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Seit dem 6. Oktober 1915 war die Frage, ob man nach Niederwerfung der Serben gegen die Entente vorgehen sollte, Gegenstand häufiger Erwägungen gewesen. Am 16. November hatte man in der Unterredung in Paraćin festgelegt, daß gegen die Reste der serbischen Armee eine österreichische und eine bulgarische Sicherungsarmee, gegen die Entente eine aus deutschen und bulgarischen Divisionen zusammengestellte Angriffsgruppe eingesetzt werden sollten. Der Zeitpunkt war unbestimmt. Der Entschluß mag Falkenhayn schwer genug geworden sein. Zu berücksichtigen war immerhin, daß die Mittelmächte jeden Schritt zu vermeiden hatten, der einen neuen Gegner auf den Plan rief. Hier bestand die Gefahr, daß nicht nur Griechenland, sondern gleichzeitig auch Rumänien zu neuen Gegnern gemacht würden.
Conrad fühlte sich durch die Nichtheranziehung bei der Besprechung in Paraćin übergangen und drängte nunmehr sehr eindeutig auf Angriff gegen die Entente. Gleichzeitig schlug Seeckt die Fortnahme von Montenegro vor: »Mein Vorschlag Heeresarchiv Potsdam, Akte 14 1 A.O.K. 11. geht dahin …, eine Operation aus Dalmatien und Herzegowina … in Richtung auf Podgorica anzusetzen... Mit der Gewinnung von Podgorica wäre Montenegro selbst und die dorthin zurückgezogenen Teile der serbischen Armee völlig von einer Unterstützung durch die ihnen verbündeten Mächte abgeschnitten. Der Besitz von Skutari würde von nicht zu unterschätzender politischer Bedeutung sein …« Am 20. 11. geht jedoch eine Lagenbeurteilung des A.O.K. 11 unmittelbar an Tappen ab Heeresarchiv Potsdam, Akte O 453., die von wesentlicher Bedeutung wurde:
»Verfolgung über Priština hinaus mit stärkeren deutschen und österreichischen Kräften infolge der Wege- und Nachschubverhältnisse augenblicklich ausgeschlossen. Fortsetzung der Offensive gegen Saloniki nach Fertigstellung der Bahn bis Üsküb und sorgsamer Neubasierung in einigen Wochen möglich, ratsam jedoch erst im Frühjahr. Bitte Übergang zur Defensive am Vardar und neue Aufgabe für uns erwägen. Unterschrift: Oberst Marquard.«
Am gleichen Tage hatten Falkenhayn und Conrad eine mündliche Aussprache, in der Conrad nachdrücklich auf Fortführung der Balkanoperation drängte. Das Ergebnis war: Angriff, aber nicht vor dem 20.12.
Zwei Tage darauf setzt sich dies Ergebnis gegenüber der Heeresgruppe Mackensen in die Weisung um: zunächst Operationspause. Seeckt verfaßt noch am gleichen Tage ein Schreiben an Falkenhayn, in dem er ausführt, daß zwar »die Fortsetzung der Operation gegen die Entente ohne oder nur mit kurzer Pause zweifellos erwünscht erscheint« Heeresarchiv Potsdam, Akte O 453., daß man aber nicht sofort weiter gehen könne. Immerhin sei insofern von einer Pause nicht zu sprechen, als mit den Vorbereitungen sofort begonnen und vor allen Dingen die deutschen Truppen in Serbien zu verbleiben hätten. In näheren, von Hentsch gelieferten Erläuterungen wird die Operation für durchführbar bezeichnet, wenn die Verpflegung aus Bulgarien geliefert werden könne. Die Heeresgruppe hat also ursprünglich die Nachschubfrage nicht einmal so besonders bewertet. Zunächst legte Falkenhayn beinahe mehr Wert darauf. Erst später ist die Nachschubfrage mehr und mehr in den Vordergrund getreten.
Ob nun Angriffe am 20. 12. oder vorläufige Operationspause, beides wird umgestoßen. Ende November hatte der König von Griechenland mitgeteilt, daß das Erscheinen deutscher Truppen ihm seine Lage wesentlich erleichtern würde. Falkenhayn antwortete zustimmend. Kurz darauf, ebenfalls Ende November, hatte Falkenhayn mit Enver Pascha in Orsova eine Besprechung und im Anschluß daran eine Rücksprache mit Seeckt. Es ist so gut wie sicher, daß Falkenhayn seinen neuen Entschluß bei dieser Gelegenheit mit Seeckt besprochen hat. Es ist auch zu vermuten, daß Seeckt bei seiner Auffassung vom 22. geblieben ist. Wenn jetzt also ein völlig anderer Entschluß kam, so ist dieser von Seeckt höchstens insofern beeinflußt, als ihm die Offensive als solche unerläßlich erschien. Den Zeitpunkt hat er schwerlich gebilligt. Der Entschluß der sofortigen Fortführung der Offensive gegen die Entente ist allein von der O.H.L. gefaßt worden. Nur die Vorschläge für die Ausführung gehen überwiegend von der Heeresgruppe aus. Der Einfluß Seeckts kann aber den Entschluß zur sofortigen Weiterführung erleichtert haben.
Vermutlich hat Falkenhayn seinen neuen Entschluß auf Grund der Mitteilung des Königs von Griechenland gefaßt. Enver sprach wahrscheinlich bereits mit einem zur sofortigen Offensive Entschlossenen. Seit Mitte Dezember steht Falkenhayns Verhalten vollständig unter dem Einfluß des Verdun-Entschlusses. Falls Saloniki genommen werden kann, so ist das willkommen; dann aber so schnell als möglich, damit die Kräfte wieder frei werden für den Westen. Je länger sich die Sache hinauszieht, desto mehr kommt sie lediglich als Ablenkungsangriff, schließlich sogar nur noch als Tarnung der Westabsichten und zuletzt eben überhaupt nicht mehr in Frage. Jedenfalls telegraphiert am 24. plötzlich Falkenhayn an die Heeresgruppe Mackensen, daß die sofortige Eröffnung der Offensive sehr erwünscht sei. Conrad ist überrascht und erfreut. Falkenhayn scheint aber nicht ganz überzeugt zu sein von seinem starken Entschluß. Er wird gleich nachher wieder schwankend.
Im Laufe des November waren die Ententetruppen vorsichtig im Vardartal vorwärtsgegangen. Sie hatten dann schließlich nicht sehr weit nördlich der griechischen Grenze eine Stellung von der Cerna bis zum Dojran-See besetzt. Man möchte hoffen, daß hie und da der Entente doch ein Vergleich mit Belgien in diesen Tagen aufgetaucht ist. Schließlich war Griechenland ja mindestens ein ebenso neutrales Land wie Belgien. Die Ententemächte haben ihr Verhalten damit begründet, daß Griechenland »trotz seines Vertrages mit Serbien vom Kriege ferngeblieben sei« Akten Heeresarchiv Wien..
In den letzten Novembertagen gehen die Weisungen heraus, wonach der Angriff gegen die Ententetruppen von den Bulgaren und der 11. Armee zu führen ist. Die Weisung, die Falkenhayn gibt, ist nicht ganz eindeutig: »Die Heeresarchiv Potsdam, Akte 14 1 A.O.K. 11 und O 453. Direktive ist unter dem Gesichtspunkt entworfen, daß die Operationen gegen die Ententetruppen in unaufhaltsamem Fortgang bleiben, wobei angenommen wird, daß unter Umständen schon eine ernstliche Drohung den Feind zum Zurückgehen über die griechische Grenze veranlassen dürfte. Was dann zu geschehen hat, wird noch geklärt werden. Vorläufig darf die griechische Grenze weder von deutschen noch von österreichisch-ungarischen und bulgarischen Truppen verletzt werden …«
Es mutet etwas merkwürdig an, wenn es heißt, die Operationen sollten einen unaufhaltsamen Fortgang nehmen, gleichzeitig aber gesagt wird, die Grenze dürfe nicht überschritten werden.
Die Heeresgruppe erläßt darauf einen Befehl Heeresarchiv Potsdam, Akte 14 1 A.O.K. 11. der von Seeckt wieder persönlich verfaßt ist. Bei näherem Zusehen finden sich hier doch einige Unterschiede zu der Weisung Falkenhayns. Der Befehl beginnt nämlich: »Nach neuer Direktive der vereinigten Obersten Heeresleitungen habe ich Der Feldmarschall mit den mir unterstellten deutschen, österreich-ungarischen und bulgarischen Armeen die Offensive gegen die bei Saloniki gelandeten feindlichen Kräfte fortzusetzen …«
Es ist außerordentlich kennzeichnend, daß hierbei von Seeckt die Worte »bei Saloniki« nachträglich eingefügt und zwischen die Zeilen geschrieben worden sind. Diese Einschaltung läßt kaum einen Zweifel zu, daß er nach Saloniki wollte.
Als in den letzten Novembertagen die neue Bewegung einsetzt, findet sich eine bemerkenswerte Anzahl von Hemmungen und Schwierigkeiten. Dabei ist eine der wesentlichsten die äußerst erschwerte Befehlsübermittlung, überhaupt die Unterstellungsverhältnisse, die nicht recht ins Reine kommen wollen. Hierdurch leidet schon um die Monatswende die Umgruppierung, die die eigentliche Operation doch erst einleiten soll. Man hat sich schließlich nicht anders zu helfen gewußt, als daß man zu einer besseren Befehlsregelung die beiden Armeeführer Gallwitz und Bojadjew am 6. Dezember tauschen ließ, so daß Gallwitz im Vardartal und Bojadjew bei Monastir befehligte Heeresarchiv Potsdam, Akte O 466..
Erheblich hindernd war auch der auf der Donau einsetzende Eisgang, und zu allen militärischen Schwierigkeiten kamen recht erhebliche Reibungen mit den Bulgaren über die Ausnutzung der Bergwerke, insbesondere der Kupfergruben, und andere wirtschaftliche Dinge Heeresarchiv Potsdam, Akte 302.. Es war wirklich für den Chef der Heeresgruppe nicht ganz leicht, sich aus dieser Fülle von Schwierigkeiten immer herauszuwinden.
In die für die Heeresgruppe nicht einfache Lage platzt wenig später ein Ereignis, das seinesgleichen nicht oft in der Kriegsgeschichte hat. General von Conrad erklärt überraschend, nachdem er bereits einen Monat zuvor damit gedroht hatte, das Mandat des Generalfeldmarschalls von Mackensen über die österreichischen Truppen für erloschen und löst die 3. Armee aus dem Verbande der Heeresgruppe, zu dem Zweck, »in der nächsten Zeit, innerhalb der gemeinsame Operationen nicht stattfänden«, den Lovćen zu gewinnen. Conrad wollte die österreichischen Truppen nicht »untätig in der Winteröde von Novipazar verharren« lassen. Seeckt bemerkt hierzu Zuschrift an die Forschungsanstalt vom 25. 12. 32 »daß die Loslösung der Armee Köveß das Heeresgruppenkommando völlig überraschte. Zweifellos war es ein gefährliches … Verhalten des österreichischen Oberkommandos. Ob Köveß vorher unterrichtet war, ließ sich nicht feststellen.«
Natürlich läßt sich auch einiges zum Verständnis für Conrads Verhalten anführen. Falkenhayn hatte deutsche Divisionen fortgenommen, ohne Conrad zu benachrichtigen Hierbei darf die »Rechtslage« nicht ganz übersehen werden. Nach dem Abkommen hatten Falkenhayn und Conrad je 6 Divisionen gegen Serbien zu stellen. Deutschland hatte 11 Divisionen gestellt, Österreich weniger als 6. Mithin hatte Falkenhayn einige Berechtigung, etwas wegzunehmen, Conrad dagegen nicht.. Die Hauptsache aber war, daß Conrad die Einverleibung Albaniens und Montenegros erreichen wollte Heeresarchiv Potsdam, Akte 14 1 A.O.K. Dazu paßte der deutsche Oberbefehl nicht recht.
Kaum sind die ersten Umgruppierungen zur neuen Operation im Gange, da hat man auch bereits den Eindruck, daß die Entente sich einem Angriff durch Rückzug entziehen wird. Die O.H.L. stellt für diesen Fall neue Direktiven in Aussicht, sagt aber noch nicht, was sie will. Seeckt wirft erneut den Vorschlag der Wegnahme Skutaris in die Erwägungen hinein. Er schreibt auch im gleichen Sinne noch am 3. 12. persönlich an Generaloberst von Conrad. Der letzte Satz dieses Schreibens klingt wie eine prophetische Warnung Akten Heeresarchiv Wien.: »... Immerhin ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß sich in Skutari der letzte politische und militärische Rest des serbischen Königtums sammelt.« Selbst damit begnügt sich Seeckt nicht. Er schreibt an die 3. Armee am 4. 12.: »Es ist erforderlich, die eingeleiteten Operationen gegen Montenegro von Norden in Fluß zu halten, von Osten einzuleiten …« Noch am gleichen Tage geht die Antwort Heeresarchiv Potsdam, Akte 14 1 A.O.K. 11. von Conrad ein. Der Generaloberst spricht nur von einer »Aktion Lovćen« und davon, daß »für weitere Operationen dermalen keine ausreichenden Kräfte zur Verfügung« seien. Das klingt wie Ablehnung und konnte es doch eigentlich nicht sein. Denn Seeckts Vorschlag entsprach Conrads eigenen Absichten. Conrad wollte aber jeden deutsch-bulgarischen Einfluß an der Adria ausgeschaltet haben. Am 11. 12. lehnte er noch alle bulgarischen Ansprüche ab. Erst am 23. war er zu einem Kompromiß bereit Akten Heeresarchiv Wien.. Als die Österreicher später Montenegro eroberten, schrieb Seeckt am 11. Januar:
»... Heute österreichischer Tag. Über den entschiedenen, wenn auch nicht entscheidenden Erfolg gegen Montenegro bin ich sehr befriedigt. Ein gutes Stück Arbeit. Mir macht es besonders Spaß, weil ich noch die ganze Geschichte durch einen Vorschlag an Conrad eingeleitet habe … Dann haben sie sich freilich selbständig gemacht und können sich nun des allein errungenen Erfolges freuen, was ich ihnen von Herzen gönne …«
Das Selbständigmachen der Österreicher war ein verschleiertes Abgehen von den Vereinbarungen. Da es keinen Schaden angerichtet hat und der Erfolg da ist, ist Seeckt von persönlicher Kleinlichkeit weit entfernt und gönnt ihnen alles von Herzen.
Am 7. wird von deutschen Truppen Üsküb erreicht. Man will weiter auf Monastir. Am 8. besetzen die Bulgaren Ochrida. Der Gegner macht beinahe die geringsten Schwierigkeiten. Aber Teschen verlangt bestimmte Truppen, und gegen Skutari kann nichts geschehen. So läßt Seeckt dann wenigstens auf Skutari und Podgorica Bomben werfen.
Vom 9. ab mehren sich die bulgarischen Erfolge. Die bulgarische O.H.L. bittet daher ausdrücklich, keine deutschen Truppen ins Vardartal zu senden, da sie bis zur Herstellung der Eisenbahn dort verhungern müßten. Ob diese Bitte vollständig begründet war oder mehr eine Folge der politischen Einstellung des Stabschefs ist, steht dahin. Seeckt hat jedenfalls später die bulgarische Bitte nicht ausreichend durch die Tatsachen begründet bezeichnet Mitteilung an die Forschungsanstalt vom 25. 12. 32..
Im übrigen ist es leicht gesagt, man solle die griechische Grenze nicht überschreiten. In diesem Lande weiß kein Mensch genau, wo die Grenze verläuft. Die Grenzlinie ist in österreichischen und bulgarischen Karten verschieden eingezeichnet. Die Karte ist dann erst in der zweiten Dezemberhälfte 1915 1937 im Heeresarchiv Potsdam aufgefundene Karte der Heeresgruppe Mackensen. berichtigt worden. Seeckt schreibt selbst Zuschrift an die Forschungsanstalt vom 25.12.32.: »Die unzuverlässige österreichische Generalstabskarte führte gelegentlich auch im deutschen Hauptquartier zu falschen Voraussetzungen und Schlüssen.« Seeckt hat innerlich wohl auch gar nicht die Absicht gehabt, an der Grenze anzuhalten. Er drängt dauernd den Feldeisenbahnchef auf schnelleren Ausbau der Eisenbahn Heeresarchiv Potsdam, Akte 667..
Inzwischen war von der bulgarischen 2. Armee gegenüber den Ententetruppen ein voller Erfolg erreicht. Die Kämpfe waren nicht schwer, aber Gelände und Jahreszeit machten den Rückzug der Engländer-Franzosen zu einer ausgesprochenen Flucht. Die Lage wird so, daß irgendeine andere Absicht als die, Saloniki zu halten, für sie kaum in Betracht kam. Daß sie Saloniki halten würden, konnte als wahrscheinlich gelten. Wie Seeckt die Sache ansah, ergab sich aus einer Randbemerkung Heeresarchiv Potsdam, Akte 14 1 A.O.K. 11.. In den Ergebnissen des Nachrichtendienstes stand: »Sicher ist, daß auch im Falle des Aufgebens einer Offensive nach Norden die Entente an die Räumung Salonikis nicht denkt.« Seeckt schrieb an den Rand: »Was ist sicher?« Griechenland stand unter dem Eindruck, daß man die Truppen der Mittelmächte in Tagen oder Stunden einrücken sehen würde. Die Bulgaren beabsichtigten, die Gunst dieser Lage auszunutzen und mit aller Kraft nachzustoßen. Da erzwang General v. Falkenhayn mit dringenden Vorstellungen, daß König Ferdinand von Bulgarien ein weiteres Nachdrängen verbot. Man kann es verstehen, wenn innerhalb der bulgarischen Armee eine erbitterte Stimmung Platz griff über dieses Eingreifen mitten im Erfolg. Freilich hätten sich die Bulgaren sagen müssen, daß bei einer Fortsetzung ihrer Offensive weitere Erfolge durchaus nicht sicher waren. Bei der Stärke des Gegners wurde mit Recht ein Rückschlag befürchtet, sobald die Bulgaren isoliert weiter gingen. Gerade deshalb hat Seeckt eine starke deutsche Beteiligung dauernd gefordert. Dennoch wird man zugeben müssen, daß im ganzen ein Fehlentschluß entstand. Von hier aus hat nachher zum Schluß des großen Krieges das Verhängnis seinen Anfang genommen. Um diese Tatsache ist einfach nicht herumzukommen.
Die Briefe aus dieser Zeit:
»D. 1.12.15. Dein lieber Brief vom 27. brachte mir schon Glückwünsche zum Eichenlaub. An Deinem Glückwunsch lag mir sehr viel. Du solltest Dich mitfreuen. Sonst macht es mir nicht Freude. Ja, Du hast recht, es ist stolz und schön. Aber als ich meinen ersten Orden, einen sächsischen, den Albertus animosus Der Orden war eigentlich nicht für ihn bestimmt., seinerzeit bekam, war das eigentlich noch hübscher. Der Orden damals war so herrlich unverdient... Gestern abend noch ›großer Sieg‹. Die Bulgaren haben einen hübschen Fang gemacht, so eine Art Schlußeffekt, und der schwarze Peter Spottname des Königs von Serbien. und sein Kronprinz, Herr Pasič und der russische Gesandte bewegen sich zur Zeit in den albanischen Bergen, wo es weniger hübsch sein muß. Ihre letzten Autos standen verbrannt an der Straße.
D. 2.12. … Uns geht es gut. Aber diese notwendigen Pausen zwischen den Operationen sind unerfreulich, und vieles ist hier wirr und schwierig... Gestern nachmittag mal etwas Musik mit einem Geiger, der Konzertmeister und Unteroffizier ist, auf einer zufällig gefundenen Zigeunergeige. Abends Gesang eines Jäger-Bataillons vor dem Hause was auch hübsch war. Dann las ich mir alle serbischen und ähnlichen Gedanken mit dem unsterblichsten aller Fauste fort.
D. 3.12. … Ich gratuliere Dir schön Geburtstag von Frau v. Seeckt.. Nun wollen wir aber auch den nächsten Geburtstag zusammen feiern Den übernächsten haben sie zusammen gefeiert.. Die Trennung fängt an, recht lange zu dauern... Waren denn die Kuglér noch gut? Der Ungar sagt dazu Gerbaud Gerbaud vormals Kugler ist eine bekannte Konfiserie in Budapest. mit einer Zärtlichkeit in der Stimme, die an Zigeunergeigen erinnert... Ich werde übrigens mit den angedrohten 23 Rivalinnen noch etwas warten. Erstens würden sie mir doch hier reichlich viel Mühe machen, und zweitens gefallen mir hier die Damen nicht... Was aus den Bergen wieder zurückwandert, ist zu unförmigen Klumpen eingewickelt, und hier sind nur einige schlampige Städterinnen. Aber drei Läden gibt es hier: einen Friseur und zwei Damenhutläden, für die freilich der durchziehende Soldat so recht keine Verwendung hat... Herrliches weiches Sonnenwetter und ungewöhnliche Wärme nach den recht kalten Tagen. Weiter unten soll Kälte und Schnee sein. Viel Glück den Ententebrüdern aller Farben! Wenn nun wieder alles in Ungeduld ist, so denke Du Dir nur, daß es schon in Ordnung ist. Wo ich etwas zu sagen habe, wird alles erst ordentlich vorbereitet, und allzu reichlich sind die Kommunikationen in diesem Lande gerade nicht …
D. 5.12.15. Wir hatten gestern ein Fest. Des Feldmarschalls Geburtstag ist am 6. Er fährt aber heute nach Wien, um sich beim Kaiser als oberster Inhaber seines Husarenregiments zu melden. So machten wir gestern einen Überfall. Als er mit mir vom Vortrag die Treppe herunterkam, standen unten zwei Husaren zu Pferde in der Halle als Ehrenposten, ein deutscher und ein ungarischer. Vor dem Eingang zum Eßsaal ein Doppelposten des Infanterie-Regiments 129. Rede von mir, Menu von Waldow, Musik nach Tisch von Behr, nach dem Herzen des Feldmarschalls ausgesucht. Überreichung eines alten Türkensäbels. Es war wirklich nett. Auch sonst konnte man zufrieden sein mit den Nachrichten von unten, rechts und links … Die Bulgaren haben ihre Sache bisher glänzend gemacht, unermüdlich und ohne Rücksicht auf Anstrengung und Entbehrung. Das Resultat ist ja auch entsprechend. Denn gestern abend konnten sie wieder vom Zerschlagen der serbischen Reste und großer Zahl aufgefundener Artillerie melden. Sehr hübsch nahmen sich dazu die Berichte in den feindlichen Zeitungen aus, die von Unterstützung und Retablierung des ungeschlagenen serbischen Heeres sprachen … Ich hoffe, ich bekomme Conrad noch dazu, daß er von der Herzegowina in Montenegro einrücken läßt. Vorläufig bedränge ich die Brüder noch von Norden mit sehr bravem österreichisch-ungarischem Landsturm, der sich hier durchaus überlegen fühlt. Ich möchte aber gern Skutari haben. Die Bundesmonarchie könnte mir wirklich ein Denkmal für mich allein setzen. Fortwährend erobere ich ihnen Land oder stifte sie wenigstens dazu an... Inzwischen ist eine Eskadron Husaren 5 in Monastir eingerückt. Ein hübscher Weg von Stolp bis zur griechischen Grenze.«
Aus einem Brief an die Mutter vom 5.12.15:
»... Es ist entschieden die interessanteste Stelle des heutigen Krieges, an der ich bin. Mit dem Gedanken, auf dem Balkan Krieg zu führen, bin ich seinerzeit nicht nach Frankreich gezogen, und wohin kann mich das Soldatenschicksal und, noch darf ich es sagen, auch das Soldatenglück noch führen? Augenblicklich ist gerade eine gewisse Ruhe bei uns, ich hoffe eine vor dem Sturm. Eine amüsante Lektüre sind doch heute Zeitungen. Die Sicherheit, mit der falsche Nachrichten verbreitet werden, ist oft verblüffend. Dabei ist es eine sehr notwendige Fähigkeit, zu unterscheiden, was ist absichtlich falsch und was entsteht aus eigener Dummheit. Die ausländische Presse ist geradezu glänzend in ihrer einheitlichen Haltung. Ob eine Nachricht wahr oder nicht, ist ziemlich gleichgültig, wenn sie nur einem bestimmten Zweck dient. In dieser Beziehung ist unsere Presse unbrauchbar. Sie versagt als Waffe gegen das Ausland ganz. Sie ist eben leider zu ehrlich und ganz unter dem Gesichtspunkt geschrieben: immer so tun wollen, als ob man etwas wüßte. Ein komisches Beispiel: Seine Majestät Peter I., von Gottes Gnaden König der Serben, war wirklich dicht vor unserer Front. Wir verfolgten von Tag zu Tag, wo er gerade gewesen war, und schließlich hatte ihn die brave bulgarische Kavallerie aus seinem letzten Auto in eine Sänfte gehetzt, in der sie ihn über die albanisch-montenegrinische Grenze schleppten. Leider haben wir ihn nicht bekommen bis jetzt. Ich denke, die Bulgaren hätten ihn uns nicht ausgeliefert, sondern ›verloren‹. Dabei schreiben die Zeitungen, er sei in Saloniki, wo sein Schwiegervater Nikita von Montenegro ihn empfangen kann. Es ist eine politische Tragödie, dessen Schlußakt wir hier spielten …«
Seeckt deutet die Zeichen der Stunde für sich selbst falsch. Es sollte nicht mehr sehr lange die interessanteste Stelle des ganzen Krieges bleiben, und von Soldatenglück war bald nicht mehr allzuviel die Rede.
An Frau von Seeckt:
»Den 7. Dezember … Die Butterfrage ist schlimm. Ich hörte schon davon und fürchte, daß in ihr – nicht in der Butter allein – der Keim zu sehr unangenehmen Dingen liegt, zum inneren Zwist. Das Zentrum will den Wirtschaftsdiktator in Gestalt eines Generals. Wenn er Vollmacht hat, kein schlechter Gedanke. Wir steuern in einen Staatssozialismus hinein … Doch es ist das einzige … Die Ententebrüder haben den serbischen Feldzug aufgesteckt und sind hinter die griechische Grenze gegangen. Das gibt eine ganz neue Lage. Ob sie nun Saloniki halten wollen, was ich glaube, werden wir ja sehen. Eine kitzlige Geschichte. Man ist auch schon mehr Diplomat als Soldat.
Den 8.12. Heute vollkommener Sommer. Merkwürdiges Klima, allerdings Höhe von Florenz … Der Sultan – bitte! – verlieh mir den Medjidje-Orden I. Klasse; Stern und Band. Werde ich nicht fein aussehen? … Um die braven Leute hat man es ja auch beinah verdient. Daß sie nun so schön alles bekommen können … Die Bulgaren haben unten in Mazedonien ihre Sache bisher recht gut gemacht … Der Feldmarschall kam gestern von Wien zurück, entzückt über die Frische des alten Kaisers, der über eine Stunde mit ihm geplaudert und sich bis in alle Einzelheiten der Kriegsschauplätze unterrichtet gezeigt hätte …
Den 9.12. … Unser Quartierwechsel schiebt sich doch noch hinaus. Trotzdem heute kein Kurier. Dafür kam aber gestern abend der Unteroffizier mit Briefen vom 1. Er hatte sich auf der Rückreise in Budapest einen Fuß verstaucht und kam daher drei Tage später. Es ist eine ärztlich noch nicht genügend geklärte Merkwürdigkeit, daß solche Unfälle nur auf Rückreisen eintreten … Unten an der serbisch-griechischen Grenze gehen die Bulgaren den Franzosen und Engländern zu Leibe, daß es eine Freude ist. Herzliche Begrüßung zwischen Deutschen und Griechen an der Grenze. Ein komischer Krieg! Eine kurze Skizze der politischen Lage: Italien … hofft auf unsere Vermittlung bei Österreich zur Abtretung eines kleinen Gebiets in Oberitalien und Zulassung in Albanien (Valona), wohin es jetzt einige Truppen schicken will … Frankreich fürchtet resigniert eine deutsche Offensive und Heruntergehen der eigenen Kriegsstärke demgegenüber, sieht vor allem seine steigende Schwächung nach dem Krieg voraus. Rußland völlig unzugänglich. Unbekannt, wer den maßgebenden Einfluß auf den Zaren hat. Hofft auf seine vorhandenen – aber nicht genügend auszubildenden – Menschenmassen, kann jetzt auf dem Balkan nicht eingreifen. Während des Krieges kommt keine Revolution, aber vielleicht nach dem Kriege, wenn das Heer zurückkehrt. Daher schiebt man diesen Moment hinaus. England noch durchaus entschlossen zum Durchhalten, hauptsächlich weil dort die nicht zu erschütternde Rechnung besteht, daß wir es nicht können aus wirtschaftlichen Gründen und daß die Verlängerung des Krieges uns mehr schadet als ihm. Rumänien bleibt der alte …, hat zur Zeit große Angst und schwang sich daher zu entschiedener Ablehnung russischer Forderungen auf.
Den 11.12. … Wenn wir Euch nur von hier aus abgeben könnten, vor allen Dingen Schweine. Dabei schicken wir von diesen Viechern nach Haus. Aber was macht das! Abgesehen davon, daß die von uns selbst abgeschickte Sendung wahrscheinlich unterwegs gestohlen ist. Stehlen tut hier jeder, das ist so Balkanluft. Womit man sich beschäftigen muß: Eben habe ich den König Peter, nachdem er aus dem Lande entfernt ist, auch aus dem Kirchengebet eliminiert. Meine Frage, ob an seine Stelle der Feldmarschall eingerückt werden soll, wurde gut aufgenommen, aber doch abgelehnt. Ich bin heute schlechter Laune ohne einen besonderen Grund. Nur stillsitzen und warten mag ich nicht. Aber auch das lernt man im Krieg. Obwohl ich noch weniger darüber klagen kann als andere … Ich bin überhaupt und heute besonders unrettbar stumpfsinnig.
Den 12.12. … Der Reichskanzler hat in der letzten Reichstagssitzung entschieden wirksam gesprochen … Trotzdem, er ist doktrinär, das schlimmste für einen Staatsmann … Nach oben wird er mit seiner Politik vielleicht durchdringen, aber den Widerstand gegen die Volksstimmen nimmt er nicht auf. Bei der Bezeichnung als Halbfranzosen wird man ihm die ›non-responsabilite pour ses parents‹ zugute halten müssen. Für einen Reichskanzler halte ich das Mitglied einer internationalen Bankiersfamilie nicht für geeignet … Jetzt ist der Wechsel sehr schwierig. F. ist wirklich nicht abkömmlich, und beides geht nicht. Im übrigen wird der Kanzler seine Position sehr gefestigt haben durch diese Rede. Mir ist er zu verschwommen. Frankfurter Patriziersohn, Franzosenfreund, Philosoph, Agrarier, Diplomat und brandenburgischer Junker. Einige der letzten Rollen konnte schon einmal Einer vereinigen … Aber der war Bismarck und – ein Mann! …
Den 13.12. Die Bulgaren haben unten zwei französischen Divisionen und einer Kitchener-Division übel mitgespielt. Diese hatten sich das Abenteuer ganz anders gedacht und ziehen sich jetzt hinter die sie noch deckende griechische Grenze zurück, abhängig von der griechischen Freundschaft. Ob diese hält, ist eine andere Frage. Es ist merkwürdig, wie sich im Orient die Sympathie für die Franzosen hält … Rumäniens Franzosenliebe stammt wohl mehr aus den Boulevardfreuden des einzelnen her als aus dem noch unentwickelten Volksempfinden. Aber vorhanden war sie und ist sie. Da aber in diesem Lande zur Zeit nur zwei Instinkte regieren, Angst und Habsucht, so kommt es nur darauf an, welche größer ist. Zur Zeit die Angst. Neuerdings geben sie uns also auch das von uns vor Jahresfrist gekaufte und bezahlte Getreide heraus. Morgen erwarten wir den lange angekündigten Besuch der türkischen Prinzen. Ich bin neugierig auf die junge Gesellschaft. Dann geht es nach Nisch, wo wir wohl den Bulgaren-Zaren zu sehen bekommen werden. Fast schade, daß wir mit Nikita böse sind. Vorläufig bin ich also noch nicht auf dem Weg nach Mesopotamien, wo sie auch ohne uns auskommen Es ist festzuhalten, wie häufig sich Seeckts Gedanken mit einer Verwendung im Orient beschäftigen. … Der Feldmarschall gab mir einen ganz amüsanten Brief vom Januschauer Oldenburg … Die alte Sache: Hätte man ›ihm‹ Gemeint ist der Feldmarschall von Hindenburg, wie sich aus der ungekürzten Stelle ergibt. mehr Soldaten gegeben, dann hätte er Gott weiß was fertiggebracht. Ja, hätten wir oder die andern überhaupt noch mal soviel Soldaten, dann usw. … Es ist immer das alte Lied.
Den 14.12. … Groener, der oberste Eisenbahner, war gestern hier. Trotzdem ist zunächst die Eisenbahn in Unordnung … Sie wird nicht, wie in den Zeitungen stand, am 2. Januar, sondern erst im Laufe des Januar ihren Betrieb Berlin–Konstantinopel aufnehmen … Wenn heute kein Kurier kommt, werde ich wütend, beinahe so wütend, wie ich bin, weil ich nichts, aber auch gar nichts für Dich zu Weihnachten habe. Es ist wirklich scheußlich von mir, aber hier gibt es nichts, und ich wollte und konnte mir nichts ausdenken, was nicht irgendeinen Sinn hat und dabei doch auch leidlich hübsch und nett ist. Das muß aber nachgeholt werden, meine Geliebte! Ich werde anfangen, darauf zu sparen. Dabei schenke ich nach Goldberg Dort lebten Mutter und Schwester. etwas ganz Entzückendes: zwei Pferde, ganz kleine weiße Tierchen, bosnische Tragetierchen, das Ausdauerndste, was es gibt, können geritten und gefahren werden. Ich habe sie von den Österreichern nominell gekauft, rührenderweise eigentlich geschenkt bekommen. Fressen tun sie, natürlich die Pferdchen, auch nicht viel … Ich hätte sie sehr viel lieber Dir geschenkt. Aber jetzt hättest Du keine rechte Freude an ihnen. Später vielleicht einmal, nicht wahr? Wäre es nur so weit! …
Den 15.12. … Allerlei Briefe von jüngeren Leuten aus Flandern. Nicht allzu zufrieden mit ihrem einförmigen Los, von dem ich aber noch kein Ende sehe, als höchstens ein sinnlos trauriges. Gestern abend die türkischen Prinzen, die ganz nett auftauten. Der Älteste soll einmal der Sultan werden. Einer ist der Schwager von Enver, von dem er mit Begeisterung sprach. Sie sind ja sehr modern erzogen. Ob sie aber sehr entzückt davon waren, daß man sie fortwährend über ihre häuslichen Verhältnisse, Braut, Frau usw. ausforschte, weiß ich nicht. Im allgemeinen gelten solche Fragen dem Orientalen als Höchstmaß der Taktlosigkeit … Nett war es, wie sie alle drei vor Vergnügen quiekten, daß sie jetzt auf einen Monat nach Konstantinopel dürfen nach 18 Monaten Deutschland …«
Seeckt selbst versuchte trotz allem, die Dinge vorwärts zu treiben Heeresarchiv Potsdam, Akte 154.. Die deutschen Truppen sollten den Vormarsch beschleunigen. Sie lagen in einer lang auseinandergezogenen Marschkolonne hintereinander. Da sie jedoch die griechische Grenze nicht überschreiten durften, konnte der Befehl der Heeresgruppe nur zum Ziel haben, einen Aufmarsch für eine sich anschließende Operation auszuführen. Der Termin des 20.12., den Falkenhayn ursprünglich in Aussicht genommen hatte, näherte sich. Daß die O.H.L. inzwischen eine andere Direktive gegeben hätte, ist nirgends ersichtlich. Falkenhayns Hauptinteresse hatte sich seit Anfang Dezember der Westfront zugewandt, wo für eine Entscheidung alle verfügbaren Kräfte bereitgestellt werden sollten. Hier ergingen aber die ersten Befehle erst am 24.12. Übrigens wurden die politischen Verhältnisse für die Heeresgruppe neben den rein militärischen auch nicht gerade einfacher. Die Griechen hätten wohl deutsche Truppen auf ihrem Boden gelitten, waren aber gewillt, einen bulgarischen Einmarsch, abzuwehren. Conrad, der mit der inzwischen herausgelösten Armee Köveß in Montenegro weiter angreift, wünschte jetzt das Vorgehen deutscher und wenn möglich griechischer Truppen gegen Albanien. Hierbei war wieder Italien zu berücksichtigen. Und schließlich wünschten die Bulgaren nunmehr die Unterstellung deutscher Truppen unter ihren Befehl. Der deutsche Verbindungsoffizier bei den Bulgaren hält Seeckt persönlich Vortrag über die bulgarische Verpflegungslage und bemerkt, daß die bulgarische Kriegslust ohne weitere Landversprechungen wohl etwas abflauen würde. Bulgarien hat offenbar für Wehrleistung weitere Entschädigung erwartet Akten Heeresarchiv Wien.. Die Befehlsverhältnisse wurden überdies immer schwieriger. In der Tat mußte man zugeben, daß der deutsche Oberbefehl auf dem Balkan angesichts der zahlenmäßigen Schwäche der deutschen Truppen so recht keine Begründung mehr hatte, zumal in den Augen der Verbündeten Montenegro und Albanien Sonderziele waren. Allerdings mögen gerade die bulgarischen und österr.-ungarischen Sonderwünsche einen deutschen Oberbefehl erst recht nötig gemacht haben. Es waren Zustände, die an den Chef der Heeresgruppe allerhand Anforderungen stellten. Die Heeresgruppe sah zweifellos ihre Hauptaufgabe allein in Richtung Saloniki. In einem Befehl vom 22.12. war klipp und klar Heeresarchiv Potsdam, Akte 154. der Angriff auf die Ententetruppen bei Saloniki festgelegt. General von Gallwitz meldete aber, daß dieser Befehl nur zum Teil ausführbar wäre. Am 30.12. war General von Gallwitz im Stabsquartier der Heeresgruppe. Er »legte Seeckt die Schwierigkeiten der Wege- und Bahnverhältnisse eingehend dar. General von Gallwitz stellte fest, daß man sich bei der Heeresgruppe mit einem späteren Beginn der Operation schon vertraut gemacht hatte« M. v. Gallwitz, Meine Führertätigkeit im Weltkrieg 1914–16.. Der Einfluß des Generals von Gallwitz in der Frage des Zeitpunktes ist also von diesem selbst anerkannt.
Es ist Falkenhayn bekannt, daß Seeckt noch immer gegen Saloniki drängt, aber mit dem Zeitpunkt anfängt, nachgiebiger zu werden. Infolgedessen warnt Falkenhayn Heeresarchiv Potsdam, Akte 154. vor einer Übereilung des Vormarsches. Auf Anfordern Falkenhayns gibt Seeckt am 28.12. eine Lagenbeurteilung Heeresarchiv Potsdam, Akte O 454. unter der Voraussetzung, daß Griechenland den Angriff zuläßt. Seeckt legt dabei die Ansicht zugrunde, daß die Entente Saloniki, das übrigens nicht unbefestigt ist, bis zum Friedensschluß halten wolle. Ganz deutlich treten als Seeckts Bedingungen hervor die Teilnahme deutscher Truppen und Vollendung der Nachschubbahnen, auf die er erst Anfang Februar rechnet. Die Schwierigkeit der Nachschubfrage gewinnt also bei Seeckt an Bedeutung. Von Einfluß auf Seeckts Gedanken mögen zwei Dinge geworden sein. Einmal der Bericht des Majors v. Laffert über das bulgarische Heer Heeresarchiv Potsdam, Akte O 466.. Ferner der Besuch Mackensens und Seeckts in Sofia am 29.12. Seeckt berichtet hierüber unter dem 30.12. an Falkenhayn: »Bei gestrigem Besuch in Sofia gewann ich den Eindruck, daß bei bulgarischer Armee sehr ernste Schwierigkeiten für Verpflegung und Bekleidung bestehen, die bei längerer Kriegsdauer gefährlich werden müssen. An einer Stelle sind schon Auflehnungen wegen mangelnder Verpflegung vorgekommen …«
Um die Jahreswende stehen die Dinge so, daß man sagen kann, die Offensive ist verzögert. Es ist wahrscheinlich, daß sie vor dem Februar nicht stattfindet. Aber beim Heeresgruppenkommando ist noch kein Zweifel, daß sie stattfinden wird. Ob solche Zweifel schon bei der O.H.L. bestehen, mag man dahingestellt sein lassen. General von Gallwitz M. v. Gallwitz, Meine Führertätigkeit im Weltkrieg 1914–16. drückt das treffend aus, wenn er schreibt, daß noch Mitte Januar die O.H.L. und die Heeresgruppe an der Offensive festhielten, »in welchem Triebanteil, kann dahingestellt bleiben«. Kurz zuvor meint Gallwitz jedoch, daß die treibende Kraft für das Salonikiunternehmen nicht Falkenhayn, sondern Seeckt gewesen sei. Das bedarf einer gewissen näheren Erläuterung. Seeckt hatte mindestens bis zum 22.12., also über den 13.12. Der Tag des Haltmachens an der griechischen Grenze. hinaus, am Angriffsgedanken gegen Saloniki unbedingt festgehalten. Am 28.12. gab Seeckt insofern nach, als er eine Verschiebung auf den Februar nicht mehr vermeiden zu können glaubte. Es gewann den Anschein, als wenn in den ersten Tagen des neuen Jahres mit der Besprechung von Velika-Plana am 3.1.1916 eine wesentliche Änderung in der Auffassung Seeckts noch nicht eintrat, aber sich deutlich anbahnte.
Ein Scherz zeigt, wie stark bis dahin Seeckt den Angriffsgedanken gegen Saloniki vertreten hatte. Auf ein Bild, das Seeckt auf den Stufen seines Schlafwagens stehend, etwas suchend umherblickend, zeigt, hatte er geschrieben: »Gen. v. S., das Land der Griechen mit der Seele suchend.«
Die Briefe:
»Nisch, den 19.12. … Eben hier angelangt … Nichts so ausruhlich wie solche Bahnfahrt. Kein Mensch weiß etwas und will etwas. Auch bei Tage geschlafen trotz interessanter neuer Gegend. Hier bulgarische Ehrenwache und Klimbim. Die Stadt scheint – es ist dunkel – ziemlich weitläufig, aber doch auch ein Drecknest zu sein. Unterkunft ganz gut, etwas eng, da die Bulgaren sehr ungern etwas abtreten und für ihre Behörden, Königsbesuche usw. alles mit Beschlag belegt haben. Wir sind ihnen hier unbequem … Die Bulgaren machen aber militärisch einen guten Eindruck. Schade, daß wir unsern alten Boy Rittmeister von Neufville.nicht hier haben. Wie wohl täte er hier in der Steifheit und Unbehaglichkeit, das heißt des großen Kreises. Ich habe es im dienstlichen Verkehr mit meinen Generalstabsoffizieren sehr nett und brauche auch persönlich keinen geselligen Verkehr oder Unterhaltung. Die andern Herren spreche ich kaum, da ich meist zu spät zu Tisch komme und sofort nach Tisch wieder fortgehe. Mit dem guten Hentsch, meinem O.Qu., kann ich wenigstens dann und wann etwas reden … Ich schimpfe etwas heute. Doch das macht nichts. Es geht mir trotzdem ganz gut …«
Es ist sehr häufig über das Verhältnis Seeckts zu den Stäben, deren Chef er war, gesprochen und Kritik in der verschiedensten Art gefällt worden. Selten hat jemand wohl so nüchtern seine Stellung zu seiner Umgebung selbst dargestellt wie Seeckt hier in diesem Brief. Ein Offizier seines Stabes in der serbischen Zeit hat Seeckt so beurteilt:
»Seeckt hat die nach Soissons … in ihn gesetzten Erwartungen glänzend gerechtfertigt. Seine Taten und sein Name gehören seitdem der Geschichte an. Tatsächlich war seine operative Begabung genial zu nennen … Er war groß und schlank … Auf etwas zu hohen Schultern Hier sind einige Worte umgestellt, ohne den Sinn zu verändern. saß der bedeutende Kopf, dessen Antlitz durch das stets getragene Einglas etwas Starres erhielt. Seeckt war immer kühl und zurückhaltend. Er konnte sehr liebenswürdig sein, machte von dieser Eigenschaft aber nur Gebrauch, wenn er Bestimmtes damit erreichen wollte. Eine liebenswürdige Unterhaltungsgabe besaß er nicht. Er sprach auch stockend und abgerissen. Wenn auch das, was er sagte, stets gut war. Im Dienst, beim Vortrag kannte er nur kurze sachliche Bemerkungen. Es wurde dabei nie ein … außerdienstliches Wort gesprochen, persönliches Interesse und hervortretendes Wohlwollen für den Einzelnen zeigte er wenig … Es gab hierin einige Ausnahmen. Dabei handelte es sich manchmal um Persönlichkeiten, von denen man eigentlich nicht begriff, wie sie zu dieser Ehre kamen …«
Es ist sehr bezeichnend, daß auch dieser Stabsoffizier später feststellen muß, wie warmherzig zu seiner Überraschung ihm Seeckt zum E.K. I gratuliert. Seeckts innere Güte und sein warmes Herz zeigten sich nur sehr zögernd und blieben oft lange verborgen. Selbst Menschen, die wie die unmittelbar mit ihm arbeitenden Generalstabsoffiziere Seeckt nähergetreten sind, verkennen seine Verschlossenheit nicht. Einer seiner Generalstabsoffiziere Oberst Blankenhorn, damals Hptm. i. Gen.Stbe. schreibt in sein Tagebuch: »Seeckt ist ein Mensch von seltenen militärischen Gaben. Es ist bewundernswert zu sehen, in welch klar durchdachter Art er die Waffe der zur Armee gehörenden Kampfkörper führt … Still und zurückgezogen lebt der Chef … Nur wenige dürfen zu ihm zum Vortrag. Was von seinem Schreibtisch kommt, ist spruchreif und läßt Zweifel über den Willen des Verfassers nicht mehr aufkommen. Im Verkehr mit Menschen gibt er sich … wortkarg, man möchte sagen unnahbar.« Derselbe Generalstabsoffizier schreibt ein andermal am Schluß der Gorlice-Operation: »... Durch das Abflauen der Arbeit kommen wir jetzt auch menschlich mit Seeckt etwas zusammen und haben schon manche Stunde miteinander verplaudert. Seeckt pflegt dabei seine eisige Reserve abzulegen und sich von ungemein sympathischer Seite zu zeigen …« Seeckt war kein Mensch, der sich leicht ausgab. Vielmehr blieb er tatsächlich zumeist »das gefrorene Handtuch«. Es trifft auch durchaus zu, daß er im dienstlichen und sogar außerdienstlichen Verkehr auf knappste Formen sich beschränkte. Als einst ein Ordonnanz-Offizier Mitteilung von Generalleutnant Köstring.von der Front kam und ihm berichtete, bemerkt Seeckt: »Erzählen Sie keine Kriegsgeschichte. Sie sollen darauf achten, daß …«; und dann folgte eine geradezu klassische Disposition, wie man solche Berichte abzufassen habe.
Generalleutnant Köstring, lange im Stabe Seeckts und einer der wenigen Menschen, die aus dienstlichem Verkehr heraus sich rühmen können, Seeckt seelisch nähergekommen zu sein, meldete sich nach Ausheilung einer schweren Verwundung bei Seeckt zurück. Seeckt beantwortet die Meldung mit den Worten: »Gut, daß Sie da sind.« Das ist alles. Dabei leuchten seine Augen voll Freude. Als Köstring sehr viel später in China tagelang mühevoll hinter Seeckt hinterher reist, nur um ihn begrüßen zu können, empfängt ihn Seeckt mit den vier Worten: »Nett, daß Sie kommen.« Für den, der ihn nicht kannte, bedeutete diese Kürze im Sprechen Kälte. Dem Näherstehenden war die dahinter verschleierte Wärme wohl bekannt. Es ist aber zuzugeben, daß er selten aus seiner Verschlossenheit heraustrat. Er hat nur wenige Freunde gehabt, mit denen er sich rückhaltlos aussprach Der »Doktor« v. Kemnitz war erwähnt; außerdem aus junger Zeit Hans v. Biehler und »Jobst« (Bernd) v. Bismarck-Külz. Später hat ihm General v. Wrisberg sehr nahegestanden. Ein selten freundschaftliches Verhältnis verband ihn auch mit seinem Schwiegervater Fabian, der allerdings schon vor dem Kriege starb.. Das tragische Los aller großen Männer, einsam zu sein, hat ihn früh getroffen, hat ihn nie verlassen und ist nur gemildert worden durch das einzigartige liebevolle Verhältnis zu seiner Frau. Jedoch Anhänglichkeit und Treue zu seinen Mitarbeitern hat er in ungewöhnlicher Weise bewahrt, und im kleinen Kreise taute er auch auf. Dann glänzte sein alles umfassender Geist, seine hohe Kultur, sein Wissen auf allen Gebieten, das ihn befähigte, wenn er zwei Wochen irgendwo war, die infallibile Stelle für alles, selbst für Wirtschaft und Politik zu sein. Ging er aus sich heraus, dann konnte er einen überwältigenden Eindruck auf seine Zuhörer machen. Er hatte dabei wohl ein klein wenig von beißendem Sarkasmus, war aber niemals verletzend, niemals zynisch. Freilich war ihm eine leichte Überheblichkeit, gepaart mit etwas Menschenverachtung, zu eigen. Im Hintergrunde war aber immer wieder Herzensgüte, Wohlwollen, Vornehmheit und auch der Sinn für Humor. Diese Herzensgüte trat ganz plötzlich und ungehemmt heraus, wenn Seeckt zu den Verwundeten in die Lazarette ging.
Jener Offizier des Stabes hat ferner sehr recht, wenn er meint, Seeckt habe liebenswürdig sein können, wenn er Bestimmtes wollte. Bei Unterhaltungen Ebenfalls Mitteilung von Generalleutnant Köstring. mit Menschen, die er überzeugen wollte, nahm sein Gesicht, besonders die Augen, einen Ausdruck an, der seinen eigentlich doch nicht schönen Zügen eine, man kann es nicht anders ausdrücken, faszinierende Kraft zu verleihen schien. Unvergeßlich blieb einem Augenzeugen zum Beispiel eine Unterhaltung mit Tschitscherin und ebenso ein Zusammentreffen mit Falkenhayn in Palästina. In beiden Fällen sollte er überzeugen. Jedesmal war dann ein ganz bestimmter Gesichtsausdruck zu beobachten. Und er hatte Erfolg. Er überzeugte. Es war an dem Fuchsgesicht des Russen wie an der Art des geistreichen Deutschen zu merken. Dabei war Geselligkeit nicht seine starke Seite. Diese wurde vollendet durchgeführt von Frau von Seeckt.
Daß er kein Interesse an den Herren seines Stabes genommen hätte, stimmt ganz gewiß nicht. Er konnte es sich sogar nicht recht vorstellen, daß sich jemand aus seinem Stabe wegmeldete. Wer will, mag darin jene bereits erwähnte Spur von Überheblichkeit erkennen. Als er aber kurz hintereinander einmal die Nachricht bekam, daß zwei frühere Angehörige seines Stabes soeben gefallen waren, ging ihm deren Tod so nahe, daß er tagelang schweigsamer war als zuvor.
Eine Eigenschaft freilich ging Seeckt, diesem klugen Manne, ziemlich ab: die Menschenkenntnis. Anhänglichkeit an gewohnte Personen drängte jedes Urteil, auch über schlechte Erfahrungen mit ihnen hinaus, zurück. Es ist aber oft eine Eigenschaft, ja geradezu Kennzeichen genialer Naturen, daß sie keine besonders gute Menschenbeurteilung besitzen. Es hat große Männer gegeben, die auch die seltene Gabe der Menschenbeurteilung besaßen. Aber es sind sehr, sehr wenige. Man soll es also auch Seeckt durchaus nicht zum Vorwurf machen, wenn er kein guter Menschenkenner war.
Brief vom 20.12.:
»Eben vom Besuch bei drei bulgarischen Würdenträgern zurück. Wobei ich feststellte, daß die Stadt Nisch wunderschön liegt, rings umgeben von bizarr geformten, teilweise hohen Bergen. Viel und buntes Leben ringsherum. Eine neue Welt, wenn auch nicht gerade elegant. Viel bulgarisches Militär, das zum Teil sehr guten Eindruck macht. Sie grüßen ordentlich und sind auch ordentlich angezogen. Dazwischen aber auch bei dem Landsturm Erscheinungen, die an eine Räuberoper erinnern. Man nennt sie Komitadschi und verbindet damit den Begriff eines Mannes, dem es weniger darauf ankommt, mit wem er kämpft, wenn er nur kämpfen darf, und alles andere tun darf, was damit in Verbindung steht … Meine liebe Dicke, quäle Dich doch nicht mit unerfüllten Tagespflichten. Wer schöpft alle Lebensmöglichkeiten bis zum Grunde aus! Bleibe mir gesund, frisch, heiter und gut. Das ist eine große Pflicht, wenn sie auch vielleicht etwas sehr von meinem eigenen Standpunkt aus aufgefaßt ist. Doch kann allein dies ihrer Erfüllung auch schon Befriedigung geben. Ich bleibe trotz Türken und anderen Heiden, Königen und anderen Menschen doch stets der Deine.
Den 21.12. … Was Ihr noch alles mit mir altem Generalstäbler vorhabt! Ich denke nun nicht, daß bald ›der‹ Wechsel eintritt, und ich sollte gar dann Nachfolger sein? Daran ist meines Erachtens nicht zu denken, und ich glaube auch, es denkt von den maßgebenden Leuten niemand daran. Jeder Zeit bereit einzuspringen bin ich auch nicht, da ich über Vieles nicht orientiert bin. Es würden sich auch ohne weiteres eine Menge Schwierigkeiten persönlicher Natur ergeben. In meiner jetzigen Stellung wäre ich an sich schon zu ersetzen. Aber wer ist das nicht? Das ist ja in unserer Generalstabsschule das Gute, daß der eine die Arbeit hinlegen kann und der andere sie aufnimmt, ohne daß man es merkt. Im ganzen also denke ich, es bleibt vorläufig alles beim Alten, und das ist gut so. Vorläufig ist noch Krieg und seine Führung die Hauptsache. Zum Frieden finden wir vielleicht auch noch den richtigen Mann. Gestern abend eine Reihe bulgarischer Generale bei Tisch. Der Älteste von ihnen eine gute Erscheinung mit guter Haltung. Dann ging es so langsam abwärts, auch mit der Verständigung. Der Königliche Kommissär Tschapraschikow war heute vormittag lange bei mir, spricht deutsch, aber natürlich besser und lieber französisch, wobei ich sehr lebhaft bedaure, daß ich das Meinige in letzter Zeit so wenig gepflegt habe. Es ist wirklich eine Schande: halbmilitärische, halbdiplomatische Verhandlungen zu führen wird mir doch schwer. Es ist ein ganz amüsantes Leben, aber etwas zuviel politisches Beiwerk, um mich recht zu befriedigen.
Den 22.12. … Ich habe schon wieder einen Orden bekommen und zwar einen außergewöhnlich hohen, die I. Klasse der österreichischen Eisernen Krone, Stern und Band. An äußeren Ehren fehlt es nicht. Doch scheint es mir fast, als hätte ich es um Österreich etwas verdient. Der Kaiser konnte dem, der mithalf, ihn an Serbien so schnell und gründlich zu rächen, seine Dankbarkeit beweisen. Was er ja auch getan hat mit dem Orden, über dessen Verleihung sich sämtliche österreichischen Herren besonders freuten … Endlich darf ich heute die Flieger auf Saloniki loslassen … Zur Zeit erfahre ich nichts von oben …
Den 23.12. … Es ist jetzt zuweilen zwischendurch recht ruhig und nichts los. Ich schlafe sogar manchmal am Tage, lese oder schreibe an Dich und bekomme Orden. Heute übrigens noch nicht! … Die Eisenbahnen gehen noch unregelmäßig, doch wird es in den nächsten Tagen besser. Du wirst wie alle Frauen der Mitglieder des A.O.K. ein Album mit Photos aus Kragujevac erhalten mit einem guten, wenn auch nicht allzu sympathischen Bild von mir darin Das Bild ist seit dem 2. Mai 1937 in der Vitrine des Zeughauses. … Weiter kann ich Dir heute nichts erzählen. Von ferne pfeift ein Zug und erregt etwas Sehnsucht …«
Der Anfang des nächsten Briefes bezog sich auf einen Brief von Hanns v. Zobeltitz und einen von Hauptmann Friedrichs.
Der Brief von Zobeltitz enthielt eine Ganghofer-Anekdote, von dem Zobeltitz meint, er wäre ja ein bissel kriegstoll, aber ein braver Mann: »Ein General fragt, ist der Ganghofer schon da? Der Adjutant antwortet, dort kommt er eben. Worauf der General entscheidet, na also, dann wollen wir loslegen.«
Und schließlich enthielt der Brief des Hauptmanns Friedrichs Im Reichsheer Generalmajor, später Oberbürgermeister von Potsdam; siehe Fußnote S. 256. folgende Stelle: »... Man hat mich fortgenommen von meinem lieben Bataillon I/203 und, mir unverständlich, ins 3. Garderegiment versetzt, dort wie bisher Bataillonsführer. Es muß wohl einen Sinn haben, den ich allerdings nicht kenne …«
Auf diese Briefe nimmt Bezug der Brief vom:
»25.12.1915. Meine geliebte Katz! Nun will ich aber an einen richtigen ordentlichen Weihnachtsbrief gehen. Zunächst mal als Anfang ein Begleitwort zu den drei Briefen: Der von Zobeltitz wird Dich amüsieren … Der Brief meiner Schwester ist so besonders nett … Der dritte endlich machte mir Freude wegen der Anhänglichkeit und wegen der einen Stelle. Das ist doch noch eine soldatische Auffassung. Zunächst keine Rede von Ehre, nur Bedauern, sein Kriegsbataillon abgeben zu müssen. Ich hatte etwas für den Offizier verlangt, der als erster unsere Fahne in Brest Litowsk und Belgrad aufgepflanzt hatte. Da haben sie ihn in die Garde versetzt, was ich natürlich als große Auszeichnung empfinde. Er sieht zunächst den Grund nicht ein. Er wird ja schon dahinter kommen. Aber zunächst ist es in dieser Art hübsch und recht. Es macht immer Freude, wenn man sich nicht in einem Menschen getäuscht hat. Unsere Weihnachtsfeier verlief sehr nett. Hüllessem hatte alles denkbar hübsch eingerichtet …«
Ebenfalls am 25. schreibt Seeckt wie alljährlich einen Weihnachtsbrief an die Mutter. Der Brief ist lang und geht auch auf politische Fragen ein: »... Zwei Dinge sind meines Erachtens ganz unausbleiblich: ein starkes Anwachsen der Staatsidee und damit der Macht des Staates, also verstärkter Staatssozialismus, nachdem das Volk zur Armee wurde … Unser Existenzkampf ist noch lange nicht zu Ende, auch nicht, wenn es in absehbarer Zeit zu einem sogenannten Frieden kommt, von dem sich niemand ein rechtes Bild machen kann. Es gilt also stark und gerüstet sein, bleiben und werden. In einer Konferenz kurz vor dem Kriege fiel vor dem erschütterten Reichskanzler, dem der Begriff des Belagerungszustandes klar gemacht wurde, das Wort: Eine erleuchtete Militärdiktatur ist vielleicht überhaupt die beste Regierungsform …« Und doch hat Seeckt die Gewalt, als er sie in seinen eigenen Händen hatte, wieder zurückgegeben.
»Den 30.12. … Wie tief ist das Wort von der großen Sonne, die über Gerechte und Ungerechte scheint. Es hat mich auch schon früher oft getröstet und mich gefestigt im Glauben, daß es doch irgendwo eine Macht gibt, die über Gut und Böse steht und nach ihren eigenen ewigen Gesetzen urteilt. Ich danke ihr, ohne sie zu begreifen. So streut Dir die Natur mit der verschwendenden Hand des wahrhaft Reichen bald Deine Schneeglöckchen und dann die Maiglöckchen über den Tisch. So stehen ehern und bleibend die Berge im Wintersonnenglanz um mich, und über all dem Grau und dem Schmutz der winterlichen Stadt standen gestern abend die Sterne so blinkend, wölbte sich heute so rein und hell der Himmel, als wäre nichts wie Frieden auf der Welt. Es tut gut, solcher Aufblick zur ewigen Natur, heraus aus aller erdrückenden Menschlichkeit. Und darin soll mich vor allem der Gedanke an Dich und unser Zusammenleben bestärken. Mein guter Kamerad! Zunächst will ich Dir aber etwas von der Fahrt gestern mit dem Feldmarschall nach Sofia erzählen. Es lohnt schon. Nach der bekannten bequemen Nacht im Schlafwagen fiel am Morgen der Blick auf eine nicht sehr breite Flußebene, die an beiden Seiten hohe und klare Berge einrahmten. Alles sonnenbeschienen. Die Dörfer nicht unfreundlich und leidlich sauber … Der Feldmarschall hatte sich auf mein Verlangen mit allen Attributen seiner Würde schmücken müssen: Band des Schwarzen Adlers, Kette des Hohenzollern und großer Marschallstab. Er sah brillant aus, und als er so vor mir stand, da streckte er mir mit einemmal die Hand hin: ›Das danke ich Ihnen.‹ Das war so natürlich und warm. Heute war General von Gallwitz bei mir. Eine erregte Auseinandersetzung Es muß sich offenbar um den Aufmarsch zum Angriff in Richtung Saloniki gehandelt haben. Seeckt wollte ihn vermutlich schneller, als Gallwitz für möglich hielt.. Dann ging er zum Feldmarschall, um mich zu verklagen. Er kam unzufrieden wieder In einer Unterredung im März 1938 bemerkte Feldmarschall v. Mackensen, daß hier möglicherweise ein Irrtum Seeckts vorläge. Er habe General v. Gallwitz ganz besonders hoch geschätzt und auf seine Meinung sehr gehört. Wenn Gallwitz unzufrieden von ihm weggegangen sei, so könne es nur darüber gewesen sein, daß die Meinungsdifferenz durch irgendeinen Zufall überhaupt nicht zur Sprache kam. …Das sind nun doch ansehnliche Posten auf der Plusseite meiner Stellung, und ich bin dankbar dafür, wenn ich auch Dir gegenüber einmal schimpfe. Kleinigkeiten verstimmen ja mehr als große Dinge. In Sofia großer Empfang auf dem Bahnhof. Der Kronprinz als Vertreter des Königs, die Generalität, unter der alle Armeeführer, eine hübsche Ehrenkompanie der Junkerschule. Dann fuhr der Feldmarschall mit mir im königlichen Auto in das Hotel. Dort die deutsche Kolonie. Dann Besuch bei den Ministern, beim deutschen, österreichischen und türkischen Gesandten. Danach der Feldmarschall zum König, ich während der Zeit zur Königin Zweite Gemahlin des Zaren., die ganz reizend war, eine geborene Prinzessin Reuß. Gute Figur und Haltung … Sie erzählte mit Tränen von ihren Verwundeten und gedachte dankbar der mehrfachen Anerbieten aus der Heimat, ihr Krankenautos zu schicken. Dann wechselten wir, der Feldmarschall kam zu ihr, ich zum König. Er behielt mich statt einer halben Stunde anderthalb bei sich. Hochinteressant für mich, auch sein Bemühen, mich auf alle Fälle zu bezaubern und zu gewinnen. Wir beide, der König und ich, wir würden es schon machen. Das sollte mein Eindruck sein … Aber interessant war es, und er ist entschieden einer der klügsten Leute, die ich getroffen habe, mit dem man schon ein Stück gehen kann und auch muß. Jedenfalls ist die persönliche Fühlungnahme für die Sache von Wert, und manches kann und wird sich durch direkten Verkehr machen lassen … Inzwischen hatte die übrige Gesellschaft Hunger und war nicht erfreut, auf uns warten zu müssen … Das Essen war unwahrscheinlich und tat bei aller Vorzüglichkeit Waldowschen Schweinebratens mit Sauerkraut auch einmal recht gut. Unterhaltung mit dem König sehr interessant nach links, mit dem Chef des bulgarischen Generalstabes nach rechts sehr wichtig. Die Königin war leider nicht dabei. Der Bulgare sagt von ihr: ›Gutte Frau – Wohltätigkeit.‹ Nach Tisch Cercle … Ich hatte noch eine Stunde zur nötigen Verständigung mit dem General Jekow Zeit … Sofia liegt herrlich, ist neu, elegant, sauber. Das Schloß durchaus königlich und ebenso der ganze Zuschnitt des Hofhaltes bis zu dem wunderbaren Blumenschmuck aus rosa Alpenveilchen und dem Tafelsilber. Die Adjutanten sehr elegant und wohlerzogen … Am 3. Januar fahre ich nach Belgrad, um Falkenhayn dort zu treffen, woran mir sehr viel liegt und was absolut notwendig ist. Es wird eine ziemlich wichtige und nicht ganz leichte Sache werden … Winterfeldt schrieb mir und tat es mir leider an, mich den Gneisenau dieser Zeit zu nennen …
Den 31.12.1915. … Eben kommen draußen meine jungen Herren aller Nationen von einem Jagdritt zurück. Ich hatte mit durchfahrendem König und dem Feldeisenbahnchef gerade genug anderes zu tun … Ich glaube wohl, daß sie Dich gern bei der Arndt-Feier gehabt hätten. Der alte Herr wäre vielleicht mit seinem Urgroßschwiegersohn jetzt leidlich zufrieden. Ich halte durch und werde meinen Geist nicht von Völkerfrieden und Weltbürgertum später umnebeln lassen. Doch mache ich im Innern eine Ausnahme. Die Kunst soll mir unberührt bleiben. Beim besten Willen werde ich nie beim Anblick einer Wiedergabe der Kuppel des St. Peter, des Jüngsten Gerichts so wenig wie bei dem eines Gesichts von peruginischer Süßigkeit an unser jetziges Kriegsverhältnis zu den Italienern denken, und ich werde nie das Bedauern überwinden, daß man diese Dinge selbst nicht wiedersehen wird. Gründe dafür und dagegen habe ich nicht. Ich kann einfach nicht anders. Kann nicht ein Stück meines gewordenen Lebens aufgeben, zu dessen wertvollsten Besitztümern ich den Genuß solcher Schönheit und die Erinnerung an sie zähle. Sonst aber kann Dein Ahne ruhig auf mich rechnen. Ich denke, Du gibst mir hierin recht. In bezug auf französischen Champagner habe ich übrigens auch noch bei uns beiden kein Erwachen nationalen Widerwillens gespürt … Von Sofia muß ich noch nachholen, daß der König mir sagte: Es sei seit 4 Jahren, also seit dem Ausgang des letzten Balkankrieges 1913; es war also 3 Jahre her. das erstemal, daß Musik in seinem Hause sei und er feierlich Gäste an seinem Tisch sähe. Die Bulgaren spielten bei Tisch und so als eine Art Volkshymne zwischen anderen deutschen Liedern ›Wir treten zum beten‹. Es ist an sich nicht mein Schwarm, aber massenwirksam, leider arg mißbraucht … Morgen früh geht der Kurier zurück und kann daher einen ganz besonders zeitlich richtigen und auch ganz besonders herzlichen kleinen Neujahrswunsch mit nehmen. Was wir beide uns wünschen, das bedarf weiter keines Wortes …«
Die Lage Griechenlands hatte sich inzwischen schwierig gestaltet. Schon in der ersten Novemberhälfte ließ Falkenhayn dem König von Griechenland keinen Zweifel darüber, daß die Bulgaren nur mit Rücksicht auf Griechenland ihren Angriff nicht fortsetzen würden. Ende November, im Anschluß an die Besprechung in Temesvar, ließ Falkenhayn Griechenland wissen, daß das Erscheinen deutsch-bulgarischer Truppen auf griechischem Gebiet kaum zu vermeiden sei, wenn Griechenland die Ententetruppen nicht neutralisiere. Diesen Druck Falkenhayns beantwortet Kitchener mit ausgesprochenem Gegendruck. In der schwierigen Situation versucht der König von Griechenland wenigstens zu verhindern, daß bulgarische Truppen griechisches Gebiet betreten. Falkenhayn muß diese Forderung ablehnen. Immerhin hatte er doch schon so entscheidend nachgegeben, daß er am 13.12. die Bulgaren anhielt. Nunmehr drängt er auf Entscheidung in Athen. Die zweite Hälfte des Dezember bringt einen fast täglichen Notenaustausch. Um die Jahreswende ist die Lage so, daß Griechenland keinesfalls den Einmarsch bulgarischer Kräfte in sein Gebiet dulden will, obwohl eine ausdrückliche Antwort des Kaisers an den König von Griechenland den Einmarsch auch bulgarischer Truppen für unvermeidbar erklärt hatte. Wohl will Griechenland deutschen und österreichischen Truppen keinen Widerstand entgegensetzen.
Eigenartig hatte sich in den letzten Tagen das Verhältnis zu den Bundesgenossen entwickelt. Erörterungen über die operative Lage unterblieben mit den Österreichern seit den Weihnachtstagen fast ganz. Man muß schon zugestehen, daß das Jahr 1916 für den Heeresgruppenchef nicht einfach begann. Es war eine Begebenheit voller Schwierigkeiten, Vereinbarungen über die Etappengrenzen zu treffen, An einen alten Regimentskameraden schrieb Seeckt, er käme sich auf diesem Kriegsschauplatz wie ein Dompteur vor.
Am 3. Januar des neuen Jahres fand die Besprechung zwischen Falkenhayn, Tappen und Seeckt, alsdann Zar Ferdinand, Jekow und Jostow in Velika-Plana statt. Das Ergebnis wurde festgelegt Heeresarchiv Potsdam, Akte O 454.:
»Der Angriff gegen die feindlichen Truppen bei Saloniki soll durchgeführt werden, wenn zu dem Zeitpunkt, zu dem unsere Vorbereitungen beginnen können, nach dem bestehenden Stärkeverhältnis noch Aussicht auf Erfolg in absehbarer Zeit besteht. Die endgültige Entscheidung … kann also erst im letzten Drittel des Monats Januar … getroffen werden. Der Angriff soll … sobald wie irgend möglich erfolgen …«
Mithin blieb der Termin der Offensive unklar. Übrigens war ein neues Moment hinzugekommen, nämlich das Stärkemoment. Ließ man mehr Zeit verstreichen als unbedingt notwendig, so konnte der Augenblick eintreten, in dem die Ententetruppen stärker wurden als die Angreifer. Es war noch etwas anderes in dem Ergebnis von Velika-Plana bemerkenswert. Der deutsche Oberbefehl war beinahe nur noch der Form nach vorhanden. Dabei war er eine der Voraussetzungen Seeckts. In der Tat befahl nach diesen Vereinbarungen der Feldmarschall von Mackensen außer den deutschen Truppen nicht mehr über ganze zwei bulgarische Divisionen. Die andern scheuten daher vor Maßnahmen nicht zurück, die recht deutlich Absicht verrieten. Im Absatz 3 b des Ergebnisses von Velika-Plana stand der Satz: »... Die Ablösung der Teile der Armee Todorow 2. bulg. Armee. erfolgt schon nach Weisung des Heeresgruppenkommandos Mackensen …« Nach einer Randbemerkung in der Abschrift des Besprechungsergebnisses für die O.H.L. hat General Jekow diesen Satz in seinen Befehl an Todorow nicht mehr aufgenommen. Es ist verschiedenes, was in den nächsten Tagen nach der Besprechung nicht so läuft, wie Seeckt es vorgeschlagen hatte. Die Unterstellung Bojadjews ist nicht klar, die Todorows nicht vollzogen, das Überschreiten der griechischen Grenze für Erkundungen wird nicht gestattet. Alles das hindert Seeckt nicht, in der gewohnten Weise mit allem Nachdruck auf Beschleunigung hinzuarbeiten. Schon am 5. Januar entwirft er selbst die »vorläufige Benachrichtigung« Heeresarchiv Potsdam, Akte 154., wonach »ohne Zeitverlust die Vorbereitungen für einen Angriff auf Saloniki zu treffen sind«. Am gleichen Tage gibt Seeckt außerdem noch der O.H.L. in seiner klaren Art eine Darstellung der Lage an der Adria. Tags darauf reicht er der O.H.L. den Bedarf an Batterien und Artilleriemunition ein; übrigens im ganzen 96 Batterien, von denen erheblich mehr als die Hälfte noch nicht da ist. In dieser Besprechung Heeresarchiv Potsdam, Akte 154. steht zum erstenmal ein Hinweis auf den Zeitbedarf: »... Eine überschlägliche Berechnung des Wagenbedarfs für die geforderte schwere Artillerie ergäbe … eine Transportzeit von rund 60 Tagen …« Das hieß also, daß man erst in den ersten Märztagen angreifen könne. Falkenhayn, dessen Gedanken im Westen festliegen, wird das nicht gern gelesen haben. Seeckt hat es auch sicher nicht gern geschrieben. Er fügt daher nach einigen Zwischensätzen noch hinzu: »... Anders läge die Frage, wenn es sich … herausstellen sollte, daß es möglich wäre, sich mit schwächeren Kräften in den Besitz von Vorstellungen zu setzen und damit bereits einen starken Druck auf den Feind auszuüben …«
Es kommt in diesen Tagen zu einer recht scharfen Auseinandersetzung zwischen Seeckt persönlich und den Bulgaren, die dauernd irgendwelche Abänderungen von Befehlen und Vereinbarungen wünschen. In einem Schreiben von Seeckts Hand am 9.1., das im ganzen von bemerkenswerter Schärfe ist, allerdings zunächst an Major von Bock, den deutschen Offizier bei den Bulgaren, geht, heißt es gleich zu Anfang Heeresarchiv Potsdam, Akte O 454.: »... Bei dem Fehlen jeglichen Entgegenkommens unseren Vorschlägen gegenüber werden … die gemachten Vereinbarungen Deutschlands in ihrem vollen Umfange hiermit von mir zurückgezogen.« Nimmt hier die Schärfe zu, so nimmt eigenartigerweise bei den Österreichern die Spannung ab. Die nicht mehr unterstellte k. u. k. 3. Armee sendet immer noch getreulich an die Heeresgruppe Morgen- und Abendmeldungen. Falkenhayn hat die Befehlsverhältnisse zu den Bulgaren zu bessern gesucht und Jekow darauf hingewiesen, daß Mackensens Befehle als Vorbereitung des Angriffs befolgt werden müßten. Trotzdem sieht bereits am 11. Januar im Kriegstagebuch der O.H.L. Heeresarchiv Potsdam, Akte O 165. die Offensive bliebe fraglich. Das kann sich natürlich mit Rücksicht auf Velika-Plana auf den Zeitpunkt, es kann sich aber auch auf die Offensive an sich beziehen.
Am 12. Januar gibt Seeckt an die O.H.L. eine Lagenbeurteilung Heeresarchiv Potsdam, Akte 155., die allein schon dadurch auffällt, daß sie, für seine Schreibweise ziemlich eng geschrieben, elf Seiten lang ist. Sie ist aber auch im Inhalt so wesentlich, daß man prüfen muß, wie diese Gedanken in Seeckt entstanden sein werden. Noch am 5.1. Heeresarchiv Potsdam, Akte 14 A.O.K. 11. läßt er die Frage des Zeitpunktes bewußt offen. General von Gallwitz M. v. Gallwitz, Meine Führertätigkeit im Weltkrieg 1914–16. gibt den Eindruck wieder, daß das Heeresgruppenkommando sich die Dinge anfangs wohl leichter vorgestellt habe, insbesondere die Schwierigkeiten des Operationsgeländes. Der ausschlaggebende Grund bei der Wandlung der Auffassung dürfte dies kaum gewesen sein. Es ist mehr und mehr zu bemerken, daß Seeckt alle Voraussetzungen zu einem Gelingen schwinden sieht. Nicht er gibt das Unternehmen auf, sondern das Fehlen der Voraussetzungen zwingt ihn dazu. Zunächst aber kämpft er noch darum, die Voraussetzungen zu erreichen. Der wirkliche Wandel der Anschauung ist bei ihm vermutlich erst nach dem 18. Januar eingetreten, als er einsah, daß nur noch eine Operation großen Stils zum Ziele führen konnte. Seeckt ist niemals geneigt gewesen, das Kleine zu betreiben, nur um sich selbst in Tätigkeit zu setzen. Es war ihm gegeben, äußerlich ziemlich leicht zu verzichten, wenn er die Voraussetzungen nicht erreichen konnte. Was ihm der Verzicht innerlich kostete, das wußte außer ihm kein Mensch; vielleicht nichts, vielleicht gelegentlich unendlich viel.
Zweifellos ist Seeckt, abgesehen von seiner Einschätzung der Stimmung bei den Bulgaren, auch hier wieder wesentlich durch die Haltung Falkenhayns beeinflußt worden. Seeckt muß spätestens bis zum 6. Februar auf eine nicht nachweisbare Art den Eindruck bekommen haben, daß Falkenhayn nicht mehr wolle. Denn daß er nicht mehr gewollt hat, bestätigt Falkenhayn selbst. Er schreibt v. Falkenhayn, Die O.H.L. 1914–1916 in ihren wichtigsten Entschließungen. die O.H.L. habe seit Anfang Januar der Fortsetzung der Offensive auf Saloniki wenig geneigt gegenübergestanden. Gesagt hat er im Januar noch nicht so. Aber gedacht hat er so, und das hat sich selbstverständlich auf Seeckt ausgewirkt. Er begann zu befürchten, daß er das Notwendige überhaupt nicht und das Bewilligte nicht rechtzeitig bekommen würde. So ist es nicht nur begreiflich, sondern sogar völlig gerechtfertigt, daß Seeckt nach Mitte Januar die Offensive nicht mehr mit voller Überzeugung betrieb, eben weil der überzeugte Wille Falkenhayns nicht mehr dahinterstand. Es ist durchaus zuzugeben M. v. Gallwitz, Meine Führertätigkeit im Weltkriege 1914–16., was Hentsch am 25. Januar geäußert haben soll, der Offensivgedanke sei bei Seeckt ziemlich verblichen. Eine Offensive gegen Saloniki mit halbem Herzen und matter Kraft war nicht die Sache eines Mannes wie Seeckt.
Man hat beinahe vermutet, daß die Lagenbeurteilung vom 12. Januar so etwas bestellte Arbeit für Falkenhayn gewesen sei. Das heißt doch Seeckts Wesen sehr falsch beurteilen. Nach allem Voraufgegangenen muß man vielmehr annehmen, daß es sich um eine letzte und sehr deutliche Warnung, fast ein Ultimatum an Falkenhayn, freilich in Seeckts so ungemein disziplinierter Form, handelt. Allerdings war dann diese Warnung auch so aufzufassen, daß das Unternehmen abzulehnen sei, wenn nicht ausreichende Vorbedingungen geschaffen würden. Seeckt schreibt am 12.1.:
»E. E. bitte ich nachstehend eine zusammenfassende Beurteilung der Gesamtlage auf dem Balkan vortragen zu dürfen. Wenn ich dabei auch auf politische Fragen eingehe, so geschieht dies, weil diese hier von den militärischen nicht zu trennen sind. E. E. werden zur Beurteilung derselben wahrscheinlich bessere Quellen zur Verfügung stehen; dagegen gewinnen meine Eindrücke unter ihrer Unmittelbarkeit vielleicht an Wert. Es kommt hinzu, daß meine Gedanken sich ausschließlich auf diese Fragen konzentrieren Ein ziemlich deutlicher Hinweis, daß für Falkenhayn sich die Verdun-Frage dazwischenschob.. Als erste taucht die nach der Haltung Bulgariens auf. Ich kann mich dem zunehmenden Zweifel nicht verschließen, ob wir die gleichen militärischen Ziele verfolgen, d. h. ob die Bulgaren gewillt sind, mit Einsatz ihrer vollen Kraft und von großen Blutopfern den Feind in Makedonien anzugreifen und Saloniki zu nehmen. Ohne beides ist ein Erfolg nicht zu erwarten. E. E. haben sich ja selbst auch noch die endgültige Entscheidung vorbehalten. Aus der Beratung vom 3. Januar habe ich nicht den Eindruck mitgenommen, daß die bulgarische Heeresleitung … überhaupt noch … zur energischen Fortsetzung der Operation entschlossen ist. Ich gewann diesen Eindruck noch mehr, als ich am 4. hier nochmals kurz mit dem General Jekow und Jostow zusammentraf. Während ich glauben möchte, daß der erste als Soldat mit gutem Willen bei der Sache blieb, suchte Jostow immer wieder die Schwierigkeiten ihrer Lage darzustellen und zog eigentlich alles Besprochene wieder in Zweifel. Ich lehnte ein Eingehen auf die Abmachungen des Tages vorher ab. Mein Eindruck, daß wir in General Jostow keinen Parteigänger unserer Sache haben, ist ja nicht neu; ich sehe in ihm den Urheber der täglichen kleinen und kleinsten Hemmnisse ebenso wie der Verzögerungen großen Stils …
Es scheint mir nun notwendig und erlaubt, zu versuchen, sich in die politischen Interessen Bulgariens zu versetzen. Das Kriegsziel, Rache an Serbien und Gewinnung des beanspruchten Landes, ist im wesentlichen erreicht. Gewiß ist der Appetit noch größer und Kavala noch ein Gegenstand des Wunsches, ebenso wie es die militärische Demütigung Griechenlands ist. Dies mit unserer Hilfe zu erreichen, erscheint ihnen an sich verlockend, unsere Zustimmung zu beiden aber zweifelhaft … So bleibt die Frage, ob der Angriff auf die Entente bei Saloniki für Bulgarien eine politische und militärische Notwendigkeit ist. Der Besitz von Stadt und Hafen ist dies nicht, eine Schädigung der Franzosen und Engländer auch nicht. Im Gegenteil: Bulgarien kann eine ausgesprochene Feindschaft dieser Mächte für später nicht wünschen; Volk und Heer sieht in ihnen jedenfalls keinen natürlichen Feind. Wären die Bulgaren sich also sicher, daß die Entente keinen angriffsweisen Versuch macht, ihnen das eroberte Land wieder zu nehmen und die eine Lebensfrage bildende Verbindung mit uns zu unterbinden, dann könnten sie sich mit einem englisch-französischen Saloniki wohl abfinden … Wäre der Erfolg bei Saloniki billig zu haben, d. h. vor allem mit deutschem Blut, dann brauchte man an dem willigen Mitgehen Bulgariens nicht zu zweifeln. Wird ihnen aber klar, daß es auf alle Fälle Ströme bulgarischen Blutes kostet, dann wird die Rechnung vielleicht eine andere.
Man wird gerechterweise zugeben müssen, daß Bulgarien Anlaß hat, mit seinen Kräften etwas haushälterisch umzugehen. Vielleicht wird es sich also überlegen, ob die Sicherung gegen einen Angriff der Entente nicht billiger zu erreichen ist, d. h. wenn wir nicht geneigt sind, ihm die Kastanien im wesentlichen aus dem Feuer zu holen, durch Defensive. Ich halte das Unternehmen, worauf ich noch näher zurückkomme, für so ernst, daß wir als Angreifer in allen unseren Teilen zum Einsatz der ganzen Energie entschlossen sein müssen, um es erfolgreich durchzuführen. Ist ein Teil nur mit halbem Herzen dabei, so fehlt die erste Vorbedingung zum Gelingen Diese Stelle charakterisiert nicht nur Seeckt, sondern sie ist eine ernste und offene Warnung an Falkenhayn, obwohl sich die Worte im Zusammenhang natürlich auf die Bulgaren beziehen..
E. E. Meinung über die Unternehmung glaube ich dahin zusammenfassen zu dürfen, daß etwa Ende des Monats zu erwägen und zu beschließen sei, ob der Angriff mit den dann vorhandenen Kräften mit Aussicht auf Erfolg durchzuführen sei oder ob die Heranziehung noch wesentlich stärkerer Kräfte notwendig würde unter Inkaufnahme des Zeitgewinns für den Feind oder ob vom Angriff abzusehen sei … Es wird nach meiner gewissenhaften Überzeugung auf alle Fälle noch eine längere Zeit vergehen, als ursprünglich angenommen werden konnte, bis mit dem angriffsweisen Überschreiten der griechischen Grenze gerechnet werden kann; denn ohne eine gesicherte rückwärtige Verbindung wird der Vormarsch nicht angetreten werden dürfen. Die Hoffnung auf die Möglichkeit eines baldigen Angriffs ist demnach in den letzten Tagen geringer geworden … Stehen die erforderlichen Kräfte und die Zeit, sie zu entfalten, zur Verfügung, dann dürfte m. E. an dem Erfolg nicht zu zweifeln sein … Zusammenfassend bitte ich meine Meinung dahin festlegen zu dürfen, daß ich den Angriff überhaupt nur dann für ratsam halte, wenn die Sicherheit eines energischen Kräfteeinsatzes seitens Bulgariens besteht; daß der Angriff erst nach wesentlicher Ergänzung der artilleristischen Kraft und nach genügendem Wege- und Eisenbahnausbau durchzuführen ist, nachdem die erhoffte baldige Einleitung und die sich aus ihr ergebenden Vorteile zweifelhaft geworden sind; daß, wenn unter diesen Umständen vom Angriff Abstand genommen werden soll, eine zuverlässige Verteidigung zu schaffen ist, aus der die deutschen Kräfte nach der Lage nach und nach zurückzuziehen wären. v. S.«
Am nächsten Tage bereits ergänzt Seeckt sein Urteil dahin Heeresarchiv Potsdam, Akte O 454.: »Der Kräftezuwachs bis zum 16. 2. kann als genügend nicht angesehen werden, um zunehmende passive und vielleicht auch aktive Widerstandskraft des Feindes auszugleichen. Wohlvorbereiteter und aussichtsreicher Angriff kann auch nach diesseitiger Berechnung nicht vor Mitte April angesetzt werden. Alle eingeleiteten Vorbereitungen werden hier unbeirrt fortgesetzt.«
Wenn jemand hieraus eine Art geschmeidigen Nachgebens herauslesen wollte, so ist das ziemlich unverständlich. Daß zu einem Angriff im April die Absichten Falkenhayns in krassem Widerspruch standen, das wußte Seeckt nicht bestimmt. Aber er mußte es aus mehreren Umständen folgern. Er konnte also nur sagen: Entweder es werden jetzt von der deutschen Seite umgehend Voraussetzungen geschaffen, die ein Unternehmen ganz großen Stils unter Zurückstellung anderer großer Pläne ermöglichen, oder unsere Sache hat keinen Wert mehr. Diese Januarberichte sind hartes Betonen des Tatsächlichen und nicht eine Abwandlung der Auffassung im Nachgeben.
Seeckt wird etwas erstaunt gewesen sein, daß nach seinem Bericht vom 12. eine Anfrage Falkenhayns am 13. eintrifft Wolfgang Foerster im »Mackensen« nimmt an, daß sich die beiden Schreiben gekreuzt haben. Das ist möglich. Allerdings ist der Bericht Seeckts am 12. abds. nur wenig später abgegangen als das Fernschreiben, das Falkenhayns Anfrage auslöste. Es bleibt die Tatsache, daß Fk. seine Frage nicht zurückzog. Auch das amtliche deutsche Kriegswerk nimmt jedoch an, daß Falkenhayn am 13. Seeckts Bericht vom 12. nicht gekannt hat., ob am 1. 2. angegriffen werden könne mit den vorhandenen Mitteln; ob Mitte Februar mit der ersten Artillerieverstärkung und ob denn überhaupt angegriffen werden könne. Das sind Fragen, die nur verständlich werden bei einem Manne, den seine Verdunpläne bereits beherrschen.
Man muß zugeben, daß die Briefe zunächst die Spannung dieser Tage nicht ganz wiedergeben:
»Nisch, den 4. Januar … Gestern wichtiger und anstrengender Tag. Traf früh Falkenhayn in Belgrad und hatte ihn zwei Stunden für mich, was sehr notwendig und gut war. Dann stiegen wir auf einer kleinen Station zu den Bulgaren, dabei ganz überraschend auch der König, was die Sache sehr veränderte. Frühstück in seinem Salonwagen. Dann endlose Konferenz, König, Kronprinz, Falkenhayn, Jekow, Jostow, Tappen und ich. Manches sehr schwierig … Ich fühlte mich selten so notwendig auf meinem Posten wie gerade jetzt.
D. 5. Jan. … Die Kitchener-Divisionen haben sich bisher trotz ihrer glänzenden Ausrüstung, die seinem Organisationstalent alle Ehre macht, schlecht geschlagen …, was die bulgarischen Offiziere immer im Gegensatz zu dem Verhalten der Franzosen betonen. Die Türken sind für Mesopotamien sehr zuversichtlich. Gallipoli scheint ja ganz geräumt werden zu sollen. Auch Montenegro ist gesäubert. Die beiden letzten Ereignisse sind Folgen unserer serbischen Unternehmungen. Also das wäre soweit in Ordnung …
D.13. 1. … Es geht wieder einmal etwas stürmisch zu. Unter anderen Ereignissen war König Ferdinand hier, was seine Untertanen in Aufregung versetzte. Inkognito freilich. Abends und nachts noch lange Schreiberei an Falkenhayn Gemeint ist der Bericht vom 12. 1., der also unter dem unmittelbaren Eindruck der Anwesenheit König Ferdinands entstand.. Es ist nicht so ganz einfach hier unten. Hübscher und befriedigender waren die Zeiten vor einem Jahr jetzt. Es ist etwas kümmerlich, zu denken, daß seitdem an der Westfront sich nichts ereignete, was uns auch nur irgendwie vorwärtsgebracht hat, womit ich die Unsumme von Ausdauer, die dort täglich aufgebracht wird, nicht unterschätze. Soissons fand keine Nachahmung. Aussicht dazu war noch im vorigen Frühjahr. Doch da führte mich das Schicksal nach dem Osten, und nun ist alles noch im ungewissen … Meine Mutter schrieb leider wieder einmal eine ernste Mahnung an mich In einem Brief wenige Tage darauf vermerkt Seeckt aber: »«Von meiner Mutter hatte ich jetzt einen lieben herzlichen Brief ohne Erziehung. Der letzte hat ihr wahrscheinlich nachher selbst leid getan.«, ja nicht überheblich zu werden und mir nichts einzubilden, nicht persönlich und nicht auf unsere Leistungen hier draußen, im Gegensatz zu den herrlichen Entbehrungen im Innern. Und dann die Orden! und dazu dann der liebe Gott ihrer Aszetik, mit dem ich so gar nichts gemein habe. Dem drohenden richtenden Jehova, dem Rachegott des Jüngsten Gerichts: Weichet von mir, ihr Verdammten! Und ich suche überall den verstehenden, verzeihenden, lächelnden Gott, der uns alle so himmelhoch und weltenfern übersteht und zu mir sagen soll: ›Ja, ja, alles ganz gut und nett. Und Du hast Dir Mühe gegeben. Nun rede nicht soviel, sondern komm her zu mir. Du bist müde und beladen. Nun ruhe Dich aus und bekümmere Dich nicht um Sachen, die Dich nichts mehr angehen.‹ Und dann lächelt er über Gerechte und Ungerechte und weiß allein, was recht und unrecht ist. Und vielleicht weiß er es auch nicht. Das wäre das allerschönste.
D. 14. 1. … Von der Alpensymphonie hatte ich gelesen … Ich verstehe von diesen Tongemälden nichts, fand aber die Besetzung des Orchesters hübsch: eine Windmaschine, eine Donnermaschine, Herdengeläut, Tamtam, vor allem aber ›Samuels Aerophon für die längeren Bindungen‹, wobei ich mir beim besten Willen nichts denken kann. Im ganzen 136 Instrumente mindestens. Ein hübscher Spektakel. Wer schreibt einmal die Musik unserer Zeit? Geschwindigkeit und Produktion hat freilich einmal etwas gegolten, als der allergoldenste Mozart in einer Nacht die Zauberflöten-Ouvertüre – ich glaube die war es – schrieb. Aber das tat er um die paar Dukaten für sich und Konstanze, und er ist ja auch daran gestorben … Den Mörseroberst, von dem Du schriebst, kenne ich. Der ist entschieden am besten in Wiesbaden aufgehoben. Fand er mich nett oder müd? Das letzte wäre schon möglich, da ich für ihn nie Zeit hatte. Er wußte nie, wo seine an sich sehr guten Mörser waren, und tat immer, als hätte er sie erfunden.«
Inzwischen gehen die von Seeckt zugesagten Vorbereitungen weiter. Montenegro nimmt außerdem am 16. 1. die österreichische Forderung bedingungsloser Waffenstreckung an. Das ist ein unbedingter Erfolg der Conradschen Operation, woran Seeckt ja nicht unbeteiligt ist, und den Cramon benutzt, um die Fäden zwischen Conrad und Falkenhayn wieder zu knüpfen. Die Serben werden nach dem von der Entente besetzten Korfu überführt.
Am 18. Januar fand eine Zusammenkunft zwischen dem deutschen Kaiser und Zar Ferdinand in Nisch statt. Seeckt hat hierüber später Mitteilung an die Forschungsanstalt vom 25. 12. 32 geschrieben: »Die Zusammenkunft der Monarchen in Nisch hatte mehr politischen als militärischen Zweck. Ich glaube nicht, daß zwischen beiden militärische Dinge näher erörtert sind. Es fand nach einem gemeinsamen Frühstück eine Unterredung zwischen Kaiser und König statt, von deren Verlauf mir kurz darauf beide erzählten. Danach hat Zar Ferdinand versucht, den Kaiser für seine damaligen weitreichenden …
Pläne zu gewinnen. Der Kaiser ist ausgewichen. Die beiden Schilderungen stimmten in der Sache überein … Der Feldmarschall und ich waren bei den ganzen Veranstaltungen anwesend. Eine gemeinsame Besprechung fand aber nicht statt. Der äußere Anlaß der Begegnung war die Überreichung des preußischen Feldmarschallstabes an Zar Ferdinand … Der Zar war wohl wenig zufrieden mit der Zusammenkunft, General von Falkenhayn war sehr still. Das Heeresgruppenkommando erhielt bei dieser Gelegenheit keine neuen Weisungen. Österreich war nicht vertreten …« Seeckt hat später einmal die Kaiserzusammenkunft in Nisch mündlich recht treffend charakterisiert Mitteilung von Oberst Blankenhorn.: Der Zar Ferdinand sagte immer »hohe Politik«. Der Kaiser antwortete stets geschickt mit »Cadinen« Cadinen war ein Gut des Kaisers bei Elbing, auf dem dieser eine Majolikafabrik errichtet hatte. S. M. liebte diesen Ort besonders.. Übrigens erhielt Seeckt bei dieser Gelegenheit einen hohen Orden vom Zaren und quittierte ihn hinterher mit der Bemerkung: »Für mich aber ohne Kuß.« Die beiden Fürsten küßten sich, und auch der Feldmarschall hatte die Akkolade erhalten.
Wenngleich die Zusammenkunft im Zeichen der Politik stand, so sind dennoch militärische Dinge zur Sprache gekommen. Es wurde von beiden Heeresleitungen anerkannt, daß der Angriff auf Saloniki keinesfalls vor Mitte Februar stattfinden könne. Der Feldmarschall und sein Generalstabschef waren sich nicht im Zweifel, daß auch dieser Zeitpunkt unmöglich war.
Seeckt schreibt in den Briefen über den Kaiserbesuch:
»Bazias a. d. Donau, den 19. 1. 16. Gestern ein sogenannter großer Tag, der bei ganz besonders günstigem Wetter sehr schön verlief. Großer Empfang auf dem Bahnhof, dann Parade, bei der die Bulgaren ihre Sache sehr schön machten … Beim Frühstück, das ziemlich endlos war, sprach der Kaiser, obwohl ich weit von ihm saß, lange Zeit mit mir. Natürlich Soissons und sehr, sehr gnädige und herzliche Worte. Dann im Zuge noch kurze, aber inhaltreiche Besprechung mit Falkenhayn allein. Und dann gerade noch Zeit, um etwas ungezogen in meinen Zug zu schlüpfen, wo ich mich der Ruhe und bald des Schlafes freute.
D. 20. 1. 16. Mein Katz. Da sitze ich wieder nach einem langen Tag und warte auf mein Schiff. Das kam so: Um 7,30 lief der Hofzug ein, dann kurzer Gang zu einem Aussichtspunkt, wo ich einen eineinhalbstündigen Vortrag hielt. Dann auf das Schiff und herrliche Fahrt nach Orsova … Ich bin einen ganzen Tag mit dem Kaiser zusammen gewesen. Er rief mich gleich in seinen Wagen, zog sich in meinem Beisein erst um … Dann kletterte er auf die kleine Höhe, war mit dem Vortrag zufrieden und sagte mir auch über die Sache selbst viel freundliches Der k.u.k. Delegierte im deutschen Gr.H.Qu. nennt die von deutschen Offizieren über die Übergangskämpfe gehaltenen Vorträge »mustergültig, klar und auch formvollendet«.. Unten hieß es nun: Sie kommen natürlich mit nach Orsova. Was gar nicht vorgesehen war. Die Fahrt war ganz wunderbar, erinnerte an den Vierwaldstädter-See, und er verglich die Engen Das Eiserne Tor. mit den nordischen Fjorden. Bald Riviera, bald Dolomiten, und unstreitig eine der schönsten Fahrten … Vier Stunden, die ich beinahe ganz neben ihm, meist allein verbrachte. Dann Frühstück neben ihm, und dann befahl er zu meiner Überraschung, denn ich wollte nun mit dem Schiff wieder zurück, daß ich mit im Auto fahren sollte … Er war von einer hinreißenden Offenheit über Fragen der äußeren Politik, der Ausbildung nach dem Kriege, Änderungen verschiedenster Art, dazu Anekdoten und Scherze, und dann auch zu meiner großen Freude ein langes warmes Erinnerungsgespräch an meinen Vater, das mir sehr wohl tat … Soissons gab auch erneut Anlaß zu freundlichen Erinnerungen und die letzten und, was jetzt wichtig, die nächsten Kämpfe nicht weniger. Im allgemeinen ist seine Stimmung zuversichtlich ohne Übertreibung. Er war sehr frisch bis zum Schluß. Hatte zwar fahle Winterfarbe, machte aber einen durchaus gesunden Eindruck. Jedenfalls hatte er 12 Stunden ohne Pause gesprochen oder zugehört, hatte die dritte Nacht im Wagen hinter sich und zwei vor sich … Ganz reizend sprach er von seiner Tante Luise, der Großherzogin von Baden, und dann in anderen Zusammenhängen vom König von Bulgarien … Behandlung durch das Gefolge entsprechend. Besonders ist Plessen immer liebenswürdig, ob nur aus gutem Herzen oder auch sonst, wer weiß es. Mit … Chelius, der mir bei der Tafel in Nisch gegenübersaß, kam ich auf Musik, wobei er sagte, daß er 42 mal den Parzifal gehört habe. Ich nicht, was mir auch recht lieb ist. Das Kabinettsdreieck Valentini, Lyncker, Müller von entsprechender Huld … Nun geht es also zurück und ernsthaft an die Arbeit nach all den Festen … Die Bonbonsfirma Kuglér-Gerbaud soll sich trotz Auslandssperre wünschen, daß immer Krieg sei, derart kauften die Deutschen bei ihr. Sogar Vater Lochow ist dort gesehen worden …«
Es muß auffallen, daß Seeckt als besonders wichtig hervorhebt, er habe mit dem Kaiser auch über die nächsten Kämpfe gesprochen. Es kann sich um Gedanken über andere Kriegsschauplätze, vielleicht Verdun, gehandelt haben, was aber nicht allzu wahrscheinlich ist. Also hat Seeckt an diesem Tage noch auf die Möglichkeit gehofft, daß der Kampf an seiner Front fortgesetzt würde. Am 24. Januar dagegen hat wohl ein Zweifel über die Unmöglichkeit bei ihm nicht mehr bestanden.
Als Falkenhayn wieder einmal drängt, ist sowohl der Feldmarschall wie sein Chef gezwungen, sich selbst Klarheit zu verschaffen, wie weit ihre Ansichten noch mit denen der O.H.L. im Einklang stehen. Man muß zugeben, daß die Umstände beinahe von Tag zu Tag schwieriger wurden. Die Anwesenheit Groeners am 20. in Nisch ergab, wenn man es recht besah, daß an eine Offensive zunächst nicht zu denken sei M. v. Gallwitz, Meine Führertätigkeit im Weltkriege 1914–16.. Die Befehlsverhältnisse wurden immer verworrener. Befohlen wurde eigentlich überhaupt nicht mehr, sondern es wurde verhandelt. Seeckt schaltet sich in diese Verhandlungen, die nicht etwa nur rückwärtige Teile, sondern sogar die Abgrenzung der Sicherungsabschnitte betreffen, persönlich ein und meistert die Dinge mit seinem, ihm so besonders verliehenen Geschick. Er muß sich, als nun auch noch feindliche Banden auftauchen, sogar mit Ratschlägen taktischer Einzelheiten des Bahnschutzes abmühen. Das alles ist zweifellos nicht förderlich bei der Entstehung großer Entschlüsse. Günstig wirkt vielleicht der Eindruck, daß man die Ententekräfte bisher wahrscheinlich zu stark eingeschätzt habe. Man kann auf der günstigen Seite wohl auch buchen, daß am 23. Januar nach einmonatiger Pause die Verbindung mit Conrad wiederaufgenommen wird. Im ganzen aber bleibt bezeichnend für den Umschwung am 24., daß Seeckt in einer persönlichen Meldung an Falkenhayn Heeresarchiv Potsdam, Akte O 454. einen »Vorschlag für die Verteidigungsstellung gegenüber den Ententetruppen« in der Linie von Monastir bis zur Küste macht. In der Antwort Falkenhayns vom gleichen Tage tritt der augenblickliche Gegensatz deutlich zutage. Falkenhayn nimmt Seeckts Vorschlag nur an als Anhalt für die Pioniererkundung. Als etwas anderes war er auch nicht gemeint. Falkenhayn hat aber herausgefühlt, daß immerhin die Möglichkeit bestand, es könne hinter dieser Meldung bereits eine andere Auffassung stehen. Daher warnt Falkenhayn davor Heeresarchiv Potsdam, Akte O 454., »etwa bei den Bulgaren den Eindruck zu erwecken, wir seien schon entschlossen, auf die Offensive zu verzichten. Dies dürfe um so weniger geschehen, als es ja täglich klarer würde, daß der Gegner bei Saloniki doch nur sehr schwach sei … Dies Verhältnis mache es zur Pflicht, die Frage dauernd im Auge zu behalten, ob wir nicht doch … gegen den 15. Februar angreifen sollen …« Falkenhayn will und kann nicht warten. Verdun drängt. Seeckt läßt sich aber nicht drängen, anders zu handeln, als er verantworten kann.
Bis zum Januarende bleibt alles unklar. Seeckt sieht keinen Grund ein, warum der Feldmarschall nicht nach Konstantinopel reisen soll. Falkenhayn lehnt dies aus politischen Gründen ab. Das kann nur er beurteilen. Er lehnt es aber auch aus operativen Gründen ab Heeresarchiv Potsdam, Akte 14 3 A.O.K. 11.. Dann ist er also über den Fortgang der Operationen anderer Ansicht als der Chef der Heeresgruppe. In den letzten Tagen des Januar ist der König und die Königin von Bulgarien in Nisch. Hierbei äußert der Zar den Wunsch Heeresarchiv Potsdam, Akte P 511., das Hauptquartier der Heeresgruppe möchte bald nach Üsküb verlegt werden, um Angriffsabsichten auch nach außen hin, insbesondere gegenüber Griechenland, zu dokumentieren. Das kann nur heißen, daß die Deutschen diesen Angriff machen sollen, denn die Bulgaren sind keineswegs mit den Vorbereitungen in schnellem Vorwärtskommen. Seeckt berichtet infolgedessen an die O.H.L. Heeresarchiv Potsdam, Akte 14 4 A.O.K. 11.. Zunächst geschieht das in einem persönlichen Schreiben an Falkenhayn. Seeckt berichtet von der Wendung in der Tischrede des Zaren: »Ich gehöre nun zu Euch und werde Euch folgen, ich und mein Volk in Waffen.« Es werden dann einige bulgarisch-österreichische Gegensätze gestreift und bulgarische Wünsche, »das Struma-Tal als Lebensfrage« und somit auch die Differenzen bulgarisch-griechischer Interessen berührt. Darüber kann kein Zweifel bestehen, daß der Zar eine Fortsetzung der Operation gegen Saloniki als sicher annimmt. Seeckt schreibt ziemlich am Schlusse des Briefes: »›Saloniki muß deutsch werden! Wir wollen es nicht, und Griechenland darf es nicht behalten‹, sagte der Zar dann … Ich habe mich einer Meinungsäußerung, die er verlangte, dadurch entzogen, daß ich ihm versicherte, ich sei über die Größe des Anerbietens und seiner Folgerungen so überwältigt, daß ich mich nicht gleich dazu stellen könnte; wie Euer Exzellenz (Falkenhayn) darüber dächten, wüßte ich nicht …«
In einem Bericht wenige Tage darauf Heeresarchiv Potsdam, Akte 156. führt Seeckt aus: »... Es liegt nahe, daß die Bulgaren … uns gern den Angriff auf Saloniki im wesentlichen überlassen möchten. In Sofia soll eine Strömung sein, die auf Einstellung der Feindseligkeiten gerichtet ist … Im Gegensatz dazu hörte ich bestimmt, daß ganz kürzlich General Jostow im Ministerrat für unbedingte Fortsetzung des Krieges mit uns eingetreten sei und dessen volle Zustimmung erhalten habe … Zu einem begründeten Zweifel an der Loyalität der bulgarischen O.H.L. fehlt mir jeder Anlaß. Ich versuche, mir nur die bei den Bulgaren vorliegenden Interessen klar zu machen. Im Hintergründe schlummern meines Erachtens stets die Gedanken an einen Angriff auf Rumänien.« Am gleichen Tage geht ein zweites Schreiben von Seeckts Hand ab Heeresarchiv Potsdam, Akte 156.. Gleich zu Anfang betont Seeckt: »Die Ansichten der Heeresgruppe lassen sich erneut in den Satz zusammenfassen, daß ein Angriff auf Saloniki nur nach gründlicher Vorbereitung und mit den angegebenen Mitteln sicheren Erfolg verspricht.« Diese Zeilen sind unterstrichen. Das fällt auf. Seeckt unterstrich sehr selten. Seine Worte wirkten sonst auch so. Er fährt dann fort: »Unter dem vollen Eindruck und in der klaren Erkenntnis, daß aus jedem Grund heraus eine baldige Tätigkeit der auf dem Balkan befindlichen deutsch-bulgarischen Armeen nicht nur erwünscht, sondern notwendig ist, geht meine Auffassung dahin, daß sobald wie möglich ein Vorgehen der gesamten Kräfte gegen Saloniki einzuleiten ist. Vorausgehend muß ich feststellen, daß unter diesem ›sobald wie möglich‹ ein Zeitpunkt zu verstehen ist, den möglichst beschleunigt herbeizuführen meines und aller beteiligten Stellen Streben, den aber annähernd kalendermäßig festzulegen auch heute noch schwer ist. Am 15. Februar sind die Armeen nicht operationsbereit. Ebenso fraglich muß es auch heute noch erscheinen, ob mit den zur Zeit hier, das heißt auf dem Balkan, aber noch durchaus nicht an der Front, befindlichen Mitteln der Angriff auf Saloniki durchzuführen ist. Ich muß auch heute noch bei der Auffassung bleiben, daß dieser … nur mit den vollen geforderten Verstärkungen und Vorbereitungen verbürgt ist. Es ist möglich, daß die vorhandenen Kräfte genügen. Annähernde Sicherheit läßt sich erst durch Herangehen an den Feind gewinnen, und diesem rede ich das Wort … Zu diesem Vorgehen reichen unsere Kräfte unbedingt aus … Die entscheidende Frage nach der Zeit der Operationsbereitschaft der Armeen ist heute noch nicht klar gelöst …«
Es folgt dann eine eingehende Darstellung der schwierigen Nachschublage. Man muß zugeben, daß Seeckt zunächst beinahe die Form verschärft, in der er Verstärkungen von Falkenhayn verlangt; daß er dann zu einem gewissen Kompromiß bereit ist, um wenigstens das Vorgehen, soweit es jetzt möglich ist, zu retten; daß er aber schließlich nicht umhin kann, der Forderung Falkenhayns, einen bestimmten Zeitpunkt zu nennen, pflichtgemäß auszuweichen.
Es ist verständlich, daß auch die bulgarische O.H.L. in den ersten Februartagen anfragt, wann mit dem Zeitpunkt wenigstens des Aufmarsches zu rechnen sei. Seeckt muß leider antworten, daß man das noch nicht übersehen könne.
Es wird nun immer deutlicher, daß Falkenhayn mehr und mehr in seine Verdun-Pläne hineinkommt. Er verhandelt am 3. 2. mit Conrad in Pleß und lehnt eine Beteiligung an einer Offensive gegen Italien ab. Dagegen fragt er bei Enver an, ob die Türkei Truppen geben könne. Der Kaiser drängt das griechische Königspaar zum Anschluß. Es sind weiter Tage politischer Spannung, und die Lage der Heeresgruppe Mackensen bleibt durch die Nachschubschwierigkeiten belastet. Major von Bock meldet am 4. 2., daß die Bulgaren noch 36 Tage zur Füllung ihrer Magazine brauchen. Das A.O.K. 11 meldet, daß der Aufmarsch etwa am 20. März beendet sein wird, und Hentsch berichtet aus Monastir von erheblichen Verpflegungsschwierigkeiten.
Die Briefe lesen sich fast wie ein bewußtes Ablenken vom Hauptproblem:
»Nisch, den 22. Januar … Es scheint nun doch ein Brief von mir an Dich verlorengegangen zu sein. Ich möchte wohl wissen, ob der österreichische Kurier die Anweisung hat, Briefe von mir von Zeit zu Zeit abzuliefern. Da ich natürlich nicht weiß, was gerade in ihnen stand, ist das nicht angenehm. Es ist etwas Deprimierendes, täglich zu schreiben und dann zu sehen, daß es zur Hälfte vergeblich ist. Ich werde mich wohl nach einer anderen Beförderung umsehen müssen … Der Zugverkehr ist noch sehr stockend. Ich werde jeden Tag, eben eine Stunde, damit angeärgert. Der Balkanzug, der uns auch sonst sehr unangenehm ist, führt keine Post … Ich glaube, Ihr irrt Euch alle. Ich halte den Wechsel, soweit ich beteiligt bin, schon aus Altersrücksichten für ganz unmöglich, finde auch aus allem, was ich hier hörte und sah, keinen Anhalt dafür Gemeint sind wieder Gerüchte, daß Falkenhayn Reichskanzler werden und Seeckt an seine Stelle kommen sollte.. Auch die Änderung, die vorangehen müßte, scheint mir zur Zeit nicht wahrscheinlich. Eben wegen der Nachfolgerfrage … Die Landtagseröffnung war ungeschickt, obwohl ich für spätere Verbesserung des preußischen Wahlrechts bin. Jetzt gab es damit eine gründliche Verärgerung der Konservativen, und die Liberalen sind auch nicht befriedigt. Es hat auch etwas Hilfloses, diese Schaukelpolitik. Die Quittung gaben ihm ja schon die Konservativen im Herrenhaus. Womit ich sehr einverstanden bin.
D. 24. Jan. … Ich fuhr heute mittag mit dem Großherzog von Mecklenburg, dem Feldmarschall und noch einem Herrn mit der Bahn nach einer neu von uns gebauten Brücke, die mir weniger wichtig war als die ganz herrliche großartige Natur. Enger Felsenpaß mit ragenden kahlen Felsen von duftigen zarten Farben zu blauem Himmel und warmer Sonne … Welche Schönheiten hat diese Gegend! Wenn im Frühling die Pflaumen blühn und die Maisfelder grün werden, muß es wunderbar sein. Das sehen wir uns später alles zusammen an, wenn wir im Balkanzug nach Konstantinopel fahren Man darf dieses eigenartige Schweifen der Gedanken nach Konstantinopel niemals übersehen. … Daß ich im Westen bin, und zwar Chef beim Kronprinzen, hörte ich heute. Es sei in den Wandelgängen des Reichstags erzählt worden. Mir wäre es schon recht, wenn dort etwas los sein soll. Aber ich werde wohl Schlafwagenkontrolleur im Balkanzug zunächst bleiben. Womit ich aber auch nicht im geringsten etwas gegen meine hier wahrhaft interessante Tätigkeit sagen möchte … Mit unserer Gottvorstellung, mein Katz, kommen wir uns wohl sehr nahe. Jeder sucht in ihm das, was er braucht, und Du gebrauchst sehr viel Liebe und ich sehr viel nachsichtiges Verstehen. Es wird uns beiden werden. Aber wenn wir uns hier schon liebhaben, dann kommt die Nachsicht ja von selbst …«
In diesem Brief ist eine Stelle psychologisch interessant. Das Wort vom Schlafwagenkontrolleur ist doch sehr deutlich. Gegen seinen Willen kommt langsam der Groll herauf, daß die O.H.L. nicht möglich macht, was der Feldmarschall und Seeckt gleicherweise für richtig halten; ja noch mehr, daß Falkenhayn weder das eine noch das andere, sondern eine Halbheit will. Dem widerstrebt Seeckt im Innersten. Noch drängt er das Empfinden zurück, sich mit dieser Lage nicht mehr so recht abfinden zu können. Daher hebt er die ironisierende Kritik über sich selbst im nächsten Satz mit gewohnter Diszipliniertheit vor sich selber auf. Aber der innere Konflikt ist jetzt schon da. Das ist nicht zu übersehen.
»D. 26. 1. Eigentlich ärgere ich mich egal über die verschwundenen Briefe... Jedenfalls habe ich einen Mordsskandal erhoben, und alle Welt will sich nun von dem Verdacht der Briefspionage reinigen Tatsächlich erreichten die Briefe in größerer Anzahl später ihr Ziel.... Du tust sehr recht daran, die Freundlichkeit der Menschen nach den im übrigen doch sehr problematischen und vorübergehenden militärischen oder politischen Kombinationen zu bewerten. Du hast jedoch immer sehr viele gehabt, die Dich selbst gern hatten, und was Nettigkeit und Freundlichkeit und Sichmühegeben um die Menschen betrifft, hast Du in mir eine schlechte Unterstützung gehabt. Aber selbst ich verliere nicht den Glauben daran, daß einige, freilich nur noch sehr wenige Menschen, an mir meiner selbst willen hängen. Da darfst Du schon nicht anders denken. Im übrigen bist Du klug genug, zu genießen, was die Umstände bieten. Ich muß schon mehrfach an Leo X. denken. – Lache bitte nicht gleich wieder! – Aber sein ›Genießen wir das Papsttum, da Gott es uns gegeben hat‹, mit dem er seinen Thron bestieg, hat mir immer gefallen. Ach, Katz, wie sähe ich Rom doch gern wieder: Die Gärten mit seinem Casino Seeckt und Frau v. S. liebten den Garten des Casino dei Medici so, daß dieser sogar in einem Vers zur Silberhochzeit vorkam. oder säße mit Dir auf der Marmorbank auf dem Palatin und streichelte den Lorbeer, der gemischt mit Rosen in der Villa Medici steht, oder fütterte die Katzen auf dem Trajansforum … Die Menschen, die noch nicht sicher sind, ob es ihnen gelingen wird, den gehaßten B. zu entfernen, geben ihr Opfer noch nicht auf, was sie im Verkehr befangen macht. Mir ist übrigens zur Zeit das Gelingen des Planes noch sehr fraglich. Und ich halte daran noch fest, daß jetzt ein Wechsel der militärischen Stellen sehr schwer ist und daher nicht bevorsteht, von der Rolle, die mir dabei zugedacht ist, ganz abgesehen … Erneuter Widerstand in Montenegro wäre an sich das Beste für die Österreicher gewesen, was ihnen hätte passieren können, da er gänzlich aussichtslos war und die Lage, in die sich nun die Diplomaten mischen, militärisch vereinfacht hätte. Anglo-amerikanisches Geld steckt nicht dahinter. Es hat ihm, dem König Nikolaus, den wir in einer merkwürdigen Ahnungslosigkeit immer ganz ernsthaft mit dem Kosenamen Nikita, das heißt Nikoläuschen, nennen, was hier unten keiner versteht, eben niemand mehr Geld gegeben. Nur daß er verschwunden ist und die Österreicher eigentlich mit niemandem verhandeln konnten, erschwerte zeitweise die Maßregeln. Ich habe ihnen telegraphiert: Um Gottes willen nur vorwärtsgehen und Skutari besetzen, was sie ja auch getan haben. Dann aufschließen und weitergehen. Im Lande selbst sollten sie einen Gouverneur einsetzen. Alles andere findet sich. Eben kommen Telegramme, daß König Nikolaus bei seiner lieben Familie in Lyon ist. Warum mag er gerade dort sein? Prinz Mirko soll den Frieden abschließen …
D. 28. 1. Die gestrige Kaisers Geburtstagsfeier verlief planmäßig. Der Pastor, der unter freiem Himmel in Nisch vor deutschen Soldaten Chamberlain und Carlyle auf englisch zitierte, ist schon mein Fall. Er ist 10 Jahre in Liverpool als Pfarrer gewesen und scheint das für einen höheren Grad von Christentum zu halten. Hier ist er Lazarettpfarrer und verdient Prügel. Bei Tisch ausgezeichnete Rede des Feldmarschalls. Als Gäste viele Bulgaren, was immer meinem Französisch aufhilft. Nach dem dritten Glas Sekt sprach ich schon ganz scheußlich geläufig.
Nochmals d. 28. … Von Winterfeldt hatte ich gestern einen langen liebenswürdigen und mich sehr interessierenden Brief. Wir verstehen uns mit unseren nicht immer ganz korrekten Ansichten durchaus. Amüsant war, daß er in seinem Klub jemanden traf, der ihm mich als künftigen Botschafter in Wien vorgeschlagen hätte. Auch ein Gedanke … Nun dachte ich, das Hofleben hätte ein vorläufiges Ende. Da sagt sich der König mit Königin heute abend zum Essen an … Ein interessanter Mann, dieser Rex … Das Fest verlief gut, dauerte aber noch länger als beabsichtigt, da der König … über eine Stunde mit mir zusammen allein in einer Ecke saß. Interessant war es natürlich sehr. Das Gespräch ging über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fort, enthüllte mir doch manches an inneren Gründen; ich sah Schwächen und Fehler der Vergangenheit, und auch Gefahren der Zukunft. Die Königin war in Uniform. Es war das erstemal, daß mir das an einer Frau gefiel … Sehr liebenswürdig und empfänglich, als ich ihr sagte: Wir hofften auf das Heimatgefühl der deutschen Fürstin im deutschen Kreis. Der Feldmarschall sprach sehr hübsch. Der König las die sehr bedeutsame und sehr überlegte Antwort. Bei Tisch die Unterhaltung mit dem Ministerpräsident auch sehr interessant. Hauptsächlich Rumänisches. Ein kluger Mann, aber doch auch durchaus Balkan. Es wurde Mitternacht, ehe es endete. Zunächst konnte der König gar nicht zu Platz kommen, da er von einem Tannenbaum nicht loskam, der zur Dekorierung hier in der Nähe geschlagen war. Es sei ein Unikum, das aus Spanien eingeführt sei. Ein Mord, ihn zu schlagen. Mir schien es eine Edeltanne. Aber er ist ja Dendrologe und war entsetzt über meine Bezeichnung. Schließlich ist der Baum verladen und fährt jetzt mit ihm nach Sofia.
D. 22. 1. … Ich komme eben von einem bulgarischen Feldgottesdienst, der für den Kronprinzen abgehalten wurde. Sehr schöner Gesang und auch ganz eindrucksvoller Prunk. Nur die Popen unter ihren purpurnen Gewändern etwas struppig, welchen Eindruck die langen Haare und Bärte noch vermehrten. Der Bischof mit schwerer edelsteinbesetzter Krone und schwerer gestickter Stola. Was müssen für Schätze in der gesamten Orientkirche stecken … Du bist ja schon mitten drin in der Politik und wirst bald einen politischen Salon haben. Sehr niedlich war es neulich abend, als mir jemand hier auf der Durchreise sagte, er würde mich auf einem Diner im Grunewald treffen. Ich sagte, daß das nicht gut möglich sei. Da meinte Tschapraschikow: ›Vraiment, mon général, c'est déjà le comble qu'on donne à Berlin des dîners sur votre nom, même sans que vous y soyez.‹
D. 3. 2. … Kein lieber netter Brief von Dir. Aber meine Laune steht einmal wieder sowieso sehr auf der Kippe, was ich selbst kein Wunder finde. Denn diese Zeit ist, aus vielen kleinen Gründen zusammengesetzt, nicht ganz leicht. Da werfen einen dann die kleinen Ärgerlichkeiten um. Die Hauptsache ist natürlich die Spannung in den großen entscheidenden Fragen und dabei die Ohnmacht. Das ist undankbar. Auch das weiß ich. Dabei scheint die Sonne täglich vom tiefblauen Himmel. Am Sonntagabend geht es also nach Üsküb. Ich will von dort aus etwas von der Gegend und den Soldaten sehen, kurzum wieder etwas beweglicher und damit hoffentlich wieder etwas frischer werden.
D. 6. 2. Der letzte Brief aus Nisch. Endlich geht es heute abend weiter … Wie Du siehst, ist die Laune wieder besser. Was erstens von den gestern erhaltenen lieben Briefen und zweitens von dem günstigen Einfluß kommt, den ein feste durchgearbeiteter Tag mit gleicher Nacht immer auf mich ausübt. Ich muß die Zügel wieder fester in die Hand nehmen. Und dann ging heute morgen als Resultat der Arbeit ein langes und wichtiges Schriftstück heraus Der Bericht an Falkenhayn.. Die Geburtswehen solcher Kinder belasten immer etwas die Stimmung … Sorge Dich nicht, wenn freundliche Menschen Dir über mein schlechtes Aussehen berichten. Ich hatte mir den Magen verdorben, was aber lange vorüber ist, und habe etwas Stubenfarbe …«
In diesen Tagen schreibt Seeckt wieder ausführlich an Landesdirektor von Winterfeldt:
»... Ich hatte Gelegenheit zu längerer Unterhaltung mit dem König von Bulgarien, einem über den Durchschnitt klugen Mann … Wir müssen für längere Zeit stark mit dem Faktor Bulgarien rechnen. Ein Fehler ist die unwürdige Unterbringung unseres Gesandten. Bulgarien schenkte allen Staaten gut gelegene Terrains. Rußland, Österreich, Italien bauten anständige, zum Teil schöne Gesandtschaftshotels. Deutschland läßt den Platz liegen und den Gesandten recht kümmerlich zur Miete wohnen. Das nehmen sie als ein Zeichen von Mißachtung … Einiges über innere deutsche Fragen … Für eine spätere Zeit stünde ich wohl einem sehr geduldigen Zuhörer zu Gebote mit einer Abhandlung ›De re publica‹. Doch ist das ein weites Feld. Ich bin aber vor dem eigenen Gewissen darauf eingeschworen, daß sich ein starkes Königtum mit gesundem Sozialismus und gesunder Demokratie verträgt. Er, der König, soll eben der Vertreter, Träger, Vollstrecker und Herrscher seines Volkes sein – auch gegen dessen Kinderwillen, wenn es nottut. Doch nur nicht Repräsentant einer Parlamentsmehrheit, ebensowenig Interessenvertreter einer Klasse, Kaste, Minderheit, und hätte sie noch soviel Ahnen, Verdienst oder Geld. Ein erleuchteter Absolutismus ist in bedrängter Lage die beste Staatsform. In ruhiger Zeit mag man sogenannte liberale Anwandlungen haben. Nur ist es schlimm, daß vor der Leuchte des Erkennens des Herrschers soviel Scharen Motten schwirren. Sie wachsen in parlamentarischen Ländern zu Flohschwärmen aus. Sie werden denken: Was fange ich damit an. Alles, wenn Sie wollen. Ich will Sie nicht mit Einzelheiten langweilen, aber machen läßt sich jetzt manches. Ein neues Reichsgrundgesetz, ganz neu! Dem deutschen Volk von seinen Fürsten gegeben mit dem Frieden. Glauben Sie an den Mann, der das kann und will? … Von dem Butterkrieg erzählt jeder, der von Hause zurückkehrt. Ich neige zu einer milden Beurteilung in der Schuldfrage, obwohl ich mir der Bereitwilligkeit bei manchen Menschen, pekuniäre Opfer zu bringen, nicht so sicher bin wie der schönen Selbstverständlichkeit, mit der eigenes Blut und das Blut der eigenen Söhne geopfert wird. Die sicher vielfach wachsende Müdigkeit an der Front hängt zusammen mit dem Fehlen greifbarer Kriegsziele. Es liegt aber in der Natur der Sache, daß sie schwer zu zeigen sind. Sie müssen zugeben, daß das kanzlerische ›Möglichst wenig‹ und ›Um Gottes willen nur niemand zu weh tun‹ nicht begeisternd wirkt. Die an sich ja nicht genug zu bewundernde Zähigkeit der Armee soll den Preis des Durchhaltens vor Augen haben. Man vergleiche den Feind. An ein Erreichen seiner laut verkündeten Kampfziele denkt dort keiner der Maßgebenden. Aber er bereitet die Geste vor, mit der man großmütig sich später bescheidet. Wir tun, als ob wir so billig spielten, daß jeder uns noch einmal unterbieten zu können glaubt. Und das trotz aller Reden, an die nach allem Vergangenen niemand glaubt …
Hinsichtlich der östlichen Grenze bin ich der Ansicht, daß wir uns nicht übernehmen sollen, aber uns doch auch zutrauen, wieder kolonisieren zu können. Rußland ist auf lange Zeit nicht der drohende Nachbar, ebensowenig unser Freund. Das war es nie, höchstens seine Kaiser … Noch eine Sache, die mich nicht losläßt, und zwar militärisch-politischer Art. Es ist die liberale Forderung der Verkürzung der Dienstzeit. Das ist vollkommen ausgeschlossen. Der Krieg hat den absoluten Beweis des Gegenteils gebracht. Wäre es durchführbar, so würde ich für die 3jährige Dienstzeit sein …«
»D. 4. 2. … Die Dummheit der Masse, also auch der Parlamentsmasse, ist eine Tatsache, die ohne Beweis bei jedem Politiker feststeht, auch wenn er sie nicht zugibt. Eine Erkenntnis, die schon bei Schiller, Goethe und Bismarck nicht originell war. Ich erinnere mich wenigstens, schon in Prima gelernt zu haben, daß Homer das bereits wußte. Übrigens Homer: Jetzt lerne ich Neugriechisch, zwar nicht die Sprache, sondern den Geist dieses interessanten Volkes kennen. Jedoch ich stimme darin mit Ihnen überein, daß die Parlamentsherrschaft ein Unding ist, ein dreifaches in einem Land von Theoretikern, wie wir es sind. Der Reichstag geht aus dem zum Regieren allerungeeignetsten Wahlrecht hervor … Der preußische Landtag ist nicht ideal zusammengesetzt …, hat aber nützliche Arbeit geleistet, und trotzdem wird man das Reichstagswahlrecht vorläufig bestehen lassen müssen und das Landtagswahlrecht ändern. Auf das lebhafteste bedaure ich die Ankündigung der Änderung. Sie ist doch nichts weiter als eine Konzession an den vermeintlichen Volkswillen. Denn daß der führende Mann diese Änderung als eine politische Notwendigkeit erkennt, das glaube ich ihm nicht. Nun wird aber das Geschrei von dem verpfändeten Königswort wieder losgehen, und dann kommt die Parallele von der Zeit nach 1815, und wenn dann die abändernde Vorlage kommt, genügt sie den Liberalen doch nicht, und eigentlich ist nichts erreicht. Erreicht ist, daß man jetzt glaubt, der einen Seite eine Verbeugung machen zu dürfen, weil man der anderen, der rechten, ja sicher sein kann. Ich habe mich über den Widerspruch im Herrenhaus sehr gefreut. Es ist verführerisch, an solchen Widerspruch anzuknüpfen … Zu solchen Aussprachen brauchen wir die Parlamente, Ventile der sogenannten öffentlichen Meinung, aber dagegen gesunde und starknervige Maschinenführer, die das Ventil schließen, wenn es zu stark pfeift. Unendliche Kraftvergeudung wird im Parlament getrieben, gewiß. Aber wir scheinen ja auch soviel rednerische und politische Kräfte dafür zur Verfügung zu haben. Sie könnten ohne diese Spracharena leicht anderswo Unheil anrichten. Also man muß den Reichstag nicht zu ernst nehmen – Als Ziel einer Änderung seiner Zusammensetzung sähe ich zunächst die starke Heraufsetzung der Altersgrenze der Wahlberechtigten, was sich vielleicht … dadurch erreichen ließe, daß erst der entlassene Reservist nach einiger Zeit zum Staatsbürger würde, also erst die im wesentlichen Teil erfüllte Wehrpflicht das Wahlrecht verliehe. Wer nicht dienen kann, also noch nichts für das Vaterland geleistet hat, erwirbt das Wahlrecht nur durch eine andere persönliche Leistung … Ein ganz toller Gedanke, nicht wahr? Gern hätte ich neben dem Reichstag einen Reichsrat, ein Reichsoberhaus. Doch weiß ich noch nicht recht den Weg zu ihm. Man könnte es sich denken als eine Aus- und Umgestaltung des Bundesrats, also eine starke Vertretung der Fürsten … und Vertreter der Einzellandtage... Hier nicht zu viel Menschen, damit auch noch gearbeitet werden kann … Hoffentlich wird das Herrenhaus nicht durch allzuviele Herren von Friedländer verziert, ohne in dieser Versammlung Sachverständige der Finanzwelt missen zu wollen. Meine vollste Zustimmung findet bei mir Ihr Gedanke der weiteren Entwicklung der Selbstverwaltung … Wesentlich ist die Eindämmung des jüdischen plutokratischen Einflusses … In der Regierung darf ihr Geist als international-egoistisch niemals eine maßgebende Rolle spielen … Monopolisierung des Bankwesens halte ich für eine der unglücklichsten Ideen, die mir kürzlich überhaupt begegnet sind. Nur nicht die Betätigungsmöglichkeiten des einzelnen ausschalten. Nur nicht im wachsenden Staatssozialismus die Persönlichkeit unterdrücken. Gerade weil dahin rettungslos der Parlamentarismus führt, müssen wir ihm das starke Königtum entgegenstellen. Damit komme ich dann zur Krone. Meine Wünsche im Reich gehen auf eine Stärkung der Kaiserstellung hinaus. Der Krone Preußens will ich aber keinen, auch nicht den kleinsten Stein nehmen … Ich komme immer wieder darauf hinaus: Ein neuzeitlich abgerundeter und aufgeklärter Absolutismus gibt die beste Regierungsform … Strenge Gesetze und weitherzige Anwendung, Durchdringung des ganzen Körpers mit dem Staatsbegriff, was Unterordnung aller Einzelinteressen unter das Ganze bedeutet. Dazu kann uns die Schule des Krieges dienen, die nicht mit einem Friedensschluß aufhört, sondern in ihren harten Folgen dann erst einsetzt. Erhaltung und Anerziehung des preußisch-königlichen Staatsbegriffs in Heer und Beamtentum, Freiheit, sich zu bewegen innerhalb dieser vom Staat fest umzogenen Grenzen für jede Stelle, damit die Verantwortungsfreude wieder wächst. Freiheit des Geistes für Kirche, Lehre, Kunst, Wort und Presse und der Schutz der bestehenden staatlichen Einrichtungen und der Ehre des einzelnen. Läßt sich das alles nicht einleiten, vorbereiten, wollen? Den Weg zu finden, dürfte nicht so schwer sein bei gutem Willen vieler und festem Willen einiger … Ich will mich nicht in politische Einzelheiten verlieren, die mir zu ordnen doch nicht beschieden ist. Sie haben diese vielleicht laienhaften Gedankengänge selbst heraufbeschworen und tragen nun die Folgen, wie wir alle die unserer Vergangenheit. Und folgerichtig wollen wir auch sein. Aber ich fühle, daß dieser Krieg schon einen Gedanken- und Entwicklungssprung in sich trägt, zwar nicht Wertvolles umwertet, aber doch neue Aus- und Einblicke öffnen könnte und die Energie, die wir hier draußen zeigen durften, noch in die Bahnen kühnster Weiterentwicklung von Reich, Staat und Gesellschaft lenkt. Jetzt gilt es nun, zu bauen und neue Fundamente zu legen, wo noch das Wehen des großen Sturmes zu spüren ist, der manchen Nebel hätte zerstreuen können. Ich persönlich habe interessante Tage hinter mir nicht nur durch die Kaiser- und Königsbesuche, sondern auch durch mancherlei durchreisende Persönlichkeiten … Sonst verkehre ich hier eigentlich nur mit dem General von Seeckt, was vielleicht etwas einseitig ist … Sie finden wahrscheinlich, daß ich besser täte, Saloniki zu erobern, als politische Briefe zweifelhaften Wertes zu schreiben. Darin haben Sie sehr recht. Ich verstehe Ihre und der Heimat Unzufriedenheit mit uns sehr gut … Es ist nun einmal nicht zu ändern, doch machte es vielleicht ein anderer Mann besser. Ertragen Sie mich also noch eine Weile hier unten, wie Sie auch diesen langen Brief ertragen müssen mit einer von mir erhofften Freundschaft, die Ihnen aufrichtig erwidert usw. v. S.«
Übrigens findet sich in den Antworten des Landesdirektors von Winterfeldt ein in damaligen Zeitumständen entstandener Wortwitz von recht ernster und düster-prophetischer Bedeutung: »... Man sagt, über dem gewonnenen Krieg werde als Symbol groß W. R. glänzen, wobei einige meinen, es bedeute Wilhelm Rex, andere, es werde Walther Rathenau heißen …«
In diesen Tagen vollzieht sich eine ganz merkwürdige Wandlung der Einstellung Seeckts zum Salonikiproblem. Es ist eine Vermutung angedeutet worden, die, ohne daß man sie vollständig beweisen könnte, doch sehr viel Wahrscheinlichkeit für sich hat. Seeckt hat inzwischen sichere Kenntnis von Falkenhayns Verdunplänen. Er weiß, daß hierfür ein Ablenkungsmanöver an anderer Stelle erwünscht ist. Er weiß aber auch, daß Falkenhayn die Mittel zu einem ernsthaften Salonikiunternehmen nicht mehr geben wird, Seeckt hat also Saloniki als eigene Operation innerlich schon aufgegeben. Wie immer wird er nun nicht passiv, sondern er versucht bis zum letzten Augenblick aus einer Lage herauszuholen, was herauszuholen ist. Er wird also jetzt im Interesse von Verdun versuchen, hier ein Ablenkungsmanöver wirksam werden zu lassen.
Auf Falkenhayn wiederum hatten die Berichte Seeckts wohl so gewirkt, daß er selbstverständlich das Salonikiunternehmen aufgab, weil er die dazu nötigen Kräfte bei Verdun brauchte, daß er aber auch nicht mehr glaubte, ein Salonikiangriff werde für Verdun als Ablenkung noch rechtzeitig kommen Vgl. auch das deutsche amtliche Kriegswerk Bd. X.. Als daher am 9. 2. Falkenhayn mit Zar Ferdinand und mit Jekow eine Aussprache hatte, war deren Ergebnis, daß man die Entscheidung der ganzen Frage zunächst einmal auf die Zeit zwischen dem 10. und 15. März vertagte Heeresarchiv Potsdam, Akte 156.. Gegen ein Vorschieben von Truppen bis an oder auch über die griechische Grenze, wie es Seeckt vorschlug, wurde zunächst nichts mehr eingewendet. Falkenhayn verlangte lediglich, daß die Heeresgruppe ihn von einer Grenzüberschreitung rechtzeitig benachrichtige.
Der Feldmarschall aber hatte den Gedanken des Salonikiangriffs noch keineswegs aufgegeben. Das geht deutlich aus einem persönlichen Schreiben Mackensens Heeresarchiv Potsdam, Akte 156. an Falkenhayn vom 10. 2. 16 hervor.
In der Tat denken die drei an der Führung beteiligten Männer jeder für sich verschieden über die Lage, ohne daß dies klar zum Ausdruck kommt. Gewiß ein recht seltsamer Zustand. Man könnte behaupten, daß Falkenhayn vielleicht bereits klar hätte sagen sollen, was er endgültig wollte. Da er es nicht tat, war für Seeckt die Lage so, daß er sich hier noch auf mehrere Möglichkeiten einstellen mußte. Erst recht blieb dem Feldmarschall nur der eine und entscheidende Entschluß. Es ist ein lehrreiches Beispiel, wie ein und dieselbe Lage von den verschiedenen Persönlichkeiten in ihren verschiedenen Stellungen beurteilt wird und auch beurteilt werden muß.
Die Operation im ganzen ist im Ausebben; ja, man kann sagen, eigentlich schon zum Stillstand gebracht. Dazwischen laufen die hierzulande sozusagen bodenständigen Schwierigkeiten weiter, die ein Heeresgruppenchef meistern muß. Entweder sind es österreichisch-bulgarische Spannungen in Albanien oder die Schwierigkeiten mit Griechenland. Und es ist in allererster Linie immer wieder das Elend der Nachschublage.
Als die Österreicher am 10. 2. Skutari besetzen, scheint auch dort ein gewisser Abschluß gegeben, und Seeckt findet Zeit, eine Reise zur bulgarischen O.H.L. und an die Grenze durchzuführen. Im ganzen sind die Tage aber doch schon dadurch gekennzeichnet, daß man nun wirklich über den Verlauf einer vorläufigen Stellung zu beraten beginnt. Was jetzt noch an Bewegung ausgeführt wird, sind Einzelheiten in Albanien oder die Besetzung einiger Pässe auf griechischem Gebiet oder seitliche Verschiebungen.
Innerlich sträubt sich auch Seeckt noch immer etwas dagegen, daß die Operation nun am Ende sein soll. Er schreibt noch am 20.2. Heeresarchiv Potsdam, Akte 156. am Schluß eines Briefes an General Jostow: »Ich hoffe, daß es uns gelingen wird, ein Einverständnis über die Fortführung der Operationen zu erzielen.« Ob er das wirklich noch gehofft hat, scheint beinahe zweifelhaft. Aber er will es pflichtgemäß hoffen, solange es überhaupt noch geht.
Es gibt dann noch einiges Hin und Her, das sich fast in diplomatischen Formen vollzieht, über die Besetzung der griechischen Pässe. Die Bulgaren wünschen dies, um der Entente mit Sicherheit zuvorzukommen. Seeckt meldet am 26.2. Heeresarchiv Potsdam, Akte O 455., daß »das Vorgehen etwa für den 6.3. ins Auge gefaßt sei. E. E. Bestimmung wird es von hier und ebenso von der bulgarischen O.H.L. anheimgestellt, ob das Überschreiten noch bis über den 6.3. aufgeschoben werden soll. In diesem Falle bitten wir um eine Angabe, wann nach E. E. Ansicht der Zeitpunkt zur Einleitung der Offensive gekommen ist.« Umgehend schreibt Falkenhayn an General Jekow, er »möchte dringend abraten, Offensivbewegungen über die griechische Grenze zu beginnen, bevor die bulgarischen Truppen in der überwiegenden Mehrzahl wirklich operationsbereit sein werden. Wir würden uns andernfalls der Gefahr von Rückschlägen aussetzen, die bedenkliche Folgen haben könnten. Außerdem scheint es auch geraten, mit den Offensivbewegungen in Rücksicht auf die anfangs März eintretende Klärung der Lage gegenüber Rumänien zu warten.« Man kann es Seeckt nicht verdenken, wenn er danach auf eine Zeitbestimmung drängt. Falkenhayn weicht zunächst erneut aus und sagt dann rund heraus, daß er ein Beginnen der Bewegung nicht vor dem 15. März wünsche.
Inzwischen werden bereits Stellungen erkundet. Es entsteht dabei die Gefahr, daß in dem Augenblick, in dem von Stellungen gesprochen wird, sich sofort Defensivgedanken bei der Truppe einschleichen. Je weniger Seeckt an eine Fortsetzung des Unternehmens zu glauben vermag, desto mehr will er vorzeitige Defensivgedanken bekämpfen. Es kann sein, daß er in diesem Bestreben hie und da den unterstellten Dienststellen schroff erschien. Von selten der Bulgaren spielt noch etwas anderes in die Stellungserkundungen herein. Seeckt schreibt recht bezeichnend unter einen umfangreichen Bericht des Generals der Pioniere der 2. bulgarischen Armee Heeresarchiv Potsdam, Akte 628. über die Sicherung des Strumatales: »Und damit besetzen sie das gewünschte Stück Griechenland!« Stellungserkundung mit politischem Hintergrund ist auch nicht etwas Alltägliches.
Trotz oder gerade infolge der unklaren Lage und des beginnenden Stillstandes mehren sich die Reibungen. Zwischen den Österreichern und Bulgaren kommt es beinahe zu Feindseligkeiten, und zwischen Gallwitz und den Bulgaren muß Seeckt am 22.2. persönlich in Veles mancherlei in Ordnung bringen. General von Gallwitz M. v. Gallwitz, Meine Führertätigkeit im Weltkrieg 1914–16. erkennt Seeekts bestimmten Ton an, mit dem er Klarheit verschafft. Andererseits muß man zubilligen, daß die Bulgaren die Dinge bereits unter dem Gesichtspunkt einer nahenden Auseinandersetzung mit Rumänien sahen. Manche Schwierigkeiten entstanden dadurch fast zwangsläufig.
Zunächst die Briefe bis zu diesem Zeitpunkt:
»D. 8.2.16. Üsküb, das Du auch Skoplje oder Skopja nennen kannst, je nachdem Du türkisch, serbisch oder bulgarisch sprechen willst. Schwierige Ortsbezeichnung, aber in diesem Lande ist nichts einfach … Von der Stadt sah ich noch nicht viel. Berge, die bis über 1000 Meter ansteigen, liegen dicht an der Stadt, dahinter solche, die 2500 Meter erreichen und kahl und farbig sind. Charakter der süditalienischen Küste und doch anders. Wenig Schnee, selbst auf den höchsten Spitzen. Wohl ein Dutzend weißer Minaretts. Die Stadt ist zum großen Teil türkisch und auf der Straße ein ziemliches Gewimmel verschiedenster Typen, auch die aus dem Orient so wohlbekannten Eselchen und Pferdchen. Holz ist hier ein ganz rarer Artikel. In unseren Ofen verschwinden merkwürdige brennbare Dinge, denn es ist frisch, und die Kohlen sind noch nicht da …
D. 10.2.16. … Daß Du unter Sehnsucht leidest und meinst, ich könnte auf Urlaub kommen, ist begreiflich. Du bist schließlich kein Soldat. Aber ich, ich kann nicht anders. Solange ich das Gefühl habe, daß es besser ist, ich bleibe hier – sicher oft unnötig – solange muß ich bleiben. Vielleicht kommt es einmal anders. Daß mein Hiersein auch nicht entfernt so ausgenutzt wird, wie es im Interesse der Sache sein sollte, ist sicher, kann aber dabei nichts ändern. Hochgespannte Begriffe von Pflicht gegen das Ganze und ein Verwachsensein mit allem, was uns als Volk angeht, das ist es allein. Damit sage ich gar nicht, daß ich nicht täglich auf die Stunde hoffe, die mich freiläßt, und ganz praktisch genommen kann sie sich plötzlich bieten … Du kommst hoffentlich nicht auf die konfuse Idee, ich führe in rauhe feindliche Gegenden. Nie war der Balkan ruhiger … Absichtlich reise ich mit Begleitung und Ansehen, das hier wichtiger ist als die meisten sich denken …«
Übrigens enthielt dieser Brief noch eine Stelle, aus der hervorgeht, wie schwer der Feldmarschall an der Erkenntnis trug, daß die Operation wohl versanden würde.
»D. 16. 2. … Ich bin von meiner Reise ins bulgarische Hauptquartier ganz ungewöhnlich befriedigt, sowohl was den sachlichen Erfolg wie den Genuß an Neuem und vor allem die Natur betrifft. Wie oft dachte ich: Könntest Du doch mit mir durch das ganz neue Land fahren. Der Anfang war nicht viel versprechend; strömender Regen und entsprechende Wege. Aber trotzdem wirkte die Gegend schon in ihrer einsamen Kahlheit und Schroffheit. Eine Rast in einer kleinen, vom Roten Kreuz eingerichteten Verpflegungsstation. Tadellos sauber. Um uns die braunen sympathischen Soldatengesichter. Heißer Tee und Käse … Abends gegen 8 Uhr im bulgarischen Hauptquartier vom Kronprinz und dem Chef Jostow empfangen. Kurzes Essen und dann eine lange Konferenz. Es wartete auf mich ein langes Chiffretelegramm von Falkenhayn mit den Ergebnissen der letzten Begegnungen in Pleß und wichtigen Entscheidungen, die ganz in meinem Sinne ausgefallen waren.«
Diese Stelle ist etwas überraschend. Tatsächlich lauteten die Worte im Telegramm Falkenhayns vom 11. 2. 16 Heeresarchiv Potsdam, Akte 156.: »Gegen ein Verschieben der vordersten Truppen bis an und über die griechische Grenze im Sinne des Schreibens des Generals von Seeckt vom 6. 2. ist meinerseits nichts einzuwenden.« Dann aber hatte Falkenhayn die eigentliche Entscheidung, wie erwähnt, auf die Zeit zwischen dem 10. und 15. März vertagt. Wenn Seeckt mehrere Tage danach schreibt, die Entscheidung sei in seinem Sinne gefallen, so heißt es ganz deutlich, daß er an die Operation an sich kaum noch geglaubt hat. Vielleicht hat er aber an eine Teiloperation noch geglaubt. Seeckt hatte am 13. 2. eine, nachher im Briefe auch erwähnte Aussprache mit Todorow, dem Führer der 2. bulg. Armee gehabt. Dieser hatte die für einen Angriff notwendigen Verschiebungen so zugesagt, daß sie in zwei Wochen fertig sein sollten. Die Operation war dann derart gedacht, daß man zunächst den Kreis um Saloniki enger ziehen, alsdann neue Entschlüsse fassen wollte Akten Heeresarchiv Wien.. Also ein Angriff mit begrenztem Ziel. Seeckt kam mit großer Zähigkeit auf seinen Gedanken von Ende Januar des »Herangehens an den Feind«, also auf den damaligen Kompromiß, zurück, obwohl er nunmehr wesentlich geringere Kräfte nur dafür ansetzen konnte.
Erreicht sind also Verschiebungen, die wenigstens das noch ermöglichen, was mit den vorhandenen Kräften zu leisten sein wird. Seeckt hat offenbar nicht einmal darauf mehr mit Sicherheit gehofft und freut sich wie über einen Erfolg darüber, daß er das letzte, was zu retten war, wenigstens noch gerettet hat. Das ist nicht mehr Resignation, das ist unbesieglicher Optimismus. Freilich war für die Bulgaren alles erreicht, was für ihre Sonderwünsche Grundlage sein konnte. Daher kann der Brief weitergehen:
»Ich konnte die Entscheidung den beiden mitteilen, und am liebsten hätte mich der wirklich reizende junge Kronprinz umarmt. Nun noch einige wichtige Abmachungen und dann zu Bett … Ich schlief in seinem Wohnzimmer unter den Bildern des seinerzeit ermordeten Stambulow … Einige nötige Anlagen des Hauses waren mir neu und übertrafen noch die Dir vielleicht erinnerlichen in M'rair bei unserer Saharareise 1906 an Primitivität, waren aber ähnlich, wie diese Ähnlichkeit mit dem unverfälschten Stück Orient, das wir kennen, mich immer wieder auch sonst berührte. Dann nochmals kurze Besprechung. Der Kronprinz gab mir von seinem Vater als Geschenk einen goldenen Bleistift mit dem königlichen Namenszug in Brillanten als Dank, daß ich ihm meinen denkbar einfachen geliehen hatte. Dann fort im wirbelnden Schneesturm, und schließlich eine der schönsten Fahrten im Tal der Struma südwärts. Ganz herrliche Legend, enges Tal, Schneegipfel, schäumendes Wasser. Wir mußten langsam fahren, denn die Autos leisteten es kaum … Erst um Mitternacht am Ziel. Und welch ein Ziel: kleines Türkennest, engste Straßen, mit dem allerunglaublichsten Pflaster, über das noch Sturzbäche rieselten. Das schlimmste war, daß man noch begrüßt und bewirtet wurde … Nachdem also auch dies Souper in Öl und Zwiebeln überwunden war, da man ja alles in dieser Luft er- und verträgt, ging's in einem alten türkischen Haus zu Bett, das auf einem der an den Wänden entlang laufenden Diwans gemacht war. Wieder sauber und ordentlich. Morgens erschien der Wirt, ein richtiger Makedonier, mit einer Schale türkischen Kaffee. Das Wetter war inzwischen strahlend geworden. Zunächst zur griechischen Grenze … Dann Fahrt zur bulgarischen 2. Armee, wo wir mittags ankamen. Sehr befriedigende Besprechung mit General Todorow und seinem netten Chef. Da der General weder deutsch noch französisch spricht, dolmetschte der Prinz Kyrill, der zweite Königssohn, ebenso famos erzogen wie sein Bruder und auch ein hübscher lieber Kerl. Es ging dann bald weiter wieder in schöner Fahrt, ich mit dem bulg. Chef, der sich uns anschloß … Allerlei, zum Teil auch sehr Bedeutsames und Wichtiges … Nächsten Morgen Fahrt zur Grenze an anderer Stelle. Unterwegs zwei bulg. Divisions-Kommandeure begrüßt. Am Ziel großer Empfang der dortigen Besatzung … Parade vor mir, bitte! mit ›Guten Morgen, Grenadiere‹ und ›Sdravejte Junadze!‹, Gruß Euch Helden! und Vorbeimarsch … Dann draußen Stellungen angesehen, dann Essen mit Rede und Gegenrede und dann Abfahrt. Das Städtchen liegt italienisch auf einer Höhe dicht an einem See, aus dem wir zu Tisch Fische und Krebse hatten. Leidlich früh zurück und Ruhe im Zug. Am nächsten Morgen wieder eine Fahrt zur Grenze, dann weiter zu Pferd. Wieder Empfang, Parade, und dann Einzug in die ganz türkische Stadt, durch die sich versammelnde und sich tief verneigende beturbante Bevölkerung. Es war schon neu und eigenartig! Hier eine ausgezeichnete Eskadron der 6. Ulanen. Die Bewirtung beschränkte sich hier auf den herrlichen Kaffee. Empfang des türkischen Hodschas und des Bischofs der Gegend mit Gefolge. Rede und Gegenrede, Segenswünsche. Ein listiger alter Mann, der türkische Hodscha, mit dem hohen weißen Mekkaturban. Er begrüßte mich als Vertreter des großen Germanski Kaisers, des Freundes des Kalifen, worauf ich zur Befriedigung der Bulgaren ihm antwortete, ich begrüßte ihn als Vertreter der neuen muselmanischen Untertanen des Zaren der Bulgaren. Er zwinkerte dabei ganz unbeschreiblich mit den kleinen Äuglein in dem runzligen Gesicht. Dann ritten wir zum Wagen zurück … Nachmittags pendelten wir mit der Bahn langsam aufwärts durch das Vardartal, zunächst bis Veles …
D. 19. 2. Ich reite häufig mit meinem quasi Adjutanten, dem Hauptmann Gräser, einem netten Kerl, der vor allem meinem Fuchs einen geradezu prachtvollen Gehorsam beigebracht hat. Morgen abend werde ich wieder eine kleine Reise von 4 Tagen antreten, um eine andere Strecke des Balkans zu sehen und nach Albanien hinüberzuschauen. Ich nehme wieder Dunst und Gräser mit, außerdem noch die Hauptleute Braune und Soldan vom Generalstab, und das ist dann ›die adlige Clique‹ des Oberkommandos Mackensen …
D. 20. 2. Wenn ich den innersten Wünschen meines Herzens einmal Gehör gebe, was ich nicht oft darf, dann überkommt mich doch ein großes Verlangen nach Dir und nach dem Frieden. Doch was hilft uns das alles. Aber es ist nicht immer leicht … Ich kann mir denken, daß die Leute aus dem Westen schlechter Laune sind. Es ist seit einem Jahr fast Übermenschliches von ihnen verlangt worden. Leistungen ohne äußeren Erfolg. Opfer ohne Siegesrausch. Ich hoffe, daß es noch anders wird, auch dort. Man hofft ja stets auf morgen. Das gehört zum Soldaten.
D. 23. 2. Ich fuhr also am Sonntagabend spät hier fort. Es war kälter geworden, und in den Bergen lag Schnee, so wurde es eine vollkommene Wintertour. Der Paß, der 1200 Meter hoch liegt, war gerade im Auto zu überwinden. Wir gingen – übrigens mit Wonne – die letzte Strecke zu Fuß, während die Wagen mit Hilfe wackerer Bulgaren über die schwersten Stellen hinübergebracht wurden. Die Berge nehmen sich im Schnee natürlich noch viel großartiger aus als sonst und erinnern an die Dolomiten. Das Wetter war klar, und in der reinen Höhenluft schwebten die Adler. Bergab ging es dann ganz glatt hinein in ein breites Hochtal bis zum Ziel der Stadt Monastir (Bitolj), wo wir nach siebenstündiger Fahrt ankamen. Die Stadt wohlhabend und schön gelegen. Das Verkehrszentrum für Albanien und Epirus. Die Bahn, die von Süden – von Saloniki – heranführt, ist jetzt natürlich gesperrt. Ich warf nach einem kurzen Frühstück … einen Blick nach Griechenland hinein und hatte dann erst mit dem Chef der Armee zu verhandeln und dann mit den deutschen Offizieren … Es gab viel zu ordnen … Abends dann großes Diner bei dem bulg. Oberkommando, dessen Führer der General Bojadjew, ein mir schon bekannter und mir sympathischer Mann, ist, der, um mich zu begrüßen, von einer Reise zurückkam. Essen noch leidlich, aber die berühmten Forellen aus dem Ochrida-See natürlich in Öl gebacken, denn anders ißt der Bulgare seine Fische nicht! Aber Joghurt brauche ich auch in seinem Heimatlande und trotz der Versicherung, daß dank ihm alle Bulgaren über hundert Jahre alt würden, nicht zu essen! Wie immer ausgezeichnete Musik zu Tisch, und ›Hoffmanns Erzählungen‹ klangen auch in Monastir ganz bekannt. Es dauerte nicht lange. Ich wohnte gut und konnte auch die recht empfindliche Kälte bekämpfen. Die Nacht war durch eingehende Telegramme nicht allzu sehr gestört; da sie nicht weiter Unangenehmes enthielten, störten sie den Schlaf nicht, und Dunst Generalstabsoffizier., der als Schutzengel ohne weiße Flügel an meinem Bett stand, erhielt nur die Weisung: Also morgen früh zurück, und alles weitere erst nach dem Frühstück. Um neun ging es dann in die herrliche Winterlandschaft hinein …
D. 26. 2. Ich freue mich riesig über Verdun, voll Neid, aber ohne Mißgunst … Hoffentlich wird es ein großer Erfolg. Die heutigen Nachrichten scheinen gut zu sein. Man ist ordentlich wieder in Aufregung … Hentsch ist ungewöhnlich tüchtig und mir trotz entschiedener Schwierigkeit oder vielleicht gerade deswegen sehr sympathisch. Pessimist, was mich nicht beirrt. Trotzdem sagte er heute: Wenn wir Verdun bekämen, wolle er vor Freude zehn Minuten lang auf den Händen gehen … Wie entzückend, daß mich neulich …, wie Du schreibst, ein alter Trottel, zu Deinem Sohn stempelte. In so hohen Altersklassen kommen solche Irrtümer vor … Ich freue mich über Deine Bemerkung zu den Dir lieben englischen Dichtern. Ich bin ganz Deiner Meinung. Wir wollen uns doch geistig nicht ärmer machen lassen durch den Krieg.
D. 27. Ein Tag von weicher Schönheit, zu schön für diese Zeit und Welt. Weiche wunderbare Farben auf den Bergen. Sehnsuchtsweite Luft und perlfarbener Glanz … Viel und Kniffliges zu verhandeln in diesen Tagen. Mein Kollege Jostow noch immer hier, da wir zusammen einige Entscheidungen abwarten. Wir stehen uns ausgezeichnet, nachdem wir uns auseinandergesetzt haben und er sein Mißtrauen überwandt. Ganz leicht ist es nicht immer … Es ist nicht alles so einfach leider, wie man wohl gern wollte. Wahrhaftig nicht. Auch nicht mit den Bundesbrüdern. Doch will ich nicht schimpfen … Seit gestern habe ich wieder für eine Weile genug von ihnen. Freundschaftsversicherungen durch den Dolmetscher sind schon schlimm. Man kommt sich vor wie ein Afrikaforscher im Palaver … Andauernde Spannungen über den weiteren Verlauf im Westen. Die französischen Berichte und Telegramme klingen etwas krampfhaft … Wie die Sache weitergehen wird, ob es ein guter, reinlicher Erfolg wird, ich wage es nicht zu prophezeien …«
Telegramm vom 29. an Frau von Seeckt: »Bin zu kurzer Besprechung nach dem Westen gerufen … Hoffe, Dich in Wien oder München zu treffen.«
Frau v. Seeckt fuhr ihrem Manne bis Salzburg entgegen, traf ihn drei Tage später wieder in Ulm, um bis Budapest mitzureisen.
Es war nicht ganz ersichtlich, aus welchen Gründen Seeckt nach Mézières befohlen war. An sich wäre die Unklarheit der zukünftigen Aufgabe für die Heeresgruppe Grund genug gewesen. Es ist aber ohne weiteres möglich, daß Falkenhayn überhaupt Seeckts Urteil über die Gesamtlage hören wollte.
Es konnte ferner sein, daß Falkenhayn über eine Schwierigkeit, die seit Mitte Februar sich verschärft hatte, Seeckt mündlich hören wollte. Wegen des Einrückens bulgarischer Kräfte in albanisches Gebiet war es seit dem 13. 2. zu erheblichen Differenzen zwischen König Ferdinand, Conrad, den O.H.Leitungen und Außenministerien gekommen. Die deutsche O.H.L. sollte vermitteln. Daher fragte am 28. 2. Falkenhayn bei Conrad nach den Gründen, weshalb er k.u.k. Truppen in Orte gelegt habe, welche Bulgaren besetzt hatten. Conrad zeigte sich unnachgiebig. Vielleicht hat Falkenhayn in dieser Sache Seeckt nach Mézières berufen. Mit den Verhandlungen wurde dann allerdings Cramon beauftragt. Auf König Ferdinand mußte sogar Feldmarschall v. Mackensen persönlich einwirken Akten Heeresarchiv Wien..
Und schließlich konnte es sich bei der Berufung nach Mézières ja auch lediglich um eine andere Verwendung des Generals von Seeckt persönlich handeln. Immerhin wirkte die Nachricht bei den unterstellten Stäben »alarmierend« M. v. Gallwitz, Meine Führertätigkeit im Weltkriege 1914–16.. Auch der Feldmarschall erfuhr in den nächsten Tagen keinen Grund für die Berufung Seeckts ins Hauptquartier.
Was Seeckt in Mézières besprochen hat, darüber haben wir wenig Angaben Frau v. Seeckt hatte beim Wiedersehen, als ihr Mann von Mézières zurückkam, folgenden Eindruck: Die Gruppe der Kanzlergegner hatte möglicherweise erhofft, unter dem frischen und festen Einfluß Seeckts würde S. M. die Initiative ergreifen, Bethmann durch Falkenhayn und diesen durch Seeckt zu ersetzen. Sollten solche Gedanken damals von S. M. überhaupt erwogen worden sein, so ist jedenfalls nichts in dieser Richtung geschehen. Tatsächlich hat Seeckt, wie er der Mutter schreibt, in Mézières den Kaiser lange allein gesprochen.. Er ist zweifellos als derjenige hingefahren, zu dem wohl Falkenhayn von allen Generalen damals das größte Vertrauen gehabt hat. Ob aber Seeckt noch seinerseits mit dem gleichen Vertrauen zu Falkenhayn, das er so oft in seinen Briefen betont hatte, wieder abgefahren ist, das mag dahingestellt sein. Es ist Mitteilung von Oberst Blankenhorn. eine Äußerung übermittelt, die eine tiefgehende Differenz der Anschauungen beider Männer bezeugt. Falkenhayn habe Seeckt aufgefordert, seine Ansicht über Verdun zu äußern. Man muß dabei bedenken, daß Frage und Antwort in Tagen geschehen, in denen vor Verdun zunächst soeben Erfolge erreicht waren. Seeckt habe, in Mézières erst ausreichend über die Lage vor Verdun unterrichtet, erklärt: »Das wird ein Fehlstoß.« Worauf Falkenhayn sehr kurz geantwortet habe: »Jetzt ist nichts mehr zu ändern.« Klar war durch die Aussprache unter allen Umständen, daß Kräfte für Saloniki nicht mehr zur Verfügung standen, dies Unternehmen mithin aufgegeben war. Geahnt wird Seeckt dies seit Wochen gehabt haben, Gewißheit erhielt er erst jetzt. Was er sich bei der Erkenntnis sowohl der Tatsache an sich wie des Hinausschiebens der endgültigen Entscheidung in der letzten Zeit gedacht haben mag, wissen wir nicht. Wir wissen aber, daß Seeckt keine passive Natur war. Man kann sich also ungefähr denken, wie schwer es ihm innerlich geworden sein mag, sich mit dieser Entwicklung abzufinden. In seiner Art verlor er nach außen hin darüber kaum ein Wort. Es wird ihm das alles um so schwerer geworden sein, je weniger er das Verdun-Unternehmen nunmehr billigte. Jedoch hat er niemals Kritik geübt, wenn sie mit Sicherheit nutzlos war. Es ist zu vermuten, daß in dieser Aussprache über Verdun der Anstoß zu beginnender Entfremdung zwischen Falkenhayn und Seeckt gegeben war.
Wie Falkenhayn seinen Entschluß begründete, hat er selbst schriftlich niedergelegt in einem Schreiben Heeresarchiv Potsdam, Akte 157., das als Unterlage zum Vortrag beim deutschen Kaiser gedient hatte und als Niederschrift sowohl an den Bulgarenzaren wie an den Feldmarschall von Mackensen ging. Darin heißt es: »Der Beginn der Entscheidung suchenden Offensive gegen Saloniki könnte nach Lage der Verhältnisse bei den bulgarischen Truppen nicht vor Mitte Mai erfolgen Es ist bewußt nur von der Entscheidung suchenden Offensive gesprochen. Darin liegt die Ablehnung des Vorschlags Seeckts, wenigstens so weit vorzurücken, als man es mit den gegebenen Mitteln auch so könne. Da Falkenhayn kaum einen anderen Grund dagegen hat als den, dies sei nichts Halbes und nichts Ganzes, so übergeht er den Vorschlag.. Dagegen reift infolge der jüngsten Ereignisse an der Westfront die Lage hier schnell der Entscheidung entgegen. Diese wird in ununterbrochenen Kämpfen während der nächsten Monate herbeigeführt werden. Selbst wenn wir ihr ausweichen wollen, würden wir durch die Gegner gezwungen werden, sie anzunehmen. Wir wollen ihr aber durchaus nicht aus dem Wege gehen. Vielmehr sind wir im Gegenteil der Überzeugung, daß der Möglichkeit, im Westen eine Entscheidung zu erreichen, der Vorzug vor jeder anderen Operation zu geben ist, solange auf den anderen Fronten nur der Status quo erhalten bleibt. Wie hoch man z. B. auch einen Vorteil gegen Saloniki einschätzen will, mit den Folgen eines entscheidenden Schlages in Frankreich wird er nie in Wettbewerb treten können. Freilich ist Voraussetzung dabei, daß Deutschland nach dem alten Kriegsgesetz alle personellen und materiellen Kräfte, die auf anderen Kriegsschauplätzen irgendwie entbehrlich sind, zur Entscheidung zusammenfaßt …« Man hat es Falkenhayn zum Vorwurf gemacht, er habe eben nicht ausreichende Kräfte an das Verdun-Unternehmen gesetzt. Jedoch das steht hier nicht zur Erörterung. Seeckt wäre ganz sicher Falkenhayns Ansicht gewesen, wenn er an eine Entscheidung vor Verdun geglaubt hätte, an die also Falkenhayn am Tage dieser Niederschrift, am 9. März 1916, zu glauben schriftlich festgelegt hat. Nur daß die vorhin wiedergegebene Szene nicht vermuten läßt, Seeckt habe vor Verdun eine Entscheidung erwartet.
Es ist daher nicht ganz verständlich, wenn behauptet worden ist M. v. Gallwitz, Meine Führertätigkeit im Weltkriege, 1914-16, daß in Mézières Seeckt selbst den Vorschlag gemacht habe, die Offensive gegen Saloniki aufzugeben und das Alpenkorps nach dem Westen herauszuziehen. Diese Angabe stützt sich auf eine vertrauliche Mitteilung des Oberstleutnants Voelckers, des damaligen Ia der Heeresgruppe, an General von Gallwitz Es wird sich hier um ein Mißverständnis handeln. Seeckt hat in einem späteren Briefe erklärt, er habe im Februar 1916 einen Angriff gegen Rumänien vorgeschlagen. Man könnte verstehen, daß er zugunsten eines solchen Angriffes auf das Saloniki-Unternehmen verzichtet hätte. Erstens aber wurde ja der rumänische Gedanke damals nicht aufgenommen und zweitens paßt dazu die Abgabe des Alpenkorps erst recht nicht..
Daß Seeckt schon in Mézières die Abgabe des Alpenkorps vorgeschlagen hat, ist sehr wahrscheinlich. Wenn man in Griechenland nichts mehr wollte, dann widerstrebte es jeder militärischen Auffassung Seeckts, brauchbare Kräfte nutzlos herumliegen zu lassen. Es ist auch möglich, daß Seeckt seiner ganzen Art nach ziemlich rücksichtslos Falkenhayn, falls dieser die Dinge wie bisher immer noch dilatorisch behandeln wollte, endlich zu einer Entscheidung gedrängt hat. Als Seeckt in Mézières sah, wie die Dinge lagen, wird er höchstwahrscheinlich verlangt haben, daß endlich ein klarer Befehl gegeben wurde, der zeigte, was man nun eigentlich wollte. Das war klipp und klar: Defensive und kein Vormarsch auf Saloniki. Es ist durchaus anzunehmen, daß Seeckt Falkenhayn dahingebracht hat, endlich den Zustand halber Entschlüsse auf dem Balkankriegsschauplatz aufzugeben. Damit ist aber keineswegs zugegeben, daß Seeckt der Vater des Entschlusses, nicht gegen Saloniki anzugreifen, war. Ursprünglich hat Seeckt Mitte November den Angriff gegen die Entente gewollt. Er hat ihn von bestimmten, absolut notwendigen Voraussetzungen abhängig gemacht. Die Heeresgruppe Streng genommen die 2. bulg. Armee, die der Heeresgruppe nicht unterstand, auf deren Verhalten die Heeresgruppe aber natürlich nicht ohne Einfluß war. hat aber trotzdem bis zum 13. Dezember die Operation so in Fluß gehalten, daß die Entente über die griechische Grenze zurückgeworfen wurde. Bis dahin war nichts getan von seiten der O.H.L., um Seeckts Bedingungen für ein großes Unternehmen gegen Saloniki zu erfüllen. Es war unvermeidlich, daß man jetzt nur noch bestrebt sein konnte, vorzubereiten, was vorzubereiten war. Das hat die Heeresgruppe in der Tat unter Überwindung unendlicher Schwierigkeiten durchgesetzt.
Wenn eine große Offensive überhaupt noch stattfinden soll, dann ergibt sich auch aus der Nachschublage, daß Monate bis zum Beginn einer großen Offensive hingehen müssen. Deshalb gibt sie Seeckt Es handelt sich hier nur um eine Darstellung der Tätigkeit Seeckts. Andernfalls müßte hervorgehoben werden, daß gerade in dieser Zeit Feldmarschall v. Mackensen vielfach persönlich eingriff. durchaus nicht auf. Er tut vielmehr alles, sie dennoch vorzubereiten. Erst als er merkt, daß Verdun es nicht mehr zuläßt, gegen Saloniki die notwendigen Kräfte einzusetzen, da wendet sich Seeckt innerlich von einem Gedanken ab, der nicht mehr ausführbar ist. Aber einen letzten Rest sucht er auch jetzt noch zu retten, nämlich den, wenigstens die vorhandenen Kräfte so weit vorzuschieben, als der Gegner es zuläßt. Das heißt doch wirklich, den Angriffsgedanken bis zur allerletzten, sozusagen kümmerlichen Möglichkeit noch durchzuhalten. Erst als Seeckt in Mézières einsieht, daß die operative und politische Gesamtlage, so wie sie Falkenhayn sieht, den Angriff unmöglich machen, da endlich gibt er einen Entschluß auf, der nicht mehr durchzuhalten ist. Aber selbst nach seiner Rückkehr tritt er noch weiter für den Verbleib auf griechischem Boden ein. Das alles sieht doch erheblich anders aus als die Bemerkung des Oberstleutnants Voelckers, jedenfalls, wie sie General von Gallwitz aufgefaßt hat.
Einige Monate später hat Seeckt in einem Brief vom 18. 7. 1916 die Salonikifrage nochmals berührt. Er schreibt: »... Saloniki und Umgegend – ich danke. Ich bin froh, daß ich seinerzeit dagegen war, es anzugreifen! Jetzt säße man dort fest, wo man wahrhaftig seine Soldaten und Kanonen anderswo besser gebrauchen kann …« Man könnte zunächst erstaunt sein, daß Seeckt sich selbst dazu bekennt, er sei gegen den Angriff gewesen. Das stimmt nicht. Ein Angriff, der die Entente aus Saloniki vertrieben hätte, wäre ihm schon recht gewesen. Wenn er aber voraussetzt, daß man jetzt festsäße, dann hat er allerdings einen Angriff mit unzulänglichen Mitteln gemeint. Und den wollte er in der Tat nicht.
Man hat Seeckts Auffassung vom 12. Januar, daß die Bulgaren kaum den Willen haben würden, gegen Saloniki zu marschieren, für einen Irrtum angesprochen. Wenn es ein Irrtum war, so hätte er allerdings als wesentlich bezeichnet werden müssen, weil es dann erst recht nachteilig wirkte, als Falkenhayn am 13. Dezember 1915 die Bulgaren nicht weiter vorgehen ließ. Man hat darauf hingewiesen, daß später die Bulgaren tatsächlich vorgegangen sind, als Seeckt schon nicht mehr Chef der Heeresgruppe war. Diese Beweisführung kann aus zwei Gründen nicht als stichhaltig angesehen werden. Einmal wußte Seeckt sehr wohl, daß die Bulgaren ein ganz bestimmtes Stück von Griechenland haben und deshalb eine bestimmte Strecke weiter vorgehen wollten. Zweitens jedoch blieb der bulgarische Vorstoß so erfolglos, daß er Seeckts Auffassung eigentlich nur rechtfertigte.
In der gesamten kritischen Nachkriegsliteratur finden sich nur wenige Stimmen, die den Entschluß zum Einstellen der Offensive verteidigen, und um so mehr Stimmen, die ihn scharf verurteilen. Cramon, Hoffmann, Kabisch, Moser, Alfred Krauß, Schwarte, sie alle sehen hier einen der folgenschwersten Fehlentschlüsse des ganzen Krieges. Conrad war, wenn man von vorübergehenden andersgerichteten Plänen absieht, für die Offensive gewesen Conrad hat am 4. 2. 1917 eine eingehende Darstellung an Ludendorff geschrieben, wie sich die Dinge auf dem Balkan entwickelt hatten. Er nennt als Gründe zur Einstellung der Offensive die politische Rücksicht auf Griechenland und die Nachschublage.; wobei Billigung und Beteiligung an der Offensive vielleicht nicht durchweg gleichzusetzen gewesen wären. Man muß auch zugeben, daß Falkenhayns Darstellung in seinem Buch nicht überzeugt. Jedoch man darf zwei Dinge nicht einfach übersehen. Zunächst einmal hat doch auch die dritte O.H.L. an dem Zustand auf dem Balkan etwas zu ändern nicht für notwendig erachtet. Nun kann man natürlich sagen, daß es immer schwerer ist, einen gefaßten Entschluß zu ändern, als einen Entschluß zu fassen. Allein die dritte O.H.L. war ja Schwierigkeiten gegenüber sonst nicht gerade hilflos. Wenn sie den Entschluß Falkenhayns für grundfalsch hielt, dann hätte sie ihn doch wahrscheinlich nachträglich abgeändert. Zuzugeben ist, daß die 3. O.H.L. ihre Kräfte 1916 gegen Rumänien, 1917 gegen Rußland und zur Abwehr der Großangriffe der Entente brauchte. Aber Falkenhayn hat ja immerhin auch Gründe für sein Verhalten gehabt.
Dazu kommt, daß Feldmarschall von Mackensen, der ganz gewiß Falkenhayns Entschluß nicht gern gesehen hat, später Wolfgang Dörfler, Mackensen. den Nichtangriff nicht ausgesprochen als einen Fehler anerkannte. Es sind jahrelang bei Saloniki rund 200+000 Feinde festgehalten und ausgeschaltet worden.
Man muß diese Ansicht vom Standpunkt des Oberbefehlshabers der Heeresgruppe aus verstehen Feldmarschall v. Mackensen hat mündlich im März 1938 hierzu eine Erläuterung gegeben. Eine Offensive mit unzulänglichen Mitteln, die vielleicht steckenblieb, habe er natürlich nicht gewollt. An sich aber habe er den Gedanken, den Angriff weiterzutragen, eigentlich niemals ganz aufgegeben. Freilich habe er nicht Saloniki selbst angreifen wollen, sondern beherrschende Küstenstellen in der Umgebung von Saloniki. Noch während der Zeit der Internierung habe er gelegentlich außerhalb von Saloniki die Höhen bezeichnet, die er sich als Angriffsziele gedacht habe..Nachträglich wird man jedoch, da nun einmal nicht wegzuleugnen ist, daß von hier aus der Zusammenbruch des ganzen Defensivgebäudes der Mittelmächte begann, den Nichtangriff auf Saloniki unbedingt bedauern Das deutsche Weltkriegswerk urteilt, daß der militärische Nutzen einer Besetzung Salonikis gering, der moralische größer gewesen wäre. Ohne militärischen Nutzen ist der moralische im Kriege selten von Dauer. Daher würde vielleicht doch militärischer Nutzen anzunehmen sein.. Man darf auch nicht übersehen, daß die Salonikifrage eigentlich keine Angelegenheit ausschließlich des Landkrieges sein durfte. Vielleicht hätte Saloniki für die österreich-ungarische Flotte als Hafen oder wenigstens als U-Bootbasis nützlich sein können. Jedoch die ganze Frage ließ sich 1916 nicht einfach örtlich entscheiden. War Verdun richtig, dann war es auch richtig, zugunsten dieses Verdunangriffs Saloniki nicht anzugreifen. Hierüber aber entschieden weder Mackensen noch Seeckt.
Man muß sich einmal die Gründe vergegenwärtigen, die zum Aufgeben des Unternehmens geführt haben Die Aufstellung dieser Gründe stimmt nicht ganz mit der des Generals von Gallwitz in seinem Buch »Meine Führertätigkeit im Weltkriege 1914–16« überein.. Man wird dann sofort erkennen, daß sie überwiegend außerhalb des Machtgebietes der Heeresgruppe lagen und daß, man kann wohl beinahe sagen leider, die Verantwortung unmöglich Mackensen und Seeckt treffen konnte.
Sehr wesentlich waren die politischen Gründe. In erster Linie die Rücksicht auf Griechenland, bei dem ein Stimmungsumschwung deutlich zu erkennen war. Es gab aber auch sonst mancherlei politische Gründe, unter denen die rumänische Frage nicht an letzter Stelle stand.
Die Schwierigkeit der Nachschublage war aus einer Mehrzahl von Anlässen entstanden. Der Zustand der Straßen war über Erwarten schlecht, obwohl man schon sehr wenig erwartet hatte. Es ist zuzugeben, daß das Erkundungsergebnis sehr spät eintraf. Die Instandsetzung der Eisenbahnen kam langsam voran. Die Verpflegungslieferungen von Seiten der Bulgaren kamen nicht so, wie die Heeresgruppe das erwartet hatte.
Die Befehlsverhältnisse krankten an ausgesprochener Unklarheit. Das lag sowohl an der Einstellung der Bulgaren wie der Österreicher; im Grunde also an der Tatsache einer mehrfachen Koalition. An den Folgen einer solchen ist in aller Kriegsgeschichte immer nur schwer etwas zu ändern gewesen. Man tut auch den Verdiensten Seeckts, der ein ungewöhnliches Geschick in der Behandlung der fremden Armeen bewies, keinen Abbruch, wenn man zugibt, er habe hier und da Fehler gemacht.
Nachdem die Offensive sich zwangsläufig verzögerte, war eine immer mehr zunehmende Verstärkung der Ententetruppen zu berücksichtigen.
Und schließlich gab es eben nur das eine oder das andere, Verdun oder Saloniki.
Man wird anerkennen müssen, daß der erste und letzte dieser Gründe etwas von tragischer Verkettung an sich hatte.
Soweit die Operation auf dem Balkan ein Torso blieb und nicht bis zur vollen Entscheidung gegen die serbische Armee durchgekämpft und nicht bis zum Angriff auf Saloniki vorgetrieben wurde, soweit waren weder Mackensen noch Seeckt verantwortlich. Wohl aber muß man zugeben, daß, wenn ein Fehler gemacht wurde, Seeckt sich nicht durchgesetzt hat. Das ist nicht zu leugnen. Allein man muß auch zugeben, daß er sich hätte kaum durchsetzen können. Man kann andererseits nicht behaupten, er habe nicht kämpfend eine Beeinflussung der Dinge in seinem Sinne versucht. Wir sehen vielmehr gerade in diesem Teil des Feldzuges wieder, daß Entschlüsse eben keine mechanischen Vorgänge des reinen Intellekts sind, sondern daß sie in organischem Wandel entstehen und der Qual seelischer Entwicklung unterworfen sind. Man könnte beanstanden, daß der Ausdruck Qual zu pathetisch sei. Gewiß hat Seeckt nie davon gesprochen. Und doch empfinden wir sie durch die Hülle der Gelassenheit hindurch. In allen seinen Dienststellen hat Seeckt, wie wir genau wissen, bei aller soldatischen Diszipliniertheit unter der Tatsache gelitten, nicht selbst Führer zu sein. Führer und Oberbefehlshaber hat er auch hier wieder nicht sein dürfen und nicht sein können. Das hat seinem Wesen im Stabe manchmal ein etwas eigenartiges Gepräge gegeben. Man muß es verstehen, daß ein solcher zum Führen geschaffener Mann danach drängte, selbst Entscheidungen zu fällen. Niemand kann sagen, daß, wenn die letzte Entscheidung in Seeckts Hand lag, etwas anders gekommen wäre. Sicher ist nur, daß Seeckt innerlich unter der Tatsache, sich in die Dinge einpassen zu müssen, litt. Um so bewundernswerter ist es, daß er sich einzupassen verstand und eingepaßt hat. Nicht jeder kann das.
Vielleicht war die äußere Machtfülle, die mit Kaiser und Königen zu verhandeln gebot, im serbischen Feldzug größer als je. Dennoch ist deutlich der kriegerische Höhepunkt für Seeckt schon überschritten. Vielleicht sogar, ohne daß er es im Augenblick weiß. Hier in Serbien kommt zum erstenmal für Seeckt etwas in die Entwicklung hinein, was wir später oft wiedertreffen werden: das tragische Moment.
Die Beschwingtheit des Leutnants vom Regiment Alexander hat längst aufgehört. Zum Feldherrn ist er bei aller Großartigkeit der Leistung nicht geworden. Trotz Orden und Ehren, trotz aller tatsächlichen weltgeschichtlichen Erfolge tritt plötzlich das eine in sein Leben: die Tragik. Es ist jenes harte Entgegentreten des Schicksals, durch das der vollendete ungehemmte Einsatz großer Gaben selbst dann versagt bleiben kann, wenn sie an mitentscheidender Stelle wirken. Diese Tragik bleibt Seeckt bis zum Kriegsende von nun ab treu. Sie hat ihn als Chef der Heeresleitung, also als den Wegbereiter auf dem Wege vom Zusammenbruch zum Neubau gewiß nicht verlassen. Seeckt hat sie bekämpft mit angreifendem Humor, der sich ganz plötzlich, ganz überraschend, oft in düsterer Situation äußert; er hat sie bekämpft mit der Eleganz seines Wesens und seiner Geistigkeit; er hat Schutz vor ihr gesucht bei dem unverwüstlichen Frohsinn seiner Frau. Aber er hat diese Tragik nur ausgeschaltet, überwunden hat er sie im ganzen Leben nicht mehr.