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Und Rambleton erwachte. Er hatte vom Zürcher See geträumt. – Sein geistiges Ich war noch ganz am Zürcher Seeufer – sein leibliches, wo war das? Er rieb sich die Augen und schaute. Statt des Wilhelm Teil und des heldenmütigen Winkelried, wie er die sieben Lanzen der Österreicher an sich reisst, und in seinen Eingeweiden begräbt, und Niclaus von der Flühe, wie er die hadernden Stände der Schweiz zur Einigkeit ermahnt: Paul und Virginie, und Attala, und der dicke Bürgerkönig auf die dreifarbige Fahne und die Beste der Republiken schwörend; statt des blank gescheuerten Bretterbodens, des schneeweissen Bettlinnen, der duftenden Blumen, – grellrote Backsteine, und ein Thronbett mit verblichenem Damast überzogen, und zerbrochene Porzellanvasen mit bestäubten Blumen, und sechs Schuh lange Spiegel, in vergoldet gewesenen Rahmen.
Das kann doch die Schweiz nicht sein, die ehrlich einfache gerade Schweiz?
Und er schaute abermals.
In der Ecke lag der derbe Berner, im Lehnsessel und lautem Schlafe begraben. –
»Kuoli!« rief er.
Kuoli gab keinen Laut von sich. Dafür steckte ein schmutziges Gesicht, mit weissem Tuche auf dem Haupte, den Kopf zur Tür herein: »Wünschen Monsieur Feuer? ein oder zwei Scheite Holz?«
Darauf ein Rasseln der Klingelschnur im ganzen Hause, – ein Klappern von Holzschuhen, ein Gemisch von Stimmen, ein Gewirr von Sprachen. – Zehn Stimmen riefen auf einmal in halb so viele Zimmertüren hinein:
»Monsieur Capitain! le Pilot.« –
»Monsieur Capitain! le Commissair.«
»Monsieur Capitain! Messieurs les Officiers de la Douane.«
»Capitain P–!« rief eine vierte und fünfte Stimme in die Türe des Nebenzimmers.
»Capitain P–!« rief die Stimme stärker. – »Der Wind wechselt – North by East.«
Rambleton horcht, die Stimme scheint wie aus der Tiefe einer Welle in die Oberwelt heraufzudringen. Es folgt ein Krachen der Bettstelle, ein Sprung, der Vasen, Tische und Fenster erzittern lässt – ein Geklirre der Fensterrahmen.
»Setzen Sie Alles in Bereitschaft! Wir gehen!« schreit die Stimme im befehlenden Tone.
Zugleich tönt der harmonische Matrosenruf »Have-ho-yeo« hell und fröhlich durch die Fenster herein. –
Jetzt sprang Rambleton mit beiden Füssen zugleich aus dem Bette, und den Schlafrock um sich werfend, dem Fenster zu.
Da lagen die beiden Steindämme, durch die das gelbschmutzige Seewasser hereinbrauste, und die französischen und englischen Dampfer, Schifferboote und Kohlenboote, und weiter hinauf Schiff auf Schiff, in die Steindämme des Kunsthafens, wie Heringe in das Salzfass eingezwängt; und unter diesen Schiffen vor allen hervorglänzend, die herrlichen Yankee's, mit ihren wie Gold in der Morgensonne funkelnden Gürteln um die schwarzen Schwanenbusen. Kein Zweifel! Er war in Le Havre.
»Mylord!« rief es hinter ihm.
»Kuoli!« antwortete er.
Der Berner rieb sich die Augen, und streckte und reckte sich.
»Aber Kuoli! warum bist du nicht ins Bett gegangen?« fragte sein Herr milde.
»Ach Mylord! – Der Herr –l– hat mir ja befohlen, Sie nicht aus den Augen zu lassen. Sie führen so viel Geld und Wechsel bei sich, sagte der Herr, und ich müsste ja Acht haben, dass Sie nichts auf dem Wege verzetteln. Ach! wäre ich lieber schon zwischen meinen Bergen.«
»Wäre ich zwischen den Bergen!« murmelte ihm unwillkürlich Rambleton nach. »Ich gehe doch noch mit dir zurück.« –
Die Berge, die er kaum vier Tage verlassen – sie standen wieder vor seinem Blicke – vor seinen Blicken standen die lieben Deutschen. – O was hätte er jetzt für einen einzigen Blick auf die guten Deutschen gegeben. Die herrliche, die wunderherrliche Luitgarde. – Es zog ihn mit so süssem Verlangen, mit so wehmutsvoller Sehnsucht hin zum Seeufer.
Die Stimmen im Nebenzimmer wurden immer hörbarer. –
»Capitain!« liess sich ein seltsames Organ vernehmen, – »And the big English Lady put her trunks and boxes in Nr. 7, she wants to have one of the large looking glasses.« Die grosse Lady hat ihre Schachteln und Kisten in Nr. 7 gestellt. – Sie will einen der grossen Spiegel.
»Damn her!« schrie die Stimme, die ihrem Tone nach die Stimme des Kapitäns sein musste.
Die Nummer sieben schien Rambleton ein wenig aus seinen Träumen zu reissen. Mechanisch trat er zur Tür, die in das Nebenzimmer führte. Abermals liess sich eine Stimme hören.
Jetzt öffnete Rambleton die Tür.
»Capitain R-n! Gehen Sie?« redete er den Zimmer-Nachbar an. –
»Gehen?« gellte der Kapitän ohne aufzuschauen. – »Gehen? Jawohl, sie gehen.« –
Und sie gingen, die Beinkleider nämlich, in deren rechtes Bein der Kapitän bereits glücklich eingedrungen ist, während das andere, dem Seegewaltigen hartnäckig Widerstand leistend, als Fragment in der Hand bleibt.
Die Szene war nicht übel.
Der Seemann im Schlafrocke, die eine Hälfte der Hosen am Bein, die andere entzweigerissene in der Hand, ungeduldig im Zimmer umherhopsend, und das Weite suchend, Wirt, Makler und eine bronzfarbige Figur – nach dem Äussern zu schliessen, einer jener Männer, die in unserer Marine gleichzeitig die Dienste eines Kammerdieners und einer Kammerzofe, des Stiefelputzers und Kajütenwäschers, Hühnerfütterers und Schlächters Leibarztes und Leibkoches, Mundschenks und Tafeldeckers, vor allem aber die Sündenböcke sind, auf deren Häuptern sich die Gewitter unserer Kapitäne in unzähligen Damns richtig und sicher entleeren. – –
Die in der Ungeduld abgerissene Beinkleider waren besagtem Vielwürdenträger glücklich an den Kopf geflogen. Er retirierte jetzt über Hals und Kopf der geöffneten Tür zu, die schwarzen rollenden Augen, mit einer Angst umherwerfend, als wenn er von den Hosenfragmenten zerschmettert zu werden befürchtete. Jetzt starrte er den in der Türe stehenden Rambleton an. –
»Mister Rambleton!« rief er hilferufend und in wahrer Verzweiflung.
»Wo?« schrie der Kapitän aufschauend. –
»Und er ist es. – Mr. Rambleton, wie er leibt und lebt! – Mister Ramble! – Gott segne Sie – teurer Mister Ramble! bitte tausend Mal um Vergebung, Mister Ramble!«
Und der Seemann hopst mit einem Fusse, den andern mit den Hosen nachschleppend, auf Ramble, oder wie er sich lieber nennen hört, Rambleton zu, und seine Hand erfassend, drückte er sie mit seemännischem Ungestüme.
Rambleton stand ohne eine Miene zu verziehen.
»Mister Ramble! Ah, mit Ihnen kommt Glück und Wind – seit zwei Tagen warten wir auf ihn und Sie; – aber Ihre Familie in Newyork war in der grössten Angst!«
Und der Kapitän rüttelt und schüttelt des Landsmanns Hand. – Dieser aber stand unbewegt, seine Miene verfinsterte sich, sein Auge fiel in die Zimmerecke.
»By Jove!« rief der Seemann. – »Mister Ramble! Was ist's? Was gibt's?«
Rambleton schüttelte den Kopf.
»Was ist's Mister Ramble!« schrie der Seemann stärker.
Rambleton wandte sich, und erfasste den Drücker seiner Tür.
Der Kapitän hielt ihn. – »Ins Teufels Namen! – Was ist's? Was gibt's? Haben Sie die Geschäfte drüben noch immer nicht aus dem Kopfe heraus?
– Aber Sie gehen doch mit, Mister Ramble? Wir gehen um zwölf Uhr. – Bei Ihren ist doch alles in Ordnung?«
Rambleton gab keine Antwort, sein Auge hing noch immer in der östlichen Zimmerecke. Jetzt drückte er die Hand des freundlichen Seemannes, und zog sich langsam schneckenartig durch die geöffnete Tür zurück.
Der Kapitän schaute in der Richtung und schüttelte den Kopf. –
»Was soll das?« fragte er Wirt und Makler. »Seht Ihr da etwas? – Siehst Du etwas, Stewart? Was ist's mit dem Gentleman? Er ist wie verloren, in seinem Kopfe nicht richtig. Stewart, sieh sogleich, dass seine Sachen in Ordnung kommen.
– Er muss mit! – Er ist wie halb verloren.«
Und er war wie halb verloren. Ein Träumer War er Frankreich durch, in Le Havre eingefahren, ein Träumer war er nach zehnstündigem Schlafe erwacht. –
»Bless me!« rief der Stewart, den Wollkopf zur Türe her einsteckend. – »Mr. Rambleton! Wo fehlt es? Was fehlt Ihnen?« –
Rambleton stand noch immer den Blick in die Stubenecke gerichtet.
»Mr. Rambleton!« rief der Stewart stärker.
Rambleton gab noch immer keine Antwort.
Der Mulatte schaute ein Augenblick ungewiss umher, dann trat er zum Berner, der wieder im Lehnsessel eingeschlafen war, besah sich den Mann vom Kopf zu den Füssen, rüttelte ihn dann aus dem Schlafe auf, und seinen Herrn in den Sessel einschiebend, schickte er sich an, diesen anzukleiden.
Rambleton liess es geschehen. – Während der Mulatte mit der Fertigkeit eines Pariser Kammerdieners ihm Stück auf Stück anlegte, ihn bald stehen – bald sitzen liess, hing des jungen Mannes Auge wie in Verzückung in der Zimmerecke. –
»Was schaut der Gentleman?« fragte in gebrochenem Französisch der Stewart den Berner. »Was schaut er? – Wisst Ihr es?« –
»Glaubt die Jungfrau zu sehen!« murmelte der Berner mit schlauem Lächeln.
Der Mulatte schüttelte den Kopf. –
Und Rambleton liess sich die Weste anziehen, und dann den Rock, und den Hut liess er sich aufsetzen.
Und der Mulatte ergriff die Reisetasche und der Berner den Reisekoffer. – Rambleton starrte noch immer in die Zimmerecke.
»Mister Rambleton! wir müssen gehen.«
Und sie gingen. Der Berner voran – der Mulatte folgte, Rambleton zog nach. Er hörte nichts, sah nichts, mechanisch, willenlos schlenderte er bald vorwärts, bald rückwärts.
Die Turmuhr schlug bereits neun. – Der Mulatte war ungeduldig geworden. Rambleton am Arme erfassend, zog er ihn mit Gewalt dem Kai zu.
»Das ist der S-y!« schrie er ihm in die Ohren.
»Der S-y!« rief Rambleton wie aus einem Traume erwachend. – »Der S-y!« wiederholte er.
Und jetzt schlug er die Augen auf, und wie er auf und um sich schaut, werden seine Züge auf einmal belebt, das halb wirre Ausdruckslose in seiner Miene ist verschwunden, sein Blick ist leuchtend geworden, wie er die herrliche Gestalt des gewaltigen Fahrzeuges, den scharfen Bau seiner Bogen, den leicht elliptischen Bug der Seiten, die graziös schlanken Masten, und die zierlichen Sparren, und Segel, übersieht.
Und dann springt er das Brett zur Schiffswand hinan, diese hinab, schüttelt sich wie einer, der einen Fiebertraum abschüttelt und schaut dann mit freudigen Blicken um sich.
Vom Träumer war jede Spur verschwunden. –
Und wie er auf die Häuser und Hotels und Tempel und Warenlager der französischen Hafenstadt hinschaut, wird es ihm so wohl!
Aber es ist auch ein schönes Gefühl, ein erhebendes Gefühl, inmitten eines fremden Landes auf seinem eigenen Grund und Boden zu stehen – eines der stolzesten und erhabensten Gefühle, das wohl den Amerikaner und Briten stolz auf dieses sein zweites Vaterland machen, stolz auf das fremde Land hinüberschauen lassen kann.
Doch Rambleton hatte keine Zeit mehr, zum Phantasieren – alles mahnt ihn an die Wirklichkeit, und dass er zu Hause sei.
»Was ist das? Stewart!« rief er.
Vier Koffer, sechs Haubenschachteln, zwei Nachtsäcke und ein Dutzend Kistchen und Schächtelchen lagen im Wirrwarr in den beiden Betten, und im Kabinettchen zusammengeschichtet und geworfen.
Der Stewart kratzte sich hinter den Ohren.
»Mr. Rambleton! The big Englisch Lady.« –
»The big English Lady? – Die dicke grosse englische Dame?« wiederholte Rambleton, die sich um ihn versammelnden Reisenden fixierend. –
»Behaupten Sie Ihr Recht, Mister Rambleton!« brummte ihm ein derber rotbäckiger Vierziger im grünen Rocke zu. –
»Stellen sie sich nur vor,« meinte ein Zweiter, der der Jahre zehn mehr auf dem Rücken haben mochte, – »sie will einen der grossen Spiegel aus dem Gentlemen Salon! – Wozu braucht sie einen grossen Spiegel? – Sie rasiert sich doch nicht, und der, den sie in ihrem Staatszimmer hat, ist gross genug.«
»Aus meinem Zimmer,« fiel der erstere wieder ein, »nahm sie ohne Weiteres einen Sessel.« –
»Sollte mir kommen!« meinte ein Dritter.
In dem Augenblicke kam eine Gestalt aus dem Damen-Salon. Rambleton riss die Augen weit auf.
»Thats the big Englisch Lady!« brummte ihm der Stewart in die Ohren.
Und sie war eine big Lady.
Eine Figur, volle sechs Fuss hoch, und ihre zehn Steine schwer, oder by our Lady! fünfzehn. Sie trägt einen Kopfputz, halb Turban-, halb Melonenform, gerade recht für einen türkischen, gegen das Tatarengebiet zu hausenden Grenz-Pascha, eine ungeheure dreifarbige Kokarde vornedarauf. Der Oberteil der Büste stellt einen enormen Busen zur Schau. Gewaltige Arme, wie die eines Nantuckets-Wallfischfahrers – um die Handgelenke ein Paar halbpfündige Armbänder mit groben Kameen: – Brutus und Cassius vorstellend, – eine massive Agraffe von preussischem Ordensmetalle vorne am Gürtel, und in der Mitte, nicht zu verkennen, in Hautrelief Robespierre, aus dem ungeheuern Halstuche und Backenbarte herausgrinsend; – über die ganze Büste noch eine Sammlung von nicht weniger als fünf Ketten, an denen Operngucker, Lorgnons, Porträts und Riechfläschchen klimpern, die ganze Figur in einen englisch grünen Jagdkleid. Mit dem Gewichte eines Kürassier-Obersten trat sie jetzt vor.
In der einen Hand hält sie einen Octavband, in der andern das Lorgnon, lesend tritt sie auf die Schwelle, fixiert durch das Lorgnon den Ankömmling, liest wieder weiter, hebt das Buch, wirft einen feurigen Blick darauf, und ruft:
»Göttlicher Tom Paine! Wie gewaltig tönen deine Worte!«
Nochmals bringt sie Buch und Lorgnon vor die Augen, fixiert dann Rambleton mit einem musternden Blicke, und mit einer Stimme, die wie aus einer Sprachtrompete herausdröhnt, hebt sie an:
»Wahrscheinlich der galante Gentleman, der mit so zarter Rücksicht für das, was er Damen schuldig ist, uns sein Staatszimmer zu überlassen so gefällig gewesen. Wissen wir doch, dass Amerikas freie hochherzige Söhne Damen Opfer zu bringen bereit sind; aber ungeachtet unseres Wissens überrascht uns jeder neue Zug in dem herrlichen Tableau. – Ah, Sie sind Amerikaner! man sieht es der freien Stirne, dem hochintellektuellen Auge wohl an; keine Täuschung möglich. – Ich muss Ihren Schädel sehen.«
»Maam!« fiel Rambleton mit einem Gesichte ein, das über dem neuen Beitrag, zu seiner Menschenkenntnis, einige Verwirrung blicken liess.
Die Maam musterte den jungen Mann abermals durch ihr Lorgnon, und rief mit derselben Trompeterstimme:
»Chlorinde! bringe mir doch Dr. Spurzheims letzten Versuch – den in der blauen Broschüre. – Wenn mich mein Auge nicht ganz trügt, muss sich an diesem Kopfe – das Organ der Galanterie finden.« –
»Maam!« fiel etwas positiver Rambleton ein.
»Ich bin Ihnen,« unterbrach ihn abermals die Gewaltige, »für Ihre Galanterie wirklich verbunden – und glaube Ihnen keinen grössern Beweis meiner Anerkennung geben zu können, – doch Chlorinde, wo bleibst du?« –
»Maam!« fiel wieder Rambleton ein. –
»Sehr verbunden bin ich Ihnen, mein Lieber! wie ist Ihr Name? Sie gehen doch mit uns? O! Sie müssen gehen. Ich sehe gerne galante Gentlemen um mich, die gebildet, von gutem Hause, ihrer Pflichten gegen Damen bewusst sich sind. Noch unbeweibt, sollte ich meinen?« fuhr sie lächelnd fort. »Ah, ich rate Ihnen, auf Ihrer Hut zu sein. Im traulichen Seeleben, im anschmiegenden Beisammensein, erwachen Gefühle.« –
»Maam!« fiel wieder Rambleton ein, »scheinen nicht zu wissen, dass dieses Staatszimmer –«
»Wissen Sie wohl,« fuhr sie mit erhöhter Stimme fort, »ob der Kapitän frische Austern, und grüne Erbsen, und Trüffeln eingelegt hat? Ich wäre untröstlich, wenn er sie vergessen haben sollte.«
»Maam!« nahm Rambleton wieder das Wort.
»Allein,« unterbrach sie ihn, »man muss ihn auf diese Dinge aufmerksam machen, und wer könnte wohl geeigneter sein, als gerade der galante – der so zuvorkommend – ja, Lieber! – wie heissen Sie doch nur? – Sie haben gewiss die Güte!
»Maam!«
»Es sind freilich blosse Bagatellen, aber zur See wissen Sie – man wird so stumpf, für alles unempfänglich. Apropos Stewardess!« wandte sie sich an die schwarze Kammerzofe – »Stewardess! was ich sagen wollte, die Gentlemen werden nichts dagegen einwenden, wenn ich noch einen der grossen Spiegel aus ihrem Salon in unser Staatszimmerchen hereinnehme, und dafür den kleinen an seine Stelle setze.«
»Maam!« hob wieder Rambleton an.
»O ich weiss, was Sie sagen wollen, Vortrefflicher! – Sir Edward! – Sir Edward!«
»Und Sie leiden das?« flüsterte ihm der Vierzigjährige in die Ohren, – »Ihr Staatszimmer Ihnen vor der Nase wegzunehmen, das Sie bestellt.«
»Sir Edward!« rief die Dame abermals.
»Maam!« gähnte eine Stimme aus dem Damen-Salon heraus, die einem Manne angehörte, der angetan mit einem rehfarbigen Jagdrock, mit grünem Kragen und Aufschlägen, Stiefeln und Sporen, auf dem Sofa hingestreckt lag.
»Sir Edward!« rief die Dame zum dritten oder vierten Male.
»Maam!« wiederholte der Baronet, – der sich endlich vom Sofa erhob, und an die Türschwelle getreten war.
»Dieser ist also der junge Amerikaner, der Lebensart genug besitzt, Ihnen, Maam, sein Staatszimmerchen zu überlassen. – Wirklich unerwartet!«
Und mit diesen Worten hob der Mann das Lorgnon, und musterte blinzelnd Rambleton. –
»Mr. Rambleton, wenn ich nicht irre, ist Ihr Name, wenigstens war er hier auf die Bettvorhänge geheftet?« sprach er endlich gedehnt.
Rambleton stand in Gedanken verloren.
»Mr. Rambleton!« rief eine Stimme aus einem der Staatszimmerchen heraus.
Rambleton wandte sich um; ein Mann, sechs Fuss sechs Zoll, trat auf ihn zu. – Er hatte Hände – jeder Finger glich einem starken Daumen.
»Mr. Rambleton!« sprach der Mann. »Vergesst nur nicht, dass Ihr ein Amerikaner seid, Mister Rambleton! – auf Eurem Grund und Boden, Eurem Schiff, Mann! Lasst Euch nichts abtrotzen, Mann! oder bei Gott!«
»Sir!« rief die Dame.
»Mister!« der Baronet. –
Rambleton stand und schaute abwechselnd den Goliat, offenbar einen Sohn des Westens, und wieder die Briten an, – ein ironisches Lächeln überflog ihn.
»Stewart! wo ist der Kapitän?« rief er endlich.
Der Kapitän kam soeben die Wendeltreppe herabgerannt.
»Mr. Rambleton! Vergebung! – Aber ich bin an der Konfusion nicht Schuld. – Die Pariser Agenten – verdammt seien sie! – sie schicken ganze Wagenladungen von Passagieren, und dann gibt es Konfusion. – Diese Dame hat wirklich zwei Plätze in der Damen-Kajüte; sie ist aber besetzt, und da Nummer sieben das nächste Staatszimmer ist, und Ihre Ankunft nicht mehr zu erwarten stand, –«
»Es wäre grausam, das Zutrauen, das diese ausländische Dame in amerikanische Galanterie setzt, zu täuschen und ihr das Staatszimmer nicht abzutreten,« versetzte ironisch Rambleton. – »Kuoli!« rief er dem Berner, »trage Koffer und Nachtsäcke in den Gasthof zurück.«
»Mr. Rambleton! Was soll das?« rief der Kapitän.
»Trage die Koffer in den Gasthof!« wiederholte fest Rambleton. – »Wir kehren in die Schweiz zurück« –
»Das sollen, dürfen Sie nicht, Mr. Rambleton!« rief der Kapitän. »Sie haben die Passage bezahlt, Sie sollen Nummer sieben behalten.«
»Dann haben wir das Vergnügen einander zu treffen, sobald wir in Newyork angekommen sind,« meinte lachend, und mit der Reitgerte spielend, der Baronet. –
»Fest, mein Mann!« rief der Westmann. – »Lasst Euch nichts von britischer Unverschämtheit abtrotzen. Fest, Mann! an Eurem Rechte gehalten.« –
»Wie gesagt, wir wollen die gute Meinung der britischen Dame auf unsere Galanterie nicht so arg täuschen,« versetzte Rambleton. –
»Verdammt! Eure gute Meinung!« rief der Gewaltige. – »Bei meiner Seele! wenn Ihr Nummer sieben aufgebet, sage ich es vor aller Welt, und ich kümmere mich nicht darum, wer es hört, dass Ihr ein –«
»Wenn er es nicht aufgibt, so sage ich bloss, dass er – kein Gentleman ist. Wer hat aber je einen amerikanischen Gentleman gesehen?« meinte er, mit der Reitgerte spielend, zur Dame gewendet.
Die Worte waren inhaltsschwer genug, die anwesenden Repräsentanten der beiden Nationen zur ungesäumtesten Kriegserklärung zu bewegen. – Auch holte bereits die Hand des Westmannes zum Schlage aus, der Baronet war aber schnell zur Seite gesprungen. –
Der Aufruhr brach jetzt in vollen Flammen aus. Zehn Damen kreischten, zwanzig Männer schrieen, Hunde bellten, Katzen, Mulatten, Mulattinnen heulten.
Rambleton war die Wendeltreppe hinauf, und zum Hause hinaus gesprungen.
»Halt, Mr. Rambleton!« riefen der Kapitän und der Westmann. – »Halt! Sie dürfen nicht, Ihr dürft nicht fort.« –
»Wer kann mir's wehren?« –
»Die Ehre!« – rief der Gewaltige – »Die Ehre! Verdammt! Ihr werdet doch den Briten nicht den Rücken kehren wollen?«
»Und Sie haben Ihre Passage bezahlt,« fiel der Kapitän ein.
»Ich verzichte darauf,« – versetzte Rambleton, sich vergebens bemühend sie abzuschütteln.
»Und verzichten Sie auch auf –,« raunte ihm der Kapitän leise ins Ohr. –
Rambleton stand betroffen.
»By Jingo! Ihr müsst mit uns!« versetzte der Westmann. – »Und den unverschämten Briten – leihe Euch meine Pistolen, Mann! – Tröstet Euch aber, wenn er Euch auch eins versetzt – so bin ich noch immer da, – und auf hundert Schritte treffe ich den Kopf jedes Nagels.« –
»Danke Euch für die tröstliche Versicherung, habe aber für jetzt keine grosse Lust, mich ihrer zu bedienen.«
»Was, Mann! Ihr keine Lust? Keine Lust, sagt Ihr, habt Ihr? Hat je einer so etwas in seinem Leben gesehen? Keine Lust zu haben!«
»Wohl, Sie bleiben!« nahm wieder der Kapitän das Wort. – »Sie bleiben – Und ihr,« wandte er sich zum Berner, »fort mit euch, fort!« –
»Halt!« rief Rambleton. – »Der Mann ist noch nicht bezahlt.«
Einen Augenblick stand Rambleton, den Blick gegen Osten gerichtet, dann befahl er dem Berner, Reisekoffer und Schatulle in das Zimmer des Kapitäns zu bringen; öffnete die Schatulle und nahm eine Geldrolle heraus, die er dem Berner in die Hand drückte. –
»Und die Jungfrau?« fragte der Berner.
Rambleton fuhr mit der Hand über die Stirne – und winkte dem Berner zu gehen.
Ein Paar kräftige Matrosenhände, die den Schweizer an beiden Seiten anfassten, hoben und schoben ihn über die Wandleiter hinan und stiessen ihn mit den Worten: –
»Fort mit Euch!« das Brett hinab. –
Der Kapitän stand und betrachtete den jungen Mann kopfschüttelnd. – Endlich nahm er das Wort:
»Ich kenne Sie nicht mehr, Mr. Rambleton! – Sie der feurige, der exklusive, der – ist es möglich, dass Sie vor einem Briten –?«
Rambleton – schaute ihn an – dann fiel sein Blick wieder nach Osten. –
»Trotz seines Geldes, ein so hasenfüssiger Dandy,« wisperte der Kapitän dem Westmanne zu. –
»Muss aber mit, und in Newyork – Damn! die Unverschämtheit dieses Briten, und sie ist noch ärger.«
»Der Teufel hole sie,« meinte der Kapitän, »wenn sie keine Lady wäre –«
»Glaubt Ihr, Kapitän! dass die alte Lady Geld hat?« fragte der Westmann zutraulich.
»Ohne Zweifel! – Eine Kammerjungfer, Bediente, – Sir Edward gleichfalls einen Bedienten.«
Der Westmann wurde auf einmal nachdenkend. –
»So gar alt ist sie doch auch nicht,« meinte er, – »so an dreissig Jahre, und so ohne ist sie nicht auf alle Fälle. Sie könnte es mit einem Dutzend Rothäuten aufnehmen.«
»Zweifle nicht,« versetzte der Kapitän. –
»Werden auf alle Fälle recht remarkablen Zeitvertreib haben. Muss sie näher kennen lernen.«
»Recht remarkablen Zeitvertreib; müsst sie näher kennen lernen,« meinte der Kapitän.