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Der junge Amerikaner hatte tiefe, obwohl verschiedene Eindrücke bei den Deutschen hinterlassen. –
Als der Alte eintrat, fand er die Damen am Fenster, wo sie mit Luitgarde dem verhallenden Wagen nachlauschten, den Sohn und Schwiegersohn in lebhafter Unterhaltung an der Türe. –
»Ist es nicht seltsam,« äusserte sich der letztere in leicht ironischem Tone, »dass das Schicksal,« das uns seit diesem Morgen so recht eigentlich in wahlverwandtschaftliche Beziehungen bringen zu wollen schien, sich wieder so mutwillig einen Strich durch die Rechnung gespielt sehen muss, bloss weil der junge Mann einer Nation angehört, bei der unsere geistigen Anklänge keinen Wiederhall finden.«
»Aber sage mir doch, Vater! was ihm so plötzlich in den Sinn kam. Er schien sich doch zuletzt recht wohl in unserm Kreise zu fühlen!« – fragte wieder der ernstere Wilhelm.
Der Alte schüttelte den Kopf. »Es ist plötzlich über ihn gekommen. Ich kann mir den jungen Mann nicht erklären, aber es treibt ihn etwas; was es aber ist, lässt sich schwer sagen. Es muss jedoch eine eigene Bewandtnis haben.«
»Ich sollte wieder meinen, dass –«, fiel der Schwiegersohn ein, »dass –. Ich kann mir das seltsame Benehmen des jungen Menschen wohl erklären, schon aus dem Charakter seiner Landsleute erklären, die ja bekanntlich noch unzugänglicher, herzloser als die Engländer sind, von denen doch schon Jean Paul in seiner feinen Weise bemerkt, dass die Bekanntschaft eines Sohnes Albions nächst der eines fremden Hundes wohl am schwersten zu erlangen sei. Überhaupt, was ich auch von diesen Amerikanern sehe und höre, so kann ich mich unmöglich mit ihrem Wesen befreunden. Ich wünsche Dir Glück, Wilhelm, zu Deinem Vorhaben, allein –.«
»Sie mögen allerdings manches haben, mit dem wir uns schwer befreunden dürften«, bemerkte nachdenklich der Schwiegervater; »aber sie haben auch wieder Eigenschaften, die wir, und gerade wir, uns so schnell wie möglich beilegen sollten. – Mein lieber Friedrich!« sprach der Alte ungemein ernst; »unsere adelige Denkweise ist recht gut; sie war vor sechzig Jahren vielleicht noch mehr an ihrem Platze, als sie es heutzutage ist. – Wir sind jetzt in einer Übergangsperiode. Wir haben zwar einige grosse Staatsmänner, welche die Störungen auszugleichen, das Bestehende zu erhalten, unsere angestammten Rechte zu sichern hoffen; – ich wünsche es. – Wenn ich aber eben diese Staatsmänner, und die von ihnen verwalteten Länder, und den Ungeheuern Abstand dieser Länder, ihr Zurückstehen hinter denjenigen betrachte, die weise der neuen Ordnung der Dinge nachgebend, diese und die neuern Fortschritte sich angepasst haben – dann wird es mir immer klarer, dass wir entweder gleichfalls der neuen Gestaltung der Dinge uns fügen, oder zurückbleiben und, was dasselbe sagt, in Armut, Verachtung, Abhängigkeit, ja Barbarei versinken müssen.«
»Aber mein Gott, Papa! wie kommst Du auf – was hat alles das mit dem jungen Menschen?« – stotterte der Schwiegersohn errötend.
»Den Zusammenhang wirst Du leicht finden, lieber Friedrich. – Nur so viel erlaube mir zu bemerken, dass Deine Antipathie gegen die Amerikaner, und gerade die Vorwürfe, die Du ihnen wegen ihrer Illiberalität und materiellen Richtungen machst, Dir vielleicht teurer zu stehen kommen dürften, als Du glaubst. Wir verschliessen nie ungestraft Augen und Ohren grossen gesellschaftlichen Revolutionen; denn wir können uns ihnen nicht entziehen. Was diesen jungen Mann betrifft, so müssen wir wohl bedenken, dass er ferne von seiner Heimat, befangen, in fremdartiger Umgebung, ungelenkig, beengt sich fühlen, und uns natürlich schroff erscheinen muss. Wir haben kein Recht, uns über das, was uns schroff erscheinen mag, verletzt zu fühlen. Ich wenigstens sehe keines. – Er wünscht für sich zu sein. Als Fremder glaubt er wahrscheinlich Ursache zu haben, bei der Auswahl neuer Bekannten behutsam zu verfahren. – Weit entfernt, dass ihm diese Haltung in meinen Augen zum Nachteil gereichte, muss ich Dir im Gegenteil bekennen, dass ich zwar mit wahrem Verlangen seine nähere Bekanntschaft gemacht hätte – da sein ganzes Wesen das bezeichnet, was die Engländer den Gentleman von guter Familie nennen, – dass mir aber seine Entfernung nur eine desto höhere Idee von ihm gegeben. – Wir Deutsche haben eine gewisse vertrauliche Annäherungsweise – der Amerikaner, der Engländer ist wieder zurückhaltender. Überhaupt habe ich gefunden, dass je freier eine Nation wird, desto mehr verliert sie jenes Gemütlich-Hingehende. – Sieh nur den Franzosen an; welch' ein ungeheurer Abstand zwischen dem heutigen Franzosen und dem vor vierzig Jahren. – Ich glaube überhaupt, dass ein gutes gemütliches Volk nie zur sogenannten republikanischen Freiheit gelangen kann. – Wir dürfen ja nicht fremde Nationen nach unserm Masstabe messen.« –
»Mir wieder«, nahm Wilhelm das Wort, »kam sein Wesen eigentümlich vor, ich gestehe es, aber eigentümlich in der schöneren Beziehung des Wortes. Es ist etwas in seinem Benehmen, das wir an unsern europäischen Physiognomien vergebens suchen würden, höchstens finden wir es an den Engländern in den höchsten Ständen. Es ist die ruhige Klarheit, die selbstbewusste Würde, die mir an diesem Rambleton klar geworden. – Unstreitig trägt er einen ungeheuern Schmerz mit sich herum. Man sieht diesen Schmerz herauszucken, und doch beherrscht er sich – bleibt sich stets gleich – bei der Wasserfahrt, bei unserm zweiten Zusammentreffen. – Es ist ihm an die Stirn geschrieben, dass er sich nie vor einem Höheren gebeugt hat.«
Der Schwiegersohn schien sich plötzlich zu besinnen.
»Wenn Du ihn gesehen hättest, so wie wir ihn sahen, dann dürftest Du seine Selbstbeherrschung weniger bewundern. Ich habe nicht bald einen Menschen so furchtbar, so ganz ausser sich gesehen, als es gerade dieser Rambleton war, und zwar über eine Zeitung.« –
»Du! Du hast ihn ausser sich gesehen?« fragte Wilhelm verwundert. –
»Wo hast Du ihn gesehen?« der Schwiegervater.
»Ehe Ihr ankamet auf der Hügelhöhe. – Emilie und ich waren bereits oben. Er stand nicht dreissig Schritte von uns.« –
»O, es muss ein ungeheurer Schmerz sein!« liess sich aus der weiblichen Gruppe herüber die junge Frau vernehmen. »Ein ungeheures Schicksal das diesen Rambleton mit seinen Riesenarmen erfasst und befangen hält!«
Vater und Sohn traten bei diesen Worten dem Kreise der Damen näher.
»Ihr habt ihn also früher, als wir ankamen, gesehen?« fragten beide hastig.
»Du weisst, Papa! wir verliessen Euch, und gingen auf die von Herrn H-n bezeichnete Anhöhe, während Ihr unten bliebt, um seine Fabrik näher zu besehen.«
»Ja, und was saht Ihr da, Emilie?«
»O, ich habe nie den wütendsten Schmerz, das qualvollste Losreissen einer Seele vom Liebsten, so furchtbar, so wahr, so grässlich auf einem Gesichte gezeichnet gesehen!« –
»Ja, aber die Ursache, die Veranlassung dazu?« rief ungeduldig Wilhelm. –
»Eine Zeitung, ich sage Dir ja, Vater!«
»So lass doch Emilie erzählen, Friedrich!« –
»Du weisst, Papa! wir waren vor Euch oben auf der Anhöhe. – Also! wir standen da, Friedrich und ich, keine dreissig Schritte von ihm, der, an die dicke Eiche gelehnt, uns nicht bemerkte.«
»Er lehnte nachlässig an der Eiche, und vor ihm stand der Lohnbediente, oder was er sonst ist, den er, wie Du weisst, nach Zürich gesandt hatte, und der einen ganzen Pack gedruckter Bogen oder Zeitungen – was sie waren, weiss ich nicht – in der Hand hielt. Er nahm ihm eine nach der andern ab, las sie, ohne eine Miene zu verziehen, liess sie gleichgültig fallen, und nahm wieder eine andere. Mich shockierte dieses wegwerfende Benehmen gegen den Bedienten, denn wie einem Hunde warf er ihm die Blätter vor die Füsse, die er ihm wohl mit nicht mehr Mühe eben so gut hätte in die Hand geben können, und der sie wieder aufheben musste.«
»Das ist ein ganz englisch amerikanischer Zug«, fiel ihr Mann ein.
Wilhelm winkte ihm ungeduldig.
»Auch die Gefühllosigkeit des jungen Mannes gegen die herrliche Natur, shockierte mich. Bald aber hatte ich Ursache, meine Voreiligkeit zu bereuen. Der Bediente hatte ihm ein sehr grosses Blatt überreicht, es glich ganz den ungeheuern Zeitungen, die Dir, Papa, von Deinem Havre-Korrespondenten zugeschickt werden. Er hatte kaum sein Auge darauf geworfen, als er auch mit einem Male leichenbleich wurde. – Er stierte mit einem so düstern Ausdrucke auf das Blatt – seine ganze Seele, sein tiefstes Innere schien sich auf das Blatt herauszudrängen. – Zugleich zuckten seine Lippen, ich konnte ihn kaum mehr ansehen.«
»Armer, unglücklicher Rambleton!« seufzte Luitgarde.
»Dann sprang er«, fuhr Emilie fort, »an uns vorüber, rannte der Strasse zu – hielt wieder, kam ganz verloren mit zur Erde gesenktem Blicke und herabhängendem Kopfe, wie ein Nachtwandler, zurück. – Es zerriss mir das Herz. Ich konnte es kaum mehr aushalten. Da kamt Ihr.« –
»Aber so gross dürfte denn doch der Schmerz nicht gewesen sein«, bemerkte leichthin der Schwiegersohn, »denn bei Eurer Ankunft glättete sich seine Stirne mit einem Male, und er sprach so vernünftig und besonnen.« –
»Aber wie ungerecht, Friedrich!« rief Luitgarde. – »Was sollte er wohl für eine Ursache gehabt haben, einen Schmerz zu heucheln?«
Vater und Sohn waren sehr nachdenklich geworden, besonders der erstere, der einige Male bewegt im Saale auf und ab geschritten war und dann vor Emilie in sichtbarer Bewegung hielt.
»Eine Zeitung war es, sagst Du, die ihn so ausserordentlich aus der Fassung brachte? – Eine Newyorker Zeitung?«
»Ganz so ein Blatt, wie die von Havre aus Dir zugesandten.«
Der Alte zuckte sichtlich zusammen, mit Heftigkeit fragte er:
»Und Du hörtest nichts von dem Inhalte? – Nichts, was denn eigentlich den jungen Mann so ausser sich brachte?«
»Nichts, Papa! – Nur so viel hörten wir den Bedienten sagen, dass ein Herr –l– express von Basel heraufgekommen, um ihm die Briefe zu überbringen, und dass er sie nicht aus den Händen geben könne. – Er wolle bis morgen früh warten, aber dann müsste er wieder zurück.« –
»–l–« rief Wilhelm, – »das ist ja der Bankier. – Ist er nicht auch zugleich amerikanischer? – und der, sagte der Bediente, habe ihm die Briefe selbst überbracht?« –
»Das sagte er, und sagte auch, der Gesandte in Paris habe ihm selbst wegen der Briefe geschrieben, und ihm aufgetragen, sie so schnell wie möglich in die Hände Rambletons zu befördern.« –
Der Alte, der alle Farben wechselnd, die Worte der Tochter angehört, war jetzt im höchsten Grade unruhig geworden. Im Saale auf und ab rennend, stiess er die abgebrochenen Worte heraus: »Der alte General – die Bank – seine Feindschaft bekannt – der Pöbel auf seiner Seite – er ein sehr heftiger Mann.«
Die Familie sah den Vater bestürzt an.
»Glaubst Du, dass dies mit der Bank zusammenhängt?« fragte Wilhelm leise den Vater. –
»Gott gebe, dass nicht! – Aber was sollte sonst diesen Amerikaner! – Sie sind so unerschütterlich, so starr, – nur Geldfragen rütteln sie aus ihrem Gleichmut auf. Dieser junge Mann, er ist reich, von gutem Hause; – Ein Express – der Bankier selbst! – Die Baseler in ihrem Geldstolze, sind nicht die Leute, die dem ersten besten Reisenden, und wäre er zehnmal Lord, sechzehn Stunden nach Zürich nachfahren.«
»Und Du glaubst also, dass etwas gegen die Bank –?«
Der Alte rannte immer ungestümer auf und ab.
»Aber Du erwartest ja auch Briefe?« fragte beklommen Wilhelm.
»Mit Schmerzen,« erwiderte der Vater.
»Wie wäre es, wenn ich –?«
Ein Lichtstrahl schien dem Alten aufzugehen. Er ergriff, ohne ein Wort zu sagen, den Arm des Sohnes, und zog ihn durch die Saaltür dem Kabinett zu.
Die Familie sah den beiden trostlos nach.
Im nächsten Augenblicke klingelte es heftig. Ein Bedienter sprang zur Tür.
»Franz soll sich bereit halten um zwei Uhr nach Zürich zu fahren. Du packst sogleich Wilhelms Kleider in seinen Reisekoffer. Das Kammermädchen soll die Wäsche besorgen. Ihr, liebe Kinder! geht jetzt zum Abendessen. Ich bin mit Wilhelm beschäftigt. – Vielleicht kommen wir nach, aber besser, Ihr sendet uns etwas kalten Braten und eine Bouteille Wein ins Kabinett.«
»Aber, Papa! was ist geschehen? was hat so plötzlich –?«
Der Papa sah den Schwiegersohn mit einem Blicke an, der ihm seine Frage in der Mitte abschnitt.
»Eine Zeitung, lieber Friedrich!« sprach er nach einigem Bedenken. Ja wohl mag eine Zeitung uns Nachrichten bringen, die uns die Wangen bleich und die Zunge lahm machen. Sie kann uns – ja, ja, sie kann uns Armut – Reichtum – vieles, vieles kann sie uns bringen.« –
»Aber was hat die Newyorker Zeitung mit unserer Armut oder Reichtum zu tun? – Wie kommt es, dass –?«
»Lieber Friedrich! – frage mich nicht. – Vielleicht hat uns das Schicksal in dem jungen Manne eine Warnung gesandt, die – wohl kann es, wie Du gesagt, eine wahlverwandtschaftliche Beziehung – wir wollen auf alle Fälle den Wink nicht unbeachtet lassen; denn –«
Er sprach nicht aus, zur Tür sich zurückziehend, riss er diese mit einer Gewalt auf und wieder zu, die seine aufgeregte Gemütsstimmung nur zu deutlich verriet.
Der Schwiegersohn hatte ihm betroffen nachgesehen.
»Ist es nicht seltsam,« bemerkte er seiner Gattin, »dass das launenhafte Erscheinen und Verschwinden eines uns ganz unbekannten jungen Menschen unserer ganzen geistigen Existenz eine so urplötzlich verschiedene Richtung geben soll.« –
»Ach dieses plötzliche Verschwinden erscheint mir jetzt in einem ganz andern Lichte,« seufzte die Frau. –
»Ich hoffe und wünsche nur, Papa habe sich nicht mit den Amerikanern eingelassen. – Nichts Gutes kommt uns von daher; – alle unsere Störungen, Zerrissenheiten – der Unfrieden der Völker. – Es ist das einzige Land, das ich hasse, – selbst diesen jungen Mann.« –.
Luitgarde aber, an der Gürtelschleife zupfend, dachte an die Worte ihres Lieblingsdichters:
Heiss' mich nicht reden, heiss' mich schweigen,
Denn mein Geheimnis ist mir Pflicht;
Ich möchte dir mein ganzes Inn're zeigen;
Allein das Schicksal will es nicht. –
Fünf Stunden später sass Rambleton im Gasthofe, die Augen gegen den See hinauf gerichtet, die Füsse auf dem Tische, sich im Lehnsessel wiegend. – Als die Turmuhr sechs schlug, klopfte es an die Türe. Er schaute auf, und auf sein Entrez, trat ein geschäftig wohlbeleibtes Männchen ein, in der Hand zwei Briefe. –
»Sie sind Herr –«
»Der bin ich.« –
»Mein Name ist – – Ich bin der – Darf ich um Ihren Pass bitten?« –
»Dort liegt er,« sprach Rambleton, auf den Tisch deutend und sich die schlaftrunkenen Augen reibend. –
Das Männchen ging, den Pass einzusehen.
»Sie vergeben,« sprach er auf einmal ungemein artig, – »aber als Geschäftsmann, als Sohn eines unserer ersten Häuser in Newyork, – wissen Sie. – Habe unter andern den Auftrag, Ihnen hiermit zwei Briefe zu überreichen. Ihr Gesandter hat mir aufgetragen, sie so schnell wie möglich in Ihre Hand zu befördern; – Sie selbst aber ja gewiss auf das nächste Paketschiff nach Le Havre zu bringen.«
Der Mann war während der letzten Worte ungemein freundlich geworden.
»Ich habe,« nahm er wieder das Wort, »deshalb auch einen Platz auf der Malle für Sie in Mühlhausen bestellen lassen.«
Der junge Mann gab keine Antwort, er hatte die Siegel von den Briefen gerissen, und seine Augen bohrten in beide zugleich hinein.
»Da ich selbst in Zürich einige Geschäfte hatte, so dachte ich mir das Vergnügen Ihrer Reisegesellschaft zu erbitten; – wir würden sogleich abfahren.«
Rambleton schaute nervös in die Briefe hinein.
»Sie sind, wie ich höre, im Wagen des Herrn Baron von Schochstein angekommen. – Ein sehr schätzenswertes Haus, das des Barons von Schochstein.«
Rambleton hörte auch kein Wort.
»– Haben sich glücklich zurückgezogen der Herr Baron, seine Schäfchen ins Trockene gebracht – haben dem mittleren Sohne das Geschäft übergeben, der älteste hat die Güter, sein jüngster Sohn will ja demnächst nach –«
Der Mann hielt plötzlich inne; denn die Augen seines neuen Reisegefährten starrten gar grimmig in die Briefe hinein.
»Doch keine schlimmen Nachrichten? Liebwertester.«
Rambleton starrte ihn einen Augenblick an, dann wieder die Briefe.
»Ums Himmels willen! haben Sie schlimme Nachrichten?«
»Ich muss fort, guter Mann,« sprach Rambleton aufstehend.
»Ums Himmels willen! haben sie schlimme Nachrichten?«
»Ich sage Ihnen, ich muss sogleich fort.« –
»Sogleich, sogleich – habe meinem Kutscher bereits Befehl gegeben. Wir haben einen Pferdewechsel in Brugg und können bis ein Uhr in Basel sein.« –
Rambleton sah ihn abermals starr an. »Aber was geht das mich an?« –
»Aber Sie sind – Sie werden doch mit mir reisen?«
»Aber wer sind Sie? Herr!«
Der Mann sah ihn kopfschüttelnd an. – »Mein Name ist –l– Ich bin der – Wir reisen zusammen und das sogleich.«
Der junge Mann streckte ihm rasch die Hand entgegen. –
»Aber die Nachrichten! die Nachrichten!« hob wieder der Basler an. –
»Wollen wir abreisen?« fragte Rambleton, – der wie abwesend auf den See hinauf schaute. – Auf einmal jedoch sprang er auf, riss das Fenster auf – schrie »Scoc – –,« das Übrige wollte nicht zum Munde heraus. Aber mit zwei Sätzen war er zur Tür hinaus, lief die Treppe hinab, rannte durch einen Gang, fand diesen geschlossen, und rannte wieder zurück.
»Wo wollen Sie hin? Herr!« fragte ein Kellner.
»Damn!« murmelte ihm Rambleton entgegen, – »Wwo gelangt man auf die Gasse hinaus?«
»Da hinunter, Herr! – Ich will Ihnen den Weg zeigen.«
Er rannte die Treppe hinab, dem Haustore zu, auf den Platz hinaus. – Nichts war zu sehen, als Milchmänner und Mädchen, und Wagen mit Fässern beladen und Ochsen bespannt, die horrible Düfte von sich gaben. – Er hielt sich die Nase zu. –
»Was wollen Sie? Herr!« fragte der Kellner.
»Wo ist der Wagen hin?«
Der Kellner schüttelte den Kopf.
Rambleton lief murrend der Treppe zu.
»Was war es? lieber Herr!« fragte der Basler kopfschüttelnd. – »Sie haben Ihr Zimmer verlassen und Ihre Schatulle offen, und Gold und Wechsel darin. – Wir sind zwar in der Schweiz, aber in Gasthöfen darf man so wenig trauen, wie in andern Ländern.« –
»Monsieur Scoc – Damn that name! it is absolutely unspeakable.« –
Und wirklich wollte er nicht von der Zunge.
»Monsieur Scoc dont you know him –?« wiederholte er. –
Der Basler schüttelte den Kopf. – »Kenne ihn nicht, den Monsieur Scoc. – Aber jetzt packen Sie gefälligst Ihr Gold und die Wechsel in die Schatulle, und schliessen Sie dieselbe, wir wollen frühstücken.« –
Und Rambleton packte Gold und Wechsel in die Schatulle, schloss sie und ging frühstücken.
Nochmals kam der Basler auf die Nachrichten, aber vergebens, der junge Mann starrte durch das Fenster. – Kopfschüttelnd erhob sich der Schweizer. Der junge Mann folgte ihm mechanisch. –
»Soeben fuhr der junge Herr Schochstein vorbei!« meldete der Berner Führer, der mit seinem Reisekoffer die Treppe herab kam. –
Rambleton schien plötzlich aus seinem Traume zu erwachen.
»Er sagt,« meldete der Berner weiter, »er bitte Sie recht sehr, ihm nur ein Paar Worte zu gönnen, die er mit Mylord sprechen wolle.«
»Lauf schnell, schnell,« befahl Rambleton.
»Aber wo soll ich ihn finden, Mylord?« fragte der Berner.
»Aber Herr!« kam nun der Kellner, »bitte schönstens, Sie haben Ihre Rechnung zu zahlen vergessen.«
Der Basler schüttelte mehr und mehr den Kopf. Rambleton griff in die Börse und nahm ein Goldstück heraus.
»Da bekommen Sie noch heraus,« versetzte der Kellner.
»Behaltet!« schrie der ungeduldige Rambleton.
Der Basler hatte alle Geduld verloren. –
»Damn! Warum geht Ihr nicht?« fuhr jetzt Rambleton den Berner an. –
»Aber wohin, Mylord?«
»Herrn Scoc –«
»Herr, wir haben keine Zeit zu verlieren!« sprach der Basler, auf die offene Wagentür deutend.
»Aber ich muss mit Herrn Scoc –«
»Ich bedaure,« versetzte der hartnäckige Basler, »aber wenn Sie nicht das Paketboot vom sechzehnten versäumen wollen, so – wir haben den fünfzehnten.«
Und mit diesen Worten ergriff er Rambleton unter'm rechten, der Berner unter'm linken Arme, der Kellner schob von hinten nach, und alle drei hoben und schoben den sich sträubenden Rambleton in den Wagen. – Im nächsten Augenblicke sass der Basler an seiner Seite. Ein Paar Peitschenhiebe, und der Wagen flog um die Ecke herum. –
»Herr Rambleton!« rief eine Stimme. »Ums Himmels Willen, Herr Rambleton, auf ein Wort.«
»Herr Scoc –,« schrie Rambleton.
»Fahr zu!« rief der nun toll gewordene Basler. Rambleton hörte nochmals den jungen Schochstein seinen Namen rufen, – seine Schritte, die sich dem Wagen nahten; – aber ein Paar Peitschenhiebe setzten die Pferde in rascheren Trab, und Stimme und Schritte verschollen. –
Rambleton hatte sich halbwütend im Wagen umhergerollt und das Fenster aufgerissen. – Der Basler blieb unbewegt. –
»Mein Gott!« murmelte er in sich hinein, – »was für seltsame Leute diese Amerikaner sind.« –
Eine Weile starrte er Rambleton an, dieser ihn. – Noch einen Blick warf er hinauf gegen den See zu, und dann legte er sich ruhig in die Ecke. –
Zehn Minuten darauf waren die beiden unterhaltsamen Reisegefährten im gedeihlichen Schaukeln des Wagens in sanften Schlummer versunken. –