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Voraus eine kurze Übersicht der Ereignisse:
Bis zum 2. August greifen die russische 7. und 9. Armee beiderseits des Dniester an. Die k. u. k. 7. Armee geht ihrerseits mit dem Karpatenkorps zum Angriff über. Am 7. August erfolgt ein neuer Gesamtangriff der russischen Südwestfront, nach Norden bis in Gegend Luck reichend. Kraewel wird geworfen, die 3. Armee hinter die Bystrzyca Nadwornianska gedrückt. Am 10. 8. fällt Stanislau. Am 13. 8. muß die Südarmee zurück, die 7. Armee hat am 11. und 18. eigene Angriffserfolge. Am 29. 8. Nach dem Deutschen Amtlichen Kriegswerk, Bd. 11, beginnt der Angriff am 31. 8. setzt ein neuer Gesamtangriff der russischen Südwestfront zusammen mit den Rumänen ein. War der 9. 8. bereits eine Krise für die Führung der Heeresgruppe Erzherzog Karl, so schließen sich an die Abwehr der mit dem 29. 8. beginnenden Feindoffensive fühlbare Differenzen zwischen Falkenhayn und Seeckt. Am letzten Augusttag haben die Russen Erfolge gegen die 7. Armee und drücken die Südarmee auf beiden Flügeln ein. Vom 7. bis 9. September setzt eine neue russische Angriffswelle am Dniester ein. Am 16. 9. Gesamtangriff der russischen Südwestfront, besonders gegen die Südarmee. Der 19. 9. ist ein kritischer Tag für die 200. Division in den Karpaten. Am 20. 9. erneuter Angriffsbeginn in den Karpaten, am 23. 9. gegen die Südarmee. Mit dem 23. 9. hat die russische Heeresleitung den Schwerpunkt endgültig in die Karpaten verlegt.
Die Voraussetzungen, unter denen dieser Kriegsabschnitt für Seeckt beginnt, sind wesentlich andere als jemals bisher. Bis jetzt war er Chef, und die Verantwortung trug ein Oberbefehlshaber. Es ist zuzugeben, daß eine Persönlichkeit wie Seeckt die Cheftätigkeit mit starken Impulsen versah. Es war unausbleiblich, daß er in den Wochen bei Pflanzer-Baltin in den Vordergrund rückte, nicht ohne daß es zu Differenzen mit dem kam, der nun einmal die Stellung des Oberbefehlshabers innehatte. Jetzt aber war er verantwortlicher Ratgeber eines Fürsten, dessen besondere Art Seeckt mit doppelter Verantwortung belastete. Einmal handelte es sich um den Thronfolger der Doppelmonarchie. Zum anderen war es ganz ausgeschlossen, daß der junge Fürst, der bisher wohl ein Korps zu führen unternommen hatte, in allerschwierigster Lage mehrere Armeen zu führen imstande sein konnte. Hierzu mußte ihm einfach die Erfahrung fehlen. In der Tat war jetzt Seeckt der Inhaber der eigentlichen Führungspflicht und damit auch der wirklichen Verantwortung. So sehr man bisher betonen muß, daß keinem Oberbefehlshaber durch Seeckt die Verantwortung genommen werden konnte, so wenig darf man übersehen, daß Seeckt vom 4. Juli 1916 ab selbst unter der Last der Verantwortung stand.
Als Seeckt in Chodorow in seiner neuen Dienststelle eintrifft, muß er noch glauben, daß eine 12. Armee zustande kommen wird. Es kann sich anfangs um ein Halbdutzend Divisionen handeln, mehr auch nicht. Dann aber scheinen es nur fünf, schließlich nur drei zu sein, und beim Zusammentritt des Oberkommandos sind bereits die sämtlichen Verbände der Armee notgedrungen zur Abwehr an den verschiedensten Stellen eingesetzt. Es war so gut wie selbstverständlich, daß man nach wie vor auf dem Südflügel die Defensivaufgabe durch Angriff zu lösen versuchen wollte. Seeckt hätte sich eine andere Absicht sicherlich kaum vorstellen können. Er will alles, was an Verstärkungen herankommt, nördlich der Karpaten ansetzen. Leider wird aus diesem Angriff eine reine Abwehr. Schon am 7. 7. bekommt der Erzherzog von Conrad das bescheidene Ansinnen, wenigstens eine Division zu schicken, nicht erfüllt. So kann man es Seeckt nicht verdenken, daß er bei Conrad anfragt, ob eigentlich der Auftrag für die nichtvorhandene 12. Armee noch bestehen bliebe, also der Angriff, um die feindliche Front in Südgalizien zu durchstoßen und dann gegen Flanke und Rücken der Russen in der Bukowina vorzugehen.
Darin mußte man von vornherein und im Gang der Ereignisse immer mehr berechtigte Zweifel setzen. Die deutsche O.H.L. hatte allerdings im Verlauf der Brussilow-Offensive bereits 16 Divisionen an die bedrohte Ostfront geworfen, als die Krise durch den Beginn der Somme-Schlacht weiter verschärft wurde.
Die ersten Tage in der neuen Stellung verlaufen noch verhältnismäßig glimpflich. Genau bis zur Monatsmitte lassen die russischen Angriffe etwas nach. Seeckt veranlaßt einen sehr in die Einzelheiten gehenden Befehl Auf der ersten Seite des Kriegstagebuchs der Heeresgruppe für die Zeit vom 4. 7. bis 12. 10. 1916 steht von der Hand des Hauptmann Gräser: »Wenn Sie in späteren und ruhigeren Zeiten mal zu diesem Buche greifen, dann denken Sie dabei auch an Ihren dankbaren Schüler Gräser. 3. 11. 1916.«. Die 7. Armee soll wenigstens die Pässe nach Ungarn decken.
Die ersten Eindrücke schildert Seeckt in seinen Briefen:
»D. 5. Juli 1916 … Wieder aus ganz anderer Umgebung! D. h. eigentlich aus Dir wohlbekannter; denn ich schreibe in ›unserem‹ Schlafwagen, in dem ich auch wohne. Gestern morgen langte ich hier an und habe hier nun alles einzurichten und zu ordnen, was noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Wir werden in einer großen ganz neuen Zuckerfabrik oder vielmehr in deren zahlreichen Beamtenhäusern wohnen, die aber erst von Lemberg her möbliert werden müssen. Die Gegend ist ganz hübsch und grün. Vorgestern war noch ein heißer Tag bei meiner bisherigen Armee; wo es bei meiner Abreise am Abend aber leidlich wieder stand. Gestern mit allerhand neuen Menschen und Dingen beschäftigt und heute fängt das Regieren wirklich an … Sogar die Pferde sind schon hier. Also soweit alles in Ordnung – es wird schon werden.
Inzwischen kam der Thronfolger an – Empfang, Vorstellung des noch nicht ganz vollzähligen Stabes, lange Unterhaltung mit ihm unter vier Augen, Frühstück bei ihm im Hofzug. Der erste Eindruck war wirklich ein sehr angenehmer; er ist unendlich natürlich und, wenn es mir gelingt, sein Vertrauen zu gewinnen, so ist wohl an einem guten Auskommen nicht zu zweifeln. Es geht überall jetzt heiß her, und Nachrichten von allen Seiten überschlagen sich. Über den Westen denke ich ruhig; aber es geht jetzt um die Wurst, und allgemein ist das Bestreben, es vor dem Winter zu Ende zu bringen. Rein äußerlich verläuft mein Leben ja nun fast zu gut: Mittags und abends kleine Hoftafel, was vielleicht nicht immer ganz bequem sein wird, aber dazu gehört. Der junge Oberbefehlshaber gefällt in seiner offenen und natürlichen Art. Die Hauptsache ist, daß es gelingt, zu viel fremde Einflüsse fernzuhalten …
D. 8. Juli 1916. Gestern von Dir lieben Brief … Alles so lieb und gut … Alles Äußere ist hier gut eingerichtet; daß das Dienstliche in diesem Augenblick schwer ist, ist selbstverständlich; denn das ist es für alle. Für meine Pläne, Hoffnungen und Absichten mangeln die nötigen Soldaten, die anderswo noch wichtiger sind. Das ist nicht erfreulich und besonders nicht, da die Sache durch Einsetzen des Thronfolgers einen äußeren Nimbus bekam, dem nun die Kräfte nicht entsprechen. Er ist wirklich sehr nett, voller Interesse und Hingabe an die Sache, die ja auch sehr seine eigene ist. Aber eine Riesen-Friedenssehnsucht hat er auch. Rücksicht verlangt er an sich nicht, oder wenig. Aber es macht sich von selbst, daß man doch in Form und Zeit manche nehmen muß. Große Dinge wirst Du in absehbarer Zeit nicht von mir hören …
Eben hatte ich ein Telegramm des Königs der Bulgaren: ›Habe Sendung mit dem vorzüglichen Bild erhalten. Mit tiefer Bewegung las ich die herrlichen (bitte: herrlichen!), mich so ehrenden Zeilen und kann nur aus ganzem Herzen für alles Gesagte meinen innigsten Dank abstatten. Meine treuen, wenn auch sorgenvollen Gedanken weilen stets bei Ihnen.‹ Dazu ich einfacher alter Soldat! – …«
Man muß in der Tat Seeckts Objektivität bewundern. Er befindet sich in einer der scheußlichsten Lagen, in der ein Führer sein kann. Alle seine Absichten zerrinnen ihm, ohne daß er es ändern kann. Noch weiß er nicht einmal, ob er die Lage überhaupt meistern wird. Da schreibt er, daß »die nötigen Soldaten anderswo noch wichtiger« seien. Es wird nicht allzuviel Beispiele dafür geben, daß in bedrängtester Situation der verantwortliche Generalstabschef soviel Verständnis dafür aufbringt, auf Hilfe verzichten zu müssen.
Seeckt hatte beim ersten Zusammentreffen mit dem Erzherzog Karl einen freundlichen Eindruck erhalten. Es ist jedoch nicht zu leugnen, daß das Verhältnis von vornherein einigermaßen belastet war. Bereits die Ernennung des deutschen Generalstabschefs bei General v. Pflanzer hatte im Stabe des Erzherzogs, der damals an der Tiroler Front stand, »Zorn und Beschämung« ausgelöst v. Werkmann, Deutschland als Verbündeter.. Ganz abgesehen davon, daß dieser deutsche General nun zu dem Erzherzog selbst trat, muß man wohl zugeben, daß für beide, den Oberbefehlshaber wie den Chef, die neue Aufgabe nicht allzuviel freundliche Seiten haben konnte. Man kann wenig dagegen sagen, wenn die Bildung der 12. Armee als »die unglücklichste Verwendung, die je dem Erben eines großen Reiches zugedacht war, empfunden wurde. Erzherzog Karl war an die Spitze eines die österreich-ungarische Empfindlichkeit verletzenden Kommandos gestellt. Der Erzherzog war Befehlshaber einer nichtexistierenden Armee. Man muß sich immer wieder erinnern, daß es zur Formierung der 12. Armee aus frischen Kräften nie gekommen ist. Infolgedessen hat schon am 7. 7. der Erzherzog angeregt, von der Aufstellung der 12. Armee Abstand zu nehmen und eben den rechten Flügel einem Heeresgruppenkommando zu unterstellen. General v. Seeckt ist auf diesen Vorschlag eingegangen. Recht bitter bemerkt der Erzherzog, er scheine die letzte Reserve Teschens zu sein und es sei eine kaum erträgliche Zumutung, ihn zum Armeekommandanten ohne Armee zu ernennen v. Werkmann, Deutschland als Verbündeter..« Es kam noch hinzu, daß die verschiedenartige Stellung eines Generalstabschefs in der österreichischen und in der deutschen Armee die Lage verschärfte. In Österreich spielte der Chef erheblich mehr nur die Rolle des Gehilfen. Die deutsche Praxis schob ihm in der Tat etwas mehr Mitverantwortung zu Im Stabe hat Seeckt durch eine Neuregelung des Generalstabsdienstes die Verantwortlichkeit des Chefs festgelegt.. Erzherzog Karl und General v. Seeckt traten also unter verschiedenen Voraussetzungen an ihre Aufgabe heran. Seeckt war Zufolge der Darstellung von Werkmann, die aber richtig sein dürfte. von dem Verlangen, täglich wiederholt zum Vortrag zu erscheinen und alle wichtigeren Befehle zur Billigung vorzulegen, befremdet. Der in anderer Auffassung erzogene Befehlshaber konnte darin ein Mißtrauen erblicken und vergalt es vielleicht unwillkürlich mit etwas Mißtrauen.
Persönlich hatte der Erzherzog ganz sicherlich einen durchaus günstigen Eindruck von Seeck Man kann annehmen, daß die hier wiedergegebene Charakteristik Seeckts im wesentlichen der Ansicht des Erzherzogs Karl entspricht, da v. Werkmann ausdrücklich an einer Stelle vermerkt, daß es sich um eine Äußerung des Erzherzogs handelt.: »General von Seeckt ist ein gebildeter Offizier, mit dem Auskommen zu finden sein wird. Oberst v. Waldstätten spricht sich mit ihm sehr leicht. Seeckt ist unzweifelhaft der gebildetste deutsche General. Ich habe ihn einmal bei Tisch gleich interessant über die Geologie der ungarischen Tiefebene, chinesische Kultur und die Zeit Julius Cäsars sprechen hören. Er ist im privaten Verkehr einer der wohlerzogensten deutschen Offiziere, was ihn nicht hindert, ein hohes Maß von Selbstbewußtsein zur Schau zu tragen. Ich glaube, daß er wohlwollend ist. Deutsche Offiziere, die ihm natürlich näher standen als ich und die ich als Charaktere schätzte, schworen auf ihn. Sein Wohlwollen ist nicht ohne weiteres zu erkennen, denn er ist eine äußerlich selten kühle und nüchterne Persönlichkeit. Ich habe ihn wiederholt scharf, nie aber überlaut und sinnlos erregt gesehen. Er ist jederzeit Herr seiner Nerven. Vollkommen fremd sind ihm Phantasterei und militärisches Hasardspiel. Er ist ein fester Charakter, der seine Ansicht auch gegen oben vertreten hat. Er schließt keine Kompromisse, ist jedenfalls eine Persönlichkeit und – ein Herr.« Der Thronfolger hat alle Wesenszüge seines Generalstabschefs wohl erkannt. Er hat ihn geschätzt. Er war darum auch entschlossen, das ihm beschiedene Los zu tragen. Voll Rücksicht für seinen kaiserlichen Herrn und um der großen Sache willen ließ er Reibungen beim Heeresgruppenkommando lange nicht zu den Ohren des Kaisers dringen. In keinem der für den Kaiser bestimmten Berichte findet sich ein abfälliges Urteil über den Chef des Generalstabes oder eine Andeutung über die Schwierigkeiten der Zusammenarbeit. Im Gegenteil. Dennoch muß man zugeben, daß Seeckt sowohl als Mensch wie unter dem Zwange der gegebenen Sachlage in der bald heraufziehenden persönlichen Krise ebensosehr zur Verschärfung wie zur Linderung beigetragen hat. Es mußten sich überdies Reibungen daraus ergeben, daß der Erzherzog ein Untergebener Teschens war und Seeckt sich naturgemäß als Organ der deutschen O.H.L. fühlen mußte.
Am 6. 7. fragt Falkenhayn bei Seeckt an, wie er sich die Fortführung der Operation denkt. Falkenhayn hat eben ein Gespräch mit Cramon gehabt, in dem man feststellen mußte, daß für die Gegend südlich des Dniester nur noch die 5. Reserve-Division zur Verfügung sei. Das ist etwas wenig für einen recht weitläufig umschriebenen Raumbegriff. Falkenhayn fühlt das wohl. Er regt daher erneut die Heranführung türkischer Divisionen an. Als Falkenhayn nun bei Seeckt anfragt und Vorschläge wissen will, bekommt er von diesem die sehr natürliche Gegenfrage, wann denn eigentlich mit Verstärkungen zu rechnen sei. Kühl erwidert Falkenhayn, er wolle eine Beurteilung der Lage so, wie die Dinge im Augenblick stünden. Seeckt erklärt Heeresarchiv Potsdam, Akte O 468.: »Die Operationen hängen von der Stärke und der Zeit des Eintreffens der zugesagten Truppen insofern ab, als sich danach die beabsichtigte Offensive allein bestimmen läßt … Die Versammlung würde in der Gegend beiderseits Halicz erfolgen … Allgemeine Angriffsrichtung Horodenka … Hierzu muß das Ausfalltor von Stanislau fest in der Hand bleiben. Die Südarmee hält ihre Front … Bei der 7. Armee ist mit weiterem Zurückgehen zu rechnen, ohne daß der Offensivplan wesentlich beeinträchtigt würde …« Auf diese Meldung schreibt Tappen: »Die Frage, was jetzt im Augenblick geschehen soll, ist nicht beantwortet.« Es ist vielleicht gut, daß Seeckt diese Bemerkung nicht gelesen hat. Er hätte sie sicher mit seinem eigenartigen spöttischen Lächeln beantwortet. Man kann, wenn einem nicht geholfen wird, in solcher Lage nicht wesentlich mehr tun, als sich totschlagen lassen. Oder man weicht, wo es noch angeht, dem Totgeschlagenwerden geschickt aus. Damit ist Falkenhayn keineswegs einverstanden. Er meint, man könne doch mit zwei Divisionen aus den Karpaten heraus angreifen, da der Russe dort sehr schwach sei Heeresarchiv Potsdam, Akte O 468.. Das stimmt. Seeckt antwortet, er habe diesen Angriff bisher als Nebenangriff auch in Erwägung gezogen, aber zugunsten des Hauptangriffs verworfen, weil man zu diesem im ganzen nicht einmal genügend Kräfte habe. Sobald man den Hauptangriff aufgäbe, könne man natürlich einen Angriff über die Pässe von Kirlibaba und Montecanesci ansetzen. Dieses Eingehen Seeckts auf Falkenhayns Anregung ist außerordentlich bezeichnend. Er hat sich in seinen Erwägungen bisher streng an den Auftrag einer Offensive nördlich des Gebirges gehalten. Wenn man auch anderswo Erwägungen anstellen kann und soll, dann ist er sofort bereit, in diesem Sinn Vorschläge zu machen.
Mehr oder minder sind solche Meinungsverschiedenheiten etwas akademischer Natur. Der Erzherzog überzeugt sich selbst davon, daß die Divisionen der 7. Armee vielleicht noch die Gefechtskraft von Regimentern haben. Der Russe hat die Initiative und nutzt sie aus. Er bricht am 8. 7. zwischen dem XI. Korps und dem K. K. Brudermann durch. Eine Brigade, die man zur Hand hat, reicht nicht aus. Gendarmerie und Etappenformationen werden notdürftig entgegengeworfen. In solcher Lage ist es ziemlich gleichgültig, ob und wo man Offensiven ansetzen will, die doch nicht zur Ausführung kommen können.
Seeckt wendet alle Mittel an, um den Widerstand zu stärken. Er läßt vom A.O.K. 12 mit der Unterschrift des Erzherzogs taktische Weisungen herausgehen, damit wenigstens vermeidbare Fehler in Zukunft vermieden werden. Es ist eine sehr ins einzelne gehende Abwehrvorschrift. An sich eine außergewöhnliche Leistung in solcher Zeit.
Außerdem schlägt die Heeresgruppe in Teschen vor, die zur Deckung Ungarns bestimmten Kräfte von Pflanzer abzutrennen, und bittet um Köveß als Führer der Masse der 7. Armee nördlich der Karpaten. Seeckt meldet an Falkenhayn die nicht uninteressanten Beweggründe hierzu. Zunächst einmal muß es auffallen, daß Seeckt eine Stellungnahme des Erzherzogs Karl in sein Telegramm übernimmt, wonach der Erzherzog selbst Heeresarchiv Potsdam, Akte O 468. Generaloberst v. Pflanzer als für den Deckungsauftrag durch »eingehende Ortskenntnis und das schon in ähnlichen Lagen bewiesene organisatorische Talent für besonders geeignet« hält. In der Fortsetzung des Telegramms, die von Seeckt selbst stammt, bemerkt er, »der Erzherzog wolle auf Vorschlag des Oberst von Waldstätten bitten, daß ihm die Verteidigung Ungarns abgenommen würde. Grund, daß nicht ihm die Verantwortung für einen etwaigen vorübergehenden Einfall der Russen zufiele. Er, Seeckt, habe die schwachherzige Auffassung mit Erfolg bekämpft und dem Antrag die Form gegeben, wonach eine Gruppe Pflanzer und die 7. Armee unter Köveß dem Erzherzog unterstellt bleiben sollen. Nicht jeder würde das schwachherzig nennen. Der Thronfolger wollte nicht für die Sicherheit Ungarns verantwortlich werden. Das ist ein begreiflicher dynastischer Grund. Seeckt, der niemals einer Verantwortung ausgewichen ist, empfindet das bereits als schwachherzig.
Seeckt fährt dann fort: »Ich kann aber nicht dafür einstehen, daß die Idee, Pflanzer unmittelbar dem A.O.K. Teschen zu unterstellen, unter dem dynastischen Deckmantel erneut auftaucht und den deutschen Einfluß auf einem Teil der Front wieder aufheben will.« Und dann kommt ein Schlußsatz, der richtig gelesen doch ein deutliches Grollen in der Seele Seeckts erkennen läßt: »Exzellenz v. Conrad machte ich schriftlich darauf aufmerksam, welche Gefahr darin liegt, wenn der Erzherzog häufig zwischen zwei Auffassungen zu wählen hat.« Man spürt, daß Seeckt diese eigentümlichen Befehlsverhältnisse schwere Sorgen machen.
Nahezu gleichzeitig mit dem soeben erwähnten Vorschlag geht ein Telegramm an Falkenhayn ab, in dem Seeckt unmißverständlich sogar von der Gefahr einer Erschütterung seiner Stellung zum Erzherzog spricht: »Ich bitte …, darauf zu rücksichtigen, daß ich mich einerseits zu einer offenen Berichterstattung an E. E. Also Falkenhayn. für verpflichtet halte, andererseits aber im Interesse der Sache meine Stellung zum Erzherzog nicht dadurch erschüttert werden darf, daß ihm die Tatsache solcher persönlichen Berichterstattung bekannt wird.« Um den Erzherzog nicht zu verstimmen, bittet er, keinen Druck gegen Oberst von Waldstätten auszuüben, obwohl ihm dessen Entfernung an sich erwünscht sei. Immerhin hat Seeckt wenige Tage darauf persönlich irgendwelche Meldungen an Waldstätten verboten. Man muß zugeben, daß nichts die schwierige Lage Seeckts so deutlich charakterisieren kann, wie dieses Telegramm Seeckts an Falkenhayn, der gewiß geheime Winkelzüge keineswegs liebte.
Von allerlei Erwägungen, woher man Verstärkungen bekommen könnte, bleibt schließlich zunächst, nachdem auch die Ob. Ostfront in die Kämpfe bei Baranowicze verwickelt ist, die Aussicht auf zwei türkische Divisionen übrig. Man muß sich also mit dem Verschieben und Herauslösen eigener Kräfte begnügen. Teschen verfügt jedoch die Bildung der 3. Armee unter Köveß und die Karpatenverteidigung der 7. Armee unter Pflanzer. Seeckts Vorschlag hat sich also hier durchgesetzt. In Einzelheiten ist das nicht immer der Fall. Selbstverständlich flackert der Angriffsgedanke überall immer wieder auf, sobald man irgendwo Kräfte dazu zu haben glaubt. Allein angesichts der russischen Angriffe und der dabei leider nicht ausbleibenden weiteren Erfolge lebt man von der Hand in den Mund. Als die 34. österreichische Division aus Tirol anrollt, will die Heeresgruppe sie auf dem rechten Flügel der 7. Armee in den Karpaten einsetzen. Man handelt damit ausgesprochen gegen den Angriff, den Seeckt ursprünglich nördlich des Gebirges geplant hatte. Freilich kann man wohl mit Rücksicht auf Rumänien nicht anders handeln, dessen Haltung Falkenhayn in einem Telegramm an Mackensen als »peinlich« bezeichnet, mit dessen Losschlagen er aber erst rechnet, wenn die Russen in Siebenbürgen eindringen. Um die Mitte des Monats ist zweifellos eine geringe Besserung eingetreten. Die Neueinteilung ist angeordnet. Man hat einige Reserven, man geht zu aktiver Verteidigung über, und man hofft, die entscheidenden Pässe zu halten.
Es ist erstaunlich, daß Seeckt selbst in diesen Tagen noch Zeit zum Briefschreiben gefunden hat. Die Briefe sind oft kürzer. Sie sind vielfach rein persönlichen Inhalts, aber geschrieben hat er.
»D. 11. Juli 1916 … Gestern suchte ich die Südarmee auf, kurze angenehme Autofahrt, und lernte den prächtigen Oberbefehlshaber, den bayrischen Grafen Bothmer, kennen. Wir sprachen uns einmal aus über die hiesigen Verhältnisse …
D. 12. Juli … Nichts Besonderes zu vermelden. Es geht befriedigend. Der Erzherzog hat einen deutschen Pintscher, einen richtigen großen grauen Schnauzer, der aber noch kein rechtes Zutrauen zu dem deutschen Chef hat …
D. 12./13. Juli … Wie schön muß der Abend mit Winterfeldt und Brahms- und Schumann-Musik in Wildbad gewesen sein; ach ja, Ihr habt es gut! Verschiedene Fragen kamen nun in Deinen letzten Briefen, die ich noch nicht Zeit hatte, zu beantworten; so die nach meinem jungen Erzherzog. Eine Armee hat er noch nicht geführt, und nun hat er gleich drei. Wir nennen uns bescheiden ›12. Armee‹, um ihn nicht zu früh in die Öffentlichkeit zu bringen. Er hatte bisher im Krieg nur ein Armeekorps in Tirol geführt und hatte sonst im Allerh. Auftrag herumreisen und inspizieren müssen. Er ist wirklich sehr nett, und unser gegenseitiges Zutrauen wächst. Gesunde Ansichten, sehr ausgesprochen deutschgesinnt und noch ohne jede erkennbare Neigung zu Polen und Tschechen, wovon ihn wohl der wenig geschätzte verstorbene Onkel Der ermordete Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand. abbrachte, der gerade nach der Seite neigte. Er hat etwas entschieden Gesundes im Wesen und Urteil und fängt an, unglaublich offen zu werden in diesem. Natürlich wird schon eifrig politisiert, und namentlich in der Polenfrage fanden wir uns. Ich kann nur sagen, daß ihm unser Herr Reichskanzler nicht imponiert, aber das zu tun, ist wohl auch nicht die Absicht dieses Philosophen, der wohl auch noch fertigbringen wird, uns mit Österreich auseinander zu regieren. Doch ich will mich ja eigentlich nicht mit solchen Dingen befassen, und zunächst ist auch aller Grund vorhanden, nur Soldat zu sein …
Es war so hübsch, heute von Dir zu hören, und daher eine gute, gute Nacht.
D. 13. Juli … Das Goethe-Buch, das Du mir netterweise schicktest, hat mir Freude gemacht … Zu famos ist die Haltung der alten Frau Rat gegen die reichlich illegitime Schwiegertochter. ›Ihre gute Freundin‹, schreibt sie an Christiane und ist nur dankbar, daß ihr geliebter Junge, ihr ›Hätschelhans‹, es gut durch sie hat und sie für ihn sorgt …«
»D. 14. 7. 1916. Lieber Herr von Winterfeldt … Peccatur intra muros et extra, wenn man unter den Leuten, die innerhalb der Mauern sitzen, sinngemäß unsere engeren Gesinnungsgenossen versteht. Ich wollte oft, diese Mauern wären weniger dick, und mein Herz ist geteilt, weil meine Einsicht mangelhaft. Zur Zeit sollen innere Gegensätze schweigen nach außen hin, denn dort spielt sich jetzt eine der Krisen des Krieges ab. Das heißt nicht, daß die Arbeit für die Zukunft ruhen darf, weder innen noch außen, nur sollte sie sub specie aeternitatis arbeiten. Denn man sollte immer so tun, als sei alles für die Ewigkeit, und das ist es ja schließlich auch. Ewigkeit ist doch nur ein Abschnitt, dessen Ende man nicht sieht, und wer sieht das Ende einer politischen Lage voraus! Sie wollen nicht, daß jetzige Männer mit bismarckischem Maß geprüft werden, einverstanden; ich nehme das Maß der Zeit, nur ist es vielleicht noch gewaltiger … Preußen sollte in Stunden des Kleinmuts seine Augen auf jene Jugendzeit unseres Adlers richten. Nec soli cedit. Das Kriegsjahr nähert sich seinem Ende, bald wird Schnee auf den Bergen, Regen im Tal der Unternehmungslust Bleigewichte anhängen. Ein schweres Jahr – gewiß aber ein Jahr glänzender militärischer Leistung. Ein Angriff unerhörter Ausdehnung und Stärke ist abgeschlagen. Nun gilt es zu neuem Kampf gerüstet bleiben und weiter rüsten. Eine wesentliche Steigerung der Kriegsenergie ist bei unsern Gegnern nur noch auf technischem Gebiet möglich. Auf diesem Gebiet sollte man mit Vorwürfen vorsichtig sein, wenn man nicht ungerecht werden will … Daß wir annähernd das Nötige überhaupt liefern können gegenüber der vereinigten Geschütz- und Munitionsfabrikation von Amerika, Japan, England, Frankreich und Italien, ist eine Leistung unerhörter Art. Daß wir die feindliche Lieferung an Zahl erreichen, sollte jeder als Unmöglichkeit ansehen. Ob in dem Wie der Lieferung bei uns Fehler gemacht sind, weiß ich nicht; wir im Osten haben das Erforderliche stets zur Hand gehabt. Mit Mannschaftsgestellung aus der Front für die Kriegsindustrie herrscht weitestes Entgegenkommen. Die Lage im Westen – ich kann sie nur als ferner Zuschauer betrachten und beurteilen – ist unerfreulich, weil wir zur Zeit dem Feind die Initiative überlassen müssen. Verteidigung ist stets ein unerwünschter Zustand für den Soldaten, daher unerfreulich. Dagegen ist die Lage weit entfernt davon, gefährlich zu sein. Man sagt jetzt zu Haus im Vorwurfston: Verdun! wie man einst: Marneschlacht! murmelte. Ja – wollte man denn die französischen Divisionen, die dort verbluteten, auch noch an der Somme gegenüber haben? Ich kann mir nicht denken, wie ohne den Stoß bei Verdun – oder ein ähnliches Unternehmen – die Front zu halten gewesen wäre Großzügiger kann man ein Unternehmen, das man nicht billigt, kaum beurteilen.. Im Osten ist es uns gelungen, den gefährlichsten Stoß vom Mai/Juni gegen die österreichische Front auszugleichen. Rußland hat mit allen Opfern nichts erreicht als den Besitz der Bukowina …«
An die Schwester:
»D. 17. 7. 16. … Hier ist es schwierig mit den Bundesbrüdern, während ich trotz manchem Unerfreulichen der Entwicklung im Westen sehr ruhig entgegensehe. Große Lorbeeren sind hier vorläufig nicht zu holen, da uns jetzt zu großen Gegenschlägen die an anderen Stellen nötigeren Kräfte fehlen. Wir müssen hoffen, bis auf bessere Tage hier so leidlich auszukommen; aber man ist keine Stunde sicher. Drüben im Westen geschehen Wunder an Heroismus – auch bei den Franzosen … Mein junger Herr ist wirklich sehr lieb und angenehm und gar nicht unbedeutend. Nur seine persönliche Umgebung ist mir reichlich unerfreulich, und in manche Verhältnisse heißt es sich mit einer gewissen Vorsicht hineinfühlen …«
Seeckt hat längere Zeit keine eingehende Lagenbeurteilung niedergeschrieben. Erst am 16. 7. schickt er wieder eine solche an Falkenhayn ab. Man erkennt deutlich daraus, daß er nicht nur erst jetzt einen Überblick zu haben glaubt, sondern daß ihm auch eine Basis der Erwägungen und Gedanken endlich gegeben zu sein scheint. Es ist bezeichnend, daß Seeckt von bedenklichen Augenblicken berichtet, in denen eine Infanterie-Brigade die Heeresreserve bilden mußte. »Tun die Truppen Heeresarchiv Potsdam, Akte 55 1. ihre Schuldigkeit Die Heeresgruppe hatte am 15. 7. kleinere Offensiv-Unternehmungen angeordnet., so sollte man trotz der sehr dünnen Besetzung Hier ist der Wortlaut zur Kürzung etwas umgestellt, ohne den Sinn zu verändern. mit einem Halten der jetzigen Linien rechnen dürfen … Auf die Dauer mit einem aktiven Angreifer gegenüber kann man aber mit einer rein passiven Verteidigung nicht auskommen. Es muß daher dauernd das Bestreben der Heeresgruppe sein, den rechten Flügel weiter vorwärts zu treiben, bis eine Änderung der Gesamtlage wieder das Fassen weiterer Pläne zuläßt. Erst wenn es gelungen ist, den Feind hier weiter zurückzudrängen, kann davon gesprochen werden, daß Ungarn gedeckt … ist. … Ob das Ziel, den rechten Flügel vorzutreiben, mit den vorhandenen Kräften zu erreichen ist, muß dahingestellt bleiben, in dem Bestreben, es zu erreichen, liegt aber zur Zeit die einzig wirksame Abwehr.«
Diese Beurteilung der Lage, die naturgemäß durchblicken ließ, daß eine wirkliche Änderung nur bei der Heranführung von Verstärkungen entstehen konnte, scheint bei Falkenhayn keineswegs die Sorgen über die Ostfront gemildert zu haben. Er beruft aus dieser Sorge heraus am 17. 7. Conrad und Ludendorff zu einer Besprechung nach Berlin und verlangt hierfür von Seeckt seine Ansicht darüber, wie man die Widerstandskraft der Österreicher stärken könne.
Schon der erste Satz, mit dem Seeckt sein recht umfangreiches Schreiben vom 18. 7. Heeresarchiv Potsdam, Akte 55 1. beginnt, ist bezeichnend: »Eine Stärkung der inneren Widerstandskraft der Truppe ist vor allem dadurch zu erreichen, daß sie, solange die Lage noch nicht den Übergang zur operativen Offensive wieder gestattet, dazu veranlaßt wird, die Abwehr im einzelnen offensiv zu führen.« In diesem Manne lebte eine unbezwingliche Angriffskraft, die hier in lapidaren Sätzen hervorbricht. »Darin, daß der Gesichtspunkt der Offensive an der österreichischen Ostfront im Stellungskrieg ganz aus dem Auge verloren war, sehe ich den Anfangsgrund für das Versagen in der Verteidigung. In der Südarmee blieb die offensive Überzeugung lebendig. Es handelt sich dabei nicht um ein planloses Vortreiben der Infanterie, sondern um eingehend vorzubereitende Zusammenfassung der Kräfte. Sie muß unter richtigen Voraussetzungen glücken. In starrer Defensive hält der Österreicher dem Massenstoß der Russen nicht stand.« Seeckt will insbesondere zur Schulung und zum Einsatz höhere deutsche Artl.Führer haben. Der Vorschlag ist berechtigt. Aber er wird von österreichischer Seite als recht unerfreulich und als das, was er sein soll, als eine Kontrolle empfunden werden. Seeckt läßt überhaupt in seinen Vorschlägen keinen Zweifel darüber, daß er den deutschen Einfluß verstärken will. Dann fährt er fort: »Das A.O.K. ist für die Armee ein nebelhafter Begriff. Jede persönliche Fühlungnahme und Beeinflussung fehlt. Mir scheint es naheliegend, daß Exzellenz v. Conrad einmal selbst die Armeeführer aufsucht. Aber auch der Erzherzog Thronfolger verzweifelt daran, daß es ihm gelingen würde, den Chef einmal hierher zu bringen. Mit dem Absetzen von Generalen ist es nicht getan, obwohl mancher es verdiente. Es geht um die Entscheidung und um die Ehre. Allgemeine Befehle aus Teschen verfangen nicht mehr. Der Ton in der Presse mit ewiger Beschönigung und Beweihräucherung wirkt verweichlichend auf Volk und Heer Zur Kürzung ist einiges umgestellt..« Dann wendet sich Seeckt gegen die Verwendung deutscher Reserven als Korsettstangen. Der Russe gewöhne sich an, die deutschen Stellen zu meiden. Und schließlich betont Seeckt, daß man in der Abwehr überhaupt nicht erstarren dürfe. Man müsse nicht da stehen bleiben, wo man einmal sei, sondern dahin gehen, wo man günstig stünde, und dazu auch einmal eine Rückwärtsbewegung nicht scheuen. Bewegung ist ihm alles. Er hat nicht eigentlich nur die Frage Falkenhayns beantwortet. Er hat hier Ausführungen von grundsätzlicher Bedeutung gemacht, die schlechthin allgemeine Gültigkeit gewinnen konnten. Er hat aber auch die Fehler, die in diese Lage geführt haben, mit einer so unerbittlichen Härte gekennzeichnet, daß man sich beinahe das steinerne Gesicht vorstellen kann, mit dem er diese Zeilen voller Vorwurf und Bitterkeit, aber auch voll von Gedanken, wie man es bessern könne, hingeschrieben hat.
Die Besprechung am 18. 7. bei Falkenhayn hat nichts genützt. Conrad lehnt den deutschen Oberbefehl erneut ab. Als Antwort sozusagen befiehlt der Russe am nächsten Tage die Fortführung der Offensive in Galizien und gegen Erzherzog Karl Es handelt sich um den Befehl. Der Schwerpunkt des russischen Angriffs lag zu dieser Zeit noch gegenüber Ob.Ost..
Obwohl die Front noch immer nicht so recht fest werden will und russische Erfolge nicht ausbleiben, berichtet am 21. 7. Seeckt an Falkenhayn darüber, daß er aus im ganzen 5 Divisionen bei drei zugesagten deutschen Divisionen eine Angriffsgruppe im Raume südostwärts von Stanislau bilden wolle. Eine weitere Verbindungsgruppe aus drei Divisionen solle als Angriffsziel den Raum nördlich Kolomea erhalten. Und schließlich solle eine dritte Angriffsgruppe auch aus drei Divisionen beiderseits des Pruth ebenfalls in Richtung Kolomea vorstoßen. Wenn sich dann noch Karpatenkorps und XI. Korps dem Angriff anschlossen, so konnte aus der Sache allerdings etwas werden. Somit kann Seeckt die Lage durchaus etwas zuversichtlich beurteilen. Das Recht dazu hat er eigentlich nur einen Tag. Dann sind die Angriffspläne schon wieder hinfällig. Die drei deutschen Divisionen kommen nicht. Man muß sich dieses Hin und Her des Nichtkommens und Kommens von Verstärkungen immer im Zusammenhang mit dem gleichzeitig laufenden Hin und Her der Verhandlungen über den Oberbefehl an der ganzen Ostfront vergegenwärtigen. Es ist klar, daß eine richtige Kräfteverteilung niemals zustandekommen kann, wenn der einheitliche Oberbefehl fehlt. Der Brief des 22. 7. steht noch unter dem Eindruck der zugesagten Divisionen:
»Den 22. Juli 1916. Es war allerlei los, so daß ich gestern nicht zum Schreiben kam. Vorgestern mit dem Erzherzog draußen bei Kraewels Division, dann kamen in der Nacht allerhand Neuigkeiten – dieses Mal ganz erfreulicher Natur –, die aber den ganzen Tag in Anspruch nahmen, am Abend fuhr ich zu einem O.Kdo., dort Besprechungen bis Mitternacht, in der Nacht hierher zurück, Vorträge, und nun ist es schon wieder Kurierzeit … Nein, ›der gute Meiereibesitzer aus Teschen Erzherzog Friedrich.‹ (er liefert wirklich vorzügliche Butter) ist noch da. Sonst fallen die Häupter … Ach, wie gern möchte ich wieder mal Zivil tragen und mit Dir durch Baden-Baden bummeln! Kommt auch wieder, nur wissen wir noch nicht wann.
Das alles steht in Gottes Hand,
Auch Du, geliebtes Vaterland.
Auch Du und auch der Deinige.«
Es ist unvermeidlich, daß aus den Zeilen vom 23. etwas Enttäuschung über die Zustände herausklingt:
»Den 23. Juli 1916. Da ich nicht mit zur Messe gehen brauche, habe ich heute vormittag etwas Ruhe. Es ist schon vollkommen Herbst hier … Ich hatte einen Brief aus Üsküb vom Feldmarschall, … herzlich und sachlich interessant … Ich hatte ihm von der Haltung der Fürsten in Karlsruhe beim Fliegerangriff geschrieben, und er war natürlich voller Begeisterung. Immer schlägt das Hohenzollernblut nicht durch; sonst würde uns Rumänien weniger Sorge machen. Freilich ist dieser Zweig der Familie schon lange abgezweigt; er hatte aber in früheren Generationen auch seine guten Seiten oder Triebe. Also Rumänien ist, was man voraussehen konnte, zweifelhaft geworden. Ob es den Moment … schon für gekommen hält, ist mir trotzdem fraglich. Jedenfalls werden jetzt überall die äußersten Anstrengungen gemacht, die Sache noch vor dem Winter zu beendigen. Du kannst erzählen, in welcher Stellung und bei wem ich bin. Es soll nur nicht in den öffentlichen Berichten in dieser Lage der Name des Erzherzog Thronfolgers genannt werden. Man hatte sich seine und unsere Rolle etwas anders gedacht, nun lassen uns die fortwährenden Rückschläge bei Linsingen nicht zu Kräften kommen.
Dein Zusammentreffen mit Plettenberg machte mir Spaß, und welche herrliche Eigenschaft von Euch beiden, im Krieg nicht anders geworden zu sein und dick und lebensfest und anhänglich zu bleiben. Alle guten Eigenschaften entwickelt der Krieg und bringt sie zur Geltung; neue schaffen kann er nicht.
Der Tag mit seinen Sorgen und Pflichten fängt wieder an, sich bemerkbar zu machen, und drängt mich, diese Morgenunterhaltung mit Dir zu beendigen; aber ich bin für diese Stunde schon dankbar. Mein Brief ist wohl heute etwas ernsthaft, man wird sorgenschwer, das bringt Geschäft und Zeit so mit sich. Gruß …
Abends, den 23. Juli. … Ich rechne noch mit sehr bewegten Zeiten und wage nicht, über die nächsten Tage zu denken. Wer kann es wissen, ob es in einigen Wochen anders aussieht! Es heißt jetzt: Alle Mann an Deck! … Nun werde ich immer feiner. Ich soll demnächst von Kossak gemalt werden. S. M. läßt von ihm ein großes Reiterbild machen; er mit Falkenhayn, Hindenburg mit Ludendorff, und Mackensen mit mir im Hintergrund. Wenn ich nur nicht bis dahin ›in Unjnade falle‹, wie der verstorbene Hülsen-Häseler sagte …«
Wie üblich in solcher Lage drängt Falkenhayn plötzlich und verlangt wegen der Haltung Rumäniens einen schnellen Anfangserfolg, den das Karpatenkorps bringen soll. Ob das überhaupt möglich ist, steht dahin. Es bestehen auch Meinungsverschiedenheiten zwischen der 7. Armee und der Heeresgruppe über den Einsatz des Karpatenkorps. Die Lage wird nicht dadurch einfacher, daß Falkenhayn, der den rumänischen Mobilmachungsbefehl fast stündlich erwartet, unmittelbar in die Führung der Südarmee eingreift. Allerdings muß man zugeben, daß die Lage wirklich sich nicht gerade zum Besten anläßt. Neue russische Erfolge haben ein solches Loch gerissen, daß die Verbindung am rechten Flügel der 3. Armee verlorengegangen ist. Als der 25. nun auch noch den russischen Angriff in Richtung Brody bringt und die 2. Armee bereits an den Rückzug denkt, greift Seeckt persönlich ein. Freilich muß er dabei die einzige Reserve der Heeresgruppe zur Verfügung stellen, zu deren Einsatz es allerdings nicht mehr kommt. Immerhin ist doch die Lage so, daß Seeckt mit der Möglichkeit einer Zurücknahme der Gesamtfront rechnet und sogar soweit geht, hierzu Erwägungen bei den A.O.K.'s Süd und 3 anzuordnen. Durch kleine örtliche Erfolge, die nicht fehlen, wird die Lage nicht ausreichend entspannt.
Die Schwierigkeit der Lage erzwingt nun wenigstens in einer Besprechung am 27. 7. in Pleß, daß der Feldmarschall von Hindenburg an der gesamten Ostfront von der Ostsee bis zur 2. Armee vom 1. August ab den Oberbefehl erhält. Es entsteht dadurch für Seeckt eine eigentümliche Lage. Durch seine Person ist jetzt eigentlich erst der Gesamtoberbefehl der deutschen O.H.L. an der ganzen Ostfront hergestellt. Das Kommando der Heeresgruppe, deren Chef er ist, schließt mit der Südarmee unmittelbar an den Befehlsbereich des Feldmarschalls von Hindenburg an. So weit, wie Seeckt sich der deutschen O.H.L. für verpflichtet hält, so weit wird der Oberbefehl nun überhaupt einheitlich sein. Man wird diesen durch die Besprechung in Teschen entstehenden Zustand auch unter dem Gesichtspunkt betrachten müssen, daß, falls nun Rumänien in den Krieg eintritt, die Persönlichkeit Seeckts die Brücke ist von dem Befehlsbereich des Feldmarschalls von Hindenburg zu einem rechts von der Heeresgruppe Erzherzog Thronfolger etwa neu entstehenden Kriegsschauplatz. Wenn man sich allein diesen sozusagen geographischen Zusammenhang vorhält, so leuchtet ein, daß aus solcher Lage für Seeckt und gerade für ihn persönlich eine ganz ungewöhnlich schwere Verantwortung entstehen mußte. Wie Falkenhayn zu der nunmehrigen Neubegrenzung des Oberbefehls stand, sieht man daraus, daß er persönlich aus dem Text für die Presse den Namen Ludendorffs streicht Heeresarchiv Potsdam, Akte O 434..
Allzu gut zu sprechen ist Seeckt in diesen Tagen nicht auf die Österreicher.
»Den 24. Juli 1916. … Man wird schon ganz verdreht bei dieser Namenfülle um einen herum. Jeden Tag kommen mindestens drei ›Stellt sich gehorsamst vor‹, und da soll man noch die Namen behalten! Meistens ist man ›Dreier Dragoner‹, was auf deutsch aber nicht so gemeint ist wie … ›5-Groschen-Bazar‹, sondern Drag.Rgt. Nr. 3, bei dem der Erzherzog seine erste Jugend verbrachte. Fünf von ihnen hat er im Stab. Daß ich außerdem vier brauchbare deutsche Ordonnanzoffiziere habe, darin liegt das Ganze … Hier heißen sie Köstring, Ritter, Wätjen und von Rauchhaupt, der allein den Adel vertritt. Alle vier Rittmeister, Eis. Kr. I. Kl., alle sitzen in den Karpathen und passen auf … Rechne nun Dunst, Gräser und Frantz dazu, so haben wir ja wieder mal ›die adlige Clique‹ zusammen, über die man sich schon einmal bitter beklagte … Heute kam Graf Berchtold, der Oberhofmeister des Erzherzogs, früher Minister des Ausw., an. Er machte zunächst einen sehr guten Eindruck, jugendlich und liebenswürdig. Betonte seine intime Freundschaft mit Tschirschky und Tucher Dieser Kaiserlich deutscher Botschafter, der andere Königlich bayrischer Gesandter in Wien.. Ich mußte daran denken, wie mir S. M. am Soissons-Abend in Pinon nach Lesen eines Telegramms sagte: Gratulieren Sie mir, Graf B. ist gefallen Dies bezieht sich auf den Sturz des österreichisch-ungarischen Außenministers.. Mir ist der Zusammenhang nicht ganz klar, glaube aber, daß er wohl eine Politik größerer Selbständigkeit uns gegenüber, vor allem hinsichtlich des damaligen Entgegenkommens gegen Italien, vertrat, als uns lieb …
Den 25. Juli 1916. … Ja, Katz, so ganz einfach ist es hier nicht; sie tun schon, was ich will; darüber kann ich nicht klagen, aber es sind nicht genug. Im ganzen geht die Maschine wieder leidlich …
Den 27. Juli … Gestern abend war Einweihungsfeier meiner Veranda, eine nette Überraschung für mich von meinen jungen Herren vom Stabe, die sich für dieses Bauwerk besonders interessiert hatten; und behaupten, sie hätten mehr Freude daran, es zu bauen, als ich, darauf zu sitzen. Sie haben es mit Blumen und Vorhängen wirklich denkbar nett gemacht. Außer D. und Gr. gehört zu diesen Getreuen vom Balkan noch ein Feldjäger Rohrscheidt. Heute abend fahre ich mit dem Erzherzog durch Ungarn an die Bukowina-Grenze. Hofzug, mein eigener Wagen ist zu schwer für diese elenden Schienen. Wenn das Wetter leidlich bleibt, freue ich mich auch landschaftlich und geographisch auf die Fahrt, abgesehen von militärischem Interesse.
Es ist ja ganz hübsch, daß man hier auch seine kleinen Freuden hat; denn viel Tägliches geht auf die Nerven, die aber Gott sei Dank noch ganz heil sind. Diese ewige und überall wiederkehrende Schlappheit ist oft entsetzlich – von ganz oben bis ganz unten. Nur nichts mehr riskieren – sich so gerade noch durchfressen – zu allem ein: ›Ja aber‹ – nie ein: ›Ja also‹. – Ich komme auch mit meinem jungen Herrn mit Liebenswürdigkeit nicht mehr weiter. Gestern habe ich ihm allen seinen Entschuldigungsgründen gegenüber vorgehalten, die letzte Truppe, die ganz elend ausgerissen, sei das Regiment Hoch- und Deutschmeister Dieser harte Ausspruch bedarf einer Aufklärung. Am 25. Juli 1916 wurden das niederösterreichische Feldjägerbataillon Kopal Nr. 10 und das Wiener Infanterieregiment Hoch- und Deutschmeister Nr. 4 in den ersten Morgenstunden, noch während der Dunkelheit, von den Russen überraschend angegriffen. Nach einem mehrstündigen, verlustreichen Kampf im unübersichtlichen Waldgelände bezogen die Truppen befehlsgemäß rückwärts neue Aufnahmestellungen. Die Kopaljäger, die sich eines althergebrachten guten Rufes erfreuten, mußten sich durch den Feind durchschlagen. Dem Regiment Nr. 4, gegen das der Vorwurf laut wurde, unberechtigt und zu früh die ursprüngliche Stellung geräumt zu haben, konnte die eingeleitete Untersuchung kein Verschulden nachweisen. – vgl. Hoen, Die Deutschmeister, und Rost, Geschichte des k. u. k. Feldjägerbataillons Kopal Nr. 10. gewesen, das Wiener Haus-Regiment, und das aus Wienern bestehende Jäger-Bataillon. Das ist anders als mit Ruthenen, Rumänen und Tschechen, die unzuverlässig wären. ›Da läuft die ganze Reichsarmee, Panduren und‹ der Rest des alten Volksliedes stimmt nicht, aber bis dahin noch leidlich. Bei uns war dieses letzte Malheur nicht, sondern viel weiter oben. Heute wird es wohl wieder bei Linsingen losgehen. Glänzend hat sich die schlesische Landwehr gehalten, mit einer unserer brandenburgischen Reserve-Divisionen vermischt, unter Woyrsch. Vier gegen siebzehn! Und zweimal die brandenburgischen Grenadiere an der Somme rühmend genannt! Gestern fand ich hier einen richtigen Unteroffizier vom Regiment 35 (Brandenburg a. H.), der am 13. Dezember 1914 im Wald von Soupir verwundet war. Die Freude! Daß wir beide nicht heulten, war auch alles; aber genau wurde die Zeit durchgesprochen, doch die beste von allen – mit den Soldaten und der Frische von damals … Eben nach Tisch eine lange, sehr ernste Aussprache mit meinem jungen Herrn, der es auch nicht leicht hat, und in solchen Augenblicken des Vertrauens meine volle Sympathie gewinnt. Könnte ich nur mehr für ihn tun.
Adieu, mein Geliebtes. Sorgen-, aber hoffnungsvoll.«
Als Seeckt von der im Brief erwähnten Reise nach Marmaros-Sziget zurückkommt, hat inzwischen eine neue Offensive der gesamten russischen Südwestfront begonnen. Angesichts dieser Verschärfung der Lage taucht der Gedanke auf, sich durch Loslösen vom Gegner zu einer völlig neuen Operation zu gruppieren. Conrad genehmigt eine Zurücknahme der 2. Armee bis zu 20 Kilometer Tiefe. Der 28. 7. Der 82. Geburtstag seiner Mutter. ist einer der düstersten Tage in diesen gewiß nicht leichten Wochen. Während die Südarmee die Angriffe abweist, bricht der Russe südlich vom Dniester tief ein. Als Folge eines Einbruchs bei Hadfy, wo Tschechen stehen, ist auch Kraewel in Flanke und Rücken bedroht. Der Einsatz der letzten Heeresgruppenreserve, der 209. Inf.Brig., reicht zu einem Gegenangriff nicht aus. Neue Reserven rollen nicht heran. Damit ist der Heeresgruppe und ihrem Chef im Augenblick jeder weitere Einfluß auf die Führung verwehrt. Falkenhayn hatte durch Seeckt von dem drohenden Angriff vorher gewußt. Wenn er die Lage ändern wollte, war das Mittel dazu einzig und allein Hilfe durch Truppen. Falkenhayn versucht es anders. Er greift unmittelbar beim A.O.K. Süd ein. Ein solcher Eingriff muß einen mittelbaren Vorwurf gegen den Heeresgruppenchef enthalten. Was Falkenhayn tut, hätte eigentlich Seeckt tun müssen, wenn es sich als richtig erwies. Falkenhayn fordert, daß die Südarmee Truppen an die bedrohten Stellen abgibt. Seeckt wird sehr einfach dadurch gerechtfertigt, daß das A.O.K. Süd unmöglich die Forderung der O.H.L. erfüllen kann.
Seeckt ist ganz offensichtlich durch die Lage, die er bei der Rückkehr vorfindet, schwer gereizt. Zunächst beschwert er sich in einem ziemlich scharfen Telegramm Heeresarchiv Potsdam, Akte 55 1. an Falkenhayn über die Absicht Conrads, die 2. Armee jetzt schon zurückgehen zu lassen. Dann gibt er eine eingehende Beurteilung der Lage, die die ganze Widerstandsfähigkeit Seeckts zeigt. Er legt Falkenhayn dar, daß die Lage durchaus nicht so schlecht sei, wie sie vielleicht nach den ersten Eindrücken scheine, wenn er auch zugibt, daß am Dniester ein schwacher Punkt sei. Er setzt auch sofort seinen persönlichen Einfluß ein und will zur 3. Armee fahren, die ihre Lage besonders pessimistisch auffaßt.
Eine neue Krise reift heran. Auf der einen Seite setzt der Russe alle Kraft darein, Erfolge zu erringen, um Rumänien zum Losschlagen zu veranlassen. Auf der andern Seite sind kaum noch Kräfte verfügbar, um die Front der Mittelmächte zu stärken. Was um die Monatswende heranrollt, ist wenig und geht zu Linsingen. Seeckt muß sich mit Landsturm behelfen. Es ist wirklich erstaunlich, wenn er dabei immer noch für das Karpatenkorps Angriffsabsichten lebendig erhält, sogar mit diesen Angriffen örtliche Erfolge erzielt und rücksichtslos einen Befehl Conrads für die 2. Armee durchsetzt, daß sie unbedingt zu halten habe. Der Wille, sich mit aller Kraft in fast verzweifelter Lage zu behaupten, ist da. Aber der Wille allein macht es ja nun auch nicht. Man kommt auf die verzweifeltsten Mittel. Der Antransport türkischer Truppen wird gefordert und in einer Besprechung in Budapest zwischen Falkenhayn, Conrad und Enver zugesagt. Ferner taucht der Gedanke auf, den Falkenhayn mit dem Reichskanzler bespricht, im Generalgouvernement Warschau polnische Truppen aufzustellen Heeresarchiv Potsdam, Akte P 1019..
Der Russe geht gegen die Südarmee Anfang August in starken Angriffen vor und erreicht Teileinbrüche. Wenige Tage danach Einbruch bei der 2. Armee, der sich am 6. 8. wiederholt. Die Lage wird ernster denn je. Nichts spricht darüber so eindringlich wie ein Telegramm Seeckts an Falkenhayn Heeresarchiv Potsdam, Akte O 468.: »Da mir daran gelegen ist, zur Kenntnis zu bringen, wie brav sich die Truppen der Gruppen Kraewel und Hadfy geschlagen haben, melde ich die Verluste eines Tages. Sie betragen bei den österreich-ungarischen Truppen 6840 Mann, bei den deutschen 4600, davon allein bei der 119. I.D. 4180 Mann. Es handelt sich größtenteils um blutige Verluste.« Das ist allerdings eine erschütternde Sprache. Es lag nahe, daß bei solchem Ernst der Lage die führenden Männer in persönlichen Besprechungen die Mittel und Wege, mit denen man die Krise meistern wollte, zu finden suchten. Man muß sich immer wieder vor Augen stellen, daß es sich nicht allein um die Schwere des russischen Angriffs handelte. Dieser hätte im Verein mit der Lage im Westen wirklich schon genügt, eine ungemein schwierige Lage zu bedeuten. So, wie die Dinge aber lagen, drohte täglich das Eingreifen Rumäniens, und das alles zusammen zeigte den Willen der Entente, erst einmal Österreich-Ungarn zu zerschlagen und abzusplittern. Infolgedessen findet nicht nur die erwähnte Besprechung in Budapest statt, sondern Seeckt hat am 3. 8. eine Rücksprache mit Hindenburg und Ludendorff in Lemberg und am 6. 8. in Chodorow mit Conrad. Das Ergebnis der Lemberger Besprechung ist so, daß es Seeckt alle Ehre macht. An und für sich sind das Oberkommando Hindenburg und die Heeresgruppe Erzherzog Karl lediglich Nachbarn. Seeckt jedoch stellt sich sowohl zum Feldmarschall v. Hindenburg wie auch zu dessen Chef Generalleutnant Ludendorff in einer Art, die man nicht anders als eine freiwillige Unterordnung ansprechen kann. Die Aussprache in Lemberg muß also ein Verhältnis zunächst bestimmt haben, das durchaus ersprießlich war. Schon am Tage darauf wendet sich Seeckt mit einem persönlichen Telegramm an Ludendorff, in dem er mit harter Begründung die Entsendung älterer deutscher Artillerie-Offiziere erbittet. Geübte Kritik und Bitte sind in eine Form gefaßt, wie man sie an eine vorgesetzte Stelle richtet. Ludendorff greift die Angelegenheit auch sofort auf und hat gar keinen Zweifel, daß er dafür zuständig sei.
Die Briefe dieser Tage:
»D. 29. Juli 1916. … Gestern ein Tag draußen und sehr viel Soldaten gesehen und sehr gute deutsche noch dazu … Währenddessen war hier der Teufel los, so daß man nicht aus dem Telephonieren unterwegs herauskam und dabei die Angst hatte, eigentlich woanders sein zu müssen. Es war auch kein glücklicher Tag, und wir haben an einer Stelle mehr als ernste Verluste gehabt – das alte Lied. Es wird wohl noch einige Tage so weitergehen, also viel im Kopf; heute abend fahre ich wieder nach vorn Stanislau. zu einer anderen Armee, bin aber morgen früh zurück. – Also ganz tätig.
Zwei liebe Briefe fand ich vor, voll mir so bekannter Baden-Begeisterung. Ach, geliebtes Katz, augenblicklich steht der Sinn so wenig nach soviel Glück wie einem Wiedersehen im August! Nicht abzusehen die nächste Zukunft. Das wirst Du ja selbst einsehen, weil Du verständig bist – aber man kann nie wissen, wie es kommt; vorläufig mag ich mich auf Hoffen nicht einlassen, und auf Versprechen schon gar nicht. Wie gern – weißt Du! …
D. 31. Juli. Guten Morgen, mein Schatz! … Einige Neuigkeiten: Mein früherer Brotherr Feldmarschall v. Mackensen. übernimmt in der Tat auch die Front gegen Rumänien, anscheinend also die ganze Balkansache – Genaues weiß ich nicht. Die ganze Front gegen Rußland, mit Ausnahme unserer, d. h. des Erzherzogs Armee, übernimmt H. Feldmarschall v Hindenburg. also auch unseren Stettiner Burra Sahib Linsingen; vom Ehepaar Seeckt in Erinnerung an ihre indische Reise so bezeichnet., das ist das einzig Richtige; aber es wird Mühe gekostet haben, es durchzusetzen bei den Bundesgenossen; denn damit ist deren Heeresleitung ziemlich ausgeschaltet. Daß die Türken im Kommen, stand in der Zeitung. Wohin, weiß ich noch nicht, auch vergeht jedenfalls noch Zeit bis zu ihrem Gebrauch. Sehnsucht mich zu sehen scheint F. nicht zu haben, was mich nicht wundert; denn es ist in letzter Zeit das Meiste gegen meinen Rat gemacht und vieles so eingetroffen, wie ich es voraussagte. Dafür kommt in den nächsten Tagen Conrad v. H. – ein Wunder! Bei uns ist es am 28. recht heiß zugegangen; unsere eine Division, posensche Regimenter, … hat schwer gelitten. Kraewel macht seine Sache sehr schön und ruhig. Auch eine österr. Division hatte große Verluste, drei Regimentskommandeure fielen. Bei einer der anderen Armeen schlugen sich die Österreicher auch sehr brav …«
Die Stelle über Falkenhayn läßt erkennen, daß die früher angedeutete Entfremdung jetzt von Seeckt offen zugegeben wird. Worauf sich die Stelle in diesem Augenblick bezieht, ist nicht erkennbar.
»D. 31. Juli 1916. … Was Du über Gärten, die Du in Baden besuchtest, erzählst, erweckt immer mehr die Sehnsucht, ein eigenes Häuschen im Ländle zu besitzen. Ob wir uns dann je nach Berlin zurücksehnen werden? … Eben kommen zwei Briefe, einer noch dazu mit Bildern von Dir und Maxe Der Hund.. Die Freude! Mehr noch als über das Vieh, das aber auch wonnig aussieht, über Dein vergnügtes Gesicht. … Die letzten Ernteberichte sind fast durchweg gut; hier auch dazu das Wetter. Gebrauchen können wir es schon, denn Rumänien ist vorläufig zu. Es handelt nach dem reinen Nützlichkeits-Standpunkt. Wen es nach keiner Ehre und Liebe zieht, der läuft dahin, wo er am besten bezahlt wird. So ist es im großen und kleinen. Die dichtende Königin ist mir immer ein horreur gewesen. Der jetzige König ist durchaus eine Null, sie, die Königin, nicht, aber deutsch bei ihr nicht zu erwarten. Doch geht auch das nicht nach Gefühl. … Bei den ungarischen Damen habe ich diesen Standpunkt nicht getroffen. Sie sind hochgradig … ungarisch und die meisten interessierte Politikerinnen. …
Graf Berchtold, der übrigens nicht andauernd hier ist, machte sich sehr korrekt und liebenswürdig, ein Mann von der nicht unbegabten, aber dafür unbeschränkt hochmütigen Sorte, die nun doch Qualen aussteht bei ihrer militärischen Bevormundung und die in sich eine Abneigung gegen uns ansammelt, mit der man rechnen muß oder müßte, aber kaum rechnet.
D. 1. August 1916. … Gestern abend hatte ich – ja – so weit bin ich den ganzen Tag gekommen – nun ist es Abend geworden. Also gestern abend hatte ich eine lange, sehr interessante Aussprache mit meinem jungen Herrn, der sich mal alles Mögliche von der Seele reden wollte. Gar nichts Militärisches; aber der alte Kaiser und der verstorbene Thronfolger und seine Gattin, – alle Schwierigkeiten der vergangenen und alle Sorgen der zukünftigen Zeit; gute Absichten und Klagen kamen bis spät in die Nacht aus ihm heraus. Ich habe ihn geradezu liebgewonnen, da er so ganz Mensch war, und ich ihm so das Bedürfnis anmerkte, sich vertrauensvoll auszusprechen. So ernst und voll der Verantwortung, voll heiligem Schauer vor der Größe der Aufgabe, die morgen vor ihm stehen kann, sich bewußt aller der tausend Schwächen seiner Monarchie und anscheinend ohne einen Mann wirklichen Vertrauens, voller kindlicher Liebe zum alten Kaiser, der auch wirklich von wunderbarem Takt sein muß, jetzt jedenfalls voll der besten Absichten zum Zusammengehen mit uns auch später; aber es wird einer geschickten Hand bedürfen, um nicht die hyper-österreichischen Einflüsse zu mächtig werden zu lassen. – Bautz, da geht die Beleuchtung aus; nach einer Pause schreibe ich bei meinen Kerzen weiter.
Es lag nahe für ihn, sich einen Nicht-Österreicher auszusuchen zu diesem Vertrauensausbruch. So konnte ich ihm auch manches Menschliche sagen, ihn in seinem Verantwortungsgefühl stärken und ihm Vorsicht in der Wahl seines Umganges raten. Sehr interessant war es mir, daß er bis zum Morde in Sarajevo seine Thronfolge gar nicht als gesichert angesehen hat und stark damit rechnete, daß der Erzherzog Franz Ferdinand oder vielmehr die Herzogin doch trotz allem eidlichen Verzicht die Nachfolge der eigenen Kinder durchsetzen könnte. Vieles andere kam natürlich noch zur Sprache. … Mit Rumänien steht es heute friedlicher infolge sehr starker Drohungen von uns und Bulgarien. Es muß sich nun entscheiden; deswegen auch die Riesenanstrengungen der Russen in den letzten Tagen. Ich glaube, daß, wenn man die Verluste auf allen Fronten zusammenrechnet, man auf über eine Million Menschen im Juli kommt … Wann sie genug haben werden, ist trotzdem gar nicht abzusehen. Doch kann eine Erschöpfung auch bald eintreten – nicht bei uns …
D. 2. August 1916. Ein heller Sonnenmorgen scheint an diesem Gedenktage ganz friedensmäßig auf meine blumengeschmückte Veranda. Ich wünsche ihn Dir von Herzen, mein Katz, draußen und im Herzen, wie Du Dich vor zwei Jahren so tapfer und mutig gezeigt hast.
Da die heutigen Morgenmeldungen ziemliche Ruhe zeigen, werde ich wohl am Abend mit dem Erzherzog wegfahren und wie vorige Woche den morgigen Tag bei den Truppen verbringen, was ich natürlich sehr gern tue. Es geht wieder in die Karpaten an die Bukowina-Grenze … Ob die Engländer Sir Roger Casement aufhängen oder nicht, kann uns ganz wurscht sein; ich hänge ihn. Aber er benimmt sich ordentlich zum Schluß … Man müßte schon wegen des Aufhängens von Casement auf dem Standpunkt von Bernard Shaw stehen, daß es überhaupt besser um die Welt stünde, wenn alle Männer über 52 Jahren gehängt würden, wobei er immerhin noch freundlicher gegen uns ist als der Schüler im Faust II … Adieu, mein ganz Geliebtes Du, behalte Dein festes Herz und Deinen Glauben.
D. 3. August 1916. … Aus der Fahrt in die Karpathen wurde nichts. Der Feldmarschall v. Hindenburg kam nach dem nahen Lemberg, und Ludendorff bat mich, herüberzukommen. Eine interessante Begegnung. Ich kann nicht leugnen, daß ich unter dem Eindruck dieser selbstsicheren, ruhigen und einfachen Persönlichkeit stehe, und das freut mich. Er wirkte unter den österreichischen Würmern wie ein Riese. Gegen mich war er sehr herzlich: ›Ich freue mich sehr, Sie endlich persönlich kennenzulernen, aber wenn Sie so vor mir stehen, dann fällt mir doch der junge Alexander-Leutnant wieder ein‹, lange ist es her! L. sehr freundschaftlich, Hoffmann ganz zurücktretend. Ich traf sie in ihrem Zug und hatte eine Stunde lang eine Konferenz mit ihnen, die sehr befriedigend für alle Teile verlief und mit dem gegenseitigen Wunsch auf gute Nachbarschaft schloß. Dann war ich bei der östr. Armee, die sie gerade unter ihre Fittiche nahmen, und dann wurde bei dieser gefrühstückt. Ich saß dem Feldmarschall (Hindenburg) gegenüber und neben mir Egon Fürstenberg Fürst Fürstenberg, Donau-Eschingen., der mich hochpolitisch unterhalten wollte.«
An die Schwester:
»... Heute war für mich ein hochinteressanter Tag. Ich traf in Lemberg mit Hindenburg und Ludendorff zusammen – zum erstenmal im Feldzug. Wir haben nun die Front geteilt: Hindenburg hat den bei weitem größeren Teil – endlich, es hat Mühe gekostet –, mein Erzherzog die südlichen drei Armeen. Wir stellten das beste Einvernehmen her und tauschten noch manche Sorgen aus. Eine ganze, selbstsichere Persönlichkeit von herrlicher Ruhe und großer Freundlichkeit – eine Erscheinung allerbester altpreußischer Art … Währenddem wohnte mein junger Herr einem geglückten Angriff einer unserer deutschen Divisionen an der Bukowina-Grenze bei. Ich konnte ihn wegen des Zusammentreffens mit Hindenburg nicht begleiten. Er ist übrigens ein prächtiger junger Mann und von unbegrenztem Vertrauen zu mir. Aber allzu österreichisch wird man nicht in dieser Umgebung, wenn ich auch vielleicht mehr von ihm weiß als die meisten und in manches hineingezogen werde. So nehmen mich z. B. die Ungarn für sich in Beschlag, nicht ganz mit Unrecht. Rumänien noch fraglich, doch keine allzu ernste Sache. Die Krisis ist, glaube ich, wieder einmal hier überwunden trotz noch möglicher Rückschläge, kein Grund zur Sorge …«
Man kann vielleicht annehmen, daß diese betonte Zuversicht etwas Absicht war. Freilich kamen die neuen schweren russischen Angriffe erst danach.
An Landesdirektor v. Winterfeldt-Menkin:
»Den 4. 8. 16. Zunächst möchte ich auf Ihre Bemerkungen zur allgemeinen Lage kurz eingehen, soweit mir das möglich ist. Ich muß dem Gegner weitgehende Gerechtigkeit widerfahren lassen. Der Engländer hat sehr viel geleistet und wird zweifellos die Sache durchhalten, solange es ihm Vorteil zu versprechen scheint. Nicht länger … Der Franzose ist volkspsychologisch ein Kranker, ein lehrsames Beispiel für einen Kulturhistoriker, wie hohe Geisteskultur die tüchtigsten Instinkte nicht fesselt. Ihm ist in seiner Haßekstase jedes Gefühl für subjektive und objektive Wahrheit, für den Anstand, der mehr ist als Moral, verlorengegangen. Er findet aber in sich eine Kraft, alles zu unterdrücken, was nicht auf der Linie seines Hasses liegt, die herrisch ist. Darin findet er die Einigkeit und die Einheit der Handlung. So kommen noch einmal in der Weltgeschichte seine glänzenden Soldateneigenschaften zur Geltung, der Reichtum an Unterführern aller Grade, die Beherrschung der Technik, die Hingabe des einzelnen. Das Ende kommt erst nach dem Ende; mit der Entspannung kommt der Zusammenbruch, nicht plötzlich, aber ganz sicher. Das Ende müßte eine Siegesorgie, ein Blutfest am Leib des Feindes sein. Das wird es nicht sein; ein Verstandesfrieden, den die Welt über kurz oder lang doch einmal schließt Die Welt hat das dann nicht getan., ist kein normaler Abschluß des Rausches. Der Russe wirkt durch die Masse; er hat uns durch seine Leistungsfähigkeit wohl am meisten überrascht. Nicht der Zahl nach – die war bekannt, aber durch das entwickelte Organisationstalent. Auch Rußland wird nach dem Frieden große innere Schwierigkeiten haben, und es ist nicht vorauszusehen, ob es aus diesen gestärkt oder geschwächt hervorgehen wird. Vielleicht hat es ganz plötzlich eines Tages genug; sonst kann es weiterfechten, solange ihm seine Freunde Munition kreditieren. Nahrung hat es. Die Fähigkeit seiner oberen Führer ist nicht gering, der mittleren Führung mangelt Entschluß und Übersicht, den fehlenden Schwung der Heeresseele ersetzt zeitweise der Gehorsam … Wir führen einen Verteidigungskrieg, politisch – aber, ganz im großen genommen, auch militärisch, und zwar vom ersten Tage ab. Daß wir die Verteidigung offensiv führen, wenn und wo wir können, ist unsere alte Schule. Daß wir zeitlich und örtlich defensiv bleiben, ergibt sich aus dem Kräfteverhältnis, das uns nicht erlaubt, auf allen Fronten und zu allen Zeiten offensiv zu sein. In diesem Sinn ist Ihre Frage, ob es uns gelingen wird, einen unserer Feinde auf die Knie zu zwingen, voraussichtlich mit einem Nein zu beantworten, wenn Sie dazu die vernichtende Entscheidungsschlacht nehmen. Daß das aber dem Feind nicht gelungen ist und nicht gelingen wird, ist der Sieg unserer Verteidigung, das militärische Wunder. Trotzdem fällt die Entscheidung auf dem Schlachtfeld und nur auf diesem. Immer wieder ist dem Feind die Unbesiegbarkeit unseres Volkes, der nicht zu tötende Angriffsgeist vor Augen zu führen, bis einer der Feinde genug hat. Wann das ist, kann niemand voraussagen …«
An Frau v. Seeckt:
»D. 4. August 1916 … Meine Mutter beunruhigt sich jetzt, daß ich ›zu österreichisch‹ würde. Sie hat gern etwas an mir auszusetzen, und es ist gerade die richtige Stelle, um es zu werden, an der ich hier bin! Sehr amüsant ist es für mich, daß ich in den östr. Kreisen für ›ungarisch‹ gelte, als ob man nichts Besseres zu tun hätte. An sich ist es soweit richtig, als ich allerdings der Meinung bin, daß wir an den Ungarn die besseren Freunde zur Zeit haben und daß in ihnen, neben den rein deutschen Elementen, auch die kräftigeren Zukunftsmöglichkeiten stecken …
D. 6. August … Ich machte gestern von Stanislau eine lange Fahrt und sprach alle Kommandanten einer Armee der Reihe nach und hatte wechselnde, aber doch in der Mehrzahl gute Eindrücke. Es war ganz gut, daß ich viel selbst gesehen habe. Allen Frühstücksverlockungen widerstand ich, sondern futterte lieber um fünf in meinem Wagen. Dann benutzte ich die zwei Stunden, in denen ich hierher rollte, zum Schlafen. Wollte mich von der Hoftafel drücken, aber ›S. K. u. K. H. hielt den Platz offen‹, ich also hin und dann natürlich viel zu hören und zu ordnen, auch die heutige sehr wichtige Zusammenkunft mit Conrad bei dem Erzherzog vorzubereiten, und dann endlich zu Deinen Briefen. Ich werde den ›Exzellenz Chef‹ heute wohl nach Lemberg begleiten, da er nur kurz hier bleibt und ich ihn in Ruhe sprechen muß, bin aber abends zurück. Falls nichts Besonderes passiert, mache ich morgen einen neuen Ausflug zu einer andern Armee.
Was sagte denn Maxe zu Deiner Rückkehr? Gustel Der deutsche Schnauzer des Thronfolgers. erkennt mich jetzt an, wackelt etwas mit dem Schwanz und läßt sich anfassen.
›Wichtigere Dinge‹ als Urlaubsgedanken habe ich nicht im Kopf, aber leider zwingendere. Die sehr richtige Papiersparsamkeit führe ich auch durch, indem ich, wie Du siehst, auf k. u. k. ärarischem Blockpapier schreibe. Das k. u. k. Kriegsministerium wollte Vorschläge zur Verminderung des Papierverbrauchs; mein Vorschlag, von den drei Kriegsministerien zwei abzuschaffen und außerdem eine Anzahl höherer Stäbe aufzulösen, wird wohl kaum Beifall finden, würde aber helfen … Vielleicht ist Wrisberg inzwischen in Wien gewesen, jedenfalls hat er mir wieder sehr schön und wieder sehr schnell geholfen. In einer Weise, daß mein junger Herr einfach entzückt war, über diese Schnelligkeit und Sicherheit, mit der wir arbeiten. Ich werde viel beim Schreiben unterbrochen …«
Am 7. 8. schildert Seeckt in einem bedeutsamen Brief sein Zusammentreffen mit Conrad:
»Ich blieb heute zu Hause, da Unruhe an der Front war und ist. Wenn sie nur halten werden! Gestern hatte ich mit Conrad eine recht interessante Besprechung; sie tun alles, was man will, da kann man nicht klagen, und wir beide sind ja schließlich auch alte Weggenossen, die sich kennen. Er ist klar und sachlich, aber auch, wie schließlich viele, alt und etwas müde geworden; ein wenig Phantast noch immer in seinen Plänen und leicht himmelhochjauchzend und – das Gegenteil. Es fiel nun endlich unserer Unterredung der General v. Pflanzer und sein Chef zum Opfer – höchste Zeit. Sie werden ohne Begeisterung beide an mich denken. So wurde ich auch die bisherige militärische Amme des Erzherzogs, die noch bei ihm und mir unbequem war, los. Mündlich alles in einer halben Stunde gemacht, was schriftlich nicht zu erreichen war. F. telegraphierte mir, ich möchte an die Personalfragen nicht rühren, sie seien empfindlich. Aber ich rührte und hatte den Vorteil, mich nun als östr. Chef aufspielen zu können. Sehr gut glückte das Zusammenspiel mit dem Erzherzog, der genau tat und sagte, was wir verabredeten. Conrad erzählte auch sonst viel, so daß ich nun über manches mir Neue unterrichtet bin. Leider, leider ist die neue Einteilung der Front, die natürlich – und ich sage auch glücklicherweise – Hindenburg große Macht gibt, nicht ohne sehr ernste Reibungen abgegangen. Es haben sich anscheinend vor dem Kaiser – und was schlimmer – vor den Österreichern sehr heftige Szenen abgespielt, so daß F. bei der entscheidenden Sitzung wegen ›Gesichtsschmerzen‹ nicht anwesend war … Meine Quellen sind österreichisch. Es waren dann noch Zusammenkünfte in Pleß mit dem bulgarischen Kronprinzen und Jekow, der die Front gegen Rumänien bekommt, und in Budapest mit Enver über die Beteiligung der Türken. Der Feldm. M. behält die Front gegen die griechische Grenze, bleibt also in Üsküb, wo Typhus und Malaria herrschen sollen (!). Wir sind bereit gegen Rumänien, das jetzt wieder sehr ungünstig beurteilt wird. Eigentlich hatte ich mir den Krieg reserviert, im Februar und schade, daß es damals nichts wurde. Es wäre Mitte Mai vorbei gewesen.
Gestern nachmittag war noch unser Freund bei mir, der zur Zeit sehr aktuelle und sehr geängstigte Landesverteidigungsminister. Ich weiß nicht, wie viele Handküsse er der Gnädigsten schickt. Der letzte kostete ihm 500 Pferde für uns. Sein Sohn ist hier zum zweitenmal verwundet, Leutnant im I. Honved Hus.Rgt. So war der Tag ziemlich besetzt. Heute wird bei uns gekämpft, und ich bin mir noch keineswegs sicher, wie es ausgeht – hoffen wir, gut.
In der Bukowina gehen wir vor wie verrückt, um Russen und Rumänen zu imponieren … Im allgemeinen Äußeren ist Polen aktuell und zur Zeit ein Gegenstand des Streites. Ich weiß noch nicht, wie es ausgehen soll. Neulich suchte mich der Max Egon Fürstenberg zu bewegen, bei meinem Erzherzog unsere Politik zu vertreten, was ich in der mir angesonnenen Form lieber nicht tue … Außerdem bin ich nicht des Thronfolgers Berater in politicis und endlich spricht auch der junge Herr gar nicht entscheidend mit. Schließlich erzählte mir der M. E. Fstbg. mehr als ich wußte und mehr als er wollte. Es war ganz spaßhaft. Mit der Bemerkung über die wachsende Anzahl von F.-Feinden mag man schon recht haben. – Eben kommen ziemlich aufregende und nicht erfreuliche Nachrichten. Ich schließe.«
An dem Brief muß zweierlei auffallen. Zunächst einmal die Bemerkung Seeckts, er habe im Februar mit seiner Verwendung gegen Rumänien gerechnet Seeckt hatte diesem Gedanken ja tatsächlich früher einmal Ausdruck gegeben. Aber es war kaum zu erwarten, daß diese Hoffnung so lebendig gewesen war, um noch in späteren Erwägungen eine Rolle zu spielen.. Dann aber findet hier die Angelegenheit des Generalobersten v. Pflanzer-Baltin ihren Abschluß Bis er wirklich geht, dauert es noch einen Monat.. Man hatte natürlich die Mißerfolge vom Juni nicht vergessen. Die Anfang September immer drohender sich zuspitzende Frontkrise forderte eine Neuregelung der Befehlsverhältnisse innerhalb der k. u. k. 7. Armee. Bei der deutschen O.H.L. hatte man den Eindruck v. Cramon, Bundesgenosse., daß Generaloberst v. Pflanzer die Angewohnheit des rücksichtslosen Zerreißens der Verbände und eine etwas ungestüme Art der Führung hätte, die es nicht gerade ratsam erscheinen ließen, ihm deutsche Truppen anzuvertrauen. Verschiedene Vorschläge der O.H.L., Pflanzer durch einen ruhigeren Führer zu ersetzen, hatten in Teschen keine Zustimmung gefunden. Man durfte nicht übersehen, daß Pflanzer bei Conrad durch seine Karpatenverteidigung im Winter 1914/15 und sein Vorgehen im Frühjahr 1915 sich Ansehen erworben hatte. Auch nach dem Krieg hat Conrad über Pflanzer noch recht günstig geurteilt. Freilich hatte bei einem Zusammenstoß Anfang Juli Pflanzer seine Stellung bereits zur Verfügung gestellt, Conrad hatte aber sein Bleiben verfügt. Die unausbleiblichen Reibungen zwischen den beiden sehr selbständigen Persönlichkeiten Seeckt und Pflanzer sind geschildert. Leider waren sie mit dem Weggang Seeckts nach Chodorow sachlich nicht aus der Welt zu schaffen. Infolgedessen schlägt Erzherzog Friedrich schweren Herzens am 4. 9. bei aller Anerkennung der Verdienste des alten Generals ihm vor, sich krank zu melden. In diesen Tagen wendet sich auch General v. Cramon an Seeckt, er möge auf die Entfernung des Generals v. Pflanzer hinwirken. Cramon entsann sich dessen, daß eine Schilderung der Armeeführung des Generals v. Pflanzer durch Seeckt »geradezu vernichtend« gewesen sei Heeresarchiv Potsdam, Akte O 1167.. Am 7. September meldet sich Generaloberst v. Pflanzer krank, und General der Kavallerie v. Kirchbach tritt an seine Stelle. Der tatsächliche Verlauf der Dinge bezeugt also, daß Seeckt nicht die Ursache, höchstens ein Anlaß des Fortganges des Generals v. Pflanzer gewesen ist, wenngleich er sachlich eine Begründung dazu gegeben haben mag. Zwei Tage später schreibt Seeckt: »Pflanzer haben sie beseitigt, zu spät und im ungeeignetesten Moment.«
Am 8. schreibt Seeckt an seine Frau: »Der gestrige Tag verlief recht stürmisch und unerfreulich. Übrigens benahm sich der Oberbefehlshaber Ost sehr kameradschaftlich und nachbarlich und schickte, was er entbehren konnte, zu Hilfe. Wir müssen uns ziemlich quälen.« Die Lage war in der Tat so, daß Seeckt von der deutschen O.H.L. Heeresarchiv Potsdam, Akte O 469. die klare Antwort bekam, daß sich »die Heeresgruppe mit eigenen Mitteln zu helfen suchen müsse«. Es ist kein Wunder, wenn sich Seeckt dann an Ob.Ost wendet. Auch dieser kann nicht viel geben. Es ist nicht mehr als ein verstärktes Regiment. Aber es ist doch wenigstens etwas. Immerhin muß man mit so wenig Mitteln es vermeiden, in der Verteidigung starr zu werden. Da der 7. 8. einige empfindliche Rückschläge gezeitigt hat, meldet Seeckt an Falkenhayn Heeresarchiv Potsdam, Akte 55., daß die Heeresgruppe eine nicht unerhebliche Zurücknahme erwäge. Die Heeresgruppe erwägt das, und am nächsten Tag betont Seeckt ausdrücklich Falkenhayn gegenüber, daß er den Zeitpunkt noch nicht für gekommen hielte. Allein es scheint fast so, als ob die allmählich immer deutlicher werdende Entfremdung zwischen Seeckt und Falkenhayn sich in den Tagen um den 9. August herum fast zu einer Seecktkrise zugespitzt hat v. Werkmann.. Es ist wirklich nicht ganz ausgeschlossen, daß Falkenhayns Gedanken damit gespielt haben, Seeckt fortzunehmen und an anderer Stelle zu verwenden. Wenn das der Fall gewesen ist, so konnte eigentlich nichts ungerechter sein. Seeckt hat sich in einer Lage, die vielleicht schwieriger war als die an der Somme, damit abgefunden, daß man ihm nicht helfe und daß die Hauptwiderstandskraft seine eigene Person war. Er hat aber wohl nicht erwartet, daß man ihm noch einen Vorwurf daraus machte, wenn nicht geleistet wurde, was nicht zu leisten war. Es mag sein, daß Seeckt im Augenblick wirklich die andere Auffassung bei den Österreichern über die Chefstellung geschützt hat. Erzherzog Karl betonte, daß er für seine Befehle selbst einstünde und sofort, wenn Seeckt eine andere Verwendung fände, um seine eigene Enthebung von seiner Stellung nachsuchen müsse. Man kann aus diesem Vorgang entnehmen, daß es sich bei Erzherzog Karl um eine von vornherein vorhandene, langsam sich verstärkende Unzufriedenheit mit der Art seiner Verwendung und unter gar keinen Umständen um eine Differenz mit Seeckt später gehandelt hat.
Die schwere Last dieser Tage kommt deutlich im Brief vom 9. an Frau v. Seeckt zum Ausdruck:
»... Eine rechte Freude und Erquickung war Dein lieber Brief vom 6. Nicht leicht sind diese Tage hier. Man weiß gar nicht, wie man alles wieder reparieren soll und zum Stehen bringen. Es ist zum Teufel holen! Heute ewig am Fernschreiber mit Falkenhayn und Ludendorff und bis in die Nacht am Telefon. Mein halber deutscher Stab draußen, um Ordnung zu schaffen. Also ganz bunte Tage, und sie werden noch bunter, da ich ein türkisches Korps bekomme. Man muß nehmen, was man kriegen kann. Sei mir nicht böse, daß ich schon Schluß mache, ich denke deshalb doch an Dich …«
Die in dem Brief ausgedrückte Stimmung konnte kaum ausbleiben. Die russischen Angriffe hatten Rückzüge erzwungen und eigentlich nur noch ostwärts Stanislau einen kleinen Brückenkopf gelassen. Das Oberkommando Hindenburg machte sich ebenfalls um diese Dinge schwere Sorgen, da natürlich die Ereignisse im Süden Rückwirkung auf Ob.Ost haben konnten. Falkenhayn befürchtet Heeresarchiv Potsdam, Akte O 413. in diesen Stunden beinahe ein Wanken der Ostfront. Feldmarschall v. Hindenburg regt daher bei der O.H.L. einen größeren Einfluß deutscher Führer an. Der Kaiser schreibt persönlich an den Rand Heeresarchiv Potsdam, Akte 56.: »Seekt« Der Name ist falsch geschrieben.. War der 7. ein schwerer Tag, ist der 8. mit düsteren Sorgen belastet, so ist der 9., der sich, wie erwähnt, zur persönlichen Krise zuspitzte, einer der schwersten für Seeckt überhaupt. Am Morgen dieses Tages ruft Falkenhayn Seeckt persönlich an Hughes-Gespräch, Heeresarchiv Potsdam, Akte 55 1. Das Gespräch ist gekürzt wiedergegeben. Es ist jedoch genau darauf geachtet, daß an seinem Sinn nichts geändert wurde.. Seeckt schildert die Lage sehr ernst. »Bei Kraewel unsicher. Infanterie zu stark erschüttert. Zweifelhaft, ob auch nach Einsatz der allerdings geringen Verstärkungen das Aufgeben des östlichen Bystrzyca-Ufers verhindert wird. Anschluß zwischen 3. und Südarmee gibt zur Besorgnis Anlaß. Zum Stützen stehen der Südarmee nur schwache, der Heeresgruppe keine Kräfte zur Verfügung. Auch Stellung hinter der Bystrzyca schwierig. Sicherung der Lage nur durch Verstärkung des rechten Flügels der Südarmee zu erreichen und wenn 3. Armee in der Front gestützt wird.« Trotzdem will Seeckt nicht nur die Südarmee noch nicht zurücknehmen, sondern eine Angriffsoperation in der Bukowina nicht aufgeben. Falkenhayn erklärt, daß der Westen nichts abgeben könne. Er fährt dann mit Worten fort, die allerdings Seeckt etwas in Erstaunen versetzt haben werden: »Wir sind schon aus verzwickteren Lagen gut herausgekommen, wenn wir nur entschlossen handelten und es verstanden, der wankenden Truppe neuen Mut einzuflößen.«
Diese Worte müssen auf Seeckt wie ein Hieb gewirkt haben. Bei aller ernsten Schilderung der Lage hat er zu solcher Ermahnung bisher keinen Anlaß gegeben. Er antwortet eisig kalt: »Gewiß, nur ist mir das Versagen deutscher Infanterie völlig unerklärlich. Dabei kann man einen Vorwurf nicht machen.« Es ist kaum zu verstehen, daß Falkenhayn darauf mit einer noch gesteigerten Schärfe antwortet: »Es kommt jetzt weniger auf Untersuchungen an, als darauf, die Truppe mit allen Mitteln zu stärken. Ich sollte denken, daß das durch Einsatz der frischen Bataillone, Ihrer Generalstabsoffiziere und Ihrer Person selbst gelingen müßte.« Falkenhayn erklärt dann, Seeckt müsse selbst entscheiden, ob die Karpatenoffensive weiter geführt werden könne. Das Haltenbleiben des Karpatenkorps habe ihn etwas überrascht. »Haben Sie sonst noch Wünsche oder mir sonst noch irgend etwas zu sagen?«
In kalter Sachlichkeit antwortet Seeckt: »Nur wegen des Karpathenkorps. Es hat 11 Bataillone vor sich und 1 Division in der Flanke.«
Gelesen klingen diese Worte nüchtern. Sie müssen messerscharf gesprochen sein. Denn Falkenhayn entgegnet:
»Schön, meine Bemerkung sollte auch keine Kritik sein. Möge der gute Geist des Vaterlandes bei Ihren Entschlüssen sein und Ihr altes Glück zu Ihnen zurückkehren.«
Hughes-Gespräche enden meist mit einer kurzen Höflichkeitsformel. Der Fernschreiber setzt unter dies Gespräch beiderseits nur vom einen das Wort »Schluß« und vom andern das Wort »Schluß«.
Es mag sein, daß Seeckt selbstverständlich den ungeheuren Druck, der fast ausschließlich auf seiner Person lastete, in diesen Augusttagen nicht nur gefühlt hat, sondern daß auch Falkenhayn empfand, Seeckt stände in schwerstem inneren Kampf gegen die depressive Einwirkung der Ereignisse. Man kann billig bezweifeln, daß diese Art, anzuspornen gegenüber einer ungewöhnlich empfindsamen und, man darf es ruhig zugeben, auch empfindlichen Seele die richtige war. Man hat später aufzuspüren versucht, wann aus der Entfremdung eine innere Scheidung entstanden ist. Man braucht danach nicht zu suchen. Unter dem Gespräch vom 9. August morgens steht beiderseits klar und deutlich: Schluß.
Dabei ist hervorzuheben, daß eine wirkliche Depression bei Seeckt gar nicht eingetreten sein kann. Seeckt hat nämlich noch am gleichen Tage einen außerordentlich kennzeichnenden Telegrammwechsel mit Ludendorff. Er bedankt sich für die Hilfe und rechtfertigt dann das Verbleiben der 1. I.D. in der Bukowina. Er gibt ohne weiteres zu, daß diese Division bei der 3. Armee besser am Platze wäre. Meinungsverschiedenheiten behandelt er stets ungeheuer sachlich. Aber er mag auch den letzten Offensivgedanken noch nicht aufgeben. Das Telegramm schließt: »So hoffe ich, die Lage noch zu halten, wenn sie auch ernst bleibt.« Ludendorffs Antwort ist weniger ihrem Inhalt nach wichtig als wegen ihres Tones. Inhaltlich ist Ludendorff mit dem Festhalten an der demonstrativen Offensive in der Bukowina nicht so ganz einverstanden, wobei er betont, daß natürlich die Ansicht der Heeresgruppe allein die bestimmende sei und er sich keinesfalls in einen Gegensatz zu dieser Ansicht bringen wolle. Viel mehr mag auf Seeckt die ganze Art gewirkt haben. Man kommt fast nicht um den Ausdruck herum, das Telegramm Ludendorffs geradezu herzlich zu nennen. Jedenfalls ist es getragen von echter Kameradschaft.
Seeckt bleibt nichts anderes übrig, als sich überall nach Hilfe umzutun. So bringt denn dieser ereignisreiche Tag auch noch einen Telegrammwechsel zwischen Seeckt und Enver Pascha. Außerdem wird verfügt, daß das zugesagte türkische Korps bei der Südarmee eingesetzt werden soll. Diese Zuführung des türkischen Korps war durch Ob.Ost veranlaßt.
Der merkwürdige 9. bringt noch ein scheinbar verhältnismäßig unwichtiges Ereignis, das aber spätere Auswirkung gehabt hat. Die k. u. k. 1. Armee wird dem Heeresgruppenkommando unterstellt. Damit fällt Seeckt auch Sorge für die rumänische Front zu.
Der Brief vom 10. 8. klingt zunächst zuversichtlich:
»... Ein lieber Brief vom ernsten Gedenktag Am 7. August 1914 zog der Stab des III. Armeekorps ins Feld., Dank für den Tag und für den Brief, daß er nur kurz, beruhigt mich fast; denn auch meine Briefe sind es in diesen Tagen, die viel Arbeit bringen. Jetzt kommt gleich der Chef der Armee Bothmer und dann muß ich zur Armee Köveß, wo der Chef etwas eigenartig geworden ist – auch recht bequem in dieser Zeit! Wird durch Waldstätten ersetzt. Seeckt mochte den bisherigen Chef seit langem nicht. Irgend etwas nahm ihn gegen den an sich tüchtigen Offizier ein. Gestern ging es besser bei uns und heute bisher auch, aber viel Verlaß ist noch nicht. Auch die uns ganz überraschend zugeschobenen Türken machen viel Arbeit und bringen außer der Hilfe doch auch manche Schwierigkeiten mit sich. Aber da Schlaf und Appetit gut, geht alles. Mein deutscher Stab arbeitet ausgezeichnet …«
Leider hält der Tag nicht, was er verspricht. Russische Erfolge erzwingen den Rückzug der gesamten 3. Armee. Es entsteht eine 20 km breite Lücke zur 7. Armee. Selbst jetzt will Seeckt seine Offensivgedanken nicht aufgeben. Das ist nunmehr ausgesprochen ein Fehler. Aber es ist ein Fehler, der so ganz zu Seeckts Wesen paßt. Er behielt bei aller Kühle immer etwas Kühnes. Seeckt machte den Fehler, weil er ihn seiner Art nach machen mußte. Tatsächlich hat Seeckt erst am 18. nachgegeben. Die Mittel, mit denen man die Front zu halten beabsichtigt, sind allerdings nicht ganz einfach zu beschaffen. Die Südarmee soll Reserven ausscheiden, weil die 3. Armee sich aus eigener Kraft nicht halten könne. Leicht ist das für die Südarmee nun auch gerade nicht. Denn noch in der Nacht muß Seeckt melden Heeresarchiv Potsdam, Akte O 469., daß die Südarmee ihren eigenen rechten Flügel zurückzunehmen gezwungen ist.
Nichts charakterisiert die Schwierigkeit der Lage so scharf, wie die Tatsache, daß Hindenburg S.M. »beschwört«, vier bis fünf Divisionen aus dem Westen zur Heeresgruppe Erzherzog Karl in die Gegend nördlich der Karpaten zu senden. Man muß sich immer wieder entsinnen, daß es sich hier gar nicht um den Befehlsbereich des Feldmarschalls von Hindenburg handelt. Und immer wieder muß man das mustergültige Verhältnis im Gedankenaustausch zwischen Seeckt und Ludendorff als Nachbarn hervorheben. Als sich die Zurücknahme der Südarmee nicht mehr vermeiden läßt, geht sofort die Mitteilung hierüber an Ludendorff mit der Bitte, »mitzuteilen, welche Folgerungen aus dieser Lage gezogen werden«. Es ist ferner bezeichnend, daß Seeckt seine sehr umfangreiche Lagenbeurteilung vom 12. sofort in Abschrift auch General Ludendorff zuleitet. Diese Beurteilung der Lage besagt im wesentlichen, daß man überall notdürftig und vorübergehend die Lage wieder hergestellt habe, daß doch alles aber noch höchst unsicher sei. Wie immer schließt Seeckt mit späteren Angriffsgedanken, wie ja sogar an diesem Tage die 1. Division von Kirlibaba aus ihren Angriff beginnt. Es will das etwas heißen in Tagen, in denen der Russe die Zusammenfassung der Angriffskräfte und die Herbeiführung einer Entscheidung in der Bukowina anordnet. Mit galligem Humor schreibt Seeckt in seinem Brief, daß er und Karl noch nicht abgesetzt seien:
»D. 11. August 1916 … Ich habe heute das erste türkische Bataillon gesehen und begrüßt. Es sah sehr gut aus, junge gebräunte Leute von guter Haltung in tadelloser Ordnung nach einer Eisenbahnfahrt von einer Woche. Sie wurden hier gespeist, der Btl.Kdr. sprach leidlich französisch. Was man nicht alles erlebt! In der letzten Nacht galt es, einen ziemlich wichtigen Entschluß zu fassen, und wie meist ist nach solchem eine Ruhepause eingetreten. Ich denke, es wird nun nach und nach alles in Ordnung kommen bei uns. Nein, der Erzherzog (Thronfolger) Karl ist noch nicht abgesetzt und ich auch nicht. Sollte ich es werden, so rechne ich darauf, daß Du trotzdem nett zu mir bleibst … Wie es weiter geht, weiß ja noch niemand …«
»D. 12. 8. 16. Liebe Mutter … Meine Freiheit zum Berichten ist beschränkt. Daß hier unten bei uns zur Zeit nicht alles sehr glänzend steht, weißt Du aus den Zeitungen … Zu irgendwelchen Sorgen liegt kein Anlaß vor; aber von uns zu erwarten, daß wir der großen Übermacht gegenüber andauernd glänzende Erfolge aufweisen sollen, hat für uns hier draußen etwas Lächerliches und leicht etwas Schwerkränkendes. Auch diese ewigen Gerüchte über Personalien und über Beseitigen von höheren Führern sind schlimm. Selbstverständlich muß ohne Rücksicht jeder seinen Platz räumen, von dem man annimmt, daß er nicht auf ihn paßt, aber man sollte das zu Hause auch nicht immer mit dem Makel der Unfähigkeit behaften. Ganz und immer recht haben die, welche nur kritisieren und selbst nichts leisten. Natürlich liegt es mir sehr am Herzen, das auszusprechen; denn ich kann jeden Tag hier fortgeschickt werden, ohne daß ich mich wundere oder beklage. Noch ist es nicht so weit. Ebenso ist mein Oberbefehlshaber, der Erzherzog-Thronfolger Karl Franz Joseph, der in den Berichten der Abkürzung wegen Erzherzog Karl genannt wird, noch hier und gestern General der Kavallerie geworden … Eine für mich sehr interessante Begegnung hatte ich am 3. August in Lemberg mit dem Feldm. v. Hindenburg und seinem Chef Ludendorff, mit denen ich seitdem in bester Nachbarschaft lebe. Der Feldmarschall macht einen prächtigen Eindruck in seiner Ruhe und Sicherheit …«
Die Lage bessert sich nicht. Die Südarmee muß hinter die Zlota Lipa zurück. Das sind immerhin bis zu 20 km Tiefe. Der Verlust von Goerz spannt die Gesamtlage noch mehr an. Gerüchte über die Verzögerungen im Antransport der Türken sind falsch. Aber die Gerüchte sind nun einmal da. Seeckt müht sich erneut, die Verteidigungsfähigkeit zu heben, indem er Gesichtspunkte über den Ausbau von Stellungen in die Truppe hineinbringt. Er versucht dabei zu erreichen, daß das Wesen der Tiefengliederung verstanden wird. Wenn er schon keine materiellen Mittel mehr hat zu helfen, dann will er wenigstens alle geistigen anspannen. Conrad wird die Sache so ernst, daß er selbst eingreift und ohne Wissen Falkenhayns eine Division von der 3. Armee nach Siebenbürgen verschiebt. Ganz wohl scheint ihm dabei nicht zu sein, denn er rechtfertigt seinen Entschluß mit dem Hinweis, Seeckt sei damit einverstanden. Der 13. 8. macht seinem Datum alle Ehre. Es ist ein schlimmer Tag.
»D. 13. August 1916 … Mein gestriger Gruß war wirklich reichlich kurz, wollen sehen, ob wir heute etwas mehr Zeit füreinander finden.
Allzu regelmäßig kommen die Nachrichten nicht, was auch kein Wunder; denn wir verlangen jetzt wieder einmal Unglaubliches von den Eisenbahnen, allein der Türkentransport war eine Leistung … Wieder war alles gut und in Ordnung; nun kommen sie schon an die Front. Außer dem Türken kam Erzherzog Leopold Salvator uns besuchen, der General-Insp. der Artillerie, ein besonders lustiger und vertraulicher, nicht mehr ganz junger Mann. Sehr niedlich war es heute bei Tisch, als mein junger Herr im Zug sagte: ›Ich kenne keine Connexion, diese Wirtschaft bei uns muß aufhören usw.‹, und Salvator ganz trocken bemerkte: ›Wird das einmal hübsch bei uns, wenn du alle Menschen ändern tust‹ – ich mußte so lachen, daß ich beider Herz gewann und sie mir nach Tisch jeder von dem anderen die unzeremoniellsten Dinge sagten.
In der Nacht wurde ich aufgeschreckt mit Nachrichten von vorn; aber es zog sich noch alles wieder zurecht, und jedenfalls haben wir den Russen gestern etwas auf die Nase gegeben. Nun müssen noch einige Tage vergehen, dann habe ich wenigstens einige Soldaten in der Hand und kann etwas sicherer sein. In geradezu großartiger Weise hat der Feldm. v. H. an S.M. telegraphiert, er solle mir Soldaten schicken, nicht ihm; hier bei uns solle der Umschwung versucht werden, und L. telegraphierte mir, ich hätte ja Einfluß im Gr.H.Q. (!), er nicht, so würde es mir wohl gelingen, die nötigen Kräfte zu bekommen. Ein Stück Kriegsgeschichte nicht erfreulicher Art wegen der unseligen Differenzen, aber auch erfreulicher wegen der Sachlichkeit und Selbstlosigkeit.
Daß die Isonzofront wackelt, ist übel, obwohl die kleinen Fetzen zerschossenes Land nicht viel zu sagen haben, aber der Anfang ist immer dumm und sie haben sich dort so lange wirklich brav gehalten …«
Bei dem im Brief erwähnten Telegrammwechsel mit Ludendorff handelte es sich um folgendes:
Seeckt hatte die Beurteilung der Lage vom 12. 8., die er für Falkenhayn verfaßt hatte, wie erwähnt, auch an Ludendorff geschickt. Ludendorff antwortete am nächsten Tag an Seeckt persönlich. Er griff Seeckts Worte, wonach eigene »Angriffe fernerliegende Absichten« seien, auf und nahm sie als Anlaß, sein Einverständnis zu erklären. Das ganze Telegramm Ludendorffs ist aber so charakteristisch, daß man es im Wortlaut wiedergeben muß Heeresarchiv Potsdam, Akte Ob.Ost 124.:
»General v. Seeckt.
Ich bedanke mich für die Beurteilung der Lage, die sich mit der Auffassung deckt, die ich mir hier berufener und unberufener Weise gemacht habe.
Stützen und Zusammenhalt der Ostfront von Nord nach Süd. Je näher ein Ausweichen, falls es notwendig wird, an die Karpathen herangelegt werden kann, desto besser. Offensive erst wenn alle Kräfte herangeführt sind.
Feldmarschall hat verschiedentlich an S.M. telegraphiert und auf Notwendigkeit hingewiesen, mehr zu Ihnen zu schicken, da Entscheidung des Krieges z. Zt. im Südosten liegt. Sie haben Einfluß im G.H.Q.; hoffentlich erreichen Sie es, daß Ihnen Kräfte zugeführt werden, mit denen wirklich etwas zu machen ist. Es kann geschehen, wenn nicht der Isonzo einen neuen Strich durch die Rechnung macht. Ludendorff.«
Man muß bedenken, daß solche Telegramme stets äußerst knapp gehalten wurden. Ludendorff hielt also den Hinweis, daß er sich berufener und unberufener Weise Gedanken gemacht habe, für notwendig. Noch auffallender ist, daß er Seeckt größeren Einfluß im Gr.H.Q. zuschreibt als sich selbst. Dieser lebhafte Gedankenaustausch findet zwei Tage später eine Fortsetzung Heeresarchiv Potsdam, Akte Ob.Ost 124.:
»Generallt. Ludendorff, 15.8.1916.
E.E. Annahme hinsichtlich des Einflusses der Isonzofront traf schon ein, indem 44. I.T.D. von hier dorthin abgeht. General v. Falkenhayns erneute Anwesenheit in Pleß läßt die Möglichkeit, wenn auch nicht Wahrscheinlichkeit zu, daß ich ihn spreche. Nachdem der Feldmarschall und Sie so warm für Kräftezuführung zu uns für eine Offensive eingetreten sind, hätte ich gern E.E. Ansicht über eine solche. Meine Idee ist folgende: Angriff aus der Front der 3. und Südarmee beiderseits des Dniester unter fester Anlehnung an die Karpathen und zunächst mit starkem rechten Flügel. Erstes Operationsziel: Einnahme der Linie Sniatyn–Horodenka–Buczacz und möglichst der von Czernowitz … Sodann südlich des Dniester defensiv werden unter Deckung gegen Rumänien, Verschiebung nach links, Einschwenken nach Nordost, Fortsetzen der Offensive in Richtung Husiatyn. Kräftebedarf 24 Divisionen ohne die Deckungstruppen in der Bukowina, davon vorhanden 10, bleibt Bedarf 14.
Gen. v. Seeckt.«
Ludendorff antwortet:
»Das Eintreten des Feldmarschalls für eine Verstärkung Ihrer Gruppe hat noch nicht den Erfolg gehabt, den ich erhofft hatte … Das Wegziehen der 44. I.T.D. halte ich für einen schweren Fehler, wo Sie in den nächsten Tagen mit starken russischen Angriffen rechnen müssen.
Ob Sie die Bukowina wiedererobern können, ist mir mehr als zweifelhaft Im Entwurf stand erst nur das Wort »zweifelhaft«, die Worte »mehr als« sind nachträglich hinzugefügt. geworden … Sollten deutsche Divisionen indes wirklich in nennenswerter Zahl – auch unter 14 – mit schwerer Artillerie freigemacht werden können, so würde ich bei der augenblicklichen Kräfteverteilung der Russen einen Stoß mit dem linken Flügel längs der Bahn Zloczow–Tarnopol … vorziehen mit dem Streben … Tarnopol Dieser Angriff ist 1917 ausgeführt. … zu gewinnen, um dann den Angriff in südlicher Richtung … fortzusetzen …«
Am 19. 8. ersucht Feldmarschall v. Hindenburg Heeresarchiv Potsdam, Akte Ob.Ost 124. den Chef des Militärkabinetts um persönlichen Vortrag bei S.M. in Anwesenheit von Ludendorff. Der Feldmarschall verlangt Klarheit darüber, ob seine Handlungen noch Billigung finden und seine Führung noch Vertrauen genießt. Dies Verlangen ist der Vorläufer kommender Ereignisse.
Der Gedankenaustausch zwischen Seeckt und Ludendorff hat Hindenburg-Ludendorff einen in der Sachlage allerdings begründeten Einfluß auch auf die Heeresgruppe verschafft. Es liegt in der Entwicklung der Dinge begründet, wenn der Gedankenaustausch zwischen Seeckt und Ludendorff weiter ein reger bleiben muß. Mehrfach Heeresarchiv Potsdam, Akte 55. ist schon in diesen Tagen die Berichterstattung an Ludendorff so, als ob der Feldmarschall und General Ludendorff bereits die eigentliche Verantwortung hätten.
Einige Beeinflussung Seeckts durch Ludendorff ist dabei ganz unverkennbar. Es fällt Seeckt sicherlich nicht leicht, vom Offensivgedanken abzugehen. Jedoch die abweichende Auffassung Ludendorffs hat ihn wohl bedenklich gemacht und unter dem 19. teilt er Ludendorff, von den Ereignissen gezwungen, mit, daß die Offensive in der Bukowina eingestellt wird. Es ist also festzustellen, daß Ludendorff die Lage richtiger, jedenfalls früher richtig beurteilt hat als Seeckt. Es ist aber ebensogut festzustellen, daß Seeckt durchaus nicht der Mann war, der sich nicht auch einmal einen Fehler nachweisen ließ, und daß er anderer Einsicht vollkommen zugänglich war. Es mag dabei eine Meldung des Karpatenkorps mitgesprochen haben. Tatsächlich hat dann die 1. Division am 18. 8. doch noch den Magura-Berg nördlich Kirlibaba im Angriff genommen. Tags darauf meldet aber Seeckt, daß auch dieser Angriff nunmehr seinen Abschluß finden müsse. Es ist ein ganz eigenartiges Wechselspiel der Berichterstattung in den in ihrer aufreibenden Lebhaftigkeit schwer zu schildernden Tagen. Seeckt empfindet es durchaus als Störung, wenn Falkenhayn sich um Einzelheiten, beispielsweise um die Sicherung des Tartarenpasses kümmert. Er trägt aber keinerlei Bedenken, Ludendorff die Verteilung der Reserven eingehend mitzuteilen.
Mit dem 18. 8. glaubt Seeckt, Ludendorff dahin unterrichten zu können, daß die Krise doch überwunden zu sein scheint. Angesichts einiger ankommender deutscher Verstärkungen darf man ja auch wohl etwas zuversichtlicher sein. Für Seeckt jedenfalls genügt schon eine anrollende Division, um die Dinge bereits weniger gespannt zu betrachten. Er warnt ausdrücklich die Südarmee, Hilferufe des rechten Flügels der 2. Armee zu ernst zu nehmen. Fortschreitender Stellungsbau wird es auch wieder zum Aussparen von Reserven kommen lassen. Die ungewöhnliche Wendigkeit Seeckts, die man in allen seinen Führungshandlungen hatte beobachten können, tritt kaum jemals so mustergültig zutage wie hier, wo jeder Tag nichts anderes bedeutet als die Anwendung des Systems der Aushilfen gegenüber äußersten Notlagen.
Inzwischen bespricht S.M. in Pleß mit Falkenhayn und dem Kanzler die Verlegung des Schwerpunktes des ganzen Krieges nach dem Osten Wie weit in diesen Tagen der Zar der Bulgaren Versuche gefördert hat, einen einheitlichen Gesamtoberbefehl der Mittelmächte zu schaffen, kann hier unerörtert bleiben.. Conrad erwägt wohl im Zusammenhang hiermit große Offensivpläne aus der Front der Südarmee heraus, leistet aber weiteren Widerstand gegen gemeinsamen Oberbefehl, und das geschieht in Tagen, in denen kein Zweifel mehr bestehen kann, daß Rumänien eine Militär-Konvention mit der Entente abgeschlossen hat, die es verpflichtet, noch vor Monatsende Österreich den Krieg zu erklären. So mag Seeckt den Geburtstag seines Oberbefehlshabers doch im ganzen mit schwerer Sorge gefeiert haben.
»D. 17. August 1916 … Früh mit dem Erzherzog zur Front, um einhalb drei zurück und von da bis zu Tisch Vorträge und dgl., dann Essen mit einer kleinen Rede von mir, und nun habe ich eine kurze Pause, bevor wohl vor endgültiger Nacht noch allerlei kommt. Es war doch hübsch, daß der junge Herr seinen Geburtstagvormittag bei den deutschen Truppen beging, und ich konnte ihm auch ganz Gutes zeigen. Die Aufzeichnung der heutigen Tischrede lege ich bei; ich habe etwas Ähnliches gesagt, aber nicht wörtlich. Morgen nun Feldmesse und Festessen – wenn uns der Feind nicht stört, was ich ihm zutraue. –
Es kam wirklich allerlei, nun ist es weit nach Mitternacht.«
Festrede des Generals v. Seeckt zum Geburtstag S.K.u.K.H. des Erzherzogs Karl.
17. August 1916.
»Euer Kaiserliche Hoheit!
Geburtstage sind Familienfeste. So schweifen heute E.K.H. Gedanken heimwärts in den langentbehrten Kreis der eigenen Familie, zu ihrer Wärme, Licht und Heiterkeit. Aber riesengroß stellt sich solchem Verlangen die Pflicht entgegen, die nach dem Dichterwort verlangt: ›wer andere wohl zu leiten pflegt, muß fähig sein, viel zu entbehren.‹
Doch heute soll nicht nur die kalte Pflicht E.K.H. hier draußen halten – nein unsere Herzen. Lenken E.K.H. die Blicke ins Weite: Eine große Familie schart sich in Hoffnung und Treue, Glück wünschend um das Haus. Es sind der Monarchie vielgestaltige Völker, die den heutigen Tag als Familientag zu begehen als ihr Recht fordern, es mischt sich mit ihnen Deutschlands Volk, das von E.K.H. eine Zeit brüderlichen Beieinanderwohnens erhofft. – Aber enger schließt sich der Familienkreis. Es drängt sich heran die Armee unterschiedslos, ob öster.-ungarisch, ob deutsch, die den jungen Heerführer heute als einen der ihrigen für sich fordert. Nehmen E.K.H. es als ein Wahrzeichen dieser gleichmäßigen Gesinnung an, daß heute der deutsche General durch die gnädige Erlaubnis S.K.u.K.H. des Herrn Erzherzogs Friedrich die Ehre hat, E.K.H. die Glückwünsche der Armee zu Füßen zu legen. – Und wieder drängen sich bei der Masse einzelne hervor; es sind die Truppen der Heeresgruppe, die es als ihr besonderes Recht betrachten, den heutigen Tag zu feiern und darunter E.K.H. deutsche Heeresteile, die stolz darauf sind, daß E.K.H. heute gerade die Gnade hatte, sie zu besuchen. – Nun schließt sich endlich der Kreis zur eigentlichen militärischen Familie E.K.H., zu dem Stab der Heeresgruppe, als deren Vorbote wir heute hier weilen dürfen. Wir bitten E.K.H., uns das Recht nicht nur zur ehrfurchtsvollen Huldigung, sondern zu recht kameradschaftlicher Ergebenheit heute geben zu wollen und uns zu erlauben, daß wir hier im Feldlager die Stunde begehen als ein Familienfest. Es bittet daher der Kreis, den E.K.H. die Gnade haben, heute um Euch zu sehen, um die Erlaubnis, E.K.H. dies Andenken an den heutigen Tag überreichen zu dürfen. E.K.H. finden innen unsere Namen, als ob es eine schriftliche Gratulation sein sollte der Treue, der Dankbarkeit, der Ergebenheit.«
Der Brief vom 18. 8. enthält die erste Angabe über des Feldmarschalls v. Mackensen neue Verwendung:
»D. 18. August 1916 Geburtstag S.M. Kaiser Franz Joseph. … Eben kommt mein Schaffner, den ich nach Lemberg geschickt hatte, zurück, und ich kann Dir nun allerlei schicken: Olivenöl (hoffentlich ist es welches), Fleischextrakt und noch einiges.
Zucker gibt es auch hier nur gegen Marke … Am leichtesten bekäme ich eine lebendige Kuh, aber ich glaube, das wäre doch ein umständlicher Besitz für Dich, und Maxe, der Hund, möchte sie gewiß nicht.
Gestern abend kam die freudige Nachricht von der glücklichen Rückkehr der ›Deutschland‹. Ob die erste Probe dieser neuen Verbindung mit der Außenwelt einen großen praktischen Wert hat, kann ich nicht beurteilen. Phantasten pflegen die Bremer Kaufleute nicht zu sein. Aber selbst wenn eine keinen großen Einfluß ausübt, so sollte man doch nicht jeder kräftigen Regung des Unternehmungsgeistes gleich das ›Aber‹ der Bedenklichkeit anhängen. Es kommt doch schließlich sehr darauf an, daß wir uns selbst und der Welt klarmachen, welche Summe von Können in uns steckt. Den Krieg gewinnen wir mit Handels-U-Booten nicht, ebensowenig wie mit irischem Aufstand und Suezkanal-Expeditionen, aber eins kommt doch zum anderen.
Das Neueste ist, daß der Feldmarschall Mackensen ein gemeinsames Heer: Deutsche, Östr.-Ungarn, Bulgaren, Türken gegenüber Rumänien führen soll und nach Sofia geht dazu. Näheres hörte ich noch nicht …«
Dieser Hinweis auf Mackensen eilt den Ereignissen erheblich voraus. Es ist nicht ersichtlich, woher Seeckt die Nachricht gehabt haben kann.
»D. 19. August 1916 … Mein Bursche hatte gestern abend Kaisers Geburtstag gefeiert … Er erschien in der Nacht um einhalb zwei bei mir, weckte mich und frug, wann ich geweckt sein wollte. Er sprach ganz gerührt. Ich antwortete ihm: Jedenfalls nicht um einhalb zwei in der Nacht. Heute ist nun alles wieder alltäglich, dabei sehr heiß und sonst nicht viel zu erzählen. Vielleicht kommt noch ein Brief von Dir, der mich zu Besserem begeistert. Der gestrige Tag ist gegen Erwarten ruhig verlaufen, heute machen sie mir wieder einmal an einer anderen Stelle Sorge, und außerdem kann man mit einem Auge immer nach der ital. Grenze schielen, wo es wieder einmal etwas beklommen ist, nachdem Görz verloren ist … Ich glaube vorläufig noch nicht an ein Weggejagtwerden; weil sie wohl niemand anders als mich haben; denn so ganz einfach ist es nicht. Adieu für heute.«
Der letzte Satz dieses Briefes könnte etwas bitter klingen. Der Tag ist auch nicht gerade leicht. Falkenhayn ist mit allen möglichen Einzelheiten nicht einverstanden, darunter nicht mit dem Abgehen der abgekämpften 117. Division in die Karpaten. Seeckt hat das gewiß nicht gern veranlaßt. Aber leider ist der Russe südlich vom Tartaren-Paß eingebrochen. Niemand bedauert das so wie Seeckt. Er schreibt selbst an Falkenhayn Heeresarchiv Potsdam, Akte 55.: »Mit der Dirigierung der 117. Division zur 7. Armee habe ich den Plan, die Karpatenverteidigung durch Vorstoß nördlich des Gebirges zu führen, wieder zurückstellen müssen. Er bleibt aber lebendig.«
Die Sorge um den Schutz Ungarns und die Befürchtung, die Pässe zu verlieren, zwang Seeckt zu dem veränderten Einsatz der Division. Zum Schluß stellt er erneut das ernste Ersuchen an Falkenhayn, Verstärkungen zu schicken. Falkenhayn drückt, wie gesagt, nur sein Mißfallen über die Verwendung der 117. Division aus. Eine rückschauende Beurteilung muß immer von neuem feststellen, daß Seeckts Führung gerade in diesen Tagen kurz vor dem Wechsel der deutschen O.H.L. Bewundernswertes an kunstvoller Meisterschaft im Beherrschen schwierigster Verteidigung geleistet hat. Es mußte ihn nachgerade verletzen, wenn Falkenhayn dafür wenig Verständnis zeigte. Allerdings sah Falkenhayn, wie er es auch dem Kanzler gegenüber zum Ausdruck brachte, nach wie vor die größere Gefahr im Westen. Das allerdings stimmte mit jenen weitreichenden Offensivplänen, wie sie Seeckt gegenüber Ludendorff geäußert hatte Heeresarchiv Potsdam, Akte Ob.Ost 124., keineswegs überein. Unter Falkenhayns verantwortlicher Leitung konnten sie bestimmt nicht zur Ausführung kommen. Die ungenügende Kräftezuführung brachte aber auch die Verteidigung mehrfach in höchste Gefahr.
In den nächsten Tagen konsolidieren sich die Zustände zunächst etwas. Es mag sein, daß Ludendorff vorübergehend im Interesse der 2. Armee noch Besorgnis äußerte. Der Stellungsbau kommt voran, und Seeckt wird zweifellos immer zuversichtlicher. Die Briefe klingen daher erheblich heiterer.
»D. 20. August 1916 … Die polnische Frage ist nun gelöst, ganz im Sinne des Kanzlers und mit vollem Nachgeben Österreichs. Andererseits auch ein Sieg der Ungarn, im besonderen Julius Andrássys, der vorläufig noch nicht der Nachfolger Burians zu werden scheint, aber doch wohl in Aussicht steht. Daß eine Verständigung erreicht ist, ist sehr gut; über die Form wird man verschiedener Meinung sein können und ruhiger, hätte man mehr Vertrauen zu unseren Politikern. Elsaß-Lothringen schreckt. Na, es ist ja nicht für immer, und künftige Geschlechter wollen auch ihren Polenärger haben. Zunächst bringt es Soldaten.
Einen reizenden Artikel der B.Z. am Mittag bekam ich heute zugeschickt; Linsingen hatte sich von einem amerikanischen Journalisten besuchen und sich den ›Hindenburg des Südens‹ nennen lassen. Ich denke, es ist ein Vorbote, daß dieser Scribifax auch zu uns kommen will. Damit wird er kein Glück haben …
D. 23. August 1916 … Ich war bei der Südarmee (Graf Bothmer), um allerlei zu besprechen und mich nach den Türken zu erkundigen, dann drängte sich noch vieles zusammen, und es war Abend, ehe ich gedacht hatte. Gestern bekam ich einen verspäteten Brief von Heinrich Apponyi … Er schickte ihn mir durch den Grafen Joseph Hunyady, der im Stab Ungarn und im persönlichen Stab Verstand und Ernst vertritt. Bei weitem der beste, Apponyi wollte im September, wenn die Sitzungen des Magnatenhauses vorüber sind, wieder bei uns in das ungarische Freikorps kommen, in dem er schon war, und dessen Führer ich kürzlich direkt das Eiserne Kreuz verschaffte, das einzige, seitdem ich hier bin. Viel Bedauern und viel Freundliches stand in dem Brief, viel von Dir und Ungarns Erwartungen; und es gab gestern abend mit Hunyady noch eine lange leise Unterhaltung, der Graf Berchtold aus der anderen Zimmerecke lang, blaß und bedenklich zusah. Er ist unendlich typisch, aber sehr liebenswürdig und ein amüsanter Gesellschafter, kunstverständig und belesen, aber doch weich … Der junge Herr Erzherzog erzählt, der Kaiser müsse ihn in Wien sprechen; ich glaube, er hat den Zitaterich, was ich ihm nicht übel nehme. Nun hat er nicht den Mut, abzureisen und fragt mich jeden Tag dreimal, ob ich ganz sicher sei, daß in der Zeit nichts passiere, worauf ich ihm dreimal sage, nein, da müsse er den Russen fragen, und ihm dann andeute, seine Gegenwart würde doch nichts ändern. Er hat gewaltige Angst vor den Russen und wünscht sich so sehr einen recht schönen Sieg, wenn gar nichts dabei zu riskieren ist; aber auch gar nichts … Glaube weder an Friedensgerüchte noch an Nachrichten über Rußland; denn Bescheid weiß niemand. Große Lust zu einem dritten Winterfeldzug hat keiner, aber was wird das allen helfen! Wir geben nicht nach. Darüber ein anderes Mal mehr …
D. 24. August … Ein wunderbarer Spätsommertag östlicher Eigenart, nach Morgennebel helle Sonne und kühle Luft – und im Ofen ein leises Feuer. Dazu die erfreuliche Nachricht, daß die ›Deutschland‹ zurück; ich bin noch immer jung und deutsch genug, mein Herz an dergleichen Äußerungen des eigenen Könnens zu hängen und mich über ihr Gelingen mitzufreuen. Mit meiner Auffassung, daß die Tat allein schon ihre Berechtigung in sich trägt, ohne Rücksicht auf den Vorteil, stehe ich verdammt allein – aber jeden Abend Musik: Wien, du Stadt meiner Träume usw.«
Die Briefstelle über die Musik hatte ihre besondere Bedeutung. In diesen schweren Tagen war Seeckt die ständige Tischmusik etwas unangenehm geworden. Sein Gesichtsausdruck mag das einmal verraten haben. Der ihm gegenübersitzende Graf Berchtold bemerkte das und fragte: »Unsere Wiener Weisen scheinen Ihnen nicht zu gefallen?«
Seeckt: »Nein.«
Berchtold: »Welche Melodie würden Sie dann lieber hören? Wir können ja dem Musikmeister sagen lassen, daß er eine Melodie wählt, welche Ihnen, Herr General, besser gefällt.«
Seeckt antwortet mit Nachdruck: »Wenn Sie mir die Wahl überlassen, dann bitte ich um den Hohenfriedberger.«
Es scheint die Frage eines Besuches des deutschen Kaisers an der Heeresgruppenfront aufgetaucht zu sein. Einerseits kann dabei mitgesprochen haben, daß Falkenhayn die Krise um seine Person nicht übersah und auf diese Weise das Zusammentreffen Hindenburgs mit dem Kaiser hinauszögern wollte. Andererseits muß man annehmen, daß sich Falkenhayn allzu optimistisch über die wirkliche Sachlage nicht ganz im klaren war. Seeckt war sich dessen durchaus nicht sicher, daß beispielsweise die 3. Armee nicht doch noch zurückgehen müsse. So fest waren die Verhältnisse noch keineswegs, daß jetzt ein Kaiserbesuch ihm gelegen sein sollte. Trotzdem erwähnt Seeckt im nächsten Brief den Besuch merkwürdigerweise als bevorstehend.
»D. 25. August 1916 … Auch bis hierher verschlagen sich Friedensgerüchte; man rechnet auf einen Ministerwechsel in Rußland, von dem man eine versöhnliche Stimmung erhofft – Botkin heißt der Mann ungefähr und war einmal 1. Botschaftsrat in Berlin. Dann soll auch das Polenmanifest unterbleiben, um nicht zu reizen. Ich glaube noch nicht so recht daran, halte ja aber den Versuch, mit Rußland sich zu verständigen, für den einzig vernünftigen und gangbaren Weg, was ich mir im Januar 1915 dem Herrn Reichskanzler zu bemerken erlaubte und stets verfochten habe.
Mein Erzherzog reiste nun heute nach Wien mit Dunst, der wirklich Glück hat. Dann rechne ich auf allerlei Besuch – aus hohen und höchsten Kreisen. Auf die Entwicklung unten bei den Bulgaren bin ich neugierig; der Himmel hängt wieder einmal voller Geigen. Ein lange vorbereiteter Schlag, der jetzt viel schwerer ist, als er früher gewesen wäre. Ich bin skeptisch, trotzdem ich weiß, daß sie brav sind … Ich lege einen Zeitungsausschnitt bei aus der Neuen Fr. Presse, der mich amüsiert – nicht wegen der Gedankentiefe, sondern wegen des ängstlichen Verschweigens des ›deutschen Chefs‹, wie auch alle etwaigen Bilder, auf denen ich mit dem Erzherzog bin, unterdrückt werden sollen, obwohl deren eine ganze Menge entstanden sind. Es ist schon eine Komödie …
D. 27. August 1916. Welche Freude, Deine lieben Briefe, danke Dir sehr, sehr schön … Heute hielt mich vom Schreiben ein langer Besuch von Sauberzweig, meinem doppelten Vorgänger Als Generalstabsoffizier bei der 4. Div. in Bromberg und als Chef des III. Armeekorps in Berlin., auf. Er sollte allerlei mit mir besprechen, war mit Ludendorff nicht ganz einverstanden, ein unfruchtbares Thema … Er, Sauberzweig, ist jetzt Gehilfe des Gen. Quartiermeisters im Gr.H.Qu. und deutete an, daß er der eigentliche Berater Falkenhayns. Diesem habe ich vorschlagen lassen, er solle einmal hierher in die Nähe kommen, damit ich ihn selbst spräche. Es wäre wirklich ganz gut. Über die Polenfrage scheint er ziemlich in Rätseln gesprochen zu haben. Es soll ein Königreich Polen werden aus dem bisherigen Russisch-Polen (König wird später ernannt), unter Anschluß an das Deutsche Reich als Bundesstaat. Das ist die Bethmannsche Idee; die Österreicher waren für ein Condominium, also noch dummer. Also Sieg Bethmann. Die Ungarn wollten keinesfalls Polen in der Monarchie haben, weil sie das slawische Übergewicht fürchteten – da sind noch kluge Politiker. So zogen sie mit uns an einem Strang. Mir war die Hauptsache die rechtzeitige Einigung. Kam das Manifest der Selbständigkeitserklärung heraus, so konnten und sollten sogleich Soldaten für uns im Land ausgehoben werden. Vorläufig ist das Ganze in der Schwebe wieder, da man sich den Weg der Verständigung mit Russland nicht verbarrikadieren will.
Meine Lösung ist es nicht; dazu schmeckt sie zu sehr nach Theorie und Völkerbeglückung. Doch ist ja noch nicht aller Tage Abend …«
Seeckt muß wohl selbst den Eindruck gehabt haben, als könne Falkenhayn die Lage zu günstig auffassen. Er betont daher in der Lagenbeurteilung vom 26., daß der Russe, vielleicht zur Einleitung einer Operation nach Siebenbürgen, anscheinend versuche, die Pässe in die Hand zu bekommen Heeresarchiv Potsdam, Akte 55.. Verstärkung der 7. Armee sei daher erforderlich, obwohl die Heeresgruppe weiter an eine Offensive mit dem rechten Flügel der 3. Armee denke. Es ist unverkennbar, daß durch den Gang der Ereignisse die Nebenfront der 7. Armee nach und nach zum wichtigsten Teil der Heeresgruppe wird. In diese Offensivabsicht bei der 3. Armee spielt ein Vorgang hinein, der vielleicht von Bedeutung ist und ein Beweis dafür, wie schwierig sich die Gesamtlage durch die Uneinheitlichkeit des Oberbefehls doch gestaltet hatte. Seeckt fragt am 27. 8. bei Falkenhayn an, ob er mit weiteren deutschen Kräften für die 3. Armee rechnen könne. Falkenhayn, der nun bereits mehrfach Verstärkungen abgelehnt hat, ist erheblich gereizt und schreibt an den Rand des Telegramms: »Das Also die Zuführung deutscher Kräfte zur 3. Armee. ist doch kein Entschluß, den Seeckt zu fassen hat.« So ganz unrecht hatte Falkenhayn damit nicht. Tatsächlich war ihm unbekannt geblieben, daß die Anfrage Seeckts durch ein Telegramm Conrads begründet war, wonach dieser zur Entlastung der 7. Armee mit der 3. Armee angreifen möchte Allerdings kannte Falkenhayn Conrads Lagenbeurteilung.. Falkenhayn antwortet an Seeckt in einer ungewöhnlich schroffen Form. Das Konzept ist von Falkenhayns eigener Hand offensichtlich in Erregung geschrieben. Die Anrede ist so formell wie nur möglich gewählt. Worauf Seeckt nach Überweisung von mehr als 5 Divisionen »die Erwartung auf Zuweisung noch weiterer deutscher Truppen zur Heeresgruppe Erzherzog Karl gründe, wisse er nicht Heeresarchiv Potsdam, Akte O 469.«. Jedenfalls verlangt Falkenhayn sofort Aufgabe aller Offensivgedanken, die anrollende 10. bayrische Division sei gegen Rumänien bestimmt und dürfe von der Heeresgruppe nur im äußersten Notfalle angegriffen werden. Diese schroffe Ablehnung aller Offensive war kaum nötig. Wir wissen, daß seit dem 18. 8. Seeckt die Angriffsabsicht durch Einwirkung Ludendorffs aufgegeben hatte. Wenn er trotzdem der Anregung Conrads folgte, so war das an sich selbstverständlich und lag seiner ganzen Natur nach in dem ständigen Angriffsstreben Seeckts.
Man kann vielleicht ein Mißverständnis als Erklärung für Falkenhayns Schroffheit annehmen. Seeckt hatte anfangs an eine Offensive der 7. Armee gedacht und zu lange daran festgehalten. Jetzt aber schlug er eine Offensive der 3. Armee vor, um die Verteidigung der 7. Armee zu stützen. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß Falkenhayn es so empfand, als käme Seeckt nur auf seine alten Offensivgedanken zurück. Alle Schärfe Falkenhayns hindert Seeckt nicht, noch am gleichen Tage unbekümmert und unbeirrt Ludendorff mitzuteilen Heeresarchiv Potsdam, Akte 55., »die Heeresgruppe hielte ihre deutschen Reserven noch bereit, auch für einen Vorstoß nördlich der Karpathen. Dieser sei in Aussicht genommen, wenn es möglich sei, für ihn alle Kräfte zusammenzufassen«. Jedenfalls ist anzunehmen, daß Seeckt schon in diesen Tagen den Wechsel in der O.H.L. als unmittelbar bevorstehend angesehen hat Es muß auffallen, daß Seeckt in den letzten Tagen Lagenbeurteilungen nicht an den Chef des Generalstabes des Feldheeres, sondern an Ludendorff gibt oder lediglich mit Conrad verhandelt. Nach Bd. XI des Weltkriegswerkes, S. 364, hat Seeckt über die Lage bei der Südarmee der O.H.L. gemeldet, vor beiden Flügeln der Südarmee sei erneutes Zusammenschieben feindlicher Kräfte festzustellen. Tatsächlich ist sogar diese Meldung lediglich eine Mitteilung an Ludendorff gewesen.. Unter dieser Voraussetzung war eine Mitteilung allerdings notwendig, sobald man auch nur entfernt den Offensivgedanken wieder streifte. Seeckt konnte voraussetzen, daß nach dem vorausgegangenen Briefwechsel Ludendorff verstehen würde, es sei an einen Angriff nur gedacht, falls die Umstände es zuließen. Es war dabei nicht unwichtig, daß Ludendorff nicht mit russischen Angriffen gegen die 2. und Südarmee rechnete. Dort hätten also vielleicht Kräfte für die Offensive der 3. Armee freigemacht werden können.
Merkwürdigerweise hat Seeckt das andere Ereignis, die Kriegserklärung Rumäniens, nach seinen eigenen Worten »vollkommen überrascht«. Es kann sich dies wohl nur auf den Zeitpunkt selbst beziehen, zumal von zuständiger Seite ganz zuletzt noch Hoffnungen auf Neutralität geäußert worden waren. Allerdings kann man sich kaum vorstellen, daß Seeckt noch an einem Offensivgedanken festgehalten hatte, wenn mit einer rumänischen Kriegserklärung zu rechnen war. Aussicht auf Erfolg hätte solche Offensive dann nicht mehr gehabt, und dies um so weniger, als wenige Tage danach es zu einem schweren Rückschlag bei der Südarmee kam.
Auf dem rechten Flügel der 7. Armee macht sich bereits mit dem Antreten der Rumänen die Gefahr recht deutlich fühlbar, und es gelingt noch gerade, rechtzeitig eine Umfassung durch den Einsatz einer Kav.Division zu verhindern. Wenn in Pleß Falkenhayn mit Conrad eine Kräfteverschiebung nach dem nunmehr von Russen und Rumänen gemeinsam bedrohten Flügel bespricht, so legt man dabei nichts anderes fest, als was Seeckt mit bemerkenswertem Geschick inzwischen selbst schon angeordnet hat. Er blieb sich der gleiche. Hatte man dem alten Ia in Stettin seiner Zeit nachgesagt, daß ihn so leicht nichts überrasche, so hatte er auch hier bereits vorgesorgt, wobei man zugeben muß, daß in seiner Lage jetzt zu jeder Kräfteverschiebung eine erhebliche Kühnheit gehörte, die man niemals übersehen darf. Von diesem Wechselspiel der Überraschung und Nichtüberraschung spricht auch der Brief vom 28. August 1916:
»... Die gestern neun Uhr abends ausgesprochene Kriegserklärung überraschte vollkommen in allen Kabinetten und großen Hauptquartieren. Noch am Nachmittag war man in Wien ganz sicher, der Erzherzog erfuhr es von mir, als er heute morgen hier ankam. Glücklicherweise waren wir nicht ganz so vertrauensselig und haben vorbereitet, was zu machen war und sind auch in der Nacht nicht ganz müßig gewesen. Immerhin eine ganz neue und nicht ganz leichte Lage, wenn ich diesem neuen Feind auch nicht viel zutraue. Ich hatte so die Ahnung, daß es jetzt losgeht, weil Rumänien auch etwas über Friedensmöglichkeiten mit Rußland gehört hatte und demnach wohl den letzten Moment für gekommen hielt, wollte es nicht ausgeschaltet sein. Ich bin nun begierig, was Bulgarien macht, dem Rumänien wohl nicht den Krieg seinerseits erklärt haben wird. Daß nun auch Italien sich zur formellen Kriegserklärung an uns entschlossen hat, ist weniger interessant; nach seiner Beteiligung in Saloniki war es natürlich und ändert gar nichts. Es erschwert nicht einmal den Friedensschluß, so absurd es klingt. Ich warte nun noch nähere Weisungen ab, die merkwürdig spät kommen, wohl wegen der vorher nötigen Vereinbarungen mit Pleß; denn helfen müssen wir natürlich.
Wahrscheinlich kommen in nächster Zeit große Änderungen in dem Gesamt-Kommando heraus, im Sinne einer großen Einigkeit und Einheitlichkeit. Näheres möchte ich dem Papier nicht anvertrauen. Davon würde auch mein Erzherzog berührt, der vielleicht nicht bleiben würde – ich ahnte schon dergleichen. Billige Lorbeeren sind nicht zu holen, und man kann zugeben, daß er bei dem Alter des Kaisers eigentlich an die Zentralstelle gehört. Außerdem bedrückt ihn und alle der deutsche Chef doch sehr, und so denke ich, er benutzt einen Vorwand, um sich der Sache zu entziehen. Wen ich dann bekomme, ahne ich nicht; vielleicht wird alles geändert und ich bekomme auch noch eine andere Verwendung, es wird sich wohl in den nächsten Tagen entscheiden.
Also viele Neuigkeiten und darum wenig Zeit, deshalb nur Gruß und Kuß.«
Die Besprechung Conrads mit Falkenhayn verlief nicht ohne einen Kompetenzstreit. Es muß dies wie eine historische Ironie wirken. Als Falkenhayn zur O.H.L. zurückkam, fand er nämlich eine Lage vor, die seinen Rücktritt unvermeidlich machte. Er hatte als Vertreter der deutschen O.H.L. soeben zum letzten Male mit Conrad gesprochen. Am 29. August ging die Führung der Obersten Heeresleitung auf Hindenburg und Ludendorff über, Seeckt begrüßt in Briefen den Wechsel.
An Landesdirektor v. Winterfeldt:
»Den Personalwechsel in der Heeresleitung habe ich von dem Standpunkt aus begrüßt, daß er Reibungen aufzuheben scheint, die wir nicht brauchen können. Die feste, ruhige und sachliche Art des Feldmarschalls v. Hindenburg muß bei jedem Vertrauen erwecken; er ist vor allem vom besten Preußentum, das in dieser Form aller Welt meist widerstrebende Achtung abzwingt – und Furcht …«
An Frau v. Seeckt:
»D. 29. August 1916 … Ich warte geduldig, was der Tag in Gestalt des bärtigen Majors Frantz bringen wird. Viel Schönes wird es nicht sein. Die Siebenbürgen-Front, auf der die Rumänen lustig einmarschieren, geht mich übrigens direkt nichts an. Unter diesen Verhältnissen ist mir das auch ganz lieb; denn es wäre schwer, von hier auf sie Einwirkung zu nehmen. Ich weiß überhaupt wieder einmal ganz besonders wenig, wie es eigentlich werden soll, und habe, unter uns gesagt, auch nur beschränktes Vertrauen zur Gesamtleitung. Diese ewigen persönlichen Rücksichten und Reibungen verderben uns zu viel, wenn da nicht bald Wandel geschaffen wir … Der gewünschte Wandel und die Einheit scheinen ja im Werden. Eben, d. h. vor einer Stunde, bekam ich von Ludendorff die Nachricht, daß Hindenburg Chef des Generalstabes und er 1. Quartiermeister geworden sei als General d. Inf. Und Falkenhayn? Und manche andere Frage. Wenn das so weitergeht, sind die Tage ereignisreich. Die Entwicklung ist mir verständlich. Ich glaube, es hängt mit einer weiteren Unterordnung der Österreicher zusammen, die bereitgewesen sein werden, sich unter den Feldmarschall (H.), nicht unter F. zu stellen. Ist das richtig, so fällt er für eine gute Lache. Einigkeit und Klarheit tat uns dringend not.
Wie Du siehst, weiß ich selbst noch nicht mehr bis zu dieser Stunde. Aber überraschende Dinge passieren täglich. Ich habe eine Stunde auf die Neuigkeit hin geschlafen und werde nun weitersuchen, meine Schuldigkeit zu tun …«
Wenn Seeckt nur beschränktes Vertrauen zur Gesamtleitung Also das Nebeneinander der beiden O.H.Leitungen. ausspricht, so meint er natürlich die Vergangenheit. Einer Erläuterung bedarf der Satz, Rumänien ginge ihn direkt nichts an. Die Befehlseinteilung war so, daß die k.u.k. 1. Armee dem A.O.K. in Teschen unmittelbar unterstellt wurde. Damit behielt die Heeresgruppe Erzherzog Karl allerdings nur das äußerste Nordende der rumänischen Front. Dies aber behielt sie immerhin. Seeckt hatte nicht unrecht, wenn er behauptete, daß man an manchen Stellen durch die rumänische Kriegserklärung überrascht sei. Es ist ein Hughes-Gespräch erhalten, in dem ein österreichischer Offizier bei Ob.Ost der Ansicht Ausdruck gibt, »die rumänische Kriegserklärung habe sowohl die österreich-ungarische Regierung als auch die deutsche Reichsleitung vollkommen überrascht«. Dies Hughes-Gespräch gibt alsdann die Auffassung über den Wechsel in der O.H.L. wieder: »Falkenhayn wackelte bereits lange. Schon der große Fehlgriff Verdun hatte ihm Vertrauen gekostet. Hindenburg schrieb schon vor Wochen, man müsse in Siebenbürgen mit starken deutschen Kräften Rumänien von einer unüberlegten Kriegserklärung abhalten. Falkenhayn aber wollte seine Kräfte von Verdun nicht lösen … Seitdem Ludendorff in Pleß regiert, ist ein neuer Geist eingezogen. Große Entschlüsse werden in kürzester Zeit gefaßt und sofort und ganz durchgeführt.«
Der österreich-ungarische Militärbevollmächtigte im deutschen Hauptquartier hat etwas später über den Fortgang Falkenhayns berichtet. »Die Ursachen wurzelten in Falkenhayns eigenem Wesen Die Worte sind zur Kürzung etwas umgestellt, ohne den Sinn zu ändern. Man mag manches hiervon heute anders sehen. Der Bericht zeigt, wie man damals diese Dinge beurteilte.. Daß die öffentliche Meinung nach Hindenburg rief, war längst kein Geheimnis mehr. Falkenhayn konnte sich nie durchsetzen. Die Öffentlichkeit hat seine unleugbar großen Verdienste nach Antritt der Erbschaft Moltkes niemals gewürdigt. Falkenhayn sah dies selbst, blieb aber gegen Ratschläge, etwas zur Hebung seiner Popularität zu tun, verschlossen. Griff dann den Gedanken der Verdun-Aktion auf in der sicheren Hoffnung, Frankreich überraschend schnell zu beugen. Die Aktion stockte bald. Gleichzeitig traten die Ereignisse im Osten ein. Alle diese Faktoren ließen den Ruf nach Hindenburg noch lauter ertönen. Daß sich Falkenhayn mit seiner Willensstärke wehrte, ist selbstverständlich. Bei dem Gedanken, Hindenburgs Kommandogewalt im Osten auszudehnen, tritt zum erstenmal der Reichskanzler auf, indem er den Kaiser rückhaltlos über die öffentliche Meinung orientiert. Als der Kaiser auf Anregung des Kanzlers nach Pleß fuhr, hatte Falkenhayn die Partie verloren. Es kam zur bekannten Regelung der Verhältnisse im Osten, und im ersten Moment hatte es den Anschein, als säße Falkenhayn wieder im Sattel, obwohl bei ihm selbst seine Frische und Sicherheit nicht wiederkehrten. Falkenhayn scheint gefühlt zu haben, daß er etwas Neues brauche, um sich zu festigen, und lancierte das Schlagwort der einheitlichen Obergewalt über alle Verbündeten unter S.M. dem deutschen Kaiser. Die öffentliche Meinung kam nicht zur Ruhe. Der Kanzler stand im Kampf mit der U-Bootfrage. In diesem Kampf fiel Tirpitz über Bord. Damals war Falkenhayn allmächtig. Es war seine große Stunde. Aber der sonst so klare willensstarke Mann, der so oft durch Einsatz auf eine Karte alles gewettet hatte, versagte diesmal. Er wollte sich nicht exponieren und setzte sich zwischen zwei Stühle. Der Kanzler hat ihn einfach als reife Beute der öffentlichen Meinung hingeworfen.
Die militärischen Ursachen lassen sich so zusammenfassen. Kein positiver Erfolg. Der zukünftigen Entwicklung des Krieges konnte man nur ein stets wachsendes Fragezeichen gegenüberstellen. Seine Enthebung ist daher zur Naturnotwendigkeit geworden und alles, was drum und dran hängt, sind Begleiterscheinungen nebensächlicher Art. Wie immer ist es dann natürlich so, daß der in gewissem Sinne große Mann nicht wegen seines größten Fehlers, sondern aus Anlaß der vielen kleinen Nebenerscheinungen fällt. Er war in letzter Zeit deutlich überarbeitet und hatte zu viele Fäden in seiner Hand vereinigt. Die täglich wachsende Menge aller Faktoren konnte den Geburtsort freierer großzügiger Ideen nicht unbeeinflußt lassen.
S.M. dem Kaiser ist die Entscheidung sehr schwer gefallen.«
Conrad drängt immer wieder auf Offensivgedanken. Wo man sich mit Vorstößen helfen kann, geschieht das. Aber im ganzen lebt man völlig von der Hand in den Mund. Um die Monatswende August/September ist der rechte Flügel der Südarmee schon wieder einmal gefährdet. Seeckt sieht die Lage sehr nüchtern und schließt seine Lagenbeurteilung am 31. 8. Heeresarchiv Potsdam, Akte O 469. mit dem erst nachträglich gemachten Zusatz: »Die ursprüngliche Absicht, durch Gegenstoß die Lage wiederherzustellen, mußte fallen gelassen werden, weil sich die Einbruchsstelle zu schnell erweiterte.« Diese absolut mit den Tatsachen und nicht mit Wunschgedanken arbeitende Auffassung drückt sich noch deutlich in der Lagenbeurteilung vom 1. 9. aus: »Die Heeresgruppe ist bestrebt, in erster Linie einen weiteren Einbruch am rechten Flügel der Südarmee zu verhindern. Dazu ist der größte Teil der Reserven eingesetzt. Eine sichere Gewähr für Abwehr der russischen Angriffe kann nicht übernommen werden. Die Heeresgruppe hat die jetzige Gruppierung ihrer Kräfte vornehmen müssen, obwohl damit für den dünnen rechten Flügel der 3. Armee keine Reserven übrigbleiben. Ebenso hat sie für den linken Flügel der Südarmee keine Kräfte mehr verfügbar gegen den dortigen mehr lokalen Einbruch. Die Heeresgruppe erkennt ihre augenblickliche Aufgabe im Halten und im Verhindern eines russischen Durchbruches.« Man merkt es fast den Worten an, wie schwer es Seeckt wird, in der Defensive seine Aufgabe zu sehen. Daß er aber damit recht hat, unterliegt keinem Zweifel. Auch Ludendorff weiß, daß die Krise noch nicht endgültig überwunden ist, daß noch Rückschläge möglich sind, die ja denn auch tatsächlich nicht ausbleiben. Nimmt man nun noch die Gefährdung durch Rumänien hinzu, so kann man schon anerkennen v. Werkmann., daß es »Stunden qualvollster Spannung in Chodorow sind«. Fast scheint es so, als wenn Seeckt in den Briefen Entspannung sucht:
»D. 30. August 1916 … Gestern kam ich bei den großen Neuigkeiten gar nicht zum Dank für die lieben Briefe. Ja, der Erzherzog ist der, welchen sie in Bayern witzig ›Leopold Doppelbock‹ nennen, weil sie behaupten, der Name ›Salvator‹ gehöre ausschließlich der Paulaner Brauerei Die in der Fastenzeit das Salvatorbier ausschenkt.. Er hat elf Kinder und war wirklich sehr nett.
Was mag wohl Wrisberg zu den neuen Verhältnissen sagen, ich möchte ihn jetzt gern sprechen; ich glaube, er denkt wie ich.
Ebenso habe ich schon mit Ludendorff telephoniert, rein sachlich, ohne ein Wort über die neue persönliche Lage. Es scheint mir danach, daß weitere Kommandoverschiebungen vorläufig nicht stattfinden werden. Prinz Leopold (von Bayern) als Ober-Ost hatte ich vorausgesehen, es konnte kaum anders gemacht werden. Aber Hoffmann als Chef bei ihm begrüße ich weniger. Wetzell soll Tappens Nachfolger geworden sein; was mich für ihn freuen würde, und bei seiner großen Arbeitskraft paßt er auch gut in die Stellung …
D. 31. August … Die Ereignisse nehmen ihren Fortgang, sachlich und persönlich. Im Westen drei Fürstengruppen (Württemberg, Bayern, Preußen), im Osten zwei (Bayern und Österreich). Nur der Feldmarschall M. ›verdirbt vorläufig noch die Fassade‹. Ich weiß nicht, warum nicht Bulgarien den Anspruch erhebt, auch seinen Kronprinzen führen zu lassen. Wem Siebenbürgen zufällt, ist noch zweifelhaft, vorläufig den Rumänen! Man überlese nicht, daß Seeckt selbst in solcher Lage zu scherzen versteht. …
Später. In dem Augenblick erschien Gräser und erklärte, die Pferde stünden vor der Tür. Natürlich gehorchte ich und bin bei glühender Sonne im nahen Wald eine Stunde geritten; es passierte nicht allzu viel in der Zeit, aber sonst ist heute wieder ein unruhiger Tag, an allen Ecken und Enden brennt es …
D. 1. September … Viel wird es heute nicht werden, denn von Krieg und Kriegsgeschrei mag ich Dich nicht unterhalten und anderes erlebe ich nicht … Aber wo in aller Welt magst Du stecken? An mich denken wirst Du schon, nicht wahr? Doch ich auch an Dich, wahrhaftig.
Von draußen tönt lautes Mädchenlachen, es sind polnische Dirnen, welche die Straße säubern sollen und sich jubelnd damit amüsieren, mit ihren Kratzern und Besen einen alten Juden im Kaftan zu verfolgen, der sich nicht vor ihnen zu retten weiß …«
Gleich die ersten Tage des Septembers zeigen, daß sowohl Ludendorff wie Seeckt in seiner Meldung an Ludendorff vom 1. 9. Heeresarchiv Potsdam, Akte 55. recht hatten, wenn sie mit Rückschlägen rechneten. Eben noch war die Sorgenstelle die Südarmee. Seeckt nimmt übrigens in seiner Meldung an Ludendorff das Oberkommando der Südarmee ausdrücklich gegen alle Vorwürfe in Schutz, die etwa über dessen Führung gemacht werden sollten. Aber es ist bereits am nächsten Tage leider nicht mehr die Südarmee allein. Die Lage bei der 7. Armee spitzt sich erneut zu. Seeckt macht sich darum insbesondere erhebliche Sorge und spricht sie auch der O.H.L. gegenüber offen aus, weil er nun wieder keinerlei Reserven in der Hand hat. Man muß sich einmal vorstellen, was es heißt, wenn ein Heeresgruppenchef um Teile einer Division, nämlich der 10. bayrischen Inf.Div., bitten muß. Es kommt noch hinzu, daß die Lage auch auf dem rechten Flügel der 2. Armee recht schwierig geworden ist. Man sieht es den von Seeckt geschriebenen Lagenbeurteilungen an, daß sie in Erregung mit einer ganz ungewöhnlichen Zahl von Verbesserungen und Durchstreichungen geschrieben sind.
Der 3. 9. bringt dann auch einen nicht unerwarteten schweren Rückschlag auf dem rechten Flügel der Südarmee, die hinter die Zlota Lipa und später sogar noch weiter zurückgenommen werden muß. Man kann dem Brief vom 3. 9. anmerken, daß er im Zorn geschrieben ist, und auch der nächste ist noch grimmig genug.
»D. 3. September … Ein Sonntag, aber kein stiller; diese Russen kennen keinen Anstand und arbeiten auch sonntags. Da sind die Österreicher bessere Christen, die gehen dann solchen Dingen lieber aus dem Weg, d. h. heute haben sie sich an zwei Stellen ganz anständig betragen. Vorgestern haben sie die Kleinigkeit von 15+000 Mann eingebüßt und auch einige Bataillone von uns sind stark beschädigt. Es herrscht schon oft eine gefährliche Stimmung bei unseren Leuten, die nicht mehr neben Leuten fechten wollen, die davonlaufen. Die rumänischen Truppen, d. h. die der k. u. k. Armee, sind auch nicht zuverlässiger geworden nach der Kriegserklärung … Da kann man immer wieder neue durcheinander stecken wie ein Spiel Karten und hat doch immer die falschen in der Hand. Die eigenen Deutschen sind die reine Feuerwehr und noch dazu mit Kraftwagen, um bald da, bald dort zu löschen. Wenigstens hat der neue Chef Ludendorff. Verständnis für diese Art der Kriegführung, da er ihre Gründe kennt und ihre Schwierigkeiten am eigenen Leibe erfahren hat.
Eben kam Dein lieber kleiner Brief vom 30. Nein, mein Katz, bange machen gilt nicht, es ist alles nicht so schlimm, und alles hat auch sein Gutes. Und Persönliches gilt erst recht nicht in dieser Zeit. Später kann man wieder dem eigenen Ich – und der Katz, was dasselbe ist, leben; dabei bleibe ich doch, der ich bin und war, schon ehe äußere Erfolge und Ehren kamen …
D. 4. September... Mein früherer Mitarbeiter und persönlicher Gegner, der Chef des Generalstabes Jostow, starb plötzlich an einer auffallenden Blinddarmentzündung. Man ist etwas skeptisch gegen diese Vorfälle am Balkan. Ganz klar sind mir dort die Verhältnisse nicht, doch gehen sie mich ja auch direkt nichts mehr an.
In Ungarn herrscht große Erregung gegen ihre Oberste Heeresleitung wegen der mangelnden Vorbereitungen und der Preisgabe Siebenbürgens. Deutschland habe die Konsequenz gezogen und F. beseitigt, außerdem glauben sie – mit Recht – ihren Veröffentlichungen nicht und fragen: ›Wo ist eigentlich die österreichische Armee? Wir hören nur von den Deutschen.‹ Das alles in der zum Teil durchaus regierungsfreundlichen Presse, also von Tisza zugelassen oder angeregt. Läßt man es zum Kampf kommen, so ist er der Stärkere und Conrad folgt Falkenhayn, was, vom Standpunkt der Einheitlichkeit aus gesehen, kein Schade wäre. Tisza ist der einzige Mann in der Monarchie von wirklicher Kraft und rücksichtslos genug, sich durchzusetzen. Zeit wäre es, diese innerlichen Reibungen auszuschalten. Jetzt sieht es so aus, als sei die Entente einheitlicher als wir geleitet, militärisch und diplomatisch. Hoffentlich behalten sie unsere Diplomaten ganz in Rumänien … Es ist der reine Witz. Rumänien sagt, nach den internationalen Bestimmungen seien die Diplomaten über eine ›neutrale‹ Grenze abzuschieben, es habe aber keine. Der östr. Gesandte Graf Czernin gilt hier einmal für den Dümmeren der beiden Vertreter von uns. Der alte Kaiser hat zu seinem Schwager, dem Fürsten Montenuovo, als Obersthofmeister der erste Mann im Stabe, gesagt: ›Sehr ein lieber Mensch, Ihr Schwager, aber sehr ein schlechter Diplomat‹ –. Aber er blieb doch dort. Ich habe diese kleine Geschichte vom Erzherzog, mit dem ich mich zu streiten pflege, wer von uns die unfähigeren Diplomaten habe. Tatsache bleibt die völlige Überraschung unserer Kabinette, die Bratianu für einen Ehrenmann hielten und den König für einen Hohenzollern. schlimmer sind wir nie eingewickelt worden. Wer waren die Dummen? Wir Soldaten, die nach den täglichen Meldungen uns sagten, diese Mobilmachungsvorbereitungen bedeuten unbedingt den Krieg. ›Aber nein, woher dann, gehen S' mit Ihna Ihrer Schwarzseherei – unsere Gesandten haben die vertrauenswürdigsten Versicherungen erhalten‹ – – ja wohl, Herr Graf Berchtold.
Aber die Heeresleitungen? Ich frug Conrad an dem viel photographierten Tag: Was denken Sie sich eigentlich von der Siebenbürgischen Front? Wir haben ja nichts dort. Was soll denn hin? Er meinte, das müsse man erst dann sehen, er wisse nicht, was F. geben wolle, und außerdem glaube er nicht, daß Rumänien anfange Vielleicht ist dies ein Mißverständnis. Conrad hatte eigentlich im Gegensatz zu Falkenhayn dauernd auf die rumänische Gefahr hingewiesen.. – Es wird ja auch das schon wieder in Ordnung kommen, aber schönes und noch dazu deutsches Land ist verlorengegangen. Hermannstadt und Kronstadt geräumt …«
Es ist recht schwer, wenn man nur die großen Ereignisse wiedergeben kann, die tagtägliche Beanspruchung der Nerven und der Seele eines führenden Mannes in einem solchen Kampf zu schildern. Für Seeckt kamen gewiß oft noch Belastungen hinzu, die an sich überflüssig aus dem Zustand der Befehlsverhältnisse sich ergaben. Seeckt hatte unmittelbar bei Ludendorff zwei deutsche Generalkommandos beantragt. Conrad moniert das in einem ziemlich scharfen Telegramm Heeresarchiv Potsdam, Akte 58.. Seeckt wendet sich sofort vertrauensvoll an Ludendorff: »Ich nehme an, daß sich hierdurch an der unmittelbaren persönlichen Fühlungnahme nichts ändert. Ebenso betrachte ich meine Lagenberichte als nur für E. E. bestimmt. Sie gehen nicht nach Teschen.«
Die Arbeitskraft Seeckts in diesen Tagen ist erstaunlich. Er gibt eingehende Befehle über den Stellungsbau und die Führung der Verteidigung Heeresarchiv Potsdam, Akte Südarmee 37 4.. Auch hier muß man wieder bewundern, daß alle diese Grundsätze, gewachsen in der alten Schule, uns völlig modern anmuten. Daneben aber beschäftigt er sich mit österreichisch-ungarischen Balkanfragen, bei der er sogar eine Einwirkung des deutschen Kaisers erwartet. Es mag sein, daß dabei der Erzherzog Karl eine gewisse Rolle spielt. Im übrigen aber ist zuzugeben, daß sich mit der Frage damals auch andere höhere Stäbe beschäftigten. Die Person des deutschen Kaisers mußte insofern eine Rolle spielen, als in diesen Tagen, am 6. 9., die Verhandlungen über den Oberbefehl des deutschen Kaisers in Pleß zum Abschluß gelangten und unterzeichnet wurden.
Um all dies kümmert sich Seeckt noch in Tagen, in denen genug auf ihm lastet. Die Lage am Tartarenpaß ist schwierig. Seeckt muß auch Ludendorff gegenüber bekennen, daß das österreichische Material anfängt, schwere Mängel und Abnutzung zu zeigen. Die nächsten Briefe sprechen davon, wie unsicher Seeckt die Lage noch auffaßt.
»D. 5. September … In einem netten Brief bedankt sich Frau von Waldow für das Geburtstagsgeschenk für ihren ersten Sohn, der am 26. August ein Jahr wurde 1915 Einnahme von Brest Litowsk; an diesem Tage wurde ihr der erste Sohn geboren. … Dieses Mal kann ich ihr leider nicht eine eroberte Festung zu der Gelegenheit schenken – leider im Gegenteil. Es geht heute nicht hübsch bei uns …
D. 7. September … Sehr sicher sieht es hier nicht und alle Welt faucht und schimpft bis zu den höchsten und allerhöchsten Stellen … F. bekommt eine Armee, und zwar die gegen den neuen Feind. Mir haben sie meinen bisherigen Gehilfen, den Major Frantz fortgenommen, etwas rücksichtslos, der neue Stil. Ich hatte mich nun an Frantz gewöhnt; denn er war ein ungewöhnlich tüchtiger und fleißiger Mann. Ich bekomme einen Major v. Willisen, den ich kenne und der sehr gelobt wurde, im Frieden und im Krieg.
Ich hatte zuerst die Auffassung, man finge mit dem Ia an und führe mit dem Chef fort, was ich über kurz und lang doch erwarte, muß aber zugeben, daß ich zunächst keine Veranlassung habe, es so aufzufassen … Mein Erzherzog erklärte mir sofort, ›Gehen Sie, so gehe ich auch‹, und sagte viel Freundliches und Herzliches. Vorläufig ist es noch nicht so weit …« In dieser Briefstelle findet sich eine Art Erläuterung aus sehr viel späterer Zeit. Im Dezember 1926 brachte eine österreichische Zeitung einen Auszug aus dem Nachlaß des Generaladjutanten Generalobersten Baron Bolfras:
»... Im übrigen soll hier gesagt sein, daß sich General v. Seeckt, über dessen ausgesprochene politische Begabung kaum mehr ein Zweifel herrschen kann, im Rahmen seiner durch die deutschen Dienstvorschriften stark fundierten Stellung gegenüber dem Erzherzog sicherlich größter Höflichkeit und Rücksicht befleißigte. Aber zu der einen Tatsache, daß der Generalstabschef in der deutschen Armee weit mehr Befugnisse hatte als in der österreichisch-ungarischen, kam noch die zweite, daß deutscherseits die Prinzen lange nicht so der allgemeinen Offiziershierarchie entrückt waren wie in Österreich-Ungarn, wo sie durch die Gesetze des spanischen Zeremoniells und des Hofranges von einer Atmosphäre der Unnahbarkeit umgeben wurden, und daß auch in dieser Richtung der Ton des Generals v. Seeckt bei aller Ehrerbietung erheblich weniger förmlich gehalten war, als der eines österreichisch-ungarischen Stabschefs gegenüber einem Erzherzog. Wohl ist es charakteristisch, daß sich Karl Franz Joseph persönlich kaum jemals förmlich über Seeckt beklagte. Conrad gegenüber betonte er sogar, er verstünde sich mit seinem deutschen Gehilfen ganz gut. Aber die Berichte, die der kaiserliche Generaladjutant aus Chodorow erhielt, klingen denn doch anders. So heißt es in einem Briefe vom 16. August 1916: ›... Generalmajor v. Seeckt ist eigentlich der allmächtige Beherrscher der Lage, es ist leider nicht preußische Art, die Vorzüge einer derartigen Stellung nicht auszunutzen. Die einzige Stelle, die auf die Heeresgruppe Einfluß ausübt, ist Mézières; Teschen ist so gut wie ausgeschaltet … Die wiederholt auftauchende brüske Art der Deutschen … wirkt auch sicher ungünstig auf manchen Führer …‹
Die Machtstellung Seeckts als Vertrauensmann der Heeresleitung hat dann allerdings nach Anschauung von v. Bolfras durch die Berufung Hindenburgs und Ludendorffs einen starken Stoß erlitten. Am 31. August wird berichtet:
»... Man will wissen, daß das Verhältnis zwischen General Ludendorff und General v. Seeckt nicht das beste sei, während Falkenhayn und Seeckt sich recht gut verstanden haben …‹
Und in einem Bericht vom 16. September 1916 heißt es:
›Das Verhältnis zwischen dem Generalstabschef der Heeresgruppe und dem General der Infanterie Ludendorff kann überhaupt nur als ein schlechtes bezeichnet werden … General v. Seeckt dürfte auch selbst das Gefühl haben, daß man bei der Obersten Heeresleitung mit seiner Tätigkeit nicht zufrieden ist, meldete er doch Seiner k. u. k. Hoheit gelegentlich der Abtransferierung des Majors Frantz, daß nunmehr er der nächste sei, der an der Tour zur Enthebung wäre. Der Herr Erzherzog soll zwar in der liebenswürdigsten Art erwidert haben, daß er sich selbst gegebenenfalls mit seiner ganzen Persönlichkeit für seinen Generalstabschef einsetzen wird und bei einer eventuellen Entfernung Höchstsich mit seinem Stabschef solidarisch erklären würde; immerhin kann man es sich nur schwer vorstellen, daß Seine k. u. k. Hoheit im gegebenen Fall der deutschen Obersten Heeresleitung gegenüber eine wirksame Stütze für Generalmajor v. Seeckt wäre.‹
›Die Unzufriedenheit des Generals der Infanterie Ludendorff mit der Tätigkeit des Generals v. Seeckt‹, heißt es in dem Bericht weiter, ›äußert sich übrigens auch sichtlich in der Art der Einwirkung des Großen Hauptquartiers; …‹
Zu diesem Bericht wäre zu sagen, daß die Stellung Seeckts lange nicht so erschüttert war, als sie der Berichterstatter sah … Wohl aber ist bekannt, daß Seeckt ein Mann Falkenhayns gewesen ist und von Ludendorff schließlich doch in die Türkei verschickt wurde, wo er das Kriegsende erleben sollte.«
Soweit die österreichische Zeitung. Daß Seeckt ein Mann Falkenhayns gewesen wäre, stimmte für diesen Zeitpunkt sicher nicht. Die Entsendung nach der Türkei hat mit diesen Vorgängen überdies ganz gewiß nichts zu tun. Er ist bestimmt nicht »verschickt«.
Der Brief Seeckts vom 7. 9. geht dann weiter: »Noch ist es früh und das Geschäft noch nicht losgegangen. Gleich wird man mit den ersten Schreckensnachrichten erscheinen. Dazu das herrlichste Wetter, Sonnenschein und leichter Wind, so ganz Verschwendung der Natur für mich. Ist es aber bei Dir ähnlich, so will ich froh und dafür dankbar sein; hier kann ich nichts mit ihm anfangen, ich muß höchstens reiten. – Und das tat ich denn auch von einhalb elf bis einhalb zwölf und empfand Sonne und Wind beim langen Galopp über die Felder doch recht wohltuend.
Im Berliner T. stand kürzlich wieder einmal ein Artikel über uns – dieses Mal nicht vom Herrn Ludwig. Der ›Chef mit dem englisch gestutzten Schnurrbart und dem eine Gesichtshälfte einseitig betonenden Monokel‹, kam darin vor, er stand am Fenster und diktierte mit akzentuierter Stimme in die Schreibmaschine – war aber nach dem ganzen Zusammenhang ein Österreicher! In einer deutschen Zeitung! Weiter wie bis zum Gitter war übrigens dieser Herr auch nicht zu uns gekommen, was er zugeben mußte, dann hatte er nur auf dem Bahnhof Türken gesehen.
Eben kommt die Meldung von der Einnahme von Silistria mit 10+000 Gefangenen. Einmal wieder etwas Gutes und noch dazu von der Armee Mackensen, was mich doch besonders freute. Die Wiener Zeitungen erscheinen halbweiß. Sie müssen also recht Unfreundliches über Siebenbürgen bringen. Nun soll es mit Silistria wieder nicht wahr sein und bei den Gefangenen eine Null zu viel … Sonst kann ich meinem lieben Katz in diesem oft unterbrochenen Brief nichts melden. Schluß. Nun kam eben die dritte Nachricht, zwar nicht Silistria, aber Trotokaya Tutrakan. und 24+000 Mann mit 400 Offizieren! Es lebe der Feldmarschall! …«
Nun darf man die Dinge nicht so ansehen, als wenn Seeckt etwa pessimistisch geworden wäre. Zur selben Zeit, als diese Briefe abgehen, berichtet er Heeresarchiv Potsdam, Akte 55. an Ludendorff: »Es ist zu hoffen, daß mit Hilfe der eintreffenden 3. Garde-Division die neue Stellung gehalten wird, wenn sie auch Schwächen hat.« Seeckt verliert selbst in schwierigster Lage die Zuversicht kaum. Aber die Worte lassen auch die Schwere der Krise erkennen. Um so mehr begrüßt er mit Freude die ersten Erfolge des Feldmarschalls v. Mackensen. Freilich war sich niemand darüber im unklaren, daß, je schlechter es den Rumänen ging, desto mehr die Russen eine Entscheidung zu erzwingen versuchen würden. Ludendorffs Besorgnis war berechtigt, daß man eine schwere Krise durchzuhalten haben würde. Unerhört harte russische Angriffe sind in diesen Tagen zum Teil im Nahkampf mit der blanken Waffe abgeschlagen. Übrigens haben sich dabei die Türken hervorragend bewährt. Man soll auch nicht vergessen, daß diese Kämpfe ein besonderes Ruhmesblatt der deutschen Artillerie sind.
In diesen Tagen kommt es noch zu einem Vorgang, der bei Seeckts ganzer persönlicher Art und nachdem ihm selbst das Bewußtsein gekommen war, hier Außergewöhnliches bisher geleistet zu haben, eine schwere seelische Belastung sein mußte. Die soeben eingetretenen Rückschläge veranlassen ein ungewöhnlich scharfes Telegramm Hindenburgs an Seeckt persönlich Heeresarchiv Potsdam, Akte 58.: »S.M. erwartet, daß die Süd- und 3. Armee ihre Stellungen halten … Ich lege größten Wert darauf, daß die deutschen Reserven, möglichst dicht auf die Gefechtsfront aufgeschlossen, bereitgestellt werden. Sonst kommen sie zu spät.«
Das war nun allerdings für den Mann, der nahezu drei Monate durch sein eigenes Können die Front gehalten hatte, ein recht bitterer Vorwurf. Es ist möglich, daß er Seeckt auch weiterhin nicht ganz aus der Erinnerung verschwunden ist. Woher plötzlich diese schroffe Auffassung kam, steht dahin. Festzustellen ist lediglich, daß sich Ludendorff in diesen Tagen sehr ungehalten über die Führung bei der Heeresgruppe Erzherzog Karl geäußert hat: »Dem Akten Heeresarchiv Wien. in seiner Gesamtstärke nicht überlegenen Feind gelingt es zu wiederholtem Male, starke Kräfte zu raschem Stoß zusammenzuführen, so gegen 3. Armee, Südarmee und nochmals Südarmee, gegen beide Flügel der Gruppe Conta, schließlich wiederum gegen beide Flügel der Südarmee. Grund eigenen Mißerfolgs lag hauptsächlich in der Verwendungsart der eigenen Reserven. Zur Stützung so zerbrechlicher Fronten müssen Gruppen bereitgehalten werden,« Da die hier angeführten Aufzeichnungen mit den Worten schließen, daß »die Reserven stets zu spät kamen«, ist ein Zusammenhang mit dem Telegramm Hindenburgs zu vermuten. Man kann auch ohne weiteres zugeben, daß die O.H.L. sachlich mindestens in einzelnen Fällen recht hatte. Es mag sein, daß bei dem dauernden Zwang, die Reserven getrennt und vereinzelt einsetzen zu müssen, Seeckt darin vielleicht etwas zu weit gegangen war. Man darf es wiederholen, daß man Seeckt keinen Abbruch tut, wenn man annimmt, auch er habe Fehler gemacht. Jedoch es bleibt immer etwas mißlich, wenn eine sehr hohe Kommandobehörde auf recht weite Entfernung in Einzelheiten eingreift, selbst dann, wenn sie recht hat.
Die ganze Angelegenheit der Meinungsverschiedenheit über die Verwendung der Reserven war damit aber keineswegs erledigt. Die Heeresgruppe ist sehr bald mit dem Führer der 7. Armee der Ansicht, daß Verstärkungen am Tartarenpaß nötig sind und beantragt solche in Teschen. Conrad antwortet, man solle welche aus der 3. und Südarmee entnehmen. Also die Heeresgruppe bekommt nichts. Man muß wiederum auf Aushilfen sinnen. In diesem Augenblick ist es besonders von Bedeutung, daß Seeckt jetzt Weisungen Heeresarchiv Potsdam, Akte Südarmee 37 9. an die Armeen, schnelle Gegenmaßregeln mit schnell verschiebbaren Reserven vorzubereiten, herausgibt, die völlig Ludendorffs Ansicht entsprechen. Seeckt geht also ohne jede Rechthaberei sofort zu dem Versuch über, wie er das immer getan hat, das zu tun, was die zuletzt verantwortliche Stelle verlangt. In diesem Falle tut er aber noch etwas anderes. Er schreibt am 9. 9. an die O.H.L. eine ganz eigenartige Beurteilung der Lage Heeresarchiv Potsdam, Akte 55. Der Wortlaut im Band XI des deutschen Weltkriegswerkes.. Er geht davon aus, daß bei der 7. Armee ein Ausweichen jetzt nicht mehr möglich sei aus mehr als einem Grunde. Übrigens sei für die Verteidigung nicht lediglich das Kräfteverhältnis maßgebend. Der Russe könne schnell überlegene Kräfte zusammenraffen. Was man auch tue, es würden immer Stellen bleiben, die nicht rechtzeitig und nicht ausreichend bei dem Kräfteverhältnis zu decken seien. Diese Lagenbeurteilung ist ganz offensichtlich als eine äußerst sachliche Rechtfertigung gegenüber den Vorwürfen der O.H.L. gemeint gewesen. Niemand hat sich so gegen die Zersplitterung der Kräfte gewehrt wie Seeckt. Er ist mehrfach sehr scharf gegen die Neigung österreichischer Führer, die Verbände auseinander zu reißen, aufgetreten. Allein wie die Dinge lagen, mußten die Umstände hier stärker als die Erkenntnis sein.
Seeckts Meldung findet keine gute Aufnahme. Conrad und Ludendorff sind der Ansicht, daß das Vordringlichste in Siebenbürgen der sichere Anschluß an die 7. Armee ist. Man ist also sowieso bei der O.H.L. in Sorge. Daher mag es erklärlich sein, wenn die Antwort der O.H.L. nicht ohne Schärfe ist Heeresarchiv Potsdam, Akte O 469.. Das Zahlenverhältnis 1:3 zum Russen sei günstig. Im Westen sei es für den Verteidiger oft schlechter gewesen. Das wußte Seeckt natürlich auch. Dennoch hatte er es in seiner Meldung als ungünstig bezeichnet. Er wußte nämlich sehr genau dazu, daß der Wert der verteidigenden Truppen bei seiner Heeresgruppe und im Westen durchaus nicht der gleiche war.
Seeckt hatte eine sehr feine Art der Richtigstellung und Genugtuung gefordert. Er verlangt eine Anerkennung der Abwehrerfolge der Südarmee im Heeresbericht. Am 11. 9. erreicht er das Heeresarchiv Potsdam, Akte Südarmee 37 11..
So recht ist Ludendorff anscheinend auch weiterhin nicht mit der Verwendung der Reserven einverstanden. Er greift bis zur Verlegung einzelner Divisionen ein. Bei der völligen Ungewißheit der Lage kann man natürlich immer über Einzelheiten verschiedener Ansicht sein. Es hat überhaupt nicht viel Sinn, die Maßnahmen der Heeresgruppe einer nachträglichen Kritik zu unterziehen. Sie sind nahezu zwangsläufig. Die ganze Schlacht nimmt etwas sozusagen Formales an. Es ist eine typische Abwehrschlacht gegen einen stark überlegenen Feind, bei dem man über dessen Maßnahmen dauernd im Ungewissen bleibt. In solcher Lage handelt man eben nicht anders, als gehandelt wurde.
Zur Ruhe gekommen ist die Differenz der Auffassungen über den Einsatz der Reserven, wie gesagt, lange Zeit nicht. Noch in den letzten Novembertagen macht die O.H.L. Seeckt mehrfach den Vorwurf, daß die Reserven der Heeresfront unrichtig verwendet seien und vor allem nicht genügend herangehalten würden. Daß die Differenz zu dieser Zeit noch bestand, gibt vielleicht den Schlüssel für ihren wahren Inhalt. In Wirklichkeit kann es sich kaum um die taktische Frage der Verwendung einiger Reserven allein gehandelt haben. Es sei ohne weiteres unterstellt, daß Seeckt das eine und andere auch anders machen konnte. Die 3. O.H.L. hatte, was den Ereignissen vorausgreifend hier eingeschaltet sei, später der Heeresfront einen rein defensiven Auftrag zugedacht. Seeckt strebte, wie immer, sobald er konnte, offensive Lösungen an. In diesem Punkte und an dieser Stelle gingen also die Ansichten des Chefs der Heeresfront und des 1. Generalquartiermeisters auseinander. Seeckt hatte in der Vergangenheit bewiesen, daß er jeder Zeit bereit war, sich Befehlen der verantwortlichen Stelle unbedingt zu fügen. Der 1. Generalquartiermeister ist vielleicht davon nicht so ganz überzeugt gewesen und mag den Wunsch gehegt haben, an die Heeresfront einen anderen Chef zu bringen, der auf seine Intentionen leichter einginge. Ein Personenwechsel in der Chefstellung kann erwogen worden, insbesondere in den Novembertagen nicht ausgeschlossen gewesen sein.
Wie stark Seeckt von dieser Meinungsverschiedenheit betroffen war, zeigten die Briefstellen, in der er von der Möglichkeit seiner Abberufung spricht. Der Gedanke kehrt sogar im Brief des 9. 9. nochmals wieder.
»D. 9. September 1916. Für einen lieben kleinen Brief heute nur schnellen Dank. Gestern haben wir einen großen Angriff abgewiesen; eine Schlacht mit 40 km Front, heute Ruhe dafür. Der Heeresbericht tut es als eine kleine Sache ab; beim Ob. Ost wäre es eine Heldentat. Na – wenn schon. Sehr brav waren die Türken, die heute Enver besucht. Er war schon kurz hier, ein jugendlicher Elegant, dem man Leistungen und Energie nicht ansieht. 37 Jahre! Heute abend ißt er noch bei Tisch bei uns, mit ihm Lossow, Feldmann und andere …
Ich bekam durch Graf Ledebur, den ich nach Pleß geschickt, einen ganz besonders herzlichen Gruß von S.M., was mich doch freute; auch habe das übrige Volk nicht so gesprochen, als ob ich schon abgetan sei und ›in Unjnade‹. Ich kann mir denken, wie sie Dich mit Fragen überstürzen; auch das wird sich geben. Meine Ahnung nach der Musterung von ›Papa‹ Generaloberst von Kessel. war folgende: Falkenhayn war in der Bevormundung von S.M. zu weit gegangen, d. h. die anderen drei Die Kabinettchefs von Lyncker, von Müller und von Valentini. hatten ihm das vorgeredet. Dadurch entstand eine Gereiztheit und die Neigung zum Wechsel, die nun geschickt ausgenutzt wurde unter der Flagge der notwendigen Popularität …«
Vom 7.9. ab entwickeln sich aus den russischen Angriffen die Kämpfe, die man unter dem Namen einer Schlacht bei Halicz zusammenfassen kann. Die Disharmonie, die ganz unerwartet zwischen Seeckt und der 3. O.H.L. entstanden war, ist noch nicht völlig abgeklungen. Die O.H.L. verlangt Meldung, welche Maßnahmen die Heeresgruppe zur Abwehr getroffen habe. Seeckt meldet wiederum sehr ausführlich. Gleichzeitig fragt Ludendorff, welche Vorschläge zur besseren Ausbildung der Truppen in der Heeresgruppe zu machen seien. Diesen Antrag beantwortet Seeckt nicht rein sachlich, sondern mit bestimmten Zusätzen. Es muß auch auffallen, daß er dies Schreiben nicht an Ludendorff, sondern an den Chef des Generalstabes der Armee schickt. Er schreibt:
»Zu dem Punkt der Ausbildung muß ich melden, daß es für mich schwer, wenn nicht unmöglich sein wird, bei dem Herrn Heereskommandanten ein Eingreifen dahin zu erwirken, daß er befiehlt, daß die k.u.k. Marschkompanien unter deutsche Aufsicht gestellt werden. Freiwillig werden die beiden österreichischen Armeekommandanten für ihre Armeen auch nicht solche Anordnungen treffen. Ich muß bei dieser Gelegenheit bitten, zu berücksichtigen, daß S.K.u.K.H. gewiß nicht die Schwächen der österreichischen Verhältnisse und Truppen verkennt, daß aber ein Zugeben solcher Schwächen gerade für ihn sehr schwer ist. So bereitwillig er sich in allen Fragen der Führung der deutschen Heeresleitung unterordnet, so schwer wird ihm das in Fragen der Organisation.« Ein Teil des Wortlautes auch im Band XI des deutschen Weltkriegswerkes.
Am 10. 9. kommt das A.O.K. Süd noch einmal auf den Gedanken der offensiven Abwehr zurück, Seeckt muß das ablehnen Heeresarchiv Potsdam, Akte Südarmee 37 10.. Jeder Versuch, die dafür notwendigen Kräfte zusammenzufassen, mußte der Heeresgruppe die letzten Reserven nehmen. In den Ausführungen Seeckts zu der nun einmal aufgezwungenen Verteidigung kommen erneut Gesichtspunkte zur Darstellung, die später unter Seeckts Einwirkung in die Nachkriegsvorschriften übergangen sind. Die bereits angedeutete politische Sorge findet ihren Niederschlag in dem Brief vom 10.:
»... Gestern mit Enver war es recht interessant; ich habe lange und offen mit ihm geschwatzt und festgestellt, welches Kapital an Vertrauen wir bei ihm mit Falkenhayn verloren haben. Auch Bulgarien oder vielmehr Jekow soll kopfscheu geworden sein In den Akten des Heeresarchivs Wien findet man seit Ende Juli 1916 oft die Befürchtung, Bulgarien würde beim Eingreifen Rumäniens kein sicherer Bundesgenosse bleiben. Vielleicht hat auch Rumänien durch die Entente mit Bulgarien verhandelt und sogar Gebietserweiterungen in Aussicht gestellt. Tatsächlich hat Bulgarien erst nach Zögern Truppen von der griechischen Grenze an die Donau abbefördert. Der österreichisch-ungarische Militärattaché in Sofia notiert am 28. 8.: »König weilt ganz zurückgezogen in einem Sommerschloß. Diese Zurückziehung ist symptomatisch für die Momente, wenn er schwerwiegende Entschlüsse fassen muß.« Es waren also nach dem 27. 8. noch Entschlüsse zu fassen. Am 28. 8. erhebt Bulgarien noch Einspruch gegen deutsche Luftangriffe von Bulgarien aus und gegen Unternehmungen der österreichisch-ungarischen Donauflottille. Erst am 1. 9. trat Bulgarien in den Krieg gegen Rumänien. Es wäre durchaus natürlich, wenn der Rücktritt Falkenhayns den König Ferdinand »kopfscheu« gemacht hätte. Am Tage des obigen Briefes war König Ferdinand in Pleß. Er mag bei der 3. O.H.L. so recht keinen Vertrauensmann gehabt haben. So wird der Besuch des Königs am 15. 9. in Chodorow den Zweck gehabt haben, sich mit Seeckt unter vier Augen auszusprechen. Ob dieser Vorgang dann dem Erzherzog Karl sehr gepaßt haben wird, kann füglich bezweifelt werden. Im deutschen Weltkriegswerk Bd. XI heißt es allerdings, daß Zar Ferdinand sehr befriedigt Pleß verlassen habe. Es ist nicht recht ersichtlich, womit er eigentlich zufrieden gewesen sein soll. Zar Ferdinand pflegte aber seine Gedanken nicht ohne weiteres nach außen zu zeigen., da vieles auf mündlichen Abmachungen beruht. Der König ist heute in Pleß; ich höre ihn: Um Sie, mein General Ludendorff, habe ich in angstvollen Nächten meinen Gott gebeten!
Bei Enver merkt man im Aussehen und Haltung, neben seiner Eleganz und seinem unglaublich jugendlichen Ausdruck doch die bemerkenswerte Intelligenz. Die stählerne Energie sieht man ihm nicht an, sehr liebenswürdig, aber selbstbewußt. Wer will ihm das verdenken!
D. 12. September … In Rumänien soll der weibliche Einfluß dieses Mal nicht der entscheidende gewesen sein; er, der König aus Hohenzollernscher Familie, soll … ein Spielzeug in den Händen des Herrn Bratianu sein. Sie haben ihre eigenen Gesandten im Ausland im unklaren gelassen oder gegenteilig instruiert, so daß z. B. Beldiman Der Gesandte. in Berlin die Sache einfach nicht geglaubt hat. Natürlich ist die Königin ganz englisch, soll aber politisch wenig interessiert sein.
Die Opposition in Ungarn will Einfluß auf die äußere Politik, die sie in Burians, eines Ungarns, Händen schlecht aufgehoben glaubt. Außerdem fürchtet sie, daß Österreich unter slawischem Einfluß den Anschluß an uns nicht findet. Nebenbei sind sie wütend über die Preisgabe Siebenbürgens und behaupten, wir machten alles. Nebenbei ist es Ehrgeiz von Julius Andrássy, der doch der kommende Mann ist …
D. 14. September 1916 … Ich warte in diesem Augenblick auf meinen Erzherzog, der an der Bukowina-Front war, heute nachmittag auf den Erzherzog Friedrich, der uns einen recht störenden Besuch macht. Ich warte darauf, daß die Russen uns angreifen, und warte, wie die Dinge im Westen gehen werden und warte auf noch sonst allerlei schöne Dinge. So sehr gern warte ich gar nicht.
Nun erfahre ich eben, daß morgen abend auch noch der König der Bulgaren herkommt. Etwas viel; sonst freue ich mich, ihn zu sehen und ganz besonders, daß der Kronprinz mitkommt. Da wird es allerlei zu hören und zu sehen geben, besonders da er aus Pleß kommt. Wenn uns nur gerade der Russe nicht stört bei diesen Festen. Inzwischen kam der Erzherzog Friedrich, heiser hustend wie immer und liebenswürdig, brachte mir wiederum Grüße von S.M., den er am Sonntag gesprochen und der wieder ganz frisch sei, nachdem ihn doch Rumänien zuerst etwas mitgenommen habe. Das kann ich mir wohl denken, denn er betrachtet doch dies auch mit Recht oder Unrecht als persönlichen Mißerfolg …«
Die nächsten Tage sind durch zweierlei gekennzeichnet. Einmal sieht es wie ein dauerndes Rochadespiel aus, wie Seeckt bei allen russischen Angriffen und Angriffsmöglichkeiten die wenigen Reserven hinter der Front immer wieder verschieben muß und neu einteilt. Das ganze kommt überhaupt niemals zur Ruhe. Die 3. O.H.L. gibt, was sie geben kann. Viel ist es auch nicht mehr. Das andere ist der Entschluß der beiden O.H.L., den Kampf gegen Rumänien offensiv zu führen und dafür in Siebenbürgen das A.O.K. 9 einzusetzen. Dieser Entschluß ist natürlich bestimmend für alle weiteren Maßnahmen Seeckts Den Kampf gegen Rumänien offensiv zu führen, war übrigens bereits Falkenhayns Absicht..
Jede Zwischenzeit, mag sie noch so kurz sein, in der der Russe die Front etwas zu Atem kommen läßt, benutzt Seeckt, um die Abwehr zu organisieren. Es mutet dabei etwas eigenartig an, wenn er als »deutscher General beim k.u.k. Heere« Heeresarchiv Potsdam, Akte Südarmee 37 12. sogar an die Kommandierenden Generäle und Oberbefehlshaber in Organisationsangelegenheiten befiehlt. Notwendig ist das. Seine Stellung erleichtert sich Seeckt nicht, indem er dieser Notwendigkeit genügt.
Am 15. 9. besucht der Bulgarenzar in Chodorow die Heeresgruppe. Der vermutliche Meinungsaustausch ist erwähnt. Aufzeichnungen über den Besuch sind nicht vorhanden. In seinem Brief vom 16. 9. 16 hat Seeckt von der Zusammenkunft geschrieben:
»... Der gestrige Tag war durch die Fürstenbesuche reichlich besetzt. Eine Stunde nach der Abfahrt des Erzherzogs Friedrich kam der König. Ich war nicht auf dem Bahnhof, wurde kurz vor Tisch im Beisein des Erzherzogs Karl empfangen und ganz steif angeredet, während mich der Kronprinz am Rock zog. Beim Souper saß ich neben dem König. ›Verzeihen Sie den steifen Empfang, mein Herz sprach anders; doch ich darf nicht zeigen, daß ich ja nur um Ihretwillen komme. Man belauscht uns. Ich muß Sie noch sprechen.‹ Nach Tisch verabredete ich mit dem Kronprinzen, daß ich noch spät zum Zug kommen würde, wo ich denn noch bis ein Uhr bei ihm saß. Es war wieder hochinteressant und amüsant. Er legte sich wenig Zwang auf, war zunächst über die Tischordnung wütend, die natürlich falsch war, da ein Obersthofmeister und ein diensttuender Kämmerer sie gemacht hatten! Er wollte als österreichischer Feldmarschall behandelt sein, also den ersten Platz haben, während das Hofvolk eine Hoftafel daraus gemacht und dem Erzherzog den ersten Platz gegeben hatte. Keine wichtige Frage an sich, aber er zog daraus Schlüsse … Unsere geheime Zusammenkunft war an sich doch komisch, da doch nichts natürlicher war, als daß er mit mir die militärischen Ereignisse dort unten besprach, ganz besonders, da Mackensen eine sehr gute Nachricht; – seine 1. Armee bei Florina eine weniger gute schickte. S.M. habe ihn aber in Pleß ausdrücklich gebeten, mit mir vorsichtig zu sein, d. h. nicht das Mißtrauen der Österreicher zu erregen und dadurch mir die Stellung zu erschweren.
Natürlich erzählte ich heute früh gleich dem Erzherzog, daß ich am Abend noch dort gewesen sei, um ihm die letzten Balkandepeschen zu bringen.
Sehr schnell hatte der König die Umgebung erfaßt, ›eine unsympathische Stimmung‹ habe geherrscht, der Erzherzog sei auch nicht offen und ›mir diesen perfiden, intriganten Berchtold gegenüber zu setzen, verdarb mir schon alles‹. In Wien hatte er kürzlich die Gräfin besucht und ihr gesagt,
écrivez à votre mari que je l'admire, wie mir B. kurz vorher erzählt hatte, aber nicht weiter um sich damit zu rühmen. Darin hat der König recht, B. ist vielleicht der typischste Vertreter der
österreichischen Schule, die alle Balkanfürsten als Vasallen 2. Klasse behandelt. Aus Pleß war er mit guten Eindrücken heimgekehrt, drückte sich natürlich sehr vorsichtig über die neuen Männer aus. Ludendorff schien ihm besser gefallen zu haben als der einsilbige Feldmarschall, der von seinem Preußentum aus ihn gewiß auch etwas als eine fremdländische Erscheinung angesehen hatte. Sehr gut schien es mit S.M. gegangen zu sein, und ich gewann den Eindruck, daß vorläufig der Hohe Herr mir noch seine Gnade erhält, was ich auch aus den Grüßen entnahm, die er dem Erzherzog Friedrich für mich mitgegeben hatte. Der König schenkte mir dann zum Schluß der Unterredung sein Bild im schönen silbernen Rahmen mit einer Unterschrift, die eine öffentliche Ausstellung etwas erschwert und bei der das ›dem treuen Freunde‹ jedenfalls das Wertvollste ist
Nisch, den 13. Juni 1916.
Dem großen Strategen
dem genialen Mitarbeiter
dem treuen Freunde!
Ferdinand G. F. M.. Der Kronprinz kam mir dann noch nachgelaufen und hatte noch kleine Privatfragen über Menschen und Dinge. Er ist wirklich ein reizender junger Kerl und von so ernster Auffassung. Ich redete ihm noch etwas zu, sie sollten etwas vorsichtiger hier sein. Heute machen sie eine lange Autofahrt, abends wohl wieder ein steifes Essen und morgen will er fort. Mir ist es sehr lieb, wenn ich heute nicht weiter in Anspruch genommen werde, denn es ist vorn ein Gefecht im Gange, das leicht größere Ausdehnung annehmen kann. Eben sprach ich Ludendorff am Telephon, ihm geht der Westen zur Zeit wohl nahe genug. Der Übertritt des griechischen Korps ist höchst originell; ich bin auf die Weiterentwicklung neugierig. Ob ich sie nicht schließlich bekomme! Denn nur futtern werden wir sie doch wohl nicht, und da in Saloniki ein Teil auf französische Seite überging, können wir den anderen auch annehmen. Ich fürchte nur, der arme König wird die Sache ausbaden müssen. Prinzeß Margarete
Landgräfin von Hessen, jüngste Schwester des Kaisers. hat nun ihren zweiten Sohn verloren, in der Dobrudscha, wo er bei den 6. Ulanen war … Wie reizend und liebenswürdig war sie doch als junges Mädchen, als sie mit ihrer Mutter bei meinen Eltern in Posen war …
D. 17. September 1916 … Ein bewegter Tag gestern bis in die Nacht, da vorn allerlei Unerfreuliches passierte, hoffentlich geht es heute besser ab. Dazu noch am Abend Souper beim König in seinem Hofzug – übrigens ausgezeichnet – in kleinstem Kreise. Ich saß mit dem Kronprinzen an einem kleinen Tisch und unterhielt mich und ihn recht gut. König wenig guter Laune, gegen mich natürlich versteckt sehr gnädig und herzlich, schenkte mir am Abend noch von seinen Zigaretten und ist sorgenvoll heute nacht abgefahren. Nun herrscht hoffentlich etwas Ruhe in dieser Beziehung.
Hatte einen rührend zittrigen und guten Brief meiner Mutter – man hat doch jedesmal das Gefühl, daß es der letzte ist, und ich sähe sie gern noch einmal; doch ist die Möglichkeit dazu noch nicht vorauszusehen. Vielleicht tritt im nächsten Monat schon etwas Winterruhe ein, und dann könnte ich eher daran denken. Aber was kann bis dahin nicht noch alles passieren! …«
Es sei hier ein Brief vom 18. 9. an die Mutter angeschlossen:
»... Ganz besondere Hoffnungen setzt nun mein gnädigster Herr auf meinen Einfluß auf den österreichischen Thronfolger; nicht für den Augenblick, sondern für die Zukunft. In der ersten Beziehung könnte ich für den Erfolg einstehen, für den zweiten schwerer. Der tägliche Kampf um diese junge Seele ist doch aussichtslos; die weichliche, verweichlichende Umgebung ist zu schädlich gewesen; das ihm alles Erleichtern, Beschönen läßt ihn die Dinge nicht sehen, wie sie sind. Und dabei steht ihm eine der schwersten Aufgaben bevor, die man sich denken kann. Er glaubt zu arbeiten, weil er den ganzen Tag beschäftigt ist. Was ist es denn? Unterschriften. Er vertritt in kleinen Ordenssachen und Gnadensachen den Kaiser, erfährt aber von der eigentlichen Politik nichts, außer dem äußeren Klatsch, den ihm der Graf Berchtold vermittelt. Geistig völlig unfruchtbar, kein Verständnis und Wissen in Kunst, Wissenschaft, Literatur, Musik – dabei gar nicht dumm. Eine gute Gabe Menschenkenntnis und nötiges Mißtrauen, aber das Jasagen der anderen nimmt er doch als schuldigen Tribut. Manchmal noch etwas kindisch und albern, eine Stimmung, die von seiner Umgebung gern gepflegt wird, Sinn für harmlosesten Scherz, keine Spur von Sinn für Witz, geschweige denn für Humor. Leicht gelangweilt, weil ohne inneres Interesse. Streng in allen moralischen Dingen denkend, kirchlich nicht überzeugt streng. Sehr viel gewinnende Liebenswürdigkeit und große Gewandtheit im Verkehr mit Untergebenen und Fremden, entsetzlich steif anderen Fürstlichkeiten, auch seinen Verwandten gegenüber, doch das wird sich geben, wenn er Kaiser ist; wie überhaupt dieser Augenblick viel ändern wird in ihm, aber nichts Neues hervorbringen … Er wird mich nie lieben, meine Anwesenheit ist ihm ebenso bedrückend, fast demütigend, wie mein Wesen fremd. Aber er soll und wird mit Achtung an mich denken und doch vielleicht sich einmal erinnern, daß es Menschen gibt, denen die Sache alles ist, die Tat alles ist, und nicht die Form, denen der Mensch nicht die Hauptsache – und wäre es der zukünftige Kaiser. Er ist wie wir alle, nur Mittel zum Zweck.«
Inzwischen war am 13. 9. die am 6. 9. unterzeichnete Bestimmung für den einheitlichen Oberbefehl der Zentralmächte und ihrer Verbündeten in Kraft getreten. Bei der Heeresgruppe Erzherzog Karl trifft eine bemerkenswerte Anordnung der neuen Obersten Kriegsleitung Von hier ab O.K.L. abgekürzt. ein. Wenn sie sich auch mit Dingen beschäftigte, die nicht Wirklichkeit werden durften, so hat sie doch immerhin eine gewisse programmatische Bedeutung gehabt. Es handelt sich um den Entwurf einer Militärkonvention mit Österreich. Sie sah für den Frieden vor: Völlige Ausnutzung der Wehrkraft, übereinstimmende Heeresorganisation der Beteiligten, gleiche Bewaffnung, gleiche Ausbildung, bestimmte Zusammenhänge der Generalstäbe, Militärmissionen in Wien und Berlin und alle zwei Jahre ein größeres deutsch-österreichisches Manöver. Aus gelegentlichen Bemerkungen in den Briefen darf man vermuten, daß auch Seeckt sich mit diesen Fragen befaßt hat.
Die zweite Hälfte des September beginnt mit erneuten schweren russischen Angriffen. Die Gegenhandlung ist wieder ein dauerndes jeu de va et vient. Aber es ist nun doch anders als bisher. Die Front hält, die Kämpfe verlaufen günstiger, und wo der Russe noch Erfolge hat, nimmt sie ein Gegenangriff ihm meist, wenn auch nicht immer, wieder ab. Immerhin lebt man auch jetzt noch nicht vom Einsatz von Divisionen, sondern meist von Regimentern, und man lebt vornehmlich von der Waffenkameradschaft des Nachbarn Ob. Ost. Man muß das immer wieder hervorheben.
Tatsächlich war aber etwa Mitte September die wirkliche Gefahr überwunden. Es ist das ganz natürlich in diesem Augenblick weder Seeckt noch der neuen O.K.L. so zum Bewußtsein gekommen. Im Gegenteil, die 3. O.H.L. machte verstärkte Anstrengungen im Gegensatz zu Falkenhayn, die bedrohte Stelle der Ostfront zu stützen. Seeckt hat das sofort und dankbar empfunden. Man darf dabei nicht sagen, die 2. O.H.L. hätte nichts getan. Insgesamt sind 30 Divisionen, davon 23½ deutsche, der Ostfront zugeführt. Das hat schließlich erreicht, daß die russische Angriffskraft sich erschöpfte. Dieser entscheidende Erfolg muß, soweit es sich um die Heeresgruppe handelt, nahezu allein Seeckt zugeschrieben werden. Er hat das aber nicht erreichen können ohne erhebliche Verluste sowohl an Menschen wie an Material und an Gelände. Er hat insbesondere den Abwehrerfolg nicht so gestalten können, daß Rumänien vom Eingreifen abgeschreckt wurde. Für diese Nichterfolge kann man ruhig zugestehen, daß Seeckt vor einer einwandfrei unlösbaren Aufgabe stand. Wie er aber den Teil, den er erfüllt hat, erfüllte, das ist schlechthin bewundernswert. Er warf nicht nur sein Können, sondern seine ganze Person in den Kampf. Das wirkte. Man spricht so oft von den großen Abwehrsiegen im Westen. Man prägt alsdann Namen etwa wie der Löwe mit dem Zusatz einer geographischen Bezeichnung. Die Abwehr der Brussilow-Offensive war mindestens ebenso schwer wie die Westschlachten, wenn nicht infolge der Unzulänglichkeit der Mittel schwerer. Seeckts Verdienst ist natürlich durch seinen Befehlsbereich begrenzt. Dort aber ist er die Seele der Abwehr. Man hat Seeckt keinen Namen gegeben. Vielleicht war das mehr. Seeckt blieb er selbst, er war Seeckt und er hieß Seeckt. Er brauchte keinen zusätzlichen Namen.
Sobald man auch nur eine geringe Entlastung an der Front merkt, wendet sich Seeckt sofort eingehend der Frage der Ausbildung zu. Es war erwähnt, daß er eine Abwehranweisung verfaßt hatte. Nunmehr richtet er die von der O.K.L. befohlenen Lehrgänge, die Anfang Oktober beginnen sollen, ein. Der Lehrplan stammt fast ausschließlich von ihm selbst. Man muß bedenken, daß Seeckt das alles einleitet in Zeiten, in denen er selbst noch nicht einmal vom Halten der Front so ganz überzeugt ist. Er schreibt im nächsten Brief noch, die Sache sei etwas wackelig geworden.
»D. 19. September … Es waren wieder einmal recht heiße Tage bei uns vorne, gestern ging es gut und vorgestern auch. Heute muß man noch sehen. Verluste leider bei uns nicht klein, drüben sollen sie sehr groß sein. Ich kam kaum vom Telephon fort. Schlimm sind dann dazwischen die Pausen, in denen man nicht helfen kann, nur warten …
D. 20. September … Dank für lieben Brief vom 15. Der Brief Aus der Türkei. des Herzogs Adolf Friedrich ist reichlich pessimistisch, das Klima soll derart auf die Nerven gehen, daß Selbstmord etwas Häufiges. Ich bin der Meinung, daß Enver Pascha noch fest die Zügel in der Hand hat, aber Schwierigkeiten gibt es dort schon. Das sehe ich schon an unserem Türkenkorps; aber sie sind zu überwinden. Auch das sehe ich.
Viel kann ich nicht erzählen heute; es geht uns ganz gut hier oben, aber unten in den Karpaten ist die Sache etwas wackelig geworden. Ich habe dort unten leider schon sehr viel gute Leute verloren.
Über die Griechen schrieb ich schon. Es sind übrigens wohl nicht 40+000 Mann, ich denke etwa 10+000 und hoffe, sie fechten irgendwo. Internationale Formen und Völkerrechte sind leichte Dinge geworden seit dem Juli 1914. Unnötige Esser werden wir uns nicht aufladen. In der Dobrudscha ist es sehr schön gegangen bisher; es kommt aber noch dort ein tüchtiges Stück Arbeit, auch für die Türken, die noch nach dort unterwegs sind. In Siebenbürgen wird wohl alles wieder in Ordnung kommen; Falkenhayn übernahm dort gestern seine Armee.«
Zu allen andern Sorgen kommt nun auch noch der Winter heran. Man muß für Unterbekleidung sorgen. Über 1400 Meter wird bereits in diesen Tagen im Schnee gekämpft.
Am 23. 9. brechen die Russen erneut in der Gegend von Kirlibaba ein. Seeckt nimmt es ziemlich gelassen hin und hält den Verlust des Tages nicht für so schwerwiegend. Aber es ist doch so, daß wieder einmal alle Ablösungen und jede Bildung von Reserven gestört und verhindert sind. Die Nerven behält Seeckt, aber Reserven behält er nicht.
Nach diesen Kämpfen glaubt Seeckt, ein abschließendes Urteil an Ludendorff über den Wert der türkischen Truppen senden zu können Heeresarchiv Potsdam, Akte 55.:
»Das Menschenmaterial ist gut. Der Türke ist tapfer, hält im Artilleriefeuer stand und hat Angriffslust. Die Frontoffiziere geben hier das beste Beispiel. Die Führung ist nicht schlecht. Diesen großen Vorzügen stehen Schwächen gegenüber, Gleichgültigkeit gegen Gefahr führt zur Unvorsichtigkeit und zur Unlust im Stellungsbau. Der türkische Soldat ist aber der Belehrung zugänglich, wenn er merkt, daß nicht Furcht, sondern Krafterhaltung der Grund zu Schutzmaßnahmen ist. Die orientalische Faulheit muß dauernd überwunden werden. Artillerieverwendung ist schlecht, der Lerneifer aber anzuerkennen. Die höhere Führung ist vom guten Willen und Energie getragen. Der Türke ist selbstbewußt und gegen westliche Beeinflussung mißtrauisch. Erzieherisch wirkt in erster Linie das Beispiel und die Persönlichkeit. Leider sind die Mannschaften durchweg östlichen Winter nicht gewohnt …«
Der 26. 9. ist der Beginn der Schlacht bei Hermannstadt. Es ist der entscheidende Tag. Die Gegenoffensive unter Falkenhayn beginnt. Es konnte nicht ausbleiben, daß der Russe in den letzten Stunden noch alle Anstrengungen machte, an seiner Front zu Erfolgen zu kommen. Conrad bezeichnet die Angriffsvorbereitungen als die »größte Anstrengung, die die Russen seit Beginn ihrer Offensive machten Heeresarchiv Potsdam, Akte O 435.«. Daß es ihnen nicht gelungen ist, bleibt Seeckts Verdienst.
Die Tage reißen an den Nerven. Man merkt es den Briefen vom 24. und 25. an:
»D. 24. September 1916 … Die Sonntagsruhe wurde etwas dadurch gestört, daß die Türken angegriffen wurden, aber bisher heute alles brav abschlugen, nur hielt mich das wieder vom Schreiben ab … Eben habe ich telegraphisch 500 Maultiere gekauft, das habe ich noch nie getan. Bürklin soll sie in Budapest aussuchen, ein ganz lustiges Geschäft, das ich gern selbst besorgte … Auf den nordischen Staaten liegt ein starker Druck. Wie weit sie ihm widerstehen werden, steht dahin. Sie sind in schwieriger Lage, wie auch Holland. Spanien hat mannhaft widerstanden. Das H.-Interview hat mir auch an sich nicht gefallen, wurde aber wohl für nötig gehalten. Aus ähnlichem Grunde wurde ich gebeten, einige Berichterstatter zu empfangen. In der Frankf. Ztg. Vom 20. September erscheint denn auch etwas, was ›der Chef‹ gesagt habe – es ist angedeutet, daß er ein Deutscher. Ich habe ihm ganz kurz gesagt, überall, wo es schwer wäre, stünden deutsche Truppen, in den Karpaten kämpften sie prachtvoll – alles übrige würde ihnen Hauptmann H. erzählen, ich freute mich, ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Sie hatten Hasse (Nachrichten-Offizier) nachher zu mir geschickt, ob sie meinen Namen nennen dürften. Ich ließ ihnen sagen, meinetwegen könnten sie schreiben, ich sei Türke oder sonst was … Ich war einige Tage kratzbürstig wie ein Igel. Eine ungarische Division hatte den Antrag gestellt, ihr Vaterland in Siebenbürgen verteidigen zu dürfen (die Rumänen gelten als schwache Feinde). Ich sagte dem Erzherzog, wenn jeder von uns sein Vaterland direkt verteidigen wolle, blieben in Galizien nicht viel! Und die Karpaten seien auch nicht grade das Grenzgebirge Ostpreußens. Zu seiner Ehre muß ich sagen, daß er dergleichen ganz gut aufnimmt. Heute ist er nach Schönbrunn gefahren; er meinte, alle vier Wochen müsse er – den Kaiser sehen und rechnete immer wieder im Kalender nach, ob es stimme …
D. 25. September 1916 … Einer der wunderbaren stillen Herbstsonnentage, mit den tiefen satten Farben und Lichtern, die mir immer als besondere Geschenke des Himmels vorkommen, bevor die Natur zur Ruhe ging. Ich machte sogar am Vormittag einen kleinen Spaziergang in den nahen Wald, aber der Kanonendonner von fern rief doch bald wieder an das Telephon zurück. Es war nichts Besonderes, aber die innere Ruhe fehlte doch …«
Die Monatsmitte erhält einen politischen Beigeschmack. Die österreichische Heeresleitung wird im ungarischen Parlament scharf angegriffen. Der Abgeordnete Prinz Ludwig Windischgrätz, der zweifellos Seeckt näher stand, hatte am 15. 9. 1916 eine Rede gehalten, die starke Angriffe enthielt. U. a. sprach Das Manuskript dieser Rede war vervielfältigt worden und ist vorhanden. Windischgrätz davon, daß »der geniale Chef des Generalstabes, Baron Conrad, sich in der letzten Zeit ermüdet zu haben scheine, was übrigens nicht wundernehmen könne, wenn man die übermenschliche Arbeit in Betracht ziehe«. Er reiht dann die Fehler des Jahres 1915 aneinander, die seiner Ansicht nach die Katastrophe von 1916 notwendig vorbereitet hätten. Alsdann habe man die russischen Angriffsvorbereitungen trotz aller Warnungen der deutschen Heeresleitung übersehen. Man muß zugeben, daß die Rede reichlich scharf war.
Später, am 21. 10., schreibt Seeckt an die Mutter:
»... Gestern lernte ich den Grafen Tiszá kennen, den vielgenannten ungarischen Ministerpräsidenten, und hatte den Eindruck eines energischen und klugen Mannes.«
An Frau von Seeckt schreibt er:
»... Gestern war Tiszá hier, wegen der Zugverspätungen und Autopannen hatte er sich so verspätet, daß wir uns kaum gesprochen haben, worüber er mir noch sein besonderes Bedauern ausdrücken ließ und die Absicht, dies nachzuholen. Er macht einen selten gescheiten Eindruck, trotz seiner Kurzsichtigkeit noch bis vor wenigen Jahren Rennreiter und noch heute ein Degenfechter, der auch damit seine Gegner in Respekt hält. Den Erzherzog muß er etwas bearbeitet haben, denn er redete nachher über ›Verantwortlichkeit der Minister‹, Gottesgnadentum usw. erschreckend dilettantisch …«
Vorher hat also Seeckt Tiszá nicht gekannt. Immerhin kam die Ansicht auf v. Werkmann., »daß, als nach der Thronbesteigung des Erzherzogs Karl die Magyarisierung in der Führung der Heeresgruppe begann«, General v. Seeckt ihr nicht gewehrt habe. Wie viele andere deutsche Generäle habe er zu ungarischen Politikern, und zwar zu solchen oppositioneller Färbung, Beziehungen unterhalten. Jedenfalls habe sich das Armeeoberkommando in innerpolitische Verhältnisse Ungarns eingemischt Vgl. später den Brief vom 30. Nov. 1916. Ein Gegensatz zwischen dem späteren Oberbefehlshaber Erzherzog Josef und Tiszá darf angenommen werden. Fest steht überdies, daß Seeckt mit Prinz Windischgrätz in Briefwechsel stand und den Grafen Andrássy besonders schätzte..
Am 27. 9. tritt ein Ereignis ein, das die Stellung und Arbeit Seeckts in ungewöhnlicher Weise erschweren mußte.
»27. September … Mein Erzherzog kam aus Wien mit der Nachricht zurück, daß er vom Kaiser vierzehn Tage Urlaub wegen angegriffener Nerven habe. Ob das der Anfang vom Ende? Viel Spaß macht es ihm hier nicht. Wer ihn eigentlich vertreten soll, weiß ich nicht, ich denke mir, pro forma der älteste General, das ist der Generaloberst von Köveß. Meinetwegen …
D. 28. September … Könnte ich nur so hübsch schreiben wie Du!
Ich weiß aber nicht viel; der Erzherzog reiste heute ab, und General Köveß zog auf vierzehn Tage ein. Ich kenne ihn lange und er ist eigentlich der Beste von ihnen. Wir werden uns schon vertragen und vierzehn Tage keinen Hofton, tut auch gut zur Abwechslung. Die Hofküche bleibt hier. Der Erzherzog meinte, er müsse seine Heroen für die Zukunft schonen, worin er ja nicht Unrecht hat, und er machte wirklich einen ziemlich schlaffen Eindruck in der letzten Zeit. Adieu. Du Liebes und denke an mich.«
Der Erzherzog hatte kurz vorher den Kaiser um eine andere Verwendung gebeten v. Werkmann.. Es mag sein, daß der Erzherzog sich in einer Audienz am 25. 9. um eine Verwendung an der italienischen Front bemüht hat. Jedenfalls geht aus einer Denkschrift Heeresarchiv Wien. vom 1. 10. Die zeitliche Reihenfolge ist so: Am 30. 9. schlägt Ludendorff eine neue Heeresgruppe unter Erzherzog Karl vor. Am 1. 10. trifft die Denkschrift in Teschen ein, die allerdings einige Tage früher entstanden sein muß. Sie enthält den Vorschlag der Verwendung des Erzherzogs Karl an der italienischen Front. Am 2. 10. schlägt der Erzherzog Karl vor, Falkenhayn zum Oberbefehlshaber an der russisch-rumänischen Front zu machen. Am 3. 10. ergeht der Befehl zur Bildung der Heeresfront Erzherzog Karl. hervor, daß eine solche Verwendung, die allerdings von Conrad abgelehnt wurde, der ausdrückliche Wunsch des Erzherzogs gewesen ist. Der Thronfolger hatte am 2. 10. gebeten, das Kommando an der russisch-rumänischen Front nicht ihm, sondern Falkenhayn zu übertragen. Darauf war man aus politischen Erwägungen, mit Rücksicht auf die begreifliche ungarische Empfindlichkeit und auch infolge der Spannung zwischen Falkenhayn und Ludendorff nicht eingegangen. Man darf es erneut hervorheben, daß Seeckt kaum der Anlaß zum Weggang seines Oberbefehlshabers gewesen ist. Die Dinge lagen so einfach wie möglich. Der Thronfolger hatte die ihm übertragene Aufgabe satt bekommen. In der bereits erwähnten Parlamentsrede des Prinzen Ludwig Windischgrätz vom 15. 9. war die Situation sehr eindeutig vor aller Öffentlichkeit geschildert Von Prinz Windischgrätz in seinem Buch veröffentlicht..
»... Ich bitte Sie nur in Betracht zu ziehen, daß unsere in persönlichen Fragen Teschen untergeordneten k. u. k. Generale naturgemäß in einer peinlichen Zwangslage hinsichtlich aller, von der deutschen Leitung geforderten und der Teschener Heeresleitung eventuell nicht genehmen Anordnungen sich befinden.
Wir dürfen ja schließlich nicht vergessen, daß sie auch nur Menschen sind, und da unsere Teschener Heeresleitung zu irgendeiner Zeit die Entfernung und Pensionierung eines Generals anordnen kann, so stößt die Durchführung der deutschen Befehle sehr häufig auf Schwierigkeiten. In die unmöglichste Situation aber hat unsere Oberste Heeresleitung unseren jungen Thronfolger gebracht, der gegenwärtig der Oberkommandant einer Armee ist, die unter einer rein deutschen Generalstabsorganisation arbeitet. Diese Armee ist nominell direkt dem Teschener Hauptquartier unterstellt, erhält jedoch die operativen Direktiven naturgemäß von der deutschen Heeresleitung. Unser Thronfolger, der als führender General auf dem südlichen Kriegsschauplatz sehr schöne Erfolge erzielte, ist damit als Reibungspunkt zwischen der Teschener Heeresleitung und dem deutschen Oberkommando ausersehen.
Es ist keine Frage, daß es dem hohen Taktgefühl des Thronfolgers sicher gelingen wird, auch in dieser schwierigen Situation die richtigen Wege zu finden, um Schwierigkeiten mit der deutschen Heeresleitung zu verhindern. Es ist aber jedenfalls ein schwerer Fehler, eine Persönlichkeit, die die Zukunft der Monarchie darstellt, in Lagen und Situationen zu bringen, in denen sie ohne eigenes Verschulden in schwere Konflikte geraten kann. Es war dies offenbar eine Aktion sowohl der Teschener Clique, als vielleicht auch der Wiener Machthaber, denen es nicht genehm sein konnte, den zukünftigen Herrscher in Wien, somit an jenen Stellen zu wissen, wo er naturgemäß Einblick in alle Geschehnisse der Gegenwart und Entwicklungskeime der Zukunft haben kann. Und gerade dies ist heute eine Notwendigkeit. Das, was heute in Wien in der großen Politik versäumt und schlecht gemacht wird, kann die Zukunft der Monarchie zugrunde richten, und es wird uns ein schwacher Trost sein, jene Herren, die all das verschuldet haben, in späterer Zeit zur Verantwortung ziehen zu können …«
Als der Thronfolger eine anders zusammengesetzte Heeresgruppe und mit ihr eine dankbare Aufgabe erhielt, kehrte er in ein Oberkommando zurück, dessen Chef wiederum Seeckt war. Anfang Oktober wurde nämlich eine neue Heeresgruppe, bestehend aus der 9. und k.u.k. 1., 7. und 3. Armee, gebildet. Als ihre Hauptaufgabe hatte Ludendorff einen entscheidenden Sieg über die Rumänen in Siebenbürgen bezeichnet. Zu berücksichtigen bleibt bei der Beurteilung der ganzen Frage, daß der Thronfolger selbst am 2. 10. die neue Einteilung angeregt hatte. Sie entsprach auch durchaus den Umständen, da bisher die O.K.L. dauernd an der nicht sehr glücklichen Naht zwischen der Heeresgruppe Erzherzog Karl und Ob.Ost hatte eingreifen müssen. Die 3. Armee ist dann am 20. 10. aus der Heeresgruppe Erzherzog Karl ausgeschieden. Man hat sie wohl nur deshalb nicht eher entlassen, um sie nicht während des Interregnums fortzunehmen. Auch gehörte sie operativ nicht in die neue Angriffshandlung hinein. Es entsprach einem vom Erzherzog Karl selbst geäußerten Wunsch, daß sie ausschied.
Seeckt hat den Weggang des Erzherzogs Karl ganz klar vorausgesehen. Er schreibt einige Tage davor an die Mutter:
»... Vorläufig ist von einem Wechsel in Ungnade wohl kaum die Rede, wenn auch natürlich die Ehe mit meinem jungen Erzherzog keine dauernde sein kann, so gut wir uns stehen mögen. Das hält schon die östr. Eitelkeit oder besser das Selbstgefühl nicht aus, daß ihr erster Soldat im Feld einen deutschen Gehilfen hat. Ich nehme daher an, daß über kurz oder lang ein Grund gefunden wird, den jungen Herrn zurückzuziehen, d. h. kaltzustellen. Zu billigen Lorbeeren ist die Zeit nicht angetan, und ich bin erfahren genug, mit Wallenstein zu sagen: ›Manch' blutig Treffen wird um nichts gefochten, weil einen Sieg der junge Feldherr braucht.‹ Dazu bin ich nicht mehr zu haben; denn ich setze meinen inneren Stolz vor mir selbst da hinein, kein teures Blut leichtfertig oder unüberlegt vergossen zu haben und das auf meinen Befehl vergossene vor mir selbst verantworten zu können. So wird er sich denn wohl mit seinem bisherigen Lorbeer in das Privatleben des Thrones zurückziehen …«
Während der Erzherzog fort ist, vertritt ihn General v. Köveß. Es mag sein, daß die Abwesenheit des Erzherzogs, die Seeckt erst recht zum eigentlichen Verantwortlichen machte, eine weitere Anordnung nach sich zog. Die 1. Armee wird operativ der 9. Armee unterstellt An die Weisungen war sie schon vorher gebunden.. Damit wird vermieden, daß Falkenhayn in ein kaum noch durch die Zwischenperson eines Oberbefehlshabers gemildertes Unterstellungsverhältnis zu Seeckt kommt. In Kürze ist dann durch die Neuregelung der Befehlsverhältnisse die 1. Armee und auch die 9. Armee allerdings in den Wirkungsbereich Seeckts wieder zurückgetreten.
Die letzten Tage vor der Neuordnung sind hart genug. Erzherzog Friedrich spricht der 7. Armee seine besondere Anerkennung für ihre »übermenschlichen Leistungen aus. Die Taten der 7. Armee im September 1916 werden für alle Zeiten ein Ruhmesblatt der Geschichte füllen« Kriegstagebuch 1.. Die Schwere der Kämpfe wird im Brief vom 1. 10. ganz kurz angedeutet, obwohl Seeckt sonst seinen, allerdings reichlich bitteren Humor offensichtlich nicht verliert.
»D. 1. Oktober 1916 … Entgegen dem Dichterwort brachte uns die Stunde, die wir am 1. Mai ausgeschlagen, der heutige Tag zurück Aufhebung der Sommerzeit. und noch damit in Verwirrung; denn ich bin eine Stunde zu früh aufgestanden. Die Österreicher hatten heute auch nach Winterzeit keine günstige Stunde und wir stopfen die Löcher mit deutschem Blut. Ich habe mir übrigens den Spaß gemacht, das k.u.k. Pressequartier zu dem Eingeständnis zu zwingen, daß es die Nennung meines Namens als Chef des Erzherzogs verboten habe. Ich konnte nun antworten, ich legte keinen Wert darauf, hätte aber auch keinen Anlaß, mich meiner Stellung zu schämen. Es ist aber amüsant und charakteristisch, am meisten, weil in Österreich, besonders in Ungarn doch jeder, der es wissen will, auch weiß, daß ich hier bin … Einen langen Brief hatte ich vom Feldmarschall v. M., dem Sieger von Tutrakan, der aber energisch ablehnt, seinen Erfolg selbst als einen entscheidenden bezeichnet zu haben … Einen langen Brief hatte ich von Willi Hahnke, der dadurch interessant wurde, daß er die Abschrift eines Berichtes des Prinzen Eitel Friedrich über die Sommeschlacht an den Kaiser enthielt. Ganz prächtig frisch, ohne jede Ruhmredigkeit, doch voller Stolz auf seine Leute, kein Wort von sich … Auf meinen Karpatenbergen soll schon hoher Schnee liegen. Ich wollte etwas an die Sonne, komme aber heute vormittag vom Telephon nicht fort, bald von vorn, bald von hinten – pardon, d. h. mit den Armeen und Korps nach vorn oder mit Pleß nach rückwärts meine ich natürlich …«
Die Kämpfe werden beiderseits mit starker Erbitterung geführt. Die Türken erhalten besondere Anerkennung Seeckt verzeichnet den Angriff auf die Türken besonders auch in seinem Tagebuch, in dem er nur das Hauptereignis jedes Tages erwähnt.. Am 3. 10. schreibt er an Blankenhorn als Ergebnis dieser Kämpfe mit nicht unberechtigtem Stolz:
»... Bei uns sieht es ja bei den unzulänglichen Kräften oft ernst aus. Ich hoffe, ich habe den Karpathendurchbruch, an den die Russen viel Menschenmaterial gesetzt haben, nun pariert dank der vorzüglichen Haltung des Karpathenkorps, aber hier in Galizien lebt man von der Hand in den Mund und kommt jedenfalls zu keinem rechten soldatischen Genuß wie früher …«
Man kann es verstehen, wenn es Seeckt empfindlich berührte, sobald diese Kämpfe etwas nebensächlich behandelt wurden. Der amtliche Heeresbericht der O.K.L. vom 4. 10. enthielt folgende Angaben:
»... Östlicher Kriegsschauplatz:
Front des Generalfeldmarschalls Prinzen Leopold von Bayern: Nach dem blutigen Zusammenbruch ihrer Angriffe vor den Stellungen der Armee des Generaloberst von Tersztyanszky westlich von Luck am 2. Oktober, erlitten die Russen hier gestern eine neue schwere Niederlage. Mit der Sicherheit und Ruhe des Siegers empfingen die Truppen des Generalleutnants Schmidt von Knobelsdorff und des Generals von der Marwitz den mehrmals anstürmenden Gegner. Kein Fußbreit Boden ging verloren. Nach Tausenden zählen wieder die gefallenen Russen …
Front des Generals der Kavallerie Erzherzog Karl: Nichts Neues.«
Darunter steht mit Rotstift:
»›Mehr sein als scheinen‹, den 4. Okt. 16. Seeckt.«
Am 4.10. vermerkt Seeckts Tagebuch lakonisch: »Neue Pläne.« Er schreibt an seine Frau:
»D. 4. Oktober 1916 … Ein dunkler unbehaglicher Tag heute. Ich bin, sehr gegen meinen Willen wieder in die Politik gekommen, Polenfrage – aber auf höheres Geheiß. Ein anderes Mal davon … Eine Neuigkeit: wir übernehmen die Front gegen Siebenbürgen und siedeln bis zum 12. nach Ungarn – zunächst nach Nágyvárád (Großwardein) über. Ich werde wohl schon am 10. dort eintreffen, bin zufrieden wie über jede neue Aufgabe. Die hiesige ist geleistet. Nun also F. Falkenhayn unter sich, eine komische Welt …
D. 5. Oktober … Ja, nun geht es weiter, und zwar schon heute. Eben habe ich mit Ludendorff verabredet, daß ich gleich auf ein bis zwei Stunden nach Pleß komme und dann von dort direkt nach Siebenbürgen gehe … S.M. ist nicht dort – leider … Dann zu Falkenhayn und am 12. in Nágyvárád … Das neue Kommando entspricht dem Wunsch des Erzherzogs nach einer etwas mehr Aufsehen versprechenden Stellung und Tätigkeit. Befreier Ungarns unter Verheimlichung des deutschen Chefs! Nachdem es dank Falkenhayn dort gut geht, kann er ja auch das Risiko wagen! Ich bin natürlich an sich sehr zufrieden und hoffe, es gibt eine frischere Tätigkeit als die der letzten Monate. Ob ich zum letztenmal Galizien und Österreich beschützt habe? Wir werden nun Nachbarn vom Feldmarschall Mackensen.
Jetzt geht es also wieder nach Ungarn, fast ein Jahr nachdem wir gegen Serbien anfingen, und heute heißt es Rumänien. Möchte es uns ebenso glücken. Der erste Aufenthalt wird dem in Temesvar entsprechen, weitab vom Schuß und nahe dem Kaffeehaus. Muß aber jetzt schließen, es gibt noch viel zu tun bis zur Abreise …«
Seeckt nimmt sofort die Verbindung mit Falkenhayn auf. Das Schreiben Heeresarchiv Potsdam, Akte 55. ist von einer ausgesuchten Höflichkeit:
»E. E. bitte ich zu genehmigen, daß mir zur Vorbereitung der Kommandoübernahme durch den Herrn Erzherzog Thronfolger eine Angabe über die Stärke und Aufstellung der Truppen der 9. Armee zugestellt wird sowie über noch zu erwartende Verstärkungen. Ferner bitte ich, daß die bisher schon hierher mitgeteilten Lagenmeldungen so ausführlich gestaltet werden, daß es nach ihnen möglich ist, sich dauernd ein Bild von den Veränderungen bis zum Eintritt der neuen Befehlsgliederung zu machen.
E. E. wäre ich persönlich zu besonderem Dank verpflichtet, wenn E. E. mir eine vertrauliche Mitteilung zukommen lassen würden, wie E. E. die Lage beurteilen und wie E. E. die Operationen weiterführen wollen. General v. Seeckt.«
Seeckt fährt am 5. 10. nach Pleß. Er meldet zuvor seine Abreise Heeresarchiv Potsdam, Akte 58 1. dem Erzherzog Karl und legt sein Eintreffen für den 11. Oktober im neuen Standort fest. Er muß also von vornherein damit gerechnet haben, daß der Erzherzog ebenfalls dorthin kommen werde.
Noch unter Falkenhayn war die Polenfrage angeschnitten worden Vgl. S. 415. Am 3. 8. hatte Seeckt daher der Schwester geschrieben: »Polen ist hochakut, fast kritisch zur Zeit. Wir wollen Klarheit für die Zukunft, und ›man‹ wünscht, daß ich, ausgerechnet ich, in unserem Sinne wirke.« Es muß also bereits Anfang August ein solcher Wink an Seeckt ergangen sein. Ob der erst am 2. 10. bei Seeckt eingegangene folgende Brief Ludendorffs mit dem voraufgegangenen in Zusammenhang steht, läßt sich nicht belegen. Ludendorff schrieb an Seeckt Chef des Generalstabes des Feldheeres, Erster Generalquartiermeister Nr. 14 864 P v. 27. 9. 1916.:
»In Österreich machen sich in wachsendem Maße slawische Bestrebungen bemerkbar, die unsere schärfste Aufmerksamkeit beanspruchen … Baron Burian scheint nicht gesonnen zu sein, sie einzudämmen. Er ist im Gegenteil so wenig von der Größe der Gefahr, die der Zukunft der Doppelmonarchie aus jeder weiteren Schwächung des Deutschtums in Österreich erwächst, durchdrungen, daß er sich mehr denn je um die Einverleibung Polens in Österreich bemüht. Für uns sind diese Absichten Burians auf Polen, die auch so ganz das Aufnahmevermögen Österreichs verkennen, um so nachteiliger, als die Klärung der polnischen Verhältnisse keine Verzögerung erfahren darf, damit wir die Wehrkraft Polens ausnützen können … Unter diesen Umständen müssen wir unseren Weg allein gehen und ungesäumt alle Mittel anspannen, um die polnische Frage zu lösen und gleichzeitig das Deutschtum in Österreich vor Schwächung zu bewahren.
Von großer Bedeutung würde es sein, wenn es gelänge, den Erzherzog Thronfolger so zu gewinnen, daß er auch für uns eintritt. Ich bin mir bewußt, daß dies schwer ist … Trotzdem möchte ich Euer Hochwohlgeboren bitten, Ihren ganzen Einfluß aufzuwenden, um den Hohen Herrn von der Notwendigkeit der Stärkung des Deutschtums in Österreich zu überzeugen. Unabweisbare Vorbedingung dazu ist der Verzicht Österreichs auf die Einverleibung Polens. Ludendorff.«
Seeckt antwortet an Ludendorff Original im Nachlass Seeckts.:
»... S.K.u.K.H. der Herr Erzh. Thronfolger hat mit mir über die polnische Frage mehrfach gesprochen … Das national-polnische Interesse findet bei ihm keinen Anklang … Der Wunsch einer Angliederung an Österreich findet in S.K.u.K.H. keinen Vertreter.
Als S.K.u.K.H. Ende August nach einem kurzen Besuch in Wien hierher zurückkehrte, teilte er mir mit, daß die poln. Frage ganz nach Wunsch Deutschlands geregelt und daß bei dem Besuch des Reichskanzlers zwischen ihm und Baron Burian Übereinstimmung erzielt sei. Die Abmachungen gehen dahin, daß Polen ›in der Art wie Sachsen‹ dem Deutschen Reich angegliedert werde … S.K.u.K.H. zeigte sich mit dieser Lösung durchaus einverstanden, bezeichnete das vom Baron Burian angestrebte ›Condominium‹ als eine ganz verfehlte Idee, welche den Keim von Zwistigkeiten zwischen uns in sich trüge und betonte wiederholt und nachdrücklich, es sei gar nicht so wichtig, wie die Frage gelöst würde, wenn sie nur so gelöst sei, daß sie zu keinen Reibungen zwischen Deutschland und Österreich Anlaß geben könne. Ich habe Anlaß, diese Äußerungen als durchaus aufrichtig aufzufassen, wie ich überhaupt der Meinung bin, daß S.K.u.K.H. bei allem – bei ihm ja nicht mehr wie selbstverständlichen – Betonen des österreichischen Ansehens doch den deutschen Interessen loyal gegenübersteht. Ein Verzicht Österreichs auf die Einverleibung Polens würde in ihm meines Erachtens keinen Gegner finden.
Ob S.K.u.K.H. immer über den Verlauf politischer Verhandlungen richtig und erschöpfend unterrichtet ist, erschien mir schon mehrfach zweifelhaft …
Was S.K.u.K.H. Stellung gegenüber dem Überwiegen des slawischen Einflusses in Österreich betrifft, so glaube ich, daß er nicht zu seiner Begünstigung neigt und von der Notwendigkeit der deutschen Vorherrschaft in Österreich durchdrungen ist. Ich glaube nur, daß er schwer zu einem aktiven Eingreifen in diesen Fragen oder zu einer bestimmten Stellungnahme in mehr oder weniger offiziellem Kreis zu bringen sein wird. Er hat dazu auch wenig Gelegenheit, da ihm S.Maj. der Kaiser Franz Joseph auf die entscheidenden Fragen keinen Einfluß zu gewähren scheint. Er selbst hat mir gegenüber mehrfach ausgesprochen, daß er sich für verpflichtet hielte, im Gegensatz zu seinem Vorgänger in der Thronfolge sich von jeder politischen Stellungnahme, die ihn in Gegensatz zu den regierenden Herren bringen könne, fernzuhalten.
Sobald S.K.u.K.H. von seinem Urlaub zurückkehrt, was etwa am 12. ds. Mts. der Fall sein wird, werde ich Gelegenheit finden und nehmen, auf die polnische Frage zurückzukommen und suchen in dem von E. E. angegebenen Sinne einzuwirken …
E. E. wollen mir in diesem Zusammenhang noch ein kurzes Eingehen auf die Stellungnahme Ungarns zu der slawischen Frage gestatten, da ich mehrfach Gelegenheit hatte, mir einen Einblick in die dort herrschenden Auffassungen zu verschaffen. E. E. Bemerkung über den mangelnden Widerstand gegenüber dem Anwachsen der slawischen Bestrebungen in Österreich dürfte sich vornehmlich auf die jetzige Regierung beziehen. Von deren offizieller Stellungnahme fehlt mir natürlich die Kenntnis; die mir näherbekannten Persönlichkeiten gehören fast ausschließlich zur Opposition, und zwar zu der Partei, die sich um den Grafen Julius Andrássy bildete. In diesem Kreis wird immer wieder die Notwendigkeit eines Ungarns unter magyarisch- und eines Österreichs unter deutsch-nationaler Führung betont … Im Kampf … für das Deutschtum und Magyarentum rechnet diese Partei auf die Unterstützung Deutschlands. Sie kann also ein Anwachsen des polnischen Übergewichts in Österreich nicht wünschen. Bei der großen Bedeutung dieser Partei und ihres Führers und den in beiden liegenden Zukunftsaussichten wird man diese Bundesgenossenschaft nicht übersehen dürfen, um so weniger als ihre offene Gegnerschaft gegen den Baron Burian in letzter Zeit sich gezeigt hat. Mir sind aus diesen Kreisen Zweifel zu Ohren gekommen, ob Ungarn in seinen nationalen Zielen auf das Verständnis und gegebenenfalls auf die Unterstützung bei den offiziellen deutschen Stellen rechnen könne. E. E. Aufmerksamkeit möchte ich noch auf die in den gleichen Kreisen bestehende und durch die letzten Vorgänge gesteigerte, auch in der Presse zum Ausdruck kommende Feindschaft dieser Kreise gegen die k.u.k. Oberste Heeresleitung lenken. Ich habe den Eindruck, als ob sich bei geschickter und vorsichtiger Behandlung der Frage in Ungarn doch vielleicht ein wertvoller Bundesgenosse auf dem von E. E. angegebenen Weg gewinnen ließe. v. S.«
Daß die Lage nicht einfach war, bewies allein die Forderung der O.H.L., den Oberst Pilsudski zu entlassen Eine Begründung dieser Forderung ist aus den Akten nicht festzustellen.. Die Entlassung hatte offenbar so starke Erregung in der polnischen Legion zur Folge, daß sie von Ob.Ost aus der Front zurückgezogen wurde.
Was die Veranlassung zu dem wiedergegebenen Schriftwechsel Ludendorff–Seeckt gewesen ist, läßt sich schwer feststellen. Dringend muß für Ludendorff die Angelegenheit wohl gewesen sein, denn es fällt auf, daß er während der Beurlaubung des Erzherzogs schreibt. Die Sache duldete also keinen Aufschub. Mitte Oktober hat dann Heeresarchiv Potsdam, Akte P 393. Oberst Hoffmann Ludendorff geraten, weil die polnische Frage auf einen toten Punkt gekommen sei, persönliche Fühlung mit Tiszá und Andrássy aufzunehmen. Seeckt, der sich ja bereits in seiner Balkanzeit an sich für diese Fragen, die ihm vom Vater her geläufig waren, interessierte, ist dann nur noch gelegentlich an dem polnischen Problem beteiligt worden.
Überblickt man noch einmal die Zeit von Mitte Juni bis Anfang Oktober, so ist davon auszugehen, daß Seeckt am südlichen Brennpunkt der Abwehr der Brussilow-Offensive eingesetzt war. Die große Krise dieser Abwehr ist von Mitte August bis in den September hinein. An ihrer Überwindung hat bereits die Hilfe des Feldmarschalls v. Hindenburg noch als Ob.Ost wesentlichen Anteil. Rußland setzt alsdann alles ein, um mit einem entscheidenden Erfolg das Eingreifen Rumäniens einzuleiten. Damit liegt der Schwerpunkt des Angriffs vollständig im Abwehrbereich Seeckts. Etwas erleichtert wird die Lage durch das entschiedene Eingreifen der 3. O.H.L. Der Grund für den vermehrten Kräftezufluß ist allerdings vielleicht nicht so sehr der Wechsel in der O.H.L., als vielmehr die Tatsache, daß zu dieser Zeit die Krisis an der Front der Heeresgruppe ihren Höhepunkt erreicht. Wenn hier aber eine der schwersten Krisen des ganzen Feldzuges überwunden wurden, so steht dabei das persönliche Verdienst Seeckts unter allen Umständen fest. Die Russen hatten nicht nur keinen Erfolg, sie mußten im Gegenteil sehr bald den Rumänen helfen. Seeckts Handeln ist in seiner Gesamtheit als ein entscheidender Abwehrsieg der Mittelmächte zu werten, in seiner Bedeutung für die Ostfront mindestens vergleichbar der Sommeschlacht.
Die Schwierigkeiten, mit denen Seeckt zu kämpfen hatte, sind geschildert. Sie lagen wesentlich in der Natur der Aufgabe. Die Verteidigung so zu führen, wie es seinem Wesen und seinem Wollen entsprach, nämlich offensiv, ist Seeckt nicht gelungen. Das war nicht seine Schuld. Es blieb trotzdem, man muß es nochmals wiederholen, ein entscheidender Abwehrsieg.
Das Weltkriegswerk würdigt mit Recht die Schwierigkeiten der gemeinsamen Führung. Es ist Seeckts Verdienst mit, wenn diese Führung immer mehr in deutsche Hände hinüberglitt.
Man könnte meinen, daß doch auch hier Seeckt nur der Chef war und dem Oberbefehlshaber die Verantwortung blieb. Das mag sein. Man muß aber doch als selbstverständlich die Behauptung hinstellen: Hier war die lebendige Kraft der Abwehr Seeckt selbst.
Fürst Ludwig Windischgrätz Über sein Buch »Vom roten zum schwarzen Prinzen« mag man denken wie man will: Er hat Seeckt gut gekannt und ihn wohl auch in seinen wesentlichen Zügen verstanden. stellt Seeckt das Zeugnis aus: »Er war einer der wenigen, die für unsere so komplizierten Verhältnisse volles Verständnis besaßen und unsere Schwächen nicht nur begriffen, sondern deren Ursachen genau erkannten.« Das muß man in der Erinnerung behalten, wenn man hier und da auch einmal ein Wort des Unmuts von Seeckt über die Verbündeten liest. Am Verständnis hat es ihm nicht gefehlt. Und aus dem Verständnis entstand bei aller kritischen Einstellung stets auch wieder Anerkennung und Würdigung der Leistung unserer Bundesgenossen.
Wenn Seeckt es in seinem größten Abwehrsieg manchem nachträglichen Kritiker nicht zu Dank gemacht haben sollte, so liegt das einfach daran, daß man es im Kriege mit Wirklichkeiten und nicht mit theoretischen Möglichkeiten zu tun hat. Krieg ist überdies nicht Epos, Krieg ist Drama.