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Nach dem Abschied.

In meinen Ohren klingt noch immer
Der leise Ton der lieben Worte;
Der klaren Augen stiller Schimmer
Umstrahlt noch die bekannten Orte,
Den festen Druck der treuen Hände –
Ich fühl' ihn noch – die alten Wände
Umfassen Dich mit ihrem Rahmen,
Und unwillkührlich ruf' ich Deinen Nahmen!
– Und wie Du ganz noch hier geblieben
In meinem Sinn, in meinem Lieben,
Kann ich die Wahrheit noch nicht fassen:
Hast Du denn wirklich mich verlassen?

23. November 1821.


Nach dem Abschied

H 2, Seite 13, ohne Überschrift. – H 1, Seite 31. – Signatur Sibyllens: 45.

H 1 hat als Unterschrift nur: »1821«. Das genauere Datum liefert Adelens Tagebuch vom 23. November 1821, wo dasselbe Gedicht sich findet. Es bezieht sich auf Heinrich Nicolovius, den zweiten Sohn des mit Goethe verwandten Berliner Staatsrats G. H. L. Nicolovius, einen Vetter Ottiliens, der im November 1821 in Weimar weilte, zur selben Zeit, als der junge Felix Mendelssohn-Bartholdy durch sein Spiel Goethe entzückte. Näheres über das wunderlich sentimentale Verhältnis zwischen Nicolovius, Ottilie und Adele verrät geschwätzig der letzteren Tagebuch vom 1. November 1821 bis zum Juni 1822. Adele und Ottilie rivalisierten auch hier, genau so wie Heinke gegenüber, und Ottilie blieb wiederum die Siegerin; Adele scheint sich ohne Groll mit der Rolle eines Blitzableiters abgefunden zu haben, denn die ebenso leichtentzündliche wie leichtsinnige Schwiegertochter Goethes lief in jenen Jahren immer wieder Gefahr, durch ihr unbeherrschtes Temperament ihren und ihres Gatten Ruf bloßzustellen, weil sie, wie Adele in ihrem unerschütterlichen Glauben an die Freundin entschuldigend sagt, »aus Unvorsichtigkeit und angeborener Reinheit unberechnet handelte« und allen kleinstädtischen Klatsch, der in Weimar üppig gedieh, aus tiefstem Herzen verachtete. Aber auch auf Adele, die sich schon »der Grenze der Jugend nahe« fühlte, scheint die Persönlichkeit des jungen Freundes einen tiefen Eindruck hinterlassen zu haben, so daß sie bei sich selbst von »Heinrichs Liebe« reden durfte (vgl. ihr Tagebuch vom 12. Juni 1822, ihrem Geburtstag, an dem sie gern die Erlebnisse des letztverflossenen Jahres sich vergegenwärtigte), neben der aber die Liebe zu Heinke ungetrübt bestehen konnte und sogar die ernsthaftere Neigung zu Gottfried Osann aufkeimte.


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