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1835
»An die Geliebte.«
»Sie fassen nicht den ewgen Schimmer,
Der dir aus deinen Augen geht,
So wie des Mondes heilgen Flimmer
Kein irdisches Gemüt versteht.
Hell muß es, wie die Sonne blenden,
Was dieser Welt gefällt und lacht,
Muß alles mit dem Tage enden,
Denn für den Schlaf ist ihre Nacht.
Mir wird dein Leben erst entfaltet,
Wann alles rings in Schatten fällt.
Ich weiß, so lang die Sonne waltet,
Von dir kein Gleichnis auf der Welt;
Du gehst in unbemerkter Fülle
Einsam vorüber und verwirrt,
Ein Stern, der sich aus Nacht und Stille
In dieses fremde Licht verirrt.
O dann erst, wann der Abend dichter
Sich um die stille Erde schließt,
Und wann der Schein verwandter Lichter
Auf dich vom blauen Himmel fließt;
Dann erst, du namenloses Wesen,
Du Stern des Himmels, fass' ich dich,
Und mein' in deinem Blick zu lesen,
Beim Strahl des Monds, du liebest mich.«
März 1811
1.
Was liegt der Schlaf auf meinen Augenlidern
Am hellen Tag? was ist mein Haupt so schwer!
Bald rast mein Puls, bald find ich ihn nicht mehr!
Pickt schon der Totenwurm in meinen Gliedern?
Du bist nicht krank! hör ich den Arzt erwiedern
Auf dieser Klagen ungestümes Heer.
Setz gegen deine
Bücher dich zur Wehr!
Laß dir den trägen Mut Natur befiedern!
Geh in ein Bad, doch hüte dich zu baden;
Zum Brunnen, doch das Glas nicht an den Mund,
Viel lieber laß zum Firnewein dich laden.
Hinab zur Kühle, dort im Felsengrund!
Empor im Schweiß auf steilen Tannenpfaden,
Lern wieder leben, und du wirst gesund!
2.
Und seiner Mahnung hab ich mich gefügt,
Hier bin ich, wo die Müßiggänger thronen,
Der sanften Ruhe soll ich hier gewohnen,
Wo Denken mich nicht mehr um Sein betrügt.
Und leugnen kann ich's nicht: ich bin vergnügt,
Mein Leib erstarkt, mein Geist läßt gern sich schonen,
Wenn beide dämmern unter Blätterkronen,
Und wenn der Becher beiden Jugend lügt.
Wann denn verwandert ist der frische Morgen,
Verschlummert ist der schwüle Nachmittag,
Der Abend sich in Sonnendunst geborgen;
Wann still die Dorfnacht aufsteigt aus dem Hag:
Da meldet gar (wie lang verdrängt von Sorgen!)
Die Muse sich beim Nachtigallenschlag.
3.
O Mond, wie leget sich so schön und breit,
Viel weicher, als auf Gassen und Paläste,
Um diese Berge, diese vollen Äste,
Auf dieses Gras dein lichtgesponnen Kleid!
O Mond, o Sonne der Vergangenheit!
Wie dringst du auch in meines Busens Feste,
Wie wirfst du Glanz und Schatten auf die Reste
Von Lebensträumen ferner Jünglingszeit.
Aus diesen Trümmern hebt sich leis' empor
Im Strahl der Nacht ein Lilienangesicht
Mit blauer Augen frischem Perlentaue.
Ein altes Jugendlied rauscht mir ans Ohr,
Mir flüstert's ein verklungenes Gedicht,
Daß ich der frühen Lieb ins Antlitz schaue.
4.
So ist's erfüllt, so soll ich noch einmal
Sie sehen, wie der Dichtung Morgentraum,
Wie seltnen Abends Zauberfärbung kaum
Sie mir gezeigt in mondverklärtem Saal.
Ihr goldnes Haar webt sich aus Mondenstrahl,
Aus Mondenschatten ihrer Wimper Saum,
Ihr schimmernd Kleid fließt wie der Wellenschaum
Des Felsenbachs, der niederwallt ins Thal.
Aus ihrem Ätherauge quillt ein Licht,
Das Feuer taucht noch aus dem tiefen Blau,
So sah mein Blick, so sang sie mein Gedicht.
Doch schmerzvoll ist mein Geist ihr zugekehrt;
Vergänglich ist die Schönheit, wie der Tau –
War ihr Unsterbliches der Liebe wert?
5.
Unselger Fluch der Endlichkeit: gespalten
Ist Form und Wesen, ewig abgetrennt!
Der stolzen Wohnung, die sich Schönheit nennt,
Ist stets der Fremdling Seele fern gehalten.
Das Nichts schläft in der Wunderblume Falten,
Die Lieb und Lied verherrlicht und nicht kennt;
Suchst du der Tugend heilig Licht? es brennt
Verborgen vor der Welt, in Mißgestalten!
So sprach der Zweifel, und ein Wolkenschleier
Zog trüb sich über der Verklärung Bild,
Und eingeschüchtert floh der Mond von dannen.
Doch Sterne blieben, und mein Geist ward freier,
Denn die Erinnerung lächelte noch mild,
Und ließ sich nicht aus meinen Träumen bannen.
6.
Und vor mein schlummernd Auge trat ein Knabe,
Leichtsinngen Schritts, gleichgültigen Gesichts;
In seinem Blick, um seinen Mund war nichts;
Der deutete hinaus mit seinem Stabe
Und sprach: »Komm, sieh, was ich bereitet habe!«
Ich drauf: »Du bist kein Bote mir des Lichts;
Dein eitler Gang, dein leeres Auge spricht's;
Von dir erwart ich keine Sehergabe.
Wer bist du?« – Da bescheiden sprach der Kleine:
»Ich bin der
Zufall, und, unscheinbar zwar,
Bin ich der letzte nicht von Gottes Engeln.
Komm, folge mir! ich zeige frei von Mängeln,
In Seelenschönheit dir die Süße, Reine!«
Er ging, ein Zephyr kräuselte sein Haar.
7.
Mondschein, Traum, Dichtung, Liebe war vergessen,
Und in der Stimmung später Lebenstage,
Zufrieden-ledig von der Alltagsplage,
Schlich ich durch Hängeweiden und Cypressen.
Die krummen Gänge hatt' ich all durchmessen,
Die Gäste waren von gemeinem Schlage,
Zu grüßen und zu danken war mir Plage,
Bis ich die fernste Bank im Hain besessen.
Da hört ich's knistern hinter mir im Moose;
Gewendet sah ich eine Mutter pflegen
Ein spielend Kind, hell wie die rote Rose.
Und wie das Frauenantlitz aufwärts schauet,
Blickt eine welke Lilie mir entgegen,
Mit blauen Augen himmlisch noch betauet.
8.
Tau, unvergänglicher als Lilienblüte!
An dir erkenn ich die Geliebte wieder.
Auf dieses Kind senkt sich der Himmel nieder,
Den einst ich schaut' in einem Blick der Güte.
Nicht schmerzet Schönheit mich, die längst verglühte,
Nicht der geschwundne Bau so holder Glieder;
Im Herzen rauscht ein froher Quell der Lieder,
Geweihet nie verblühendem Gemüte. –
Gerührter Thor! wirst du dich nicht besinnen?
Der Frauen Urbild soll sie dir vertreten,
Weil du sie Kind siehst oder Enkel minnen?
Sieh erst in ihrem Kämmerlein sie beten!
Was thut denn diese Frau, das nicht auch thäten
Die Zöllnerinnen und die Sünderinnen?
9.
Und wie mein Blick das Paar aufs neu betrachtet,
Werd ich gewahr, daß ihre ganze Kraft
Die Mutter deutungsschwer zusammenrafft,
Wenn sie dem Kind sich zu verständgen trachtet.
Des teuren Wesens Geist ist wohl umnachtet,
Und einer seiner Sinne liegt in Haft.
Ach, ihr Gebärdenspiel wird Leidenschaft,
Indes empor es halbverstehend schmachtet.
Und nun begreif ich's: dieses Kind ist stumm!
Und nun wird's klar mir: dieses Kind ist taub,
Und liebende Verzweiflung seine Pflege!
Wie mit Gespensterfurcht seh ich mich um,
Kalt bläst ein Wind im Trauerweidenlaub;
Und, gleich gescheuchtem Wild, meid ich die Wege.
10.
Dicht im Gestrüppe schleich ich still und scheu,
Da kommt ein Gast, einsam auch er, gegangen,
Den frag ich nach der Frau mit bleichen Wangen.
Er spricht verwundert: »Ist ihr Los euch neu?
Ihr starb der Gatte treulos, doch in Reu,
Und eng umstrickt von des Gewissens Schlangen;
Sie aber hält sein hülflos Kind umfangen,
Und an der Untreu Frucht übt sie die Treu.«
Nicht Antwort fand ich auf des Fremden Worte,
Im Ohre läutete das Lied der Jugend,
Es rüttelte mir im betäubten Sinn.
Fort, nach des Fichtenwalds geheimstem Orte,
Dort zu versenken mich in ihre Tugend!
Sie pflegt das Kind – das Kind der Buhlerin!
11.
In meinem Traum stand vor mir lebensklar
Ein Knab, aus dessen Auge Funken springen,
Ein Engel mit erst halbgesenkten Schwingen,
Und Gottes Odem kräuselte sein Haar.
»Du bist der Zufall,« rief ich, »ist's nicht wahr?«
Und er sprach: »Ja! doch nach vollbrachten Dingen
Werd ich zur
Schickung, und Gesänge bringen
Zur Ehre mir die Brüderengel dar.
Und jüngst ward ich zu dir gesandt, ein Wesen,
Das du erkanntest, als es niemand kannte,
Zu zeigen dir, bestimmt für Gottes Thron.
Die Flamme dieser reinen Seele brannte
Von Ewigkeit für Ewigkeit erlesen.
Du
weißt's. Und das ist deines Liedes Lohn.«
12.
Gesundheit nehm ich mit aus diesem Bade,
Heil, das nicht bloß dem Leibe widerfuhr,
Nein, auch mein Sinn, dem sie des Lebens Spur
Tief eingedrückt, ist wieder hell und grade.
Die Liebe, die mich auf dem Jünglingspfade
Gehütet, war nicht eitle Täuschung nur,
Der Hoffnung Grün ward ewiger Azur,
Der wölbt sich über uns als Schirm der Gnade.
Das Kind, das unter diesem Himmel ruht,
Hat Ohr und Wort in meiner Phantasie,
Die Mutter, die es trägt, hat Jugendschöne.
Ein duftger Vollmondschein verschwindet nie,
Wallt um das holde Paar wie Silberflut,
Und leise flötend klingen Liedestöne.