesondere Deutschland, im Kampf gegen eine Übermacht standen. Man hatte ständig Aufgaben mit unzulänglichen Mitteln zu lösen. Seeckt hatte den Krieg des armen Mannes wirklich kennengelernt. Falkenhayn hat in seiner späteren Kritik das anscheinend vergessen. Es dürfte seine eigene Rechtfertigung für manche seiner Handlungen gewesen sein, daß man nicht immer die besten, sondern die möglichen Entschlüsse fassen müsse.
Es ist erstaunlich, wie leicht Seeckt in persönlich ziemlich unerquicklichen Lagen die Nerven entspannen und seine Gedanken ablenken kann:
»D. 31. Oktober 1916 … Ich bin ziemlich lesehungrig. Jetzt stöberte ich in alten bekannten französischen Romanen herum, die in meinem Wohnzimmer stehen. Das eine Buch, das Du mir geschickt hast, besitzt für mich den Hauptvorzug, daß man deutlich sieht an Eierflecken usw., daß Du es beim Frühstück gelesen hast. Sonst finde ich es nicht so sehr hübsch … Du sollst nicht glauben, daß mich jedes neue, möglichst verrückte Buch gleich entzückt … Mein Geschmack ist einfach … Die Erzherzogin Zita ist noch bis zum 4. November hier, d. h. meist mit ihm unterwegs unter allerhand Vorwänden und Gründen, was sehr bequem. Wenn sie hier ist, so essen sie auch allein, was sehr angenehm … Sie ist tatsächlich fast den ganzen Tag in den Lazaretten und soll da sehr gut sein …
D. 1. November … Gestern bei Tisch behandelte ich die Frage, ob nicht zur Hebung der Fleischnot in Österreich alle hinter der Front und bei den höheren Stäben sitzenden Nichtstuer der Armee geschlachtet werden könnten. Einige erbleichten. Ich behandelte die Frage dann à la Muck Pappenheim, welche ihre Bekannten immer danach einteilte, was für Nutzen sie als Eßwaren gewähren würden Von der Gräfin Marie Pappenheim stammte der im Freundeskreis bejubelte Ausdruck: Von der und der machen wir Wurst; der und der gibt einen kräftigen Braten; usw., usw. Von der Dodo, Frau v. Seeckt, machen wir lauter gute Sachen und leben acht Tage von ihr., und beleidigte den Grafen Berchtold, als ich ihn nur noch als Knochenbeilage gelten ließ … Berchtold schleppte mich eben in ein Stickereigeschäft, ich entschloß mich aber zu nichts … Ich kenne Deine Abneigung vor dergleichen … Ich habe ja auch kein Landhaus in Mähren, wo es ohne Zweifel in ein Fremdenzimmer kommt. Solltest Du anderer Ansicht sein, so schreibe es. Sonst ist hier gar nichts Hübsches aufzutreiben, man müßte dann schon ein paar Menschen auf der Straße ausziehen, man sieht ganz malerische Kostüme oder besser Trachten. Abgesehen von dem Umstand, daß sie es sich vielleicht nicht gefallen ließen, wäre auch der Besitz einiger Mittierchen zu berechnen …
D. 4. November … Ich halte die Abgabe von Schmuck für ziemlich bedeutungslos und übertrieben. Der Vergleich mit 1813 ist ganz unsinnig, und dieses ewige »auf die Stimmung Wirken« ist schlimmer als alles andere. Essen kann man doch alte Ringe und Familienschmuck nicht, und nicht einmal Essen kaufen für ihren Wert. Und auf Essenbeschaffung kommt es doch vornehmlich an … Im Reichstag ist es hübsch, Debatten, die an die Zaberner Zeit erinnern. Nun hat mich aber heute die Nachricht in der östr. Zeitung erschreckt, daß bei uns alle Bekleidungsgegenstände nur gegen Bezugschein zu haben, daß also Herr Lewinsohn oder Fräulein Abraham, die am Schalter im Rathaus oder sonstwo sitzen, beurteilen, ob Du ein neues Kleid oder ein Hemd gebrauchst … Sie haben mir unter der Firma eines sogenannten Verbindungsoffiziers der O.H.L. einen Oberstleutnant von St. Seeckt hatte also schwerlich die Vermutung, daß Oberstlt. von Stoltzenberg als sein Nachfolger gedacht war. geschickt, ein Zukunftsmann, von dem erwartet wird, daß er später Österreich statt in Habsburgischen in Ludendorffschen Traditionen erzieht. Viel Glück! Er hat die wildesten Ideen für Völkerbeglückung …«
Günstig war die Entwicklung der Lage bei der 1. Armee inzwischen auch nicht gerade. Falkenhayn konnte das verhältnismäßig gleichgültig bleiben. Das Heeresfrontkommando mußte sich Sorgen darüber machen. Stoltzenberg berichtet, die 1. Armee bedürfe deutscher Korsettstangen Heeresarchiv Potsdam, Akte O 470..
Will man alle Schwierigkeiten, die Seeckt Sorge machen mußten, ausreichend würdigen, so muß man die Tatsache berücksichtigen, daß Anfang November ernste Berichte über die Lage in der Doppelmonarchie kamen. Sie gingen an die O.K.L. Ob Seeckt die Berichte gekannt hat, ist fraglich. Die Voraussetzungen dieser Berichte waren ihm aber keinesfalls unbekannt. In einem solchen Bericht vom 2. November stand »Die Österreicher … werden … infolge ihres Wirtschaftslebens in höchstens zwei bis drei Monaten überhaupt nicht mehr mittun. Diesen Eindruck gewann ich beim Zusammensein mit Angehörigen der Wiener Großfinanz … In Ungarn … gewinnen die freundschaftlichen Beziehungen zu Deutschland mehr und mehr Boden, und man möchte am liebsten über den Kopf Österreichs hinweg in allerengste Beziehungen zu Deutschland treten.« Freilich lief fast zur gleichen Zeit der Bericht einer militärischen Dienststelle ein, der bei allem Ernst der Lage nicht ganz so pessimistisch klang Heeresarchiv Potsdam, Akte P 393: »Die Lebensmittelfrage ist immer noch nicht befriedigend gelöst … In Wien nahm man die Ermordung des Grafen Stürgkh mit großem Gleichmut hin. Stürgkh hatte gerade in letzter Zeit durch einen vielbesprochenen Vorfall noch manche Sympathien verscherzt: Eine Deputation, die bei ihm anfragte, was er dem steigenden Mangel an Brotgetreide gegenüber zu tun gedenken wolle, habe er rundweg abgewiesen mit den Worten, es läge kein Grund zur Beunruhigung vor. Trotz allem ist die allgemeine Stimmung in Österreich eher besser geworden. Der Österreicher läßt eben allmählich alles mit Gleichmut über sich ergehen.« Man kann, weil Österreich ja noch fast zwei Jahre ausgehalten hat, nicht sagen, daß hier mit Übertreibungen gearbeitet worden sei. Die Lebensmittellage war tatsächlich so ernst, daß Kaiser Karl von seinem Regierungsbeginn an eindringlich gedrängt hat, Frieden zu machen.
Die ersten Briefe aus Schaeßburg:
»Schäßburg (Segesvár), den 5. November 1916 … Erst gerade angekommen und noch ist Ruhe, bis die Drahtverbindungen nach allen Seiten wieder spielen. Eine entzückende kleine Stadt! Umgeben von Bergen, auf deren einem die ›Burg‹ steht, die alten Gebäude, wie Kirchen, Schulen, Spitäler, Rathaus und Räucherkammern. Herrliche Sonne und frische kalte Luft … Soweit sieht alles ganz hübsch aus und die Umgebung tut wohl. Vielleicht bleiben wir hier etwas länger; doch wer kann das wissen! … Eben machte ich einen kleinen Spaziergang auf den Burgberg, reizende Ausblicke, ein alter deutscher Kirchhof und unwahrscheinlich kleine Häuserchen, wie aus einer ganz fernen Zeit. Ein merkwürdiges Stück Deutschtum, das sich hier festgesetzt und erhalten hat. Heute als am Sonntag viele Bauern auf den Straßen, meist Szekler, das heißt Ungarn, auch wohl einige Rumänen dazwischen, ärmlich. Die Deutschen sind meist geflüchtet, wie auch ein großer Teil der Stadtbewohner. Die Rumänen waren bis dicht an die Stadt gekommen, aber nicht hinein … Was sagst Du zu dem Polenmanifest? Alle Schwierigkeiten sind umgangen und äußerlich unentschieden gelassen. Wann kommt nun wohl der erste Ruf nach dem Anschluß des preußischen Posens? Daß er kommt und bald so stark wird, daß sehr ernste Folgen entstehen, ist unausbleiblich. Es soll Übereinstimmung bestehen über alle noch offenen Fragen. Zunächst wird nun Aushebung die Folge sein, von der man sich hohe Zahlen verspricht …
D. 6. November … Heute nur kurzen Gruß; es gibt nichts zu berichten … Am Nachmittag ging ich eine Stunde spazieren – ein wundersamer Tag … Die Altstadt oben, eine alte Kirche von 1488, ein altes Gymnasium, Türme und Mauern, – wirklich ein Bild. In der Kirche sehen alte Malereien etwas traurig durch die weißgetünchte evangelische Wand, namentlich ein ganz blasses kleines Madonnenköpfchen ist pikiert über den Graus. Hübsch ist die Kirche innen nicht; aber ein festes Deutschtum hat sich hier erhalten, das sicherlich seinen Halt im protestantischen Ernst gefunden hat.
Morgen kommt nun der Bayernkönig …
D. 7. November … Also habt Ihr dort ebenso schöne Herbsttage wie hier, persönlich kann man sie ja immer gebrauchen, und es tut gut, sich besonnen zu lassen. Und das wollen und werden wir auch wieder tun lassen, meine Geliebte, zusammen auf Reisen oder in dem Schwarzwaldbauernhof – ganz sicher! Und ich freue mich darauf; nur in dem neuen Polen wird es nicht sein. Kann nicht Frau von … dort etwas werden? Maîtresse en titre – ist doch wohl zu spät und bei den beiden Thronkandidaten … auch wohl kaum nach ihrem Geschmack! Ich erzählte Dir doch den Erzherzoglichen Witz über diese beiden: Die Sicherheit, daß die Dynastie nicht erblich!
Heute früh – sehr früh – kam der Bayernkönig. Recht alt geworden, wozu er mit 72 Jahren ja ein Recht hat, sehr freundlich. Er ging in der Stadt spazieren und ist jetzt auf ein Dorf gefahren, mit hübscher Kirche und sehr treuer Bevölkerung. Ich soll noch allein zu ihm kommen; er will mich eine halbe Stunde unter vier Augen sprechen. Bei Tisch saß ich neben ihm, er aß und trank und rauchte, daß es eine Freude war … Adieu; ich muß wieder zum König. Wie Du siehst, bin ich recht hoffärtig geworden.
D. 8. November … Du bist ja in eine recht berühmte Gesellschaft hineingeraten, Delbrück, Bötticher, Rath – Anfang der klassischen Walpurgisnacht. ›Wir haben zwei der Augen, zwei der Zähne.‹
Gestern saß ich noch beim alten König von Bayern. Er wollte gern meine Ansicht über Österreich und Polen hören. Über die zweite Frage äußerte ich mich natürlich sehr vorsichtig. Es hat ja jetzt keinen Zweck mehr und nun muß versucht werden, die Suppe auszuessen. Kaum war ich zurück, ließ mich der Erzherzog holen, um zwar nicht über Bayern, wohl aber über Polen zu sprechen. Vorläufig scheint mir niemand zufrieden, vielleicht der Reichskanzler und Genossen. Im übrigen finde ich dieses Fürstengespräch auf die Dauer etwas ermüdend. Der Prinz Heinrich von Bayern ist gestern gefallen; er war ein tapferer Mann und ein sehr guter Bataillonskommandeur. Interessant ist, den Eindruck solcher Nachricht bei meinem jungen Herrn zu beobachten. Zuerst als Hauptsache Meldung an die Militärkanzlei des Kaisers, dann eigenes Kondolenztelegramm, dann Stolz, dann Ärger: Immer die Deutschen! Sie zwingen uns, weiß Gott, noch dazu, daß ein Erzherzog an die Front geht. Des gibts net! Heute ist er pikiert. Gestern gab es bei ihm Krach, und der Graf Hunyady war bei mir, um mich zu bitten, seine Entlassung durchzusetzen. Er ist in keiner politischen Stellung bei ihm, sondern in persönlicher. Ich erklärte ihm, das gebe es nicht; er sei der einzige unabhängige Mann in der Umgebung, der eine Meinung habe, und ich gebrauchte ihn. Das tröstete ihn und vorläufig bleibt er. Dann kam Graf Berchtold und bat mich, ihm eine Audienz beim Erzherzog zu verschaffen; er würde seit drei Tagen nicht vorgelassen. Obersthofmeister und früherer Minister des Auswärtigen, ein Mann von völliger Unabhängigkeit!! Das schlug ich glatt ab; mögen sie das unter sich abmachen.
D. 9. November 1916 … Wieder ein kurzer Gruß, aber wenn ich sage, daß ich früh um sechs mit Auto fortfuhr und um fünf nachmittags wiederkam und eine halbe Stunde dazwischen gestanden und gesprochen habe und dann um Mitternacht wieder mit dem Zug und eingepacktem Auto fort will, um morgen andere Soldaten an anderer Stelle zu sehen, so wirst Du zugeben, daß ich heute nicht sehr viel Zeit habe …
Ich möchte gern auch einmal zu einer von Deinen Kindergesellschaften eingeladen werden, selbst wenn ich Milchersatz trinken soll. Wie Du siehst, hatte ich inzwischen einen Brief, der von Deiner Kindergesellschaft berichtet.
Die Gegend, die ich heute durchfuhr, war ganz wundervoll, an Tirol erinnernd, sogar alte Burgen – aus der Ordenszeit.
›Nun Arbeet‹, und darum Adieu.
D. 11. November … Gestern ein gelungener Tag und lange Zeit im Freien gewesen. Nach guter Bahnfahrt fand ich mich früh in den Grenzbergen. Ich besuchte den General von Krafft, Führer des Alpenkorps, und dann nach kurzer Autofahrt begann mit ihm eine zweistündige Kletterei. Der General ist im Frieden schon ein großer Bergsteiger, er war aber zufrieden mit mir, und Du kannst es auch sein: Herz und Lunge tadellos und so außer jeder Gewohnheit eine ganz gute Leistung. Oben angekommen, zog man den Pelz über die Ohren. Wir saßen im Rücken der Rumänen und schossen lustig in diesen. Was haben unsere Leute wieder geleistet!
Ich konnte nur bis halb ein Uhr dort bleiben – leider; es war zu schön und man fühlte sich als Soldat – dann zwei Stunden im Auto nach Hermannstadt, eine schöne Fahrt. Dort in den Zug, halb neun hier angekommen, Vorträge, Schluß. Ich muß bald wieder nach vorn. Mein Erzherzog war inzwischen Generaloberst geworden. Weltbewegend. Er wird noch Feldmarschall; ob er will oder nicht! Andauernd denkbar herrliches Wetter, wenn heute noch ein Brief von Dir käme, so könnte ich zufrieden sein …«
Der 11.11. war ein bedeutsamer Tag. Falkenhayn begann mit der 9. Armee die erfolgreiche Offensive am Szurduk-Paß. Die Kühnheit des Unternehmens erhellt allein aus den beiden Tatsachen, daß der Übergang Mackensens über die Donau bei Svistov erst am 23. beginnen konnte und daß die Lage bei der 1. Armee nach wie vor keineswegs erfreulich war.
Das andere bedeutsame Ereignis des Tages war die Abreise des Oberbefehlshabers infolge der Erkrankung des Kaisers Franz Joseph.
»D. 11. November … Dem Erzherzog, der gleich auf die Nachricht von der Erkrankung des alten Kaisers nach Wien fährt, gebe ich diesen Gruß mit. Ich werde meinen jungen Herrn wohl kaum hier wieder sehen; selbst wenn es dieses Mal noch einen guten Ausgang nimmt, werden sie ihn nicht wieder fortlassen. So denkt er auch, also ein Abschied. Wie sich dann hier die weitere Lage gestalten wird, ist schwer zu sagen, da die Sache auf seine Person zugeschnitten war. Wundere Dich nicht, wenn ich in irgendeiner Versenkung verschwinde; ich halte das für sehr möglich, denn meine Existenzberechtigung hört hier dann auf. Doch wer weiß, wie es wird – und wir haben ja schon allerlei miteinander erlebt, Du und ich!
Ich muß zum Bahnhof – ich trenne mich wirklich schwer und mit herzlicher Anhänglichkeit von dem jungen Herrn …« Seeckt hat 1918 über Kaiser Karl erheblich weniger günstig geurteilt, und zwar von dem Zeitpunkt an, als Kaiser Karl, antideutschem Einfluß nachgebend, gegen die eben mühsam hergestellte Einheitlichkeit des Oberbefehls anging.
General v. Seeckt v. Werkman war allein ohne Begleitung an den Zug gekommen. Wie aus Erz gemeißelt stand die auch sonst wenig bewegte Gestalt des preußischen Generals da. Er wollte sich abmelden und fand Worte, die von Herzen kamen und das Herz fanden.
Wenn Seeckt in seinem Briefe von einem Verschwinden sprach, so könnte es auffallen, daß er tags zuvor seinen Generalstabsoffizier Dunst zu Mackensen geschickt hat. Allerdings war dies auch in der Lage begründet.
Am Morgen nach der Abreise des Erzherzogs schreibt Seeckt:
»D. 12. November … Es war ein beweglicher Abschied gestern abend auf dem dunklen Bahnhof. Es wurde mir so schwer, ihn allein in die Nacht und sein dunkles Schicksal hineinfahren zu lassen – so jung und so allein – nichts als Lakaien um sich, nichts als steife Diener vor sich. Niemand, der ihm die Wahrheit sagt. Ich konnte ihm noch allerlei Tröstliches und Stärkendes sagen, und er war dankbar. Heute sind die Nachrichten besser, nachdem sie gestern abend mit abnehmendem Puls und sinkenden Kräften beunruhigend waren.
Ich denke, der Erzherzog kommt nicht wieder zurück, auch wenn es dieses Mal gut ausgeht. Er wird jetzt wohl in der Nähe bleiben müssen und wollen, doch ist natürlich alles ungewiß und unbestimmt …
Du fragst nach Polen. Es soll über den zukünftigen König noch nicht entschieden sein. Prinz Leopold von Bayern, der jetzige ›Ober-Ost‹, wird genannt. Als österreichischer Schwiegersohn dort auch wohl genehm. Enttäuscht soll der Erzherzog Karl Stefan sein, der aber als schon jetzt zu polnisch von uns abgelehnt sein soll. Das sind aber alles Gerüchte. Bemerkenswert ist es, wie der doch ausschlaggebende große Adel sich zurückhält, die – ja auch nur verklausulierte – Zustimmung von polnischer Seite kommt von der sogenannten Intelligenz, dem gehobenen Bürgertum, also aus dem Kreis, der allein zu gewinnen hat; denn dem Adel ging es in Rußland sehr gut, dem Bauer ist es ganz gleich. Ob man von dem jetzt Bereitwilligkeit zum Eintritt in das Heer erwartet – und ohne ihn wird das doch nichts – ist mir unklar. Ich hatte an eine allgemeine Aushebung gedacht; man scheint aber für diese Maßregel nicht den Mut gefunden zu haben. Jedenfalls ist man zunächst den österreichischen Wünschen sehr weit entgegengekommen. Das Ganze ist noch etwas phantastisch. – Man hatte noch eine große Rede des Reichskanzlers erwartet über unsere Friedensbereitschaft und Annexionslosigkeit; sie ist aber ausgeblieben. Das Gezänk, was angefangen, ist langweilig.
Eben – es ist sechs Uhr vorbei – wird uns aus Schönbrunn gesagt, es stehe heute besser als gestern abend, Fieber niedriger, aber keineswegs die Gefahr vorbei. Der alte Herr ist natürlich außer Bett; denn bei so alten Leuten ist das Liegen meistens gefährlich. So hat er auch heute den Kabinettschef empfangen, aber die Anwesenheit des Thronfolgers ist ihm noch verheimlicht …
D. 13. November 1916 … Es scheint eine unnötige Aufregung gewesen zu sein; wenigstens sagte mir heute der Erzherzog am Fernschreiber, es gehe dem alten Herrn recht gut. Danach kommt der junge Herr doch wohl wieder; man wird großen Wert bei uns darauf legen, wenn er selbst auch keine zu große Lust hat. Mir kann das recht sein, denn ich wußte nicht recht, wie es hier werden sollte bei seinem Ausscheiden. Für ihn selbst kann man sich auch nur freuen, wenn er noch länger dem Amt fernbleibt. Nun, wir werden sehen …
Eben ruft man mich von Wien an. Es geht gut dort, aber man bezweifelt ›in Hofkreisen‹, daß der junge Herr wiederkäme, – offiziell ›ja‹. Entscheidung in einigen Tagen. Ich habe so meine privaten Freunde und Quellen …«
Während der Abwesenheit des Erzherzogs Karl wird zunächst General v. Köveß als sein Vertreter bestellt. Es war nur natürlich, daß die Stellung Seeckts damit durchaus nicht leichter wurde. Vielmehr tauchte sofort der Gedanke der Unterstellung der 9. Armee unter Mackensen auf. Seeckt ist das wichtig genug, um bei Ludendorff anzufragen. Dieser erklärt die Nachricht für unrichtig, fügt aber hinzu, daß die Abtretung bei längerer Abwesenheit des Erzherzogs in Frage käme. In dieser Richtung hat sich dann wenige Tage später auch Stoltzenberg Verbindungsoffizier der O.H.L. eingesetzt Heeresarchiv Potsdam, Akte O 470.. Er nennt die Einschiebung des Heeresfrontkommandos zwischen Pleß, Teschen und 9. Armee wenig glücklich. Zu selbständiger Führung sei kein Raum. Der Erzherzog empfände seine Stellung selbst als demütigend und litte unter der von deutscher Seite ausgehenden frostigkalten Atmosphäre. Stoltzenberg empfiehlt Bardolff, den Seeckt übrigens ablehnt, als Vorbild für die Zusammenarbeit. Stoltzenberg schlägt die Auflösung des Heeresfrontkommandos vor, sobald Erzherzog Karl nicht mehr Oberbefehlshaber sei. Der Bericht lief am 26. 10. in Pleß ein und kann Einfluß auf die weiteren Entschließungen gehabt haben.
Die gewohnten Schwierigkeiten laufen weiter. Es bleibt bei fast täglichen unerquicklichen Auseinandersetzungen mit Falkenhayn. Er hat später erklärt, die Verschiebungen des Heeresfrontkommandos hätten gar keinen Einfluß gehabt. Angesichts dieser Behauptung muß man einmal einige Einzelheiten festlegen. Am 12. 11. muß das Heeresfrontkommando seine mühsam versammelte Reserve wegen der Angriffe am Oitoz der 9. Armee zur Verfügung stellen. Falkenhayn hat kein Wort darüber verloren, daß man ihm half. Er nahm die Reserve ganz ruhig an. Aber bereits einen Tag darauf beschwert er sich, man müsse ihm den Einsatz der 115.I.D. überlassen. Geschehe das nicht, so sei das ein »merkwürdiges Verfahren« des Heeresfrontkommandos. Bei seiner Forderung »handele es sich um Selbstverständlichkeiten«. Bedauerlicherweise sei das Heeresfrontkommando in seinem Verhalten von der O.K.L. bestärkt worden. Dies trifft unbedingt zu. Mithin kann das Verfahren Seeckts so falsch nicht gewesen sein. Falkenhayn ist aber so gereizt, daß er sich wirklich nachgerade über Selbstverständlichkeiten beschwert. Wenige Tage darauf fährt Seeckt nach Targu-Jiu zum General Kühne. Es handelt sich um die wichtige Entscheidung, ob man bei der von der O.K.L. verlangten Südostrichtung bleiben sollte. Seeckt berichtet an die O.K.L. und schickt, loyal wie immer, eine Abschrift an Falkenhayn. Dieser beschwert sich bei Hindenburg darüber, daß Seeckt ohne sein Wissen die Gruppe Kühne aufgesucht habe. Zunächst kann kaum stimmen, daß der Stab Falkenhayns nichts davon weiß. Das A.O.K. 9 schickt nämlich die Mittagsmeldung zu dem Generalkommando, bei dem Seeckt sich gerade befindet, muß also dessen Anwesenheit wissen. Im übrigen antwortet Hindenburg Heeresarchiv Potsdam, Akte O 463., er sei von der Anfrage überrascht. Seeckt wäre selbstverständlich berechtigt, als Chef der Heeresgruppe dorthin zu fahren, auch ohne Auftrag der O.K.L. Falkenhayn antwortet ziemlich unhöflich, daß für ihn damit eine neue Rechtslage geschaffen sei. Erstaunt schreibt der Feldmarschall an den Rand: Wieso?
Auch die Schwierigkeit mit der Verteilung der Reserven ist nicht zur Ruhe gekommen. Ludendorff drängt nach der Novembermitte erneut darauf, die Reserven näher heranzuhalten. Seeckt fügt sich. Er weiß, daß Ludendorff hier auf Grund seiner Ob.Ost-Erfahrungen handelt. Bei Ludendorff hat aber vielleicht die Angelegenheit der Reserven den Eindruck einer dauernden Unannehmlichkeit hinterlassen.
Um die Mitte des Monats hatten deutsch-österreichische Besprechungen über die Friedensbedingungen stattgefunden. Conrad hat sich eigenartigerweise darüber beklagt, daß Erzherzog Karl von diesen Verhandlungen und Besprechungen mit Burian Kenntnis erhalten habe. Conrad spricht dabei die Vermutung aus, daß Erzherzog Karl von deutscher Seite unterrichtet worden wäre. Es ist kaum anzunehmen, daß Seeckt hieran beteiligt war. Wenn er es nicht war, müßte es also eine andere deutsche Persönlichkeit gewesen sein. Das wäre auffallend.
War Falkenhayn recht unzufrieden mit Seeckt, so war Seeckt das Vorgehen Falkenhayns allmählich etwas zu langsam. Er ist allerdings zurückhaltend genug, dies nur im Brief zu schreiben.
»D. 14. November 1916 … Auch heute sonst nichts Neues; wir quälen uns so langsam nach Rumänien hinein mit viel Schwierigkeiten und Ärger, wenn man den noch aufbringt. Es dauert alles entsetzlich lange bei den Entfernungen, den schlechten Eisenbahnen und manchen Torheiten. Wäre ich Erzherzog, ginge ich auch lieber zu meiner Zita, genannt Katz. Ob sie ihn wieder hertreiben werden, steht noch dahin.
Eine kleine Freude hatte ich, daß sie Dunst den Hohenzollern III. verliehen haben auf meine Bitte, eine sehr hübsche Auszeichnung für einen Hauptmann. Seinerzeit erbat ihn Lochow für mich nach Soissons; Lyncker antwortete, S.M. wolle grundsätzlich die Chefs nicht über das Eiserne Kreuz I. Kl. dekorieren, ›vielleicht beim Friedensschluß‹! Ja – die Grundsätze haben sich der Zeit anpassen müssen …
Da vielleicht dieser Brief am 19. ankommt, gratuliere ich Dir schon immer – d. h. eigentlich gratuliere ich mir selbst, weil ich da Dich bekam, Du freilich auch mich 19. November 1892 Verlobungstag.. Richtig aufgebaut wurde ich Dir allerdings erst am 3. Dez. …
D. 15. November … Ich will heute abend nach vorn, wo es recht gut geht, und hoffe, viel zu sehen. Zwei Nachtfahrten und ein Tag draußen, ich bin ganz zufrieden mit dieser Aussicht.
Seit heute ist mein alter Freund, der Generaloberst Köveß hier, um der Heeresfront vorzustehen. Man ist sehr ängstlich damit, das Prestige des östr. Oberbefehls zu wahren. Er findet sein Hiersein selbst recht überflüssig; ich finde, daß es bei aller persönlichen Zuneigung doch leichter ist, mit Erwachsenen als mit Kindern über militärische Dinge zu verhandeln. Ich denke, der junge Herr kommt wieder, da das Gelingen unserer Operation anscheinend nicht mehr zu vermeiden ist. Aber wohl nicht auf lange. Nach dem befriedigten Lorbeerbedarf wird er dann wohl verschwinden. Jetzt legt ›Teschen‹, wie man sagt, d. h. die östr. Heeresleitung, doch noch zu viel Wert darauf, dieses Kommando nicht in deutschen Händen ruhen zu lassen. – Der General Köveß ist ein nicht nur vernünftiger, sondern auch gebildeter Mann. So hielt er uns heute aus dem Stegreif einen selbständigen Vortrag über die Entwicklung des Deutschtums in Siebenbürgen. Die Sachsen, wie sie hier heißen, sind Niedersachsen aus der Gegend von Cleve und Köln und haben sich außer anderen guten Eigenschaften das charakteristische L der ›Köllener‹ erhalten. Und dabei sind sie vor dem Jahr 1000! hierher gekommen. –
Einen komischeren Brief habe ich doch noch nie geschrieben, nicht drei Worte in einem Zug. Wenn die Leute merken, daß ich einen Tag fort will, so hat jeder noch Schmerzen … Ich will daher schließen; im Vorzimmer schreit schon wieder einer …
Der König der Bulgaren ließ mir heute sagen, er sage täglich: Wo ist mein S.? …
D. 17. November … Gestern eine sehr interessante Fahrt. Früh in Petrozseny, dem ung. Kohlenrevier angekommen. Schnee, der sich bei der Fahrt über den Paß verstärkte. Eine Klammstraße, landschaftlich ganz wunderschön, militärisch schwierig. Im Paß den Fürstenwalder Ulanen und Schwedter Dragonern begegnet, kein bekanntes Gesicht mehr, aber doch heimatlich. In der Mark sich trennen, kurze Begegnung an der Marne, dann auf der rumänischen Grenze! Weiter hinein in das feindliche Land, im zunehmenden Schneegestöber. Nach vierstündiger Fahrt in einer kleinen Stadt Targu-Jiu das hier führende Gen.Kdo. erreicht und noch orientiert. Ich konnte raten und helfen … Dann wollte ich noch zu zwei Divisionen, aber die Wege verweigerten das Auto. Die Stadt häßlich, halb zerstört, menschenleer. Ich mußte zurückkehren, schöne Fahrt, trotz Schnee zurück durch den Paß …
Daß in Ludendorff ein riesiges Organisationstalent und Energie steckt, ist ganz zweifellos. Ob Wrisberg bleibt, ahne ich natürlich nicht; zu tun behielte er auch ohne die bisherige Verwendung genug, er ist aber nicht mehr so unersetzlich wie früher. Die neue heimatliche Mobilmachung des Volkes für Kriegsarbeit wird ja schon in den Zeitungen besprochen …
D. 18. November … Neues gibt es nicht viel, als daß es ganz gut vorwärts geht bei uns und daß es tiefer Winter geworden ist … Rückkehr des Erzherzogs noch unsicher, doch denke ich jetzt, er kommt noch mal; dem alten Herrn geht es besser, ohne daß die Erkältung vorüber. Also eine gewisse Angst bleibt es immer …
D. 19. November. Heute ist ›unser Geburtstag‹ und heute weiß ich ja eigentlich, was ich an Dir habe, das Beste und das Bleibende in diesem Leben. – …
Sehr überrascht war ich heute durch die Zeitungsnachricht vom Tode unseres Wiener Botschafters v. Tschirschky-Bögendorff.. Die Stelle ist nicht leicht zu besetzen und es wird für das Ausw. A. schwer sein, den ungeeignetsten Mann für den Posten zu finden. In Reserve sitzen genug. Warum nicht Schoen? Auch Metternich wäre nicht übel, schon wegen des Namens. Was sagst Du zu dem Schreiben Hindenburgs an den Reichskanzler? Der Ton ist gut. Wir steuern der Militärdiktatur entgegen, was ja schließlich auch das einfachste ist.
Bei uns geht es lustig weiter hinein nach Rumänien. Bisher im November über 20+000 Gefangene, – das ist ganz hübsch …
D. 20. November … Eben läßt mir der Erzherzog telephonisch sagen, daß das Befinden des alten Herrn sich wieder verschlimmert habe, er also in absehbarer Zeit nicht zu uns zurückkehren dürfte. In welcher Art eine Änderung hier eintreten wird, läßt sich nicht voraussagen. Doch wird jedenfalls die jetzige Form unter einem anderen Herrn nicht erneuert. Wenn es doch nur dahin führte, daß ich Dich einmal besuchen kann. Das fängt nun allmählich an, mir das Wichtigste zu werden.
Es taucht aber auch eine Balkanmöglichkeit in meinen Gedanken auf, die sehr ihre zwei und sogar mehr Seiten hat. Erst erobert man es ihnen, dann befestigt man es für sie und dann verlieren sie es doch. Pardon – ich meine Monastir, was Du freilich nicht wissen konntest. Ich schimpfe aber seit gestern immerfort darüber vor mich hin. Und noch dazu gegen die Serben, die man schon einmal dreiviertel totgeschlagen hatte. Das sind aber brave Kerle; sie werden deswegen von der französischen Ritterlichkeit auch vorgehetzt. Es sind 40+000 gewesen und jetzt noch 18+000; aber sie haben ein Stück Land wieder. Der König von Bulgarien wird außer sich sein.
Ich fuhr heute nachmittag in ein benachbartes Dorf. Alte Festungskirche und Turm mit den Speckvorräten, die seit 600 Jahren an der gleichen Stelle aufbewahrt werden. Wir bekamen sogar ein Stück geschenkt. Sonntags nach der Kirche wird geöffnet und jede Familie holt den Vorrat für die Woche und schneidet Datum und Monogramm in die frische Speckseite, damit niemand anders dabei geht. Die Tochter des Burgwarts, wie der alte Bauer noch heißt, mußte ihren Sonntagsstaat zeigen. Inzwischen hatte die Schulglocke geläutet und draußen standen an 100 Blondköpfe und sangen mit dem Lehrer ›Siebenbürgen, Land der Treue‹ und ›den Kameraden‹ mit seiner Kriegsneuerung, dem ›Gloria Viktoria‹. Es war wirklich hübsch und es gab viele Händedrücke und Dank, daß wir gekommen seien, sie zu retten. Der Schulze eine Prachtfigur. Unter sich sprachen sie alle ein nicht ganz verständliches Platt; mit uns, auch die Kinder, reinstes Hochdeutsch. Sie halten sich brav, die deutschen Inseln und weisen noch keine Spur von Nachlassen auf, trotzdem sich um das deutsche Dorf herum Zigeuner und Rumänen angesiedelt haben, die sich vermehren wie die Mäuse. Wir, d. h. die deutsche Diplomatie, hat vor dem Krieg einen Druck auf Ungarn ausgeübt, sie sollten die Rumänen (!) besser behandeln, nicht etwa die Deutschen …
Deine gute alte Mademoiselle Milli Hainard Mit Hilfe dieser alten schweizerischen Erzieherin hatte der Oberleutnant v. Seeckt sein französisches Dolmetscher-Examen auf der Kriegsakademie mit »gut« bestanden.; es ginge mir doch in alter Erinnerung sehr nahe, wenn es jetzt mit ihr zu Ende ginge – und doch wäre es so ganz in ihrem Stil. Im Esplanade mit Kammerjungfer zu wohnen auf der Nationalität nach nicht ganz einwandfreien Kosten und trotzdem von einer Droschke 2. Kl. überfahren zu werden – dazwischen lag ihr Leben! Aber zwischen diesen beiden Endmöglichkeiten unbeschreiblich viel Liebes und Freundliches und Anhängliches …
Das Verlangen, den Pianisten … zu Hause zu lassen, ist gut! Man wollte mir das vor zwei Jahren mit Richard Dehmel, der sich übrigens freiwillig gemeldet und sich einwandfrei brav benommen hat, klarmachen. Kulturwerte – usw. – und ich gab ganz die gleiche Antwort wie Du. Schließlich verlange ich noch, für mein Klavierspiel befreit zu werden, was für die andern freilich schlimmer wäre, als manches andere …
D. 21. November … Ich warte; dieses Mal ausnahmsweise nicht auf einen Brief von Dir, sondern auf Nachricht aus Wien, eine Mitteilung aus Pleß, eine Meldung von Falkenhayn, auf den Besuch des Generals Litzmann und des Generals Köveß und sonst auf tausend schöne Dinge.
Wie merkwürdig die Kartenweissagung von Gisela v. Schlichting! Freilich, daß mein Ergehen von dem eines ganz alten Mannes Wenn man will, ist das 1926 eingetroffen. Im Augenblick dachte Seeckt natürlich an Kaiser Franz Joseph. abhängt, das merkt ein Blinder, wie der Berliner in schöner Verkennung dieser Redensart zu sagen pflegt. Laß Dich nicht zuviel mit dergleichen ein! Ich schrieb gestern schon über die Möglichkeiten und kann nichts Neues sagen. Denkbar wäre auch, daß man die Firma möglichst lange bestehen ließe, falls sich nicht ganz Neues ereignet, um ihm etwas von dem Erfolg zusprechen zu können … Deutsche Zeitungen – den östr.-ungar. verbot es die Zensur – brachten ja schon etwas von Regentschaftsübernahme am 2. Dezember, – dem Regierungsantritt vor 68 Jahren!! …
Sehr wenig angenehm scheint die Veröffentlichung der Ludendorffschen Anweisung an den Reichskanzler zu sein, wenigstens ist schon ein Beschwichtigungsartikel erschienen. Der Brief ist vom 25. September! Noch ist die Wirkung nicht zu spüren. Das neue Kriegsamt, das ich ebenso wie die Wahl seines Leiters für einen sehr guten Griff halte, wird ja nun zeigen, wie es gemacht werden muß. Zur Polenfrage scheint sich der Landtag äußern zu wollen und die Erinnerung zu erwecken, daß man früher diese für eine Sache von preußischem Interesse hielt. Ja überhaupt Preußen! Doch das ist altmodisch.
Eben hat freilich eine preußische Division Crajova genommen und damit die westliche Walachei. Ganz ohne die Preußen geht es doch nicht …«
Der 21. 11. 1916 beendete das Leben des Kaisers Franz Joseph. Zum Nachfolger des Erzherzogs Karl, nunmehrigen Kaisers Karl, im Oberbefehl des Heeresfrontkommandos wurde Erzherzog Josef bestimmt.
Auf ein Telegramm Seeckts an seinen bisherigen Oberbefehlshaber antwortet der neue Kaiser an Seeckt:
»Ich danke Ihnen, Herr General, vielmals für die teilnehmenden Worte, die Sie namens der deutschen Stäbe und Truppen im Bereiche der Heeresfront an mich richteten. Aufrichtig dankbar werde ich stets der hervorragenden Leistungen gedenken, durch welche die Deutschen zur Säuberung Siebenbürgens und zur Niederkämpfung des Feindes so wesentlich beigetragen haben. – Gott führe unsere treu vereinten Waffen zum endgültigen Sieg. In fester Zuversicht Karl.«
Seeckt läßt, obwohl das Telegramm zunächst nur ihn selbst angeht, den ersten Teil fort und schickt den Dank für die hervorragenden Leistungen an Falkenhayn weiter. Man muß einem Menschen bei allem Selbstbewußtsein, der so feinfühlig eine Anerkennung sofort weiterzugeben innerlich bestrebt ist, Herzenstakt zusprechen. Seeckt wird etwas erstaunt gewesen sein, als ihm Falkenhayn antwortet Heeresarchiv Potsdam, Akte 58 1.:
»Auszug aus Telegramm Seiner Majestät hat mich interessiert. Ich würde aber dankbar für Mitteilung sein, zu welchem besonderen Zweck die Übermittelung erfolgte, damit ich erforderlichenfalls Geeignetes veranlassen könnte. von Falkenhayn.«
Seeckt erwidert:
»Den mir gegenüber ausgesprochenen Dank S. M. an die deutschen Truppen glaubte ich E. E. als dem Hauptbeteiligten mitteilen zu sollen. Die Übermittlung erfolgte zu keinem besonderen Zweck. General v. Seeckt.«
Es ist nicht nötig, diesem das Wesen der beiden Männer und ihre Stellung zu einander charakterisierenden Telegrammwechsel ein Wort hinzuzufügen.
Der Abschied vom jungen Kaiser geschah in außerordentlich gnädigen Formen. Seeckt erhielt den Leopoldsorden 1. Kl. und das Kaiserbild im goldenen Rahmen. Der Abschiedsbefehl an die Heeresfront war fürstlicher Dank und Anerkennung.
Am 22. 11. traf ein Befehl der deutschen O.H.L. ein, der sich nicht vollständig mit den von Falkenhayn gemeldeten Absichten deckte. Seeckt nimmt das zum Anlaß Heeresarchiv Potsdam, Akte O 470., einen eigenen Vorschlag zu machen. Er erwartet hinter dem Alt keinen nachhaltigen Widerstand, wohl aber am unteren und mittleren Argesul. Die Festung Bukarest wird dabei mit in Rechnung als Rückhalt hinter dem Argesul gestellt. »Ob sich die rumänische Armee in der westlichen Walachei der Stoßtruppe Ein Ausdruck Falkenhayns, den Ludendorff beanstandet hatte; Heeresarchiv Potsdam, Akte O 463. der 9. Armee zu einer Entscheidung zwischen Altfluß und Bukarest stellt, muß bezweifelt werden. Tut sie es, um so besser … Rechnet man mit einer Verteidigungsstellung des Feindes beiderseits Bukarest, so wird es angezeigt sein, nach überschreiten des Alt dem Vorgehen eine etwas nordöstliche Richtung zu geben. Linker Flügel etwa auf Pitesti … Möglich, daß der Feind beim Fortschreiten unserer Operation in der angegebenen Richtung Bukarest aufgibt. Wir müssen uns aber auf den Angriff vorbereiten. Dieser wird gegen die Nordwestfront zu führen sein … Das Heeresfrontkommando wird zunächst nach Hermannstadt verlegt, sobald das A.O.K. 9 diesen Ort verläßt. Fällt ihm die Leitung der gemeinsamen Operation in Rumänien zu, so würde ich später Ramnicu-Valcea als Hauptquartier in Aussicht nehmen. In diesem Falle käme vielleicht die Zusammenfassung der k.u.k. 1. und 7. Armee als Heeresgruppe Köveß unter dem Kommando der Heeresfront in Betracht.«
Zunächst ist hierbei interessant, daß Seeckt die Aufgabe sofort ins Große, Weite auszuspannen versucht. Das ist allerdings das Gegenteil von der Absicht, die 9. Armee aus dem Verbande der Heeresfront möglicherweise zu lösen; eine an sich unbestreitbar wichtige Anordnung, da 9. und Donauarmee nunmehr zusammenarbeiten mußten. Die Hauptsache an der Lagenbeurteilung Seeckts aber ist neben der Auffassung über Bukarest der Vorschlag, dem Angriff die nordöstliche Richtung zu geben. Die Beurteilung ist an Klarheit und Überzeugungskraft ein Meisterstück Hier nur stark gekürzt wiedergegeben.. Conrad hat sich der Auffassung Seeckts angeschlossen Heeresarchiv Potsdam, Akte O 436..
Ludendorffs Stellungnahme ist nachträglich nicht festzustellen. Jedenfalls steht aber fest, daß der Eingriff der Gruppe Kühne tatsächlich nachher etwa so geführt worden ist, wie Seeckt es vorgeschlagen hat. Damit ist Seeckts persönlicher Einfluß an entscheidender Stelle erwiesen. Falkenhayn und Stoltzenberg hatten nicht recht gehabt, wenn sie das Heeresfrontkommando als ein nutzloses oder sogar unnützliches Zwischenglied ansahen.
Seeckt hat es als Stabschef der Heeresfront Erzherzog Karl nicht leicht gehabt. Nicht einmal seine Stellung zur deutschen O.H.L. war einfach, die zum Erzherzog Karl von vornherein schwierig Cramon meint sogar, Karl habe die Wesensart des deutschen Offiziers abgelehnt. Wenn Karl auch äußerlich sich nichts merken ließ, so sei er doch empört gewesen, daß er keinen k.u.k. Chef gehabt habe. Seeckt hat niemals eine Bemerkung gemacht, die erkennen ließe, daß er dies empfunden habe. Aber auch Erzherzog Josef schreibt in seinem Werk »Der Weltkrieg wie ich ihn sah«, nachdem er soeben reiches Lob über Seeckt ausgesprochen hat: »Merkwürdig, daß unser Herrscher ihn nicht sehr liebt. Ich aber weiß dessen Grund. Dies schürte der Generalstabschef, der jetzt bei der 7. Armee ist, weil Seeckt nicht duldete, daß er seine Vorschläge kontrekariere.« Vielleicht war Karl als Persönlichkeit selbst zu unklar, als daß man in ein ganz klares Verhältnis zu ihm kommen konnte.. Falkenhayns Verhalten erschwerte die Stellung des Chefs weiterhin. Es sind Menschen, die handeln, und keine Schachfiguren, die gezogen werden. Das Wort Schlieffens, in der Kriegsgeschichte stände zu lesen, wie es kommen mußte und immer wieder kommen muß, wird leicht mißverstanden. Auch Kriegsgeschichte ist eben, man muß das wiederholt hervorheben, nicht eine Aneinanderreihung von bestimmt berechenbaren Kausalkonnexen. Prämissen entstehen und ihnen folgen bestimmte Möglichkeiten, innerhalb deren der Wille seinen Weg sich bahnt. Das freie Spiel der Persönlichkeiten kommt also hinzu. Dies um so mehr, je ausgeprägter und willensstärker die Persönlichkeiten sind. Hier war ungewöhnlich starker Wille mindestens in den drei Männern Ludendorff, Falkenhayn und Seeckt verkörpert.
In Seeckts Briefen spielt von Mitte November 1916 ab die Frage seiner Verwendung an anderer Stelle eine Rolle Der österr. Verbindungsoffizier bei Ob.Ost berichtet, Hoffmann wolle Personalveränderungen beim Heeresfrontkommando zur Sprache bringen. Es kann sich um Seeckt gehandelt haben.. Er hat an die Wiederverwendung als Chef Mackensens gedacht, vorübergehend sogar an eine Verwendung bei der Heeresgruppe Below auf dem Balkan. Jedenfalls rechnet er in den ersten Stunden nach dem Wechsel des Oberbefehlshabers mit seinem Fortgang.
»D. 22. November … Nun ist das erwartete Ereignis eingetreten. Noch hat es keine Folgen für mich und uns alle hier gehabt; doch stehen diese wohl unmittelbar bevor; wie sie sein werden, weiß ich noch nicht. Ich habe dem jungen Herrn gestern abend ganz kurz und warm noch einmal und zum letztenmal telegraphiert. Meine Wünsche sind wirklich bei ihm; denn leicht hat er es nicht. Wenn von unserer Seite jetzt nur nicht gleich allzu viele Fehler in seiner Behandlung begangen würden!
Ein tiefer Glockenton liegt über der Stadt. Die alte Kirche auf dem Berg zeigt dem Land den Tod seines Königs an. –
Eben unterbrach mich der Anruf von Ludendorff. Erzherzog Josef ist der neue Befehlshaber. Alles bleibt, wie es ist. So einfach ist das Leben. Der Erzherzog ist … bisher Kommandierender General an der italienischen Front … Nach dem freundlichen Ton von oben zu schließen, hält man mich hier noch für nützlich anscheinend und frug mich sogar nach meiner Meinung. Aber vorläufig natürlich keine Urlaubsaussicht; denn nun muß ich den neuen Mann doch erst einmal abwarten und dann kommen auch in Rumänien vielleicht bald bewegte Zeiten und Momente. Eigentlich ist es so doch eine Enttäuschung. Ganz im Innern meines Herzens rechnete ich eigentlich auf die Division Das ist auffallend. Seeckt soll allerdings gelegentlich mündlich auch sonst geäußert haben, es sei ihm nicht unerwünscht, »ganz bieder« eine Division zu bekommen. und vorher auf einen Urlaub …«
»D. 23. November 1916. Meine Katze, einige Fragen Deines kleinen Briefes vom 17. waren schon beantwortet. Ollo Lindequist ist vermutlich heute in Potsdam und kann Dir selbst erzählen, wo er bisher war. Ich glaube in Székely Udvarhély, was selbst du gewiß nicht richtig aussprechen kannst. Ich habe es gut, ich bekomme nun einen zweiten Erzherzog, der mir die Aussprache ungarischer Namen sicherlich beibringen kann; die zweite Frage: Was wird nun? Ist auch schon beantwortet: Nischt. Ob Karl oder Josef ist ziemlich gleich. Ich werde etwas weniger persönliches Verantwortungsgefühl haben; das ist alles … Und auch unter dem gleichen Ausschluß der Öffentlichkeit werde ich meine Stellung weiter einnehmen …
Heute soll bei Mackensen etwas fällig sein; ich bin sehr gespannt … Mit unseren eigenen Fortschritten kann ich zufrieden sein … Gott behüte Dich.
D. 24. November. Die Hauptsache heute ist: Es ist sehr möglich, daß ich zu Mackensen komme. Österreich und Bulgarien streiten sich um mich. Rein dienstlich begrüße ich es, da ich es für die Sache für gut halte. Dann bin ich nun auch erzherzogmüde … Es ist aber noch durchaus zweifelhaft. Es kann sein, daß die Österreicher sich wehren, nicht meiner Person wegen, sondern weil damit noch allerlei andere Machtverschiebungen verbunden sein würden. Wetzell teilte es mir heute ganz unter der Hand und verschleiert mit … Wenn nicht, so schadet es nichts … und ich erkenne auch dann die Vorzüge des Hierbleibens an …
Aus dem Brief vom 9. interessierte mich sehr Deine Beschreibung der Strindbergschen ›Gespenster-Sonate‹, ich gestehe ganz offen, ich komme da nicht mit, noch weniger bei Wedekind, dessen Bedeutung mir völlig verborgen geblieben ist. Ich finde beide nur widerlich und dabei geistlos. Ibsen war für mich Schluß mit dieser Art Kunst, auch schon etwas jenseits der Grenze. Ich gestehe, daß ich trotzdem eine Freude an der Kunst der Schauspieler dabei haben könnte, finde es aber angenehmer, wenn ich diese mit dem Gefallen am Stück vereinigen kann …
Mackensen ist über die Donau und bis heute der Tag gut verlaufen. Es wird Eindruck machen …«
Seeckts Zukunft war eine geraume Zeit ungewiß. Conrad hat noch ziemlich lange mit einer Verwendung Seeckts bei Mackensen gerechnet. Eine leise Enttäuschung, daß er in seiner Stellung blieb, ist nicht zu verkennen. Das Heeresfrontkommando mußte nach dem Wechsel des Oberbefehlshabers an Bedeutung verlieren. Selbständige Entschlüsse durfte es nicht fassen. Wenn Seeckt sich dennoch Einfluß verschafft hat, so war das sein Verdienst. In der Sache war es kaum begründet. Am 27. November teilte Wetzell mit, Seeckts Fortkommen wäre zweifelhaft, da die Österreicher einen anderen Chef nicht wollten. Zwei Tage später meinte Seeckt selbst, er bliebe endgültig, obgleich der Befehlsbereich durch Abgang der 9. Armee an Mackensen eingeschränkt würde.
Um so auffälliger ist es, daß am 2. 12. Hindenburg an Conrad mitteilen ließ Heeresarchiv Potsdam, Akte O 436., »Seeckt sei für eine andere Verwendung in Aussicht genommen. Er bitte um Einverständnis, daß Oberst Hell sein Nachfolger würde«. Conrad antwortete, eine andere Verwendung wäre nicht beabsichtigt. Jedenfalls käme ein anderer deutscher Offizier als Chef bei Erzherzog Josef nicht in Betracht. Aus einer Notiz Conrads geht hervor, daß Kaiser Karl dies bereits »seinerzeit« angeordnet hätte. Es ist mit Recht anzunehmen, daß Feldmarschall v. Hindenburg eine Persönlichkeit wie Seeckt in einem so verkleinerten Wirkungsbereich nicht gern lassen wollte. Lediglich die Ablehnung eines deutschen Nachfolgers durch Kaiser Karl ist der Anlaß gewesen, daß Seeckt blieb. Am 29. 11. war dies Verbleiben bereits schwerlich noch zu ändern. Einen Tag darauf tritt aber die 9. Armee aus dem Befehlsbereich des Erzherzogs Josef in den des Feldmarschalls v. Mackensen über. Dies muß der Grund sein, daß erneut erwogen wird, Seeckt fortzunehmen. Ein klein wenig mögen dabei die verschiedentlich abweichenden Ansichten über Einzelheiten der Führung mitgesprochen haben. Seeckt war eine ausgesprochene Angriffsnatur. Die nunmehrige Heeresfront hatte lediglich defensive Aufgaben. Seeckt löste solche Aufgabe nicht ganz so, wie Ludendorff das gern mochte. Seeckt war aber vor allen Dingen für eine rein defensive Aufgabe einfach zu schade. Jedoch er blieb, mußte bleiben.