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Seetafeln.

Le Havre ist verschwunden. Noch glimmen die Uferhügel der Seine und die beiden Leuchttürme wie dunstgewobene Gürtel am äussersten Horizonte herüber, aber jede stärkere Woge rollt über sie hin, das Schiff schneidet rasch und sicher durch die aufschäumenden Wellen, von Scharen kreischender Möwen umflogen. Auf dem Verdecke ist es stille geworden; bloss das Gackern der Hühner, und Schnattern der Gänse ist zu hören, das Blöken der Schafe, und Grunzen der Schweine, in deren Melodie die gelangweilte Kuh dann und wann ihren melancholisch phlegmatischen Bass mit einfallen lässt. Auf dem Hinterdecke wandeln der dritte und vierte Schiffsleutnant gravitätisch auf und ab; – wehe jetzt dem armen Teufel von Verdecks-Passagier, der die Grenzseile hinter dem Windstock überschreitet; er erhält eine Mahnung mit dem hanfenen Tau, die er drei Tage hindurch fühlen wird. Alle halten sich aber auch so ferne! Sie haben ihre Sitze und Lager auf Notmasten und Wasserfässern zwischen der Verdecks- und Kajütenküche aufgeschlagen; einige ihre eisernen Töpfe oder blechernen Pfannen, mit dem bescheidenen Mittagsmahl vor sich; andere die ewige Tabakspfeife im Munde; wieder andere Gebetbücher in der Hand; sie beten laut – Männer, Weiber und Kinder, mit so andächtiger Miene, ihr seht es allen an den Augen an, dass ihnen ihr Anliegen ernst ist. Die seltsamen Aufzüge der Männer, ihre Blusen, die unseren Jagdhemden gleichen, die halbmilitärischen Kappen, mit ihren Troddeln und Quasten, und die furchtbaren Tabakspfeifen, mit den vielfaltigen grobwollenen Überröcken der Weiber, ihren bunten Schürzen, und dem grotesken Kopfputze, geben ihnen ein so ausländisches Ansehen, das wieder hie und da durch eine sinnigere Gruppe so gefällig gehoben wird!

So sitzt und lehnt um das grosse Boot herum, das einstweilen zum Schaf- und Schweinestalle dient, eine Familie, die im häuslichen Rahmen gefasst, gewiss ein anziehendes Gemälde liefern müsste, jetzt ist sie freilich aus ihrem Rahmen herausgerissen, in die weite Welt hinausgeworfen, Fassung und Rahmen suchend. Aber ihr könnt sie nicht ansehen, ohne ihnen herzlich wohl zu wünschen. Eine solche Treuherzigkeit, Einfalt, Ehrlichkeit spricht aus ihren Augen! Es sind Deutsche, ihre Züge sind durchgehends deutsch, selbst an ihrer Art zu essen, seht ihr, dass es Deutsche sind; denn dicht an ihrer Seite habt ihr wieder einen Franzosen aus Lothringen, der mit seiner Familie gleichfalls Mittagmahl hält, und euch dabei recht lebhaft an den mit Frau und Kindern jagenden Löwen erinnert. Nicht so diese Deutschen! Die ergrauten Alten langen wartend erst einmal zu, während die Jungen immer bereits drei Mal zugegriffen. Sie haben aber wirklich einen mächtigen Appetit, diese zwei Jungens und vier Mädchen von zehn bis sechzehn Jahren, mit ihren nussbraunen Gesichtern, und ihren blauen frommen, und doch wieder schelmischen Augen. Die Mädchen sind gar nicht übel, haben eine recht elegante Taille, besonders verspricht das jüngste, etwa zehnjährige Kind, ein wahrer Engel zu werden. – Die armen Kinder schauen so verschämt darein, sie sind offenbar nicht gewohnt, ihr spärliches Mahl vor so vielen Zeugen zu verzehren, sie wagen es kaum, aufzublicken, besonders scheint sie ein junger Mann in Verlegenheit zu setzen, der wie eine Schildwache neben ihnen Posten gefasst hat.

Es ist wirklich der Mühe wert, die Gruppe noch ein wenig länger zu belauschen. Der junge Mann weicht absolut nicht von der Stelle. Die Mädchen geraten allmählich in Zweifel über diese Stetigkeit. Sie schauen ihn an, mit einem Ausdrucke, halb schmollend, halb mitleidig fragend – warum denn er allein nicht Mittag halte, ihre Miene scheint verlegen werden zu wollen. Sie wissen nicht recht, was sie aus ihm machen sollen. Seine Kleidung ist zwar die eines der Kajüte-Reisenden, aber auch unter den Verdecks-Passagieren gibt es einige recht modisch gekleidete junge Männer, sogenannte arme Gentlemen, die ihren ganzen Reichtum am Leibe tragen. Vielleicht ist auch er einer dieser unglücklichsten aller wandernden Zugvögel; die Tafel unten in der Kajüte ist wenigstens im vollen Gange, die Glocke des Stewart hat geläutet, der Kapitän hat alle Herren und Damen zusammen hinabgeführt; – nur er zog sich wie flüchtend dem Verdeck zu, und jetzt folgt sein Blick beinahe gierig jedem Bissen, den sie zum Munde führen. Die Mädchen winken sich unter einander zu, schielen verstohlen zu ihm hinüber, und ihre Mienen werden weich, mitleidig. – Jetzt sind die Mehlklösse und Kartoffeln verzehrt, die Mädchen sehen gespannt der ältesten Schwester zu, die ein eingeschlagenes grobes, aber reinliches Tuch oder Säckchen, das ihr zur Seite liegt, auseinander faltet, und aus den darin eingewickelten Papieren mehrere Stücke geräucherten Fleisches, Braten und Würste zum Vorschein bringt. Sinnend, überlegend, sitzt sie eine Weile da, – während der Vater die Hand darnach ausstreckt, doch das Mädchen hält fest. – Ihr Blick fällt wie fragend auf Vater, Mutter – und als diese nicht verstehen wollen, – ungeduldig vorwurfsvoll auf sie, wieder auf den wachestehenden jungen Mann. – Ihre deutsche Gutmütigkeit ist im Streite mit dem Gefühle des Schicklichen – gerät in immer grössere Verlegenheit.

Jetzt hebt sie das Säckchen dem Vater zu; aber in demselben Augenblicke hat ihre deutsche Seelengüte gesiegt, – sie zuckt, Säckchen und Würste und Braten schweben dem Fremden vor Augen und Mund. Ob er wohl Würste liebt!

Es schicke sich zwar vielleicht nicht, dass sie – einem so vornehm aussehenden Herrn – der Besseres gewohnt – allein weil er denn doch – so – so – gut – so – begierig – vielleicht dass er doch – doch – Lust – hätte – zu – zu – versuchen –

Und während das Mädchen die abgebrochenen Worte spricht, hat ihr nussbraunes Gesicht eine so holde Röte der Verlegenheit überflogen; der Ausdruck ihres Gesichtes ist so kindlich natürlich geworden; – der Vater winkt so treuherzig darein – die Mutter so einladend. –

Und der Fremde, der dem Mahle der guten Leute zugeschaut, dessen Gedanken aber in ganz andern Regionen schwärmen, schaut die Deutschen so starr an – er versteht ihre Sprache offenbar nicht – aber die stumme Natursprache der Einfalt und Güte ist so beredt. Die Züge seines Gesichtes werden auf einmal freundlich, bewegt. –

In diesem Augenblicke ruft es aus dem Hause herüber:

»Rambleton! Mr. Rambleton!« –

Noch immer hält das Mädchen dem jungen Manne ihre Gabe dar. –

»Mister Rambleton!« rufen zwei Stimmen, und der Kapitän, und der junge Purdy springen an den Windstock vor, und von da auf Rambleton zu. –

»Mister Rambleton!« ruft unwillig der Kapitän. »Was treiben Sie doch? Warum kommen Sie nicht zur Tafel?«

Und Rambleton schaut auf.

»Ah, Kapitän!« raunt er ihm zu, »sage Euch! sage es! Gäbe nicht zwanzig Tafeln, für den Genuss, den ich soeben gehabt!«

»Genuss! Sie hatten Genuss?« versetzte der Kapitän, kopfschüttelnd Rambleton, wieder die Deutschen anblickend. –

Dem Mädchen ist das Säckchen mit dem Fleische bei der Annäherung der beiden auf den Schoss, und in der Verwirrung, der beste Teil zu Boden gefallen. Jack, der Neufoundländer des Kapitäns, der seinem Herrn gefolgt, hat sich mit einem Schnapp dessen bemächtigt. – Das Mädchen sitzt beschämt und wie vernichtet.

»Rambleton!« rief der junge Purdy. »Was soll das? Ihr tafelt doch nicht mit den Deutschen? Habt zwar ein sehr weiches Herz, sagen unsere Newyorker Damen, aber hätte nicht geglaubt –«

Und der junge Mann wirft bei diesen Worten einen ekelhaft arroganten Blick auf die Deutschen. –

»Purdy!« ruft Rambleton. – »Purdy! keinen solchen Blick – keinen, sage ich, oder bei Gott – ich könnte Euch erwürgen –« murmelte er.

»Aber Rambleton! zum Teufel, wo fehlt es? Hat Euch der Sonnenstich angezapft?« lacht Purdy.

»Purdy!« mahnt der Kapitän – »lassen Sie diese Deutschen in Ruhe. – Wollte Gott, alle unsere Einwanderer glichen diesen Deutschen! – Aber Mister Rambleton!« wandte er sich zu diesem. – »Was haben Sie mit ihnen? Was soll alles das?«

»Fragt nicht, Kapitän! – Vielleicht mehr ein ander Mal. – Sage Euch, Freunde, – mir war eben so wohl. Möchte aufjauchzen vor Freude. Ja, ich habe getafelt, aber in Gedanken, anderswo, aber diese Deutschen! Jetzt ist das Rätsel in mir gelöst, ein Rätsel, über das ich sechs Tage gebrütet, eine Aufgabe, die ich sechs Tage hindurch zu lösen versucht habe. – Und jetzt wird es mir auf einmal klar – ja Freunde! – noch vor sechs Tagen –«

»Vor sechs Tagen, was war vor sechs Tagen?« fragt Purdy. –

»Kein Wort mehr! Nein, aber noch vor sechs Tagen, dachte ich wie Ihr – aber sage Euch –«

Und die Freunde schütteln beide die Köpfe – sehen einander an. – Sie ziehen ihn ungeduldig dem Hause zu, die Wendeltreppe hinab – in die Kajüte hinein. Langsam folgt er, unwillig, er kann sich von den Deutschen gar nicht trennen. – Die phlegmatischen Deutschen haben für ihn einen so eigenen Reiz, sie sind ihm plötzlich so ganz ans Herz gewachsen!

Und wie er am Eingange des Salons steht, verzieht sich seine Miene, der Ausdruck seiner Züge wird so missfällig. Es ist etwas wie beleidigter Stolz, verletzter amerikanischer Stolz, der sich in den eigentümlich, echt amerikanisch gekräuselten Lippen kund gibt. –

»Rambleton! Mister Rambleton!« raunen ihm die beiden in die Ohren. – »Wisst Ihr, wie Ihr darein schaut? Ihr schneidet Gesichter, gerade als ob Ihr unsere dreissig Mitpassagiere alle zum Teufel wünschen wolltet.«

»Mögt Recht haben, und versichere Euch – mir kommt es vor, als ob unserm Lande eine Wohltat geschähe, wenn der S–y an irgend einem unenteckten Felsen des Ozeans zur – Hölle führe. – Bei meiner Seele, bin ich unter Amerikanern? oder wo bin ich?« –

»Mag ich hängen, Rambleton! wenn ich Euch verstehe!« flüsterte ihm Purdy in die Ohren. –

»Mögt Recht haben – erkenne ich mich doch selbst nicht mehr – wenigstens nicht, dass ich unter Amerikanern bin.«

»Na dann öffnet Eure Augen, und Ihr werdet sehen, dass Ihr in der Kajüte des S-y seid; die Rhone und der Louis Philipp sind freilich grösser.« –

»Pshaw! – das ist's nicht!« murmelte Rambleton. – »Die Kajüte lässt sich immer noch schauen, aber die Menschen! – diese Menschen!« –

Und Sie lässt sich wirklich schauen, die Kajüte; es herrscht gediegene Pracht und Eleganz in dieser nun zum Speisesaale umgewandelten Gentlemen-Kajüte. Das Auge schweift von kostbaren türkischen Teppichen, schwellenden Sofas, von Gold, Rosenholz, Mahagoni, in mannshohe Spiegel, in denen die Köpfe der Sitzenden, die Porzellannäpfe, Schüsseln, Teller, die unter der Last der Gerichte er seufzende Tafel, mit den emporrollenden Wellen, einen Tanz aufführen, so fantastisch! Ei, wir verstehen zur See zu leben, keine Nation der Erde versteht es besser! Sie ist wirklich lieblich, diese nun in den Speisesaal umgewandelte Gentlemen-Kajüte. Die Wände sind mit Mahagoni und Rosenholz getäfelt und ausgelegt; die jetzt geschlossenen Staatszimmerchen, mit ihren winzigen Jalouisieen, mit Alabastersäulchen und vergoldeten Rähmchen verziert, der Boden mit türkischen Teppichen belegt.

»Ein Stück von dem Welschhahne, Kapitän! wenn es beliebt, die Brust, wenn gefällig.«

Die laute Bitte kommt aus dem Munde der Lady, unserer Miss Trombone, und ist an den Kapitän gerichtet, der als Tafelpräsident zugleich die Ehre hat, vorzuschneiden und zu legen.

Die Worte sind kaum aus dem Munde, als fünf gleichlautende Anforderungen sich hören lassen, unter denen jedoch eine merkbar die andern übertönt.

»Den Überrest der Brust, Kapitän! wenn's beliebt, – ohne Füllung.«

Der mit so bestimmtem Tone die vier bescheidener Stimmen überschreit, ist wieder Sir Edward, der Nachbar der Miss Trombone, der mit echt britischer Arroganz zulangt, ohne sich um die vier Damen auch nur einen Strohhalm zu kümmern. – Wenn nur er und seine Miss versorgt sind – mögen die andern schauen, wie sie zurecht kommen.

Jetzt erscheint das diensttuende Kammermädchen, und der Bediente in hellglänzender Livree. Gelegenheitlich lässt der Baronet etwas von Hunderttausenden fallen, die in irgend einer Bank deponiert sein sollen, wobei er mit mitleidigem Blicke auf die am Ende der Tafel Sitzenden – unter andern auch auf Rambleton hinabsieht – auch von bedeutenden Ländereien fliesst Einiges ein. Das hätte zwar eigentlich nicht so viel zu bedeuten, denn wir werden in der Regel auf Paketschiffen, und während der Überfahrt, immer so unermesslich reich; je tiefer wir in das Wasser hinein gelangen, desto weiter dehnen sich unsere Ländereien zu beiden Seiten des Ozeans aus, oft ins Unglaubliche; – zum Glück schneidet aber jede Meile, die wir uns dem Lande nähern, wieder ein Paar Meter von diesem Landbesitz, so dass gewöhnlich nichts übrig bleibt, wenn wir das Land selbst betreten. – Aber er lässt zuweilen auch eine Lady verlauten, zwar leise, und die Dame, sie hört es offenbar nicht gerne, sie winkt ihm, droht ihm sogar mit den Blicken – kein Zweifel, die beiden sind hochgestellte Personen, vielleicht gar – sie hat vieles von der Herzogin von St. Al-ns – das Geflüster wird so bedeutsam, und inhaltschwer! –

Ja, das ist der Punkt, der uns schwach findet. Eine Lady! ein Lord! ein Baronet! – Die, und nur die können uns aus unserer Apathie reissen, uns die Köpfe verdrehen! – In diesem Punkte sind wir wirklich erstaunlich nervenschwach – wir Fashionables nämlich von Newyork, Boston, Philadelphia und Baltimore. Mit dem starken Beisatz von Gevatter-, Schneider-, Handschuhmacher – und Krämer-Blute in unsern üppig gewordenen Adern, hat sich auch die stupide Kniebeugung dieser britischen Schuster und Schneider glücklich in unserem Wesen wieder eingefunden.

Und es hat allen Anschein, dass Newyork nächstens wieder eine solche Szene schauen dürfte. – Bereits sind unsere Landsleute Staunen und Ehrfurcht. – Kaum wagt einer eine Kotelette zu fordern, immer erst wartend, bis die Gewaltige den Ton angegeben. –

Soeben ruft sie wieder: »Stewart! Stewart!«

Und der Stewart rennt, und kommt mit einem Teller in der Hand, der die Aufmerksamkeit der Dame so wie des Baronets in nicht geringem Grade anzieht.

»Rebhühner!« ruft sie mit schmachtender Miene. »Sind sie mit Trüffeln gefüllt?«

»Nein, Maam!« versetzt der Kapitän. –

»Sehr schade!« bedauert die Maam. – »Ich bin der Meinung, dass die Trüffeln dem Wild – so wie zahmem Geflügel, erst den Haut gout verleihen. Wollen aber doch versuchen; die Brust, wenn gefällig, mit einem oder dem andern Flügelchen.«

Während der Kapitän die Brust mit dem einen oder dem andern Flügelchen für die Dame löst, lässt sich auch der Baronet vernehmen. –

»Mir wenn es gefällig, die Brust von dem andern – mit den beiden Flügeln.«

Die Rebhühner wären so weit in Sicherheit.

»Ah, Sir Edward! Sie lassen mich wirklich staunen. – Wissen Sie, Oberst Snorton! dass Sir Edward, obwohl einer der unbarmherzigsten Rebhühner-Vertilger, zu Hause kaum je dahin zu bringen ist, von den Erlegten etwas zu versuchen. Wie viele schössen Sie letztes Jahr in Ihren und unserm Parke?«

»Eine blosse Kleinigkeit, tausendsiebenhundert Stück, mit fünfhundert Fasanen.«

»Tausendsiebenhundert Stück, und fünfhundert Fasanen!« rufen Snorton, Warhorse und ein halbes Dutzend Stimmen mehr.

»So etwa, – habe es aufgezeichnet«, bemerkt hingeworfen der Baronet. – »Tom!« rief er dem Bedienten, »bringt mir doch mein Jagdregister.«

»Wissen Sie aber, Sir Edward!« bemerkt die Dame, »dass Rebhühner zur See einen eigenen gout haben? Ich muss wirklich, Kapitän! die beiden Füssen mit vielleicht –«

»Ich finde es gleichfalls, Maam!« bemerkt der Baronet. – »Kapitän! auch mich werden Sie verbinden.« –

Der Kapitän, beisst sich in die Lippen, und serviert den Rest der Delikatesse.

Einige lassen freilich die Unterlippen hängen, der Appetit des Britenpaares ist so gar grandios – aber jetzt erscheint Champagner mit dem Dessert, und diese heitern wieder die Züge auf. Die Stimmung wird belebter, obwohl noch immer einiger Zwang vorherrscht, denn von den vierzehn oder fünfzehn Amerikanern, sind nur wenige einander vorgestellt worden, und obgleich sie jetzt alle neben einander sitzen – so lässt es doch wieder unsere Yankee-Etikette nicht zu, dem fremden aber nicht vorgestellten Landsmanne ein Wort zu schenken. Aber Dank der Miss! sie ist so gefällig, die Kosten der Unterhaltung zu übernehmen, und wirklich verliert diese nichts durch die Teilnahmlosigkeit der Übrigen; grossmütig trägt sie die Last, und leicht.

»Snorton! Oberst Snorton!« bricht sie aus. – »Finden Sie nicht, dass die Gesellschaft durch das Abschaffen des fatalen Gesundheittrinkens gewonnen hat?«

»Ohne Zweifel, Maam! – Man trinkt an der Tafel Louis Philipps keine Gesundheit mehr.«

»Waren Sie an der Tafel?« fragte der Baronet.

»Hatte die Ehre,« versetzte der Virginier. – »Überhaupt Se. Majestät –«

»Wir hatten gleichfalls die Ehre,« nimmt die Miss das Wort, »zum Balle und zur Tafel – o es ist ein unvergleichlich liebenswürdiger Prinz – obwohl – Stewart! einige Schnitte Schinken. – Auch Sie, Sir Edward, werden wohl tun, Sie wissen, dass Se. Majestät die Schinken –«

»Aber ich kann mich nicht enthalten, zu bemerken,« unterbricht sich die Dame, die Majestät samt dem Schinken überhüpfend, »dass Ihr Amerikaner in der guten Lebensart –«

»Maam!« fällt Warhorse ein; »mit Verlaub Maam!« –

»Stewart, ein Glas Madeira!« ruft die Maam. – »Diese Eile, zum Beispiel des Essens.« –

»Sehr unfashionabel!« versichern Snorton und die Miss.

»Ganz unfashionabel!« bekräftigt der Baronet mit einem Blicke des Mitleides auf einige der Gäste, die, nachdem sie einige Glas Champagner geleert, sich von der Tafel erheben. »In unsern guten Häusern ist es heilige Sitte, nie unter drei Stunden, bei der Tafel zu sitzen.« –

»Aber wir jetzt zur See!« bemerkt der Kapitän ein wenig trocken, »und –«

»Und wir nehmen es Ihnen gar nicht übel, lieber Kapitän! wenn Sie, Ihren Berufsgeschäften folgen, und uns das Vergnügen Ihrer Gesellschaft entziehen sollten.«

Der Kapitän murmelt etwas von britischer Unverschämtheit und erhebt sich von der Tafel. Mehrere folgen seinem Beispiele, die Fashionables bleiben, offenbar um die gute Lebensart so recht aus dem Grunde zu studieren.

Die Dame erhebt das Madeira-Glas, wäscht mit dem Inhalte desselben die Schinken hinab, lässt dann ein Glas Champagner folgen, und das Lorgnon hebend, mustert sie die Abgehenden. –

»Die Toiletten Ihrer Damen, Miss Snorton! sind gar nicht übel, freilich die französische Tournure fehlt, wo haben Sie Ihre Robe fertigen lassen?«

»Bei Feuillards, Maam!« –

»Feuillards? der Name ist mir nicht bekannt. – Aber ich will Ihnen meine Künstlerin – Oberst Symmes! Wollen Sie mein Ganymed!« –

»Kenne zwar den Herrn nicht«; versetzte der Oberst Symmes, das Glas füllend.

Doch die Dame hat ihr hohes Augenmerk bereits auf einen andern Gegenstand gerichtet und bald darauf rauscht sie stolzerhobenen Hauptes im Gefolge ihrer Trabanten hinaus.

Und der Stewart und die Stewardess kommen gerannt, und ihre beiden Adjunkten. – Und der Kapitän wieder, mit zusammengebissenen Lippen und stoischer Amtsmiene, steht beschauend und überlegend, mit einem Gesichte, – der Präsident am Inaugurationstage kann keine bedenklichere Miene zur Schau tragen; – aber er hat seine Lehrzeit auf Liverpool er Paketschiffen ausgestanden, treffliche Schulen, um klare Begriffe von John Bulls guter Lebensart, und vielseitiger Liebenswürdigkeit, zu erlangen; – mit vieler Resignation, und bloss noch drei Flüchen einschaltend, äussert er im gelassensten Töne: »Bringt die verruchten Briten in ihre Kojen. Und dann marsch, und die Kabine gefegt.«

Im Hause also wird der Tee genommen.

Im Hause aber stehen zwei rohrgeflochtene Sofas backbord und stallbord, in der Mitte das Geländer, das die in die Salons führende Wendeltreppe einfasst – alles recht bequem anständig, so wie die Teepartie wieder eine ganz anständige ist, eine mehr amerikanische Partie; denn sie besteht ganz aus Amerikanern; die Franzosen lieben den Tee nicht, und promenieren debattierend und pestilenzialische Zigarren rauchend auf dem Verdeck, und der Holländer raucht gleichfalls aus einer gewaltig langen Pfeife, aber mit dem Rücken gegen das Skylight sitzend, während seine Frow den Tabaksbeutel und die Teetassen hält; der Irländer, auch einen Irländer hat das Schiff das Glück an Bord zu besitzen, – eine originelle, zuweilen auch halbverrückte Karrikatur, poltert am Deck auf und ab, zur Plage sämtlicher Matrosen, denen er bereits zehn Mal in den Weg gestolpert ist. Also unsere Teepartie ist ganz amerikanisch, und wie alles echt Amerikanische, spricht sie euch durch den männlich offenen Ton wieder recht wohltuend an. – Er ist auch nie liebenswürdiger, Bruder Jonathan, als bei seiner Teepartie, wenn er des Tages Wirbelwinde und Stürme hinter sich, ruhig und gleichmütig, freundlich sich den Seinigen anschliesst. Kaum würdet ihr die Personen des Diners mehr erkennen, selbst der mehr als zur Hälfte über See schwebende Warhorse hat seine grandios windbeutelnden Segel eingezogen. Zwei der Platznehmenden fallen vor allem auf, der eine ein Südkaroliner, der andere ein Ostvirginier, beide ganz comme il faut. Der Karoliner, einigermassen formell, vielleicht für seine Jahre zu elegant, aber nichts Dandyhaftes – vielmehr die alte Karolinaschule, wohl eine der besten, die es für Gentlemen je gegeben. Einige sehr gebildete Gouverneure waren die Schulmeister der Pflanzer der damaligen Kolonie, im Gegensatze zu heutzutage, wo das souveräne Volk den Schulmeister spielt. Aber der Gentleman, oder was dasselbe sagen will, der Mann von Ehre und Welt, leuchtet aus jeder seiner Bewegungen hervor. Beide haben ihre Familien mit sich, Frauen und Töchter, in denen sich die Spuren der geschwundenen Schönheit der Mütter recht lieblich wiederfinden. Es ist wirklich ein Vergnügen, zur See eine solche Gruppe zu schauen, wie sie sich hier zusammen findet. An der Seite der Karolinerin thront ein Mädchen mit schwarzen feurigen Augen und herrlich gewölbten Brauen. – Neben ihr eine blauäugige Virginierin, mit halbbrünettem Gesichte, feurigen Augen, lebendigem Mienen- und Gebärdenspiele, sehr vielem Adel und Selbstbewusstsein in den Zügen. Auch die Mutter ist trotz ihrer vierzig oder fünfundvierzig Jahre noch immer eine sehr anziehende Erscheinung – bei uns, wo die Damen etwas schnell verblühen, ein seltener Fall.

»Aber wo ist denn der junge Mann? der Mister? Mister?« fragt ganz unvermittelt der Karoliner Papa.

Seltsam, die beiden Mädchen erröten, zwar nur leicht, aber ihre Blicke begegnen sich, ertappen sich – ein sprödes Beissen der Lippen – der fragliche Gegenstand wird dieses Lippenbeissen wohl teuer bezahlen müssen.

Der Kapitän, in seiner Herrscherwürde thronend, ist aufgesprungen; »Mister Rambleton!« rufend, und auf das Verdeck hinaus eilend. – Die Misses werden gespannter, immer gespannter. Eine stärkere Röte hat ihre Gesichter gefärbt, wie der Seemann mit dem jungen Manne, Arm in Arm durch die Flügeltüren eintritt, wie dieser mit dem vollendeten Benehmen eines Gentleman die Sitzenden begrüsst, und sich auf dem Sitze des Kapitäns niederlässt.

»Mister Rambleton! Sohn des Hauses Ramble et Co.« –

Und die ganze Partie begrüsst den jungen Mann achtungsvoll; die beiden Alten, der Virginier und Karoliner, scharf prüfend, obwohl zuletzt zufrieden nickend. Er ist offenbar Gentleman, aber nicht aus der alten, sondern der neuen Schule, seine Manieren haben noch etwas eckig Steifes, keine Rundung, der Charakter – auch eine gewisse Kälte, die beim Amerikaner, unter seinen Landsleuten, wenn sie Peers sind, auffällt, und besonders den beiden Misses aufzufallen scheint; denn in seinen Zügen ist auch keine Spur jenes Gefühls zu merken, die der Vierundzwanzigjährige, gegenüber zwei holden Evatöchtern, kaum unterdrücken kann, wenn auch nur der leiseste Hauch in seinem Innern wehen sollte. –

Hier scheint aber auch nicht der leiseste zu wehen. Die Blicke der beiden fallen auf den Kapitän, wollen aus seinem Benehmen etwas nähere Aufschlüsse ziehen, aber dieser ist und bleibt derselbe, kalt gemessene, sich ewig gleiche Seemann.

Das Rätselhafte zieht an, ihr merkt es mehr und mehr. – Die beiden Mädchen werden zusehends lebendiger, interessanter, wie die Partie abgeschlossener wird, sich in zwei Hälften teilt, die junge und die alte. – Warhorse und Snorton sind mit der Miss, und noch einigen aufs Verdeck hinaus, vielleicht um frische Luft zu schöpfen, vielleicht weil sie sich nicht ganz behaglich fühlen.

Das wäre nun eine Gelegenheit zu einem ganz artigen Roman – aber die fatale prosaische Seewelt! –

»Four bell!« brüllt es auf einmal vom Helm herüber. – »Four bell!« brüllen die wachehabenden Matrosen, die Glocke fällt ein, und als wenn der Glockenklang sie zur Kirche riefe, so erheben nun die deutschen Verdeckspassagiere ihre Stimmen, und brechen aus in Abendgesang und Gottes Lob. – Es ist ihre tägliche Sitte, und eine schöne Sitte ist's, den Gott der Heimat im Herzen, und über die Wasserwelt zu tragen, in ferne Zonen und Wälder. – Mögt ihr sie nie verlernen, diese schönste aller Sitten, ihr guten Deutschen! – Wie die Töne über das Verdeck hinschallen, und auf den Fittichen der Windsbraut getragen, in den Lüften verhallen, fühlt ihr euch recht so von Herzen ergriffen – die Chronique scandaleuse, die süssen Hoffnungen, das zarte Sehnen schweigen. – Väter, Mütter, Töchter und Kinder, eilen einstimmig hinaus, um an dem Gottesdienste der guten Deutschen Anteil zu nehmen.

Und Rambletons Züge werden ungemein weich, wie er zwischen den beiden Mädchen, die ihm durch einstimmige Worte der Eltern bereits als zweiten Schutzherrn anheimgefallen, stehend – den Tönen lauscht, aber mit gegen Osten gewandten Augen. – Zwei der lieblichsten Landsmänninnen an den Armen, schwelgt er in östlichen Bildern – mit den Landsmänninnen scherzend, ist sein Geist am Zürcher Seeufer, selbst der liebenswürdig heitere Geist, dem sich unsere Landsmänninnen vis à vis Landsleuten so gern hingeben, vermag nicht, ihn aus den lieblichen Träumen zu wecken. – Er lacht, er scherzt mit den beiden holden Wesen, aber er trägt einen entfernten Gegenstand im Herzen, selbst die Blicke, die er auf sie fallen lässt, sie verraten es. Und der gekränkte Stolz wird Neugierde, und der junge Mann nun wirklich interessant, wie er, eine Liebe im Herzen, mit einer zweiten sein Spiel treibt – ein Spiel das. – Wie schade, dass der Ruf zum Souper dieses Spiel unterbricht.

Der Abend aber ist wunderschön, die Atmosphäre so rein, so durchsichtig, die Sterne scheinen in dem Aether näher gerückt. Wie sich der Blick über die, in der schärfer gewordenen östlichen Brise gewaltig geblähten Segel, zum Flagstaff der höchsten Spitze des Mittelmastes emporhebt, tanzen sie mit dem von den Wellen vorwärts geschaukelten und gerissenen Schiffe einen so reizenden Tanz. – Stunden lang vermögt ihr diesem Reigen zuzuschauen, zu dem die, durch die Rahen und Taue seufzenden Aeolsharfentöne die Musik spielen.

Der Mann am Helme ruft, und die Glocke tönt die zehnte Stunde, gerade wie Rambleton mit den Landsmänninnen auf das Verdeck herauf getanzt kommt, Fröhlichkeit aus den lebensfrohen Zügen leuchtend und lachend. –

Noch einmal schaut er nach Osten zurück, aber dann wendet er seinen Blick dem Westen zu.


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