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1

Da ich anfange, dies Buch zu schreiben, das ein Spiegelbild sein soll meiner Erlebnisse und dessen, was mir der Herr zu schauen und zu erfahren beschieden während der Dauer meiner siebenundneunzig Lebensjahre, die er mir bislang in seiner Güte zugemessen, zählt man den Gedenktag des Zwölfboten Jakobus des Jahres Eintausendvierhundertundrei nach unseres Herrn und Heilandes gnadenreicher Geburt.

Ich sitze schier fröstelnd in meiner stillen Zelle im Kloster zu Metten, und draußen im Klostergarten blühen die Blumen, gelb, rot und blau, und singen die Vögelein auf Bäumen und im Gehage; dunkelgrün schaut der Wald hernieder von den Bergen, und die Fluren des Donaugäues sehen aus wie mit eitel Gold überdeckt bis weit hinaus in die blaudämmerige Ferne; der Natternberg schaut so trutzig herüber vom anderen Ufer der Donau, und unten im Freithofe bei der Kirche St. Martini ist ein frischer Grabhügel, darin man vor ein paar Tagen den letzten Eckher zur ewigen Ruhe gebettet.

Es hat ein drei, vier Tage her geregnet, und ich habe in meiner Einfalt so hin und wieder gesonnen, und es regnete gestern und heute nicht, es sind die wünniglichsten Sommertage, aber das Sinnen weicht nicht aus meinem Kopfe. Der trutzige Natternberg und der frische Grabhügel im Freithofe St. Martini kommen mir nicht aus dem Sinne, und dazwischen ziehen die Spiegelbilder vergangener Zeiten an meinem Erinnern dahin, wie buntfarbe Spinnweben im Altweibersommer an einem von oben bis unten rundum bemoosten Holzapfelbaume auf fahlem Anger vorüberziehen.

Ich habe der holden Lenzestage viel gesehen und auch viel Winterzeiten, so schier alles in lauter Nacht dahinschleichet; ich habe der Vögelein Sang gehört, das freudvolle Jauchzen der Jugend, wilden Kampfruf und grauenhaft Schwertgeklirre, und ich habe da Entsetzliche erlebt, das mir heute noch den Herzschlag hemmt, und alles kommt mir heute vor, wie wenn ich in einem Weggeleise ein Häuflein Ameisen tummeln gesehen, über die das Rad der ewigen Zeit in seinem ebenmäßigen Gange dahingerollt, und die letzte Spur ist der frische Grabhügel im Freithofe draußen.

Und es drängt mich und lässt mir keine Ruhe und keinen Frieden, und ich muss mich darüber machen, das alles aufzuschreiben zum Gedächtnis, ehe der Herr das schon stark niedergebrannte Lichtlein meines Lebens auslöscht und ehe das Rad der Zeit meine Spur verfährt und damit das Gedenken an eine Zeit, die einem Sturme auf dem Meere gleichen mag. Und weil ich schreibe, so schreib ich alles, was ich weiß und was ich denken, vom Anfange an bis zu dem Tage, da man den letzen der Eckher in die Grube gesenket oder bis mir unterdes einer den Federkiel aus der Hand windet, einer, der keines einzigen vergisst.

*

Meines Vaters Häusel ist oben gestanden im Walde, wo sich die Mittagssonne recht schön warm anlegt an die Hänge und wo zur Zeit der ersten Lenztage die ersten Blumen erblühen in der ganzen Runde. Vom Anger aus hat man weitmächtig hinausgesehen ins weite, weite Land, viele Berge, viele Siedlungen, Dörfer und Burgen, und an recht heiteren Tagen haben wir oftmals sogar zur Sommerszeit in der Weite Berge gesehen, die ganz mit Schnee bedeckt gewesen. Meine Ahne hat gesagt, dieselben Berge nennte man im Gäu drunten die Almen oder das Gebirge.

Ja, die Zeit kann ich heute gar nimmer beschreiben, die ich selmal verlebt im zerrissenen und zerlumpten Gewande, ich müsste denn die Farbe einer Rose nehmen und das ganze Blatt damit bestreichen und mitten auf das Blatt eine Sonne malen mit echtem, leuchtendem Golde, und das wäre noch nicht einmal ein leiser Schatten. Ein Sehnen füllt mein Herz schier zum Zerspringen, wenn ich der Zeiten gedenke, und der Herr mag mir's verzeihen, wenn ich unrecht denken, aber mir kommt es nicht anders vor, als wäre ich selmal im Paradiese gewesen. Ein Örtel weiter sind zwei Häusel gestanden, und auch dort haben sie Kinder gehabt, und wir sind hingelaufen und die Nachbarskinder her, wir haben eins das andere gern gehabt und haben gerauft, wir haben Vogelnester gesucht mitsammen, haben Verstecken gespielt und sind im Winter auf Schlitten hinuntergefahren über die Hängen, bis wir halb starr gewesen vor Frost und Kälte. Diese Zeit ist vergangen wie ein holder Maientag vergeht, und einmal hat es geheißen: Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dir dein Brot verdienen. Wir sind hübsch viel Kinder gewesen, und wir größeren haben einstmals in die Welt gemusst zu fremden Leuten, um uns fortzubringen. Scheint eine ganz andere Sonne, da man weggeht vom Elternhause, und der ganze Himmel steht voll trüber Woldken. Der Weg in die Fremde ist hart rau, und alle Augenblicke tritt man auf einen Stein, dass es noch im Herzen wehe tut, und die Wegufer sind mit Disteln und Dornen bewachsen. Auch sind fremder Leute Bänke und Brotbrocken hart, und die Reden rau.

Der Gadem des Paradieses hat sich hinter einem geschlossen, so er diesen Weg geht.

Ich habe Arbeit gefunden und gearbeitet und von der Arbeit sind meine Hände groß, meine Arme dick und mein Körper stark geworden, ich hab' es gemerkt und hätte mich vermessen, mit einem Bären zu ringen.

Da hat eines Tages der Weg einen Fiedler ins Dorf geführt. Unter der Linden hat er sich aufgestellt, und das Singen der Fiedel hat sich in jede Stube geschlichen und in jedes junge Herz, und wie der Sausewind ist das Gevölke der Linde zugeflattert. Die Fiedel hat gesungen, und Knechte und Jungfrauen haben sich im Kreise gedreht und gewiegt oder einander die bunten Bälle zugeworfen. Und auch ich bin zur Linde hin, aber ich habe nicht tanzen können und Bälle werfen; ich habe müssen schauen und gaffen an den Fiedler, und das Singen und Jauchzen der braunen Fiedel ist mir in den Kopf und ins Herz gekrochen wie zur Nachtzeit ein arger Dieb, und in der Nacht habe ich nicht schlafen können vor Herzeleid und Herzeschwere. Ich habe das Singen und Klingen nicht aus den Ohren gebracht und das Sehnen nach etwas Unerkanntem und Ungewissen nicht aus dem Herzen, und ein paar Tage bin ich umhergegangen, wie von der Ungenade Ungenade, mittelhochdeutsch, unheilbare Krankheit. Auch eine Krankheit, deren Namen man auszusprechen sich scheut. befallen, und dann bin ich unversonnen einmal davon und habe tagelang nach dem Fiedler gesucht in der ganzen Runde, bis ich ihn gefunden, da er wieder unter einer Linde die Fiedel gestrichen.

Ich habe mich hingesetzt zu ihm und gegafft und gehorcht, bis er mich gefragt nach meinem Begehren. Ich habe nicht gleich sagen können, was meines Willens und Wunsches ist, weil ich es selbst nicht recht gewusst, aber dann habe ich gemeint, er sollt mir die Fiedel geben.

Er hat hell aufgelacht und mir viel Untrost gesagt, aber als ich darob recht verzagt geworden, hat er mich ein dumm Kind genannt und gut geredet mit mir, bis mir wieder eingefallen, dass ich nur das Fiedeln lernen möchte, sonst nichts.

Da hat er wieder gelacht und meine großen Hände angeschaut und die dicken Arme. Die taugeten für den Pflug, hat er gemeint, oder für ein stark Schwert, nicht für die zarte Fiedel.

Und ich habe abermals gebeten, bis er eingewilligt, es mit mir zu versuchen.

Wir sind von Dorf zu Dorf gezogen, und Diethoch, der Meister, hat mir das Fiedeln gelernt, recht und schlecht, und meine Hände haben sich nicht zu groß erwiesen dazu. Wir haben in Dörfern gespielt, hie und da auf einer Hofmark oder in einer Burge, und zu müßiger Zeit haben wir uns Liedlein ersonnen.

In den Burgen haben sie nur Hofesang Hofesang, Höfische Poesie, Minnesang, im Gegensatze zur Volkspoesie. hören wollen und Lieder voll von wünniglicher Minne, und Meister Diethoch hat deren auch gekannt. Er hat die Märe gewusst von einem Ritter Parzival, der ausgezogen, den heiligen Gral zu suchen, die Märe vom armen Heinrich, dem es schier ergangen wie dem alten Juden Job, den Sang von einem Ritter Kalogreant, der auf Abenteuer ausgezogen, vom hürnen Seyfried und von Tristan und Isot. Aber wir haben Lieder ersonnen, wie sie in unserer Brust gewachsen und wie sich das Leben um uns her in unserem Herzen widerspiegelt, so frisch und kräftig, und ich habe heute noch keinen anderen Unterschied gefunden, als wäre der Hofesang wie ein schöner Psellel Psellel, aus feinem Seidenstoffe gefertigtes Gewand., den man zur Festeszeit anzieht, und unsere dörperlichen Dörperlich, dörflich, bäuerisch oder bäuerlich; auch nicht ganz höfisch sein. Lieder wie ein fester, buntgewirkter Bauernkittel, der auf heimischem Boden gewachsen und den man auch zur rechten Zeit zur Arbeit und auch zur Festzeit anlegen kann.

Und dann ist einmal die Zeit gekommen, da mich Meister Diethoch aus der Lehre entlassen und ich alleine meinen Flug gesucht habe, wie ein junger Fink in den ersten Lenzestagen. Die Welt ist selmal schier endlos vor mir gelegen, und alle Wege habe ich mit eitel Rosenblättern bestreut gewähnt. Mit der Fiedel über dem Rücken und mit einem Herzen voll Lieder bin ich meiner Steige gezogen, und niemalen habe ich gefragt, ob der Weg der rechte wäre, der mir unter den Füßen gelegen.

Ich habe mich unter die Linden gesetzt und habe meine Fiedel singen lassen, und das junge Gevölke ist gekommen, hat gereigt und gejauchzet, gesungen und Bälle geworfen, und ich habe nicht um Gottes Lohn gespielt. Selmal ist eine Zeit gekommen für mich, da ich nicht hätte tauschen mögen mit dem Kaiser. Wo ich hingeflogen bin, habe ich ein Plätzlein gefunden zur Rast und Atzung nach Genügen, und einmal bin ich wieder unter einer Linde gestanden und habe meine Fiedel singen lassen und habe fröhlich ein Lied dazu gejauchzet aus vollem, überquellendem Freudenherzen, und ein Dirnlein hat sich neben mich hingesetzt und hat dem Liede und der Fiedel gelauschet mit andächtigem, sehnendem Herzen, und als ich geendet, hat es mir bittend in die Augen geschaut.

»Sing' das noch einmal!« hat es gebeten.

Und ich habe das Lied noch einmal gesungen und die Fiedel gestrichen dazu.

Die Fiedel klingt, die weichen Weisen schleichen
Durch Tür und Tor, die Herzen zu erreichte.
Der Anger gleißt vom Morgentau,
Die Blümlein blühen rot und blau.
Die Vöglein singen helle im Hag und in der Au.

Die Fiedel klingt, der Mägdlein Herzen puchen,
Ihr Auge späht, den Liebsten zart zu suchen,
Zu Reigen, Tanz und Liederschall.
In weitem Bogen fliegt der Ball;
Die vollen Wangen glühen; die Freude jauchzet überall!

Die Fiedel schweigt, der Fiedler lehnt am Baume,
Sieht vor sich hin als wie in hellem Träume.
Ein Fremder er am Steine saß,
In fremdem Land ohn' Lieb und Hass …

Dann zieht mit leichter Bürde er seines Wegs fürbass.

Und als ich geendet, hat mich das Dirnlein bei der Hand genommen. Seine Stimme hat gezittert, als es geredet, und aus seinen Augen hat eitel Glück und Seligkeit gestrahlt.

»Bleib da!« hat es gebeten. »Bleib da, du fahrender Mann! Ich bin meiner Leute einzig Kind und biete dir Haus und Herz und Hand.«

Aber ich habe nur den Kopf geschüttelt, habe gelacht dazu, die Fiedel über den Rücken gehängt und ein spöttisch Liedel dazu gesungen.

Ein Schätzel hat mich zum Schatz erkieset Erkieset, ausersehen, erküret.,
Eijo!
Ich aber hab da die Ohren vermieset Vermieset, verwachsen.,
Eijo!
Ich zieh durch die Welt wie ein wandernder Spatz,
Bin jedwedes Fiedler und niemandes Schatz.
Eijo, eijo!

Ich bin wieder gewandert von einem Orte zum andern, habe gefiedelt und gesungen und zu Zeiten auch Schelmenwerk getrieben, so mich der Übermut der jungen Jahre geplagt, und die Welt ist mir vorgekommen wie ein großer, großer Garten, in dem nichts als Blumenpracht und Vogelsang. Ein Tag hat mich einmal an einem Freithofe vorbeigeführt, da man eben einen in die Grube gesenkt, und ein jung Weib und drei kleine Kinder haben gejammert und geweinet und schier untrost getan, aber ich hab' es nicht vermocht, in meiner Unsorge ihr Leid zu verstehen. Nicht eine Stunde hat mir das meinen leichten Sinn trüben können. So bin ich gewesen.

Aber einmal hab' ich mitten in meinem Wege an einen nichtigen Stein gestoßen, und der Stoß, den hundert andere nicht spürten und nicht achteten, der hat mich auf einen anderen Pfad geworfen.

Es ist Lenzeszeit gewesen. Das Gras hat geblühet, der Hag hat geblühet, und die Apfelbäume haben auch geblühet, und ich habe vor den Mauern eines Städtleins meine Fiedel angestrichen und gewartet, bis das junge Gevölke herauskommt zu Sang und Tanz. Ist auch balde gekommen und hat gejauchzet und getanzt, und ich habe des Lohnes zur Genüge bekommen.

Da hat mich eine Dirn' in himmelblauem Gewande einen unehrlichen Gauch Gauch = Kuckuck; auch minderwertiger Mensch, Lump u. dgl. geheißen. Ich weiß nicht, ist es aus losem Mutwillen geschehen, aus unbedachtem Scherze oder aus reiner Bosheit, aber das Wort ist mir zu Herzen gegangen wie kein anderes zuvor und nachher.

»Ich – ehrlos?« hab' ich schier aufgeschrien, wie wenn mich einer hart geschlagen hätte. Und wie ein Stich ist's mir mitten durchs Herz.

»Ja. Weißt du denn nicht, dass Pfeifer, Fiedler und alles andere fahrende Volk zu den unehrlichen Leuten gehören? Wer um schnöden Lohn possenhaft Spiel treibt, ist unehrlich.«

»So? Und wir sind schon auf den Burgen edler Ritter zu Tische gesessen …«

»Es ist so.« Und sie hat sich abgewandt und ist davon, und ich bin zurück zum Apfelbaume und hab' wollen im aufwallenden Unmut und Hass die Fiedel an den schrundigen Stamm schlagen, aber ich hab' mich gemeistert zur rechten Zeit und habe mir gedacht: Was kann denn die gute Fiedel für die himmlischen Valentine Valentine, Teufelin.? Was kann das tote Holz dafür, dass die lebenden Menschen so törichte Meinungen haben? Wär ich ein edler Ritter und säße auf meiner Burge, wär' Singen und Fiedeln ein ehrlich Tun; weil ich um schnöden Lohn spielen muss, bin ich ein fahrender, unehrlicher Gesell.

Jedes Aderlein in meinem Leibe hat gezittert vor eitel Zorn und Unmut und darob, dass ich sollte zum unehrlichen Volke gerechnet werden, und wär' ich ein Ritter gewesen mit Dienstmannen und Knechten, ich hätte das Städtlein berannt und bittere Rache geübt. So aber habe ich meinen Wanderstab am Apfelbaume zerschlagen und bin fortgegangen, bis ich eine Schenke gefunden am Wege.

Wüster Lärm hat die niedrige Stube gefüllt, und grobe Kehlen haben unzarte Lieder gesungen. Ein paar Bauern sind dort gesessen und haben gezechet in ihrer Weise, und einer hat gleich geschrien: »Ein Fiedler! Das kommt viel harte gut Gut, »viel harte  …« oder auch nur »hart«, eine Verstärkung der betr. Eigenschaft, nahezu gleichwertig mit unserem sehr; »viel harte gut«, recht gut, sehr gut.

Ich aber hab' eine unfuge Ungefüge, unhöflich, grob. Rede getan, hab' mich gewendet und bin gegangen von den ehrlichen Leuten, ich, der Unehrliche.

Auf freier Bergeshöhe zieht sich ein schmaler, festgestapfter Steig dahin, den die Säumer mit ihren Lastrossen fahren. Grüner Bürstling und rötlich blühendes Heidbeerkraut deckt Bergrücken und Wegufer, und dazwischen stehen zwergige Bäumchen und grau und weiß gescheckte Steine, und eine harte Luft streicht über Steig und Höhe. Da und dort schreit ein Vöglein, über das Himmelsblau zieht ein Habicht, der Wind sauset und pfeift im Geäste und Gewipfel der Baumstauden, und der Sonnenschein flutet in mächtiger Fülle über den Berg. Diesen Pfad bin ich gewandert in meinem harten Sinnen, und wie ein Wolkenschatten bin ich über die Öde gehuscht. Auf einem Steine hab' ich mich niedergesetzt und hab' zu Tale geschaut, wo die Siedlungen und Gereute der Menschen liegen und die stolzen Burgen trutzig ragen, und es ist mir vorgekommen, als wäre hier der Vorplatz zum Paradiese und unten nichts als Leid, Hass und Jammer. Ich habe meine Fiedel genommen und gestrichen, und derselben Singen hat sich über die grüne, sonnige Ödheide gezogen wie himmelblauer Rauch, der nicht zu Höhe steigen kann. Die Vögelein haben gehorcht und gelauschet, und die Häslein sind herbei geschlichen und haben geluget zu nachtschlafender Ruhe. Rosenfarber Schein hat sich über die Ödheide gesenket, und gar die Baumstauden und das Gefelse ist geworden, als tät es glühen. Aber dann ist die Nacht gefolget, und über dem Dunkel des Erdbodens sind die Sterne aufgegangen, und ein Käuzel hat darob gelacht und über den unklugen Fiedler: juhu, juhuhu.

Ich habe der Sterne nicht geachtet und des Käuzels nicht; ich habe über die Fiedel gestrichen und an einem Lied gesonnen, das ich singen will, wenn ich wieder unter den blühenden Apfelbaum käme vor den Mauern des Städtleins und wenn die Jungfrau im himmelblauen Gewande wieder auf den blumigen Anger träte. Ein Lied sollt' es sein, das aller Herzen rühret und auch da ihre und … Ja, über mein selbes Ziel hat mein Sinnen nicht hinausgereicht und nicht hinausgefunden.

Es hat sich die schlafende Sonne zum Aufstehen geregt, und der Tag hat sich angedeutet, und ich habe allweg noch gesonnen an einem Liede und keines erfunden, und die Vögelein haben wieder zu singen angefangen, und der Tag ist in Völle angebrochen, und ich habe immer noch kein Lied gewusst.

So bin ich im Morgentau weiter gezogen mit hungrigem Magen und untrostem Herzen und habe mir vorgenommen, ich ziehe weit, weit hinaus in die endlose Welt, vielleicht gar bis dorthin, wo selbst in der Augusthitze der Schnee von den Bergen schaut, fiedle allerorten dem jungen Gevölke zu Tanz und Reigen und entschlage meinem Herzen und meinem Sinnen, was dort beißt und quälet.

Am Ufer der Donau hab' ich mich in ein Gehage gekauert, hab' hassvolles Sinnen gepflogen und hinübergesehen nach dem anderen Ufer, wo der Natternberg mit seiner Burge aufgeraget aus dem Grün der Welt in die Bläue des Himmels, und ein unbestimmt und ungeformt Sehnen hat sich zwischen dem hassvollen Sinne durchgeschlichen.

Die Donau ist sonst zumeist erdfarb und trübe, aber denselben Tag ist sie wieder einmal so wundersam blau gewesen wie schier der Himmel, am Ufer hat Gehag und Gras geblühet, und aus der Ferne haben plötzlich einige Glocken angefangen zu klingen: die Glocke im Kloster zu Metten.

Das Sehnen nach etwas, das ich nicht nennen und denken gekonnt, ist gewachsen und angedießet Angedießet, dießen, mhd. fließen, schwellen, anschwellen., und ich bin dem Glockenklingen nach, bis ich vor der Klosterpforte gestanden. Im Chor der Kirche sind die Klosterherrn gesessen und haben Gebete gesungen, die ich nicht verstanden, aber ich habe mich in eine Ecke gelehnt nahe der Tür und hab' gehorcht und dazwischen gesonnen.

Wer so dableiben könnte in der Weltabgeschiedenheit! Leid und Jammer wohnen draußen inmitten des lachenden Lenzes, und so einer nichts als Freud zu sehen wähnt, betrügt er sich selbst in arger Weise. So rosenfarb ehedem all einem Sinnen und denken und Jungleben gewesen, so rußfarb haben jetzt meine Augen jegliches Ding gesehen, und der Wunsch, im stillen Klosterfrieden zu hausen und zu leben, ist in meinem Herzen gewachsen wie eines Menschen Schatten bei untergehender Sonnen.

Als die Klosterherren das Gebet geendet und einer nach dem anderen aufgestanden und in einer Seitentür verschwunden, hab' ich mir ein Herz gefasst, bin zur Eingangspforte und hab' mit meinen groben Händen gepocht.

Ein alter, graubärtiger Bruder ist gekommen, hat geöffnet und mich nach meinem Begehren gefragt, und als ich ihm in kurzer Rede gesagt, welcher Wunsch sich festgesetzt in meinem Herzen, hat er die Tür hinter mir geschlossen und mich zum Abte gebracht.

»Da bring ich einen, der zu uns ins Kloster will«, hat er gesagt.

»So? Will? … Warum willst du?« hat mich dann der Abt nach einigem Achselzucken gefragt und mich dabei allweg fest angeschauet.

Und ich hab' ihm alles gesagt, was mir die Welt leid und unwert macht, und habe nicht ein Wort verhehlet.

Und derweilen ist noch einer der Klosterherren dazugekommen, und der hat hell aufgelacht, da er von meinem Begehren erfahren. »Der will zu uns ins Kloster? Schaut nur dem seine Bärenpranken an! Der zerreißt und alle Bücher.«

»Tut nicht strenge Rede, Wolfgang!« hat der Abt gemahnt und dabei meine Hände betrachtet. »Dies Menschen Hände sind desselben Gottes Geschenk, der die leichten Schreiberhände beschert.« Und dann hat er ein Weilchen geredet mit ihm in einer mir unverständlichen Zunge Zunge, Sprache. Vgl. lat. Lingua!.

»Du bist also ein Fiedler?« hat er später gefragt.

»Ja, ein unehrlicher Gesell.«

»Die Rede magst du dir sparen«, hat er gelinde verwiesen. »Du willst zu uns ins Kloster, und des Menschen Wille ist sein selbes Selbes, sein selbes … mein selbes …; mhd. übliche Form des besitzanzeigenden Fürwortes, gewissermaßen eine Verstärkung des Begriffe. Himmelreich. Du wirst das Kleid der Kirche tragen und ein Diener des Höchsten sein nach deinen Kräften; du wirst den Dienst nicht schnöden Weltlohnes wegen leisten und ein ehrlicher Mann sein. Wie heißt du?«

»Leutwin, Herr.«

»Du sollst fürder Gotswin heißen, ein Freund Gottes, da dir die Leute die schöne Gotteswelt und dein bisheriges Leben verleidet mit ihrem Vorurteil. Und so sei gegrüßt im Namen des Herrn im Klosterfrieden! Wie sich die Pforte hinter dir geschlossen bei deinem Eintritte, so sei weltlich Sinnen und weltlich Trachten hinter die in eitel Rauch zerflossen, und ein neues Leben erstehe dir im Dienste des Herrn und seiner Kirche!«


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