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Ein Morgen am Zürcher See.

»Heda, Messieurs! möchte Sie nicht entrer? Wir haben belles Zimmer und gute Weine, und Sie finden nur eine charmante société«.

Diese Worte waren von einer kugelrunden Mamsell, mit einem wahren Vollmondsgesichte, und der Haltung eines Gendarmen, so süss geflötet, wie sie nur ihre etwas dicke Kehle von sich zu geben vermochte, drei Lustfahrenden zugerufen, die in einem Boote den Zürcher See oberhalb Pfäffikon heraufkamen, und sich auf Sprechweite dem Ufer, an dem ein Bad- und Gasthaus steht, genähert hatten.

Von diesen Dreien schien eigentlich nur der auf dem mittlern Brette Sitzende der Lustfahrende zu sein; wenigstens verriet der nachlässig übergeworfene, sehr elegante, mit Schnüren und Sammet behängte und verzierte Mantel, und der lässig in der Hand gehaltene Guide of Switzerland den fashionablen Touristen. Er schaute bei den Worten der Mamsell auf, und, das Buch auf das Sitzbrett legend, zog er ein Lorgnon, das an einer goldenen Kette von seiner Brust in die Westentasche hineinhing, nachlässig hervor, und es gemächlich vor das Auge bringend, fixierte er die Schöne einen Augenblick, und liess es dann gleichgültig wieder in die Westentasche fallen.

»Une charmante société, Monsieur«! wiederholte die Mamsell, dringender und ein wenig geheimnisvoll. »Sie wird mehrere Tage chez nous bleiben, die Damen sind merveilleusement belles.«

Der junge Tourist schien aufmerksamer zu werden. – Indem er das Segel anzog, veränderte er die Richtung des Bootes, so dass dessen Schnabel sich dem Ufer zuwandte.

»La plus charmante famille«, sprach die Mamsell dringlicher und geheimnisvoller – »Da ist eine deutsche Familie; die Damen sind merveilleusement belles, wahre Engel, und ihr Papa ist sehr bon.«

»Pshaw! Deutsche Familie – merveilleusement belles! Engel, und – wer ist denn der bon Papa! – Diese Schweizer überbieten noch unser bereits sattsam furchtbares Französisch«, murmelte der junge Mann, spöttisch in sich hineinlachend. Das Seil anziehend, gab er dem Boote wieder seine vorige Richtung.

»Monsieur«! bat diese, der die Bedeutung des Manövers nicht entgangen war; »Monsieur, wir haben, les meilleurs von der Welt. Alle Messieurs Engländer, die unseren See besuchen, essen unsere truites. Ilse les aiment beaucoup.«

Der junge Mann murmelte etwas zwischen den Zähnen.

»Gibts?« fragte er gedehnt, ohne weiter auf die hinten Sitzenden zurückzusehen.

»Oui Mylord exzellenze«.

»Bien, ich komme zum Diner, aber allein.«

»Bien obligé, Mylord! Um wieviel Uhr?«

Der Mylord hatte entweder seine Gedanken bereits auf einen anderen Gegenstand gerichtet, oder das furchtbare Schweizer-Französisch der Mamsell ihm die Lust zu fernerer Zwiesprache benommen; denn ohne sie eines weitern Blickes zu würdigen, nahm er wieder das Buch vom Brette auf, gab dem Segel eine Richtung, die das Boot mehr vor den Wind brachte, und fuhr fort im Guide of Switzerland zu lesen.

Das Boot schwamm sanft und leicht längs dem Ufer hinan, das durch die Berge der Kantone Schwyz und St. Gallen im Hintergrunde begrenzt wird. Eine Weile war es so fortgeglitten, als der hinten Sitzende das Wort nahm:

»Mylord! Rappersweil – sehr belle vue auf den See – schönes Schloss.«

Der Mylord schaute auf. Vor ihm lag eine Bucht, die durch eine vorspringende Landzunge gebildet, sich sanft gegen den See zu abdachte, ein zarter Wiesengrund, mit den gelben und roten Erstlingen des Frühlings übersät, und von mehreren Gruppen wilder Birnen- und Kirschbäume bekränzt, die zum Teil ihre Blütenkapseln geöffnet. – In die kleine Bucht fiel ein Bach, der mit einem Heckengestrüpp von wilden Kirschen und Schlehdornen eingefasst war.

Ohne ein Wort zu sagen, liess er das Segel fahren, und auf die Bucht deutend, winkte er dem zweiten hinten Sitzenden, der das Ruder ergriff, und das Boot dem kleinen Hafen zuführte.

Es lief ein und hielt am Lande. Der junge Mann nahm den Guide of Switzerland, und den Mantel zurückschlagend, sprang er aus dem Boote. Längs dem Gestrüppe hinaufeilend, verlor er sich bald hinter diesem, ohne auf seine Begleiter weiter zu achten.

»Pshaw!« murmelte er, »Deutsche mit ihrer Familiarität und Tabakspfeifen, und Flachshaaren und neblichter Metaphysik, und schmutzigen Händen und religiösen Skeptik, ihrem Sauerkraut und ihrer absurden Romantik, und Butterbrot und Käse und Bratwurst-Düften. Pshaw!« murmelte er, einen wegwerfenden Blick auf das Badehaus hinabsendend, und mit einem Schauder zurückprallend, den der zierlichste Fashionable des Broadway nicht eleganter ins Leben rufen kann, wenn er soeben in die glänzenden Reihen von Castlegarden eintritt und, den Arm der holden Geraldine oder Rosalinde oder Florinde zu erfassen sich anschickend, statt dessen aber die dicke Faust einer so eben aus Germanien herüber transportierten Evatochter in die zierlichen Händchen bekommt.

»Brr!« murmelte er nochmals, mit komisch-ekligem Schauder zurückprallend.

Allmählich jedoch nahmen seine Züge einen anderen Ausdruck an.

»Das ist wirklich ein schöner See – ein herrlicher See. – Der St. George – zwar – aber – dieser« – »Prachtvoll«, entfuhr ihm, als er die Gegend genauer übersehen, den Gesamteindruck allmählich in sich aufgenommen hatte.

Aber er ist auch wirklich prachtvoll, euer Zürcher See, mit seinem smaragdgrünen Wasserspiegel, wenn traulich kosend die Ostbise seine Gewässer in kräuselnde Wellchen fächelt, und das Gemurmel und Plätschern ihres Aufrollens und Überschlagens euch so einschläfernd in die Ohren lispelt, vor euch kaum in schussweiter Entfernung die muntere Schar beweglicher Tauchenten, die sich lustig umhertreiben, sich duckend und drehend, und wendend und segelnd, wie Schiffe einer Flottille, die einander den Wind abzugewinnen bemüht sind.

Das rechte Ufer schimmert bereits und funkelt im hellen Lichte; die riesig und rauh sich im Hintergrunde empor türmenden Berge leuchten teilweise auf, in grellem Kupferrot und düsterem Grün. Nebelsäume erglänzen dazwischen, und oben und unten, hüllen Berg und Tal, und Wasser und Land in jeder neuen Minute in neue Gewänder. Im Vordergrunde, gerade gegenüber, erheben die Zinnen und Türme des altertümlichen Rappersweil ihre graubemoosten Häupter, wie aus einem ungeheuern Grabtuche ragen sie aus dem Nebel herüber, auf See und Land liegen noch die grauen Dunstmassen; aber über ihnen schwebt bereits die frohlockende Lerche, dem hellen Tage, und dem, der ihn geschaffen, zujubelnd.

Es war in der ersten Hälfte des Maimonats. Der junge Mann stand ganz im Anblicke der herrlichen Land- und Seepartien verloren, wie sie allmählich vor ihm auftauchten, bald im Nebelgewande dahinschwanden, bald vor den Gesichtskreis traten. Es war aber etwas kalt Apathisches in seinen Zügen, etwas verstimmt Bitteres, das verriet, dass der Born der Empfänglichkeit für den Genuss der Natur – ein frisch heiter unbefangenes Gemüt – getrübt, seine Seele in Kummer befangen. Er war noch jung, kaum vierundzwanzig Jahre schienen an ihm vorübergegangen zu sein.

Ein Luftzug kam von Südwest herüber und liess die feuchte Flagge des Nebelschleiers, der über die Landschaft hingelagert war, träge aufflattern, die Türme von Rappersweil und die morschen Zinnen grandios aus dem Hintergrunde vortreten. Er starrte in die Lücken des feuchten Vorhanges hinein, und allmählich leuchteten seine Augen auf, als suchten sie einzudringen in diese morschen Mauern, und die Geheimnisse dieser Türme, die ihm im fantastischen Spiele der Lüfte und Dünste so bedeutsam geworden. Und er bohrte hinein in die Nebelrisse, als könnte er schauen die alten Grafen und Ritter des Zürichgaues, im Panzerhemde und mit gewaltigen Armen und gewaltigeren Kehlen, sich jubelnd vom Morgenimbiss erheben, und den Abschiedsbecher leeren auf das Verderben der Feinde, und die züchtig zarte Hausfrau, wie sie Tränen im Auge an dem eisengeharnischten Grafen hängt, und sich den stürmischen Abschiedskuss auf die erbleichenden Lippen drücken lässt; und wie dann Grafen und Ritter die hohen Steintreppen hinabrasseln in den Schlosshof, wo Knappen und Dienstmannen und Leibeigene und Trossbuben des mächtigen Grafen harren.

Und die dunkelblauen Augen des jungen Mannes bohren schärfer in die Nebelsäume, und der Vorhang hebt sich mehr, und hinter ihm schwellen die Uferhügel heran, und die Berge des Sees, und er schaut starr auf Schloss und Seeberge hinüber und hinab.

Der Begleiter, der ihn Mylord angeredet, und seinem Äussern nach Führer oder Lohnbedienter, oder auch beides zugleich sein mochte, hatte sich ihm auf Sprechweite genähert. Auf die Schlosstürme deutend, sprach er:

»Kuriose Zeiten das, Mylord! wo noch die Grafen von Rappersweil in den Gauen hier hausten und herrschten!«

Der junge Mann blickte auf, und sah den Sprecher mit einem Seitenblicke an, der einem von seinem Cicerone-Berufe weniger Durchdrungenen eben nicht aufmunternd geschienen haben dürfte.

»Waren das ja Zeiten«, fuhr dieser nichts destoweniger in familiärem Tone fort – »als die Grafen noch in dem alten Schloss drüben hausten.«

Der junge Mann gab keine Antwort und starrte auf das Schloss hinüber.

»Machte den Zürchern viel zu schaffen, das Schloss drüben, so klein es auch ausschaut, und fehlte ein paar Mal gar nicht viel, so hätte das kleine Schloss da, wie Sie es sehen, das grosse Zürich in den Sack gesteckt, wäre bald letz mit Zürich gewesen.«

Der Führer hielt einen Augenblick inne. –

»Waren aber die Zürcher wieder nicht die Leute, die Hände in die Tasche zu stecken, wenn ihnen etwas letz kam. Waren trotzige Gesellen die alten Zürcher. Sagten: die Grafen sind Strahlhagel und Donderskaiben, und haben einen Vergleich mit uns geschlossen, um uns desto besser in ihre Schlingen zu kriegen, und uns die alte Regierig an den Hals zu werfen. Wollen es ihnen aber und ihren Ratsherren schon einsalzen. – Und waren die alten Zürcher nicht die Leute, die es beim Sagen bewenden liessen.« –

Der Führer hielt wieder inne, und fuhr dann fort:

»War aber die Geschichte, die Mordnacht, Mylord – die berühmte Zürcher Mordnacht; – haben doch von der Zürcher Mordnacht gehört?«

Der junge Mann gab keine Antwort, und starrte auf das Schloss hinüber.

»War das Ganze von dem Grafen da drüben eingefädelt. War ein wütiger Mann, der Graf Johann der Zweite, und war dondersgiftig auf die Zürcher, weil sie seinen Vater erschlagen hatten. – War ein rauher Mann, liess den alten Toggenburger von seinen Knechten wie einen Hund niedermachen, und so giftig war er, das er den Zürchern ewige Urfehde schwur, weil sie seinen Vater erschlagen hatten.«

»Sah aber bald, dass er mit seiner Urfehde nicht weit kommen würde. – Was tut er also? Was denken Sie wohl, Mylord! dass er tut?«

Und der Führer schaute den Mylord an, und der Mylord den Führer.

»Wohl, will Ihnen sagen, Mylord! was er tut. Spinnt mit den ausgetretenen Ratsherren eine Dondershagel-Schelmerei gegen die Stadt an, und verschwört sich mit ihnen, sie wieder in ihr altes Regiment einzusetzen, und die neue Regierig mit dem Brun und seinem ganzen Anhange in der Nacht über die Klinge springen zu lassen. Und da der Graf und die Ratsherren Häuser und Anhänger in Zürich haben, so ziehen sie just diese Anhänger ins Verständnis, und schicken eine Anzahl bewaffneter Knechte in die Häuser, die ihnen in der Nacht die Tore öffnen, und die übrigen Knechte des Grafen und seine Anhänger in die Stadt einlassen sollten. – Haben zu Hause eine Chronik, die das alles wunderschön erzählt, weiss es übrigens auch jedes Kind auf der Strass.«

»Und war die Nacht schon angebrochen. Damals hätten Sie, Mylord! keine zwe Böck um Zürich mehr gegeben. War eine Dondershagel-Geschicht. War schon die halbe Stadt voll von den Verbündeten des Grafen, und war die Nacht schon angebrochen, und wusste noch keine Zürcher Seele, was für eine saubere Ordnig in der Nacht eingeführt werden sollte.«

»War aber ein Bürger, bei dem der Riedal und noch einer eingekehrt waren; dem und dem Riedal munkelt etwas vom Galgen und Rad, und die drei trollen in der Nacht aus der Stadt, und halten bei einem Fischer an, und sagen, er solle sie über den See hinüberbringen. Der Fischer schaut sie sich so recht an, und geht, munkelt ihm aber auch etwas, und er lauscht und erlauscht, wie sie untereinander wispern, dass sie ihn umbringen wollen. Und auf einmal schlägt er, wie er draussen auf'm See ist, den Kahn um, sie fallen heraus, sinken, und da sie Rüstungen und viel Geld bei sich haben, so ertrinken sie wie junge Katzen. Er aber schwimmt ans Land, läuft nach Zürich, klopft an alle Häuser, und schreit hinein: Mord und Verrat! Aber nicht genug, Mylord! Ein Bub, der auf einer Ofenbank schläft, der erlauscht in einem andern Hause, wo gleichfalls Rappersweiler versteckt sind, wie sie sich beim Schöppli lustig machen, wie sie alles in der Nacht zwischen die sanfte Rippe stossen wollen: hört auch das Losungswort. Der Bub schleicht sich aus der Stube, läuft zum Bürgermeister Brun, und sagt ihm alles Wort für Wort. Der nicht faul, sperrt den Buben in seine Kammer, und rennt, was er kann, aufs Rathaus, und zieht die Sturmglocken, und schreit: »Mord! Verrat! Bürger, zu den Waffen!«

»Das hören die Bürger, und springen von allen Seiten aus ihren Häusern: Schmiede und Zimmerleute, und Gerber und Färber, und Küfer und Waffenschmiede mit aufgestülpten Hemdeärmeln, einige in Hosen, andere in Wämsern, mit alten Schwertern, die sie vom Regensberger und den besiegten Rittern des Zürichgaues erbeutet, und Morgensternen und Äxten, die sie selbst geschmiedet; so springen sie heraus und machen sich parat, und die Weiber, die springen gleichfalls heraus, und machen sich parat. Und jetzt kommen die Rappersweiler, und jetzt geht der Tanz los. Und während die Männer dareinschlagen, mit allem, was ihnen unter die Hand kommt, greifen die Weiber nach allem, was ihnen in die ihrigen kommt, und schütten heisses, siedendes Wasser aus den Fenstern den Rappersweilern auf die Köpfe, und werfen Truhen, Steine, Krüge nach, und ihre Männer schlagen dondersmässig darein, und war das eine wahre Metzelei, und schlagen, bis sie die Rappersweiler alle erschlagen oder gefangen hatten. War eine wahre Mordnacht.« –

»Ei,« fuhr er fort. – »Die kleinen Diebe hängt man, die grossen lässt man laufen. Siebzehn köpften sie an den folgenden Tagen, und achtzehn räderten sie, und den Haupturheber, den Grafen Johann, liessen sie laufen, musste ihnen aber tüchtig blechen, aber dann liessen sie ihn laufen. – Hätten ihn aufknüpfen sollen, aber auf einem höheren Galgen, wie den Haman.« –

»Roher Bösewicht«, murmelte der junge Mann.

»Ei, war immer ein bitterböses, aber verhagelt gescheidtes, vertracktes Volk, die Zürichstädter«, meinte der Führer, »dem aber der Teufel trauen mag. Und wenn sie sich einmal etwas in den Kopf setzen, sind sie gerade des Donders, halsstarrige Katzer! Nahmen es ein paar Mal mit der ganzen Schweiz auf, und wurde ihre Stadt belagert, auch wegen einem solchen Grafen, war wegen des Grafen von Toggenburg seiner Erbschaft.«

»Aber zeigten auch wieder zu Zeiten, dass ihnen das Herz am rechten Flecke sitzt«, hob wieder der Schweizer mit einem den Zürchern etwas günstigeren Kopfrucke an; »zeigten das absonderlich, wie der Herzog von Burgund die Städte und Kantone und Bünde mit Krieg überzog. War das auch eine förchtige Geschicht mit den Herzogen, nicht denen von Österreich, Mylord! waren immer gute Freunde mit den Herzogen von Österreich; aber die Franzosen und Burgunder, die hatten auf'm Zahn. Hatten damals einen Strahlhagel zum Bürgermeister, einen Hans Waldmann zum Geschlecht; war ein Dondershagel der Hans. Hört kaum, dass die Burgunder angezogen kommen, und Murten, in dem der Bubenberger liegt, beschiessen, als er bei Nacht und Nebel mit seinen Zürchern aufbricht; hagelte furchtbar, wie er aufbricht, und goss in Strömen, bricht aber auf mir nichts dir nichts, zieht fort, und ruht nicht aus, bis er in Bern ankommt. In Bern bleibt er zwei Stunden. Waren aber die Berner über seine Ankunft so erfreut, dass sie die Stadt erleuchten, und Tische mit Speisen vor die Häuser setzen, und alle speisen und tränken. Und nachher ziehen sie gegen Murten zu, und kommen nach Gumenen. In Gumenen hören sie die Frühmesse. War aber die Armee des Herzogs an die vierzigtausend stark um Murten und den See herumgelagert.«

»Und führt der Ritter Hallwyl den Vortrab, und der Hans Waldmann das Haupttreffen. War aber der Tag regnerisch, und der folgende Tag gleichfalls, aber hebt sich am folgenden Tage der Nebel, und wie Ritter Hallwyl das sieht, und dass die Leute des Herzogs den Rückzug antreten, war ihnen das Pulver nass geworden, und ihre Schleudern, und wie er sie retirieren sieht, sagt er: Kniet nieder, Kinder, und lasst uns beten. Und der Vortrab und das Haupttreffen und alle knieen nieder, und beten, dreissigtausend Mann. Und dann stehen sie auf, und Hallwyl zieht sein Schwert und sagt: »Tapfere Männer! Gott sendet uns seinen Sonnenschein. Denkt an Weiber und Kinder!«

Der Schweizer schwieg einen Augenblick, dann fuhr er mit bewegter stärkerer Stimme fort:

»Und jetzt ging's los; Granson! schreien alle Granson! und heben mörderisch ihre Äxte und Morgensterne, und fallen wütig auf das Lager des Herzogs. Machten aber seine Kartaunen gewaltige Löcher in die Reihen der Schweizer. Aber dringen endlich ins burgundische Lager ein; der Ritter Hallwyl zuerst, und der Hans Waldmann später. Und schlagen dondersmässig darein. Und wenn der Zürcher Löwe wich, so kam wieder unser Berner Bär vor, und dann wieder die Strassburger, Luzerner, und schlugen so mordelementsmässig darein, dass bis zum Abend die vierzigtausend Burgunder erschlagen, ersäuft oder gefangen, und in die Luft gejagt, und die Schweizer allein sind, mit den Toten und Gefallenen. Und wie sie allein sind, danken sie abermals dem Herrn der Heerscharen, und geloben ihm unsere Berner und die Zürcher einen Teil der Beute in ihren Münstern, und der Jungfrau Maria, oder wie sie sie nannten, der Mutter Gottes, gleichfalls, denn waren noch Katholiken die Schweizer damals; und die Zürcher versprachen ihrem Sanct Berchtel noch as Schöppli am Sankt Berchtelstage. – Sollen aber der Schöppli's, dem Sankt Berchtel am Berchtelstage mehr geopfert worden sein, als Beute dem Herrgott und seiner Mutter im Münster«, bemerkt mit schlauem Lächeln der Berner.

Es war trotz des ungeschlachten Vortrags, und der gemeinen Sprache wieder etwas in den Schilderungen des Schweizers, das wohl einen aufmerksameren Zuhörer verdient hätte. Nach den Blicken jedoch des Mylords zu schliessen, schien er mit ganz anderen Dingen als den Schweizer-Zuständen beschäftigt zu sein.

»Waren damals«, fuhr jener fort, »die Schweizer noch die alten Schweizer, hatten viel tüchtiges Blut in sich; liessen den grössten Teil der Beute, das ganze Gezelt des Herzogs, dem René von Lothringen. Wurde aber bald anders, als unsere Städte mit den Grafen und Herzogen fertig, und selbst Herrschaften wurden. Sollten wir vom Lande bald sehen, dass wir nur die Herren gewechselt, aus dem Regen in die Traufe gekommen waren. Waren die Herzoge und Grafen schlimm genug gewesen, aber waren doch Herzoge, und betrugen sich als Herzoge und Grafen, und führten Krieg, und befehdeten sich, aber blieb doch die Schweizer Kraft im Lande. Sehen Sie, Herr! wären damals unsere Städter Leute gewesen, wie sie sein sollten, beim Hagel! unsere Schweiz wäre jetzt Tyrol und das Vorarlbergische, und Burgund und halb Frankreich dazu. Aber unsere Städte, du mein Gott! Unsere Städte! die verschacherten wie Blutkrämer unser Fleisch und Blut und Leiber an auswärtige Potentaten, und strichen das Geld ein, und liessen uns als Gemeine dienen, und wir mussten uns mit Batzen begnügen, während die Stadtsöhne die Doublen als Offiziere einsteckten. Verliehen und verkauften uns an schier alle Potentaten, und verhandelten unsere Leiber, gerade wie unsere Emmentaler Käse. War aber das noch nicht alles, glaubten auch, wenn wir nach Hause kamen aus der Fremde, sie wären noch immer die Herren Offiziere und wir die Gemeinen, oder sie die Herzöge und Grafen, die wir durch unsere Arme überwunden, und wir die Leibeigenen. Taten just so wie die Grafen und noch ärger. Kleideten sich in reiche Gewänder wie die Grafen und Herzöge und glaubten, mit den Gewändern auch die Gnade Gottes der Herzöge und Grafen angezogen zu haben; und angetan mit den Sammet- und Seidengewändern der Herzöge und Grafen, und in seidenen Pluderhosen, und in Kragen, aus denen ihre Köpfe herauschauten, wie Johannes des Täufers Kopf aus der Schüssel der Tochter des Herodias, und ihre Häupter in mächtig schweren und langen Haarperücken, glaubten sie, von Gottes Gnade Herrscher zu sein, unsere Berner Herren im Aargau und Waadtland, und den italienischen Vogteien, und die Zürcher da unten auf den beiden Seeufern. Und liessen sich tragen in Sänften auf den beiden Seeufern herauf bis Rappersweil drüben, und Pfäffikon hüben, um als hochgeachte und wohlweise Herren Ordnig zu handhaben, und Gerechtigkeit und Zucht zu pflegen, und zuweilen auch Unzucht, wie vor ihnen die Grafen und Ritter, und wohl auch noch ärger. Fuhren dann die armen Seebuben an: Ihr Strolche und Dondershageln ihr! Glauben schier gar, ihr hänt euch s'Fischli usm See schmecke lo! Ihr Dondershageln ihr! Aber zu den schönen Maidlis sagten sie schon anders; denen sagten sie: Seyd ja a gar schöns Maidli ihr!«

»Sagten die Maidlis darauf: Gsch nüt so gar wichtig; aber die Seebuben sagten gar nichts, dachten aber desto mehr. Und murrten schier giftig untereinander: Haben wir deshalb die Herzöge und Grafen und Ritter geschlagen und vertrieben, und ihre Schlösser gebrochen, alles nur, um uns einen desto stärkeren Zwinger im alten Zürich zu bauen, und für die feisten, bissigen Bürger zu spinnen und zu weben, und dafür noch ausgehöhnt zu werden. Und wurden schier ungeduldig und die Zeit ihnen schier lange, und murrten bitterböse. Hilft aber das Murren nichts, hilft, aber nur zum Bösen. Haben die Hütten Wände, und die Wände Ohren, und bringt die murmelnde Zunge manchen Kopf von seinem Rumpfe; denn hat der Hahn noch nicht gekräht, und war es eine traurig betrübte Zeit für das Landvolk, eine sehr traurig betrübte Zeit, Herr! war damals auf den Schweizerbergen und in den Tälern, schlief sich kalt in den Hütten, und schaurig, wenn der Schneewind von den Gletschern herab heulte und es uns durchfror, während unsere Herren in den Städten beim Schöppli sich gütlich taten, und lustig auf unsere Kosten zechten. – Hat aber die längste Winternacht endlich ihren Tag, und bricht der Morgen endlich herein, und kräht der Hahn und erwacht der Schweizerbauer aus seiner Schlafsucht! Und krähte endlich der Hahn, Herr! und erwachten die Bauern, Herr! erwachten dondersmässig, Mylord! – dondersmässig erwachten diese Seebuben. Können sie nicht recht leiden diese Seebuben, wir Berner, heissen sie nur die groben Seebuben, sind aber auch sackgrob diese Seebuben; aber wenn's losgeht, da sind die Seebuben dabei, das muss wahr sein. Und ging es los, wie sie den Hahn krähen hören, ging es auf einmal drunter und drüber. Und brechen heraus, und springen auf, und rütteln und schütteln sich, rütteln nur den langen Schlaf ab. Und hinab ging's gegen die Stadt, wie ein Lauffeuer von Dorf zu Dorf, wie eine Lawine löst sich's, und schwoll und donnert. – Und schreien die Seebuben: Wollen's den Zürchern zeigen, dass wir nicht die Torenbuben sind, für die sie uns so lange genommen. Wollen ihnen zeigen, den feisten, bissigen Zürchern, sagen sie, und so ziehen sie hinab auf den beiden Seeufern. – War das ein lustiges Leben, sie zu sehen und zu hören. Und die Zürichstädter! war zum Totlachen, Mylord! – denen begann das Herz im Leibe zu wackeln. Hätten sie sehen sollen, wie sie herumsprangen, die Kauf- und Zopfherren, in ihren Perrücken und Haarzöpfen. Je grösser vorher ihr Übermut gewesen, um so grösser war jetzt ihre Verzagtheit, und rannten zitternd und zagend, und wollten wohl vom Leder ziehen, sagt ihnen aber ihr alter Hauptmann: Steck ein, Peterl, dein Schwert. Und taten wohl daran, es einzustecken und stecken zu lassen. Beim Hagel! taten wohl daran, denn war nicht das Schwert des alten Hans mehr da, hatten es in Messer und Gabel umgeschmiedet. Wär' ihnen beim Hagel! teuer zu stehen gekommen!«

Der Berner hielt inne, und sah den Mylord mit triumphierenden Blicken an.

Dieser schien der Schweizer-Geschichte nun ganz satt geworden sein. Verdrossen wandte er ihm den Rücken. Der Berner war jedoch nicht der Mann, ihn so leichten Kaufes aufzugeben. Er trat wieder vor.

»Und was weiter?« fragte im nachlässig gedehnten Tone der Mylord.

»Was weiter? Wissen Mylord nicht, dass die Seebuben den Tag gewonnen, und dass die Schanzen und Tore des alten Zürich niedermussten?«

»So.«

Der Führer sah den Mylord kopfschüttelnd an.

»Und dass nun die Seebuben und Bewohner des Zürich Gebietes die Herren geworden sind, so gut wie die Zürichstädter und wohl noch mehr.«

»So.« –

»Ei, wohl noch mehr«, eiferte der durch das gleichgültige So in Hitze gebrachte Berner. »Halten die Hand jetzt selbst am Ruder, wollen die Herren und Regenten jetzt selbst spielen, haben jetzt auch as Wörtle in der Regierig zu sagen.«

»Und treffen sie das Herrenspielen?« fragte der junge Mann noch gedehnter.

»So gut und besser als die alten Zöpfe. Wollen sich schier die Zunge abbeissen die alten Zürcher und Berner Zöpfe, und ihre Alliierten drüben über den Bergen und dem Rhein. – Hilft aber kein Ränkespinnen mehr. Unsere Radikalen sind zu gescheidt für sie.« –

»Und wer spinnt jetzt?« fragte der junge Mann, sein Auge auf Wädensweil und Richtersweil geheftet.

»Ei, der Hahn hat gekräht, und ist jetzt die Reihe an die Bauern gekommen. War zuerst die Reihe an den Herzögen und Grafen, dann kam sie an die Städter, und jetzt ist der Bauer Herr.«

»Und wie lange wird er Herr sein?« fragte in derselben Gedankenlosigkeit der junge Mann.

Der Führer schaute ihn mit grossen Augen an, und war im Begriff, etwas zu erwidern, doch der Mylord, auf das obere Ende des Gestrüppes deutend, wandte ihm das zweite Mal den Rücken:

»Ich will allein sein.«

»Beim Hagel!« brummte der mürrische Berner. »Diese verdammten Mylords. Sie glauben, sie sind die Herren im Lande. Denkt vielleicht, er kann einen auch so herumboxen, wie die in Interlaken die Leute auf offener Strasse. Soll aber kommen. Sind verdammte Aristokraten diese Mylords. Dieser gar da. Und vielleicht ist er nicht einmal ein Mylord. Tituliere ihn meiner Seel' nicht mehr Mylord.«

Lautes Gelächter unterbrach auf einmal den giftig brummenden Berner.

Herr und Führer wandten sich in der Richtung, woher dieses erschallte.

»Pshaw diese Deutschen!« murmelte der erstere. »Sind sie einem doch immer und ewig im Wege.«

Und das Buch aufraffend, schlug er den Mantel um sich und war im Begriffe, den Ort zu verlassen, als er auf einmal wieder wie festgebannt hielt. –


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