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Windstille.

21. Juni.

Dieses Seeleben fängt an, allgemach langweilig zu werden. Dieses ewige Einerlei – oben der blaue wolkenlose Äther, unten die blaue, wie gläserne See – vor euch die Draperie der Taue, Strickleitern und Segel, jetzt schlaff, wie zum Trocknen aufgehängte Wäsche herabflatternd – und auf allen Gesichtern tödliche Langeweile – jeder Mund nach Wind seufzend, schmachtend, wie der Fisch nach Wasser, seit drei Tagen aber kein Wind, kein Lüftchen, auch nur so stark – um die Federfähnchen oben am Dache des Hauses zu fächeln, – der Kopf wird euch allmählich wüste und dumm.

Diese fünfundfünfzig oder sechzig Stunden Windstille haben mehr getan, euch das Seeleben zu verleiden, als die dreissig Tage, die ihnen vorhergegangen, samt ihren Stürmen, steifen und leichten Winden und Gegenwinden. Zehnmal lieber Sturm, als diese trostlos unausstehliche Windstille, die euch gerade wie ein Kind in Windeln behandelt, euch samt eurem Schiffe Tag und Nacht schaukelt, ohne dass ihr vom Flecke kommt. Und was für ein Schaukeln! Die Unterströmung reisst euch so grob zurück, während die leichte Oberwelle euer Schiff sanft vorwärts wogt – ihr müsstet neuerdings seekrank werden, wäre euer Magen nicht durch die sechzehn Prüfungstage gehörig geläutert und eingeübt.

Da stehen, liegen, lehnen und lollen sie nun; General Greaton und Oberst Humphrey haben eine Partie Schach angefangen, gähnen aber dabei, wie zwei nach Luft schnappende Fische, schieben endlich das Schachbrett weg, und mühen sich auf, um ihren Frauen und Töchtern, die unter dem vor dem Hause ausgespannten Zelte nähen, einen Besuch abzustatten. Auch diese gähnen, und Rambleton, der ihnen als Nähstock dient, mit ihnen. Dabei geht ihr Nähen so langweilig, die Nadel so träge, als wenn die zarten Finger für eine Wohltätigkeitsanstalt in Bewegung wären. Und es ist wirklich beinahe so; denn sie nähen für – zwei neue Erden- oder vielmehr Seebürger, die vorgestern und heute die Windstille benutzend, an's Tageslicht herausgekrochen: eine Schwäbin und eine Rheinbayerin haben den S–y mit zwei neuen Passagieren bereichert – gebornen Bürgern der Vereinigten Staaten, da sie unter unserer Flagge erschienen sind. Schwerlich liessen sich die Schwäbin und Rheinbayerin diese hohe Bestimmung träumen. Aber auf alle Fälle haben die beiden kleinen Bälge ihre Erscheinung zur rechten Zeit gemacht, sie verschaffen doch einigen Zeitvertreib, geben den Damen etwas zu tun, und auch den Gentlemen. Rambleton dient den Misses Jane und Anne als Nähstock, und er sieht ganz aus wie ein Nähstock, Moony den beiden Müttern. Symmes ist der Cavaliere serviente der Miss Snorton, die gleichfalls ihre elegante Hand angelegt, und sich gänzlich von der honorablen Miss zurückgezogen hat. Diese wieder sitzt, eine geräucherte Rindszunge, und ein halbes Pfund Schinken, samt zugehöriger Quantität Madeira verdauend, zwischen dem Baronet, der eine Havannah raucht, und einem der Franzosen, der der Vorlesung der Miss horcht, die ihn sehr zu erbauen scheint. Warhorse, der in den fünfzigtausend Pfund, und dem ganzen Felleisen voll Wechsel und Bankaktien, einen Haken gefunden, hat mit bewundernswerter Geschicklichkeit seinen Rückzug bewerkstelligt. Snorton aber, Oberst Snorton, spielt jetzt unstreitig die kläglichste Rolle, er hat in demselben Sturme, der die Busen und Hüften seiner Nichte an's Tageslicht – und unter die Füsse der Stewardess gebracht, sein ganzes nagelneues Gebiss eingebüsst; ein Lurch nämlich, der ihn an die Tafelpfosten angeworfen, hat dieses seinem Munde entrückt – und Warhorse ist mit seinen Pferdehufen darauf getreten. – Bitterböse ist nun der zahnlose Snorton auf den armen Warhorse, und er hat einige Ursache; denn die Welt macht sich nicht wenig über seinen Verlust lustig, selbst Sammy und Mister Beattie nehmen sich die Freiheit, so wie der Stewart, wenn er ihnen die Gläser einschenkt – sich auf seine Kosten zu ergötzen, und einander zuzuraunen: »Stewart, meine Zähne! All meine Zähne! sucht mir meine Zähne!« Worte, die der Oberst trotz Sturm und Todesgefahr zu wiederholten Malen in der Kajüte hören liess. –

Es ist aber auch keine Kleinigkeit, ein Gebiss, das seine dreissig Louisd'or zu stehen kommt, auf solche Weise zu verlieren. – Die Überfahrt kommt gar zu hoch zu stehen.

Auf der Windseite, vor und im Gangway, steht eine dritte Gruppe, beschäftigt, eine Qualle zu fangen.

So weit die Erklärung des Doktors – die mit recht vielem Interesse angehört wird – denn wirklich sind es wunderbare Tierchen, diese portugiesischen Kriegsschiffe, und wie sie so einhersegeln, gleich einem Stücke länglichen Jellys, mit ihren vorstehenden Hälschen und Segelchen, gleichen sie winzigen Purpurschwänen. Nichts kann die Pracht des Farbenschmelzes dieser Tiere und besonders ihren Rücken übertreffen. Es sind die zartesten Tinten, die ihr sehen könnt. Die Basis des Segels ist Tiefblau, wie der reinste Äther, der Oberteil des Rückens ein glänzendes Rot, die Mitte ein Schmelz aller Purpurkolorits. Gleichsam aus Dunst und Schaum gewoben, spielen diese Farben in Tinten, deren Weichheit und Zartheit kein Pinsel erreichen kann.

Was soll man nur gegen die entsetzliche Langeweile tun! – Was zunächst anfangen? Fische fangen? Auch das ist versucht. Gestern wurde ein junger Haifisch geangelt, und ein Meerschwein eingebracht. Mister Beattie hat ihm den Widerhaken einen Schuh tief hineingetrieben, und es wurde mittelst einer Tauschlinge am Kopfe, glücklich auf das Verdeck gebracht, und mit Musik und im Triumph, zum nicht geringen Verdrusse der Matrosen vorgezogen. Das Tier hat das ganze Verdeck blutig gemacht, und die Teerjacken hatten eine halbe Stunde zu waschen. Es wog an die dreihundert Pfunde, und gab den Verdeckspassagieren einen artigen Fleischvorrat, da es beinahe wie grobes Rindfleisch schmeckt – die Leber, die ganz der von zarten Ferkeln gleicht, wurde in der Kajüte aufgetischt. – Auch mehrere Delphine wurden von Sammy eingebracht – es zeigte sich vorgestern ein Schwarm dieser prächtigen Tiere, die sonst in der Regel nicht so weit gegen Norden heraufkommen. Sie sind die Paradiesvögel des Ozeans, ihre Farben das glänzendste, schillerndste Grün und Gold, und wenn sie in Zügen um euer Schiff herumspielen, glaubt ihr Adern der prachtvollsten Juwelen um euch herumschiessen zu sehen; – ihr Verbleichen, wenn sie aufs Verdeck heraufgezogen werden, gibt euch ordentlich eine leicht melancholische Anwandlung.

Ja, aber im Ernste, was zunächst bis zum Mittagsmahle anfangen? Was? Was? Alles ist versucht, bis zum Ekel versucht. – Karten, Domino, Dame, Schachspiel – Journal schreiben, Lesen. – Alles habt ihr getrieben, bis ihr satt geworden. Die Hitze wird auch so unausstehlich, so erschlaffend. Ihr seid im Zustande halber Auflösung. Ihr habt wohl eine artige Bibliothek in der Kajüte, selbst ein Pianoforte in der Damen-Kajüte; aber wer hätte Geduld und Lust zum Spielen, Singen? Selbst beim Lesen wird euch zu Mute, als ob ihr Medizin nähmet. – Wirklich däucht es euch jetzt, wenn ihr ein Buch zur Hand nehmt, als ob ihr Medizin gegen das Widerwärtigste aller Siechtume, die Langeweile, nähmet. – Ihr habt Shakespeare, Walter Scott, Byron, Robertson, Hume und andere an Bord, aber euer Gehirn ist so schwer, jede Periode, die ihr lest, lastet wie Blei in euerm Gehirnkasten. – O, es ist ein liebloses, reizloses, teilnahmloses Leben, ein solches Stilleben, in dem ihr euch selbst und aller Welt zur Last werdet! – In der Verzweiflung steigen Moony und ein paar andere die Strickleitern hinauf in den Mastkorb. Wahrscheinlich um zu schauen, ob sie noch nicht Land sehen!

»Nichts als Himmel und Wasser!« rufen sie trostlos. – Doch Moony scheint etwas zu sehen. – Er schaut so gespannt. – Richtig, er ruft: »Ein Segel!«

Auf diesen Ruf recken und strecken alle die Hälse empor, und schauen auf, gerade wie Gänse, die im Regen die Schnäbel im Gefieder des Rückens geborgen, ihn wieder hervornehmen, und ihn dann wieder träge in ihre vorige Lage bringen; ein gar nicht schmeichelhaftes Hohnlächeln Mister Beatties und Sammys gibt zu verstehen, dass das Schiff Moonys nichts weiter als ein Wölkchen ist.

Wenn es doch nur schon Abend wäre, vielleicht dass der Abend – zwischen sieben und acht pflegt sich immer die Brise zu erheben. – O diese Stunden, wie träge und langsam sie dahin schleichen!

Die Schiffsglocke hat acht geschlagen – aber kein Wind! kein Wind! – Aller Augen schauen – erwartend, verlangend – kein Wind! Es stiehlt sich zwar etwas wie leises Säuseln über die spiegelglatte Meeresfläche herauf; ein leichtes Kräuseln perlt über die Spiegelfläche hin, aber es verlischt wieder, das Säuseln verweht, wie es gekommen. – »Kein Wind!« seufzen alle.

Wieder erhebt es sich, wieder kräuseln sich winzige Wellchen gegen den Spiegel des Schiffes heran. – Hüte schwenken dem ersehnten Ankömmling entgegen, Tücher – die Federfähnchen auf dem Dache heben, bewegen sich. – Es ist wieder nichts; der Atem, der kaum stark genug war, das Haussegel zu bewegen, verhaucht abermals. Doch schaut der Kapitän ernstlich gegen Südwest zurück, daher dürfte denn doch wohl etwas kommen. Er hält die flache Hand dem Lüftchen entgegen. – Wirklich ist das Lüftchen abermals zu spüren, die Wellen beginnen stärker zu kräuseln. – O Schmerz! abermalige Täuschung – noch ein seufzender Luftzug und wieder Windstille. Der Kapitän schaut jedoch noch immer erwartungsvoll. – Jetzt säuselt der Wind stärker, selbst die Segel spüren seinen Odem, wirklich hebt sich der S–y, die Brise legt sich sanft den Segeln in den Rücken – er geht wenigstens, obwohl bloss zwei Knoten. Immerhin, wenn er nur, geht. – Selbst dieser langsame Gang ist doch etwas, ihr kommt doch etwas vorwärts, lässt euch wenigstens nicht trübsinnig und unausstehlich werden.

Dieser Abend! Diese Pracht!

Tief im Westen eilt der flammende Feuerball einem in Dunst und transparentem Golde gewobenen Schleier zu, durch den jetzt die gemilderten Strahlen des Weltgestirnes herauf und herüber blitzen, – ein ungeheurer Mantel mit Gold, Silber und Juwelen, unerschwinglich reich gestickt; – über den ganzen westlichen Himmel ist dieser Mantel, der Baldachin des Königs der Welten, hingebreitet, durch ihn brechen die Strahlen, wie Millionen feurige Zungen hindurch und herüber – den ganzen westlichen Ozean in Gold, Silber und Purpur badend. Es ist ein Schauspiel, vor dem alle wie verzückt stehen. Diese unerhörte Glorie macht alle sprachlos.

Jetzt wird aber auch die See zu einer glänzenden Erscheinung. Ihr habt euch den Tropen um sieben bis acht Grade genähert – seid unterm einundvierzigsten Breitengrad – es ist nicht mehr eure kalte englische oder holländische See – es ist die Tropensee mit ihrem phosphoreszierenden Wasserspiegel, in dem eine Welt von Geschöpfen lebt und webt, eure Augen mit ihren Feuerstrahlen blendend. – Anfangs wähnt ihr, es seien die zurückgestrahlten Sterne, die euch jetzt so prachtvoll aus der Tiefe heraufflimmern; aber nein, es ist ein Feuermeer, die kleinen Wellchen, welche die leichte Brise emporrollt, spritzen eine Flut von Feuer und Licht aus, und wie euer Schiff, von dem leichten Südwinde in den Rücken genommen, sich fortschwingt, ist seine Bahn wie mit Feuerzungen bezeichnet, jedes Wellchen, das an euern Vorbug anplätschert, glänzt wie Millionen auseinander geworfener und gerollter Diamanten. Die See verbreitet jetzt eine Helle, ein Licht, die euch eure Zeitung zu lesen gestatten würden, und ein Eimer voll Seewassers, jetzt über Bord gezogen, und über das Verdeck ausgeschüttet, glänzt wohl eine Minute im phosphorischen Lichte. Es sind, wie gesagt, Millionen kleinerer und grösserer Seetierchen, die wie die Feuerkäfer die Erde, die Wasser des Weltmeeres im nächtlichen Lichte erglänzen lassen.

Aber schon wird die schöne Brise wieder schwächer, stirbt endlich abermals dahin. – Was hilft es, dass die deutschen Musikanten sie und euch mit einem Ständchen begrüssen. –

Nie hat euch eine Musik widriger in den Ohren geklungen. – Die Musik eines Sturmes würde sie weniger zerreissen.

 

26. Juni, morgens.

Es ist zum Verzweifeln. Die Elemente haben sich verschworen, eure Geduld auf den letzten Grad der Folter zu spannen. Neun Tage Windstille! Neun Tage! Wisst ihr, was neun Tage Windstille sagen wollen? Es ist ein Zustand zum Rasendwerden. Zwölfmal während der letzten sechs Tage hat sich die Brise regelmässig morgens und abends zwischen sieben und acht Uhr erhoben, und ebenso regelmässig ist sie wieder eingeschlafen. Selbst der Holländer und die Holländerin haben ihr Phlegma verloren – und die Briten rächen sich durch doppelte Portionen Claret und Madeira an Kapitän und dem Himmel. Seit den letzten fünf Tagen kaum fünfzig Meilen gemacht. Es ist zum Tollwerden!

Eine Flottille von Fischerbooten vor uns! sogenannten Chebaccos, der S–y gerade mitten darin, wie ein Fisch, der sich im Schlamm herumschlägt. Eine Schüssel frischer Stockfische oder Makrelen wäre nun ein wahres Festmahl, aber die zehn Meilen, die den S–y von der schmutzigen Flottille trennen, sind jetzt wie tausend; der Kapitän wird sich doch noch bequemen müssen, ein Boot abzusenden; denn Hühner, Enten und Schafskoteletten werden jetzt so zäh, so seerüchig, das ewige Fleischessen hat euch, in Verbindung mit der Untätigkeit und Ungeduld so ganz den Appetit benommen, es ist beinahe unmöglich, die armseligen Tiere hinabzuwürgen. Auch ist die Hitze in den letzten Tagen, und besonders seit gestern, so furchtbar geworden, es dampft ordentlich, wie aus einem Hochofen heraus. – Aber ihr seid in der Golfströmung, und das erklärt das Ganze.

Das Wasser dieser Strömung ist von dem des Ozeans sehr leicht durch seine dunkle Bleifarbe, die ungeheure Menge des in ganzen Feldern heraufschwimmenden Seegrases, so wie die grössere Wärme zu unterscheiden. Bei Cuba steigt diese Wärme oft auf 81 Grad Fahrenheit, mindert sich jedoch gegen Norden zu, im Verhältnis von zwei Graden zu dreien nördlicher Breite. – Gegenwärtig, ihr seid im 41sten der Breite, lässt sie das Quecksilber im Thermometer acht Grad steigen.

Es hat sich doch noch ein leichter Wind erhoben, der wenigstens die Güte hat, die Schifferboote euch und euch den Schifferbooten näher zu bringen. Sie sind über einen Flächenraum von etwa zwanzig Seemeilen zerstreut, und segeln der Heimat, zu, von den Neufoundland-Bänken kommend, wo sie die gewöhnliche Stockfisch-Ernte hielten. – Stumpfmastige Dinger mit schwalbengeschwänzten Spiegeln, russischnäsigen Vorbugen, und kohlschwarz zu schauen. – Während der S–y langsam dahinkriecht, kommen sie, die leichten Segel ziemlich voll, um vieles rascher heran – eines derselben so nahe, dass der Kapitän dem Helmsmanne zuruft:

»Haltet weg oder ihr bohrt den Burschen in Grund.«

Ein lautes Lachen aus dem Boote ist die Antwort, und im nächsten Momente tanzt es unterm Spiegel, kaum dem Spankerboom entgehend, an der Windseite des S–y.

Es sind vier menschliche Wesen in dem Boote, ein alter wettergebräunter Mann mit grauen Haaren, die ihm in langen Wülsten statt vom Kopfe, von der Brust durch das rote Flanellhemd herabstarren, einem Tarpaulin auf dem Kopfe, und ein paar Stiefeln an den Füssen, die jede Kugel flach pressen müssten. Mit der einen Hand hebt er das niedrige gekrümmte Ruder, mit der andern die kurze Pfeife, die er jetzt aus dem Munde nimmt, um anzufragen:

»Braucht ihr Stockfische?«

»Yes –.«

Den Leuten ist sicherlich der Whisky ausgegangen, denn im nächsten Momente tanzt auch das Boot bereits an der Windseite des S–y, und zwei junge Burschen klettern wie Eichhörnchen die Schiffswand herauf, ein Seil in der Hand, an dem sie den Korb mit Fischen heraufziehen. –

Wie die rotbäckigen Jungens nun die Gesellschaft mustern! mit welchen maliziösen Blicken sie an euern bleichen Gesichtern hängen, Spott und Schadenfreude in ihren spitzbübischen Augen. – Die Klumpen Salzfleisches, die ihnen samt mehreren Bouteillen steifen Grogs als Äquivalent für die Fische gereicht werden, nehmen sie so kaltblütig, leeren so kaltblütig die ihnen dargereichten Whisky-Gläser, treten aber lauernd noch einen Augenblick von der Schiffswand weg. –

»Ned!« schreit der Alte aus dem Boote herauf – »Ned! keinen deiner Tricks«.

Ned aber, ein Bursche, noch nicht vierzehn Jahre alt, setzt eine der Bouteillen an den Mund –

Nein, der Zug – er scheint die Bouteille anwachsen lassen zu wollen. –

»Ned – deine Backen!« schreit der Alte abermals –

Der Alte mag schreien, der zweite setzt an und leert die Bouteille. –

»Kapitän!« raunt der junge Spitzbube dem Commandeur des S–y zu. –

Kapitän! Ihr habt nicht mehr als drei Bouteillen gegeben. – Versteht Ihr? –

Und mit einem vertraulichen Kopfruck werfen die beiden Burschen die Fleischstücke hinab, dann folgen etwas vorsichtiger die Whisky-Bouteillen, und endlich sie selbst. –

Einer der Zeitvertreibe, der euch jetzt während dieser langweiligen Windstille noch am meisten zusagt, ist, den Seevögeln zuzuschauen und ihren Flugkunststücken. – Es sind wahre Kunststücke, die sie hier produzieren. – Mit dem majestätischen Aufschwung des Adlers und der graziösen Wendung der Schwalbe wirbeln sie mit Blitzesschnelligkeit um das Schiff herum, folgen dem Troge einer der leichten Wellen, sich badend in einer dieser Wellen, und schwimmen wieder empor in den blauen Äther, so dass das Auge kaum folgen kann. Es ist eine ewige Beweglichkeit in diesen geflügelten Wesen; nimmer seht ihr sie ruhen, selbst wenn sie sich in Truppen auf das Wasser setzen, prellen sie noch mutwillig durcheinander.

Der Tag verfloss doch noch angenehmer als seine neun Vorgänger; der Wind, obwohl schwach, war wenigstens so gefällig, den S–y einen, auch zuweilen zwei Knoten weiter zu schieben. – Die Glocke ruft gerade zum Diner, als der Mann aus dem Mastkorbe herabruft: »Ein Segel! Ein Segel! – das zu sprechen wünscht.« – Der Kapitän, alle eilen herauf, und es zeigt sich wirklich ein Segel mit der dreifarbigen Flagge. – Es ist eine Brigg, der wahrscheinlich das Wasser oder die Lebensmittel ausgegangen sind. Die zwei oder drei Stunden, die vorüber müssen, ehe sich die Schiffe sprechen können, mögen unterdessen durch das Diner ausgefüllt werden – zum Diner also, Ladies und Gentlemen, mahnt der Kapitän.

 

8 Uhr abends.

Der S–y ist an die französische Brigg bis auf eine Meile herangekommen. – Von dieser wird jetzt das Jollyboot herabgelassen, das mit mehreren Matrosen auf den S–y zukommt. – Was mögen sie nur wollen? –

Die Franzosen sind an Bord – ein junger Mann, der Maat der Brigg Caroline, von Bordeaux, mit drei Matrosen. Es weist sich aus, dass der gute Franzose, auf seiner ersten Fahrt nach den Vereinigten Staaten, von der fatalen Golfströmung ein bisschen stark zum Besten gehalten, nicht mehr weiss, wo er ist, – Längen- und Breitengrade, alles hatte er verloren, kurz so konfus war er geworden, dass er sich absolut nicht mehr zu helfen wusste. So natürlich dies bei einem Franzosen ist, der von dieser Seeströmung nichts weiss, die ihn, während er mit einem Winde von zwei Knoten nach Süden zu segeln glaubt – drei Knoten nach Norden treibt, so ist die ganze Affäre doch so komisch für Amerikaner. – Der Kapitän jedoch gibt dem Franzmanne, der bereits neunzig Tage auf der See ist, alle möglichen Aufschlüsse, und den Trost, dass es bloss noch dreihundert Meilen bis Boston sind. – Der Franzose verlässt freudig den S–y. –

Etwas Merkwürdiges hat sich noch ereignet, einem der Verdeckspassagiere ist seine Pelzkappe, die er trotz 81 Grad Hitze, wie angenagelt herumgeschleppt hat, und dem Stewart ist eines seiner fettesten, soeben geschlachteten Hühner – über Bord gefallen. Beide sind um so trostloser, als ein in der Nähe des Schiffes herumschwimmender Haifisch Pelzkappe und Huhn zum Abendimbiss ebenso leicht verschlang, wie ihr es mit einer wohlgezuckerten Pflaume tut. –


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