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Die Seefahrt und die Deutschen.

Ein flaches Boot mit einem einfachen Segel kam längs dem linken Seeufer herauf, so sanft geschaukelt von der östlichen Bise; seine Insassen lachten so herzlich, helle melodische Silberstimmen klangen so lieblich herüber.

Der Kahn war langsam und langweilig mit den kräuselnden Wellen heraufgekrochen, vorsichtig unschlüssig sich am Rande des Fahrwassers haltend. Man sah, dass seine Passagiere ebenso wenig dem Elemente, wie die Schiffer ihrer Fahrkunde trauten, so drollig linkisch waren die Bewegungen des ungeschlachten Fahrzeuges.

Der junge Mann lächelte unwillkürlich, wie er neugierig Spanne für Spanne dem Fahrzeuge mit den Augen folgte, das sich so schneckenartig heraufwand.

Endlich hielt es an der Bucht, worin das Boot lag, in dem er heraufgekommen, und darin der Schiffer, seine Pfeife rauchend.

»Ein Schiff! Ein Schiffchen!« riefen fünf bis sechs Stimmen auf einmal in deutscher Sprache. »Ein Schiffchen, Papa! mit Wimpel und Segeln; – wie allerliebst!«

»Ein allerliebstes Boot!« wiederholte der Papa, ein ältlicher Mann. – »Und eine allerliebste Bucht – ein herrliches Plätzchen. Seht nur einmal diese allerliebsten Primeln und Butterblümchen, und die blühenden Hecken und Kirsch- und Birnenbäume. Wie wäre es, wenn wir hier unser Lager aufschlügen? Was sagt Ihr dazu?«

Der junge Mann hatte einen der Zweige der Wildkirschenhecke erfasst und zurück gebogen, um die Ankömmlinge besser zu sehen. Kaum hatte er aber die deutschen Worte gehört, als er den Zweig fahren liess, und den Lustfahrenden stolz den Rücken wandte.

»Aber Papa, wo bleibt denn die Wasserfahrt?«

Die Stimme der Fragenden tönte so melodisch, dass der junge Mann unwillkürlich wieder nach dem Zweige griff.

Der Alte war währenddessen ausgestiegen, und nachdem er einen flüchtigen Blick auf das Ufer geworfen, reichte er der jungen Dame mit der melodischen Stimme die Hand. Wie sie nun am Arme des Alten aus dem Boote hüpfte, erschaute der junge Mann eine Gestalt: der Frühling schien sich in diesem wunderlieblichen Wesen verkörpert, das zarte Gesicht mit seinen holdesten Pfirsichblüten angehaucht zu haben.

Er mochte wohl eine zarte Frauenstimme lieben; denn seine Züge begannen etwas wie Interesse zu verraten.

Der Alte hing mit einem Ausdrucke väterlicher Rührung an dem Mädchen, das seine Hand liebkoste und küsste; dann mass er die Entfernung zwischen dem Ufer und der Landzunge, die wahrscheinlich das gewünschte Ziel der Lustfahrenden war. Sie mochte ihm wohl zu gross erscheinen; denn er schüttelte den Kopf zur sichtbaren Unzufriedenheit seiner Angehörigen, die mit einiger Ungeduld das Ende der bedächtigen Prüfung abwarteten.

»Aber gewiss, Papa! wir sollten die kleine Wasserpartie wagen«, bemerkte ein junger Mann, der gleichfalls ausgestiegen, und eine zweite Dame am Arme führte.

»Diese paar hundert Schritte hätten wir eben so gut vom Badehause heraufgehen können«, meinte in einem etwas schmollenden Tone eine dritte Dame.

»Und hier haben wir ja ein allerliebstes Schiffchen, Papa«, hob wieder die melodische Sprecherin an. »Vielleicht würde der Schiffer uns hinüber bringen?«

Und sie zog den Papa mit aller Gewalt zum allerliebsten Schiffchen, wie sie das Boot des jungen Mannes nannte.

»Dieses Boot«, bemerkte ihr der Papa in französischer Sprache, »scheint mir wirklich weit zweckmässiger gebaut.«

»Euer Boot«, sprach er deutsch zum Schiffer, der, seine Pfeife rauchend, ruhig sitzen geblieben war, »scheint mir weniger gefährlich.«

Der Mann gab keine Antwort, sondern wandte sich an die beiden Schiffer.

»Jockel, was will der Herr da? – Weisst du's, Kaschper?«

»Ist keine Gefahr«, erwiderten, statt seiner die Jockels und Kaschpers. »Unser Boot ist so gut wie das seinige, sind hundert Mal damit nach Zürich gefahren.«

»So sagt ihr, Freunde«, versetzte der Alte; »aber einem Familienvater mag wohl ein Zweifel erlaubt sein, wenn es sich um die Seinigen handelt.«

»Seid ihr frei«, wandte er sich an den rauchenden Schiffer.

Dieser schüttelte verneinend den Kopf.

»Kann nicht, Herr!« sprach der hinter dem untern Saume des Gestrüppes vortretende Führer. »Hat sich und sein Boot für den Tag an uns verdingt.«

»Er ist nicht frei, und kann nicht«, verdolmetschte der Alte den Seinigen ins Französische. – »Hat sich für den ganzen Tag verdingt.«

»An euch hat er sich verdingt?« fragte er mit einem Seitenblicke auf des Mannes zweideutiges Äussere.

»An meinen Herrn, den Mylord – einen englischen Mylord«, versetzte der Führer in einem Tone, der alle weiteren Ansprüche auf seines Herrn Boot mit einem Male abzuweisen berechnet war.

»Ein Engländer! o Schmerz!« entfuhr französisch der Sprecherin. »Papa!« bat sie, »du hast Recht. Wollen lieber zurückkehren, oder anders wohin gehen. Das ist der Engländer, von dem das Kellermädchen uns sagte, dass er vorbeigefahren.«

Und ihren Arm in den Papa's legend, und das Köpfchen allerliebst trotzig gegen das Wildkirschengestrüppe zu aufwerfend, bemühte sie sich, ihn wieder dem Kahne zuzuziehen.

Den jungen Mann schien das Mienen- und Wortspiel anzusprechen. Er hatte gehört und gesehen, und die Ursachen des Anhaltens und Verweilens waren ihm in den französischen Bruchstücken der Familien-Unterhaltung klar geworden. Der Vater trug Bedenken, sich dem flachen Kahne auf eine Lustfahrt in den See hinaus anzuvertrauen. Er hatte allerdings einige Ursache, denn der ungeschickt gebaute Nachen konnte leicht von einem massigen Windstosse umgeworfen werden. – Ein leichtes Lächeln umzuckte seine Lippen. Rasch seinen Mantel abwerfend, bog er die Äste des Gestrüppes zurück, zwang sich durch dieses hindurch, und schritt dem in die Bucht einmündenden Bache zu, den er mit einem Satze übersprang.

Der Satz zeugte von einer nicht gewöhnlichen Springkraft, auch brachte er die kräftig wohlgegliederten Formen auf eine recht vorteilhafte Weise in Augenschein. Die Anwandlung von romantischem Sinn oder Gefallsucht musste aber entweder sehr leicht und vorübergehend, oder ihm ein besonderer Grad von Selbstherrschung eigen sein; – einen etwas langen Blick heftete er zwar auf die holde Sprecherin, als er gelassen die kleine Anhöhe hinanschritt, auf der die Gesellschaft sich gruppiert hatte, aber dann grüsste er ruhig und fremd.

Sie erwiderten den Gruss ungemein freundlich, aber doch mit einer Haltung, die auch wieder einiges Befremden und vielleicht auch Vornehmheit beurkundete. Das Gesicht der holden Sprecherin hatte eine höhere Röte überzogen.

»Sie wünschen auf das jenseitige Ufer zu gelangen?« nahm er französisch das Wort, indem er auf die Landzunge deutete.

»Gerne würden wir«, versetzte der Alte, indem er dem Blicke des jungen Mannes mit den Augen folgte; »aber Damen«, fügte er vertraulich hinzu, »sind, wie Sie wissen, ein wenig furchtsam, und der Nachen da, scheint mir allerdings nicht zuverlässig.«

»Ihr Nachen ist allerdings kein segelrechtes Boot«, erwiderte der junge Mann mit einem Blicke auf das ungeschlachte Fahrzeug; »allein bei diesem Winde haben Sie nichts zu fürchten, besonders wenn Sie statt der Segel Ruder gebrauchen. Sollte jedoch der Wind umspringen, dann freilich dürfte eine Fahrt nicht ganz ratsam sein.«

»Das glaube ich auch, und da Wind und Wetter niemals ganz auf diesen Schweizer Seen zu trauen ist, so wollen wir unsere Lustfahrt auf ein ander Mal verschieben.«

Die erste Bemerkung war an den jungen Mann, der Schluss an die Familie gerichtet.

»Wenn Sie von meinem Boot Gebrauch machen wollen«, bemerkte nach einer kurzen Pause dieser artig, »so steht es Ihnen zu Diensten!«

Der Alte schien überrascht, und verbeugte sich verbindlich.

»Sie sind sehr gütig, aber es wäre unbescheiden, von Ihrer Grossmut Gebrauch zu machen.«

»Das Boot steht zu Ihren Diensten«, versicherte der junge Mann bestimmter; »und Sie dürfen um so beruhigter auf den Tausch eingehen, als es mir ganz und gar keinen Unterschied macht, ob ich [in] diesem oder in einem anderen Boote nach Richtersweil zurückkehre.«

Der Alte dankte abermals durch eine stumme Verbeugung, hielt jedoch inne, obwohl zur sichtlichen Unzufriedenheit der Seinigen, die offenbar die neue Aussicht auf die bereits aufgegebene Lustfahrt ungemein anregte. Mit sehnsüchtig dankbaren Blicken hing die entzückende Sprecherin nun am jenseitigen Ufer, wieder am jungen Manne. Beinahe schmollend sah sie den zögernden Papa an, der sich endlich zum Troste der Ungeduldigen an diesen wandte.

»Ihr Anerbieten ist sehr gütig, aber ehe wir darauf eingehen können, muss ich mir noch eine Frage erlauben.«

Des jungen Mannes Miene nahm einen erwartenden Ausdruck an.

»Wäre es nicht möglich, unsere Differenz dahin auszugleichen, dass wir uns zu gemeinsamen Zwecke vereinigten?«

Der junge Mann sah den Sprecher ungewiss an.

»Die Lustfahrt zusammen machen?«

»Ich soll eigentlich nach Zürich zurück, da ich nächstens von da abreisen will«, sprach dieser ablehnend.

»Das ist etwas anderes; aber dann dürfen wir Ihr gütiges Anerbieten auch absolut nicht annehmen.«

»Sie haben zu entscheiden. Ich glaube Ihnen jedoch nochmals die Versicherung geben zu müssen, dass mir nicht der mindeste Eintrag geschieht, da ich mit Ihrem Kahne oder auch zu Fusse nach Richtersweil zurück kann, von wo aus ich immer Gelegenheit nach Zürich finde.«

Der Alte stand und schüttelte den Kopf, die hold Gestimmte das Köpfchen. In dieser schien noch eine letzte Hoffnung aufzudämmern, wie sie sich jetzt hastig zum Papa wendend, ihm angelegentlich in die Ohren flüsterte.

Der Papa hörte liebreich, aber phlegmatisch kopfschüttelnd das Kind an.

»Aber ich habe alles, getan, was nur immer innerhalb der Grenzen der Delikatesse tunlich war, liebe Luitgarde! Wenn Du jedoch Dein Glück versuchen willst?« fügte er mit einem launigen Lächeln hinzu.

»Ich!« lispelte das Mädchen, über und über errötend. »Wo denkst Du nur hin, Papa?«

Aber auf einmal, sich wie besinnend, warf sie das Köpfchen auf, und sich zu dem jungen Manne wendend, trat sie einen Schritt vorwärts, hielt einige Sekunden inne, und sprach dann mit holder Befangenheit, aber nicht ohne Hoheit:

»Und würden Sie Ihrer Grossmut nicht die Krone aufsetzen; und?« –

»Mit unserer Gesellschaft fürliebnehmen?« fügte der Papa hinzu.

»Tun Sie es«, baten zwei Jünglinge, die, rasch hervortretend, enthusiastisch ihre Hände darboten.

»Es würde uns zum wahren Vergnügen gereichen«, schaltete eine zweite Dame ein.

»O, es wäre gar zu schön«, eine dritte jüngere.

»Sie sehen«, nahm der Alte wieder das Wort, »dass Ihrem gütigen Anerbieten bloss noch eine einzige Bedingung fehlt, um uns die Annahme recht erfreulich werden zu lassen.«

»In diesem Falle will ich mich Ihren Wünschen fügen«, versetzte der junge Mann etwas stattlich.

»Also einer der Unsrigen«, rief der Papa, ihm mit Wärme die Hand reichend und die seinige erfassend, »wenigstens für diesen Tag. Wir wollen jedoch hoffen, was sich so schön zusammengefunden, werde sich so bald nicht wieder trennen. An uns wenigstens soll es nicht fehlen, unsere junge Bekanntschaft recht alt werden zu lassen.«

Des jungen Mannes Lippen kräuselten sich statt aller Antwort.

Es war etwas so Ungezwungenes, Bieder-Aufrichtiges im ganzen Wesen der guten Leute, etwas so Traulich-Ansprechendes, das den Unbefangenen mit einem Male heimisch in dem häuslichen Kreise der Familie gemacht haben müsste. Zwar liess ihre Kleidung keinen gerade hohen Stand vermuten; die der Jünglinge bestand in Kappen, ungebleichten Leinwand-Blusen mit rotseidenen Binden zusammengehalten, und à l'enfant umgelegten buntseidenen Halstüchern; die des Alten in einem grünen Sommerzug-Überrocke; bloss die Damen hatten eine etwas gesuchtere Morgentoilette. Aber doch würde ein unbefangener Beobachter wieder etwas in diesem einfachen Kostüme, und ihrer Art, sich zu tragen, gefunden haben, das, was Geschmack verriet.

Der junge Mann hingegen war sehr elegant angezogen, Hut, Krawatte, Weste, Bock, Stiefel, alles war von den feinsten Stoffen, und nach dem letzten Pariser Schnitte. Mit einer geringen Änderung konnte er beim Diner eines Herzogs erscheinen; aber Kleidung sowohl wie Haltung schienen die Ansprüche auf den exklusiven Gentleman zu sehr zur Schau tragen zu wollen.

Etwas wie Befremden begann sich auf den Gesichtern der Deutschen zu malen, als er, ohne auf die zuletzt geäusserte schmeichelhafte Hoffnung des Alten eine Silbe zu erwidern, dem Waldkirschengestrüppe zuging, wo er Mantel und Buch zurückgelassen hatte, und wiederkehrend beide Stücke ins Boot legte.

»Aber mein Gott! warum sagten Sie denn nichts?« bemerkte einer der Jünglinge. »Das hätte ja einer unserer Leute holen können.«

»Aber warum sagten sie nichts? Mylord!« brummt der Berner darein.

»Ihr geht sogleich nach Zürich«, bedeutete er diesem, »da ich heute noch hier bleibe, und fragt beim Bankier nach Zahlungen und Briefen an.«

»Da muss ich aber eine Chaise mit einem Pferde nehmen«, versetzte der Führer.

»Die nehmt ihr, geht aber sogleich«, befahl kurz der junge Mann. –

Der Berner wandte sich murrend, während sein Herr dem Schiffer bedeutete, dass er selbst die Gesellschaft überfahren würde.

Der Schiffer stiess, seine Einwilligung zunickend, das Boot vom Lande, und ging dann dem Kahne zu, in dem die Gesellschaft herauf gekommen war.

Diese hatte den Vorkehrungen stumm zugesehen. Das bestimmte, beinahe gebietende Auftreten des wortkargen jungen Mannes schien sie nicht ganz anzusprechen. Es lag etwas herrisch-schroffes in diesem Auftreten.

»Möget immerhin mit dem Herrn gehen, Ihr Herren und Frauen!« ermunterte sie der Schiffer. »Er versteht es, mit dem Segel umzugehen.«

»Also unser Kapitän!« unterbrach der Alte das einigermassen peinlich gewordene Stillschweigen. »Nun muss ich schon so frei sein, um Ihren Namen zu bitten. Zuvor erlauben Sie jedoch, uns selbst vorzustellen: Mein Name ist Schochstein. Meine älteste Tochter Emilie«; fuhr er, auf die ältere der drei jungen Damen deutend fort, die Gattin meines Neffen, Friedrich Moorstein; – Wilhelmine Moorstein, meine Nichte – Luitgarde, meine Tochter, und Wilhelm, mein jüngster Sohn, Fräulein Rohr, unsere Hausfreundin und meiner Tochter Gesellschafterin. Sie sehen«, fügte er zutraulich lächelnd hinzu, »wir setzen ein gutes Gedächtnis bei Ihnen voraus, Ihnen so viele Namen auf einmal aufzubürden.«

»Ich nenne mich Rambleton«, erwiederte der junge Mann kurz. »Ist es gefällig, das Boot zu besteigen? Ich glaube, es wird die Damen und Herren fassen.«

Es war wieder etwas so bestimmt gemessen Befehlendes in dem Tone des jungen Mannes, das die Familie abermals stutzen liess. Sie stieg jedoch ein, und nahm eilig ihre Plätze.

»Da sind wir ja recht bequem,« hob wieder der Alte an. »Ihr!« wandte er sich zu zwei grün gekleideten Männern und einem Mädchen, – »ihr folgt uns in dem Kahne.«

Die beiden grün gekleideten Männer stiessen das Boot vollends vom Ufer, und der junge Mann setzte sich, das Ruder einzulegen. Ein paar Schläge brachten es ins Fahrwasser und in das Bereich der Bise.

Jetzt stand er auf, band das Segel los, das von der Bise gebläht sich füllte, und das Boot flog rasch in den See hinein.

Die Sicherheit, mit der er das Segel handhabte, verriet eine genaue Bekanntschaft mit dem flüchtigen Elemente.

»Man sieht wohl, dass Sie auf dem Wasser zu Hause sind«, bemerkte der Alte.

»Wohl möglich«, versetzte der junge Mann.

»Wie herrlich! wie sanft das Schiffchen vor dem Winde hergleitet!« rief Luitgarde.

»Unter einer solchen Leitung muss es wohl«, versetzte die junge Frau mit einem freundlichen Blicke auf den neugeschaffenen Kapitän.

»Kapitän Rambleton!« hob der Alte an; »wir wollen recht friedlich freundliche Passagiere sein, und uns Ihren Anordnungen willig fügen.«

»Immer vorausgesetzt, Papa! dass Sie nicht zu despotisch werden«, fiel lachend die junge Frau ein.

»Ach wir sind in einem Freistaate, einem demokratischen Freistaate, wo es keinen Despotismus geben kann«, meinte der junge Wilhelm.

»Vielleicht gibt es aber doch einen, wenn gleich verkehrten«, entgegnete der Papa mit einem etwas ernsten Lächeln. »Einen, der statt von oben nach unten, von unten nach oben hinaufdrückt.«

»Von unten nach oben, das ist ja ein verkehrter, ein gar zu unnatürlich verkehrter!« lachte Luitgarde.

Unter solchen Gesprächen um die sich der mit Rambleton Vorgestellte jedoch so gut wie gar nicht zu kümmern schien, war das Boot bei kräftiger Bise weit in den See hinausgetrieben und befand sich unter munterem Geplauder der Insassen dem jenseitigen Ufer schon näher als dem, wo sie abgefahren waren. –

Da wurde der Alte plötzlich durch einen lauten Schrei der Damen unterbrochen!

»Um Gotteswillen! das Schiff schlägt um!«

»Wir sinken!«

»Wir ertrinken!«

»Es liegt schon ganz auf der Seite«, schrieen und jammerten die Damen, und zwei – vier – sechs Hände erfassten Rambleton und klammerten sich an ihn. Die ganze Gesellschaft war in Aufruhr so dass das Boot so wirklich in Gefahr geriet.

»Bleiben Sie ruhig«, mahnte Rambleton gelassen.

»Wir schlagen um«, schrie hitzig Wilhelm, der Schwiegersohn des Alten.

»No Sir! bleiben Sie ruhig!« mahnte wieder Rambleton, der, ohne die Miene zu verändern, die Augen auf das Segel gerichtet, wieder auf die Landzunge, in tiefen Gedanken versunken war.

»Ich sage Ihnen, wir schlagen um!« schrie Wilhelm stärker.

»No Sir! Bleiben Sie ruhig!« versetzte Rambleton abermals, und das Segel zugleich anziehend, brachte er das Boot noch mehr auf die Leeseite.

»Ich glaube, er tut es vorsätzlich«, brach der junge Wilhelm zornglühend aus.

»Wie kalt, wie unnatürlich kalt, gefühllos diese Engländer doch sein können!« jammerte die junge Frau. »Er sieht uns zittern vor Angst und bewegt keine Muskel.«

»Wäre es nicht möglich, das Boot in eine gerade Richtung zu bringen?« redete ihn der Alte englisch an.

»Nein, Herr!« war die kurze Antwort.

»Aber ich befürchte, wir schlagen um.«

»Nicht, wenn Sie ruhig sitzen bleiben,« war wieder die kurz bedingte Antwort.

»Warum wollen Sie aber das Boot nicht in eine gerade Lage bringen?« fragte Wilhelm heftig.

Rambleton sah den Jüngling ruhig gelassen an, sich wie besinnend, ob er die heftig ausgestossene Frage einer Antwort würdigen dürfe, dann versetzte er im hingeworfenen Tone:

»Weil es nicht möglich ist, ausser Sie wollen umkehren.«

»So wollen wir umkehren«, riefen Wilhelm und der junge Ehemann und seine Frau. Der Alte und Luitgarde schwiegen.

Die Reihe des Verwunderns schien nun an Rambleton gekommen zu sein. Er starrte die Deutschen einen Augenblick an, und ein leichtes Lächeln umzuckte seine Lippen, als er sprach:

»Sie wollen umkehren? Wie sie wünschen; – aber wir sind beinahe am Ziele.«

»Aber warum wollen Sie das Boot nicht gerade legen?« fragte abermals der junge Schochstein, obwohl im minder heftigen Tone.

Rambleton deutete auf die Landzunge, der sie zufuhren, und hielt die flache Hand dem Winde entgegen, der in derselben Richtung herüber wehte.

»Sie sehen, dass wir Gegenwind haben, und ohne das Segel schief zu stellen, das Land nicht erreichen können.«

»Aber die Schiffer«, bemerkte der junge Ehemann, »haben ihr Segel abgenommen, und ihr Boot liegt gar nicht auf der Seite.«

Rambleton gab keine Antwort.

»Warum tun wir nicht dasselbe?«

Rambleton sah hinüber auf die Uferberge und schwieg.

»Diese Engländer haben unausstehlich arrogante wegwerfende Manieren«, bemerkte die junge Frau wieder deutsch. »Sie benehmen sich gerade, als ob sie die Herren, und wir ihre Untergebenen wären.«

»So sind sie alle«, bekräftigte ihr Mann. »Weisst Du noch, Papa! – auf unserer Reise von Köln nach London. Der Kölner Kapitän war die Freundlichkeit selbst, aber so wie wir in Rotterdam auf das englische Dampfschiff kamen, konnten wir auch kein Wort mehr aus ihm herausbringen. Wir erhielten nichts als Hohnlächeln und verächtliches Rückenkehren auf unsere dringlichsten Fragen, ob denn auch Gefahr sei, zur Antwort.«

Das Boot hatte sich mittlerweile dem Lande bis auf einige Schussweiten genähert, das Segel begann zu flattern. Rambleton stand auf und band es an die Segelstange; dann ergriff er das Ruder, und setzte sich. Das Boot kam auf einmal in eine gerade Lage.

»Warum kann er es denn jetzt in eine gerade Lage bringen und nicht früher?« liess sich abermals der junge Ehemann hören.

Rambleton, obgleich er kein Wort von dieser deutschen Unterhaltung verstand, machte die ungemein gedehnte zahme einschläfernde Sprache der guten Leute offenbar herzlich Langeweile. Er ruderte mit einer Anstrengung, die das Blut in seine Wangen brachte und deutlich verriet, dass er sich nach dem Reiseziele mehr als jeder Andere sehne. Auf einmal hielt er jedoch, wandte das Boot, und stach wieder in den See hinein.

»Ums Himmels willen! Sehen Sie nur!« rief die junge Frau, »er kehrt wieder um.«

»Fürwahr! er kehrt wieder um.«

»So sagen Sie ihm doch nur.«

»Das ist ja entsetzlich!«

»Furchtbar!«

»Aber warum kehren Sie wieder um?« fragte der junge Ehemann ungeduldig.

Rambleton schien endlich der ewigen Klagetöne überdrüssig zu werden. Unwillig deutete er auf die sandige Untiefe, die eine ziemliche Strecke gegen das Ufer zu kaum einige Zoll Wassers über sich hatte.

»Sie kommen nicht ans Land, ohne zwanzig Schritte durch das Wasser zu waten.«

»Ah richtig! auch das haben wir vergessen!« meinte naiv der gute Ehemann.

Und wie verwundert, dass er dieses vergessen, pries er nun den Scharfblick des Engländers, der dieses nicht vergessen.

Das Boot war um die Landzunge herum und näherte sich einer Bucht, von Erlen und Weidenstümpfen eingesäumt.

»Aber wie werden wir da aussteigen?« hob zum Beschlusse das Fräulein Rohr an.

»Das Ufer ist so hoch,« fiel die junge Frau ein.

Jetzt stiess das Boot an das Land, und nachdem Rambleton es längs ans Ufer herumgelegt, trat er gemächlich ans Ufer. Wie sein flüchtig gleichgültiger Blick die Gesellschaft überflog, und endlich auf Luitgarde haftete, schien der kalte Zug auf einen Augenblick aus seinem Gesichte schwinden zu wollen. Er schaute sie mit einem achtungsvollen Blicke an. Sie schlug das seelenvolle Auge auf und senkte es errötend wieder.

»Wir sind am Ziele«, sprach er leise, ihr ehrerbietig die Hand reichend.

Die Übrigen standen, dem jungen Mann zuschauend. Seine Haltung, sein Ausdruck hatte eine Delikatesse angenommen, die zu seiner früher bewiesenen Unempfindlichkeit stark abstach.

»Bitte schönstens gleichfalls um Ihre Hand«, rief die junge Frau ihn an, die ihrige ausstreckend.

Rambleton schaute auf, reichte ihr die Hand, aber so mechanisch, in Gedanken verloren, dass die Frau beinahe einen Fehltritt tat.

»Danke Ihnen schönstens für Ihre Bemühung«, versetzte sie etwas schnippisch.

»Gleichfalls«, riefen Wilhelmine und Fräulein Rohr.

»Wie wir erschrocken waren!« begannen die beiden letzteren im Chor – und auf das Ufer hinauftanzend.

»Auf das Wasser bringt mich nun einmal nichts mehr«, stöhnte tiefer atemholend die junge Frau.

»Da wären wir ja.« Und auf der Anhöhe angekommen, werfen die jungen Leute nochmals burschikos die Köpfe auf, schiessen in zehn Richtungen hin – her – vor – zurück – drehen sich; – nur Luitgarde war sinnend am Abhange stehen geblieben, und schaute hinab und hinaus auf den See. Die Übrigen mit ihrem Treiben schienen das holde Mädchen nicht zu gewahren.

Rambleton war gleichfalls sinnend gestanden, sein Auge gedankenvoll auf sie, wieder auf den Seespiegel geheftet. Auf einmal riss er mit einem gewaltsamen Risse das Seil, an dem das Boot am Weidenstumpfe gehalten, los, und warf es ins Fahrzeug zurück.

Das Mädchen wurde auf einmal blass. Sie schaute ängstlich, gespannt. Er stiess das Boot mit einem Fusstritte ins Wasser, und sprang hinein.

»Papa!« entfuhr ihr in einem Tone, der halb wie Vorwurf klang, halb wie im Schrecken erstarb. Es war etwas vom Gefühle verletzten jungfräulichen Stolzes, das diesem abgebrochenen »Papa!« nachklang.

Der junge Mann schien ergriffen von dem seltsam betonten Rufe. Er wandte sich wie unentschlossen, schaute sie starr an. Seine Mundwinkel zuckten. Ernst die Lippen zusammenpressend, schaute er wieder auf den See hinaus.

Sie warf einen forschend sinnenden Blick auf den jungen Mann, und folgte seinem Auge über die Gebirge hinüber. Ein tiefer Seufzer entstieg ihrer Brust. – Der Papa, der sich von den Seinigen losgemacht, kam endlich herbeigerannt, gerade wie Rambleton das Boot mit dem Ruder abgestossen, sich bereits zwanzig Schritte vom Lande befand.

Mit schmerzerfüllten Augen, aus denen sich eine Träne stahl, schaute das Mädchen noch immer den jungen Mann an, der sich nur ungern loszureissen schien.

»Aber ums Himmels willen, Herr Rambleton!« rief der Alte, dem erst jetzt die Absicht des vom Lande Abstossenden klar geworden, Verlegenheit und Ärger in allen Zügen.

»Aber ums Himmels willen!« stiess er nochmals heraus. »Was soll das?«

Rambleton verbeugte sich artig.

»Ich habe mein Versprechen erfüllt, Ihnen Gesellschaft auf Ihrer Lustfahrt zu leisten. In einer Stunde wird das Boot wieder zu Ihrer Verfügung stehen.«

»Aber ums Himmels willen! was soll das?« rief der Alte zum dritten Male.

»Aber mein Gott! Sie verlassen uns doch nicht?« die herbeigerannte junge Frau.

»Sie gehen doch nicht?« der junge Mann.

»Das wäre ja entsetzlich!« rief wieder der Alte.

»O, tun Sie uns doch das nicht zu Leide!« bat die junge Frau.

»Aber wir bitten recht sehr«, Wilhelmine.

Luitgarde allein war stumm gestanden, sinnend über die blauen westlichen Gebirge hinüberblickend. –

Rambletons Auge war gleichfalls auf diese Berge geheftet, dann wieder auf sie. – Jetzt gab er dem Boote einige leichte Stösse, und war im Fahrwasser.

Noch eine leichte stolze Verbeugung, und dann wandte er sich und setzte das Segel, das, von der Bise in den Rücken genommen, das Boot schnell dem mit den Grünröcken und seinem Schiffer nachkommenden Kahne zutrieb.

»Lasst eure Segel herab!« schrie er den Schiffern zu, indem er das seinige fallen zu lassen sich anschickte.

»Lasst eure Segel herab!« schrie er stärker die ihn anstarrenden Schiffer an.

Sie starrten, bewegten aber keine Hand.

»Lasst das Segel herab!« schrie er zum dritten Male, das seinige fallen lassend, und mit einem Satze in den Kahn springend, dessen Segel auch in dem Augenblicke von ihm herabgerissen ward.

Ein Schrei des Entsetzens wurde vom Ufer herüber gehört.

»Seid ihr taub, wenn man euch zuruft?« schrie er den Schiffern zu, die erst jetzt zur Sprache zu kommen schienen, und Miene machten, den Eingriff in ihre Gerechtsame übel zu nehmen.

Ohne auf ihre Bewegungen zu achten, hatte er seinen Schiffer in das Boot, das er am Seile festgehalten, geschoben; war selbst nachgesprungen, und stand in den nächsten zehn Sekunden zwanzig Schritte vom Kahne.

»Du Himmel-Strahlhagel, Donder du! – Wart', du Dondershagel Rosspif du! Ist ja zum Verfluchen!« gellten und brüllten ihm die beiden Schiffer im lieblichsten Duette nach.

Er würdigte sie keines Blickes, stellte ruhig das Segel und wandte sich dann mit verschränkten Armen dem Ufer zu.

»Der Jockel ist dondersgiftig«, raunte ihm sein Schiffer zu. – Versprechen Sie dem Jockel es Schöppli. Er ist sonst ein Strahlhagel der Jockel.«

»De Herr sait, ihr sollid es Schöppli ha Jockel und Kaschper!« schrie der Schiffer den beiden Zunftgenossen nach.

»Danken vielmal«, brummten, ihre Kappen lüftend, in schwergrobem Basse die wieder versöhnten Jockels und Kaschpers herüber.

Rambleton hatte auch kein Wort gehört; sein Blick haftete auf dem Ufer, an dessen Vordergrunde noch immer Luitgarde stand, weiter zurück die Gesellschaft.

Sie hatte den Sprung deutlich gesehen; es war keine zweihundert Schritte vom Ufer. Ihr war der Schrei des Entsetzens entfahren.

»Ein übermütiger junger Mann; so ungeheuer stolz, wegwerfend stolz«, nahm der Ehemann, unwillig sich wendend, das Wort.

Luitgarde gab keine Antwort.

»Das liegt nun schon in der englischen Natur«, versetzte statt ihrer die junge Frau; »nur dass der englische Übermut sich denn doch mehr im Handeln betätigt, und unserer mehr in der Phantasie.«

»Das ist es ja aber gerade, was diesen ihren Übermut so schroff und abstossend, den unsrigen wieder so poetisch zart erscheinen lässt.«

»Den englischen würde ich hinwieder den tatkräftigeren nennen«, entgegnete die Frau in einem Tone, der bereits verriet, dass die sogenannte geistige Berührung bei ihr wiederklungen, und ziemlich lange nachklingen würde. »Es ist wenigstens ausgemacht«, fuhr sie etwas lebhafter und selbst mässig unwillig fort, »dass er imponiert. Stehen wir nicht da wie beschämte Kinder vor dem jungen Manne, der da kommt, wie ein Herrscher auf seinem eigenen Grund und Boden auftritt, uns sein Boot ganz wie ein Fürst anbietet, sich selbst herablässt, uns überzufahren, unsere Bitten kaum einer Erwiederung würdigt, und uns zuletzt recht vornehm grossartig den Rücken kehrt.«

»Nun so vornehm grossartig finde ich den jungen Menschen denn doch auch wieder nicht. Ich sehe wenigstens gar nichts Vornehmes an ihm«, entgegnete Friedrich in einem Tone, der mit dem tadelnden Lob der Ehehälfte nichts weniger als zu harmonieren schien.

»Seine Manieren, Kleidung, Haltung dürften denn allerdings auf Vornehmheit hindeuten, obwohl diese einen eigentümlichen Zuschnitt haben«, versetzte diese.

»Sahst du aber nicht, wie er seinen Mantel und das Buch selbst hinter dem Gestrüppe hervorholte?« bemerkte Friedrich kritisch fein. »Das hätte schon kein wahrhaft vornehmer Engländer getan. Er hätte den Schiffer oder Diener gesandt«.

»Deine Bemerkung, Friedrich, würde auf einen Deutschen angewandt ganz richtig – dürfte es denn aber doch nicht ganz in Beziehung auf den Engländer sein, bei dem, wie Du wohl weisst, Arbeit und Lohn, in so innig genauem Wechselverhältnisse stehen. Er hatte den Schiffer gemietet, ihn überzufahren, den Führer wahrscheinlich, ihm die schönen Punkte des See's zu zeigen; aber es widerstrebte seinem Stolze und seiner englischen Denkweise, eine unbezahlte Gefälligkeit von einem derselben zu heischen.« Das Gespräch wurde hier durch den heftigen Wilhelm unterbrochen, der, mit dem Papa einige Schritte abseits stehend, nach tiefem Sinnen plötzlich mit leuchtenden Augen auffuhr.

»Vater! weisst Du, dass Rambleton kein Engländer ist?«

»Kein Engländer?« versetzte der Vater, phlegmatisch eine Prise nehmend. – »Wohl, was sollte er denn sein? Hältst Du ihn für einen Schotten oder Irländer?«

»Nein, nein!« rief Wilhelm.

»Geschwind«, schrie er den mittlerweile herangekommenen Grünröcken zu, »geschwind packt aus, ladet aus, so geschwind wie möglich!«

»Erinnerst Du dich, Vater«, wandte er sich wieder an diesen, »an das erste Auftreten Rambletons, wie er hinter dem Heckengestrüppe hervor, und auf uns zukam?«

»Jawohl.«

»Und erinnerst Du dich auch an das, was wir vor seiner plötzlichen Ankunft gesprochen, wie Luitgarde ausgerufen: Ein Engländer! o Schmerz!?«

Und Luitgarde schaut den Bruder auf einmal mit leuchtenden Augen an; wie aus einem tiefen Traume erwachend, tritt sie näher.

»Wohl!« versetzte der Papa.

»Und glaubst Du, ein Engländer würde auf dieses Kompliment wohl je aus seinem Verstecke herausgekommen sein?«

»Und warum nicht? Ein gemeiner Engländer vielleicht nicht, vielleicht aber doch, und gerade um in seiner britischen Launenhaftigkeit unsere gute Meinung von seinen Landsleuten zu beschämen. Ein vornehmer würde es sicher getan haben; denn vornehme Engländer, das weisst Du wohl, stehen in seinen Manieren weder den altadeligen Franzosen, noch uns Deutschen nach.«

Wilhelm schüttelte ungeduldig den Kopf.

»Das mag alles sein, aber meine Behauptung gebe ich deshalb doch nicht auf. Er ist ein Amerikaner, verlass Dich darauf«.

»Ein Amerikaner«, rief Luitgarde mit freudeleuchtenden Augen.

»Ein Amerikaner«, flüsterte Wilhelm der Schwester ins Ohr, einen Arm um ihren schönen Nacken legend; »ein Amerikaner, der meinem Gardchen zu tief ins Auge geguckt«.

»Wilhelm!« rief die errötende Luitgarde mit sanftem Vorwurfe.

»Und den ich ihr zurückbringen will«, wisperte ihr der Bruder zu, der jetzt mit zwei Sprüngen unten beim Nachen stand, und sogleich Hand anlegte, Körbe mit Wein und Speisen – Messern, Gabeln, mit Kissen, Schemelchen, Tischtüchern und Servietten ans Ufer zu schaffen und zu werfen.

»Ein Amerikaner!« riefen alle verwundert.

»Aber er ist ja nicht kupferrot, noch schwarz«, bemerkte naiv die vierzehnjährige Wilhelmine dem jungen Brausekopf.

Er hatte keine Zeit, ihr zu antworten, sondern rief den beiden Schiffern zu:

»Ihr müsst sogleich wieder zurück!«

Die Schiffer sahen ihn verwundert an.

»Aber was fällt Dir ein, Wilhelm?« rief die ältere Schwester.

»Nichts, nichts«, schrie der ungestüme Wilhelm. »Lasst mich, ich weiss, was ich tue.«

»Aber Wilhelm!« mahnte der Vater. »Herr Rambleton hat uns auf eine so bestimmt entschiedene Weise verlassen, wirklich den Rücken gekehrt, dass wir, ohne uns eine sehr starke Blösse zu geben, auf keine Weise einen ferneren Gegenschritt tun können.«

»Und wunderst Du dich darüber, Vater? Klagten und jammerten wir nicht alle zusammen, bald hätte ich gesagt, wie alte Weiber. Ein Deutscher hätte uns die Ruder ins Gesicht geworfen; der Amerikaner – sein Benehmen war das vollendetste, edelste. – Nein, nein, Papa! lass mich! Was für eine Meinung müsste er von uns nach Hause mitnehmen?«

»Aber Wilhelm!« mahnte nochmals der Vater.

Doch der Jüngling hörte nicht mehr. Er selbst hatte eines der Ruder ergriffen, den Kahn aus Leibeskräften vom Lande geschoben, den zaudernden Schiffern die Ruder in die Hand gedrückt, und sie endlich unter vielem Kopfschütteln dazu gebracht, sie einzulegen.

»Wenn er aber doch ein Engländer ist?« rief ihm die ältere Schwester nach.

»Dann mag er zum Teufel gehen!« gab der junge Wildfang zurück.

Und Luitgardens Blicke folgten sinnend dem wilden Bruder, ihre Augen aber leuchteten hoffend.

»Gute, liebe Leute! eine herrliche Familie! Man sieht ihr die Häuslichkeit, Innigkeit an den Augen an. Unbefangener Ton, sehr sanfte Sitten, viele Bildung, aber ein wahres Butterbemmen-Geschlecht«, meditierte der auf die Landzunge zurückstarrende Rambleton. Man glaubt in einem Butterladen zu sein, so schrecklich gemütlich, langweilig gedehnt sind die guten Leute. Ein wunderliches Volk! das doch wieder in seinen Kriegen sehr tapfer, bei seiner Arbeit unermüdlich ist. – Eine kuriose Nation mit ihren Widersprüchen. Und dann der absurde, nimmer endende Streit inmitten der herrlichen Natur. Was für kuriose, abgeschmackte Menschen!«

Der junge Mann lachte kopfschüttelnd in sich hinein.

»Aber Luitgarde!«

Sein Blick wurde wieder hell, freundlich, der Ausdruck seiner Züge achtungsvoll.

»Dieses zarte, liebliche Gottesgeschöpf! diese leichte, graziöse Beweglichkeit! Und sie ist auch die einzige unter ihnen, die gut angezogen ist. Diese Deutschen, trotz ihrer tausend Schneider, die sie uns zusenden, – wie erbärmlich furchtbar sie in ihren Dingen, die sie Röcke und Roben nennen, aussehen! Es sind keine Gentlemen, kommen mir alle wie Bediente und Bauern und Bäuerinnen vor. Aber Luitgarde!« murmelte er wieder.

»Kann sie eine Deutsche sein?«

Er schüttelte den Kopf und schaute und schaute, als ob er sie noch erschauen könnte. Sie war so ganz, so himmelweit verschieden von den deutschen Originalen, die er bisher gesehen, und, wie wir aus seinem Benehmen schliessen mögen, nichts weniger als bewundert. – Er schüttelte abermals den Kopf. Das Mädchen stand noch vor seinen Blicken, als er sich bereits dem Badehause bis auf eine kurze Strecke genähert hatte. Es schien, als ob dieser tiefe Eindruck ihm selbst seltsam däuchte.

»Ah Monsieur Mylord!«

Die Anrede der pausbackigen, dickhalsigen Keller-Mamsell brachte ihn auf einmal wieder in die prosaische Wirklichkeit zurück.

»Ah Monsieur Mylord! Sie sind retour von Ihrer excursion. Sie haben die Demoiselles und Damen gesehen, sind sie nicht belles, très belles und ihr guter Papa, leur bon papa.«

»Ist das Essen bereit?« fragte der junge Mann.

»Monsieur Mylord wollen dinieren? Wir haben geglaubt Monsieur wünsche nur die tes truites. Aber das Diner ist fertig toute à l'heure.«

Rambleton war ans Ufer getreten.

»Aber Herr« bemerkte der Schiffer in gebrochenem Französisch, »wenn Sie noch nach Zürich hinab wollen, so ist es hohe Zeit.«

»Gehe heute nicht nach Zürich.«

»Auch recht«, versetzte der Schiffer; »aber der Herr haben mich für einen Tag gemietet.«

Rambleton nickte.

»Zwei Taler.«

»Acht Schweizer-Franken.«

»Ist alles dasselbe«, versetzte der Schiffer.

»Und es ist auch dasselbe«, fragte der junge Mann, »ob ihr mit mir, oder der Gesellschaft drüben geht?«

»Ganz gleich, wenn mich der Herr nur bezahlen.«

»Wohl! so holt ihr die Gesellschaft von drüben ab«, sprach dieser, auf die Landzunge deutend, »und ihr erhaltet dafür zwei Taler. Ich gehe zu Fuss nach Richtersweil zurück.«

»Wohl Herr!«

»Hier sind die zwei Taler, unter der Bedingung jedoch, dass ihr von der Gesellschaft nichts mehr nehmt.«

»Wenn sie mir aber etwas geben«, versetzte der Schiffer mit einem eigentümlich schlauen Rucke des etwas massiven Bulldog-Gebisses.

»So nehmt ihr es nicht.«

»Da müsste ich ja ein verkatzerter Torenbub sein«, meinte der Schweizer, naiv den Kopf schüttelnd.

Und Rambleton schaute ihn mit einer ebenso naiven Verwunderung an. Dieses Schauen allein konnte schon hinlänglich verraten, dass er nicht der europäischen Welt angehöre. Er schien nicht begreifen zu können, wie jemand sich für einen Dienst zwei Mal bezahlen lassen könne. Er nahm jetzt ein Goldstück aus der Börse.

»Ihr nehmt nichts, erhaltet aber statt der acht sechzehn Franken.«

Der Schweizer langte zuckend nach dem Goldstücke.

»Halt! ihr versprecht, auf keine Weise etwas zu nehmen?«

»Bei Leibe nicht! Nehme nichts. Meiner Treu! nehme nichts!« schwur der Schweizer, dringlicher nach dem Goldstücke langend.

Rambleton schüttelte unwillig den Kopf. »Ihr Schweizer verkauft eure Leiber und Treue an Despoten.«

»Bei meiner Seele, nehme nichts!« schrie der Schweizer, ängstlicher nach dem Goldstücke zuckend.

»Eure Seele dem Teufel!« fiel Rambleton heftiger ein. –

»Bei meiner Ehre! freier Schweizer-Ehre! nehme nichts«, gellte der toll werdende Schweizer.

»Eure Ehre ist euch noch nicht feil«, schloss Rambleton, ihm das Goldstück reichend. –

Und der Schiffer wischte sich den Schweiss von der Stirne und schaute den jungen Mann wild an, dann wandte er sich zum See zurück. –

»Beim Hagel!« rief er auf einmal. »Das ist ja schon wieder des Jockel sein Schiff. Was will denn der schon wieder zurück? Strahl! der kommt um sis Schöppli, das Sie ihm versprochen, Herr!«

Und der junge Mann wandte sich gleichfalls, und das Lorgnon vor die Augen bringend, fixierte er das Fahrzeug.

»Herr! haben dem Jockel und Kaschper as Schöppli versprochen«, raunte ihm der Schiffer zu.

Der junge Mann fixierte noch immer durch das Lorgnon den Nachen.

Der Schweizer wiederholte seine Worte mit einer Bewegung der Hand gegen den Mund zu.

»Halt!« rief Rambleton – »Halt! ihr müsst mich zuvor noch nach Richtersweil hinabbringen, und das sogleich.«

»Der Herr werden aber doch noch zuvor z'Imbiss essen?«

»Sogleich! sage ich«, wiederholte der junge Mann.

»Monsieur Mylord! Das Diner ...« gellte die Keller-Mamsell von der Eingangstreppe herüber.

Der junge Mann warf ihr statt aller Antwort einen Taler zu und sprang in das Boot.

»Ihr seid in einer Stunde zurück, um die Gesellschaft abzuholen«, sprach er zum Schiffer.

»Schwerlich, währt eine Stunde und eine halbe.«

»Dann wollen wir eilen«, versetzte der junge Mann, der das Ruder ergriffen und das Boot rasch vom Lande abgestossen hatte.

Er arbeitete heftig; die gewaltsamen Ruderschläge, vereint mit dem Segel, liessen das Boot mit der Schnelligkeit von zehn Knoten den Seespiegel hinabgleiten.

»Da seht nur 'mal«, hob wieder der Schiffer an. »Möchte nur wissen, was der Jockel vorhat. Er hält wieder an.«

Rambleton warf einen Blick zurück. Das Fahrzeug hielt wirklich an.

»Er kehrt um«, rief der Schiffer.

Rambleton wandte sich nochmals, schaute abermals und legte dann die Ruder ins Boot zurück.

Die Arme gemächlich übereinanderschlagend, starrte er in den See hinaus.

»Fürchten sich der Herr vor'm Jockel?« raunte ihm der Schiffer ins Ohr. »Er ist so schlimm nicht, der Jockel, aber 's Schöppli dürfen der Herr nicht vergessen, sonst ist er dondersgiftig.«

»Damn your Yokel to hell with his Shoepli!« brach Rambleton ungeduldig aus.

»Die Damen sind drüben, der Herr haben recht, beim Jockel ist's noch helle; aber 's Schöppli dürfen der Herr nicht vergessen.«

»Was Teufel wollt ihr mit euerm Schöppli?«

Der Mann führte statt aller Antwort die Hand zum Munde, und zog eine Silbermünze aus dem schmutzigen Beutel.

»As Schöppli, Herr!«

»Ich steige hier ans Land. Ihr geht sogleich zurück, um die Deutschen abzuholen«, sprach Rambleton, indem er das Boot an das Ufer anlaufen liess, und mit einem Satze, der wieder das Boot weit ins Wasser zurückstiess, auf das Ufer sprang.

Der Schiffer schaute ihm einen Augenblick kopfschüttelnd nach, dann schrie er mit halb erboster, halb weinerlicher Stimme:

»Aber wo bleibt denn des Jockel sein Schöppli, das Sie ihm und dem Kaschper versprochen, Herr?«


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