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26. Mai.
Sechs Tage Nordwester, und den siebenten zur Abwechselung einen Wester aus Süden, mit tollen Squalls Heftiger Windstoss mit Regen., und einer See, die der seit den letzten sechs Tagen aus dem Norden gekommenen, so recht in den Nacken geraten, – und dazu dreissig Passagiere in der Kajüte; – die stillen wieder den Übermutkitzel, der während der ersten achtundvierzig Stunden des Nordosters rege geworden war.
Der S–y und seine Inwohner sind kaum mehr zu erkennen, so sind sie zugerichtet. Die beiden Kajüten, besonders die der Gentlemen, sind zu einer Jammerhöhle geworden. Es ist aber auch ein jämmerliches Dasein! Dreissig lebende Geschöpfe in einem hölzernen Verliesse von vierundzwanzig Schuh Breite, einigen vierzig Länge, und in diesem hölzernen Verliesse, bald vierzig Fuss oben auf einer Welle, in den nächsten zehn Sekunden wieder ebenso viele unten in ihrem Schlunde – einen schottischen Reel tanzend – vorwärts, rückwärts, seitwärts geworfen, gerollt, gekollert, gestossen, gewälzt, in der ganzen Kajüte auch nicht ein Plätzchen, um eine Viertelstunde Ruhe zu gemessen; und über und darüber eine Luft, die erstickend ist, Dampf und Gerüchen von zwanzig Seekranken verbreitet, horribel!
An Schlaf lässt sich nicht denken, ausgenommen, Magen und Knochen sind durch ein halbes Dutzend Fahrten um das Kap Horn und das Kap der guten Hoffnung gehörig präpariert; Wachen lässt sich dieser Zustand ebensowenig nennen; man ist sich selbst zum Ekel geworden, gerade nur so viel Instinkt behält man bei, sich mit Händen und Füssen an die Wände seines Berths anzuklammern, um nicht von einem Lurch Das heftige Hin- und Herrollen des Schiffes, das von einer von der Leeseite kommenden Welle ergriffen, auf die Windseite geworfen, von dieser Seite zurückgeworfen, in eine wie trunken taumelnde Bewegung gerät, die natürlich sehr unangenehme Wirkungen hervorbringt.. aus dem Bette heraus in die Mitte der Kajüte, den Schachteln, Koffern und Mantelsäcken nachbefördert zu werden.
Es ist die erste wahrhaft stürmische Nacht – der frühere Nordwester war zwar auch steif, aber er blies regelmässig, wogegen dieser Südwester jede andere Stunde einen Squall bringt, der uns, statt nach Amerika, nach Grönland hinauf treibt«. – Es ist eine bitterböse Nacht, die, wie alle bitterbösen Dinge, kein Ende nehmen will, und eure Geduld und Philosophie auf eine harte Probe stellt. Ein Paar beten, andere fluchen, ein drittes Paar stöhnt und ächzt, und ein viertes heult geradezu. Zuweilen ein plumper Fall; es ist ein Landlubber, wie diese bemitleidenswertesten aller Seefahrer genannt werden, der aus seinem Berth heraus mitten in die Kajüte hinein geworfen ist. – – Alles ist rebellisch und wie rasend geworden.
Es ist Nacht – die Glaskuppel der Gentlemens-Kajüte verhängt und vernagelt, die beiden Astrallampen allein dämmern ein mattes Licht über die verpestete Atmosphäre der Kajüten hin. Um die Tafel herum sitzen ein paar gespenstische Gestalten, bleich und unirdisch zu schauen, und nur noch halb lebendig. – Es sind die Franzosen. – Krampfhaft halten sie sich am Tisch und den gepolsterten Lehnen der Mahagonibänke, sie sind bald durch das aufrollende Schiff in ein Fragezeichen zusammengedrückt, wieder durch den schlotternd walkenden Lurch, wie mit Zangen auseinander gerissen. Sie starren so glotzend um sich, schaudern so furchtbar zusammen, in dem Augenblicke glauben sie sicherlich an Teufe! und Hölle. Schwören möchtet ihr jetzt, dass das Schiff, in dessen Innern ihr schmachtet, gleich euch selbst geängstigt und gepeinigt im wütendsten Schmerze aufschreie. Diese Töne! Es sind nicht mehr die schnarrenden krachenden Laute, die zusammengefügte Balken und Bretter, mit Macht auseinander gezerrt und gerissen, van sich geben, – es ist etwas Gespenstiges in diesem, aus tiefem Seegrunde heraufdröhnenden Gestöhne; es ist als ob die Götter der Haine, von den Seegeistern auf die Folter gespannt, aus hohlen Meeresgründen heraufächzten. Erschütternde Töne! Ihr glaubt, jeden Augenblick müsse das Schiff zusammenbrechen und seine Seele aushauchen.
Will denn diese Nacht kein Ende mehr nehmen?
Endlich lässt sich der Ruf der zweiten Wache vernehmen, oben im Hause schreitet sie einem der Staatszimmer zu; euer Blick fällt auf die Skylights; die schwarzgrünen Linsen haben etwas Graues angenommen; – es sind die ersten Strahlen der Morgendämmerung, die durch sie hereinfallen. – O, diese Morgendämmerung! wie sucht ihr sie gleichsam mit den letzten Kräften, die euch geblieben sind, aus der düstern Nacht heraufzuziehen! – Endlich betritt sie die Wendeltreppe der Kajüte. – Es ist der erste Maat, der seine Wache antritt, und nun der Kajüte einen Besuch abstattet, um vorläufig eine Stärkung vom Schenktische zu nehmen.
Mister Beattie ist ein kleines freundliches Männchen, voll Wichtigkeit, einer gewaltigen Amtsmiene und einem unerschöpflichen Vorrat von See- und Walfischabenteuern, irgendwo um Nantucket herum zu Hause.
Seine glücklichste Stunde ist, wenn er, eine Zigarre im Munde und kurzen Schrittes das Verdeck messend, euch eines seiner unzähligen Walfischabenteuer anhängen kann. Jetzt gäbet ihr etwas für ein solches Abenteuer, viel gäbet ihr darum, aber des Mannes Gesicht deutet auf Sturm, und wieder Sturm, so wie sein Anzug auf sehr trübes Wetter. Er hat eine Jacke vom dicksten Seetuche, die über das Knie herabgeht, darüber einen Überwurf von Öltuch, auf dem Kopfe eine Art Barbierschüssel, die sich wie eine Mosestafel hinten hinab verlängert, und Stiefel, die zu den Schenkeln hinaufreichen. – Finster und energisch tritt er zu dem Schenktisch, prüft eine Bouteille, eine zweite, dritte, und schenkt endlich aus der vierten das Glas voll. –
»Wie ist der Wind?« seufzt es aus einem der Schlafzimmer.
»Hat der Wind sich verändert?« stöhnt es vom Tische herüber.
Die Fragen sind so kläglich herausgejammert – ihr spürt es an der Betonung, dass die Fragenden Höllenangst ausstehen, aber keine Antwort. – Auch kein Wunder! Er musste aus seinem ersten Schlafe auf.
»Mister Beattie! In welcher Richtung geht das Schiff?«
Die echt seemännische Frage liess ihn aufschauen.
»North, Sir! North by East. – Damn it Sir!«
Das Damn it Sir! hat euch nie lieblicher in den Ohren geklungen. Es ist Trost in diesem Damn; es verkündet, dass trotz Squall und Sturm, die unsern Seemann wild machen, alles noch wohl, der Zustand des Schiffes nicht gefährlich ist – erst wenn wirkliche Gefahr vorhanden, verlernt der Seemann das Fluchen. Aber das Beste ist, seine Wache verkündet die vierte Morgenstunde, den Anbruch des Tages. Ihr erhebt eure Jammergestalt aus dem Berth, pausiert aber sorgfältig, die Pause, die nach dem Rollen des Schiffes gewöhnlich eintritt, abwartend, und in dieser Pause schwingt oder kriecht ihr aus dem Berth, die eine Hand fest an den Bettladen haltend, und zugleich balancierend, um nicht von einem Lurch wieder ins Berth hinein, oder durch die Türe in die Kajüte hinausgeworfen zu werden; so gelangt ihr müh- und trübselig in die Kleider, und über losgerissene, in der Kajüte umherrollende Koffer, Reisesäcke und Schachteln, zur Wendeltreppe – in das Haus hinauf – öffnet diese, prallt zurück. – Der Anblick ist grausig, es durchrüttelt euch wie Fieberfrost. –
Draussen ist's noch halbe Nacht, die finstere Nacht verschwimmt in ein schweres trübes Grau. Der Streit dieses Graues mit der Nacht, hat etwas Grausiges; alles ist wirrig – streitender Nachtschatten, Nebel; diese Nachtschatten weichen nur widerspenstig.
Alles ist noch stille auf dem Verdecke; bloss der erste und vierte Leutnant, die beiden Männer am Helm, und die Wache am Forecastle, sind am Leben. Die übrigen schlafen alle. Schlafen? nicht doch, sie schwimmen, in einem Zustande, nicht Schlaf, nicht Wachen – nicht Leben, nicht Tod, ein Spiel der Wogen, die immer stärker vor den heranbrausenden Squalls auf euer armes Schiff lostürmen. Nur die vollendete Geschicklichkeit der beiden Männer am Steuer; denn es sind ihrer jetzt zwei angestellt, können euch und euer Schiff vor der Zersplitterung retten – ein einziger Fehlgriff der beiden Männer, und euer Schiff ist wie ein Kartenhaus zusammengedrückt, die Wände wie Spinnengewebe zerrissen. Der Gedanke ist furchtbar, aber ihr seid mit ihm so vertraut geworden, dass er alles Schreckhafte nicht nur verloren hat, der Anblick der wütenden See, im Gegenteile eure abgespannten Nerven wieder kräftigt, sowie die gemessene Ruhe der Seemänner euerm beängstigten Gemüte wieder Haltung und Betonung verleiht. Aber der Sturm ist im Zunehmen, der Barometer fällt noch immer, der Kompass zeigt auf North, gerade nach Grönland hinauf, bloss Haupt- und Topsegel sind gesetzt, aber doppelt gekürzt. Es ist also nicht zu scherzen, wie euch der oberflächlichste Blick auf Himmel und See schon belehrt. Die See hat auch bereits das tiefblaue Indigo-Blau des Ozeans angenommen, dessen Hochgewässern ihr euch bis zum Ausbruche des Südwesters stark genähert, – die letzte Beobachtung des Kapitäns hat 16 Grad der Länge und 46 der Breite ergeben – ein Resultat, das bei sechs Tagen Nordwester, und bloss achtundvierzig Stunden östlichen Windes, nur wieder auf unsern Paketschiffen und durch amerikanische Seemänner erzielbar ist. –
Im Osten wirds hell über einen schneeweissen Dunstgürtel hinauf in das Himmelsgezelt wird es lichtgrau – der Himmel ist wie umflort, ahnungsvoll, unheilverkündigend; weiter hinauf verdüstert sich der Schleier, gegen Nordwest stürmen die Wolkenschläuche schwarz und wild herauf – gegen Südwest – dieser Südwest fesselt euern Blick, der allmählich einen Ausdruck des Entsetzens annimmt. Die Wolken steigen da so grausig rotgrau herauf – je länger ihr in dieses chaotische Rotgrau hinausschaut, desto grausiger erscheint es euch. – Eine furchtbare Wut lauert und kocht in diesen chaotischen rotgrauen Nebelwolken, diesen bleichen gespenstischen Schattenbildern furchtbarer Squalls, vor denen ein Luftstrom heranbraust, so rasend, so durchdringend nasskalt, so pfeifend, so heulend. – Es ist die entsetzlichste Jagd, die ihr zu schauen bestimmt seid. Furchtbar ist das Vorspiel.
Der Ausbruch des Sturmes ist vor der Türe; die Gestade sind an die tausend Meilen im Rücken. Ein Heer von Wogen – nicht mehr eure kurzen gepeitschten, störrisch englischen, oder mutwillig französischen Wellen, mit ihrem kecken Affentanze, gefährlich bloss durch die Felsenriffe, an die sie anheulen. Nein, eure lang gestreckten, majestätischen Wogen, den Mund und den Scheitel in Schaum gehüllt, den sie in Strömen umherspritzen, Millionen auseinander gerissene Granitberge, die Häupter mit Schnee und Eis bedeckt, und von Millionen inwohnender Seegeister rebellisch gemacht und aneinander gehetzt. – Es ist die wildeste, grässlichste Jagd, die jetzt beginnt.
Jetzt steigt die Sonne hinter dem Dunstsaume herauf, schneeweiss, wässerig und kalt; nur wenige Minuten lässt sie sich schauen, dann eilt sie den grünen Wolkenhang hinauf; aber diese kurzen Minuten hellen euch ein Schauspiel auf! Die Strahlen fallen verschleiert vom Dunstgürtel im Osten gegen Westen herüber, ihr seht den Ozean in seiner Lichtglorie und zugleich im nächtlichen Schrecken und Entsetzen. Ganz im äussersten Osten erglänzt der flüssige Silberstrom, weiter gegen Westen zu schäumen die Wogen aus dem Tiefblau herauf, in das schönste Smaragdgrün, das in breiten Adern die tiefblaue Masse durchzieht, ein ungeheurer flüssiger Smaragdstrom, der sich gegen den Scheitel zu in das glänzendste Silberweiss aufhellt, ganz oben mit einer Krone, die majestätisch hoch in die Lüfte sich wölbt, und in die düstern Wolken zu dringen scheint. Soeben rollt eine dieser kollossalen Wogen, in ganzer Kielslänge, und dreissig Fuss über dem Verdecke ansteigend, an euer Schiff heran, das, in der Tiefe des Troges fortgerissen, stöhnend und dröhnend dem Wasserungeheuer entgegen schwankt. – Entsetzt hängt euer Auge an der emporgetürmten Masse, die das festeste Schloss wie einen Lehmhaufen mit sich fortreissen müsste – als eine Unterwelle, dem sich nun kräuselnden Ungeheuer begegnend, dieser den Scheitel überschlagen lässt, im nächsten Augenblicke platzt auch die ganze Masse zusammen, euer Schiff wirbelt, dreht sich stöhnend, ächzend, wie von einem Strudel erfasst, in wenigen Sekunden darauf reitet es wie triumphierend auf der zerstobenen Woge, die ein Feld von Silberschaum die ganze Kiellänge hinquirlt. – Im Anblick des Schreckens habt ihr Schrecken und Entsetzen vergessen, Seekrankheit und Trübsal. –
Der Ruf Seven bells mahnt euch wieder aus der grausigen Natur zum prosaischen See-Elend zurück. –
»Seven bells!« rufen die beiden Männer am Helm.
»Seven bells!« brüllen die wachehabenden Matrosen zurück, die Glocke fällt ein, in der Luke der Matrosen im Forecastle wird es lebendig.
Gegen den Gangway zu, auf der Windseite, steht der erste Leutnant, einige Schritte hinter ihm, in achtungsvoller Ferne, der vierte. – Beider Blicke sind auf die Segel gerichtet, und zurück zu den Männern am Ruder. – Kein Wort wird gesprochen, aber zeitweilig tritt der erste vor an das Skylight, um den Kompass zu schauen, worauf ein: Nachgegeben! Könnt ihr nicht? Nachgegeben! Hört ihr! sich hören lässt. In dem Augenblicke ist auch eine Welle am Schiffe – eine See über das Verdeck hin, die beiden Maates ducken sich, werden aber von der Welle erreicht, die einen Fuss hoch das Verdeck unter Wasser setzt – das achtet aber Mister Beattie ebenso wenig, als wenn ein Fläschchen Eau de Cologne über ihn gegossen wäre. – Er schüttelt den kalten Seestrom ab, springt zurück, und schreit abermals: »Luff Man!«
»Luff Sir!« antwortet einer der Männer am Steuer.
Jetzt ist's recht, und gleichmütig stellen sich die beiden Leutnants wieder auf ihre Posten.
Mittlerweile sind die Matrosen – aus ihrer Höhle heraus; – kaum sind sie ans Tageslicht gekommen, als Mister Beattie mit einer Stentorstimme auch donnert:
Vorwärts, Verdeck gewaschen!
Und jetzt, bricht eine Sündflut von Seewasser, aus zwölf immer wieder und wieder gefüllten Kübeln, über das Verdeck hin, das in wenigen Minuten auch nicht ein Fingerbreit trockenes Plätzchen mehr aufweist, auf welches ihr den müden Fuss setzen könntet; denn auch im Hause hat des Stewarts Gehilfe einen ähnlichen Reinigungsprozess unternommen, und ihr müsst weichen vor Besen und Kübel, wohin? das ist eine schwere Aufgabe; in die verpestete Kajüte wollt und könnt ihr nicht, denn in diesem pestilenzialischen Pfuhle vermögt ihr es absolut nicht mehr auszuhalten; so steigt ihr denn empor, entweder in die oberen Stockwerke – oder auf das Dach des Hauses zu den Hühnern, die in diesem Augenblicke sicher mehr Herz im Leibe haben als ihr.
Der Teufel hole dieses heillose Leben einfürallemal!
Der Anblick dieser armen Wichte da unten, tröstet euch sichtlich, muss euch trösten; denn ihr Anblick zeigt euch, dass euer Kajüten-Fegefeuer, sagt was ihr wollt, im Vergleich zu der absoluten Hölle dieser armen Seelen, ein wahres Paradies sein müsse.
Fünfundvierzig Schuh Länge, vierundzwanzig Breite, und sieben Höhe oder Tiefe, und in dieser Länge, Breite, Tiefe, achtunddreissig bis vierzig Verschlage, Deckberths genannt, und in jedem dieser Deckberths oder Bettstellen, vier hessische, bairische, badische, schwäbische Subjekte, hundertundfünfzig bis -sechzig seekranke Subjekte; im Vergleiche mit ihnen leben unsere Schweine und Schafe, wie Prinzen. Was doch die Hoffnung der Freiheit nicht alles ertragen macht! Wenn diese armen Narren ja gegen ihre Erdengötter gesündigt, so büssen sie hier in diesem Schmutzpfuhle furchtbar ab. Sie sehen nicht mehr menschlich aus, diese Gestalten und Köpfe, in Schlafhauben und Tücher eingetan; der Schmutz ist übermenschlich.
Mehrere dieser Jammergestalten wagen sich, von Hunger getrieben, wirklich auf die Oberwelt herauf, vor ihnen her ein Paar zerlumpte zehn- und zwölfjährige Baarfüsser, die ihnen einigermassen Mut machen, das Wagestück gleichfalls zu bestehen. Für sie ist es wirklich ein Wagestück; denn das Schiff rollt so furchtbar, als ob es jeden Augenblick umzuschlagen gedächte, – mit der grössten Anstrengung arbeiten sie sich aus der Luke herauf, sich sorgsam an dem vorspringenden Gesimse haltend. Jetzt ergreifen sie die von dem Mittelmaste herabhängenden Taue. – Das Ziel ist jedoch noch nicht erreicht – im Gegenteil, jetzt fangen die Prüfungen erst an. – Sie sollen mit den Kesseln und Pfannen zur Küche, um in diesem furchtbaren Wetter ihr Mahl zu kochen. Wenn sie erst nur da wären! Sie haben gerade ein halbes Dutzend Schritte zur Küche; drei von diesem halben Dutzend haben sie längs der Schiffswand, und sich an diese haltend, zurückgelegt, aber die noch übrigen drei! Wäre es festes Land, sie würden darüber hinsetzen, tausend Mal haben sie es getan – aber es ist auf schlüpfrig nassem Bretterboden, einem rollenden Schiffe. – Mit wahrer Seelenangst lauern sie jetzt auf den günstigen Zeitpunkt, er scheint endlich gekommen zu sein, das Schiff hat einen Lurch erhalten, der es links geworfen, die Pause ist günstig, sie setzen sich in Bewegung. – Bereits haben sie die Küche erreicht, da gibt das Schiff einen zweiten Lurch, und Töpfe und Männer, und Weiber und Kartoffeln, und Klösse und Suppen, rollen daher, über sie springt tanzenden Schrittes der Stewart, in der einen Hand einen Pack Hühner, in der andern eine Ladung frisch gebackener Brötchen. –
Wer doch die beneidenswerte Balancierkunst dieses Mannes besässe!
Rolle das Schiff hin, rolle es her, er tanzt über die Bretter, die Treppen auf und ab, eure ausgelerntesten Seilkünstler mögen versuchen, es ihm nachzumachen. Sturm hin, Sturm her, seinen philosophischen Gleichmut kümmert das nicht im Geringsten. Er lacht des Sturmes, was geht ihn der Sturm an, der ist die Sorge des Kapitäns, seine ist wieder eine andere – die Koteletten und Omeletten, und Hühner, und der Kaffee und Tee zum Frühstück, die sind seine Sorge – die sind ihm jetzt einzig und allein im Kopfe, und die Bratwürste, die notwendig zum Dejeuner gehören, unabwendbar gehören; denn ohne Bratwürste ist kein amerikanisches Frühstück, von Maine bis zum Golf von Mexiko denkbar. Mit derselben gleichmütigen Ruhe hält er euch Seekranken das Becken hin, mit der er euch, wenn ihr wieder gesundet, die Champagnerbouteille reicht, schneidet den Hühnern mit ebenso wenig Skrupel die Hälse, und euern Zehen die Hühneraugen aus, bäckt Pasteten und Torten, und glättet Wäsche inmitten des rasendsten Squalls.
In dem Hause haben sich mittlerweile die Fragmente eurer Kajütengesellschaft zusammengefunden. Es sind blosse Fragmente von dem was sie waren; ein halbjähriges Krankenlager könnte sie nicht ärger zugerichtet haben, – wenigstens die sogenannten Landkrebse, obwohl auch eure Seekrebse nicht ohne Schlappe davon gekommen; – aber diese armen sogenannten Landlubbers, sie scheinen in dieser Nacht um zwanzig Jahre älter geworden zu sein. Diese farblosen, erdfahlen Gesichter!
– Aber jetzt kommen sie, die euch Ruhe geben können, wenn ihr deren fähig seid. – Es sind die Greatons und Humphreys, der Caroliner und Virginier, mit ihren Familien. – Sie kommen, das Common prayer in der Hand, die Wendeltreppe herauf, so ruhig, mit einer so sicheren Haltung, dass aller Blicke sich mit einem gewissen stillen Entzücken, auf diese stillen ruhigen Gesichter heften. Sie grüssen wieder mit stillen Blicken und Worten die Versammelten, die, von unwillkürlicher Achtung getrieben, von den Sofas aufstehen. – Bloss die Damen nehmen aber Sitze, die beiden Männer bleiben stehen – treten dann einen Augenblick hinaus auf das Verdeck, um nach den Segeln und Kompass zu sehen, und schliessen sich dann wieder ruhig an ihre Familien an. Auch sie haben gelitten in letzter Nacht, sehr gelitten, und leiden noch immer, denn der Sturm nimmt mit jeder Minute zu; – aber in ihren besorgten und bekümmerten Gesichtern leuchtet wieder eine so heitere Ruhe, eine so trostvolle Ergebenheit, ein so ungetrübter Gleichmut, ein einziger Blick in diese Gesichter der Väter und Mütter sagt euch, dass es Menschen sind, die mit sich selbst einig, auch heiter dem Tode entgegengehen würden, ihn nicht fürchtend, nicht scheuend, keine Frömmler – nein, Weltmänner, Hausväter und häusliche Frauen, die aber ihrer Würde bewusst, den Weg ihrer Pflichten gegangen, der Ewigkeit vertrauungsvoll ins Angesicht schauen. – Der Anblick, die Nähe solcher Menschen versöhnt euch beruhigt euch, lehrt euch den Wert des innern Friedens, die Hoheit moralischer Würde kennen und achten. –
Es ist jetzt etwas Ungeheures in der empörten Natur, etwas über alle Beschreibung Furchtbares – aber es ist auch etwas Erhabenes in dem Manne, der mitten in dieser Empörung, den Blick ruhig nach innen und oben gerichtet, stehen kann.
Der Sturm wird heftiger, die See geht höher und höher, die Wogen rollen an dreissig Fuss über die Verdeckshöhe heran – dazu ein Squall, der aus Süden heraufbricht – er scheint selbst den beiden Ehrenmännern sehr bedenklich, kopfschüttelnd sehen sie besorgt diesem Squall entgegen – senden ihre Frauen und Kinder in die Kajüte hinab. – Es braust immer furchtbarer heran, die Wogen rauschen wie unterirdischer Donner – selbst der Maat schüttelt den Kopf – er schaut so verwildert hinaus in das grausige Grau, plötzlich rennt er auf den Kompass zu, dann ins Haus, öffnet die Tür des Staatszimmers, wo der Kapitän schläft. – Der Kapitän springt auf, im blossen Hemde und Unterbeinkleidern heraus, ihm nach Rambleton, der das Zimmer mit ihm teilt – der Squall ist aber schneller.
Dieses Gesause, Gebrause, Geheul! Es ist als ob der nun in höchster Wut rasende Ozean die Welt aus ihren Fugen reissen wollte. – Mehr tot als lebendig stieren die noch im Hause Gebliebenen den furchtbaren Wolkenmassen entgegen, die rotgrau her aufbrausen – vor ihnen ein giftiger Nebelzug. – Keine Menschenstimme ist in dem Aufruhr der gepeitschten See und dem Sturmgeheul mehr zu hören, selbst die Donnerstimme des Kapitäns, sie verschallt wie das Lallen eines Kindes. – Er schreit etwas von Mainsail, Mainsail.
»Hinab in die Kajüte!« schreien jetzt der Caroliner und Virginier. –
Und alles stürzt jetzt hinab in die Kajüte, im nächsten Augenblicke ein ungeheurer Schlag – ein Stoss – ein Schall, wie der Donner einer hundertpfündigen Kanone – das Schiff sinkt – die Wasser rauschen darüber hin.
– Gott gnade allen. –
Es sinkt. – Eine Todesstille – drei Minuten eine entsetzliche Todesstille, in der nur das entsetzliche Stöhnen des in seiner Lebensader getroffenen Schiffes hörbar wird. – Endlich richtet es sich von dem grausamen Schlage auf – wirft sich herum, rollt wieder empor, aber so langsam, traurig – als wollte es sagen: Noch ein solcher Schlag und –
Der Schlag war furchtbar – die Woge, über dreissig Fuss hoch, und an die hundert lang, hat sich in ihrer ganzen Masse über das Verdeck hingeworfen, zu eben der Zeit über die Windseite hingeworfen, wo ein Leelurch diese blossgegeben; hat das grosse Boot eingestaucht, mehrere Wasser- und andere Fässer aus ihrem Halte gerissen, diese durch das Verdecksgeländer geschleudert und einen Gräuel der Zerstörung angerichtet. – Jetzt wird die Stimme des Kapitäns hörbar, gleich darauf eine zweite – einen Schrei hört ihr, der durch Mark und Knochen dringt – der selbst die eisernen Seemänner durchrüttelt. – Sie schauen und starren. – »Tom!« schreit es, – »Mann über Bord«.
Tom aber stösst noch einen Schrei aus, einen schwach gellenden, aus dem Sturm kaum mehr herüberdringenden Schrei. – Alles ruft, brüllt nach Fässern, Sparren, leeren Hühnerkästen. Zweimal hat sich der arme Tom aus der über ihn zusammenschlagenden Woge emporgearbeitet, aber jetzt reisst ihn die nächst kommende ein drittes Mal nieder. – Noch ist der Kopf zu sehen – im nächsten Augenblicke ist auch der verschwunden. – Er ist hin. –
Wie erstarrt schauen der Kapitän, die Matrosen, dem Verschwundenen nach, noch während sie die Strickleitern hinauf klettern, um das in Fetzen zerrissene Hauptsegel herabzunehmen. Jetzt steht bloss noch das gekürzte Topsegel. Noch kollern Fässer, Sparren, Schafe, Schweine auf dem Verdeck umher, durch die losgerissene Verdeckswand über Bord hinab. – Das Wasser schwemmt noch immer zwei Fuss hoch auf dem Verdeck hin – aber die Hauptsache ist, das Hauptsegel loszubringen – Alles muss warten, bis das in Ordnung ist. –
Das Segel ist herab genommen – der Squall ist vorüber, eine halbe Stunde Ruhe. – Alle Hände sind beschäftigt, was losgerissen, wieder zu befestigen. – Hölzer, Notmasten, Sparren, Fässer werden mit zehnfachen Stricken angebunden. –
Und dazu kommt der Stewart und ruft mit der Glocke zum Frühstücke!! –
Wohl dem, der da noch Lust zum Essen hat!! –