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2. Juli, morgens.
Alles ist in fieberhafter Spannung und Aufregung, endlich einmal das verheissene Land zu schauen.
Es sieht komisch genug aus, diese zwanzig Köpfe aus ihren Berths, und durch die halbgeöffneten Staatszimmertürchen herausgucken, und mit beiden Händen die Augen reiben zu sehen, gerade als ob das ersehnte Land zu ihnen in die Kajüte kommen sollte.
Die ganzen letzten acht Tage jedoch sind bereits die Vorkehrungen zur Einfahrt getroffen – die Schiffswände, die Masten frisch angestrichen oder überfirnisst, die Schäden auf dem Verdecke, so gut wie möglich repariert, die Kajüten gereinigt worden – jetzt werden, nach dem Krachen der Bretter zu schliessen, die Schlafstellen der Verdeckspassagiere abgebrochen. – Die Fahrt ist auf alle Fälle ihrem Ende nahe. Ganz vergnügt promeniert Mr. Beattie von einer Türe zur andern: –
»Wohl meine Herren, werden bald Land sehen – unser Mittagsmahl heute in Newyork nehmen, hatten alles zusammen genommen, eine angenehme Reise, hatten wir nicht?«
Ja, die hatten wir – ist der allgemeine Refrain. – Wer wird jetzt noch an Stürme und Trübsale denken!
Keiner! – Jeder eilt so schnell wie möglich in die Kleider, um auf das Verdeck zu kommen.
Dieses Verdeck! Es lacht euch heute ordentlich an. Die Verdeckspassagiere, zahlreich und in ihrem besten Staate, alle nach Land hinausschauend, und die aufgehende Sonne begrüssend, – vor ihnen die erbsengrüne See, die bereits seit einigen Tagen diese hoffnungsvolle Farbe angenommen hat. Auch wehen bereits Landlüfte, ein südlicher Himmel umgibt alles.
In weiter Ferne tauchen nacheinander ein – zwei – drei – vier – zehn Schiffe, vor-, hinter-, seitwärts auf; grössere und kleinere; aber keiner beachtet sie mehr. Alle sind jetzt mit ganz andern Dingen beschäftigt – das Land! das Land!
Zweiundvierzig Tage herumgeschleudert, ein Spiel der Wogen und Winde, und Nichtwinde! – – Zweiundvierzig Tage eurer Existenz ein langer, langer Traum, während dessen ihr nicht gelebt habt, nicht gestorben seid. –
»Land ho!«
Ruft es jetzt vom Mastkorb herab – und dieser einzige Ruf bewirkt, was kaum der angestrengtesten Geistesarbeit möglich gewesen wäre. – Der Ruf wirkt wie ein elektrischer Funke. –
»Land! Land!« erschallt es über das Verdeck hin. »Land! Land!« rufen Mr. Beattie und Sammy, der Steward und die Stewardess in die Kajüten hinab. »Land!« die Matrosen ihren Freunden, die sie mit Rum versorgt, in die Verdecksluke hinunter. – »Land! Land!« jubelt es aus allen Kehlen; »Land! Land!« bricht es von allen Lippen. Zweihundert Köpfe, jung und alt, blond und grau, braun und weiss, strecken sich mit den Hälsen über die Verdecksseiten hinaus, drängen, treiben, stossen, zwängen, um Land zu schauen. Aber wie sie in die fernen Wasser und Himmel hineinschauen, werden ihre Blicke wieder zweifelhaft – bald verzweifelnd. – Ach! es ist ja vom Lande keine Spur zu sehen. Bloss Himmel und Wasser! Alle schauen vorwurfsvoll, verletzt, durch den grausamen Scherz.
Jetzt springt der Kapitän aus seinem Staatszimmer.
»Wo?«
»Einen Strich weg vom Windvorbuge.«
»Wo? welchen Weg? Kapitän, ich sehe! Ist's keine Wolke?« rufen, schreien, wie ausser sich, ein halbes Dutzend, rennend, laufend, hüpfend, gerade wie Kinder, die zum ersten Male den fliegenden Drachen aufsteigen sehen.
»Die Hochlande, Ladies and Gentlemen!« versichert der Kapitän.
Die Hochlande sind es, jetzt noch ein blosses Pünktchen, den blossen Augen kaum bemerkbar, nur durch das scharfe Seemannsauge von den dunkelblauen Wolken, die darüber hingelagert erscheinen, zu unterscheiden. Durch das Sehrohr tritt es etwas deutlicher vor, weniger verschleiert durch den Dunstsaum, der es umhüllt.
Rasch werden jetzt die Flagge auf dem Vor- und das Signal auf dem Mittelmaste aufgezogen.
Das Klümpchen wird allmählich höher, wächst in die Länge und Breite, wird jetzt auch dem blossen Auge des Landmannes sichtbar – wie es fest ruhend, unbeweglich, über dem äussersten Wellenkranze heraufwächst – sich zum höckerigen, mit Moos überzogenen Baumstamme gestaltet. – Allmählich schmutzt das Azurgrau weg von den Höckern – der Baumstamm wird zum Heidehügel, in blaugraues Gewand gehüllt, die Umrisse von Berg und Schlucht gestalten sich. –
Segel taucht jetzt auf Segel auf, eine zahlreiche Flotte steht auf den Punkt hin, dem ihr zusteuert. – Am äussersten Wellensaume schwebt ein winziges Schiff einher. – Weiss ist sein Kiel mit gelbem Bande. Wie der Ariel fliegt es auf euch zu.
Aller Blicke hängen an dem Schiffchen. – Die Frühstücksglocke läutet, aber kaum, dass sich ein Fuss bewegt – das Schiffchen! das Schiffchen! –
Aber der Appetit ist stark. – Das Schiffchen kann vor einer halben Stunde nicht anlegen, – hinab also, um das erste Bedürfnis zu befriedigen.
Es ist eines der heitersten angenehmsten Mahle, die Blicke sprechen Zufriedenheit, Freude und Wohlwollen, – einige aber auch Unruhe aus. – Sie eilen, um dem Schiffchen, das nun bald ankommen muss, entgegen zu sehen. –
Jetzt ist es herangekommen – hat auf der Windseite angelegt. – Es ist eines der Zeitungsbote von einem der bedeutendem Tagesjournale, um die europäischen Nachrichten aus erster Hand wegzufangen. Ein wohlgekleideter junger Mann springt auf der bereits ausgehängten Strickleiter herauf, in der Hand mehrere Zeitungen.
Alle Hände sind nach den Zeitungen ausgestreckt, aller Augen auf den jungen Mann gerichtet, der die Hand des Kapitäns erfasst und die übrigen freundlich grüsst.
»How is business – Wie gehen die Geschäfte?« – ist die erste Frage, die unabwendbare, unvermeidliche Frage, die ihr von zwanzig Lippen hört.
»Dull! – Flau!«
»Eine augenblickliche Stille. – Das Dull hat alles dull gemacht. Erst nach einer Weile hört ihr wieder.
»And Cotton? – Und Baumwolle?«
»And Flour? – Und Mehl?«
»And Stocks? – Und die Aktien?«
»Down. – Niedrig.«
»Zwanzig Schiffe angekommen von den Hansestädten.«
»Down.«
Die sechs Frage- und acht Antwortsworte lassen euch einen tiefen Blick in unsere neumodische Staatsökonomie tun. – Baumwolle unterm – Mehl überm Preise – Stocks wieder unterm Preise. –
Das reichste Agrikulturreich der Erde führt sein Getreide aus dem überfüllten Europa ein. – Ein lieblicher Zustand! –
Weiter lässt sich dumpf, einsilbig, der junge Mann hören.
»Die Firma A. ist bankrott, B. und C. und D. ..« – Unser ganzes handeltreibendes Alphabet scheint Bankerott gemacht zu haben.
Die Gesichter werden düster, hie und da ein stöhnender Laut; dem armen Snorton ist seine fashionable Tour teuer zu stehen gekommen. Er hat seine Pflanzung versilbert, das Kapital dem C. in Philadelphia gegen acht Prozent überlassen. – Jetzt sind Kapital und Zinsen hin. – Der Oberst würde mit den Zähnen knirschen, wenn er noch welche hätte. –
Der junge Mann hat nun die Zeitungen und Listen mit den Namen der Kajütenpassagiere empfangen; noch eine stumme Verbeugung, und er springt ins Boot hinab.
Die Gesichter der meisten sind ernst geworden, wie sie jetzt in die Zeitungen hineinsehen, werden sie finster.
Aber jetzt tauchen die Niederungen von Sandyhook mit ihren Leuchthäusern auf, die Hochlande von New Jersey mit den Leuchttürmen; die Landschaft tritt deutlicher vor den Gesichtskreis. Ein zweites Boot fliegt, von den Fittichen des Windes getragen, auf das Schiff zu. Wieder weiss ist sein Kiel, gelb sein Gürtel. – Es ist das Lotsenboot, das euch den Lotsen bringt, der die Führung des Schiffes übernehmen soll.
Jetzt eilt alles in die Kajüte hinab, um die letzte Seetoilette zu machen. Der Steward, die Stewardess mit ihren Gehülfen, haben nun die schwerste Stunde. – Sie sollen überall sein. – Jeder bedarf sie. – Moony, um ihm das Brenneisen heiss zu machen – Warhorse brüllt nach heissem Wasser, – Purdy nach Mandelseife. Der arme Steward!
Endlich sind die Toiletten gemacht; die Locken gekräuselt, die Röcke, Halskrausen, Roben der Damen und Gentlemen haben freilich der Falten zu viele – mehrere auch Löcher – das Rollen und Walken hat ihnen arg mitgespielt – aber wir wissen uns in diese Dinge zu fügen. Ein Loch im Rocke, ist der Zufall einer Stunde, nur geflickt, wird er und ihr zur pauvreté.
Die Niederungen von Sandyhook liegen nicht mehr als drei bis vier Meilen vor uns. Deutlich sind die zeltartigen Leuchthäuser mit dem dürren Gestrüppe, das in diesem Sandboden sein kümmerliches Dasein fristet, zu sehen; – aber links und noch weiter zurück steigen die Hochlande von New Jersey mit ihren Wäldern und roten Erdbrüchen und Granitfelsen herauf, rechts die Niederlande von Longisland, hinter ihnen die prachtvollen Hochlande mit ihrem üppigen Waldwuchse und grünen Abhängen. –
Das Lotsenboot hat angelegt, der Lotse ist an Bord, – hat die Leitung des Schiffes übernommen, auch Zeitungen überbracht, die nun so wie die früheren verschlungen werden. Wie jetzt die heimische Welt vor den Blicken der Lesenden sich gestaltet, werden ihre Züge auch wieder ganz anders – sie ganz andere Menschen.
Auch die Gesichter eurer Verdeckspassagiere beginnen laut und deutlich zu reden – aber ihre physiognomische Sprache ist wieder eine ganz andere. Die Blicke der Deutschen sind wieder so hoffend, so gläubig, so sehnsüchtig verlangend, und doch wieder so ängstlich zagend, auf die immer näher kommenden Berge und Täler, Fluren und Auen gerichtet – so freudig und wehleidig. Es tauchen Häuser und Villen, Landhäuser und Hütten auf, letztere aber nur selten, gleichsam versteckt. Mit welch forschenden Blicken sie zu den Villen hinüber starren! Ach sie sind zu hoch für sie, zu köstlich! – aber diese Hütten! Diese Hütten! wäre es nicht möglich, durch ihrer Hände Arbeit? – die Handarbeit wird ja so teuer bezahlt, das Land, haben sie gehört, kostet so wenig. Aber wie jetzt – die sie Hütten wähnten – näher rücken, werden sie zu niedlichen weiss getäfelten Häusern und Häuschen, malerisch mit Trauerweiden und Akazien überschattet. Ach! auch diese sind unerreichbar für ihre beschränkten Mittel. Der Reichtum, der überall hervortritt, erweckt ihnen peinliche Empfindungen.
Ihr seht, fühlt sie mit, diese peinlichen Empfindungen, die nun aus den Gemütern der Deutschen herauf in ihre Gesichter steigen! Es wird ihnen so wehmütig zu Mute, sie stieren so bange hinüber auf die immer stolzer und üppiger emporschwellenden Gestade, die im Hintergrunde emporgetürmten Bergeshöhen, deren Abhänge mit herrlichen Landhäusern und Häuschen und Sitzen wie besät sind. – Sie schauen, wie Trost suchend, in die Gesichter ihrer reicheren Mitreisenden, der Kajütenpassagiere.
Aber von deren Zügen ist nun auch die letzte Spur der Sympathie verschwunden – sie sind so kalt, so ganz nur mit sich selbst beschäftigt, mit ihrer Zukunft – den Ihrigen, die sie wieder sehen sollen – die flachen gutmütigen Gesichter sind jetzt so stolz, so ausgelassen, und wieder steif geworden – es sind gar nicht mehr dieselben Gesichter. –
Sandyhook mit seinen Leuchttürmen ist nur noch eine Meile leewärts – im tiefen Vordergrunde steigt rechts, wie ein Riese, die Feste Lafayette aus dem Meeresgrunde empor, eine zirkelrunde rote Granitmasse, mit Hunderten von Feuerschlünden – ein imposantes Meisterwerk amerikanischer Kriegsbaukunst. Links am Strande ziehen sich die Batterien des zweiten Forts Richmond hin – ein Schwarm von Schiffen fliegt zwischen den beiden Festungen – die eine Flotte von fünfzig Kriegsschiffen in Grund bohren könnten – hin und her, die Grösse Amerikas kündigt sich, Ehrfurcht gebietend, dem blödesten Verstande an – der blödeste Verstand begreift, dass er an der Schwelle eines mächtigen, eines grossen Reiches steht – denn nur ein grosses, ein mächtiges Reich kann solche Werke hervorrufen. –
Und wie jetzt der S–y zwischen den beiden Festungen, keine fünfhundert Yards entfernt, und von ihren Hunderten von Schiesscharten angegähnt – hindurch schwimmt, presst es den guten Deutschen die Herzen wie mit Zangen zusammen. Ihr leset jetzt auf diesen Gesichtern Ahnungen der düstersten Zukunft. Kalten, jedem Gefühl für sie, die Armen, entfremdeten Zwingherren entgangen, stehen ihnen drohend am Eingange des Landes ihrer Hoffnung, links und rechts Bastillen entgegen, – alle die trüben Bilder von Ketten und Banden, die ihre Phantasie aus dem zurückgelassenen Vaterlande heraufbeschwört, gähnen sie aus diesen Festungen an. – Sie werfen zagende Blicke auf die Festen und die Amerikaner, die stolzer nun, zuversichtlicher, kaum mehr ihre Mitgefährten, die Briten und Franzosen, eines Blickes würdigen. –
Links tauchen jetzt die Stadt und Quarantänegebäude von Staaten Island auf. – Hunderte von Schiffen, aller Grössen, aus allen Zonen, Häfen des Erdbodens, von China und Batavia herüber, von Rio de Janeiro und Buenos Aires herauf, von Petersburg und Konstantinopel, Smyrna und Liverpool, – aus allen Weltgegenden, liegen da, oder eilen herbei – mit euch selbst fahren ein Dutzend ein; schwarze, seeräuberisch aussehende Spanier und Portugiesen und stolz einherziehende Briten, schmutzige Russen und phlegmatische Holländer, an denen euer Paket, wie die von vier Vollblutpferden fortgerissene Postchaise an dem schwerfälligen Ochsenwagen, vorbeigaloppiert – alle ziehen sie, die Amerikaner voran, dem Rastorte zu, der sie achtundvierzig Stunden oder auch länger aufhalten, und dann der Hafenstadt zusenden soll.
Auf einmal rollt es schwer vom Vorbug herab – ein plumpsender Fall – ein Rasseln, das das ganze Schiff erdröhnen lässt – die ungeheure Ankerkette, das schenkeldicke Tau rollen – das Schiff macht rechts um – der Anker ist gefallen. – Bald fallen auch die Segel. – Ihr seid zwar noch nicht am Orte eurer Bestimmung, aber doch im Quarantänegrunde.
Noch eine halbe Stunde, während der Nachtmantelsäcke hervorgesucht, gefüllt und zur Überfahrt bereit gesetzt werden; und während dieser halben Stunde erscheinen auch die Quarantäne-Ärzte, um euch die Musterung passieren zu lassen. Fünf Minuten darauf tanzen die Boote mit den Kajütenpassagieren Staaten Island zu, um mit dem ersten abgehenden Dampfer nach der Stadt abzugehen. –
Traurig sehen die armen Deutschen euch und euern Vorbereitungen zu, ihre warm deutsche – durch die Welt noch nicht abgekühlte Gemütlichkeit und Herzlichkeit, hätte sich so gerne an euch angeschlossen. Sie möchten so gerne auch gehen – sie können nicht begreifen, warum sie bleiben sollen – achtundvierzig Stunden noch bleiben sollen, warum ihnen am Eingange das Tor verschlossen sein soll. – Dieses Zurückbleiben, dieses kalte Zurückweisen von der Schwelle, ist eine harte, harte Lehre, die ihnen ihre Armut gibt, eine herbe Demütigung, die sie trotz ihrer Demut recht empfindlich durchsticht. Sie gewahren jetzt zum ersten Male deutlich, dass sie nicht die Kinder des Hauses, dass sie bloss die Mietlinge, der Tross sind, der zurückbleibt, während die Kinder des Hauses, die vornehmeren Gäste, froh den geöffneten Armen, dem herzlichen Willkommen des väterlichen und gastlichen Hauses zueilen. Der Eintritt in dieses freie väterliche Haus – dem sie in Freiheitsjubel zugeeilt, und an dessen Schwelle sie sich nun als Mietlinge empfangen sehen – erfüllt sie mit den bängsten Vorempfindungen. Wie wird es ihnen in diesem Hause ergehen? Tränen seht ihr jetzt über ihre gefurchten Backen herabrieseln, bittere, wehmutsvolle Tränen. Für das freie Land haben sie Heimat, Vaterland, Freunde, alles verlassen! – Und – ...
Zwei Boote liegen bereit – in dem einen sollen die Franzosen, Briten und Holländer, in dem andern die Snortons, Moonys, Symmes, Purdys usw. abgehen. Rambleton, die Greatons und Humphreys ziehen es vor, die Zurückkunft der Boote abzuwarten, und mit dem Kapitän abzufahren. Die honorable Miss, am Arme eines der Franzosen hängend, nimmt vom Kapitän einen Abschied, der ihr, aber nicht ihm, schwer zu werden scheint – der Madeira und die Clarets waren gar zu vortrefflich. – Sie hat mit ihrem Begleiter den Betrag des Passage, doppelt in Weinen vertrunken, diese honorable Miss, die sich schliesslich als Sprössling eines ruinierten Messerfabrikanten aus dem schottischen Schwesterreiche herausstellte, während der wirklich von irgendeinem halbtollen Lordleutnant Irlands zum Ritter geschlagene Sir Edward, doch wenigstens dieses sein Rittertum mit nach Newyork bringt. Was die beiden Leute bei uns wollen, ist noch immer ein Rätsel. – Kalt verneigen sich unsere Amerikaner vor den unwillkommnen Zudringlichen. –
Aber was schwenkt von jenem Werfte den Strohhut so ungeduldig, beinahe kindisch herüber? – Ein leichtes grünweisses Boot stösst davon ab, zwei Rudernde und zwei Geruderte darin. Einer, scheint es, kann den Augenblick nicht erwarten, bis die Passagiere an Staaten Island angelegt haben – der andere ist etwas ruhiger. – Wer mögen die beiden wohl sein? – Das Boot fliegt ordentlich auf den S–y zu.
Rambleton, in Gedanken verloren, starrt ebenso ungeduldig das Boot an – auf einmal ruft er nach dem Sprachrohre des Kapitäns, springt, hascht darnach, schaut.
»Scocsten!« ruft er, »Scocsten! – bei Gott! es ist Scocsten!«
»Scocsten? wer ist dieser Scocsten?« fragt der General Greaton. »Er scheint Ihnen ausserordentlich im Kopfe zu liegen.«
»Scocsten!« schreit Rambleton. – »Es ist – bei Jove! es ist Scocsten!«
»Aber wer ist dieser Scocsten?« fragt abermals der General, und die Misses Jane und Anne.
»O Scocsten! Scocsten!« ruft Rambleton.
»Rambleton!« ruft es vom Boote herüber. – Und der närrische Mensch im Boote streckt die Arme herüber und rutscht so ungeduldig darinnen herum. – Seinem Nachbar ist offenbar bange, das Boot könne umschlagen. – Die Franzosen und Briten, die jetzt an ihm vorübergleiten, starren ihn an – genieren ihn aber nicht im mindesten. –
Und Rambleton ist gleichfalls und auf einmal so ausser sich – er ist wie toll geworden – »er kapriolt die Schiffswand auf und ab, wie ein scheues junges Ross,« bemerkt der gleichfalls zurückgebliebene Irländer, »das eine Sackpfeife lustig aufspielen hört.« – Wenn er nicht seinen besten Frack am Leibe hätte, zwei gegen eins zu wetten, er spränge über Bord, um dem tollen jungen Menschen im Boote, eine Minute eher im Arme liegen zu können. –
Die Greatons und Humphreys schütteln befremdet die Köpfe über dieses unamerikanische Gebahren. –
Jetzt hat sich das Boot auf Pistolenschussweite genähert – darinnen ein junger Mann – mit einem Bedienten in Livree. Ein wirklich anziehender Jüngling, flüstern die beiden Alten; während die Misses mit sichtbarem Behagen – ihre Blicke sprechen lassen – aber sie wenden kein Auge von der Gestalt mit dem Lockenkopfe; die heiter und froh in die Welt hineinlachenden blauen Augen, das frische, rote, vollblütige Gesicht so mutwillig, und wieder so edel unbefangen; – der Jüngling kann noch keine weibliche Lippe – höchstens die einer Schwester berührt haben. – Er ist gar so rein, unbefangen, und doch wieder spricht viel Mut und Entschlossenheit aus diesem Gesichte.
»Seine herrlichen blauen Augen!« flüstert Miss Anne.
»Seine Locken sind wirklich schön!« fügt Miss Jane hinzu.
»Sehr feine Wäsche!« bemerkt etwas lauter Lady Greaton.
»Kleidung, ganz comme il faut!« der General.
»Ohne Zweifel ein junger Mann von sehr guter Familie!« versichert Oberst Humphrey.
»Rambleton!« ruft jetzt der Vielbewunderte herüber.
»Scocsten!« der zur Strickleiter vorspringende Rambleton.
Des Jünglings Boot hat angelegt – er ist jetzt die Strickleiter herauf – im nächsten Augenblicke liegen sich die beiden in den Armen.
»Scocsten!« ruft, schluchzt beinahe Rambleton.
»Rambleton!« ruft Scocsten. –
Die Humphreys und Greatons haben sich neugierig um die beiden jungen Männer gedrängt – ein solches Entgegenkommen ist so selten bei uns – seltener bei einem Amerikaner und Ausländer; denn das ist offenbar der junge Mann. – Gespannt sehen sie einer näheren Erklärung entgegen. –
Endlich lösen sich die beiden aus der brüderlichen Umarmung. – Es ist etwas so adelig Graziöses in dem Anstande, mit dem dieser Scocsten sich vor den Herren und Damen verbeugt; – Rambleton erscheint dagegen steif, wie er seine Hand ergreift. –
»Mistress Greaton, Mistress Humphrey, General Greaton! Oberst Humphrey! Miss Anne! Miss Jane! – Mr. Scocsten!« –
»Wilhelm v. Schochstein!« versetzt der Jüngling, die Hände der Amerikaner erfassend und drückend. –
Und es war in der Tat Schochstein, der junge Schochstein, den wir an den Ufern des Zürcher Sees kennen gelernt haben, und der jetzt Rambleton an der Schwelle seines Vaterlandes zuerst entgegen trat. Und wie der Amerikaner nun die Hand des deutschen Freundes in der seinigen hält, traten ihm auch die Stunden am Zürcher See wieder vor Augen, die Gefühle, Empfindungen, die ihn bisher beseelt, erwachten in ihrer ganzen Lebhaftigkeit – überwältigten ihn beinahe. – Wie einen köstlichen Schatz hatte er ihr Bild – den Namen wagt er nicht, auch nur murmelnd über die Lippen zu bringen – während der fünfzig Tage, die er sie nicht mehr gesehen – im Herzen getragen, auf eine Weise im Herzen getragen, die ihm selbst zum Rätsel geworden war. In der Zerstreuung, während der Durchfahrt durch Frankreich, der Seereise, mitten in der Wogenwildnis und ihren Gefahren, der Monotonie der Windstille, hatte ihr Bild ihm vor Augen gestanden, während Anne und die liebreizende Jane an seinen Armen hingen.
Er riss jetzt ungestüm und heftig den Freund mit sich gegen das Haus zu – eine Frage schwebte ihm auf der Zunge, aber er war nicht im Stande sie auszusprechen.
»Scocsten!« brachte er endlich heraus. – »Wie haben Sie – sie – sie verlassen?«
»O Rambleton! Ein Glück! Rambleton! Ein Glück!«
Und die Freunde hielten sich umschlungen. –
»Gentlemen!« erinnerte der Kapitän die Freudeberauschten; »die Boote sind zurückgekommen und warten, ist's gefällig?«
Und die beiden Freunde eilen, den Fehler, den sie durch ihr Zurückziehen von der Gesellschaft begangen hatten, zu verbessern, und den Damen in die Boote hinabzuhelfen. Rambleton war in den zehn Minuten der Anwesenheit seines neuen Freundes ein ganz verschiedener Mensch geworden. Das steife Dandy-Wesen war einer leichten Gewandtheit gewichen, Anmut und Liebenswürdigkeit an die Stelle seiner Eckigkeit getreten. – Erst als das Boot an der Werft von Staaten Island hielt, und die Freunde mit den beiden Familien das Dampfboot betraten, die Warhorses und Snortons, die Symmes und Moonys, mit den Trombones ihnen wieder entgegentraten, wurde seine Stimmung wieder amerikanisch. –
»Aber mein Gott!« flüsterte der junge Deutsche dem Amerikaner zu. – »Diese Gesichter, sind sie nicht dieselben, denen ich in den beiden Booten begegnete? Sie fuhren ja vom S–y ab, und haben also die Reise über den atlantischen Ozean mit Ihnen gemacht?«
»Das wohl, aber ich kenne sie nicht mehr!« versetzte Rambleton gleichgültig.
»Aber um's Himmels willen! Sie kennen einander nicht mehr und haben die Reise miteinander gemacht?« fragte der erstaunte Deutsche. –
»Ganz natürlich, mein lieber junger deutscher Freund;« versetzte der General Greaton. – »In unserm Lande, wo vor dem und nach dem Gesetze aller Rangunterschied aufhört, und die Sitte wieder Rangunterschiede eingeführt – die bei uns viel schärfer hervortreten als bei Ihnen, kennen wir einander oft nach jahrelanger Bekanntschaft nicht.« –
»Aber wo bleibt denn dann ihre republikanische Gleichheit?« – fragte Schochstein.
»Ach, die ist wohl zu unterscheiden von der Gleichheit der bürgerlichen Rechte. – Sie, zum Beispiel, dürften auf Gleichheit mit unsern bessern Klassen vielleicht mehr Anspruch machen, als Tausende unserer eigenen Mitbürger, während doch diese vielleicht in bürgerlicher Beziehung weit über uns stehen, vielleicht selbst die höchsten Magistratsstellen bekleiden.« –
»Welch ein seltsames Verhältnis!«
»Vielleicht ein unnatürliches;« versetzte der General mit einem leichten Seufzer, »aber in der Natur, so wie im geselligen Staatenleben gibt es oft Erscheinungen – doch seht nun, Kinder!« wandte er sich an seine Familie. –
Der Dampfer hatte nun vorgerundet, und war durch die Narrows in die eigentliche Bai von Newyork eingefahren – wo links Gouvernors Island auftaucht – dann ein glänzender meilenweiter Wasserspiegel – und in blauer Ferne die romantischen Vorgebirge von Weehawken, mit den im Nebeldunste verschwimmenden Felsenmauern der Palissaden, die sich im gigantischen Hudson wiederspiegelten; – rechts die waldgekrönten Höhen von Brooklyn mit ihrer Stadt und zahllosen Villen, die den herrlichen Seearm des Eastriver auf der einen Seite bekränzten, während auf der andern, an das stolze Manhattan gelehnt, ein Wald von Masten in die Lüfte starrt, den ihr nirgends, selbst in Grossbritanniens Hauptstadt, pittoresker und grandioser erschauen könnt – eine wahre Welt von Schiffen, aller Grössen, aller Nationen, zwanzig hoch und meilenweit hinauf aneinander gereiht, und vor diesem Wald von Masten in ehrfurchtgebietender Haltung, eure schweren Linienschiffe, wie gewappnete Riesen, ruhig ihre Hunderte von Kanonenschlünden schützend über diese Seewelt hingähnend, ein prachtvolles, glorioses Bild freien regen Seelebens. Tausende von Schiffen gelagert; um diese Tausende Hunderte von allen Grössen, vom winzigen beflügelten Boote zum Dampfer, vom Fischerschiffchen zum Ostindienfahrer, wie die beflügelten Boten des weltbeherrschenden Mercurs auf der ungeheuern Wasserfläche hin und her gleitend; – einzelne Kanonenschüsse von den einlaufenden und abgehenden Dampfern donnern mit dem Wirbel der Feldmusik von Gouvernors Island herüber, das Ganze einen grandiosen Anblick bietend, der nicht von Konstantinopel, nicht von Neapel übertroffen werden kann. –
Ihr fühlt, dass ihr in die Hauptstadt der westlichen Welt eintretet. – Diese unübersehbaren Massen von Wasser! – Rechts, der wie der Arm eines Seegottes von Nordost herabgesenkte Eastriver – – links der grandiose meilenbreite Hudson, Hunderte von Meilen gegen Norden hinauf schwellend – im Süden der breite Seearm des Raritan-Bay – und inmitten dieser Wasser- und Landherrlichkeit, Newyork, aus den Wellen auftauchend, vor nicht viel mehr denn sechzig Jahren eine Sammlung ärmlicher Hütten, von spiessbürgerlichen Holländern bewohnt – jetzt die zweite Handelshauptstadt der Welt – ein Bild von National-Glück und Wohlstand, wie es in so kurzer Periode die Geschichte der verflossenen sechstausend Jahre nicht mehr aufweist.
Jetzt tritt die Stadt vollends vor Augen in ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit, voran die Miniaturfeste Castlegarden mit dem wunderschönen Parke, zu beiden Seiten von diesem Parke, gegen Nordost und Nordwest hinauf, die Tausende von Schiffen, und hinter den bewimpelten Masten dieser Schiffe, eine Wildnis, ein Chaos von Häusern, überragt von Türmen, Kuppeln und Zinnen.
Die beiden Freunde standen begeistert.
Schochstein wurde immer aufgeregter, er schaute wie verzückt in das ferne Dunkel der belaubten Schattengänge von Castlegarden hinein.
»Sie ist da!« murmelte er – »Sie ist da!« –
Rambleton hörte ihn nicht. – Sein Auge zuckte wieder, während es weiter die Häusermassen hinaufglitt. – Es hatte einen seltsamen Ausdruck angenommen, etwas Verstörtes war in seinem Blick.
Jetzt rundete das Dampfschiff Whitehall zu, die Glocke läutete. –
Der Deutsche wurde fieberisch, seine Lippen zuckten, mit zitternder Stimme murmelte er: – »Dort! – dort!« –
»Was ist Ihnen?« fragte Rambleton, der gleichfalls einen seltsamen Kampf zu kämpfen begann.
»Mein Gott! sehen Sie denn nicht?« flüsterte Schochstein. »Dort!« –
Den Park herab kamen zwei junge Damen – heitere, liebliche Erscheinungen, mutwillig und fröhlich schauten sie auf die weite Wasser- und Landwelt hinaus. – Sie trippelten vorwärts, dem Landungshäuschen der Whitehall zu, hielten aber unter einer Sycamore – die eine hob das Lorgnon; die schöne Welt Newyorks flüchtig musternd, fiel ihr Blick herablassend auf den jetzt an der Werft haltenden Dampfer. –
Die beiden Freunde hatten in der Hast von den beiden Familien Greaton und Humphrey Abschied zu nehmen vergessen; sie waren über die Bretter, das Häuschen durch, rasch auf das feste Land gesprungen.
»Rambleton!« rief, den Arm des Freundes erfassend, der junge Deutsche. –
Rambleton hörte nicht. – Er sah nicht. – Er war an der Ecke des Eisengeländers, das den Park von Statestreet und Whitehall trennt, angekommen.
»Rambleton!« flüsterte mit bebender Stimme der junge Schochstein. »Rambleton!«
»Was?« fragte Rambleton. –
Jetzt folgte sein Auge dem des Freundes, sein Blick schweifte hinüber unter die Sycamore, aber seine Züge wurden auf einmal so verstört.
Die Stimme versagte ihm, wie er den Arm des Freundes erfasste.
»Und Sie! Sie! kennen? Sie kennen? Sie wagen?« brachte er endlich heraus.
»Kennen? wagen? Mister Rambleton!« rief der Deutsche, sich mit Gewalt von dem Wütenden losreissend. »Diese Sprache! – Herr Rambleton! – Wahrhaftig!« –
»Er ist es!« kreischte es von der Sycamore herüber.
»Um Gottes willen! Was soll das? was bedeutet das?« rief der Deutsche.
Rambleton vermochte es nicht zu antworten, seine Gestalt zitterte, seine Hände versagten ihm, er fiel an das Eisengeländer des Parkes. –
»Rambleton! Um Gottes willen! Was soll das?« rief der Deutsche abermals, den Freund auffangend. –
»Gehen Sie!« sprach Rambleton mit leiser Stimme. – »Sie ruft ja, hören Sie sie nicht? – Gehen Sie! Geniessen Sie Ihres Glückes.« –
»Rambleton!« rief der Deutsche abermals.
»Schochstein!« seufzte dieser, »Schochstein! Ach Schochstein! – Dieses Weib! dieses Mädchen! Ach der Gedanke könnte einen rasend machen!«
»Herr!« rief ein heranrasselnder Fiaker; »brauchen Sie eine Kutsche?«
»Ja die brauchen wir!« lachte wie wahnsinnig Rambleton – »brauchen Sie unser Liebesglück, deutsch-amerikanisches Liebesglück – nicht zu stören! Good bye Scocsten!«
Und mit einem Sprunge war er in der Kutsche.
»Rambleton!« schrie der Deutsche.
»Bleiben Sie! Bleiben Sie!« versetzte mit demselben Gelächter der Amerikaner. – »Will bloss meine Schatulle.« –
»Sind bei meiner Seele seltsame Menschen, diese Amerikaner! unpoetische, unphilosophische, prosaische Menschen!« murmelte der junge Deutsche. – »Auch in dem höchsten Wahnsinne der Leidenschaft – vergessen sie doch die Schatulle nicht. – Da sind wir Deutsche nun –«
Und im nächsten Augenblicke sprang der poetisch-philosophische Deutsche, die Philosophie und Poesie eines Deutschen zu erhärten, durch das Gattertor in den Park – und rannte wie toll den beiden Damen nach.
»Ganz andere Narren!« – fügte der goldbordierte Johann bei. »Wir glauben nun alles gescheiter zu machen, aber die andern kommen uns immer zuvor, wir hinken immer erst phlegmatisch hinterher. Wenn dieses Land nur auch Suppe hätte, statt der verfluchten ewigen Rostbeafs, es wäre das beste Land, das ich mir wünschen könnte.«